Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XV.

AUSBREITUNG DER CHRISTLICHEN RELIGION SOWIE ANSICHTEN, SITTEN, ZAHL UND LEBENSUMSTÄNDE DER URCHRISTEN · ZEREMONIEN, KÜNSTE, FESTTAGE

 

ETABLIERUNG DES CHRISTENTUMS

Eine unbefangene und zugleich vernunftgeleitete Untersuchung über die Ausbreitung und endliche Etablierung des Christentums dürfte wohl jedermann für einen unverzichtbaren Bestandteil einer römischen Kaisergeschichte ansehen. Während das gewaltige Reich mit offener Gewalt berannt oder von allmählicher Auflösung heimgesucht wurde, fand eine lautere und schlichte Religion unbemerkt ihren Weg in die Herzen der Menschen, wuchs still und unbeachtet heran, ging aus Unterdrückungen gestärkt hervor und errichtete endlich triumphierend sein Kreuz auf den Trümmern des Capitols. Zudem blieb das Christentum weder zeitlich noch räumlich auf das Gebiet des Römischen Reiches beschränkt: Nach dreizehn oder vierzehn Jahrhunderten Geschichte wird diese Religion immer noch von den Nationen Europas bekannt, mithin dem Teil der Menschheit, der sich in Kunst und Wissenschaft wie im Waffenhandwerk am meisten hervorgetan hat. Durch den Bekehrungseifer der Europäer hat sie sich darüber hinaus bis an die entlegensten Küsten Asiens und Afrikas ausgebreitet; und auf dem Wege der Kolonialisierung hat sie selbst zwischen Kanada und Chile Fuß gefasst, einer Welt, die den Alten unbekannt war.

Aber diese Untersuchung, so nützlich oder kurzweilig zu lesen sie auch sein mag, ist mit zwei Schwierigkeiten besonderer Art behaftet. Die wenigen und obskuren Quellen der Kirchengeschichte erlauben es uns nur selten, die Wolken zu zerteilen, von welchen die Frühzeit der Kirche umdunkelt ist. Die große und strenge Pflicht zur Objektivität nötigt uns allzu oft, uns die Unzulänglichkeiten der schlichten Prediger und ersten Bekenner des Evangeliums einzugestehen; und für einen oberflächlichen Beobachter werfen wiederum deren Fehler auf den von ihnen bekannten Glauben ihre Schatten. Aber das Ärgernis des frommen Christenmenschen und der billige Triumph des Ungläubigen sollten sich beilegen, sobald sich beide daran erinnern, nicht nur durch wen, sondern auch für wen die göttliche Offenbarung erfolgte. Dem Theologen mag es eine Herzenslabe sein zu beschreiben, wie die Religion vom Himmel herniederstieg, gewandet in jugendfrischer Reine. Dem Historiker ist da eine trübe Pflicht auferlegt. Er soll das unvermeidliche Gestrüpp aus Irrtum und Fälschung auslichten, zu dem die Religion während ihres langen Erdendaseins unter schwachen und hinfälligen Sterblichen geworden ist.

 

FÜNF URSACHEN DER AUSBREITUNG DES CHRISTENTUMS

Naturgemäß drängt sich unserer Neugierde zunächst die Frage auf, warum denn nun der Christenglaube so vollständig über die anderen auf Erden etablierten Religionen obsiegte. Hierauf lässt sich eine durchaus einleuchtende und zufriedenstellende Antwort geben, dass dies nämlich verursacht wurde durch die überzeugende Wahrheit der Lehre selbst und die lenkende Gnade ihres großen Stifters. Da jedoch Wahrheit und Vernunft in der Welt nur selten willkommen sind und da sich die Vorhersehung in ihrer Weisheit gelegentlich darin gefällt, die Leidenschaften des menschlichen Herzens und die allgemeine Lage der Menschheit für ihre Zwecke einzuspannen, so möge uns verstattet sein, mit angemessener Demut zu fragen, nicht welches die ersten, ursprünglichen, sondern welches die sekundären, weltlichen Gründe für die schnelle Ausbreitung des Christentums gewesen seien. Möglicherweise wird sich dann zeigen, dass es durch die folgenden fünf Ursachen am stärksten begünstigt und vorangebracht wurde:

I. Der unbeugsame und, wenn der Ausdruck erlaubt ist, halsstarrige Glaubenseifer der Christen, den sie, es ist ja wahr, der jüdischen Religion abgesehen hatten; den sie aber von dem engstirnigen und unduldsamen Geist gereinigt hatten, welcher die Heiden zur Annahme des Mosaischen Gesetzes nicht nur nicht einlud, sondern davor sogar zurückbeben ließ.

II. Die Lehre von einem künftigen Leben, aufgewertet durch alle nur denkbaren Nebenumstände, die dieser wichtigen Wahrheit nur irgend Gewicht und Wirkmächtigkeit verleihen konnten.

III. Die Wunderkräfte, die der Urkirche zugesprochen wurden.

IV. Die reine und bedürfnislose Moral der Christen.

V. Die Einheit und die Kirchenzucht der christlichen Republik, welche ganz allmählich im Herzen des Römischen Reiches ein eigenes Staatsgebilde ausformte.

 

DIE ERSTE URSACHE: MOSAISCHER GLAUBENSEIFER...

I. Wir haben bereits die religiöse Toleranz der Alten Welt geschildert und die Bereitwilligkeit, mit der ungleichartige und sogar feindliche Nationen den Aberglauben der anderen annahmen oder doch wenigstens duldeten. Einzig ein Volk hatte an diesem allgemeinen Umgang unter den Menschen keinen Anteil: die Juden, welche unter den persischen und assyrischen Herrschern generationenlang dahinsiechten als die geringsten ihrer Sklaven ›Dum Assyrios penes, Medosque, et Persas Oriens fuit, despectissima pars servientium. [Solange der Orient im Besitz der Assyrer, Meder und Perser war, galten sie als das geringste unter den geknechteten Völkern]. Tacitus Historien 5,8. Herodot, der Asien während der Perserherrschaft bereiste, erwähnt die Syrer Palästinas nur beiläufig (2,104), welche nach eigenen Angaben von den Ägyptern die Sitte der Beschneidung übernommen hatten. und die erst unter den Nachfolgern Alexanders aus ihrem Dunkel hervorkamen; und da sie sich im Osten und dann auch im Westen geradezu machtvoll ausbreiteten, erregten sie bei den anderen Völkern ein Wundern und Staunen. Diodoros 40,2ff; Cassius Dio 37,17; Tacitus, Historien 5,1-9; Iustinus 36,2 und 3. Eigensinnig und halsstarrig übten sie ihre absonderlichen Rituale, kehrten sich nicht um andere und erschienen bald als eine besondere Sorte Mensch, welche ihren festverwurzelten Hass auf den Rest der Menschheit entweder tollkühn bekannten oder nur unvollkommen verhehlten. Tradidit arcano quaecunque volumine Moses:/Non monstrare vias eadem nisi sacra colenti,/ Quaesitum ad fontem solos deducere verpas. [Was Moses im Geheimbuch hinterließ:/Nicht die rechten Wege zu zeigen außer denen, die Opfer bringen/nur die Beschnittenen zu den Quellen zu führen], Juvenal, Satiren 14,102. Dieses Gesetz ist im vorliegenden Buch Mosis nicht zu finden. Aber selbst der weise und humane Maimonides lehrt, dass ein Jude einen Götzendiener, sollte er ins Wasser fallen, diesen nicht vor dem drohenden Tod retten muss. Siehe Basnage, Histoire de Juifs, 6,28. Weder die Gewaltanwendungen des Antiochus, noch die Schliche eines Herodes oder die Beispiele der benachbarten Nationen konnten die Juden dazu bringen, die mosaischen Gesetze mit den anmutsvollen Mythen der Griechen zu vereinen. Eine jüdische Sekte, welche sich selbst eine Art vorübergehende Anpassung erlaubte, gab sich nach Herodes, der sie durch sein Vorbild dazu angeregt hat, den Namen Herodianer; aber sie waren, nach Köpfen gezählt, so vernachlässigbar wenige, und ihre Dauer war so vorübergehend, dass Josephus sie nicht einmal der Erwähnung für wert hält.

Entsprechend ihren Grundsätzen einer allgemeinen Toleranz schützten die Römer einen Aberglauben auch dann, wenn sie ihn verachteten. Cicero, pro Valerio Flacco 28. Augustus ließ sich höchstselbst herbei Befehl zu geben, dass im Tempel zu Jerusalem Philon, Legatio ad Gaium. Augustus hinterließ eine Stiftung, aus der ihm Opfer gebracht werden sollten für alle Zeit. Aber er billigte die Gleichgültigkeit, die sein Enkel Gaius dem Tempel in Jerusalem gegenüber an den Tag legte. Siehe Sueton, Augustus 93 und Casaubons Anmerkungen zu dieser Stelle. für sein Wohlergehen Opfer dargebracht würden; doch noch der geringste unter den Nachfahren Abrahams, der seinerseits Jupiter auf dem Capitol dieses Opfer würde gebracht haben, wäre dadurch vor sich selbst und vor seinen Glaubensbrüdern entsetzlich geworden. Aber diese erwähnte Toleranz des Siegers war unzureichend, die Eifersucht und Antipathie ihrer neuen Untertanen zu beschwichtigen, welche mit Grauen vor den heidnischen Gebräuchen zurückschauderten, welche notwendig in einer römischen Provinz gepflegt wurden. Siehe besonders Iosephus, Antiquitates Iudaicae 17,6 und 18,3 und Bellum Iudaicum 1,33 und 2,9. Das geisteskranke Unterfangen Caligulas, seine eigene Statue im Tempel von Jerusalem aufstellen zu lassen, wurde durch die einhellige Ablehnung eines Volkes vereitelt, welches den Tod weniger fürchtete als einen derartig gotteslästerlichen Götzendienst. Iussi a Caio Cesare, effigiem eius in templo locare, arma potius sumpsere. [Auf die Anordnung des Caesars Gaius hin, sein Bild im Tempel aufzustellen, griffen sie lieber zu den Waffen]. Tacitus, Historien 5,9. Philo und Iosephus geben uns einen ebenso detail- wie blumenreichen Bericht über dieses Ereignis, welches den Statthalter Syriens sichtlich erschüttert hatte: bei der ersten Kunde von dieser lästerlichen Zumutung schwanden König Agrippa die Sinne. Und kam erst wieder zu Kräften am dritten Tag. So, wie sie das Gesetz Moses' heiligten, verachteten sie andererseits alle fremden Religionen. Der ruhige Strom von Andacht und Verehrung erlangte, da er durch äußere Umstände eingeengt war, jetzt die Stärke und den Grimm einer reißenden Flut.

 

...UND SEINE ALLMÄHLICHE STEIGERUNG

Diese Unerbittlichkeit in Glaubensdingen, die der Alten Welt so verhasst oder lächerlich vorkam, wird für uns jedoch achtbarer, seit die Vorsehung uns zuvorkommender Weise die geheimnisvolle Geschichte des auserwählten Volkes enthüllt hat. Aber die fromme, ja ängstliche Anhänglichkeit an das Gesetz Moses', die für die Juden unter dem zweiten Tempel so kennzeichnend war, kommt uns noch unerwarteter, wenn wir sie mit dem bocksbeinigen Unglauben ihrer Urväter vergleichen. Als das Gesetz gegeben ward unter Donnergetöse auf dem Berge Sinai; als den Meeresfluten Einhalt geboten ward und dem Lauf der Planeten, zum Vorteile Israels; und als weltliche Belohnung und Strafe die prompte Folge waren für ihren Gehorsam oder Ungehorsam, so fielen sie doch beständig ab und murrten wider die sichtbare Majestät ihres göttlichen Königs, stellten die Götzenbilder der Nation auf im Heiligtum Jehovas und übten alle die umständlichen Rituale, wie sie in den Zelten der Araber oder in den Städten Phöniziens gepflegt wurden. Was die Anzahl der syrischen und arabischen Gottheiten betrifft, so mag hier angemerkt werden, dass Milton in 130 wunderschönen Versen die zwei umfänglichen und gelehrten Syntagmata zusammengefasst hat, welche Selden diesem abseitigen Gegenstand gewidmet hat. (Paradise lost 1,375-505). Erst als der Himmel zu Recht seine schützende Hand zurückgezogen hatte von diesem undankbaren Volk, erlangte sein Glauben mehr Festigkeit und Reinheit. Die Zeitgenossen von Moses und Joshua hatten mit unerschüttertem Gleichmut die erstaunlichsten Wunder geschaut. Unter dem Druck von allerlei Unglücksfällen jedoch hatte eben dieser Wunderglaube die Juden der späteren Generationen vor der Ansteckung durch den Götzendienst bewahrt; und im Gegensatz zu allen uns bekannten Gesetzen, denen die menschliche Vernunft unterworfen ist, fasste dieses merkwürdige Volk die Überlieferungen ihrer Vorväter wörtlicher und unbedingter auf als ihre eigenen Sinneseindrücke. ›Wie lange lestert mich das Volck? Und wie lange wollen sie nicht an mich glauben durch allerley Zeichen, die ich unter jenen getan habe?‹ (Numeri 14,11, nach Luther). Es wäre ein leichtes, hier allerdings unpassendes Unterfangen, die Klage der Gottheit anhand des Verlaufs der mosaischen Geschichte zu rechtfertigen.

 

IHRE RELIGION IST MEHR ZUR VERTEIDIGUNG ALS ZUR EROBERUNG GEEIGNET

Die jüdische Religion war in bewundernswerter Weise zur Verteidigung geeignet, und niemals heckte sie Bekehrungsstrategien; und wahrscheinlich übertraf auch die Zahl der Proselyten zu keinem Zeitpunkt die der Apostaten. Die Gottesverheißungen wurden ursprünglich nur einer einzigen Familie gemacht, und nur ihr wurde die Pflicht zur Beschneidung auferlegt. Als nun die Nachfahren Abrahams zahlreich waren wie der Sand am Meer, erklärte die Gottheit, die ihnen ein ganzes System von Gesetzen und Ritualen gegeben hatte, sich selbst zum eigentlichen und gleichsam nationalen Gott von Israel; und sonderte mit eifernder Sorge sein erwähltes Volk ab vom Rest der Menschheit. Die Eroberung des Landes Kanaan war von so vielen blutigen Taten und wundersamen Umständen begleitet, dass nach Ende des Krieges zwischen den siegreichen Juden und ihren Nachbarn unverwelkliche Feindschaft begründet war. So war es ihnen aufgetragen worden, wenigstens die gottlosesten Völker auszumerzen; und der Ausführung dieses göttlichen Befehles hatten sich nur selten kleinliche, humanitäre Bedenken entgegengestellt. Es war ihnen untersagt, sich mit anderen Stämmen ehelich zu vermischen oder Verträge einzugehen; und das Verbot, sie in die Versammlung der Gläubigen aufzunehmen, welches in manchen Fällen für alle Zeiten ausgesprochen wurde, galt fast immer bis in die dritte, die siebente, ja sogar bis in die zehnte Generation.

 

FEHLENDER BEKEHRUNGSEIFER DER JUDEN

Es hatte von Gesetzes wegen niemals eine Pflicht gegeben, den Heiden den mosaischen Glauben zu predigen, und sich dies etwa freiwillig aufzuerlegen hatten die Juden auch niemals Neigung gezeigt. Bei der Aufnahme neuer Bürger gab diesem weltabgewandten Volk viel eher der selbstbezogene Dünkel der Griechen als die tolerante Politik der Römer das Vorbild. Die Glaubensgewissheit, sie seien die einzigen Erben des Bundes, schmeichelte den Nachfahren Abrahams, und ängstlich waren sie darauf bedacht, nicht alle Welt an diesem Schatz teilhaben zu lassen und ihn dadurch zu entwerten. In dem Maße, wie sie der Menschheit näher traten, erweiterten sie ihre Weltkenntnis, ohne dabei jedoch ihre Vorurteile abzulegen; und wenn der Gott Israels neue Jünger begrüßen konnte, so hatte er es eher der flatterhaften Natur des Polytheismus zu danken als dem Bekehrungseifer seiner eigenen Missionare. Basnage, Histoire des Juifs Buch 6, c.6 und 7 hat alles, was die jüdischen Proselyten betrifft, sehr geschickt behandelt. Die Religion Moses' scheint geschaffen zu sein für ein ausgewähltes Land und für eine einzige Nation; und wäre das Gebot pünktlich befolgt worden, dass sich jeder Mann dreimal im Jahr vor Jehova einfinden müsse, dann hätten sich die Juden niemals über die engen Grenzen des gelobten Landes ausbreiten können. Siehe Exodus 24,23; Deuteronomium 16,16, die Kommentatoren und die kluge Anmerkung in Bossuets Universal History, vol. I. p. 603, Folioausgabe.

Mit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem fiel nun dieses Hindernis; aber in diesen Untergang war auch die jüdische Religion selbst beträchtlich verwickelt; und die Heiden, die sich schon immer gewundert hatten über die befremdliche Kunde von einem leerstehenden Heiligtum, Als Pompeius vom Recht des Eroberers Gebrauch machte – vielmehr es missbrauchte – und in das Allerheiligste eindrang, wurde mit Staunen bemerkt, ›nulla intus Deum effigie, vacuam sedem et inania arcana.‹ [dass kein Götterbild darinnen war, dass der Thron leer stand und dass das Geheimnis ein Nichts sei]. Tacitus Historien 5,9. Von den Juden sagte Volkes Meinung: ›Nil praeter nubes et caeli numen adorant.‹ [Nichts als Wolken und das Walten des Himmels beten sie an]. konnten nun nicht einmal erraten, was denn der Gegenstand oder die Hilfsmittel eines Gottesdienstes sein mochten, dem es an Altären, Priestern oder Opfern mangelte. Und sogar noch in ihrem untergegangenen Staat mieden die Juden, die auch weiterhin ihre hohen und ausschließenden Vorrechte behaupteten, jeden Umgang mit den Fremden, anstelle dass sie ihn gesucht hätten. Nach wie vor bestanden sie mit unbeugsamer Strenge auf jenen Passagen des Gesetzes, die auszuüben sie noch die Macht hatten. ihre besondere Unterscheidung einzelner Tage und Fleischsorten und die Befolgung einer ganzen Reihe von ebenso trivialen wie lästigen Pflichten: dies war für die anderen Nationen, zu deren Sitten und Vorurteilen sie diametral entgegengesetzt lebten, geschmack- und sinnlos. Allein die schmerzhafte und gar nicht ungefährliche Sitte der Beschneidung war geeignet, auch den gutwilligen Proselyten vor der Synagogentür umkehren zu lassen. Eine zweite Art der Beschneidung wurde einem Proselyten aus Samaria oder Ägypten abverlangt. Bei Basnage, Histoire des Juifs, Buch 6, c.6 möge man sich über die murrköpfige Gleichgültigkeit der Talmudisten informieren, wenn es um den Übertritt von Fremden ging.

 

RELIGIONSEIFER DER CHRISTEN

Unter solchen Vorbedingungen diente sich nun das Christentum der Welt an, ebenfalls versehen mit der Strenge des mosaischen Gesetzes, aber frei vom Gewicht seiner Fesseln. Beide Systeme, das alte und das neue, beanspruchten mit Bestimmtheit für ihre Religion die ausschließliche Wahrheit und den einzigen Gott; aber was immer auch der Menschheit jetzt über die Natur und die Pläne des höchsten Wesens offenbart wurde, es war tauglich, ihre Verehrung für diese geheimnisvolle Doktrin zu mehren. Die göttliche Autorität Moses' und der Propheten wurde vom Christentum anerkannt und schließlich zu einem seiner wichtigsten Stützpfeiler:

Vom Anbeginn der Welt hatte eine ununterbrochene Serie von Prophezeiungen die lang erwartete Ankunft des Messias angekündigt und vorbereitet; welcher aber, mit Rücksicht auf die biderbe Fassungskraft der Juden, sehr viel öfter als König und Eroberer denn als Prophet, Märtyrer oder Gottessohn dargestellt wurde. Durch sein Versöhnungsopfer wurden die unzulänglichen Opfer im Tempel mit einem Schlage aufgehoben und überflüssig. Die Zeremonialvorschriften, welche wesentlich äußere Formen abverlangten, wurden ersetzt durch schlichte, aufrichtige Verehrung, die in allen Weltgegenden und von allen Menschen ausgeübt werden konnte; und die blutige Weihe der Beschneidung wurde durch die weitaus harmlosere mit Wasser ersetzt. Und anstelle dass die Gnadenverheißung allein der Nachkommenschaft Abrahams vorbehalten blieb, wurde sie jetzt allen Menschen zuteil, dem Freien und dem Sklaven, dem Griechen und Barbaren, dem Juden und dem Heiden. Jedes Vorrecht, welches den Proselyten zur Seligkeit führen, seine Anbetung vertiefen, seine Glückseligkeit festigen oder sogar jenen heimlichen Stolz zufrieden stellen konnte, welcher sich unter der Gestalt der Andacht in das menschliche Herz einnistet: dieses alles war nun den Mitgliedern der christlichen Kirche aufgespart. Zugleich aber erlaubte man aller Welt, ja drängte sie nachgerade, diese unschätzbare Auszeichnung anzunehmen, die ihr nicht nur als eine Gunst geschenkt, sondern als eine Verpflichtung auferlegt wurde. Es war die heiligen Pflicht eines Neubekehrten, unter seinen Freunden und Verwandten zu verbreiten, an welchen Segnungen er nun teilhatte und sie gleichzeitig vor Verstocktheit zu warnen, welche als sündhafter Ungehorsam gegen den Willen der gnädigen, aber allmächtigen Gottheit zuverlässig bestraft werden würde.

 

TRENNUNG VON KIRCHE UND SYNAGOGE

Bis sich indessen die christliche Kirche aus den Banden der Synagoge gelöst hatte, verging noch viel Zeit und blieb noch viel Arbeit zu tun. Die jüdischen Konvertiten, welche in Jesus den Messias ihrer alten Prophezeiungen erkannten, verehrten in ihm den Lehrer der Tugend und der Religion; aber nach wie vor übten sie die Zeremonien ihrer Väter aus und verlangten dringlich danach, dass auch die Heiden sie ausübten, welche täglich die Zahl der Gläubigen vermehrten. Diese judaisierenden Christen scheinen sogar, und dies mit einigen Recht, den göttlichen Ursprung des Gesetzes Moses' sowie die unendliche Vollkommenheit ihres Stifters zu ihren Gunsten angeführt zu haben. Sie betonten, dass, wenn denn die Gottheit, die ja durch alle Zeiten dieselbe sei, dieses heilige Ritual, dieses Merkmal des auserwählten Volkes, hätte abschaffen wollen, diese Abschaffung ebenso deutlich und feierlich verkündet hätte wie ihre Stiftung; dass es dann als vorläufige Lehrmeinung angekündigt worden wäre, bestimmt, nur bis zum Erscheinen des Messias zu dauern, der die Menschen eine noch bessere Art zu glauben und anzubeten gelehrt hätte, anstelle dass zahlreiche Erklärungen die Ewigkeitsgeltung der mosaischen Religion bekräftigt oder doch wenigsten nahegelegt hätten; Diese Argumente trug der Jude Orobio mit vielem Scharfsinn vor, während der Christ Limborgh sie ebenso scharfsinnig wie freimütig widerlegte. Siehe auch den Bericht über ihren Disput, der Amica collatio [freundschaftlicher Vergleich], welchen Titel er ganz zu Recht führt. dass der Messias selbst und seine Jünger, die mit ihm auf Erden wandelten, nicht durch ihr Vorbild den pünktlichen Gehorsam gegenüber dem mosaischen Gesetze gleichsam vorgelebt hätten, Jesus…circumcisus erat; cibis utebatur Judaicis; vestitu simili; purgatos scabie mittebat ad sacerdotes; Paschata et alios dies festos religiose observabat: si quos sanavit sabbatho, ostendit non tantum ex lege, sed et ex receptis sententis, talia opera sabbatho non Interdicta. [Jesus war beschnitten; er beachtete die Speise- und Kleidungsvorschriften; die vom Aussatz gereinigten schickte er den Priestern zu; das Pascha- und andere Feste beobachtete er; wenn er aber am Sabbat heilte, dann legte er dar, dass nicht nur aus dem Gesetz, sondern auch nach allgemeinem Empfinden ein solches Werk am Sabbat nicht untersagt sei]. Grotius de Veritate Religionis Christianae, Buch 5,7. sondern ganz gewiss der Welt die Abschaffung dieser nutzlosen und archaischen Rituale anempfohlen und darüber hinaus nicht zugelassen hätten, dass das Christentum viele Jahre hindurch mit den Sekten der jüdischen Kirche vermischt geblieben wäre. Argumente dieser Art wurden, wie es scheint, zur Verteidigung des untergehenden mosaischen Elementes vorgebracht; aber Spürsinn und Fleiß unserer Gottesgelahrten haben den zweideutigen Sprachduktus des Alten Testamentes wie auch das zweideutige Auftreten der apostolischen Lehrer tiefschürfend ausgedeutet. Es sei nötig gewesen, erst nach und nach die Evangelien zu systematisieren und anschließend mit äußerster Behutsamkeit und Delikatesse ein Verdammungsurteil auszusprechen, welches den Vorlieben und Vorurteilen der gläubigen Juden so sehr entgegen war.

 

DIE KIRCHE DER NAZARENER IN JERUSALEM

Die Geschichte der christlichen Kirche in Jerusalem ist ein lebendiger Beweis für die Notwendigkeit dieser Vorsichtsmaßregel und auch für den tiefen Eindruck, den die jüdische Religion auf ihre Anhänger machte. Die ersten fünfzehn christlichen Bischöfe Jerusalems waren sämtlich beschnittene Juden; und die Gemeindeversammlungen, deren Vorsitz sie innehatten, gehorsamten dem Gesetz Moses und der Lehre Christi. ›Paene omnes Christum Deum sub legis observatione credebant.‹ [Fast alle hielten Christus für einen unter dem Gesetz stehenden Gott]. Sulpicius Severus, 2,31. Siehe Eusebios, Historia Ecclesiastica 4,5. Naturgemäß wurde diese erste Tradition, die gleich vierzig Tage nach dem Tode Christi entstand und beinahe ebenso viele Jahre der direkten Aufsicht ihres Apostels unterstellt war, als die Säule der Rechtgläubigkeit angesehen. Mosheim de Rebus Christianis ante Constantinum Magnum, p. 153. In diesem Meisterwerk, aus dem zu zitieren ich noch oft Anlass haben werde, durchdringt er die Verfasstheit der frühen Kirche gründlicher als in seiner allgemeinen Geschichte. Kirchen anderer Länder wandten sich oftmals an die Autorität ihrer ehrwürdigen Mutter und minderten ihre Sorgen durch großherzige Almosen. Als nun aber viele und reiche Gemeinden in den großen Städten des Imperiums entstanden waren, so in Antiochia, Alexandria, Ephesos, Korinth und Rom, verblasste allgemach die Verehrung, die für Jerusalem in den einzelnen christlichen Kolonien etwa noch fortbestand. Die jüdischen Konvertiten, oder, wie sie später genannt wurden, die Nazarener, die die eigentlichen Gründer der Kirche waren, fanden sich alsbald übermannt durch die wachsenden Massen, die von den verschiedenen polytheistischen Religionen zu den Fahnen des Christentums gewechselt waren; und die Heiden endlich, die mit Billigung ihrer jeweiligen Apostel die unerträgliche Last des mosaischen Ritus abgeworfen hatten, verweigerten schließlich ihren gewissenhafteren Glaubensbrüdern diejenige Toleranz, um die sie selbst vordem für ihre eigenen Rituale gefleht hatten.

Die Zerstörung des Tempels, der Stadt und der Staatsreligion erlebten die Nazarener schmerzlich, da sie zwar nicht in Glaubensdingen, wohl aber in ihren Gebräuchen ihren gottlosen Landsleuten eng verbunden blieben, deren Katastrophe die Heiden der Verachtung und die Christen mit mehr Recht dem Zorn der obersten Gottheit zuschrieben. Die Nazarener zogen sich aus den Ruinen Jerusalems in die kleine Stadt Pella jenseits des Jordan zurück, wo diese alte Kirche etwa sechzig Jahre einsam und vergessen dahinkümmerte. Eusebius, 3,5. Le Clerc, Historia Ecclesiastica p. 605. Während dieser vorübergehenden Abwesenheit behielten der Bischof und die Kirche von Pella stets den Titel ›von Jerusalem‹ bei. In derselben Weise residierten die Päpste Roms siebzig Jahre in Avignon; und die Patriarchen von Alexandria haben ihren Bischofssitz schon längst in Kairo aufgeschlagen. Häufig und gerne besuchten sie die Stätten der Heiligen Stadt, und nie gaben sie die Hoffnung auf, eines Tages wieder den Stuhl einzunehmen, den zu lieben und zu verehren Natur und Religion ihnen vorgaben. Aber allmählich – es war unter der Regierung Hadrians – hatte der verzweifelte Fanatismus der Juden das Maß des Jammers gefüllt; und die Römer, verbittert durch ihre wiederholten Aufstände, übten nunmehr das Recht des Siegers mit brutaler Strenge. Der Kaiser gründete unter dem Namen Aelia Capitolina in der Nähe des Berges Zion Cassius Dio 69,12. Die Verbannung des Volkes Israel aus Jerusalem wird von Ariston von Pella (Bei Eusebios, Historia 4,6) bestätigt und auch von mehreren Kirchenschriftstellern erwähnt; wenngleich einige von ihnen recht vorschnell dieses Verbot auf ganz Israel ausgedehnt wissen wollen. eine neue Stadt und verlieh ihnen die Privilegien einer Kolonie; unter Androhung schwerster Leibesstrafen gegen jeden aus dem Volke der Juden, der sich ihrer Umgebung auch nur zu nähern wagen sollte, hinterließ er zugleich ein Wachbataillon, seinen Befehlen Nachdruck zu verleihen. Für die Nazarener gab es nur einen Weg, dieser allgemeinen Ächtung zu entkommen, und bei dieser Gelegenheit wurde die Kraft der Wahrheit durch irdische Vorteile sogar noch unterstützt. Sie wählten Marcus zum Bischof, einen Prälaten heidnischer Herkunft, gebürtig vermutlich aus Italien oder einer latinischen Provinz. Auf sein Zureden hin schworen die meisten der Gläubigen dem mosaischen Gesetz ab, das sie immerhin ein Jahrhundert ausgeübt hatten. Im Gegenzug erhielten sie freien Zugang zu Hadrians Kolonie und festigten auf diese Weise sogar noch ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche. Eusebios, 4,6. Sulpicius Severus, Historia Sacra 2,31. Durch den Vergleich der wenig befriedigenden Berichte dieser beiden Autoren hat Mosheim (de rebus Christianorum p.32) ein sehr deutliches Bild von den Umständen und Ursachen dieser Revolution entworfen.

 

DIE EBIONITEN

Nachdem nun Name und Ehre der Kirche Jerusalems auf dem Zionsberge wiederhergestellt waren, wurden die geringen Reste der Nazarener, die ihrem lateinischen Bischof zu folgen sich geweigert hatten, der Häresie und Glaubensspaltung bezichtigt. Sie blieben in ihren angestammten Wohnsitzen in Pella, verstreuten sich auf die Dörfer um Damaskus und gründeten in Syrien zu Boroea, heute Aleppo genannt, eine unverächtliche Kirche Le Clerc (Historia Ecclesiastica p. 447 und 535) hat von Eusebios, Hieronymus, Epiphanios und anderen Autoren die grundlegenden Tatsachen der Nazarener oder Ebioniten zusammengetragen. Schon bald schieden sich zwei Sekten von strenger und milderer Observanz; und einiges spricht dafür, dass die Familie von Jesus Christus wenigstens der letztgenannten, sanfteren Fraktion angehörte. Der Name Nazarener wurde für diese Christen als zu achtbar empfunden, und schon bald erhielten sie den Schmähnamen Ebioniten wegen der ihnen unterstellten Ärmlichkeit ihres Geistes und ihrer Lebensumstände. Einige Autoren haben sich sogar einen Ebion ausgedacht, den angeblichen Urheber ihrer Sekte und ihres Namens. Aber wir können uns hier besser auf den gelehrten Eusebios verlassen als auf den hitzigen Tertullian oder den eifernden Epiphanios. Nach le Clerc (Historia Ecclesiastica p.477) kann man das hebräische ebjonim in das lateinische pauperes (Die Armen) übersetzen.

Einige Jahre, nachdem die Kirche Jerusalems heimgekehrt war, wurde es zu einem Gegenstand heftiger Kontroversen, ob denn ein Mensch, der aufrichtig Jesus als den Messias bekenne, auf Erlösung hoffen durfte, wenn er gleichzeitig auch das mosaische Gesetz beobachte. Die sanftmütige Gesinnung von Justinus Martyr neigte dazu, die Frage mit Ja zu beantworten; und obwohl er sich mit aller Zurückhaltung ausdrückte, wagte er doch, sich für solche schwachen Christen einzusetzen, solange sie sich mit der Ausübung das mosaischen Gesetzes begnügten, ohne den Nutzen und die Notwendigkeit dieses Tuns zu behaupten. Als aber Justinus gezwungen wurde, die Meinung der Kirche darzutun, bekannte er, dass es sehr viele unter den orthodoxen Christen gebe, die nicht nur ihre judaisierenden Glaubensbrüder von allen Heilserwartungen ausschlossen, sondern sogar jedweden Verkehr auf freundschaftlicher oder sozialer Ebene abgebrochen hätten. Siehe den sehr merkwürdigen Dialog zwischen Iustinus Martyr und dem Juden Tryphon. Das Gespräch fand in Ephesos zur Zeit der Regierung des Antoninus Pius statt, ungefähr zwanzig Jahre, nachdem die Kirche von Pella nach Jerusalem zurückgekehrt war. Zu dieser Angabe vergleiche Tillemonts Anmerkung in Mémoires eccléstiastiques, Band 2, p.511. Wie nicht anders zu erwarten, obsiegte die strenge Meinung über die versöhnliche; und eine weitere ewige Trennlinie war zwischen Moses' und Christi Jüngern gezogen. Die glückverlassenen Ebioniten, von der einen Religion als Abtrünnige und von der anderen als Ketzer zurückgewiesen, sahen sich genötigt, sich selbst erkennbarer darzustellen; und wenn wir auch einige Spuren dieser obsoleten Sekte noch im IV. Jahrhundert ausmachen können, so gingen sie doch irgendwann unmerklich in der Synagoge oder der Kirche auf. Von allen christlichen Systemen hängt lediglich das abessinische noch heute dem mosaischen Ritus an. (Geddes, Church History of Ethiopia, und die Untersuchung von La Grand zur ›Relation historique‹ des Pater Lobo.) Der Eunuch der Königin Candace ist verdächtig; da uns aber versichert wird (Socrates, 1,19; Sozomenes, 2,24; Ludolphus, p. 281), dass die Äthiopier sich nicht vor dem vierten Jahrhundert zum Christentum bekehrten, klingt es glaubhaft, dass sie noch den Sabbat heiligten und die Speisen unterschieden, so wie es die Juden taten, die seit Menschengedenken an beiden Ufern des Roten Meeres siedelten. Die meisten Äthiopier übten die Beschneidung aus Hygiene- und Gesundheitsgründen, was dargestellt wird in den Recherches Philosophiques sur les Américains, Band 2, p.117.

 

DIE KRITIK DER GNOSTIKER AN DER MOSAISCHEN RELIGION

Während die orthodoxe Kirche so die rechte Mitte einhielt zwischen ausufernder Verehrung und untunlicher Geringschätzung des mosaischen Gesetzes, verfielen die verschiedenen Ketzergruppen in die gleichen, wenn auch entgegengesetzten Extreme des Irrtums und der Übertreibung. Da die Wahrheit der jüdischen Religion unbestritten war, folgerten die Ebioniten, dass sie niemals untergehen würden. Ebenso überstürzt folgerten die Gnostiker aus den behaupteten religiösen Mängeln, dass sie niemals göttlichen Ursprungs sein könne. Gegen die Autorität Moses' und der Propheten gibt es gewiss einige Einwände, welche einem skeptischen Verstand alsbald einleuchten mögen, obwohl sie ihren eigentlichen Ursprung in unserer Unkenntnis des frühen Altertums haben und in unserer Unfähigkeit, uns über göttliche Einrichtungen ein zutreffenden Bild zu machen. Diese Einwände griff die leere Wissenschaft der Gnosis bereitwillig auf und verteidigte sie ebenso energisch. Beausobre, Histoire du Manichéisme, Buch 1,3 hat ihre Bedenken, vor allem die von Faustus, eines Augustinusgegners, gelehrt und objektiv dargelegt.

Da die Gnostiker in der Regel den Sinnenfreuden abhold waren, krittelten sie ein wenig säuerlich an der Polygamie der Patriarchen herum, an Davids galanten Abenteuern und an Salomons Vielweiberei. Auch sahen sie sich außerstande, die Eroberung des Landes Kanaan und die Ausrottung ihrer nichtsahnenden Bevölkerung selbst mit den elementarsten Maßstäben von Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu versöhnen. Und wenn sie sich anderseits die lange Blutliste von Mord, Hinrichtung und Massakern ins Gedächtnis riefen, die fast jede Seite der jüdischen Annalen befleckt, dann mussten sie zugeben, dass die Barbaren von Palästina ihren götzendienerischen Feinden fast ebensoviel Mitleid angedeihen ließen wie nur je ihren eigenen Freunden und Landsleuten. Apud ipsos fides obstinata, misericordia in promptu: adversus omnes alios hostile odium. [Untereinander übten sie festen Zusammenhalt und helfendes Mitleiden, allen anderen gegenüber aber lebten sie feindselige Abneigung]. Tacitus Historien, 5,5. Tacitus sieht die Juden gewiss zu freundlich. Die Josephus-Lektüre dürfte diesen Widerspruch beseitigt haben.

Wenn sie sich dann von den Anhängern des Gesetzes den Gesetzen selbst zuwandten, dann nannten sie es schlechthin unmöglich, dass eine Religion die Liebe zur Tugend einflößen oder zur Gesittung erziehen könne, wenn sie wesentlich blutige Zeremonien und armselige Rituale beinhalte und ihre Belohnungen wie Strafen ausschließlich materieller und weltlicher Natur seien. Den mosaischen Schöpfungsbericht und den Sündenfall behandelte die Gnostiker mit gottlosem Hohne, wollten sie doch durchaus nicht mit Andacht von der Gottheit hören, die nach sechs Tage Arbeit ausruhe, oder von der Rippe Adams, dem Garten Eden, dem Baume des Lebens und der Erkenntnis, der sprechenden Schlange, der verbotenen Frucht und der Verdammnis der Menschheit wegen der unschuldigen Sünde ihrer ersten Stammmutter. Dr. Burnet, Archaeologia, Buch 2,7 hat die ersten Genesis-Kapitel mit zuviel Witz und Freizügigkeit diskutiert. Der Gott der Israeliten wurde von den Gnostikern höchst unfromm dargestellt als ein eiferndes und dem Irrtum verhaftetes Wesen, launisch in seiner Gunst, unversöhnlich in seiner Rache, kleinlich-eifersüchtig auf seine abergläubische Verehrung bedacht und seine voreingenommene Gunst auf ein einziges Volk und auf dieses vergängliche Leben beschränkend. In einer solchen Gestalt vermochten sie denn doch nicht die Wesenszüge eines weisen und allmächtigen Vaters der Welt auszumachen. Die weniger strengen Gnostiker betrachteten Jehova, den Erschaffer, als ein Wesen mit einer Natur zwischen Gott und Dämon. Andere stellten ihn in die Nähe des bösen Prinzips. Man vergleiche hierzu auch das zweite Jahrhundert der allgemeinen Geschichte von Mosheim, welche eine knappe, aber präzise Darstellung ihrer merkwürdigen Meinungen zu diesem Gegenstande gibt. Höchstens gestanden sie zu, dass die Religion der Juden weniger schädlich sei als die Götzenverehrung der Heiden; aber es war ihre grundlegende Glaubensgewissheit, dass der Christus, den sie anbeteten, als die erste und edelste Emanation der Gottheit auf Erden erschienen sei, um die Menschheit von ihren vielen Irrtümern zu erretten und um ein neues System der Wahrheit und der Vollendung zu stiften. Infolge einer äußerst befremdlichen Herablassung haben selbst die gelehrtesten Kirchenväter unklugerweise die Winkelzüge der Gnostiker gelten lassen. Es war ihnen bewusst, dass der buchstabengetreue Sinn allen Grundsätzen des Glaubens und der Vernunft widerspreche, und so wähnten sie sich geborgen und unangreifbar hinter dem großen Schleier der Allegorie, hinter welchem sie sorgsam alle heiklen Punkte der mosaischen Gesetzgebung verbargen. Vgl. Beausobre, Histoire du Manichéisme, Buch 1,4. Origines und Augustinus gehörten zu den Allegoristen.

 

SEKTENBILDUNG DER GNOSTIKER IHR UNTERGANG

Man hat bemerkt, wenn auch mit mehr Erfindungsgabe als Wahrheit, dass die jungfräuliche Reine der Kirche bis in die Regierungszeit des Trajan oder Hadrian (also etwa einhundert Jahre nach dem Tode Christi) durch keinerlei Glaubensspaltung befleckt ward. Hegesippos, bei Eusebios, Historia 3,32 und 4,22; Clemens von Alexandria, Stromateis 7,17. Wir selbst können, und dies mit mehr Genauigkeit, feststellen, dass zu jenen Zeiten die Jünger des Messias sich größerer Freiheiten des Glaubens und der Glaubenspraxis erfreuten, als ihnen in späteren Jahrhunderten jemals wieder zuteil wurde. Als nun diese Glaubensfreiheiten unmerklich eingeengt wurden und die jeweils herrschende Partei ihre geistliche Vormachtstellung mit zunehmender Glaubensstrenge ausübte, kam es dazu, dass viele der prominentesten Bekenner, zum Widerruf aufgefordert, sich nun ihrerseits genötigt fühlten, auf ihrer individuellen Auffassung zu bestehen, die Konsequenzen aus ihrem Irrtum zu ziehen und in aller Öffentlichkeit die Fahne der Rebellion gegen die Einheit der Kirche aufzuziehen.

Die Gnostiker zeichneten sich aus als die feinsten, gelehrtesten und reichsten Träger des christlichen Namens, und die allgemeine Bezeichnung Gnosis, mit der überlegene Kenntnisse bezeichnet werden, war den Stolzen entweder selbst beigefallen, oder es hatte ihnen die Eifersucht ihrer Gegner dieses Hohn-Epitheton angeheftet. Sie stammten ausnahmslos von Heiden, und die Gründer der Bewegung scheinen aus Syrien und Ägypten zu stammen, deren warme Klimate Körper und Seele in gleicher Weise zu Indolenz und andächtiger Kontemplation geneigt machen. Die Gnostiker verschnitten die christlichen Glaubenssätze mit zahlreichen hehren, obschon fragwürdigen Lehrmeinungen, die sie der orientalischen Philosophie und sogar der Religion Zarathustras abgesehen hatten, Bei der Darstellung der Gnostiker des II und III Jh. ist Mosheim geistreich und aufrichtig; le Clerc einschläfernd, aber rechtschaffen; Beausobre fast immer apologetisch; und von den frühen Kirchenvätern steht zu befürchten, dass sie sehr oft Verleumder sind. während die eigentlichen Lehrgegenstände etwa die Ewigkeit der Materie, die Existenz eines guten und bösen Prinzips und die geheimnisvolle Hierarchie der unsichtbaren Welt betrafen. Sobald sie zum Flug in dieses Gedanken-All abgehoben hatten, überließen sie sich der Führung einer ungeordneten Imagination; und da die Pfade des Irrtums ungezählt sind und mannigfaltig, zerfiel auch die gnostische Bewegung alsbald in fünfzig verschiedene Sekten, Vgl. hierzu die Aufzählungen bei Irenaeus und Epiphanios. Man muss allerdings berücksichtigen, dass diese Autoren dazu neigten, die Zahl der Sekten zu vermehren, die der Einheit der Kirche im Wege waren. deren berühmteste allem Anschein nach die Basilidianer waren, ferner die Valentinianer, die Marcioniten und in späterer Zeit noch die Manichäer. Jede dieser Sekten konnte sich eigener Bischöfe und eigener Gemeinden, eigener Gelehrten und eigener Märtyrer rühmen; Eusebios, Historia 4,15; Sozomenos 2,32. Vgl. dazu im Artikel ›Marcion‹ in Bayle, Dictionnaire, ein merkwürdiges Detail über diesen Gegenstand. Es sieht so aus, als ob einige Gnostiker, die Basilidianer, die Ehre eines Martyriums ablehnten, sich ihr sogar widersetzten. Die Gründe dafür waren eigentümlich und schwer verständlich. Siehe Mosheim, p.359. auch wiesen sie anstelle der vier von der Kirche angenommenen Evangelien eine Vielzahl von Erzählungen eigener Provenienz vor, in welchen Wandel und Worte Christi und seiner Apostel ihren jeweiligen Glaubensbedürfnissen angepasst waren. In einem unbedingt lesenswerten Abschnitt (Prooemium ad Lucam) hat Origines, dieser unermüdliche Schreiber, der sein Leben dem Studium der Schrift gewidmet hatte, sich bezüglich ihrer Authentizität auf die inspirierte Meinung der Kirche verlassen. Unmöglich konnten die Gnostiker unsere Evangelien annehmen, von denen viele Teile (insbesondere die Auferstehung Christi) ihren wichtigsten Lehrsätzen direkt, es könnte fast scheinen: vorsätzlich widersprachen. Es klingt daher etwas eigentümlich, dass Ignatius (Epistula ad Smyrnaeos 3,2) es vorgezogen haben sollte, sich mit einer so zweifelhaften und trüben Tradition zu befassen und nicht die zuverlässigen Zeugnisse der Evangelien selbst zu befragen.

Der Erfolg der Gnostiker jedenfalls war schnell und umfassend ›Faciunt favos et vespae; faciunt ecclesias et Marcionitae,‹ [Auch Wespen bauen Waben, und ebenso bauen auch Markioniten Kirchen], so Tertullians gestrenge Anmerkung, die ich hier aus dem Gedächtnis zitieren muss. Zur Zeit des Epiphanios (Adversus Heraeses, p.302) waren die Markioniten in Italien, Syrien, Ägypten, Arabien und Persien zahlreich vertreten. Man fand sie in Asien und Ägypten, sie etablierten sich in Rom und drangen bisweilen sogar bis in die Provinzen des Westens vor. Im II Jahrhundert kamen sie auf, blühten im III und wurden im IV und V gedämpft, einmal, weil die je aktuellen Glaubenskontroversen andere waren und weil sie zum zweiten dem Gewicht der regierenden Macht unterlagen. Obwohl sie notorische Störenfriede waren und oft genug das Ansehen der Religion trübten, leisteten sie dennoch der Christianisierung Vorschub, anstelle dass sie sie verzögert hätten. Die heidnischen Konvertiten, die ihre heftigsten Vorbehalte und Vorurteile gegen das Gesetz Moses hegten, konnten Aufnahme in zahlreichen christlichen Gemeinden finden, die ihren schlichten Gemütern kein Bekenntnis zu irgendwelchen unfürdenklichen Offenbarungen abverlangten. So wurde deren Glaube unmerklich gestärkt und vergrößert, und endlich mochte die Kirche über ihre unversöhnlichsten Feinde triumphieren. Augustinus ist ein treffliches Beispiel für diesen schrittweisen Übergang von der Vernunft zum Glauben. Viele Jahre lang war er Mitglied in der Sekte der Manichäer.

 

GÖTTER DER HEIDEN ALS DÄMONEN ANGESEHEN

Welche Meinungsunterschiede bezüglich der Göttlichkeit des Mosaischen Gesetzes und der Gehorsamspflicht nun auch immer bestehen mochten zwischen den Rechtgläubigen, den Ebioniten und den Gnostikern, in ihnen allen obwaltete in gleicher Weise die kämpferische Abscheu vor der Götzenanbetung, die schon in früheren Zeiten die Juden vor den anderen Nationen der alten Welt ausgezeichnet hatte. Der Philosoph, welcher das System des Polytheismus als ein Menschengebilde aus Trug und Irrtum ansah, konnte sein höhnisches Grinsen hinter der Maske der Frömmigkeit verbergen, ohne gewärtigen zu müssen, dass sein Spott oder seine Willfährigkeit die Rache einer unsichtbaren oder einer, wie er wohl meinte, eingebildeten Macht auf ihn lenken würden. Den Urchristen indessen erschienen diese etablierten heidnischen Religionen weitaus hassenswerter und entsetzlicher. Denn hierin waren sie alle eines Sinnes, Kirche wie Ketzer, dass die Dämonen die Urheber, die Schutzpatrone und auch der Gegenstand der Abgötterei seien. Die übereinstimmende Auffassung der frühen Kirche zu diesem Punkt sind deutlich klargelegt worden: Iustinus Martyr, Apologia Maior 25, p. 59; Athenagoras, Legatio c. 22 ff.; Lactantius, Institutiones Divinae. 2,14-19.

Diese aufsässigen Geister, ihres Ranges als Engel entsetzt und hinabgestoßen in der Hölle tiefsten Schimpf, durften immer noch auf Erden schwärmen, um sündige Menschen zu quälen und ihre Seelen zu verführen. Bald schon entdeckten diese Dämonen des Menschen Herzensneigung zur Andacht, und indem sie mit schlauer Berechnung die Gläubigen ablenkten vom wahren Objekte ihrer Verehrung, dem Schöpfer, usurpierten sie den Platz und die Anbetung der höchsten Gottheit für sich selbst. Der Erfolg ihrer boshaften Ränke war geeignet, ihre Eitelkeit und Rachegelüste zu befriedigen und ihnen zugleich den einzigen Trost zu verschaffen, dessen sie noch fähig waren, nämlich die Aussicht, die Menschheit könne in ihre, der Dämonen, Schuld und Trübsal hineingezogen werden. Es war Glaubensgewissheit, oder zumindest konnte man es sich gut vorstellen, dass sie unter sich die wichtigsten Charaktere des Polytheismus aufgeteilt hätten, wobei dann einer der Dämonen den Namen und die Attribute des Jupiter angenommen hätte, der andere des Aeskulap, ein dritter der Venus und ein vierter möglicherweise des Apollo; Tertullian (Apologeticum 22) zitiert die jeweiligen Bekenntnisse der Dämonen so häufig, wie diese von den christlichen Exorzisten gefoltert wurden. auch waren sie aufgrund ihrer langen Erfahrung und ihrer Dämonennatur imstande, mit hinreichender Raffinesse und Würde ihre angemaßte Rolle zu spielen. Sie beschlichen die Tempel, stifteten Feste und Opfer, ersannen Orakel und durften oft genug sogar Wunder wirken. Die Christenmenschen, welche jede übernatürliche Erscheinung mittels dieser üblen Geister mühelos erklären konnten, neigten deshalb dazu, ja verlangten geradezu danach, noch die ausgefallensten heidnischen Mythen für wahr zu halten. Aber Furcht und Schrecken begleiteten diesen Glauben des Christen. Das allergeringste Anzeichen von Respekt vor einer national-heidnischen Religion betrachtete er als eine unmittelbar den Dämonen dargebrachte Huldigung und damit als einen Akt der Empörung gegen die Majestät Gottes.

 

VERDAMMUNG HEIDNISCHER RITUALE...

Infolge dieser Anschauung war es die erste, wenn auch heikelste Pflicht eines Christen, sich von den Praktiken des Götzendienstes frei und unbefleckt zu erhalten. Die Religionen der Völker waren nicht so sehr ein spekulatives System, welches in Schulen gelehrt oder in Tempeln gepredigt wurde. Vielmehr waren die ungezählten Gottheiten des Polytheismus und ihre Riten mit allen Aspekten der Arbeit oder des Vergnügens, des privaten wie des öffentlichen Lebens innig verwoben; und so schien es denn unmöglich, ihnen den Gehorsam aufzukündigen, ohne gleichzeitig den Umgang mit den Menschen überhaupt abzubrechen und sich aller gesellschaftlichen Pflichten und Vergnügungen zu entschlagen. Tertullian hat einen ernsthaften Traktat gegen den Götzendienst verfasst, um seine Glaubensbrüder zu wappnen gegen die stündliche Gefahr, in diesem Punkte schuldig zu werden. ›Recogita silvam, et quanta latitant spinae.‹ [Gedenke des Waldes und wie viele Dornen sich dort verborgen halten]. Tertullian, de corona militis 10. Wichtigen Entscheidungen, über Krieg und Frieden etwa, wurden durch feierliche Opfer vorbereitet oder bekräftigt, und Magistrate, Senatoren und Soldaten waren verpflichtet, ihnen beizuwohnen. Die Versammlungen des römischen Senates wurden in einem Tempel oder sonst einem geheiligten Ort abgehalten (Aulus Gellius, 14,7). Vor Eintritt in die Tagesordnung schüttete jeder Senator ein paar Tropfen Wein und etwas Weihrauch auf dem Altar. Sueton, Augustus 35. Die öffentlichen Schauspiele waren ein wesentlicher Bestandteil der lebensfrohen Frömmigkeit der Heiden, und den Göttern, so die Meinung, seien die liebsten Opfer die Spiele, welche Kaiser und Volk anlässlich ihrer jeweiligen Feste für sie veranstalteten. Tertullian, de spectaculis 23. Dieser strenge Reformer ist über eine Euripides-Tragödie genauso ungehalten wie über ein Gladiatorengemetzel. Zumal an den Kostümen der Schauspieler ärgert er sich. Durch die Verwendung von Kothurnen bemühten sie sich in unfrommer Weise, ihrer Körpergröße noch eine Elle hinzuzufügen. Der Christenmensch, welcher mit frommem Entsetzen die Abscheulichkeiten des Theaters oder des Circus floh, sah sich dennoch bei jedem Gastmahl von Höllenschlingen umdroht, sobald nämlich seine Freunde unter Anrufung der Hausgötter Trankopfer auf das gegenseitige Wohl darbrachten. Der antike Brauch, das Gelage mit Trankopfern zu beschließen, findet sich wohl bei allen klassischen Autoren. Seneca und Sokrates griffen in ihrer letzten Stunde in solenner Weise auf diesen Brauch zurück. Postremo stagnum calidae aquae introiit, respergens proximos servorum, addita voce, libare se liquorem illum Iovi Liberatori. [Schließlich stieg er in ein Bassin mit warmem Wasser, besprengte die zunächst stehenden Sklaven und fügte hinzu, er weihe diese Flüssigkeit Iupiter, dem Befreier]. Tacitus Annalen 15,64. Wenn die Braut im hochzeitlichen Schmuck über die Schwelle ihrer neuen Wohnung genötigt wurde und dabei noch ein schicklich-heftiges Widerstreben inszenierte; Siehe den geschliffenen, wenngleich götzendienerischen Hymnus Catulls anlässlich der Hochzeitsfeier des Manlius und der Iulia: ›O Hymen, Hymenae Io! Quis huic Deo compararier ausit?‹ [O Hymen, o Hymenaeus! Wer wagt es, sich mit diesem Gotte zu vergleichen?]. oder wenn sich ein Leichenzug würdig und langsam dem Scheiterhaufen näherte: Die antiken Leichenverbrennungen werden (am Beispiel des Misenus und der Pallas) bei Vergil nicht weniger genau beschrieben wie von seinem Kommentator Servius erörtert. Der Scheiterhaufen selbst war wie ein Altar, die Flammen wurden mit dem Blut von Opfertieren genährt, und die Helfer waren mit Weihwasser besprengt. der Christ musste bei diesen feierlichen Anlässen die ihm liebsten Personen verlassen, bevor er schuldig wurde wegen der diesen Zeremonien innewohnenden Gottlosigkeit.

 

...UND KÜNSTE

Jede Kunst und jedes Gewerbe, das auch nur von Ferne mit dem Herstellen oder Ausschmücken von Götzenbildern zu tun hatte, war mit dem Banne der Abgötterei belegt; Tertullian, de Idolatria 11. ein harter Urteilsspruch, denn der größte Teil der Menschen, die eine Kunst oder ein Handwerk betrieben, war nun zu ewiger Höllenqual verdammt. Betrachten wir die zahlreichen Überreste der Antike, so fällt uns auf, dass neben den eigentlichen Götterdarstellungen und den heiligen Einrichtungen für ihren Dienst auch noch schöne Formen und anmutige Erfindungen, die durch die Phantasie der Griechen geheiligt waren, als die reichsten Zierden von Häusern, Kleidung und Hausrat der Heiden zu finden waren. Siehe hierzu jedes Stück in Montfaucons l'Antiquité. Selbst die Rückseiten der griechischen und römischen Münzen waren häufig götzendienerischer Natur. Hier allerdings halfen noch größere Leidenschaften den Christen über ihre Skrupel hinweg. Selbst Musik und Malerei, Beredsamkeit und Dichtkunst flossen aus derselben trüben Quelle. Gemäß den Erkenntnissen der Kirchenväter waren Apollo und die Musen die Helfershelfer der Hölle, Homer und Vergil ihre vornehmsten Knechte und die anmutsvolle Mythologie, welche die Schöpfungen ihres Geistes beseelte, war bestimmt, den Ruhm der Dämonen zu singen. Selbst die harmloseste Konversation der Römer und Griechen wimmelte von gottlosen Redensarten, welche dann ein unschuldiger Christ gedankenlos aussprechen oder allzu nachsichtig durchgehen lassen mochte. Tertullian, de Idolatria 20,21 und 22. Wenn ein heidnischer Freund (etwa beim Niesens) die gängige Floskel ›Jupiter segne dich‹ gebrauchte, war der Christ zum Einspruch gegen die Göttlichkeit Jupiters verpflichtet.

 

RÖMISCHE VOLKSFESTE UND CHRISTLICHE RELIGION

An hohen Feiertagen bedrohten den arglosen Gläubigen diese Gefahren doppelt, welche ihn ja auch sonst allerenden umdrohten. So anmutig waren sie gesponnen und so geschickt über das ganze Jahr verteilt, dass der Aberglauben jederzeit einen erfreulichen, ja sogar tugendhaften Aspekt bot. Man befrage hierzu Ovids schwierigstes Werk, die Fasti. Er hatte sie nur für die ersten sechs Monate des Jahres beendet. Die Liste des Macrobius wird Saturnalia genannt, aber nur ein kleiner Teil des ersten Buches hat wirklich Bezug zum Titel des Werkes. Die höchsten Feste des römischen Ritus waren etwa bestimmt, die neuen Kalenden des Januar mit öffentlichen und privaten Lustbarkeiten zu begrüßen; sich dem frommen Gedenken an Tote und Lebende zu widmen; die Unverletzbarkeit von Eigentumsgrenzen zu bekräftigen; die Mächte der Fruchtbarkeit bei Frühlingsbeginn zu begrüßen; die zwei wichtigsten Ereignisse römischer Geschichte zu feiern, die Gründung der Stadt und die der Republik; und während der zwanglos-fröhlichen Saturnalien die archaische Gleichheit aller Menschen wiederherzustellen. Man mag sich leicht vorstellen, wie die Christen vor solchen gottlosen Feierlichkeiten zurückschauderten, wenn sie schon bei weit harmloseren Anlässen Glaubens- und Gewissensnöte offenbarten. An Tagen allgemeinen Frohsinns galt bei den Alten der Brauch, ihre Haustüren mit Lampions und Lorbeerzweigen zu schmücken und sich selbst Blumenkränze aufs Haupt zu setzen. Diese hübsche und zugleich unschuldige Sitte hätte ja noch als eine bürgerliche Gepflogenheit durchgehen können. Zum Unglück aber standen die Türen unter dem Schutze der Hausgötter, der Lorbeer war Daphnes Liebhaber Apollo geweiht, und die Blumenkränze, die eigentlich nur zum Zeichen der Freude oder der Trauer getragen wurden, waren ursprünglich im Dienste des Aberglaubens getragen worden. Die bebenden Christen, die sich für dieses eine Mal den Landesgebräuchen und den behördlichen Anordnungen gefügt hatten, litten unter den düstersten Ahnungen, bitteren Gewissensbissen, den Vorwürfen der Kirche und der Furcht vor dem göttlichem Strafgericht. Tertullian hat eine Verteidigungs- oder besser wohl Lobrede auf die gedankenlose Tat eines christlichen Soldaten verfasst, welcher dadurch, dass er seinen Lorbeerkranz fortwarf, sich selbst und seine Glaubensbrüder in unmittelbare Lebensgefahr brachte. Tertullian erwähnt die Herrscher (Severus und Caracalla) und zeigt damit, der anders lautenden Wünsche des Herrn de Tillemont ungeachtet, dass er sein Traktat De Corona verfasst hatte, lange bevor er für die Irrtümer der Montanisten eintrat. Siehe die Mémoires ecclésiastiques Band 3, p.384.

 

CHRISTLICHER GLAUBENSEIFER

Diese ängstliche Wachsamkeit also war erforderlich, das Evangelium vor dem Pesthauch des Götzendienstes rein und unbeschadet zu erhalten. Öffentliche oder private Zeremonien des Aberglaubens wurden von den Anhängern der herrschenden Religion nur obenhin vollzogen, kalt und teilnahmslos. Sobald dies aber geschah, bot sich den Christen eine Gelegenheit, ihre grundsätzliche Ablehnung zu bekennen und zu bekräftigen. Durch diese häufigen Beteuerungen verfestigte sich ihre Verbundenheit mit dem neuen Glauben allmählich, und in dem Maße, wie ihr Glaubenseifer wuchs, fochten sie auch mit mehr Feuer und Erfolg ihren heiligen Kriege gegen die Mächte der Finsternis.

 

DIE ZWEITE URSACHE: DIE LEHRE VON DER UNSTERBLICHKEIT DER SEELE BEI DEN PHILOSOPHEN

II. Die Schriften Ciceros Insbesondere enthalten das erste Buch der Tusculanischen Gespräche, die Abhandlung über das Greisenalter und der Traum des Scipio in der schönsten Sprache alles, was griechische Philosophie und der gesunde Menschenverstand der Römer zu diesem ebenso dunklen wie wichtigen Gegenstand hätten sagen können. schildern in den lebhaftesten Farben die Ignoranz, die Irrtümer und die Ungereimtheiten der antiken Philosophie im Hinblick auf die Unsterblichkeit der Seele. Wenn sie ihre Jünger gegen die Todesfurcht wappnen wollen, schärfen sie ihnen den naheliegenden, wiewohl trübseligen Satz ein, dass wir durch unseren Tod zugleich aller Fährnisse des Lebens überhoben seien und dass jemand, der nicht mehr lebe, auch nicht mehr leiden könne. Allerdings gab es auch einige Weise Griechenlands und Roms, welche von der Natur des Menschen eine edlere und in mancher Hinsicht wohl auch zutreffendere Vorstellung entwickelt hatten; ob man auch gleich eingestehen muss, dass bei ihren erhabenen Untersuchungen ihre Vernunft häufig durch Phantasie abgelenkt und ihrer Phantasie von ihrer Eitelkeit souffliert wurde. Wenn sie mit Selbstgefälligkeit den Umfang ihrer eigenen Geistesgröße anstaunten, wenn sie bei ihren tiefschürfenden Untersuchungen oder ihren wichtigsten Arbeiten die unterschiedlichsten Kräfte einsetzten wie etwa Erinnerungsvermögen, Phantasie oder Urteilskraft, und wenn sie weiterhin sehnsüchtig des Ruhmes gedachten, der sie weit über ihren Tod und ihr Grab hinaus in ferne Zeitalter tragen sollte: dann mochten sie nicht glauben, dass es ihnen wie den Tieren auf dem Feld gehen sollte oder dass ein Wesen von solcher Würde und der aufrichtigsten Bewunderung wert, auf einen Erdenfleck und für die Dauer von ein paar Jahren sollte beschränkt bleiben. Durch diese Voraussetzungen optimistisch gestimmt, nahmen sie sich dann die Wissenschaft, oder genauer: die Sprache der Metaphysik zur Hilfe. Schon bald entdeckten sie, dass keine einzige Eigenschaft der Materie zu den Eigenschaften des Geistes passe, so dass die menschliche Seele folglich aus einem vom Körper ganz verschiedenen Stoff bestehen müsse, rein, einfach, geistig, unzerstörbar und nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis unseres Körpers zu weitaus höheren Graden der Tugend und des Glückes fähig. Weitreichende und edle Prinzipien, aus denen die Philosophen in der Nachfolge Platos allerdings Schlüsse zogen, die nicht mehr zu rechtfertigen waren: behaupteten sie doch nicht nur die zukünftige, sondern auch die vorangegangene Unsterblichkeit der menschlichen Seele, die sie allzu bereitwillig als einen Teil des unendlichen und durch sich selbst existierenden Weltgeistes ansahen, der das Universum durchwebt und erhält. Die Vor-Existenz der menschlichen Seele wurde, soweit dieses Dogma mit den Aussagen der Religion verträglich ist, von vielen griechischen und lateinischen Kirchenvätern aufgegriffen. Beausobre, Histoire du Manichéisme Buch 6,4. Ein philosophisch veranlagtes Gemüt mag sich mit solch einer Doktrin, die so völlig außerhalb der menschlichen Erfahrungswelt liegt, seine Mußestunden verkürzen; sie kann in stiller Einsamkeit der verzagten Tugend einen Strahl des Trostes gewähren; aber dieser matte Eindruck musste an Handel und Wandel des gewöhnlichen Lebens zuschanden gehen. Wir sind hinreichend vertraut mit hervorragenden Persönlichkeiten aus Ciceros Zeiten und der ersten Caesaren, mit ihren Taten, Charakterzügen und Motiven, um wirklich sicher sein zu können, dass ihr Verhalten im diesseitigen Leben niemals durch irgendeinen ernsthaften Glauben an jenseitige Strafen oder Belohnungen geleitet worden ist. Auf dem Forum oder im römischen Senat besorgten auch die besten Redner nicht den Unwillen ihrer Zuhörer, indem sie eine Lehre als müßig und albern verwarfen, für die auch sonst ein Mann von Bildung und Verstand nichts als Verachtung aufbringen könne. Cicero pro Cluentio 61. Caesar bei Sallust, de Coniuratione Catilinae 51; Iuvenal, Satirae 2,149: ›Esse aliquid manes, et subterranea regna,...Nec pueri credunt, nisi qui nondum aere lavantur.‹ [Dass es Geister gibt und eine Unterwelt...das glauben nicht einmal die Kinder, sie wären denn so klein, dass sie noch nicht einmal fürs Baden Eintritt zahlen müssen].

 

DIE IDEE VON DER UNSTERBLICHKEIT DER SEELE BEI DEN HEIDEN…

Da nun die Anstrengungen der Philosophie nichts weiter vermag als das Verlangen, die Hoffnung oder bestenfalls die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Zustandes aufzuzeigen, gibt es außer der göttlichen Offenbarung nichts, was das Dasein und die Beschaffenheit jenes unsichtbaren Landes zusichern und ausmalen kann, das einst zur Aufnahme der Menschenseele nach ihrer Abtrennung vom Körper bestimmt ist. Indessen gewahren wir in den Volksreligionen der Griechen und Römer verschiedene Mängel, welche sie für dieses schwierige Geschäft untauglich machen.

1. Für ihr gesamtes mythologisches System gab es nicht die Spur eines Beweises; und die einsichtigsten Heiden hatten ihm seine angemaßte Autorität schon längst abgesprochen.

2. Die Beschreibung der Unterwelt blieb der Phantasie von Malern und Dichtern vorbehalten, welche sie mit derart vielen Monstern und Gespenstern bevölkerten und Strafe und Lohn so willkürlich austeilten, dass die Wahrheit – mithin das, was dem Menschenherzen noch am ehesten angemessen wäre – in dieser wüsten Gemengelage aus haltlosen Phantasmagorien niedergedrückt und beleidigt wurde. Der elfte Gesang der Odyssee entwirft ein trostloses und höchst widersprüchliches Bild vom Schattenreich. Pindar und Vergil haben es ein wenig geschönt; aber selbst diese Dichter, wenngleich geordneter als ihr großes Vorbild, machen sich der befremdlichsten Ungereimtheiten schuldig. Bayle, Réponses aux questions d'un provincial, Teil 3, c. 22

3. Die Lehre von einem zukünftigen Leben wurde von den ernsthafteren römischen und griechischen Polytheisten kaum als ein grundlegender Glaubensartikel angesehen. Die göttliche Vorsehung war, da sie sich auf Gemeinden und nicht auf Individuen bezog, täglich auf der Weltbühne für jedermann sichtbar. Bitten, welche man an den Altären Jupiters oder Apollos vorbrachte, dokumentierten die Sorge der Betenden um die Gegenwart und zugleich ihre Unkenntnis und Gleichgültigkeit, ein künftiges Leben betreffend. Horaz, Episteln 1,16; Iuvenal, 13 Satire und Persius, 2. Satire: Diese volkstümlichen Verse geben wieder, was die Mehrheit dachte und sprach.

Die fundamentale Wahrheit von der Unsterblichkeit der Seele wurde in Indien, Assyrien, Ägypten und Gallien mit mehr Nachdruck und mit mehr Erfolg gelehrt; und da wir dies wohl kaum einer höheren Bildsamkeit der Barbaren zuschreiben können, müssen wir es dem Einfluss einer wohletablierten Priesterschaft zurechnen, welche es verstand, das Streben nach Tugend für ihre eigenen höheren Zwecke einzusetzen. Wenn wir mit den Galliern vorliebnehmen, dann können wir feststellen, dass sie nicht nur ihr Leben einer jenseitigen Welt anvertrauten, sondern sogar ihr verliehenes Geld. Vetus ille mos Gallorum occurrit (sagt Valerius Maximus, 2,6,11) quos, memoria proditum est, pecunias mutuas, quae his apud inferos redderentur, dare solitos. [Jener alte gallische Brauch fällt einem ein, gemäß dem sie, wie es heißt, einander Geld leihen, um es in der Unterwelt zurück zu erhalten]. Pomponius Mela 3,2 deutet, wenn auch nur unbestimmt, auf den gleichen Brauch hin. Überflüssig zu ergänzen, dass die Gewinnspannen des Handels genau dem Kredit des Kaufmanns entsprachen und dass ihr heiliges Gewerbe den Druiden zu Bürgschaften verhalf in einem Umfang, den kaum ein anderer Stand beanspruchen durfte.

 

...UND BEI DEN JUDEN

Wir sollten nun mit Fug erwarten, dass ein für die Religion so fundamentales Prinzip mit aller Klarheit dem auserwählten Volk von Palästina geoffenbart und dann in die Hände von Aarons Erbpriestertum gelegt worden sei. Indessen: es ist nun unser Amt, vor den unerforschlichen Entwürfen der Vorhersehung nur noch anbetend niederzusinken und festzustellen, dass diese Lehre von der Unsterblichkeit der Seele in Moses Gesetz schlechthin nicht vorkommt; Der wohlehrwürdige Verfasser der ›Devine legation of Moses‹ nennt für diese Unterlassung einen denn doch recht merkwürdigen Grund und lastet mit viel gelehrtem Scharfsinn die Verantwortung dafür den Ungläubigen an. von den Propheten wird sie nur dunkel angedeutet, und während der langen Zeit zwischen der ägyptischen und babylonischen Gefangenschaft scheinen sich die Hoffnungen und Ängste des jüdischen Volkes auf den engen Bezirk ihres diesseitigen Lebens konzentriert zu haben. Siehe Le Clerc, Prologomena zur Historia Ecclesiastica Teil 1,8. Seine Autorität fällt wohl doch mehr ins Gewicht, hat er doch einen gelehrten und nachdenklichen Kommentar zu den Büchern des Alten Testamentes verfasst. Nachdem nun Kyros der Nation die Rückkehr aus dem Exil ins Gelobte Land gestattet und Ezra die alten Zeugnisse ihrer Religion wiederhergestellt hatte, entstanden zu Jerusalem nach und nach die zwei bedeutenden Sekten der Sadduzäer und der Pharisäer. Iosephus, Antiquitates Iudaicae 13,10 und Bellum Iudaicum 2,8. Nach der ungezwungensten Auslegung von Iosephus' Worten anerkannten die Sadduzäer nur den Pentateuch; indessen haben sich einige moderne Gelehrte darin gefallen, zu den Quellen ihres Glaubens auch noch die Propheten hinzuzufügen und anzunehmen, dass sie damit lediglich die Glaubensüberlieferung der Pharisäer abgelehnt hätten.

Die Ersteren, Angehörige der wohlhabenden und angesehenen Gesellschaftsschichten, befolgten buchstabengetreu und mit Strenge das mosaische Gesetz, und mit frommem Eifer verwarfen sie die Unsterblichkeit der Seele, da diese Auffassung keinerlei Unterstützung aus dem göttlichen Buche erfahre, welches sie als die einzige Quelle ihres Glaubens heiligten. Die Pharisäer ihrerseits ließen neben der Autorität der Schrift auch noch gewisse mündliche Überlieferungen gelten, und unter dem Etikett der Tradition übernahmen sie diverse spekulative Lehrsätze aus den Religionen und Philosophien des Ostens. Zu diesen neuen Glaubensartikeln zählten etwa die Lehren von der Prädestination, von Engeln und Geistern, von künftigen Belohnungen und Strafen; und da die Pharisäer durch ihre strenge Lebensführung das jüdische Volk auf ihre Seite gezogen hatten, wurde unter den asmonaeischen Herrschern und Hohepriestern die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele zur herrschenden Meinung der Synagoge. Die Gemütslage der Juden war nicht danach geschaffen, sich mit einer kalten und glanzlosen Zustimmung zu begnügen, welche möglicherweise dem Naturell eines Polytheisten genügt hätte; und sobald erst einmal die Idee von einem künftigen Leben sich durchgesetzt hatte, machten sie sich diese Vorstellung zu eigen mit einem Eifer, der für diese Nation schon immer kennzeichnend gewesen ist. Dieses Trachten war jedoch keines für die Richtigkeit oder auch nur Wahrscheinlichkeit der Idee: und so war es weiterhin erforderlich, dass die Doktrin vom Leben nach dem Tod und der Unsterblichkeit, die die Natur nahe legte, die die Vernunft akzeptieren mochte und der sich der Aberglauben bereitwillig öffnete, ihre Heiligung als Gotteswahrheit erst noch erhalten müsse durch den Einfluss und das Vorbild Christi.

 

ERWARTUNG DES WELTENDES DIE MILLENNIUM-DOKTRIN

Als der Menschheit nun ewige Seligkeit verheißen ward unter den Bedingungen, dass sie den Glauben des Evangeliums annehme und des Evangeliums Satzung, war es durchaus nicht zum Erstaunen, dass von einer großen Anzahl der Bekenner anderer Religionen, Menschen jedweden Standes und aller Länder des Reiches ein so vorteilhaftes Anerbieten gerne angenommen wurde. Die Christen der Antike waren derart durchtränkt mit Verachtung für ihre Gegenwart und erfüllt mit Hoffnung auf Unsterblichkeit, dass sich unsere glaubensschwache Neuzeit nur einen ganz matten Begriff davon machen kann. Zudem wurde in der Urkirche das Gewicht dieser Wahrheit noch erhöht durch eine Meinung, welche, respektabel zwar durch Nützlichkeit und Alter, gleichwohl sich zu keiner Erfahrung fügen mag. Es war nämlich allgemeine Glaubensgewissheit, dass das Ende der Welt und das Königreich des Himmels unmittelbar bevorständen. Vorhergesagt hatten den baldigen Eintritt dieses wundervollen Ereignisses die Apostel; ihre frühesten Jünger hatten diese Tradition bewahrt, und diejenigen, welche die Reden Christi wörtlich auffassten, fühlten sich verpflichtet, das zweite und triumphale Erscheinen des Menschensohnes in den Wolken zu erwarten, noch bevor die Generation ganz vergangen war, die seinen demütigen Erdenwandel gesehen hatte und die vielleicht Zeuge war, wie es den Juden unter Hadrian oder Vespasian übel erging. Siebzehn Jahrhunderte haben uns mittlerweile gelehrt, die dunkle Sprache der Prophezeiungen und Offenbarungen nicht im streng wörtlichen Sinne zu nehmen; solange indessen die Kirche aus wohlerwogenen Gründen diesen Irrtum zuließ, wirkte er sich auf das heilsamste auf Glauben und Glaubenspraxis der Christen aus, da sie alle in ängstlicher Erwartung jenem Augenblickes entgegenbebten, in welchem das Erdenrund und alle Menschheit auf ihm erzittern sollten in der Erwartung ihres göttlichen Richters. Diese Erwartung gründet sich auf das 24. Kapitel des Matthäus-Evangeliums und den 1. Paulusbrief an die Tessaloniker. Erasmus räumt das Problem aus durch die Annahme, dass es sich um Metaphern und Allegorie handele; und der gelehrte Grotius will uns einreden, dass dieser fromme Betrug höherer Ziele halber stattfinden durfte.

 

DIE LEHRE VOM TAUSENDJÄHRIGEN REICH

Auch die alte und populäre Millenium-Doktrin stand mit dem zweiten Kommen Christi in enger Beziehung. Da die Werke der Schöpfung nach sechs Tagen getan waren, wurde ihr gegenwärtiges Alter entsprechend einer dem Propheten Elias zugeschriebenen Tradition auf sechstausend Jahre veranschlagt. Siehe Burnet, Sacred Theory, Teil 3, c. 5. Diese Tradition kann man zurückverfolgen bis hin zum Barnabasbrief, dessen Verfasser im I. Jh. schrieb und ein halber Jude gewesen zu sein scheint. Auf ähnliche Weise berechnete man, dass diese lange Periode von Arbeit und Mühe nunmehr fast zu Ende sei und auf ihn ein freudevoller Sabbat von tausend Jahren folgen werde; Die Urkirche in Antiochia berechnete etwa 6000 Jahre von der Schöpfung bis zur Geburt Christi. Africanus, Lactantius und die griechische Kirche kommen auf 5500, und Eusebius begnügt sich mit 5200 Jahren. Diese Berechnungen gehen auf die Septuaginta zurück, die in den ersten sechs Jahrhunderten allgemein anerkannt war. Die Autorität der Vulgata und des hebräischen Textes hat die Moderne, Protestanten und Katholiken, vermocht, 4000 Jahren den Vorzug zu geben; obgleich sie sich durch diese Vorgabe beengt fühlen, wenn sie sich dem Studium der Profangeschichte des Altertums widmen. und dass Christus, in der Gesellschaft von frohlockenden Heiligen und der Auserwählten, die dem Tode entkommen oder auf wunderbare Weise dem Leben zurückgegeben waren, von nun an auf Erden herrschen würde, bis die Zeit gekommen sei für die letzte und allgemeine Auferstehung. So verlockend war diese Aussicht für die, die an sie glaubten, dass sie sich in ihrer Vorstellung alsgleich das Neue Jerusalem, den Sitz dieses köstlichen Reiches, in den schönsten Farben ausmalten. Ein Glückszustand allerdings, der nur spirituelle und reine Freuden bereithielt, wäre seinen Bewohnern wohl zu feingeistig vorgekommen, verfügten sie doch immer noch über ihre menschliche Natur und Sinnenwelt. Ein Garten Eden andererseits mit den Lustbarkeiten ländlichen Lebens mochte sich auch nicht recht schicken für den fortgeschrittenen Zustand einer Gesellschaft, wie man ihn überall im Reiche vorfand.

So ward also eine Stadt errichtet aus Gold und Edelgestein, das umliegende Land gewährte geradezu unnatürliche Mengen von Getreide und Wein, und kein eifersüchtiges Eigentumsgesetz hinderte die glücklichen und zufriedenen Bewohner an dem freien Genuss jener spontanen Erzeugnisse. Die meisten dieser Vorstellungen gehen auf eine Fehldeutung von Jesaja, Daniel und der Apokalypse zurück. Eines der rohesten Bilder findet sich bei Irenaeus (5,33), dem Schüler des Papias, der noch den Apostel Johannes gekannt hatte. Diese Millenium-Idee wurde von einer ganzen Reihe von Kirchenvätern bekräftigt, von Justin dem Märtyrer Siehe hierzu das zweite Gespräch des Iustin mit Tryphon und Lactantius 7. Buch. Es ist überflüssig, die Kirchenväter zwischen diesen beiden zu erwähnen, denn die Sache als solche ist unstrittig. Indessen mag der interessierte Leser nachschlagen bei Daillé, de usu patrum, Buch 3,4. und Irenaeus, welche noch mit den direkten Schülern der Apostel Umgangs gepflegt hatten, bis hin zu Lactantius, dem Lehrer von Constantins Sohn. Das Glaubenszeugnis des Justinus und seiner Mitbrüder vom Millennium ist in der verständlichsten und ernsthaftesten Sprache abgefasst (Dialogus cum Tryphone p.177f). Wenn es zu Beginn dieses wichtigen Abschnittes dennoch so etwas wie Unklarheiten gibt, sollten wir sie, wenn wir redlich urteilen, dem Verfasser oder den Kopisten anrechnen. Wenn sie auch nicht überall akzeptiert wurde, scheint sie zumindest unter den Rechtgläubigen vorgeherrscht zu haben. Und offenbar fügte sie sich so harmonisch zu den Sehnsüchten und Befürchtungen der Menschen, dass sie der Ausbreitung des Christenglaubens sehr förderlich gewesen sein muss. Als aber das Gebäude der Kirche nahezu vollendet war, wurde diese provisorische Stütze beiseite geschafft. Die Lehre von der Herrschaft Christi auf Erden wurde zunächst wie eine tiefgründige Allegorie behandelt, danach als zweifelhafte und überflüssige Lehrmeinung und endlich verworfen als die närrische Erfindung von Ketzerei und Schwärmerei. Dupin, Bibliothéque ecclésiastique, Bd. 1, p.223 und Bd. 2, p.366, sowie Mosheim, de rebus Christianorum, p.720, obgleich der letztere dieser beiden Gottesgelahrten in dieser Frage nicht ganz aufrichtig ist. Eine schwerverständliche Prophezeiung, die heute immer noch kanonisch ist, von der aber die Meinung ging, sie unterstütze eine verworfene Ansicht, entging nur mit genauer Not einer Ächtung durch die Kirche. Im Konzil zu Laodicea (etwa A.D. 360) wurde die Apokalypse stillschweigend aus dem heiligen Kanon entfernt, und zwar durch die asiatischen Kirchen, an die sie ursprünglich adressiert war; und von Sulpicius Severus erfahren wir, dass die Mehrheit der zeitgenössischen Christen diesem Urteil beitrat. Weshalb ist denn gegenwärtig die Apokalypse von der griechischen, römischen und protestantische Kirche gebilligt? Folgende Gründe seien angedeutet: 1. Die Griechen wurden durch einen Hochstapler gegängelt, welcher sich im VI. Jh. den Benennung Dionysios Areopagicus zulegte. 2. Die berechtigte Sorge, dass die Grammatiker wichtiger werden könnten als die Theologen, veranlasste das Konzil zu Trient, allen Büchern der Schrift das Siegel der Heiligkeit aufzudrücken, wenn sie in der lateinischen Vulgata enthalten seien; glücklicherweise gehörte die Apokalypse mit dazu. Fra Paolo, Istoria del Concilio Tridentino, Buch 2). 3. Die Aussicht, diese mysteriösen Texte gegen den römischen Stuhl einzusetzen, belebte die Protestanten zu einer sonst eher unüblichen Verehrung dieses so nützlichen Alliierten. Vergleiche hierzu die erfindungsreichen und gekonnten Einlassungen des gegenwärtigen Bischofs von Lichfield zu diesem unergiebigen Gegenstande.

 

ROMS BRAND UND DER WELTUNTERGANG

Während also den Bekennern Christi Glück und Glanz eines Reiches von dieser Welt versprochen war, wurden dem Imperium des Unglaubens die schrecklichsten Heimsuchungen angekündigt. Die Errichtung des neuen Jerusalem sollte im gleichen Maße vor sich gehen, wie die Zerstörung des mystischen Babylons; und solange die Kaiser, die vor Constantin regierten, auf ihrer Götzenverehrung beharrten, waren Stadt und Herrschaft Roms mit dem Epitheton ›Babylon‹ belegt. Alle moralischen und physischen Übel, die ein blühendes Gemeinwesen heimsuchen können, ließ man aufmarschieren: Bürgerkrieg im Inneren, Invasionen der fürchterlichsten Barbaren aus den unbekannten Weiten des Nordens, Pestilenz und Hungersnot, Kometen und Sonnenfinsternisse, Erdbeben und Überschwemmungen. Lactantius, Divinae institutiones 7,15ff erzählt sehr geistreich und voller Feuer die schreckliche Geschichte der Zukunft. Aber dieses alles waren ja nur Vorboten von Roms großer Katastrophe, in deren Verlauf das Land der Scipionen und Caesaren verzehrt werden sollte durch eine große Flamme vom Himmel, und die Stadt der Sieben Hügel mit ihren Palästen, Tempeln und Triumphbögen sollte untergehen in einem großen See von Feuer und Schwefel. Indessen mochte die römische Eitelkeit einen gewissen Trost schöpfen aus der Gewissheit, dass das Ende ihres Reiches notwendig auch das Ende dieser Welt sein werde, welcher es bestimmt sei, nachdem sie schon einmal durch das Element des Wassers vernichtet worden war, nun ein zweites Mal und dann schleuniger durch Feuer vertilgt zu werden. Die christliche Auffassung eines allgemeinen Weltenbrandes harmonisierte recht glückhaft mit den Überlieferungen des Ostens, mit der Philosophie der Stoa und mit den Analogien aus der Natur; ja sogar das Land selbst, welches aus religiösen Gründen der Hauptschauplatz dieser Erdenfeuers werden sollte, Italien, war für diesen Zweck von der Natur aufs trefflichste zugerüstet; es waren seine tiefen Höhlen, Schwefelseen und Vulkane, von denen der Ätna, Vesuv und Lipari eine allerdings nur matte Vorahnung auf das Kommende abgaben. Selbst besonnen-kühne Skepsis musste sich eingestehen, dass die Zerstörung der gegenwärtigen Welt durch Feuer äußerst wahrscheinlich sei. Der Christ, der seinen Glauben nicht so sehr auf fehlbarer Vernünftelei gründete, sondern auf geheiligten Traditionen und Schriftauslegungen, erwartete den Weltuntergang mit Entsetzen und gleichzeitig mit Zuversicht; und da sein Gemüt beständig erfüllt war mit dieser deprimierenden Vorstellung, deutete er folglich jedes Missgeschick, das dem Reich widerfuhr, als untrügliches Anzeichen des herannahenden Weltunterganges. In diesen Gegenstand mag sich jeder Leser von Geschmack vertiefen durch die Lektüre des dritten Teiles von Burnets ›Sacred Theory.‹ Er emulgiert hier Philosophie, Bibeltexte und Traditionelles zu einem großartigen System; hierbei entwickelt er eine Phantasie, die der von Milton in Nichts nachsteht.

 

HEIDEN, ZU EWIGER VERDAMMNIS VERURTEILT...

Es beleidigt das Vernunftgefühl und das menschliche Empfinden unserer Gegenwart, dass noch die weisesten und tugendhaftesten Heiden einzig aufgrund ihrer Unkenntnis der göttlichen Wahrheit oder ihres Unglaubens zu ewiger Verdammnis verurteilt sein sollen. Und dennoch ist dieses die offenbare Glaubenslehre aller christlichen Kirchen, gleichgültig, wie der Einzelne darüber denken mag, und auch unsere Kirche selbst kann sich nicht den Schlussfolgerungen widersetzen, die aus ihrem 8. und 18. Glaubensartikel gezogen werden müssen. Die Jansenisten, die doch so gründlich die Kirchenväter studiert haben, beharren mit entschiedener Hartnäckigkeit auf diesem Lehrsatz; und auch der gelehrte Herr de Tillemont entlässt keinen tugendhaften Kaiser, ohne ihn zu ewiger Höllenpein zu verurteilen. Zuinglius (=Zwingli) ist vermutlich das einzige Haupt einer religiösen Gruppierung, welcher in diesem Punkte milder dachte, und prompt ist er hierin den Lutheranern und Katholiken gleichermaßen anstößig. Siehe Boussuet, Histoire des Variations des Eglises Protestantes, Buch 2, c.19-22. Aber die Urkirche, im Glauben denn doch gefestigter, verhängte mit leichter Hand ewige Qualen über den größten Teil der Menschheit. Barmherzigkeit mochte allenfalls für Sokrates aufgespart sein oder einige andere Weise der Vorzeit, welche sich beim Lichte der Vernunft Rats erholt hatten, bevor noch das Licht des Evangeliums aufgegangen war. Justin und Clemens von Alexandria willigen darein, dass einige Philosophen durch den logos angeleitet worden sein können; und halten seine doppelte Bedeutung als menschliche Vernunft und göttliches Wort nicht auseinander. Einig aber war man in der Auffassung, dass alle, welche seit der Geburt oder spätestens seit dem Tode Christi auch weiterhin verstockt ihren Götzen geopfert hätten, von Gottes erzürnter Gerechtigkeit Gnade weder verdient noch überhaupt zu erhoffen hätten.

Diese Glaubensstrenge, die den Alten ganz unbekannt war, muss in die Lehre von der Nächstenliebe und Eintracht das Gift der Bitternis geträufelt haben. Oft genug zerrissen wegen unterschiedlicher religiöser Auffassungen die Bande des Blutes oder der Freundschaft; und die Christen, die sich in dieser Welt durch die Macht des Heidentums gedämpft fühlten, wurden durch Rachegefühle oder geistigen Hochmut angestiftet, sich an der Aussicht auf zukünftige Triumphe zu laben. ›Ihr liebt doch die Schauspiele,‹ so donnert der grimmige Tertullian zu; ›so erwartet denn das größte aller Schauspiele, das letzte und ewige Gericht des Universums. Wie will ich es bestaunen, wie lachen, wie mich freuen, wie jauchzen, wenn ich so viele hochfahrende Könige und Götzen im tiefsten Schlunde der Finsternis sich winden sehe; wenn so viele Richter, die den Namen des Herrn verfolgten, zerschmelzen in Feuern, welche heißer brennen als alle, die sie jemals gegen die Christen angezündet haben; wenn so viele Philosophen in roten Flammen erglühen sollen, zusammen mit ihren betrogenen Schülern; wenn so viele berühmte Dichter vor dem Richterstuhle nicht Minos', sondern Christi erbeben; wenn so viele Tragöden bei der Schilderung ihrer eigenen Leiden noch ausdrucksstärker werden; wenn so viele Tänzer–!‹ Der Herzenstakt des Lesers gestatte es mir, den Schleier auszubreiten über den Rest dieser infernalischen Schilderung, welche dieser glaubensfeste Afrikaner mit einer langen Reihe hergeholter und gefühlsroher Witzeleien fortsetzt. Tertullian, de Spectaculis 30. Damit das enorme Ansehen erkennbar werde, welches sich dieser eifernde Afrikaner erworben hatte, genügt es bereits, auf das Zeugnis des Cyprian zu verweisen, den Lehrer und Lotsen aller Kirchen des Westens. (Prudentius, Peristephanon 13,100). Immer, wenn er sich seinem täglichen Studium der Schriften des Tertullian zuwandte, ging seine Rede: › Da mihi magistrum.‹ [Man reiche mir meinen Lehrmeister]. Hieronymus, De viris illustibus 53.

 

...BEKEHREN SICH AUS FURCHT

Ohne Zweifel gab es unter den ersten Christen viele, deren Gemütsverfassung besser zu der Milde und der Liebe ihrer Religion passte. Wie viele gab es doch, die aufrichtiges Mitleid empfanden mit ihren gefährdeten Freunden und ihren Landsleuten und die dann den gütigsten Eifer an den Tag legten, sie vor dem drohenden Unheil zu bewahren. Der frohgemute Polytheist, den plötzlich neue und bislang unbekannte Schrecken übermannt hatten, gegen die nicht Priester noch Philosophen wirksamen Schutz verheißen konnten, wurde jetzt durch die Aussicht auf ewige Qualen wiederholt beunruhigt und niedergedrückt. Seine Fortschritte in Glaubens- und Vernunftdingen mochten durch solche Besorgnisse befördert werden, und konnte er sich erst einmal dazu überreden, dass die christliche Religion wahr sein könnte, dann war es auch ein Leichtes, ihn zu überzeugen, dass sie die sicherste und vernünftigste Partei sei, der er nur irgend beitreten könne.

 

DIE DRITTE URSACHE: DIE WUNDERWIRKENDE MACHT DER KIRCHE

III. Die übernatürlichen Gaben, die den Christen, anders als dem Rest der Menschheit, selbst für das diesseitige Leben zugeschrieben wurden, müssen des Öfteren zu ihrem eigenen Wohlergehen und zur Bekehrung Ungläubiger beigetragen haben. Neben den Gelegenheitswundern, welche zuweilen durch das unmittelbare Eingreifen Gottes bewirkt wurden, der zum Nutzen der Religion vorübergehend die Naturgesetze beurlaubte, beanspruchte die christliche Kirche auch für die Zeit nach den Aposteln und deren Schülern Ungeachtet der Ausflüchte des Dr. Middleton kann man die Hinweise auf Gesichte und Eingebungen bei den apostolischen Vätern unmöglich übersehen. eine ununterbrochene Tradition wunderwirkender Kräfte für sich, etwa die Gaben, in fremden Zungen zu sprechen, Gesichte zu haben, Prophezeiungen auszusprechen, Dämonen auszutreiben, Kranke zu heilen und Tote zu erwecken. Den Zeitgenossen des Irenaeus waren Fremdsprachenkenntnisse durchaus geläufig, obschon Irenaeus selbst mit den Schwierigkeiten eines Barbarendialektes zu kämpfen hatte, als er den Landeskindern Galliens das Evangelium predigte. Irenaeus, adversus haereses, Prooemium. Dr. Middleton (A free inquiry, p. 96ff.) bemerkt, dass dieser Anspruch am schwersten zu erfüllen war und deshalb auch zuerst aufgegeben wurde. Diese Beobachtung passt auch zu seiner Hypothese.

Göttliche Eingebung, ob sie nun in Form eines Traumgesichtes oder einer Vision mitgeteilt wurde, war, wie wir hören, eine weitverbreitete Gabe der Gläubigen aller Klassen, der Weiber und der Greise, der Knaben wie der Bischöfe. Waren sie durch vieles Beten, Fasten und Wachen im Gemüte ausreichend vorbereitet, die unvergleichbare Eingebung zu empfangen, gerieten sie außer sich und berichteten in Ekstase, was ihnen zuteil geworden, nur noch bloßes Werkzeug des Heiligen Geistes, so wie die Flöte Werkzeug dem ist, der in sie bläst. Athenagoras, Legatio; Justin Martyr, Cohortatio ad Gentiles; Tertullian adv. Marcionem 4. Diese Beschreibungen sind der prophetischen Raserei recht ähnlich, vor dem Cicero (de Divinatione 2,54) so wenig Achtung hat. Wir wollen noch hinzufügen, dass der Zweck dieser Visionen meistens darin bestand, die Zukunft zu enthüllen oder die gegenwärtige Kirchenleitung zu lenken und zu leiten. Die Vertreibung unsauberer Geister aus den Leibern jener Unglücklichen, die zu quälen ihnen gestattet war, sah man als einen end- und allgemeingültigen Triumph der Religion an, und des Öfteren haben ihn die antiken Apologeten als den schlagendsten Beweis für die christlichen Wahrheit angeführt. Diese fürchterliche Zeremonie wurde zumeist öffentlich und im Beisein zahlreicher Zuschauer durchgeführt; den Kranken erlöste die Macht oder die Geschicklichkeit des Exorzisten, und der unterlegene Dämon bekannte, dass er einer der Fabel-Götter der Vergangenheit sei, welche für sich in ruchloser Weise die Anbetung durch das Menschengeschlecht beansprucht hätten. Tertullian fordert die heidnische Obrigkeit heraus. Der Exorzismus ist von den frühen Wunderwerken das einzige, das die Protestanten übernommen haben.

Die wundersame Heilung chronischer oder sogar außernatürlicher Krankheiten indessen kann nun kein Erstaunen mehr hervorrufen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass in den Tagen des Irenaeus am Ende des zweiten Jahrhunderts sogar die Auferstehung von den Toten ein nachgerade triviales Ereignis war; dass solches Wunder sich ereignete unter den gehörigen Begleitumständen, nach umfänglichem Fasten und infolge der vereinten Bitten der Ortskirchen; und dass solche Personen, denen durch Gebete das Leben wiedergegeben war, noch viele Jahre unter ihnen lebte. Irenaeus adversus Haereses 2, 56f und5, 6. Herr Dodwell (Dissertationes ad Ireaeum 2,42) kommt zu dem Schluss, dass das II. Jh. an Wundern noch fruchtbarer war denn das I. Jh. In solchen Zeitläuften, in welchen sich der Glaube so vieler wundersamer Siege über den Tod rühmen konnte, kann man den Skeptizismus jener Philosophen nicht recht verstehen, die den Glaubenssatz von der Wiederauferstehung nach wie vor verwarfen oder gar bespöttelten. Ein Grieche, edel von Gemüt, hatte die ganze Streitfrage auf diesen einen wichtigen Punkt konzentriert und dem Bischof von Antiochia, Theophilus, in die Hand versprochen, dass er ohne Zögern der christlichen Religion beitreten werde, wenn man ihm auch nur eine einzige Person zeigen könne, die nachweislich von den Toten auferstanden sei. Es mutet einigermaßen befremdlich an, dass dieser Prälat der Ersten Kirche des Ostens, der doch um seines Freundes Bekehrung so besorgt war, es für ratsam erachtete, diesen vernünftigen und ehrlichen Handel auszuschlagen. Theophilos, ad Autolycum 1, p.345.

 

WUNDER BESTRITTEN ZEITLICHE BESTIMMUNG DER PERIODE

Nachdem nun die Wunder der Urkirche durch die Ehrfurcht von Jahrhunderten geheiligt waren, wurden sie neuerdings in einer kühnen und scharfsinnigen Untersuchung Dr. Middleton hat seine Einleitung 1747 veröffentlicht und seine eigentliche Untersuchung 1749; noch vor seinem Tode (im Jahre 1750) hatte er eine Verteidigungsschrift gegen die zahlreichen Einwände vorbereitet. bestritten, welche zwar beim Publikum mit viel Beifall aufgenommen wurde, aber unter den Gottesgelehrten unserer und der übrigen protestantischen Kirche Europas viel Ärgernis gegeben hat. Die Universität Oxford verlieh an seine Gegner akademische Grade. Die Empörung von Herrn Mosheim (De rebus Christianorum p. 221) lässt uns erahnen, wie die lutheranischen Theologen darüber dachten. Es gibt zu diesem Gegenstande stark abweichende Meinungen, aber Ursache für den Dissens sind nicht kontroverse Vernunftgründe als vielmehr die jeweilige Art unseres Forschens und Nachdenkens; vor allem aber hängt unsere Meinung davon ab, in welchem Umfange wir den Beweisen für solche Mirakel zu trauen bereit sind. Nun gehört es nicht zu den Pflichten des Historikers, seine persönliche Meinung zu diesem delikaten und wichtigen Gegenstand anzuzeigen; aber er sollte sich auch nicht über die Schwierigkeiten täuschen, einer Theorie beizutreten, welche die Intentionen der Religion mit denen der Vernunft versöhnt, ferner den rechten Gebrauch von dieser Theorie zu machen, und endlich mit Genauigkeit die zeitlichen Grenzen jener glücklichen Periode festzulegen, für welche wir, frei von Irrtum oder Betrug, das Wirken übernatürlicher Kräfte anzunehmen geneigt sein wollen.

Von den ältesten Kirchenvätern bis hin zu den jüngsten Päpsten zieht sich eine ununterbrochene Reihe von Bischöfen, Heiligen, Märtyrern und Wundern, und die Ausbreitung des Aberglaubens war so allgemach-unmerklich, dass wir unmöglich sagen können, wo genau denn nun diese Tradition abbrach. Jedes Zeitalter bezeugt seine eigenen Wunder, und diese Zeugnisse sind um nichts weniger achtbar und gewichtig als die der früheren Generationen, so dass wir uns schließlich unsere eigene Inkonsequenz vorwerfen müssten, wenn wir etwa dem ehrwürdigen Beda oder dem heiligen Bernard aus dem VIII. bzw. XII. Jahrhundert dasjenige Vertrauen verweigern, welches wir einem Justinus oder Irenaeus aus dem II. Jahrhundert so bereitwillig geschenkt haben. Es ist einigermaßen auffällig, dass Bernhard von Clairvaux, der so viele Wundertaten seines Freundes, des heiligen Malachias, aufzeichnet, niemals seine eigenen erwähnt, welche ihrerseits nun allerdings von seinen Gefährten und Schülern mit Sorgfalt verzeichnet werden. Gibt es eigentlich in der langen Kirchengeschichte einen einzigen Heiligen, welcher von sich selbst erklärte, dass er die Gabe besitze, Wunder zu tun? Sollte man die Wahrheit eines Wunders einschätzen nach dem Ausmaß seines messbaren Nutzens, dann gab es in jedem Jahrhundert Ungläubige zu bekehren, Ketzer zu widerlegen oder götzenanbetende Völker zu bekehren, was dann stets ausreichender Grund war, das Eingreifen des Himmels zu rechtfertigen.

Und dennoch: da jeder Anhänger der Offenbarung überzeugt ist von der Realität wunderwirkender Kräfte und jeder rational denkende Mensch von ihrer Nichtexistenz, ist es zwingend, dass es irgendeinen Zeitabschnitt gegeben haben muss, in welchem sie der Kirche allmählich oder auch unversehens verloren gingen. Wann immer dieses Ereignis stattgefunden hat, etwa beim Tod der Apostel, beim Übertritt des Römischen Reiches zum Glauben, oder beim Untergang des arianischen Ketzerei, Die Protestanten nehmen als Zeitpunkt für das Ende der Wunder gewöhnlich die Bekehrung Constantins an. Die eher rational denkenden Theologen anerkennen nur widerwillig die Wunder des IV. Jahrhunderts, während die arglosen sich noch von denen des V. Jahrhunderts nur unter Sträuben distanzierten. das Unvermögen der Christen, dies jeweils zu bemerken, ist einigermaßen erstaunlich. Ihre Macht, Wunder zu wirken, hatten sie verloren, aber ihre Ansprüche erhielten sie nach wie vor aufrecht. Das Amt des Glaubens wurde von der Leichtgläubigkeit übernommen; anstelle der göttlichen Eingebung ergriff der Fanatismus das Wort, und was das Ergebnis von Zufall oder Planung war, schrieb man übernatürlichen Ursachen zu. Die jüngsten Erfahrungen mit Wundern sollte die Christenheit eigentlich mit den Wegen der Vorsehung vertraut gemacht haben, und sie sollte ihr Auge (wenn wir denn diesen unpassenden Ausdruck verwenden dürfen) an den Stil des himmlischen Malers gewöhnt haben. Sollte sich der geschickteste italienische Künstler der Gegenwart unterfangen, seine schwachen Versuche mit dem Namen eines Raphael oder Correggio zu schmücken, so würde dieser dreiste Betrug alsbald ruchbar und mit Empörung zurückgewiesen werden.

 

NUTZEN DER CHRISTLICHEN WUNDER

Gleichgültig, welche Meinung man nun über die Wunder der Kirche in der Zeit nach den Aposteln hegen mag, die Arglosigkeit der Seele, die für die Gläubigen des II und III Jahrhunderts so kennzeichnend ist, erwies sich für die Sache der Wahrheit und der Religion zufällig als recht nützlich. In unserer Gegenwart leben auch die Frömmsten in einer verborgenen, meist sogar unfreiwilligen Nähe zur Skepsis. Lässt man das Walten übernatürlicher Kräfte zu, so geschieht dies nicht mit aktiver Zustimmung, sondern gleicht eher einer abgestandenen Tradition. Schon lange haben wir uns daran gewöhnt, die ewige Ordnung der Natur zu erforschen und anzuerkennen, als dass unser Verstand oder wenigstens unsere Phantasie noch vorbereitet wäre, das Eingreifen göttlicher Kräfte zu ertragen. In der Frühzeit des Christentums war die geistige Situation der Menschen eine völlig andere. Die neugierigsten oder auch die leichtgläubigsten Heiden fanden sich oft genug bereit, einer Gemeinde beizutreten, die für sich in Anspruch nahm, den Wunderkräften zu gebieten. Die Urchristen wandelten eigentlich immer auf dem Boden des Mysteriums, und sie waren jederzeit gerüstet, auch noch die außergewöhnlichsten Ereignisse zu glauben. Sie fühlten, oder bildeten sich zumindest ein, dass sie allenthalben von Dämonen umdroht, durch Gesichte getröstet, von Weissagungen angeleitet und durch Fürsprache der Kirche unvermittelt aus Gefahren, Krankheit und selbst vom Tode gerettet werden könnten. Die echten oder eingebildeten Wunder, deren Objekt, Werkzeug oder Augenzeuge zu sein sie sich oft genug einbildeten, setzten sie naturgemäß auch in die Lage, mit vergleichbarer Leichtigkeit die authentischen Wunder der Evangelien zu glauben. Und so haben denn diese wundersamen Ereignisse, wenn sie ihren Erfahrungshorizont nur nicht allzu deutlich überschritten, sie auch dazu vermocht, selbst jene Mirakel aus ganzen Herzen zu glauben, vor denen Menschenwitz abdanken muss. Es ist dieser tiefe Eindruck, der von übernatürlichen Wahrheiten ausgeht, welcher dann unter dem Namen ›Glauben‹ so berühmt wurde; eine Gemütsverfassung, welche als sicherstes Indiz für göttliches Wohlwollen und künftiges Wohlergehen angesehen wurde und als das wichtigste und vielleicht sogar einzige Verdienst eines Christen galt. Folgt man rigideren Theologen, dann sind moralische Tugenden, die auch den Heiden zu Gebote stehen, wert- und wirkungslos beim Werke unserer Rechtfertigung.

 

DIE VIERTE URSACHE DIE REINE UND STRENGE MORAL DER CHRISTEN

IV. Die frühen Christen allerdings bewiesen ihren Glauben noch durch Tugenden; ganz zu Recht meinte man, dass die göttlichen Einflüsse, die den Verstand erleuchten oder trüben, zugleich auch das Wesen des Gläubigen reinigen und seinen Wandel anleiten müssten. Die ersten christlichen Apologeten, die die Naivität ihrer Glaubensbrüder in Schutz nahmen, und auch noch spätere Autoren, die die Heiligkeit ihrer Vorfahren rühmten, schildern allesamt in den glühendsten Farben die Hebung von Sitte und Moral, seitdem der Welt das Evangelium gepredigt ward. Es ist nun meine Absicht, nur solche menschlichen Ursachen aufzuzeichnen, welche neben der Bibel den meisten Einfluss entfalten konnten, und so möchte ich bloß zwei Gründe nennen und diese auch nur obenhin, welche das Leben der ersten Christen strenger und reiner machten als das ihrer heidnischen Zeitgenossen geschweige denn das ihrer verkommenen Nachfahren; es ist dies einmal Reue über begangene Sünden und ferner das löbliche Bemühen, das Ansehen ihrer Heimatgemeinde zu mehren.

 

DIE WIRKUNG DER REUE

Es ist ein abgestandener Vorwurf, den Unwissenheit oder glaubensferne Bosheit aufgebracht haben, dass nämlich die Christen in ihre Gemeinschaft noch die schändlichsten Verbrecher gelockt hätten, welche dann, sobald sie nur einen Anflug von Reue zeigten, leicht dazu gebracht werden konnten, durch das Taufwasser die Schuld ihrer früheren Vergehen abzuwaschen, während ihnen in den Tempeln der alten Gottheiten jede Sühne verweigert worden sei. Hat man indessen erst einmal die Verdrehungen richtig gestellt, so sieht man, dass dieser Vorwurf zur Ehre und in gleicher Weise zur Ausbreitung der frühen Kirche vieles beitrug, Die Anschuldigungen von Kelsos und Iulian sowie die Zurückweisungen durch die Kirchenväter werden von Spanheim (Commentaire sur les Caesars de Iulian, p.468) sehr objektiv aufgeführt. Der Anhänger des Christentums darf ohne zu erröten anmerken, dass viele bedeutende Heilige vor ihrer Taufe die verworfensten Sünder waren. Andere wiederum, welche – in allerdings nur unvollkommener Weise – dem Ruf des Rechtes und Sittlichkeit gefolgt waren, zogen aus dem Bewusstsein ihrer eigenen Redlichkeit eine Art stiller Selbstgewissheit, so dass sie für die jähen Anwandlungen von Scham, Schmerz oder Entsetzen viel weniger anfällig waren, welche in anderen Fällen die wunderbarsten Bekehrungen veranlasst hatten.

Die Missionare jedoch mieden nach dem Vorbild ihres göttlichen Lehrmeisters die Gesellschaft der übrigen Menschen, und insbesondere die der Frauen, durchaus nicht, welche durch das Bewusstsein und sehr oft auch durch die physischen Folgen ihrer Laster gezeichnet waren. Sobald sie sich aber von Sünde und Aberglauben gereinigt und sich zur Hoffnung auf Unsterblichkeit erhoben hatten, widmeten sie ihr Leben nicht nur der Tugend, sondern der tätigen Buße. Das Streben nach sittlicher Vollkommenheit wurde zur Leidenschaft ihrer Seele, und es ist wohlbekannt, dass Verstand nur zu lauem Mittelmaß führt, während Leidenschaften uns mit reißender Gewalt über alle Abgründe hinwegreißen, welche irgend zwischen äußersten Extremen aufgetan sind.

 

SORGE FÜR IHREN RUF

Sobald die Neubekehrten sich in die Schar der Gläubigen eingereiht hatten und zu den kirchlichen Sakramenten zugelassen waren, hinderte eine andere Erwägung nicht eben spiritueller, aber jedenfalls unschuldiger und ehrbarer Natur sie daran, zu ihren früheren, ungeordneten Verhältnissen zurückzukehren. Jede Gruppierung, die andere Wege geht als die große nationale oder religiösen Wertegemeinschaft, der sie bislang angehört hatte, wird augenblicklich zum Objekt einer ebenso umfassenden wie scheelsüchtigen sozialen Kontrolle. Je kleiner sie an Zahl ist, desto stärker prägen Tugenden oder Verfehlungen der Einzelmitglieder den Ruf der ganzen Gruppe; und jedes Mitglied wacht naturgemäß mit angespannter Aufmerksamkeit über seine und seiner Glaubensbrüder Aufführungen, da er in gleicher Weise, wie er die gemeinsame Schande miterdulden muss, auch an dem gemeinsamen guten Leumund teilzuhaben hofft. Als die Christen Bithyniens vor dem Richterstuhl des jüngeren Plinius standen, versicherten sie dem Proconsul, dass sie, weit davon entfernt, in irgendwelche gesetzwidrigen Machenschaften verwickelt zu sein, vielmehr feierlich allen solchen Verbrechen abgeschworen hätten, die geeignet seien, den öffentlichen wie privaten Frieden zu stören, als da wären Diebstahl, Raub, Ehebruch, Meineid oder Betrug. Plinius, Epistulae 10,97. Etwa hundert Jahre später durfte sich dann Tertullian mit berechtigtem Stolz rühmen, dass kein Henker jemals an einem Christen sein Amt vollstreckt hätte, ausgenommen wegen ihrer Religion. Tertullian, Apologeticum 44,3. Er fügt, wenn auch etwas zögerlich hinzu: ›Aut si aliud, iam non Christianus.‹ [Wenn er noch etwas anderes ist, dann ist er bereits kein Christ mehr]. Ihr ernstes und weltabgewandtes Leben, ein Gegensatz zu dem ausschweifenden Luxus ihrer Epoche, hatte sie Keuschheit, Mäßigung, Sparsamkeit und alle anderen Tugenden der Nüchternheit gelehrt. Da sie mehrheitlich irgendeinem Handel oder Gewerbe nachgingen, oblag es ihnen, durch absolute Zuverlässigkeit und Redlichkeit jenen Verdacht zu entkräften, den profane Gesinnung nur zu bereitwillig gegen jede Art von Schein-Heiligkeit zu schöpfen bereit steht. Die Verachtung der Welt lehrte sie, sich in Demut, Sanftmut und Geduld zu üben. Je stärker man ihnen nachstellte, desto inniger schlossen sie sich zusammen. Ihre gegenseitige Mildtätigkeit und ihr naives Vertrauen wurde von den Ungläubigen oft beobachtet und von falschen Freunden oft enttäuscht. Der Philosoph Peregrinus (über dessen Leben und Sterben uns Lukian einen boshaften Bericht hinterlassen hat) kreidete den Christen Asiens lange Zeit ihre Herzenseinfalt an.

 

SITTENSTRENGE DER VÄTER

Es ehrt die moralische Befindlichkeit der ersten Christen, dass selbst ihre Verfehlungen, oder besser: ihre Irrtümer, die Früchte eines Übermaßes an Tugend waren. Die Bischöfe und Kirchenväter, die uns in ihren Schriften nicht nur Kunde geben von den Glaubens- und Handlungsgrundsätzen ihrer Zeitgenossen, sondern in diesem Punkte infolge ihrer Autorität auch recht einflussreich sein konnten, hatten die Heilige Schrift mit mehr Andacht als Einsicht studiert und die strengen Anweisungen Christi und der Apostel im wörtlichen Verstande aufgefasst, während der Scharfsinn späterer Kommentatoren einer elastischen und bildlichen Interpretation den Vorzug gab. In ihrem Bestreben, die Vortrefflichkeit des Evangeliums noch über die Weisheit der Philosophie zu erheben, haben die eifervollen Väter die Pflichten der Selbstverleumdung, der Reinheit und der Geduld auf eine Höhe getrieben, die unserer schwachen und verderbten Gegenwart zu erreichen schwerlich und einzuhalten noch weniger möglich sein dürfte. Eine Lehre, so außergewöhnlich und erhaben, musste unfehlbar die Verehrung des Volkes für sich gewinnen, war aber schlecht geeignet, die Zustimmung jener weltlichen Philosophen einzuholen, die als Richtlinie für dieses raschvergängliche Leben nur die Gebote der Natur und das Interesse der Gesellschaft gelten ließen. Siehe die sehr kluge Abhandlung über die Moral der Kirchenväter von Barbeyrac.

 

ZWEI PRINZIPIEN DER MENSCHENNATUR

Es gibt zwei durchaus naturgewollte Vorlieben, die wir auch bei sehr prinzipienfesten Menschen anfinden können, nämlich die Liebe zum Vergnügen und die Liebe zum Tätigsein. Ist die erstgenannte durch Bildung und Geschmack verfeinert, durch entsprechenden gesellschaftlichen Umgang erhöht und nimmt sie die erforderlichen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Rücksichten, dann so kann sie die Quelle für die Glücksumstände des Einzelnen werden. Die Liebe zum Tätigsein ist von stärkerer und zugleich fragwürdiger Natur. Oft genug führt sie zu Verdruss, Ehrsucht, Rache; sind Anstand und Wohlwollen ihre Leitstern, so wird sie zur Mutter aller Tugenden; und tritt diesen Tugenden noch eine gleich wirkmächtige Begabung an die Seite, dann mag sich eine Familie, ein Staat, ein ganzes Reich gar dem unverzagten Mut eines einzelnen Menschen verpflichtet fühlen. Die Liebe zum Vergnügen wollen wir deshalb als die angenehmste, die Liebe zum Tätigsein als die nutzbringendste Eigenschaft ansehen. Sollten sich in einer Person beide Eigenarten vereint und in Eintracht miteinander finden, so wäre hier die Idee der menschlichen Natur vollendet. Die sinnenstumpfe und untätige Veranlagung, denen beides mangelt, wäre nach allgemeiner Ansicht außerstande, das Glück des Individuums oder den Nutzen des Staats auf irgendeine Weise zu fördern. Aber es war nicht diese Welt, in der sich angenehm oder nützlich zu machen die frühen Christen bestrebt waren.

 

ERSTE CHRISTEN LEHNEN VERGNÜGUNGEN UND LUXUS AB

Der Erwerb von Kenntnissen, Übungen für den Verstand oder die Phantasie, der heitere Fluss eines ungezwungenen Gespräches: dies alles mag die Mußestunden eines anschlägigen Kopfes bereichern. Die Strenge der Kirchenväter jedoch wies derlei Tändeleien mit Schaudern zurück oder ließen sie nur mit größten Vorbehalten zu, war ihnen doch alles Wissen verdächtig, wenn es nicht zum Heile führte, und jedes zwanglose Gespräch ein sündhafter Missbrauch der menschlichen Gabe zur Sprache. In unseren gegenwärtigen Verhältnissen sind Körper und Seele so untrennbar miteinander verbunden, dass wir nachgerade darauf brennen, in aller Unschuld und Mäßigung die Freuden auszukosten, die diese treuen Gefährten spenden können. Dies war ganz und gar nicht das Denken und Trachten unserer frommen Altvordern; in ihrem wenn auch vergeblichem Bemühen, den Engeln nachzueifern, waren sie jedweden irdischen oder körperlichen Vergnügungen abgünstig oder gaben sich zumindest diesen Anschein. Lactantius, Divinae institutiones 6,20-22.

Unsere Sinnesorgane dienen primär der Selbsterhaltung, dem Nahrungserwerb oder der Informationsaufnahme, und insoweit war es schlechterdings unmöglich, ihren Gebrauch zu verwerfen. Das Empfinden von Vergnügen jedoch war bereits ihr Missbrauch. Der Kandidat für den Himmel, ohne Anteil an solcher Lust, sollte nicht nur den niederen Lockungen der Geschmacks- und Geruchswahrnehmungen widerstehen, sondern auch sein Ohr verschließen gegen die weltliche Harmonie von Tönen und selbst die vollkommensten Werke menschlicher Kunst mit Gleichmut strafen. Kostbare Kleidung, großartige Häuser, elegantes Utensil vereinten eine doppelte Schuld in sich: die des Stolzes und der Sinnlichkeit. Ein schlichtes, an Selbstverleumdung grenzendes Äußeres war passender für den Christenmenschen, welcher sich allemal seiner Sündhaftigkeit, aber niemals seines Seelenheiles sicher sein konnte. In ihrem gläubigen Eifer gegen den Luxus gehen die Kirchenväter mit vieler Umständlichkeit bis in die Einzelheiten; Man ziehe das Werk ›Paidagogia‹ [Erziehung] des Clemens von Alexandria zu Rate, in welchem die Grundsätze der Ethik versammelt sind, so wie sie in den angesehensten Schulen der Christen gelehrt wurde. und so müssen wir unter die Gegenstände, die ihre fromme Empörung aufriefen, die folgenden zählen: falsche Haare, Gewänder, die von anderer Farbe als Weiß waren, Musikinstrumente, Vasen von Gold oder Silber, Kopfkissen mit Federfüllung (hatte Jakob sein Haupt nicht auf einem Stein ausgeruht?), helles Brot, fremdartige Weine, Begrüßungen in der Öffentlichkeit, warme Bäder, das Scheren des Bartes, welcher Brauch Tertullian zufolge eine Lüge gegen unser Angesicht ist und ein sündhafter Versuch, die Werke des Schöpfers zu verbessern. Tertullian, de Spectaculis 23; Clemens von Alexandrien, Paidagogos 3,8. Als das Christentum allerdings Einzug hielt unter den Reichen und Gebildeten, überließ man die Beobachtung diese schnurrigen Auflagen, wie es auch heute geschehen würde, den Wenigen, welchen der Sinn nach höherer Heiligkeit stand. Aber es ist etwas billig und doch wieder verständlich, wenn die benachteiligten Klassen der Gesellschaft die Verachtung des Luxus' für ein Verdienst ästimieren, da das Schicksal ihn ohnehin außerhalb ihrer Reichweite angesiedelt hat. Die Tugend der frühen Christen war, ähnlich wie die der frühen Römer, oftmals durch Armut und Unwissenheit vor Anfechtungen geschützt.

 

ÜBER EHE UND KEUSCHHEIT

Die sittsame Strenge der Väter gegenüber allem, was die Beziehung der beiden Geschlechter zu einander betraf, wuchs aus demselben Holz: Ihrem Entsetzen vor allen Genüssen, welche die sinnliche Natur des Menschen befriedigen, aber seine geistige Natur ruinieren konnten. Es war ihre Lieblingstheorie, dass Adam, hätte er den Gehorsam gegen seinen Schöpfer nicht aufgekündigt, ewig im Stande jungfräulicher Reinheit weitergelebt und das Paradies durch irgendeine unschuldige Art von Vermehrung mit harmlosen und unsterblichen Lebewesen bevölkert hätte. Beausobre, Histoire Critique du Manichéisme, 8,3. Iustinus Martyr, Gregor von Nazianz, Augustinus u.a. neigen dieser Auffassung sehr stark zu. Der Vollzug der Ehe sei seinen gefallenen Nachkommen lediglich gestattet infolge der Notwendigkeit, das Menschengeschlecht zu erhalten, und weil er geeignet sei, wie unvollkommen auch immer, das natürlichen Vergnügen am Geschlechtstrieb zu dämpfen. Die orthodoxen Kasuisten sind bei dieser interessanten Materie seltsam unschlüssig und verraten damit ihre Verlegenheit, eine Einrichtung zu verwerfen, die naturnotwendig zu tolerieren ist. Einige gnostische Ketzer waren konsequenter: sie verwarfen die Ehe ganz. Die Aufzählung all' der wunderlichen Gesetze, mit denen sie in aller Umständlichkeit das Ehebett umzirkten, würde den männlichen Lesern ein Gelächter abnötigen und dem schönen Geschlecht ein Erröten. Es war übereinstimmende Meinung, dass die erste Ehe allen Ansprüchen der Natur und der Gesellschaft Genüge tue. Die körperliche Vereinigung erhöhte man zu einer Erinnerung an die mystische Vereinigung Christi mit seiner Kirche, und weder Scheidung noch Tod konnten sie auflösen. Eine zweite Eheschließung wurde verlästert als legalisierter Ehebruch, und wer sich gegen die christliche Reinheit so schamlos vergangen hatte, ward über ein Kleines von Ehrenstellen, ja sogar von den Almosen der Kirche ausgeschlossen. Siehe die Kette der Überlieferung von Iustinus dem Märtyrer bis zu Hieronymus (Barbeyrac, Morale des pères c. 4, p. 6ff.)

Da man geschlechtliches Verlangen als Verbrechen und die Ehe allenfalls als Notbehelf ansah, harmonisierte es trefflich mit diesen Grundsätzen, die Ehelosigkeit als die größtmögliche Annäherung an die göttliche Vollkommenheit anzusehen. Schon im alten Rom stieß man auf logistische Probleme, wenn es galt, die Institution der sechs Vestalischen Jungfrauen zu erhalten; Siehe die äußerst aufschlussreiche Abhandlung über die Vestalinnen in den Memoires de l'Academie des Inscriptions, Band 4, p.161-227. Der Ehren und Belohnungen ungeachtet, der diese Jungfrauen teilhaftig wurden, war es ein heikles Unterfangen, eine ausreichende Anzahl aufzutreiben; denn selbst die Furcht vor der grässlichsten Todesstrafe (unkeusche Vestalinnen wurden lebendig begraben) konnte ihren geschlechtlichen Wallungen nicht zuverlässig gebieten. aber in der Urkirche fanden sich Personen beiderlei Geschlechtes zuhauf, welche sich das Gelübde ewiger Keuschheit auferlegt hatten. Cupiditatem procreandi aut unam scimus aut nullam. Minucius Felix 31. [Wir wissen nur von einem Fortzupflanzungstrieb oder gar keinem]. Justinus, Apologia maior, 29 Athenagoras Legatatio 28. Tertullian de Cultu Feminarum 2. Einige von diesen, und wir meinen hier den jungen Origines zu erkennen, hielten es gar für das Klügste, den Verführer ganz zu entwaffnen. Eusebius, Historia 6,8. Bevor man dem Ruhm des Origines mit Missgunst und Nachstellungen begegnete, wurde diese unübliche Tat mehr bewundert als verurteilt. Nun war es aber seine Übung, die Heilige Schrift allegorisch zu nehmen, und so ist er zu bedauern, dass er ausgerechnet in diesem einzigen Punkte der wortgetreuen Interpretation den Vorzug gab. Einige waren gegen die Lockungen des Fleisches unempfindlich, andere erzeigten sich unüberwindlich. Feige Flucht verschmähend, begegneten die Jungfrauen der schwülen Himmelstriche Afrikas dem Feinde sogar im Nahkampf; sie erlaubten Priestern und Diakonen, mit ihnen das Bett zu teilen, aber noch im heißesten Nahkampf und Handgemenge obsiegte ruhmreich ihre fleckenlose Reine. Indessen, die gefoppte Natur behauptet eben doch ihr Recht, und wenigstens diese neue Art von Märtyrertum gab Anlass für neuen Skandal in der Kirche. Cyprianus, Epistulae 4 sowie Dodwell, Dissertationes Cyprianicae, 3. Eine ähnlich vorschnelle Tat wurde viele Jahre später dem Gründer des Ordens von Fontevrault zugeschrieben. Bayle und seine Leser haben sich über diesen diffizilen Vorgang jedenfalls sehr amüsiert.

Unter den christlichen Asketen jedoch (dieser Name leitete sich von ihren trübsinnigen Übungen ab) waren viele nur deshalb erfolgreicher, weil sie sich weniger hohe Ziele steckten. Die Einbuße an Sinnenlust wurde wettgemacht und vergütet durch geistigen Stolz. Selbst die Masse der Heiden war geneigt, diesem Opfer ein Verdienst zuzusprechen, war es doch sichtlich äußerst anspruchsvoll; und zum Preise dieser züchtigen Bräute Christi vergossen die Kirchenväter den Strom ihrer trüben Beredsamkeit. Dupin (Bibliothéque ecclésiastique, Band 1, p. 195) berichtet über den Dialog der zehn Jungfrauen sehr eingehend, so, wie ihn Methodios, der Bischof von Tyros zusammen getragen hat. Das Lob der Jungfrauen ist hier nachgerade zügellos. Dies sind die ersten Spuren mönchischer Regeln und Einrichtungen, welche in späteren Zeiten allen weltlichen Interessen des Christentums die Waage hielten. Die Asketen (im frühen II Jh.) legten ein öffentliches Gelübde ab, ihre Körper abzutöten und keinen Wein und kein Fleisch mehr zu verzehren. Mosheim, de rebus Christianiorum p. 310.

 

ABLEHNUNG DES KRIEGSDIENSTES UND DER STAATSGESCHÄFTE

Den Pflichten dieser Welt waren die Christen nicht minder feindlich als ihren Freuden. Selbstverteidigung und Schutz des Eigentums waren ihnen unvereinbar mit der Lehre von der Duldsamkeit, welche unbegrenzte Verzeihung vergangenen Unrechts vorschrieb und sogar aufforderte, zur Wiederholung jüngst erlittener Kränkungen einzuladen. Ihre Herzenseinfalt fühlte sich beleidigt durch den Gebrauch von Eiden, durch den leeren Pomp der Staatsämter, durch Parteiengezänk im öffentlichen Leben; auch vermochte ihre humane Unwissenheit nicht einzusehen, dass es unter irgendeiner Bedingung gottgefällig sein könne, das Blut von Mitmenschen zu vergießen, sei es nun durch das Schwert der Gerechtigkeit oder des Krieges; und dies selbst dann nicht, wenn deren Verbrechen oder Feindseligkeit Frieden und Sicherheit des ganzen Staates gefährdet hatten. Vgl. ›Morale des pères.‹ Dieselben Prinzipien der Gewaltlosigkeit wurden seit der Reformation von den Socinianern, den modernen Anabaptisten und den Quäkern neu ins Leben gerufen. Barclay, der Apologet der Quäker, hat seine Glaubensbrüder unter Rückgriff auf die Autorität der Urchristen verteidigt; p. 542-549. Wie allgemein anerkannt, war unter einem weniger guten Gesetz in Israel die Macht der Verfassung von gesalbten Königen und inspirierten Propheten ausgeübt worden, wozu der Himmel seinen Beifall gab. Die Christen fühlten es und gaben es durchaus zu, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen der Welt solche Einrichtungen notwendig sein mochten, und freudig unterwarfen sie sich der Autorität ihrer heidnischen Herrscher. Aber während sie duldenden Gehorsam zur Maxime machten, waren sie durchaus abgeneigt, an der Zivilverwaltung des Reiches oder an seinem militärischen Schutz in irgendeiner Form teil zu haben. Nachsicht mochte man allenfalls mit solchen Personen üben, welche schon vor ihrer Bekehrung mit diesem Bluthandwerk befasst waren; Tertullian, Apologeticum 21 und De Idololatria 17 und 18. Origines, contra Celsum 5, p. 253; 7, p. 349; 8, p. 423-428. aber unmöglich konnten die Christen den Beruf des Soldaten, Staatsbeamten oder Fürsten ausüben, ohne nicht zugleich gegen eine noch höhere Pflicht zu verstoßen. Tertullian (de corona militis 11) rät zur Fahnenflucht; ein Rat, der, wäre er allgemein bekannt geworden, untauglich gewesen wäre, die Kaiser gegen die Christen günstiger zu stimmen. Diese gleichgültige, ja nahezu strafwürdige Missachtung öffentlicher Belange setzte sie der Verachtung und der Ablehnung durch die Heiden aus, welch häufig fragten: ›Was wird mit diesem Reiche geschehen, nun es von allen Seiten durch die Barbaren bedroht wird, wenn jeder so hasenherzig denken würde wie diese neue Sekte ?‹ Soweit wir aus der fragmentarischen Überlieferung des Origines (8, p.423) entnehmen können, hat sein Gegner Celsus seine Angriffe bedeutend massiver und offener vorgetragen. Auf diese vorwurfsvolle Frage antworteten die christlichen Apologeten dunkel und zweideutig, da sie die wahre Ursache ihrer Zuversicht nicht preisgeben mochten, nämlich die Erwartung, dass noch vor der vollständigen Bekehrung der Menschheit es weder Krieg noch Regierung geben würde und dass das Römisches Reich, ja die Welt selbst aufhören würden zu sein. Es soll hier angemerkt werden, dass auch in diesem Falle die gesellschaftliche Lage der Christen sehr glücklich mit ihren religiösen Bedenklichkeiten harmonierte und dass ihre Abneigung gegen ein tätiges Leben mehr dazu beitrug, sie vom Dienst am Staat und in der Armee zu befreien als sie von deren Ehrenstellungen auszuschließen.

 

DIE FÜNFTE URSACHE: EINHEIT UND DISZIPLIN DER CHRISTEN

V. Indessen wird der Charakter des Menschen, mag er auch vorübergehend fröhlich oder niedergedrückt sein, allmählich zu seinem naturgegebenen Zustande zurückfinden und sich jenen Vorlieben widmen, welche am besten zu seinem gegenwärtigen Zustande passen. Für die Freuden und die Geschäfte dieser Welt waren die ersten Christen tot; aber ihre Liebe zum Tätigsein, welche niemals völlig erloschen war, belebte sich mählich, und fand in der Leitung der Kirche ein neues Betätigungsfeld. Eine in sich abgeschlossene Gemeinschaft, welche die etablierten Staatsreligion attackierte, musste zwangsläufig so etwas wie eine Innenpolitik entwickeln, eine entsprechende Zahl von Amtsträgern benennen und ihnen nicht nur geistliche Aufgaben übertragen, sondern auch die weltliche Lenkung ihrer Gemeinde auferlegen. Die Sicherheit ihrer Gemeinden, ihr Ansehen und ihre Mehrung erzeugten selbst bei den frömmsten Gemütern einen Geist des Patriotismus, wie ihn etwa die ersten Römer für ihre Republik empfunden haben mochten, und zuweilen wohl auch einen ähnlichen Geist der Sorglosigkeit bei der Wahl der Mittel, durch die sich ein so hochfliegender Endzweck erreichen ließ.

Ihren eigentlichen Ehrgeiz, sich oder ihre Freunde innerhalb der Kirche zu Amt und Würden zu bringen, verbargen sie hinter dem löblichen Vorwand, die in diesem Fall ausnahmsweise angestrebte Macht dem Wohl der Kirche zu widmen. Bei der Ausübung ihrer Pflichten sahen sie sich des Öfteren genötigt, ketzerische Irrtümer oder Ränke einzelner Faktionen aufzudecken, den Schlichen ungetreuer Glaubensbrüder entgegenzutreten, ihre Verworfenheit mit der verdienten Schande zu brandmarken und sie auszustoßen aus dem Schoße einer Gemeinde, an deren Frieden und Glück Hand zu legen sie sich unterfangen hatten. Die Kirchenleitungen der Christen sollten in sich die Klugheit der Schlange vereinen mit der Unschuld der Taube; während nun aber die erste dieser Tugenden infolge der beständigen Teilhabe an dem Regierungsgeschäfte mittlerweile sehr ausgefeilt war, verkümmerte die zweite unmerklich aus gleichen Gründen. In der Kirche wie in der übrigen Welt machten sich die Amtsträger achtbar durch Beredsamkeit, sicheres Auftreten, ihre Menschenkenntnis und ihr Geschick in den Tagesgeschäften; und während sie noch vor den anderen und vermutlich auch vor sich selbst die eigentlichen Motive ihres Handelns verbargen, fielen sie nur allzu oft in die stürmischen Leidenschaften eines tätigen Lebens zurück, welchem infolge des Einsatzes für geistliche Obliegenheiten noch zusätzliche Schärfe und Bitterkeit beigemischt war.

 

FREIHEIT UND GLEICHHEIT IN DER KIRCHE

Die Leitung von Kirchengemeinden war oft Gegenstand und Lohn von religiösen Streitereien. In gleicher Weise haben die feindlichen Disputanten von Rom, Paris, Oxford oder Genf darum gerungen, die ursprüngliche Vorstellung Die Aristokratie Frankreichs hat, ebenso wie die Englands, auf dem göttlichen Ursprung des Bischofsamtes bestanden. Die calvinistischen Ältesten litten einen Übergeordneten überhaupt nicht, und der Pontifex Roms weigerte sich, auch nur einen Gleichberechtigten neben sich anzuerkennen. Siehe Fra Paolo. der Apostel an die jeweiligen Bedürfnisse ihrer Politik anzupassen. Die wenigen Gelehrten, die diesen Gegenstand redlicher und vorurteilsfreier untersucht haben, In der Geschichte der christlichen Hierarchie folge ich überwiegend dem gelehrten und honorigen Mosheim. kommen zu dem Ergebnis, dass die Apostel das Amt des Gesetzgebers für sich nicht beanspruchten und lieber ein paar Zänkereien und Parteibildungen in Kauf nahmen, als den Christen künftiger Jahrhunderte die Freiheit zu nehmen, die Art des Kirchenregiments je und je nach den Zeitumständen einzurichten. Für das erste Jahrhundert legten sie die Grundzüge der Kirchenpolitik verbindlich fest, wie es aus der zu Jerusalem, Ephesos oder Korinth geübten Praxis rekonstruiert werden kann. Die Gemeinden, welche in den Städten des römischen Reiches gegründet wurden, waren nur durch das Band des Glaubens und der Nächstenliebe zusammengehalten. Grundlage ihrer inneren Verfassung waren Freiheit und Gleichheit. Dem Mangel an Disziplin und höherer Gelehrsamkeit wurde durch den gelegentlichen Beistand der Propheten abgeholfen, Näheres zu den Propheten der Urkirche bei Mosheim, Dissertationes, Band 2, p 132-208. welche ohne Ansehen des Alters, Geschlechts oder anderer natürlicher Vorzüge zu dieser Aufgabe berufen waren und welche, sooft sie denn nun die göttliche Eingebung verspürten, die Fülle des Geistes in der Versammlung der Gläubigen ausschütteten.

Aber diese hohen Gaben wurden durch die prophetischen Lehrer leider auch missbräuchlich oder fälschlich angewandt. Zur Unzeit entfalteten sie ihr Können, störten wohl auch vorsätzlich die Versammlung der Andächtigen und lösten, besonders in der apostolischen Kirche von Korinth, aus Stolz oder übel verstandenem Eifer eine ganze Serie von beklagenswerten Unruhen aus. Siehe die Paulusbriefe und den Brief des Clemens an die Korinther. Als die Institution des Prophetenamtes für nutzlos, ja gefährlich befunden wurde, beschnitt man seine Macht und schaffte es endlich ab. Öffentlich benannte religiöse Funktionsträger wurden die Bischöfe und Presbyter; diese zwei Benennungen scheinen ursprünglich dasselbe Amt und denselben Rang bedeutet zu haben. Der Name Presbyter bezeichnet das fortgeschrittene Alter oder vielmehr die Seriosität und die Weisheit der Träger, während der Titel eines Bischofs die Aufsicht über den Glauben und die Sitten der Christen ausdrückt, welche seiner Seelsorge anvertraut waren. Im Verhältnis zur Anzahl der Gläubigen besorgten viele oder wenige solcher Episkopalpresbyter die Führung einer jeden neuen Gemeinde, gleichen Ansehens und an gemeinsame Beschlüsse gebunden. Hooker, Ecclesiastical polity, Buch 7.

 

BISCHÖFE UND PRESBYTERKOLLEGIUM

Aber selbst die vollkommenste Gleichheit bedarf der lenkenden Hand einer übergeordneten Obrigkeit; die Geschäftsordnung ihrer Beratungen machte einen Vorsitzenden erforderlich, der zumindest die Meinungen einzuholen und die Beschlüsse durchzuführen berechtigt war. Rücksichtnahme auf die Ruhe innerhalb der Gemeinde, welche durch jährliche oder gelegentliche Wahlen empfindlich gestört worden wäre, veranlasste die ersten Christen dazu, ein achtbares und dauerhaftes Amt einzurichten und den weisesten und gottesfürchtigsten Presbyter zu wählen, damit er auf Lebenszeit die Pflichten einer kirchlichen Obrigkeit erfülle. So kam es, dass der erhabene Titel eines Bischofs mehr galt als der geringe Namen des Presbyters; und während der letztgenannte das natürlichste Unterscheidungszeichen für eine Mitgliedschaft im christlichen Senat mitbrachte, wurde der erstere für die Würde des neuen Vorstehers Siehe Hieronymus, Ad Titum 1 und Epistulae 85 und die gründliche Verteidigung durch Blondel, Pro sententia Hieronymi. Der ursprüngliche Status der Bischöfe und Presbyter in Alexandria, so wie Hieronymus ihn beschrieben hat, wird durch den Patriarchen Eutychius mit Nachdruck (Annales, Band 1, p.330) bekräftigt; dessen Angaben will ich gelten lassen, aller gelehrten Einwände Pearsons (Vindiciae Ignatiaem Teil 1, c. 11.) zum Trotze. verwendet. Diese neue episkopale Form der Kirchenleitung wurde noch vor dem Ende des ersten Jahrhunderts Vergleiche hierzu die Einleitung zur Apokalypse. Bischöfe gab es unter dem Namen der Engel bereits in sieben Städten Asiens. Und selbst der Clemensbrief (der vermutlich ebenso alt ist) enthält nicht den leisesten Hinweis auf ein Episkopat in Rom oder Korinth. eingeführt; und ihre Vorteile waren so unübersehbar und für den gegenwärtigen Kirchenfrieden wie die zukünftige Größe der Kirche so bedeutungsvoll, dass sie ohne Verzug von allen bereits im Reich entstandenen Gemeinden übernommen wurde, dass sie schon sehr bald wegen ihres hohen Alters als heilig Nulla Ecclesia sine Episcope war seit den Zeiten Tertullians und des Irenaeus eine Tatsache und ein Gesetz. angesehen wurde und noch heute von der Ost- wie der Westkirche als eine ursprüngliche, ja gottgewollte Einrichtung verehrt wird. Nachdem wir die Schwierigkeiten der ersten Jahrhunderte hinter und gelassen haben, finden wir die episkopale Regierungsform weltweit verbreitet, bis sie denn infolge der republikanischen Gesinnung der deutschen und schweizerische Reformer jäh ein Ende fand.

Der Hinweis ist wohl überflüssig, dass die ersten Presbyter in ihrer frommen Schlichtheit, mit der sie zuerst den Bischofstitel trugen, weder imstande noch überhaupt dazu bereit gewesen wären, sich mit den Machtbefugnissen und dem Schaugepränge zu umgeben, welche heutzutage den römischen Pontifex oder etwa das Bischofsamt eines deutschen Prälaten umglänzen. Aber mit wenigen Worten wollen wir die engen Grenzen ihrer ursprünglichen Jurisdiktion bezeichnen, welche hauptsächlich geistlicher und in einigen Fällen weltlicher Natur war. Siehe Mosheim über das I. und II. Jh. Ignatius (Ad Smyrnaeos 3 ff.) ist versessen darauf, die Bischofswürde zu feiern. Le Clerc (Historia Ecclesiastica p. 569) rügt seine Aufführungen nachdrücklich. Mosheims kritisches Urteil bestreitet selbst die Echtheit der kleineren Briefe (De rebus Christianorum p. 161). Es waren dies die Spendung der Sakramente, die Kontrolle der Kirchendisziplin, die Aufsicht über die kirchlichen Zeremonien, deren Zahl und Verschiedenartigkeit allgemach zunahm, die Weihe von Kirchendienern, denen der Bischof ihre jeweiligen Ämter zugewiesen hatte, die Verwaltung der Geldmittel und endlich die Schiedsgerichtbarkeit in allen solchen Fällen, in denen sich der Gläubige ungern dem Tribunal eines götzenanbetenden Richters unterwerfen mochte. Diese Macht wurde für kurze Zeit so ausgeübt, dass die Presbyterkollegien ihren Rat und die christlichen Gemeinden ihre Zustimmung erteilten. Die Bischöfe selbst sah man nur als die Ersten unter Ihresgleichen an, als achtbare Diener eines freien Volkes. War ein Bischofssitz durch den Tod seines Inhabers verwaist, wurde aus der Mitte der Presbyter ein neuer Vorsitzender durch Abstimmung der Gemeindeversammlung gewählt, deren einzelne Mitglieder sich selbst als mit heiligen und priesterlichen Eigenschaften ausgestattet dünkten. Nonne et Laici sacerdotes sumus? [Sind denn wir Laien nicht auch Priester?]. Tertullian, Exhortatio ad Castitatis 7. Da das Menschenherz sich stets gleich bleibt, können einige der Betrachtungen Humes über die Begeisterung (Essays, Band 1, p.76) wohl auch für echte Inspiration gelten.

 

PROVINZIALKONZILE EINHEIT DER KIRCHE

Soviel von der milden und egalitären Verfassung der Christenheit, mit der sie in den ersten hundert Jahren nach dem Tode der Apostel regiert ward. Jede Gemeinde bildete für sich eine eigenständige und unabhängige Republik: Und wenn auch noch die entlegensten dieser kleinen Staaten durch Briefe und Abgesandte eines freundschaftlichen Austausches pflegten, war die christliche Welt doch keiner obersten Autorität oder gesetzgebenden Versammlung unterworfen. Als aber die Zahl der Gläubigen anwuchs, wurde man der Vorteile inne, die sich aus einer engeren Abstimmung ihrer Interessen und Entwürfe ergeben könnten. Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts richteten die Kirchen Griechenlands und Asiens die nutzbringende Körperschaft der Provizialsynoden ein, und man kann wohl annehmen, dass bei diesen repräsentativen Versammlungen Vorbilder aus der Geschichte ihres eigenen Vaterlandes Modell gestanden haben, etwa die Amphiktyonen, der Achäische Bund oder die Versammlung der ionischen Städte. Bald schon war es feste Gewohnheit und Gesetz, dass sich die Bischöfe der unabhängigen Kirchengemeinden zu festgesetzten Frühlings- und Herbstterminen in der jeweiligen Provinzhauptstadt versammelten. Ihren Verhandlungen stand ein Gremium einiger ausgewählter Presbyter zur Seite, und die große Zahl von aufmerksamen Zuhörern sorgte für Mäßigung. Acta Concilii Carthaginiensis bei Cyprianus, Opera p. 158. In der Versammlung befanden sich 87 Bischöfe aus den Provinzen Mauretanien, Numidien und Afrika; einige Presbyter und Diakone waren zugegen; praesente plebis maxima parte. […in Anwesenheit des größten Teil des Volkes…]. Ihre Beschlüsse, die man Canones nannte, regelten jede wichtige Streitfrage in Glaubens- oder der Kirchendingen; und naturgemäß glaubte ein jeder, dass sich der Heilige Geist auf diese Versammlung der Abgeordneten der Christenheit in freigebiger Weise ausgießen werde. Das Institut der Synoden kam dem privaten Ehrgeiz und dem öffentlichen Interesse so sehr entgegen, dass es innerhalb weniger Jahre im ganzen Reich zur festen Einrichtung geworden war. Eine regelmäßige Korrespondenz wurde zwischen den Provinzialsynoden geführt, man teilte sich gegenseitig die Beschlüsse mit und billigte sie, und so nahm die katholische Kirche bald die Verfassung und die Machtteilung einer großen föderativen Republik an. ›Aguntur praeterea per Graecias illas, certis in locis concilia, etc.‹ [Darüber hinaus werden in den griechischen Ländern in bestimmten Ortschaften Versammlungen abgehalten...]. Tertullian de Ieiuniis. 13. Der Afrikaner redet von ihnen wie von einer neu- und fremdartigen Einrichtung. Mosheim (De rebus Christianiorum p. 207-378) erklärt die Vereinigung der christlichen Kirchen sehr gekonnt.

 

VERGRÖSSERUNG DER BISCHÖFLICHEN MACHTSTELLUNG

In dem Maße, wie den einzelnen Kirchen die gesetzgebende Gewalt unmerklich durch das Institut der Konzilien entwunden wurde, erhielten auch die Bischöfe infolge ihrer Zusammenarbeit immer mehr exekutive und rechtsprechende Kompetenzen; und sobald sie sich in ihren gemeinsamen Interessen einig fühlten, waren sie auch willens und imstande, mit vereinten Kräften die ursprünglichen Gerechtsame von Volk und Klerisei zu beschneiden. Die Prälaten des dritten Jahrhunderts verwandelten die Sprache der christlichen Vermahnungen in die der Verfügung, legten die Saat für künftige Machterweiterungen, und ersetzten ihren Mangel an Überzeugungskraft und Rechtspositionen durch Allegorien aus der Bibel und tönende Rhetorik. Sie sangen das Lob der Einheit und der Macht der Kirche, wenn es denn nur durch das Bischofsamt ausgeübt wurde, woran ein jeder Bischof gleichen und unbestrittenen Teil habe. Cyprian in seinem bewunderten Traktat De unitate ecclesiae. Opera, p.75-88.

Herrscher und Magistrate, so war immer wieder zu vernehmen, mochten sich ihres irdischen, indessen vergänglichen Anspruches auf irdische Macht berühmen; alleine die bischöfliche Macht leite sich von Gott her und sei von dieser und der jenseitigen Welt. Die Bischöfe seien Christi Statthalter und die geheimnisvollen Stellvertreter der Hohepriester des mosaischen Gesetzes. Ihr exklusives Recht, das Priesteramt zu verleihen, verringere nun mal die Wahlfreiheit des Volkes wie des Klerus; und wenn sie einmal in Verwaltungsfragen den Rat der Presbyter oder die Meinung des Kirchevolkes einholten, dann verfehlten sie nicht, sich über das Verdienst einer solchen, selbstredend freiwilligen Gewährung zu verbreiten. Durchaus anerkannten die Bischöfe die oberste Autorität, die den Synoden ihrer Brüder innewohne; aber bei der Regierung ihrer Diözese verlangte jeder von seiner besonderen Herde den gleichen bedingungslosen Gehorsam, als ob diese Lieblingsmetapher nur im wörtlichen Sinne wahr sei könne und als ob des Hirten Natur erhabener sei als die seiner Schäfchen. Wir können uns hier auf Cyprian berufen, auf sein Auftreten, seine Lehre, seine Briefe; Le Clerc hat in einem kurzen Lebensabriss dem Cyprian (Bibliothéque Universelle, Band 12, p. 207-378) eingehend und freimütig dargestellt. Diese Gehorsamspflicht wurde jedoch nicht ohne einiges Drängen auf der einen und nicht ohne erheblichen Widerstand auf der anderen Seite durchgesetzt. Das, was an den Verfassungen demokratisch war, wurde in vielen Gemeinden durch die heftige oder auch eigennützige Opposition des niederen Klerus verteidigt. Aber dieser ihr Verfassungspatriotismus wurde alsgleich mit Ekel-Epitheta wie Kirchenspaltung oder Schisma überschüttet; und die Sache der Bischöfe hatte seinen hurtigen Fortschritt der Assistenz manch eifervoller Prälaten zu danken, welche, wie etwa Cyprian von Karthago, die Trickereien des ehrgeizigsten Politikers mit denjenigen christlichen Tugenden auszusöhnen verstand, welche einem Heiligen oder Märtyrer angestanden hätten. Wenn Novatius, Felicissimus &c, welche der Bischof von Karthago zuerst aus seiner Kirche und dann aus Afrika verbannt hatte, nicht die abscheulichsten und bösartigsten Monstrositäten waren, dann muss der Glaubenseifer des Cyprian gelegentlich deutlich über seine Wahrheitsliebe obsiegt haben. Ein sehr ausgeglichener Bericht über dieses obskure Gezänk findet man bei Mosheim, De rebus Christianiorum p. 497-512.

 

VORRANG DER METROPOLITANKIRCHEN

Dieselben Ursachen, die zunächst die Gleichheit der Presbyter aufgehoben hatte, führten anschließend unter den Bischöfen selbst eine Rangfolge und damit auch eine Hierarchie in der Rechtsprechung ein. Sooft man sich in Frühjahr oder Herbst zu den Provinzialsynoden traf, wurden unterschiedliche persönliche Verdienste und ungleiches Ansehen zwischen den Versammlungsmitgliedern mit Genauigkeit bemerkt, und die Vielen wurden durch die Weisheit und Beredsamkeit der Wenigen an Gängelband geführt. Aber die Ordnung der Dinge war auf eine nachvollziehbare und von Gehässigkeiten unabhängige Rangliste angewiesen; das Amt des ständigen Synodalpräsidenten wurde dem Bischof der jeweiligen Provinzhauptstadt übertragen, und diese recht strebsamen Prälaten, die sich alsbald mit dem stolzen Titel eines Metropoliten und Primas schmückten, schickten sich insgeheim an, über ihre bischöflichen Brüder die gleiche Oberhoheit zu auszuüben, wie sie sich die Bischöfe erst unlängst über die Versammlung der Presbyter angemaßt hatten. Mosheim, p. 269, 574. Dupin, Antiquae Ecclesiae Disciplinae, p. 19, 20. Über ein Kleines, und es war auch zwischen den Metropoliten selbst ein Wettstreit um Vorrang und Macht entbrannt, und ein jeder war bemüht, in den hellsten Farben die weltlichen und geistlichen Vorzüge seiner Stadt auszumalen: die Zahl und der Reichtum der Christen, so ihrer Seelsorge anvertraut waren; die Heiligen und Märtyrer, die einst in ihr emporgeblüht waren; die Reine endlich der Glaubensüberlieferung, die in der Nachfolge zahlreicher rechtgläubiger Bischöfe von den Aposteln oder deren Schülern auf sie gekommen war, welch letztgenannten man die Gründung ihrer Kirche zuschrieb. Tertullian hat sich in einem besonderen Traktat gegen die Ketzer auf das der apostolischen Kirche zustehende Recht des Ersitzens berufen.

 

DER BISCHOF VON ROM BEANSPRUCHT HÖCHSTE AUTORITÄT

Es war es leicht vorherzusehen, dass aus jedem erdenklichem Grunde, sei er profaner oder kirchlicher Natur, Rom sich zunächst der Achtung der Provinzen erfreuen und bald darauf ihren Gehorsam einfordern würde. Die Gemeinde der Gläubigen stand im rechten Zahlenverhältnis zur Hauptstadt des Reiches: die Römische Kirche war die größte, zahlenstärkste und, zumindest im Westen, die älteste aller Kirchengründungen, von denen viele ihren Glauben durch die fromme Tätigkeit von Roms Missionaren erhalten hatten. Und nicht ein apostolischer Begründer, dessen sich Antiochia, Ephesos oder Korinth allenfalls rühmen mochten, sondern gar zwei ganz hervorragende Apostel Die Reise von St. Petrus nach Rom wird von den meisten der alten Schriftsteller erwähnt (s. Eusebios 2,25), von allen Katholiken behauptet, von einigen Protestanten zugestanden (s. Pearson und Dodwell de Successione Episcopi Romani) und nur von Sponheim (Miscellanea sacra 3,3) mit Entschiedenheit verneint. Folgt man Bruder Hardouin, so stellten die Mönche, die im XIII. Jh. eine Äneis verfasst hatten, St. Petrus allegorisch als dieses trojanischen Helden dar. sollen den Tiber geehrt haben durch ihre Predigt und ihr Martyrium; und wohlbedacht beanspruchten Roms Bischöfe das Erbrecht an welchen Prärogativen auch immer, die der Person oder dem Amte des heiligen Petrus zugeschrieben wurden. Nur im Französischen gelingt das berühmte Wortspiel mit dem Name des heiligen Petrus: ›Tu es Pierre et sur cette pierre...‹ Im Lateinischen stimmt es leidlich, ebenso im Griechischen, Italienischen &c, aber in den germanischen Sprachen ist es schlechthin unverständlich. Die Bischöfe Italiens und der Provinzen zeigten Neigung, ihnen den Primat in der Ordnung und Versammlung (dies genau waren ihre Ausdrücke) der christlichen Aristokratie zuzugestehen. Irenaeus Adversus Haereses, 3,3; Tertullian de Praescriptione, 36; und Cyprian Epistulae 27, 55, 71, 75. Le Clerc (Historia Ecclesiastica p. 764) und Mosheim (De rebus Christianiorum p. 258, 578) mühen sich nach Kräfte bei der Auslegung dieser Textstellen; aber der gelockert-rhetorische Stil der Kirchenväter scheint Roms Rechtsanmaßungen günstig gewesen zu sein. Die Machtbefugnisse eines Monarchen wurden mit Abscheu zurückgewiesen, und Roms emporstrebender Genius erfuhr von Asiens und Afrikas Nationen mehr Widerstand in Ansehung seiner geistlichen Ambitionen, als sie ihn vordem jemals gegen Roms weltliche Bestrebungen aufgebracht hatten. Der vaterländische Cyprian, dessen unbeschränkter Machtwille die Kirche Karthagos und die Provinzialsynode dominierte, widersetzte sich entschlossen und mit Erfolg Roms auffliegenden Machtgelüsten, machte ränkekundig seine und der östlichen Bischöfe Sache zu einer gemeinsamen und suchte wie einst Hannibal neue Verbündete im Herzen Asiens. S. den strengen Brief von Firmilianus, Bischofs zu Kaisareia, an Stephanus, Bischof zu Rom, bei Cyprian, Epistulae 75. Wenn dieser punische Krieg ohne Blutvergießen geführt wurde, war dies nicht so sehr der Einsicht und Mäßigung der feindlichen Prälaten als vielmehr ihrer weltlichen Ohnmacht zu danken. Ihre einzigen Waffen waren Schmähschriften und Bannflüche, und mit diesen bedachten sie sich während des gesamten Kampfes, mit gleichem Hass und gleicher Inbrunst. Die heutigen Katholiken geraten in einige Verlegenheit, dass sie einen Papst, einen Heiligen oder einen Märtyrer tadeln müssen, was immer dann der Fall ist, wenn sie von Einzelheiten eines Kampfes berichten müssen, in welchen sich die Meister der Religion so übel gehuben, wie sich dies allenfalls für den Senat oder einen Feldzug schicken mochte. Zu diesem Disput über die Wiedertaufe von Ketzern siehe die Briefe Cyprians und das 7. Buch des Eusebios.

 

LAIENSTAND UND KLERUS

Das Anwachsen der kirchlichen Macht war Ursache jener bemerkenswerten Unterscheidung zwischen Laien und Klerus, die den Griechen und Römern völlig unbekannt war. Zum Ursprung dieser Begriffe s. Mosheim, p. 141. Spanheim, Historia Ecclesiastica p. 633. Clerus und Laicus wurden bereits vor Tertullians Zeiten unterschieden. Die Bezeichnung Laie umfasste das Kirchenvolk in seiner Gesamtheit; er Name Klerus blieb, seiner Wortbedeutung entsprechend, jenem auserwählten Bevölkerungsteil vorbehalten, welchem aufgegeben war, den Dienst an der Religion zu versehen; eine berühmte Kaste von Männern, welche einen der wichtigsten, wenn auch nicht durchweg erbaulichsten Gegenstand der modernen Geschichtsschreibung abgegeben hat. Oft genug haben sie infolge gegenseitiger Abgunst den Frieden der junge Kirche gestört, aber ihr Glaubenseifer und ihr Schaffen waren dennoch der gemeinsamen Sache gewidmet, und ihre Machtliebe, welche (unter den schicklichsten Vorwänden) sich sogar einen Platz im Herzen eines Bischofs oder Märtyrers erschleichen konnte, befeuerte sie, die Zahl ihrer gläubigen Untertanen zu mehren und die Grenzen des christlichen Imperiums auszudehnen. Bar jeder irdischen Gewalt, wurden sie von den weltlichen Machthabern lange Zeit mehr unterdrückt als gefördert; aber sie verfügten über die zwei wirksamsten Instrumente jeder Regierung und machten innerhalb der Gemeinde den ausgiebigsten Gebrauch von ihnen: Belohnung und Strafe; die erstere war eine Folge der frommen Freigebigkeit der Gläubigen, und die zweite das Ergebnis ihrer andächtigen Ängste.

 

GESCHENKE UND EINKÜNFTE

I. Die Gütergemeinschaft, die Platos Phantasie so angenehm berührt hat, Platos Staatsidee ist durchdachter als die, welche sich etwa Sir T. Morus für sein Utopia ersonnen hatte. Der gemeinsame Besitz von Frauen und weltlichen Gütern sollte als ein unabdingbarer Bestandteil dieses Systems angesehen werden. und welche im gewissen Umfang in der strengen Sekte der Essener gelebt wurde Josephus, Antiquitates Iudaicae 18,2; Philo, De Vita Contemplativa. war kurzfristig auch in der Urkirche Praxis. Die glühende Inbrunst der ersten Proselyten vermochte sie, ihren weltlichen, von ihnen verachteten Besitz zu verkaufen, den Erlös den Aposteln zu Füßen zu legen und sich zufrieden zu geben mit einem gleichen Anteil aus dem gemeinsamen Besitz. Siehe die Apostelgeschichte 2,44f nebst dem Kommentar von Grotius. In einer gesonderten Abhandlung greift Mosheim die allgemeine Auffassung mit sehr dürftigen Argumenten an. Mit dem Fortschreiten des Christentums ermüdete diese uneigennützige Gesinnung und kam endlich ganz zu Erliegen, hätte sie doch in Händen, die weniger reinlich waren als die der Apostel, infolge der ewigen Selbstsucht des Menschen gar bald zu Missbrauch und Ausartung geführt; und den konvertierten Bekennern der neuen Religion gestand man zu, ihr väterliches Erbe zu behalten, Schenkungen und Erbschaften anzunehmen und ihr Eigentum durch alle erlaubten Mittel des Handels und Gewerbes zu vermehren. Justinus Martyr, Apologia Major,89; Tertullian, Apologeticum 39. Anstelle mit einer vollständigen Selbstentäußerung gaben sich die Diener des Evangeliums auch mit einem gemäßigten Anteil zufrieden; und in ihren wöchentlichen oder monatlichen Versammlungen gab jeder Gläubige je nach der Bedeutung des Anlasses, nach Maßgabe seiner Möglichkeiten und seiner Frömmigkeit sein freiwilliges Scherflein in die gemeinsame Kasse. Nichts, und sei es noch so gering, wurde zurückgewiesen; aber es wurde auch gerne und eindringlich darauf hingewiesen, dass das mosaische Gesetz immer noch Geltung besäße, insonderheit, was den Zehnten betraf; und dass ferner, wenn es schon den Juden unter einer minder guten Verfassung geboten sei, den Zehnten von allem ihrem Besitze abzuführen, es erst recht den Jüngern Christi wohl anstehe, sich durch höhere Freigebigkeit auszuzeichnen, Irenaeus ad Haereses 4,26 und 34. Origines in Numeri Homilia 2. Cyprian de Unitate Ecclesiae; Constitutiones Apostolorum 2,34 und 35, mit Cotelerius' Anmerkungen. Die constitutiones begründen diesen Grundsatz mit dem Hinweis, dass Priester so über die Könige wie die Seele über den Körper erhaben seien. Unter den abgabepflichtigen Artikeln werden genannt Getreide, Wein, Öl und Holz. Zu diesem interessanten Punkte konsultiere man Prideaux' History of Tithes und Fra Paolo delle Materie Beneficiarie; zwei höchst unterschiedliche Autoren. sich Verdienst zu erwerben durch Verzicht auf den überflüssigen Schatz, welcher doch ohnehin schon bald zusammen mit der Welt zugrunde gehen müsse. Dieselbe Auffassung war auch um das Jahr 1000 virulent und bewirkte Vergleichbares. Die meisten Schenkungen tragen das Motiv: › appropinquante mundi fine.‹ [Da das Ende der Welt herannaht]. S. Mosheim, Ecclesiastical History 1, p.457.

Es erübrigt sich wohl der Hinweis, dass die Einkünfte der einzelnen Kirchen, die aus so unsicheren und unsteten Quellen flossen, je nach Vermögenslage der Gläubigen stark geschwankt haben müssen und ob sie sich in entlegenen Dörfern oder großen Städten befanden. Zur Zeit des Kaisers Decius war es allgemeine Ansicht, dass die Christen Roms außerordentlich reich gewesen sein müssen; dass bei ihren Gottesdiensten goldene und silberne Gefäße benutzt würden; und dass viele ihrer Anhänger Haus und Hof verkauft hatten, den Reichtum ihrer Sekte zu mehren, auf Kosten allerdings ihrer unglücklichen Kinder, die unversehens zu Bettlern wurden, weil ihre Eltern Heilige waren. Tum summa cura est fratribus/(Ut sermo testatur loquax)/Offerre fundis venditis,/Sestertiorum millia./Addicta avorum praedia/Foedis sub auctionibus, /Successor exheres gemit,/Sanctis egens parentibus./Haec occuluntur abditis/ Ecclesiarum in angulis./Et summa pietas creditur/Nudare dulces liberos. [Dann ist der Brüder größte Sorge/(Wie geschwätzige Rede es bezeugt)/ nach dem Verkauf ihrer Ländereien/(der Kirche) tausend Sesterzen anzubieten./Sind die Ländereien der Vorväter/in üblen Versteigerungen/(der Kirche) zugeführt/seufzt darüber nun der enterbte Enkel,/verarmt durch seine frommen Eltern./Dies wird nun in entlegenen/ Winkeln der Kirche verborgen gehalten,/und es gilt als äußerst fromm/die süßen Kinder auszuplündern]. Prudentius, Peristephanon, Hymnus 2,73-84. – Das Verhalten des Diakons Laurentius erweist, dass man einen ganz eigenen Gebrauch von dem Reichtum der Kirche Roms zu machen verstand. Er war ohne Zweifel gewaltig; aber Fra Paolo (Trattato, c.3) übertreibt sichtlich mit der Annahme, dass die Nachfolger des Commodus genötigt waren, die Christen wegen ihrer oder der Prätorianerpräfekten Habgier zu verfolgen.

Wir sollten den Anschuldigungen von Fremden und Gegnern mit Misstrauen begegnen: in diesem Falle jedoch haben sie einige Wahrscheinlichkeit für sich aufgrund der zwei folgenden Aspekte, den einzigen, die uns bekannt sind, die konkrete Summen nennen und die uns somit eine konkrete Vorstellung geben. Etwa um diese Zeit sammelte nämlich der Bischof von Karthago von seiner Gemeinde, die bedeutend weniger begütert war als die von Rom, 100.000 Sesterzen (etwa 850.000 Pfund Sterling), als er zu Spenden aufrief, ihre Brüder aus Numidien auszulösen, welche von Wüstenräubern entführt worden waren. Cyprian, Epistulae 62. Etwa hundert Jahre vor der Regierungszeit des Decius hatte die Kirche in Rom eine einmalige Schenkung in Höhe von zweihunderttausend Sesterzen Tertullian, de praescriptione haereticorum 30. von einem Fremden aus dem Pontos erhalten, welcher beabsichtigte, sich in der Hauptstadt niederzulassen. Diese Spenden erfolgten fast immer gegen bar; darüber hinaus war die christliche Gemeinschaft weder willens noch gesonnen, sich übermäßig mit Grundbesitz zu beschweren. Es war durch verschiedene Gesetze festgelegt worden, – übrigens in derselben Absicht wie unsere Verbote der Überlassung an die Kirche – dass kein Grundeigentum ohne besonderes Privileg oder eine Sondergenehmigung des Kaisers oder des Senats Diocletian gab einen Erlass heraus, welcher lediglich eine Erklärung des alten Gesetzes war: Collegium, si nullo speciali privilegio subnixum sit, haereditatem capere non posse, dubium non est. [Eine Gemeinschaft kann auf keinen Fall, wenn sie sich nicht auf ein spezielles Privileg berufen kann, eine Erbschaft annehmen]. an Körperschaften verschenkt oder vererbt werden dürfe; welche Lizenz einer Sekte, die erst Objekt ihrer Verachtung und zuletzt der Furcht und des Neides war, ganz gewiss nur sehr selten erteilt wurde. Aus der Zeit des Alexander Severus kennen wir jedoch eine solche Transaktion, welche erweist, dass diese Einschränkungen zuweilen umgangen oder suspendiert wurden und dass ferner die Christen Land in der Nähe Roms besitzen durften. Das Grundstück war Staatseigentum gewesen; jetzt rauften sich die Christen und die Fleischerinnung darum. Der Fortschritt des Christentums und die gleichzeitige Unordnung der bürgerlichen Verhältnisse innerhalb des Reiches trugen das ihre dazu bei, dass die Gesetze immer laxer gehandhabt wurden und sich bereits vor Ende des dritten Jahrhunderts die wohlhabenden Kirchen Roms, Mailands, Karthagos, Antiochias, Alexandrias und die meisten Großstädte Italiens beträchtlichen Grundbesitzes erfreuten.

 

VERTEILUNG DER EINKÜNFTE

Der Bischof war der naturgegebene Schatzmeister seiner Kirche; ihr Vermögen wurde seiner Obsorge anvertraut, und Rechenschaft oder Kontrolle fanden nicht statt; die Presbyter blieben auf ihre geistlichen Ämter beschränkt, und die nachgeordneten Diakone waren mit der Verteilung und Verwaltung des Kircheneinnahmen befasst. Constitutiones Apostolorum 2,35. Wenn wir den feurigen Attacken des Cyprian glauben können, dann gab es in Afrika der Brüder gar zu viele, welche bei der Ausübung ihres Amtes sich nicht nur der christlichen, sondern überhaupt jeder Moral entschlugen. Einige dieser ungetreuen Rentmeister vertändelten die Schätze der Kirche mit sinnlichen Lustbarkeiten, andere betrieben zum Zweck der persönlichen Bereicherung Unterschleif, betrügerische Käufe oder sogar sittenwidrigen Wucher. Cyprian de Lapsis, p. 89 u. Epistulae 65. Im 19. U. 20. Kanon des Konzils von Illiberis wird diese Anklage bestätigt. Solang jedoch die Beiträge des Christenvolkes freiwillig waren, durfte der Vertauensmissbrauch einfach nicht häufig vorkommen, und im Allgemeinen bediente man sich der Spenden in einer Weise, die den Gemeinden Ehre machte. Ein kleiner Teil blieb dem Unterhalt des Bischofs und des Klerus vorbehalten, größere Anteile dienten den öffentlichen Gottesdiensten, von denen die Liebesmahle oder agapae, wie man sie nannte, den erfreulichsten Teil ausmachten. Der stattliche Rest war geheiligtes Eigentum der Armen. Nach dem Ermessen des Bischofs wurde er ausgeteilt, um die Witwen und Waisen, die lahmen, kranken und bejahrten Gemeindemitglieder zu unterstützen; um Fremde und Pilger zu stärken, und um Gefangenen ihr Los zu erleichtern, zumal wenn deren Leiden durch ihr aufrechtes Eintreten für ihre Religion verursacht worden war. Siehe die Apologien von Iustinus, Tertullian u.a. Noch die entlegensten Gemeinden waren in dieses allgemeine Netzwerk der tätigen Nächstenliebe einbezogen, und gerne unterstützten die wohlhabenden Gemeinden die weniger gesegneten. Der Reichtum der Römer und die noch ihren fernsten Glaubensbrüdern gegenüber praktizierte Freigebigkeit wurden von Dionysios von Korinth, (bei Eusebios, Historia 4, 23) dankbar vermerkt.

Diese Einrichtung, die nicht auf das Verdienst als vielmehr auf das Bedürfnis der Empfänger sah, trug ganz handfest zur Ausbreitung des Christentums bei. Die Heiden, die des Sinnes für das Humane durchaus nicht ermangelten, anerkannten die mildtätige Gesittung der neuen Sekte, auch wenn sie für die eigentliche Lehre nur Spott erübrigten. Julian (Epistulae 49) scheint sich daran geärgert zu haben, dass die Caritas der Christen sich nicht nur ihrer eigenen Armen, sondern auch noch der heidnischen annahm. Die Aussicht auf augenblickliche Hilfe und auf künftigen Schutz lockte viele jener Glücklosen in den bergenden Schoß dieser neuen Religion, denen die Gleichgültigkeit der Welt nur noch Not, Krankheit und ein freudloses Alter bereit hielt. Auch kann mit gutem Grund vermutet werden, dass viele Kleinkinder, welche nach dem unmenschlichen Brauche jener Zeiten von ihren Eltern ausgesetzt wurden, durch die christliche Frömmigkeit vor dem Tode errettet und anschließend getauft und auf Kosten der Gemeinde erzogen wurden. Dies war zumindest die löbliche Praxis der modernen Missionare unter vergleichbaren Zuständen. So wurden jährlich mehr als dreitausend Neugeborene in den Straßen von Peking ausgesetzt. Siehe Comte, Memoires und de Pauw, Recherches sur les Chinois et les Égyptiennes, Bd. 1, p.61.

 

EXKOMMUNIKATION DER SÜNDER...

II. Es ist das unbestrittene Recht einer jeden Gemeinschaft, aus seiner Mitte und von seinen Segnungen solche Angehörige auszuschließen, welche die allgemein anerkannten Regularien ablehnen oder vorsätzlich übertreten. In der Ausübung dieses Rechtes richtete die Kirche ihre Maßregeln vor allem gegen besonders üble Sünder, die des Mordes, des Betrugs oder der Unzucht schuldig waren; gegen die Urheber oder Anhänger ketzerischer Lehrmeinungen, die das bischöfliche Urteil bereits geächtet hatte; und gegen jene Verworfenen, welche sich, sei es vorsätzlich, sei es genötigt, nach ihrer Taufe irgendeiner Abgötterei schuldig gemacht hatten. Ein Kirchenbann (Exkommunikation) hatte äußerliche und geistliche Folgen: der Christ, über den sie verhängt wurde, war vom Abendmahl ausgeschlossen. Alle Bande der religiösen oder privaten Freundschaft waren zerschnitten; er war nur noch der Gegenstand des Abscheus für die, die er am meisten schätzte und von denen er vordem am zärtlichsten geliebt worden war; und soweit nach dem Ausschluss aus einer ehrenwerten Gemeinschaft auf seinen Ruf noch weitere Schande gehäuft werden konnte, begegnete man ihm allenthalben mit Argwohn, wenn man ihm nicht ganz aus dem Wege ging. Die Lage dieser Unglücklichen war für sich genommen schon beschämend und trübselig; aber wie es hierbei zu gehen pflegt, übertraf die Furcht noch das Leid. Der Sinn des Christentums war der Gewinn des ewigen Lebens, und sie konnten aus ihrem Gemüt nicht die grässliche Überzeugung verbannen, dass Gott gerade jenen Kirchenführern, die sie verurteilt hatten, die Schlüssel zum Paradies und zur Hölle anvertraut habe. Die Ketzer indessen, die durch das Bewusstsein ihrer hohen Ziele aufrecht erhalten werden mochten und durch die schmeichelhafte Hoffnung, dass ganz allein sie den Weg zum Heile gefunden hätten, unternahmen es, in ihren abgesonderten Versammlungen jene weltlichen und geistlichen Tröstungen zu suchen, welche sie von der großen Gemeinschaft der Christen nicht mehr erwarten konnten. Aber fast alle, welche, widerstrebend vielleicht, den Verlockungen des Lasters oder der Abgötterei unterlegen waren, waren sich ihrer Lage schmerzlich bewusst und ängstlich besorgt, wieder zu den Segnungen der christlichen Gemeinde zugelassen zu werden.

 

...UND IHRE WIEDERAUFNAHME

Was nun die Behandlung solcher Büßer betrifft, so gab es in der frühen Kirche zwei widersprüchliche Auffassungen, die des Rechtes und die der Gnade. Die Kasuisten, streng und unbeugsam, weigerten ihnen für alle Zeiten und ohne Ausnahme auch den geringsten Platz in der Gemeinde der Heiligen, die jene besudelt oder verlassen hatten, überließen sie ihren Gewissensqualen und gönnten ihnen nur den einzigen schwachen Hoffnungsstrahl, dass nämlich ihre Zerknirschung zu Lebzeiten im Sterben der höchsten Gottheit erfreulich sein möchte. Die Montanisten und Novatianer, die dieser Auffassung mit besonderer Strenge und Verbissenheit anhingen, fanden sich am Ende selbst unter den exkommunizierten Ketzern wieder. Siehe den gelehrten und materialreichen Mosheim, Ecclesiastical History, über das II. und III. Jh. Zu einer in Theorie und Praxis milderen Gesinnung bekannten sich andere christliche Kirchengemeinden, und es waren dieses die redlichsten und achtbarsten. Dionysios von Korinth, bei Eusebios, Historia 4,23 und Cyprian, de lapsis. Dem reuigen Sünder blieben die Pforten zur Wiederversöhnung und zum Himmel selten für immer verschlossen, aber eine streng-feierliche Bußübung wurde gleichwohl eingeführt, geeignet, sein Vergehen zu sühnen und zugleich auf Nachahmer abschreckend zu wirken. Gedemütigt durch sein öffentliches Bekenntnis, verzehrt durch ausführliches Fasten, gekleidet in Sack und Asche, so lag der Sünder vor der Versammlungstür hingestreckt auf den Boden, erflehte, von Tränen blind, die Verzeihung für seine Vergehen und bat die Gläubigen, für ihn zu beten. Cave, Primitive Christianity, Teil 3, c.5. Band. Einige Bewunderer der Antike bedauern, dass solche öffentlichen Bußübungen mittlerweile abgeschafft sind.

War das Verbrechen besonders abscheulich, wurden sogar Jahre der Buße für angemessen gehalten, die göttliche Gerechtigkeit zu versöhnen; und stets erfolgte die Wiederaufnahme des Ketzers, Häretikers oder Apostaten in den Schoß der Kirche auf langsame, schmerzhafte und fein abgestufte Weise. Eine Exkommunikation auf Lebenszeit wurde nur bei besonders schweren Verbrechen verhängt, etwa gegen jene unbegreiflichen Rückfallsünder, die schon einmal die Milde ihrer Kirchenoberen erfahren und dann wieder missbraucht hatten. Je nach den Umständen der Tat oder der Zahl der Schuldigen konnte auf Veranlassung des Bischofs die christliche Kirchendisziplin auch abgewandelt werden. Die Konzilien von Ankara und Illiberis wurden etwa zeitgleich abgehalten, das eine in Galatien, das andere in Spanien; aber ihre Beschlüsse, die uns überliefert sind, atmen einen ganz verschiedenartigen Geist. Der Galater, der nach seiner Taufe wiederholt seinen Götzen geopfert hatte, durfte nach siebenjähriger Buße auf Gnade hoffen, und ward nur drei weitere Jahre ausgeschlossen, falls er jemanden zur Nachahmung verführt hatte. Anders der unglückselige Spanier, der desselben Verbrechens für schuldig befinden wurde; er musste alle Hoffnung auf Vergebung fahren lassen, selbst noch, als er im Sterben lag. Sein Götzendienst führte eine Liste von siebzehn anderen Verbrechen an, gegen welche nicht minder schreckliche Strafen angedroht waren. Unter diesen entdecken wir die unentschuldbare Sünde wie etwa die Verunglimpfung eines Bischofs, eines Presbyter, gar eines Diakons. Siehe bei Dupin, Bibliothèque ecclésiastique, Band 2 p.304-313. Vergleiche hierzu die knappe, aber durchdachte Übersicht Dupins über die Kanons jener Konzilien, welche in einer Zeit der Ruhe nach den Verfolgungen Diocletians abgehalten wurden. In Spanien waren diese Nachstellungen weniger streng gewesen als in Galatien. Möglicherweise hat dieser Unterschied auch die andersartigen Konzilsbeschlüsse bewirkt.

 

RANG DER BISCHÖFLICHEN REGIERUNG

Diese feinberechnete Mischung aus Strenge und Nachsicht, die wohlüberlegte Verhängung von Strafen und Belohnungen, welche Maßnahmen sich durchaus im Einklang mit den Grundsätzen der Klugheit und der Gerechtigkeit befanden: dies machte die menschliche Stärke der Kirche aus. Die Bischöfe nun, väterlich besorgt um die Regierung in beiden Welten, waren sich dieser ihrer Vorrechte durchaus bewusst und, schicklich ihren Ehrgeiz mit dem Mäntelchen der Ordnungsliebe behängend, erwehrten sie sich bei der Ausübung ihres Amtes mit Eifersucht eines jeden Rivalen, war es doch unabdingbar, die Auflösung der Scharen zu verhindern, welche sich einst unter dem Kreuzesbanner gesammelt hatten und noch täglich sammelten. Aus den gebieterischen Verlautbarungen eines Cyprian könnten wir ungezwungen folgern, dass die Religion in ihrem Wesenskern aus Exkommunikation und Buße bestehe; und dass es für einen Bekenner Christi weitaus ungefährlicher sei, seine moralischen Verpflichtungen zu vernachlässigen als den Tadel und die Autorität seines Bischofs gering zu achten. Bisweilen meinen wir sogar die Stimme Moses zu vernehmen, wenn er der Erde gebietet sich aufzutun, mit verzehrenden Flammen die unbotmäßige Rotte zu verschlingen, die der Priesterschaft des Aaron den Gehorsam aufgekündigt hat; ja, wir glauben manchmal sogar, einen römischen Konsul zu hören, der mit Donnerstimme die Majestät der Republik behauptet und zugleich seinen unbeugsamen Willen bekundet, das Gesetz in seiner ganzen Strenge durchzusetzen. ›Wenn derlei Abweichungen straflos geduldet werden (so schilt Karthagos Bischof die versöhnliche Gesinnung seiner Berufskollegen), wenn derlei Abweichungen geduldet werden, so ist der BISCHÖFLICHEN MACHT ein Ende gesetzt, Cyprian, Epistulae 59. seiner erhabenen und gottgewollten Oberhoheit über die Kirche ist ein Ende gesetzt, ja dem Christentum selbst.‹ Cyprian hatte alle weltlichen Ehrenstellen verachtet, die er vermutlich auch niemals innegehabt hätte; aber die unumschränkte Herrschaft über Verstand und Gemüt einer Gemeinde zu erlangen, und sei diese in der Welt noch so verachtet und gering, dies ist dem Menschenherzen schmeichelhafter als jede noch so absolute politische Macht, die einem widerspenstigen Volke durch Waffengewalt aufgezwungen wird.

 

ZUSAMMENFASSUNG SCHWÄCHE DES POLYTHEISMUS

Im Verlaufe dieser wichtigen, wenn auch möglicherweise langatmigen Untersuchungen war ich bemüht, die Nebengründe zu kennzeichnen, welche der Wahrheit der christlichen Religion so förderlich gewesen sind. Wenn wir unter diesen Gründen auch manche schmückende Artefakte ausgemacht haben, zufällige Umstände oder irgendwelches Gemenge aus Irrtum und Schwärmerei, so darf uns dies nicht befremden, sind doch die Menschen für diejenigen Ablenkungen besonders empfänglich, die am besten zu ihrer unzulänglichen Natur passen. Diese Gründe waren es, die, religiösen Eifer ausgenommen, das Christentum so erfolgreich im römischen Reich verbreiten halfen: die unmittelbare Erwartung einer anderen Welt; der Anspruch, Wunder zu wirken; die strenge Tugend; und die Struktur der Urkirche. Dem erstgenannten Grunde hatten die Christen ihre unüberwindliche Glaubensstärke zu danken, so dass sie es verschmähen konnten, mit einem Feinde zu unterhandeln, den zu zermalmen sie entschlossen waren. Die drei weiteren Gründe versahen ihre Glaubensstärke mit den fürchterlichsten Waffen. Der letztgenannte Grund endlich einte ihren Mut und verlieh ihren Anstrengungen jene unwiderstehliche Durchschlagskraft, welche selbst eine kleine Gruppe von wohlausgebildeten und kühnentschlossenen Freiwilligen in die Lage versetzt, über eine Masse zu obsiegen, welcher der Kriegsgrund unbekannt und der Ausgang gleichgültig ist.

Innerhalb all' der vielen unterschiedlichen polytheistischen Religionen gab es lediglich einige fanatische ägyptische und syrische Wanderpriester, welche sich des unschuldigen populären Aberglaubens annahmen; somit waren sie vermutlich die einzigen aus der Priesterkaste, Die Ränke, Laster und sonstigen Aufführungen der syrischen Priester werden von Apuleius im achten Buch seiner Metamorphosen äußerst humorvoll beschrieben. die ihren Lebensunterhalt und ihre Reputation aus ihrem geistlichen Gewerbe bezogen und an der Sicherheit und am Wohlergehen ihrer Titulargottheiten näheren Anteil nahmen. Die eigentlichen Diener des Polytheismus waren in Rom und in den Provinzen Männer von Stand, stark vermögend, die die Obhut für einen berühmten Tempel als eine Art Ehrenamt übernahmen, die, oftmals auf eigene Kosten, heilige Spiele Das Amt des Asiarchen ist von dieser Art und wird von Aristides und in den Inschriften sehr häufig erwähnt. Es war ein durch Wahl zu besetzendes Jahresamt. Nur die einfältigsten Bürger strebten nach dieser Ehre, und nur die reichsten konnten sie sich leisten. Siehe in den Patres Apostolici, Band 2, p. 200, mit welchem Gleichmut der Asiarch sich beim Märtyrertod des Polykarp verhält. Es gab auch Bithyniarchen, Lykiarchen &c. ausrichteten und die die hergebrachten Rituale mit kaltem Gleichmut verrichteten, auf dass dem Brauch und dem Gesetz des Landes Genüge geschähe. Da sie auch sonst mit den Dingen des täglichen Lebens befasst waren, blieb ihr religiöser Eifer reserviert und von den Gepflogenheiten der geistlichen Zunft unbeeindruckt. Beschränkt auf ihren jeweiligen Tempelbezirk, blieben sie von Fragen der Disziplin oder Verwaltung unberührt; und solange sie die oberste Gerichtsbarkeit des Senates, des Pontifikalkollegiums oder des Kaisers anerkannten, begnügten sich jene zivilen Magistrate mit dem dankbaren Geschäft, die Menschheit in Ruhe und Frieden ihren Kultus ausüben zu lassen. Wir haben bereits gesehen, wie buntscheckig, austauschbar und diffus die religiösen Empfindungen der Polytheisten waren; man überließ sich zwanglos dem Wirken einer abergläubischen Phantasie. Ihre zufälligen Lebensumstände bestimmten den Gegenstand und die Tiefe ihrer Verehrung; und da sie eine ganze Heerschar von Göttern anbeteten, ist es schwerlich vorstellbar, dass sie für einen einzigen eine besonders aufrichtige oder lebhafte Zuneigung empfunden hätten.

 

BEDÜRFNIS NACH GLAUBEN

Als nun das Christentum in der Welt erschien, hatten selbst diese schwachen und unbefriedigenden Ideen ihre ursprüngliche Wirkmächtigkeit verloren. Menschenwitz, welcher, auf sich allein gestellt, zur Einsicht in die Geheimnisse des Glaubens unfähig ist, hatte über die Torheiten des Heidentums bereits einen leichten Sieg errungen; und als Tertullian oder Lactantius daran gingen, seine Ungereimtheiten und Übertreibungen darzutun, mussten sie sich lediglich der Beredsamkeit eines Cicero oder des Witzes eine Lukian bedienen. Die Zahl der von diesem skeptischen Schrifttum Infizierten ging weit über die der eigentlichen Leser hinaus. Der Trend zum Unglauben ergriff vom Philosophen ebenso Besitz wie vom Lebemann, vom adligen und vom Manne des Volkes, vom Herren und von seinem Aufwärter bei Tische, welcher gering geachtete Sklave entzückt den freien Gesprächen an seiner Tafel lauschte. In der Öffentlichkeit verfehlte der philosophisch veranlagte Teil der Menschheit nicht, den religiösen Einrichtungen seines Heimatlandes mit gebührender Andacht zu begegnen; aber durch diesen dünnen Schleier des Anstandes schimmerte die Verachtung; und selbst das Volk erfüllte Zweifel an seinen liebsten Glaubenswahrheiten, als es entdecken musste, dass seine Gottheiten ausgerechnet von denjenigen abgelehnt, ja verspottet wurden, deren Stellung und Meinung man bis dahin respektiert hatte.

Die Auflösung des hergebrachten Götterglaubens stürzte nun viele Menschen in eine schmerzliche und unbehagliche Situation. Der Schwebezustand des Skeptizismus mag ja für ein paar neugierige Gemüter unterhaltsam sein. Aber für die Mehrheit ist praktizierter Aberglaube so unentbehrlich, dass sie auch dann, wenn man sie gewaltsam wachgerüttelt hat, den Verlust ihrer süßen Trugbilder beweint. Ihr Interesse am Wunderbaren und Übernatürlichen, ihre Neugierde auf Zukünftiges und ihre starke Bereitschaft, ihre Hoffnungen und Ängste über die Grenzen der sichtbaren Welt auszudehnen: dies waren die Säulen, die den Polytheismus trugen. Und so stark ist das Bedürfnis nach irgendeinem Glauben, dass der Einsturz eines Mythengebäudes nachgerade zwangsläufig die Einführung eines anderen Aberglaubens zur Folge hat. So hätten denn einige jüngere, unverbrauchte Gottheiten in die verlassenen Tempel von Jupiter oder Apollo einziehen können, wenn nicht die Vorsehung im entscheidenden Augenblick für eine wirkliche Offenbarung gesorgt hätte, welche rationale Wertschätzung einflößen konnte und zudem Attribute vorwies, die die Neugierde, die Verehrung und das Staunen der Welt aufrufen konnten. In ihrer augenblicklichen Lage kehrten sich viele von ihren erkünstelten Vorurteilen ab und waren zugleich empfänglich für fromme Glaubensnachfolge, ja, sie verlangten sogar danach; den leeren Platz in ihrem Herzen hätte sogar ein Gegenstand von geringerer Würde einnehmen können, dies unbestimmte Verlangen zu stillen.

Wer diesen Überlegungen bis hierher folgen kann, wird sich, anstelle über den raschen Fortschritt des Christentums zu staunen, höchstens noch verwundern, dass sein Erfolg nicht viel schneller und umfassender gewesen ist.

 

RÖMISCHE HERRSCHAFT BAHNT DEM CHRISTENTUM DEN WEG

Man hat die zutreffende Beobachtung gemacht, dass die römischen Eroberungen der Ausbreitung des Christentums förderlich waren. Im zweiten Kapitel dieses Werkes haben wir darzulegen unternommen, auf welche Weise die kultiviertesten Provinzen Europas, Asiens und Afrikas unter der Herrschaft eines Souveräns geeint wurden und mit der Zeit durch das gemeinsame Band von Gesetz, Sitte und Sprache zusammen fanden. Die Juden Palästinas, die so sehnsüchtig einen Erlöser erwarteten, nahmen die Wunder des göttlichen Propheten mit soviel Kälte auf, dass man es sogar für überflüssig hielt, ein Evangelium in hebräischer Sprache zu veröffentlichen Moderne Forscher neigen nicht zu der von den Kirchenvätern einhellig geäußerten Ansicht, dass Matthaeus ein hebräisches Evangelium verfasst habe, von dem nur noch die griechische Übersetzung existiere. Allerdings scheint es gefährlich zu sein, dieser Auffassung zu widersprchen. oder doch wenigstens zu verwahren. Die ursprünglichen Aufzeichnungen der Werke Christi wurden in griechischer Sprache verfasst, in einiger Entfernung von Jerusalem und erst, nachdem die Zahl der bekehrten Heiden nicht mehr zu übersehen war. Unter der Herrschaft Neros und Domitians und in den Städten Alexandria, Antiochia, Rom und Ephesus. S. Mill, Prologemena ad Novum Testamentum und Dr. Lardners schöne und umfangreiche Sammlung, Band 15. Sobald diese Texte auch ins Lateinische übersetzt worden waren, konnten alle römischen Untertanen sie von Anfang bis Ende verstehen, ausgenommen die Bauern Syriens und Ägyptens, für die dann später eigene Übersetzungen veranstaltet wurden. Die römischen Heerstraßen, bestimmt für die Legionen, eröffnete auch den christlichen Missionaren ein bequemes Vorwärtskommen von Damaskus nach Korinth, oder von Italien bis ins äußerste Spanien oder Britannien; auch wurden jene geistlichen Eroberer nicht durch jene Hindernisse aufgehalten, welche die Einführung einer fremden Religion in fremdem Land üblicherweise erschweren oder sogar verhindern. Wir haben starke Gründe zu der Annahme, dass noch vor der Regierung eines Diocletian oder Constantin der christliche Glaube in jeder Provinz und in allen Großstädten des Reiches gepredigt wurde; allerdings liegen die Gründungsgeschichten der einzelnen Gemeinden, die Zahl der Gläubigen und ihr Verhältnis zu der Masse der Ungläubigen im Dunkel verschüttet oder sind von Legenden und Rhetorik entstellt. Dennoch wollen wir fortfahren, diese wenn auch unvollständigen Nachrichten in ihrer überlieferten Form mitzuteilen, wie sie uns vom Fortschritt des christlichen Namens in Asien, in Griechenland, in Ägypten, in Italien und im Westen künden, und dabei auch nicht die wirklichen oder fingierten Erwerbungen vergessen, die sogar schon jenseits der Grenzen des Imperiums lagen.

 

WACHSTUM DES CHRISTENTUMS IM OSTEN

Die wohlhabenden Provinzen zwischen Euphrat und Ionischem Meer waren die erste und wichtigste Schaubühnen, auf welchen der Apostel der Heiden seinen Glaubenseifer und seine Frömmigkeit entfaltete. Er hatte die Saat des Evangeliums auf fruchtbaren Boden gesät, und seine Schüler waren eifrig, sie zu pflegen; und während der ersten beiden Jahrhunderte, so scheint es, waren hier die meisten Christengemeinden anzutreffen. Unter denen, die in Syrien gestiftet wurden, waren Damaskus, Beröa, Aleppo und Antiochia die berühmtesten. Das prophetische Einleitungskapitel der Apokalypse hat in Asien ihrer sieben beschrieben und sie so unsterblich gemacht: Ephesos, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Die Alogianer (Epiphanios, Panarion 5) diskutierten die Echtheit der Apokalypse, weil die Kirche von Thyatira damals noch nicht gegründet war. Epiphanios räumt diese Schwierigkeit zwar ein, entzieht sich ihr aber durch die ingeniöse Annahme, Johannes habe im Geiste der Prophezeiung gesprochenes. Abauzit, Discours sur l'Apocalypse. Sardes, Laodicea und Philadelphia; und schon bald fanden sich Pflanzungen im ganzen Lande. Auch in Kreta und Zypern, Thrakien und Makedonien fand die neue Religion schon sehr früh günstige Aufnahme, und christliche Republiken wurden bald auch in Korinth, Sparta und Athen gegründet. Die Episteln von Ignatius und Dionysius (Eusebios, Historia 4,23) nennen viele Kirchen in Asien und Griechenland. Die von Athen scheint als eine der letzten erblüht zu sein. Das hohe Alter der griechischen und asiatischen Kirchen gewährte ihnen hinreichend Zeit zum Wachstum und zur Ausbreitung, und selbst die zahlreichen Gnostiker und Ketzer weisen auf den blühenden Zustand der Kirchen hin, wird doch das Etikett Ketzer immer der abweichenden Minderheit angeheftet.

Diesen hauseigenen Zeugnissen wollen wir noch die Geständnisse, Klagen und Sorgen der Heiden selbst gegenüberstellen. So entnehmen wir den Schriften Lukians, eines Philosophen, der die Menschen kannte und ihr Gebaren in den schönsten Farben schildert, dass unter der Regentschaft des Commodus sein Heimatland Pontus mit Christen Lukianos, Alexander 25. Das Christentum dann muss allerdings sehr ungleich über den Pontus verteilt gewesen sein; denn in der Mitte des III Jh. wurden in der ausgedehnten Diözese von Neu-Cäsarea nicht mehr als siebzehn gläubige Christen gezählt. S. Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 4, p. 675, nach Basileios und Gregorios von Nyssa, die selbst aus Kappadokien stammten. und Epikuraeern verstopft war. Achtzig Jahre nach dem Tode Christi beklagt der humane Plinius das anwachsende Übel, das zu bekämpfen er umsonst bemüht ist. Nach antiker Rechnung starb Jesus im Jahr 29 unserer Rechnung unter dem Konsulat der beiden Gemini. Plinius selbst hielt sich (entsprechend den Angaben von Pagus) im Jahre 110 in Bithynien auf. In einem äußerst aufschlussreichen Brief an Kaiser Trajan meldet er, dass die Tempel nahezu leer ständen, die heiligen Opfertiere kaum Käufer fänden und der neue Aberglaube nicht nur die Städte angesteckt habe, sondern sich bereits bis in die Dörfer und das flache Land von Pontus und Bithynien ausbreite. Plinius, Epistulae 10,96.

 

DIE KIRCHE VON ANTIOCHIA VERHÄLTNISSE IN ÄGYPTEN

Ohne nun die Ausdrucksweise und die Gesinnung jener Autoren einer detaillierten Kritik zu unterziehen, welche den Sieg des Christentums im Osten beweinen oder feiern, soll hier doch die allgemeine Anmerkung gestattet sein, dass keiner von ihnen uns eine solide Grundlage hinterlassen hat, von der ausgehend wir die tatsächliche Zahl der Gläubigen jener Gemeinden abzuschätzen in der Lage sind. Ein Umstand ist uns zum Glück bekannt, der auf diesen wichtigen, aber dunklen Gegenstand etwas Licht wirft. Nachdem das Christentum mehr als sechzig Jahre in der kaiserlichen Gnadensonne gediehen war, lebten unter der Regentschaft des Kaisers Theodosius in der altberühmten Gemeinde von Antiochia mehr als einhunderttausend Personen, von denen dreitausend aus öffentlichen Mitteln unterhalten wurden. Chrysostomos, Opera Band 7, p. 658 und 810. Der Glanz und die Würde dieser Königin des Ostens, die bekannte Bevölkerungszahl von Caesarea, Seleucia, und Alexandria; der Tod von zweihundertundfünfzigtausend Menschen durch ein Erdbeben, welches Antiochia unter Justinian John Malada, Band 2, p.420, zieht dieselben Folgerungen hinsichtlich der Bevölkerungszahl von Antiochia. dem Älteren heimsuchte: dies sind so viele überzeugende Beweise dafür, dass ihre Gesamtzahl nicht weniger als eine halbe Million betrug und dass die Christen, wie sehr auch Eifer und Macht sie vervielfältigt hatten, den fünften Teil dieser Großstadt nicht überstiegen.

Welche unterschiedlichen Verhältnisse müssen wir nun annehmen, wenn wir die verfolgte und die triumphierende Kirche miteinander vergleichen, den Westen mit dem Osten, entlegene Dörfer mit Großstädten, und jüngst bekehrte Länder mit solchen, die sich schon seit langer Zeit christlich nannten! Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass in einem anderen Abschnitt Chrysostomos, dem wir diese hilfreichen Angaben verdanken, die Zahl der Gläubigen noch höher veranschlagt als die der Juden und Heiden. Chrysostomos, Opera Band 1, p.592. Ich habe diese Stelle, wenn auch nicht das Fazit, dem gelehrten Dr. Lardner zu danken. (Credibility of the Gospel History, Band 12, p.370.) Aber die Lösung dieser unverkennbaren Schwierigkeit ist leicht und offenkundig. Der redegewaltige Priester zieht eine Parallele zwischen der staatlichen und der kirchlichen Verfassung von Antiochia; zwischen der Liste der Christen, die sich den Himmel durch die Taufe erworben haben und der Liste der Bürger, welche ein Anrecht auf die öffentliche Wohlfahrt hatten. Sklaven, Fremde und Kinder waren in dem erstgenannten Register mit enthalten, sind im zweiten aber nicht mitgezählt.

Der weltweite Handel Alexandrias und seine Nähe zu Palästina bahnten der neuen Religion rasch den Weg. Zuerst ließ sich hier eine große Anzahl von Therapeuten oder Essenern vom Mareotissee nieder, eine jüdische Sekte, die die Ehrfurcht vor dem mosaischen Gesetz abgelegt hatte. Der strenge Lebenswandel der Essener, ihre Fasten und Exkommunikationen, die Gütergemeinschaft, die Vorliebe für die Ehelosigkeit, ihr Streben nach dem Märtyrertod und schließlich die Aufrichtigkeit, wenn auch nicht eben die Reinheit ihres Glaubens: dies alles entwarf ein lebendiges Bild einer strengen Kirchenzucht. Basnage hat mit kritischer Genauigkeit den lesenswerten Essay von Philo über die Essener untersucht. Durch den Nachweis, dass er bereits unter Augustus entstanden ist, hat Basnage gegen Eusebius und eine ganze Schar moderner Katholiken zeigen können, dass sie weder Christen noch Mönche waren. Es ist deshalb immer noch wahrscheinlich, dass sie ihren Namen, aber nicht ihre Sitten geändert hatten, einige neue Glaubensartikel annahmen und allmählich die Väter der ägyptischen Asketen wurden. Es war wohl auch die Schule von Alexandria, in welcher das Christentum so etwas wie eine geordnete und theologische Form erhielt; und als dann Hadrian Ägypten besuchte, traf er eine Kirche aus Juden und Griechen an, welche bedeutend genug war, die Neugier dieses wissbegierigen Herrschers zu erregen. Siehe einen Brief Hadrians in der Historia Augusta, Saturninus 8,1. Aber die Fortschritte des Christentums blieben für lange auf diese einzige Stadt beschränkt, welche darüber hinaus selbst eine fremde Kolonie war, und bis zum Ende des dritten Jahrhunderts blieben die Vorgänger des Demetrios die einzigen Prälaten Ägyptens. Drei Bischöfe weihte Demetrius' Hand, zwanzig sein Nachfolger Heraclas. Über die Chronologie der Bischöfe von Alexandria ziehe man Renaudot, Historia Patriarchum, p.24 zu Rate. Diese merkwürdige Tatsache überliefert uns der Patriarch Eutychius (Contextio, 1, p. 334), und ihre innere Glaubwürdigkeit allein sollte eine ausreichende Antwort auf alle Einwände sein, welche Bischof Pearnos in den Vindiciae Ignatianae vorbringt. Die Masse der Landeskinder, berüchtigt wegen ihrer Renitenz, Ammianus Marcellinus 22,16. nahm die neue Lehre mit Herzenskühle und Widerwillen an, und noch zu Origines' Zeiten traf man nur selten einen Ägypter, welcher seine festverwurzelten Vorurteile überwunden hätte, Origines, Contra Celsum 1, p.40. die er für das heilige Getier seines Landes hegte. Sobald jedoch das Christentum sich durchgesetzt hatte, passte sich der Glaubenseifer dieser Barbaren den vorherrschenden Strömungen an, es füllten sich die Städte Ägyptens mit Bischöfen, und die Wüsten Thebens mit Eremiten auf der Suche nach Einsamkeit.

 

KIRCHENVERHÄLTNISSE IN ROM

Ein unabsehbarer Strom von Fremden und Provinzlern sammelte sich in Rom, dem großen Auffangbecken. Was fremd war oder verhasst, wer schuldig war oder verdächtig, der mochte hoffen, im riesigen Dunkel der Hauptstadt dem Auge des Gesetzes zu entgehen. Bei einem so vielfältigen Zusammenfluss der Nationen konnte jeder Lehrer der Wahrheit oder der Lüge, jeder Stifter einer tugendseligen oder kriminellen Vereinigung seine Schüler oder Komplizen mit Leichtigkeit vermehren. Die Christen in Rom Bei Tacitus, Ann. 15,44 heißt es ›Multitudo ingens‹ [Eine ungeheure Menge]. waren nach Darstellung des Tacitus zum Zeitpunkt ihrer ersten Verfolgung durch Nero bereits recht zahlenstark, und der Sprachduktus dieses großen Historikers gleicht etwa dem, den Livius anschlägt, als er über die Einführung und Unterdrückung des Bacchuskultes berichtet. Nachdem die Bacchanalen erst einmal die Strenge des Senates aufgerufen hatten, stand zu besorgen, dass eine große Masse, gleichsam ein anderes Volk, in diese abscheulichen Mysterien eingeweiht sein möchte. Es waren indessen nicht mehr als siebentausend fehlgegangen, wie eine nachfolgende sorgfältige Untersuchung ergab, als Gegenstand der öffentlichen Rechtspflege allerdings eine erschreckend hohe Zahl. Livius 39,13 und 15-17. Unüberbietbar waren das Entsetzen und die Abscheu des Senates, als die Bacchanalen entdeckt wurden; Livius beschreibt deren Exzesse und möglicherweise übertreibt er dabei. Einen ähnlichen Maßstab sollten wir an die unbestimmte Ausdrucksweise des Tacitus – und in einem früheren Falle an die des Plinius – anlegen, wenn sie die Unmassen der verführten Schwärmer übertreiben, welche die rechte Verehrung der Staatsgötter aufgegeben hatten. Die Kirche Roms war unbestritten die erste und größte des Reiches; und wir besitzen ein authentisches Dokument, welches den Zustand der Religion in dieser Stadt in der Mitte des dritten Jahrhunderts nach achtunddreißig Jahren Friedenszeit bezeugt. Der Klerus jener Zeit bestand aus einem Bischof, sechsundvierzig Priestern, sieben Diakonen, ebenso vielen Subdiakonen, zweiundvierzig Akolythen und fünfzig Lektoren, Exorzisten und Türstehern. Die Zahl der Witwen, Kranken und Armen, die die Milde der Gläubigen unterstützte, betrug fünfzehnhundert; Eusebios, Historia 6,43. Der lateinische Übersetzer, Herr de Valois, hielt es für nötig, die Zahl der Presbyter auf 44 zu verringern. Vernunftgründe und der Analogieschluss mit Antiochia erlauben uns die Folgerung, dass es in Rom etwa fünfzehntausend Christen gab. Mit Genauigkeit kann die Bevölkerungszahl dieser Stadt nicht ermittelt werden; aber auch die zurückhaltendste Berechnung kann sie gewiss nicht unter eine Million Einwohner herabsetzen, von denen die Christen bestenfalls den zwanzigsten Teil bilden mochten. Das Zahlenverhältnis der Presbyter und Armen gegenüber dem Rest der Bevölkerung wurde zuerst von Burnet (travels into Italy, p. 168) bestimmt und dann von Moyle (Works, Band 2, p. 151) bestätigt. Da beide den betreffenden Abschnitt aus Chrysostomos nicht kannten, wird aus ihrer Konjektur fast eine gesicherte Tatsache.

 

AFRIKA UND DIE WESTLICHEN PROVINZEN

Die Einwohner der Provinzen des Westens scheinen ihre Kenntnisse des Christentums aus denselben Quellen geschöpft zu haben, aus welcher sie auch Sprache, Sitte und Gesinnung Roms empfingen. Afrika und Gallien richteten sich in diesen wichtigeren Punkten nach dem Vorbild der Hauptstadt. Aber trotz der vielen günstigen Gelegenheiten, welche die Missionare Roms einladen mochten, ihre lateinischen Provinzen aufzusuchen, überquerten sie die Alpen oder das Meer ›Serius trans Alpes, religione Dei suscepta.‹ [Jenseits der Alpen wurde der Gottesglaube erst spät angenommen.] Sulpicius Severus, Historia Sacra 1,2. Was Afrika angeht, siehe Tertullian Ad Scapulam 3. Nach der Aussage der Donatisten, deren Zeugnis stillschweigend von Augustin bekräftigt wird, war Afrika die letzte Provinz, in welcher das Evangelium gepredigt wurde. erst sehr spät; wir können in jenen großen Provinzen keine Spuren von Bekehrung oder Verfolgung ausmachen, welche weiter hinabreicht als bis in die Zeit der Antonine. ›Tum prima intra Gallias martyria visa.‹ [Damals erlebte man in Gallien zum ersten Male Märtyrer.] Sulpicius Severus, Historia Sacra 32,1. Man vermutet, dass die skyllitischen Märtyrer die ersten waren (Acta sincera p.34). Einer der Gegner des Apuleius scheint ein Christ gewesen zu sein. (Apologia. Opera, Band 1, p. 496f).

Das schleppende Vorankommen des Evangeliums im kühlen Klima Galliens steht in einem deutlichen Gegensatz zu der Begierde, mit der es in Afrikas heißen Sandwüsten angenommen worden zu sein scheint. Die Christen Afrikas bildeten auch bald einen der Hauptstützen der jungen Kirche. Es lebte in dieser Provinz der Brauch, Bischöfe für unscheinbare Städte, bisweilen sogar für kümmerliche Dörfer zu ernennen und so den Glanz und den Einfluss dieser Gemeinden zu heben, welche dann im dritten Jahrhundert durch Tertullians Eifer geistig belebt, durch Cyprians Geschick regiert und durch Lactantius' Eloquenz ausgeschmückt wurden. Betrachten wir dahingegen die Verhältnisse in Gallien, dann müssen wir, etwa für die Zeit eines Marcus Aurelius, damit zufrieden sein, wenn wir wenigsten die schwächlichen und vereinigten Gemeinden von Lyon und Vienna entdecken können; und noch in der späten Regentschaft des Decius, so wird uns versichert, gab es nur in wenigen Städten einige zerstreute Kirchen, welche durch eine kleine Schar von Gläubigen erhalten wurden, etwa in Arles, Narbonne, Toulouse, Limoges, Clermont, Tours und Paris. ›Rarae in aliquibus civitatibus ecclesiae, paucorum Christianorum devotione, resurgerent.‹ [Nur einige Kirchen mit wenigen bekennenden Christen in dieser und jener Stadt erhoben sich wieder]. Acta Sincera, p. 130. Gregor von Tours,1,28. Mosheim, De rebus Christianiorum, p. 207, 449. Es spricht einiges dafür, dass zu Beginn des IV. Jahrhunderts die großen Diözesen von Lüttich, Trier und Köln ein einziges Bistum bildeten, welches kurz zuvor gestiftet war. Vergleiche hierzu die Mémoires de Tillemont, Band 6, Teil 1, p.43 und 411.

Schweigen steht zur Andacht in keinem Widerspruch, aber da es mit religiösem Eifer nur selten zusammenpasst, so mögen wir den lauen Zustand des Christentums in jenen Provinzen, die schon längst die keltische gegen die lateinische Sprache getauscht hatten, zur Kenntnis nehmen und uns darüber beklagen, dass sie innerhalb von drei Jahrhunderten nicht einen einzigen Kirchenschriftsteller hervorgebracht hatten. Von Gallien aus, welches in punkto Gelehrsamkeit und Autorität zu Recht den Spitzenplatz in allen Ländern diesseits der Alpen für sich reklamierte, strahlte das Licht des Evangeliums auf die entlegenen Provinzen Spaniens und Britanniens noch matter, und wenn wir denn Tertullians heftigen Erklärungen glauben können, dann hatten diese die Morgenröte des Glaubens bereits empfangen, als er noch seine Verteidigungsschrift an die Beamten des Kaisers Severus abfasste. Das Entstehungsdatum von Tertullians Apologie datiert Mosheim in einer Abhandlung auf das Jahr 198. Aber der Ursprung der westlichen Kirchen liegt weitgehend im Dunkeln und ist so sorglos und nachlässig aufgezeichnet worden, dass wir, wollten wir Zeit und Ort ihrer Stiftung mitteilen, auf die müßigen Märchen zurückgreifen müssten, welche lange Zeit danach der Aberglauben und die Prahlsucht den Mönchen im trüben Dunkel ihrer Klöster eingeflüstert haben. Im XV Jh. gab es einige, welche Neigung oder Mut verspürten, die Frage zu untersuchen, ob etwa Joseph von Arimathea das Kloster von Glastonbury gegründet oder ob Dionysios Areopagicus als Wohnsitz Paris den Vorzug vor Athen gegeben habe. Von diesen frommen Fabeln verdient nur die des Apostels Jakob Erwähnung, weil sie besonders aus dem Rahmen fällt. Aus einem schlichten Fischer vom See Genezareth wurde ein tapferer Rittersmann, welcher die spanische Ritterschaft in ihren Schlachten gegen die Mauren anführte. Durchaus seriöse Historiker haben seine Taten gefeiert; der wundersame Schrein zu Compostella hat seine Macht erkennen lassen, und das Schwert eines militärisch organisierten Ordens hat, vom Terror der Inquisition tatkräftig unterstützt, jedweden Zweifel einer profanen Kritik mundtot gemacht. Diese wundersame Metamorphose ereignete sich im IX Jh. Siehe auch Mariana (Historia Hispaniae, Band 1, p. 285), der in jeder Hinsicht Livius imitiert, und die ehrbare Enthüllung der Jacoblegende von Dr. Geddes, Miscellanies, Band 2, p.221.

 

DIE KIRCHE JENSEITS DER REICHSGRENZEN

Die Fortschritte des Christentums blieben nicht auf das römische Imperium beschränkt; und glaubt man den frühesten Kirchenvätern, welche Tatsachen gerne als erfüllte Prophezeiungen ausgeben, hatte die neue Religion innerhalb eines Jahrhunderts nach dem Tode ihres göttlichen Stifters jeden Winkel der Erde erreicht. ›Kein Volk ist auf Erden,‹ spricht Justinus der Märtyrer, ›es sei griechisch oder barbarisch oder von welchem Stamme auch immer, von anderen durch welchen Namen oder Brauch auch immer unterschieden, sei es unkundig der Künste oder des Ackerbaus, es hause in Zelten oder lebe in schweifenden Wagen, welches nicht seine Gebete im Namen des Gekreuzigten an den Vater und Schöpfer aller Dinge richten würde.‹ Justinus Martyr, Dialogus cum Tryphon, p. 341; Irenaeus adversus Haereses 1,10; Tertullian adversus Judaeos, 7; Siehe Mosheim, de Rebus Christianorum p. 208.

Nun kann man diese ruhmredige Übertreibung, die selbst heute noch mit den tatsächlichen Gegebenheiten kaum vereinbar wäre, als vorschnelles Witzwort eines oberflächlich-frommen Schreibers ansehen, der es verstand, seinen Glauben nach seinen Wunschvorstellungen einzurichten. Aber weder die Wünsche noch der Glauben der Väter können die historische Wahrheit abändern. Und so ist und bleibt es eine unbestrittene Tatsache, dass die Barbaren Skythiens und Germaniens, die später die römische Monarchie überrannten, in das Dunkel des Heidentums gehüllt blieben; und dass selbst die Bekehrung Iberiens, Armeniens oder Äthiopiens erst dann mit leidlichem Erfolg versucht werden konnte, als ein rechtgläubiger Kaiser das Szepter in Händen hielt. Siehe das IV Jh. in Mosheims, Ecclesiastical History. Viele, wenn auch höchst widersprüchliche Tatsachen im Zusammenhang mit der Bekehrung Iberiens (Südlich des Kaukasus) und Armeniens finden sich bei Moses von Chorene. Historia Armenica, 2, c.78-89. Davor haben wohl manchmal kriegerische Ereignisse oder Zufälligkeiten des Handels oberflächliche Kenntnisse über das Evangelium unter den Stämmen Kaledoniens Folgt man Tertullian, dann hat sich das Christentum in Britannien festgesetzt, wo römische Waffen nicht hingelangten; ein Jahrhundert später soll Ossian, Fingals Sohn, im hohen Alter mit einem der ausländischen Missionare debattiert haben, und eine Aufzeichnung dieses Wortgefechtes existiert noch heute in Versform und gälischer Sprache. S. Herrn McPhersons Untersuchung über das Alter von Ossians Dichtung. verbreitet oder an den Rhein-, Donau- und Euphratgrenzen. Die Goten, welche während der Herrschaft des Gallienus Asien heimsuchten, führten auch zahlreiche Gefangene fort; einige von diesen waren Christen und wurden Missionare. Tillemont, Mémoires ecclésiastiques, Band 4, p.44. Jenseits dieses zuletzt genannten Flusses zeichnete sich Edessa durch frühzeitige und feste Anhängerschaft an den neuen Glauben aus. Die berühmte Legende von Abgarus liefert den Beweis, dass viele Jahre, bevor Eusebius seine Kirchengeschichte schrieb, die Einwohner Edessas zum größten Teil christianisiert waren. Ihre Gegner, die Bürger von Karrhae, blieben bis weit ins sechste Jahrhundert heidnisch. Von Edessa aus fanden die christlichen Werte leichten Zugang in die griechischen und syrischen Städte, welche den Nachfolgern des Artaxerxes untertänig waren; auf die Perser scheinen sie indessen keinen tieferen Eindruck gemacht zu haben, war doch ihr religiöses System durch die Anstrengungen einer wohlorganisierten Priesterkaste kunstreicher und solider aufgeführt als die ungereimten Mythen der Griechen und Römer. Bardesanes meint (bei Eusebios, Praeparatio evangelica), es habe vor dem Ende des zweiten Jahrhunderts einige Christen in Persien gegeben. Unter Constantin waren sie zu einer großen Kirche emporgeblüht (S. dessen Brief an Schapur, Vita 4,13). S. Beausobre, Histoire du Manichéisme, Band 1, p.180, und die Bibliotheca orientalis von Assemani.

 

ZAHLENVERHÄLTNIS VON CHRISTEN UND HEIDEN

Dieser unparteiische, wenn auch unvollständige Überblick über die Ausbreitung des Christentums macht es wahrscheinlich, dass die Zahl der Proselyten einmal durch Angst und zum anderen durch Religionseifer vermehrt worden ist. Nach dem ausdrücklichen Zeugnis des Origines Origines, contra Celsum 8, p. 424. war die Anzahl der Gläubigen klein, verglichen mit der Masse der Ungläubigen; da uns hier aber zuverlässige Informationen fehlen, ist es unmöglich, die Zahl der frühen Christen genau festzulegen und schwierig, sie auch nur zu raten. Aber selbst die günstigste Hochrechnung, die man nach dem Beispiel von Antiochia und Rom durchführen kann, gestattet uns nicht die Vermutung, dass sich mehr als der zwanzigste Teil der Reichsuntertanen vor der entscheidenden Bekehrung Constantins unter dem Banner des Kreuzes geschart hätten. Aber ihr Glaube, ihr Eifer und ihre Einigkeit schienen ihre Zahl gleichsam zu vervielfältigen, und dieselben Ursachen, die ihrem künftigen Wachstum förderlich werden sollten, machten auch ihre damalige Stärke offenkundiger und gewaltiger.

 

GELEHRTE UND WOHLHABENDE URCHRISTEN

Dies ist nun einmal die Verfasstheit der bürgerlichen Gesellschaft, dass einige wenige durch Reichtum, Ansehen und Kenntnisse sich auszeichnen, während es der Masse des Volkes aufgegeben ist, im Verborgenen, in Armut und in Unwissenheit zu schmachten. Die christliche Religion, die sich an die ganze Menschheit wandte, gewann ihre Proselyten folgerichtig weit mehr aus den niederen als aus den gehobenen Ständen. Dieser unschuldsvolle und naturgemäße Umstand gab Anlass zu einem gehässigen Vorwurf, den zu widerlegen die Apologeten weit weniger bemüht waren als die Feinde des Glaubens, ihn auszusprechen: dass nämlich diese neue Christensekte fast nur aus dem Abschaum der Menschheit bestehe, aus Bauern und Handwerkern, Knaben und Weibern, Bettlern und Sklaven; welche Letztgenannten bisweilen sogar den Glaubensboten den Zutritt zu den reichen oder adligen Familien vermittelten, denen sie zugehörten. Diese Lehrer der Finsternis (so die Anklage der Bosheit und des Unglaubens) blieben in der Öffentlichkeit ebenso stumm auf wie im Privatbereich mitteilsam und dogmatisch. Während sie der heiklen Begegnung mit den Philosophen wohlweislich aus dem Wege gehen, machen sie sich mit der rohen und ungebildeten Menge gemein und schleichen sich in das Gemüt all derer, welche Erziehung, Alter oder Geschlecht für abergläubisches Einschüchterungen besonders empfänglich machen. Minucius Felix 8 nebst den Anmerkungen von Wowerus. Celsus, bei Origenes, 8, p. 138 und 142; Julian bei Kyrillos, adversus libros athei Iuliani 6.

 

EINIGE AUSNAHMEN IN HINBLICK DIE BILDUNG...

Dieses ungünstige Bild, dem eine entfernte Ähnlichkeit mit der Realität gleichwohl nicht abgeht, verrät durch seine schwarzen Farben und verzerrten Züge den Pinsel des Feindes. Als sich dann der schlichte Glaube an Christus in der Welt ausbreitete, wurde er auch von mehreren Personen angenommen, welche von Natur aus oder durch Zufall von einiger Bedeutung waren. Aristides, der dem Kaiser Hadrian eine gelehrte Apologie vorlegte, war Philosoph aus Athen. Eusebios, Historia 4,3; Hieronymos, Epistulae 84. Justinus Martyr hatte sich in den Schulen von Zeno, Aristoteles, Pythagoras oder Plato Kenntnisse des Göttlichen gesucht, bevor er glücklicherweise den alten Mann, oder besser: Engel traf, der seine Aufmerksamkeit auf das Studium der jüdischen Propheten lenkte. Diese Begebenheit wird sehr hübsch im Dialog des Iustinus Martyr erzählt. Tillemont, der sie ihm nacherzählt (Memoires ecclésiastiques, Band 2, p.334), ist sich sicher, das der alte Mann ein verkleideter Engel war. Clemens von Alexandria hatte sich ausgebreitete Kenntnisse der griechischen und Tertullian der lateinischen Literatur angeeignet. Iulius Africanus und Origines waren zu ihrer Zeit Leuchten der Gelehrsamkeit; und wenn der Stil des Cyprian sich auch deutlich von dem des Lactantius unterscheidet, so lässt sich gleichwohl erkennen, dass beide öffentliche Lehrer der Beredsamkeit waren. Selbst das Studium der Philosophie nahmen die Christen allmählich auf, aber die Resultate war nicht immer heilsam: Wissen wurde ebenso oft zum Vater der Ketzerei wie der Andacht, und die Beschreibung, die den Anhängern des Artemon zugedacht war, traf mit gleichem Recht auch auf die verschiedenen Sektenmitglieder zu, welche den Nachfolgern der Apostel Widerstand leisteten: ›Sie sind so vermessen, die Heilige Schrift zu ändern, die alten Glaubensregeln aufzugeben und ihre Meinung nach den rabulistischen Regeln der Logik zu bilden. Die Wissenschaft von der Kirche lassen sie fahren für die Geometrie, und sie verlieren den Himmel aus dem Blick, während sie die Erde vermessen. Euklid haben sie immer zur Hand, Aristoteles und Theophrastos sind die Objekte ihrer Verehrung, und für die Werke des Galen äußern sie offen ihre Bewunderung. Ihre Irrtümer beziehen sie aus dem Missbrauch der Künste und von den Wissenschaften der Ungläubigen, und sie verderben die Schlichtheit des Evangeliums durch klügelnde Zutat.‹ Eusebios, Historia 5,28. Man kann nur hoffen, dass niemand außer den Ketzern Celsus (bei Origines 2, p. 77) zu seiner Klage Veranlassung gab, dass nämlich die Christen beständig an ihren Evangelien herumbesserten.

 

...UND DIE VERMÖGENSVERHÄLTNISSE

Genauso wenig kann mit Bestimmtheit festgestellt werden, dass hohe Geburt und großes Vermögen zuverlässig ein Bekenntnis zum Christentum ausschlossen. Einige römische Bürger wurden vor das Tribunal des Plinius geschleppt, und schon bald musste er entdecken, dass viele Menschen aus allen Ständen in Bithynien den Göttern ihrer Väter abgeschworen hatten. Plinius, Epistulae 10,96. ›Fuerunt alii similis amentiae, cives Romani.... Multi enim omnis aetatis, omnis ordinis, utriusquae sexus, et iam vocantur in periculum et vocabuntur.‹ [Andere, römische Bürger, waren von dem gleichen Wahn befallen...Denn viele, aus jeder Altersstufe, aus jedem Stand, beiderlei Geschlechts sind jetzt und künftighin bedroht].

Dieses unverdächtige Zeugnis mag, zumindest in diesem Falle, glaubwürdiger erscheinen als jener beherzte Angriff des Tertullian, welcher an die Befürchtungen und die Menschlichkeit des Prokonsuls von Afrika appelliert und ihm zugleich versichert, dass er, sollte er bei seinem grausamen Vorsatz bleiben, er notwendig jeden zehnten Bewohner von Karthago hinrichten müsse, werde er doch unter den Beschuldigten auch viele Personen seines eigenen Standes finden, Senatoren und darüber hinaus Matronen der edelsten Herkunft und endlich sogar Freunde und Verwandte seiner besten Freunde. Tertullian, ad Scapulam. Doch selbst seine Rhetorik versteigt sich nicht weiter als bis zu zehn Prozent von Karthagos Einwohnern. Vierzig Jahre später jedoch, so scheint es, war Kaiser Valerian von der Korrektheit dieser Angaben durchaus überzeugt, da er in einer seiner Reskripte offen davon sprach, dass römische Ritter und hochmögende Weiber der christlichen Sekte beigetreten seien. Cyprian, Epistulae 80. Die Kirche selbst nahm zu an äußerem Glanz und zugleich ab an Lauterkeit; und unter Diocletian waren der Palast, die Gerichtshöfe und selbst die Armee mit heimlichen Christen durchdrungen, welche sich anschickten, ihre Interessen an der Gegenwart mit denen am künftigen Leben zu harmonisieren.

 

CHRISTENTUM BEI DEN ARMEN WOHLGELITTEN...

Dennoch sind dieser Ausnahmen zu wenige und sie fallen in eine zu späte Zeit, als dass sie die Vorwürfe der Unwissenheit und Bedeutungslosigkeit völlig entkräften könnten, was man den ersten Bekennern in blasierter Weise vorhielt. Wir wollen nun nicht die läppischen Fabeln späterer Jahrhunderte zu unserer Verteidigung bemühen, sondern vielmehr das Ärgernis zu einem Moment der geistlichen Stärkung umgestalten. Bei vertieftem Nachdenken werden wir nämlich finden, dass die Vorsehung sich die ersten Apostel unter den Fischerleuten vom See Genezareth aussuchte und dass wir, je weiter wir die Geschichte der ersten Christen zurück verfolgen, immer mehr Grund haben, ihre Verdienste und ihren Erfolg zu bewundern. Es liegt uns ob, uns genau daran zu erinnern, dass den Armen im Geiste das himmlische Königreich versprochen ward und dass bedrängte und erniedrigte Seelen mit Freuden den göttlichen Verheißungen künftigen Glückes zuhören; während sich die Glückskinder mit dem Besitze dieser Welt zufrieden geben; und die bornierten Weisen ihre Überlegenheit an Verstandeskräften und Kenntnissen für müßiges Gezänk darangeben.

 

...ABER ABGELEHNT VON HERVORRAGENDEN PERSÖNLICHKEITEN

Wir bedürfen solcher Überlegungen, um uns über den Verlust einiger hochberühmter Charaktere hinwegzutrösten, welche nach unserer Ansicht dieses himmlischen Geschenkes am würdigsten gewesen wären. Seneca, der ältere und jüngere Plinius, Tacitus, Plutarch, Galen, der Sklave Epiktet und der Kaiser Mark Aurel: diese Namen sind Zierden ihres Jahrhunderts und Ruhmesblätter für den menschlichen Geist. Sie übten ihre jeweiligen Stellungen im tätigen wie im kontemplativen Leben mit Erfolg; durch fernere Studien vermehrten sie ihre Geistesstärke; vom volkstümlichen Aberglauben hatten sie sich mit Hilfe der Philosophie befreit; und ihre Tage brachten sie zu, indem sie die Wahrheit suchten und die Tugend übten. Und doch übersahen alle diese Weisen (es ist dies ebenso überraschend wie betrüblich) die Vollkommenheit des christlichen Systems, oder sie lehnten es ab. Ihre Sprache verriet ebenso wie ihr Schweigen nur Verachtung für diese anwachsende Sekte, welche sich zu ihren Lebzeiten im Reich ausbreitete. Wenn sie sich überhaupt herbeiließen, sie zu erwähnen, dann betrachteten sie die Christen als renitente und bösartige Fanatiker, welche bedingungslose Unterwerfung unter ihre Disziplin verlangten, ohne zugleich auch nur einen einzigen Grund nennen zu können, der einen Menschen von Bildung und Geschmack an sie binden könnte. Dr. Lardner sammelt in dem 1. und 2. Band seiner Jewish and Christian testimonies die Aussagen des Plinius d.J., Tacitus, Galen, Marc Aurel und vielleicht auch Epiktet (wir wissen nicht, ob dieser Philosoph wirklich von den Christen sprechen wollte). Seneca, Plinius d.Ä. und Plutarch erwähnen die neue Sekte mit keinem Wort.

 

IHRE MISSACHTUNG DER PROPHEZEIUNGEN...

Ob einer dieser Philosophen die Verteidigungsschriften durchgelesen hat, welche die Urchristen wiederholt für sich und für ihren Glauben publizierten, ist zumindest zweifelhaft; aber es ist doch recht ärgerlich, dass sich nicht erwecktere Anwälte eines solchen Anliegens angenommen hatten. Mit sprudelnder Beredsamkeit und überquellendem Witz zerpflücken sie die Albernheiten des Polytheismus. Sie malen die unschuldigen Leiden ihrer Glaubensbrüder aus und erregen dadurch unser Mitleid. Wollen sie aber den göttlichen Ursprung des Christentums nachweisen, dann legen sie sehr viel größeren Wert auf die Prophezeiungen, die das Erscheinen des Messias ankündigten, als auf die Wundertaten, welche es begleiteten. Ihr Hauptargument mochte vielleicht einen Christenmenschen erbauen oder einen Juden bekehren, denn beide anerkennen gleichermaßen die Gültigkeit jener Prophezeiungen und sind im frommer Verehrung gehalten, nach ihrem Sinn und seiner Erfüllung zu suchen. Aber diese Art des Argumentierens verliert viel von seiner Überzeugungskraft gegenüber solchen, die von der mosaischen Religion und den Propheten nichts wissen und auch nichts wissen wollen. Hätte man einem römischen Weisen die berühmte Geschichte mit des Siebzig Wochen erzählt, wie hätte er da anders als mit den Worten Ciceros antworten können: ›Quae tandem ista auguratio est, annorum potius quam aut mensium aut dierum?" [Was soll das für eine Weissagung sein, die von Vögeln eher auf Jahre als auf Monate oder Tage schließt?]. De Divinatione 2,30. Man beachte, mit welcher Geringschätzung Lukian (Alexander 13) und sein Freund Kelsos (bei Origines 7, p.327) die Propheten Israels durch die Hechel ziehen. In den unbeholfenen Händen Justins und der späteren Apologeten verflüchtigte sich der weihevolle Sinn der hebräischen Orakel in wolkige Symbolik, gekünstelte Gedankengänge oder abgestandene Metaphorik; und schließlich wurde sogar ihre Echtheit einem unerleuchteten Heiden verdächtig infolge der frommen Betrügereien, welche man ihm unter dem Namen Orpheus, Hermes und der Sibyllen Die Philosophen, die sich über die noch älteren Prophezeiungen der Sibyllinen mokierten, würden auch leicht die jüdischen und christlichen Betrügereien entdeckt haben, welche die Kirchenväter von Justin dem Märtyrer bis zu Lactantius mit Triumphgeschrei vortrugen. Als die sibyllinischen Bücher ihren Zweck erfüllt hatten, wurden sie, ähnlich wie die Geschichte vom tausendjährigen Reich, stillschweigend beiseite gelegt. Die christlichen Sibyllinen hatten ihn fatalerweise für das Jahr 195 (entsprechend 948 a.u.c.) vorhergesagt. als gleichwertig mit den wahren Eingebungen des Himmels anzudienen versuchte. Der Rückgriff auf Betrug und Trickerei bei der Verteidigung der Offenbarung erinnert uns oftmals an die unbedachten Einfälle jener Dichter, welche ihren Helden unverwundbar machen und ihm gleichwohl mit der nutzlosen Fracht einer sperrigen und zerbrechlichen Rüstung beschwerlich fallen.

 

...UND DER WUNDER

Wie aber sollen wir es entschuldigen, dass die heidnische Welt nur matte Verachtung erübrigte für jene Zeugnisse, welche die Hand der Allmacht wenn schon nicht ihrem Verstand, so doch ihrer Phantasie darbot? Als Christus, seine Apostel und noch deren erste Schüler lebten, wurde die Lehre, die sie predigten, durch ungezählte Wunder bekräftigt. Die Lahmen wurden gehend, die Blinden konnten wieder sehen, die Kranken wurden geheilt, Tote erstanden, Dämonen wurden ausgetrieben, und zum Wohle der Kirche wurden Naturgesetze beurlaubt. Aber Roms und Griechenlands Weise schreckten zurück vor diesem Schauspiel, verfolgten ihre üblichen Studien und Tagesgeschäfte und gewahrten ersichtlich nicht die moralische oder physische Besserung der Welt. Unter der Regierung des Tiberius wurde die ganze Welt Die Kirchenväter, die Dom Calmet ( Dissertationes sur la Bible, Band 3, p. 295-308.) in Schlachtordnung aufmarschieren lassen, scheinen die ganze Erde in Finsternis zu hüllen, und die modernen Autoren folgen ihnen darin. oder doch wenigstens eine berühmte Provinz des Reiches Origenes ad Matthaeum 27 und einige moderne Kritiker wie Beza, Le Clerc, Lardner u.a. möchten sie auf Judäa begrenzen. in eine übernatürliche Dunkelheit von drei Stunden Dauer gehüllt. Aber selbst dieses wunderbare Ereignis, welche das Staunen, die Neugierde und die Anbetung der Menschheit verdient hätte, ging in einem Jahrhundert der Wissenschaft unbemerkt vorbei. Die berühmte Stelle bei Phlegon hat man heutzutage klugerweise fallengelassen. Wenn Tertullian den Heiden versichert, dass die Erwähnung dieses Wunders auch in euren ›Arcanen‹ (nicht ›Archivis‹) vorkommt, dann bezieht er sich vermutlich auf die sibyllinischen Verse, welche genau im Wortlaut des Evangeliums davon berichten. Es trug sich bei Lebzeiten Senecas und des älteren Plinius zu, welche entweder die unmittelbare Wirkung des Wunders beobachtet hatten oder zumindest die ersten Nachrichten darüber erhalten haben mussten. Jeder dieser Forscher hat in mühevoller Arbeit alle großen Naturereignisse aufgezeichnet, Erdbeben, Meteore, Kometen und Sonnenfinsternisse, alles, was eine neugierige Forscherseele nur festhalten mochte. Seneca, Quaestiones Naturales 1, l5; 6,1; 7,17. Plinius Historia Naturalis 2. Aber beide haben das größte Ereignis ausgelassen, das sich seit Erschaffung der Welt vor den Augen von Sterblichen abgespielt hat. Plinius hat ungewöhnlichen Sonnenfinsternissen und solchen von besonderer Dauer ein eigenes Kapitel gewidmet; Plinius, Naturalis Historia 2,30. aber er begnügt sich damit, den merkwürdigen Lichtmangel nach der Ermordung Caesars zu erwähnen, als die Sonne für den Rest des Jahres nur blass und glanzlos schien. Das Jahr der Finsternis, welches auf keinen Fall mit der übernatürlichen Dunkelheit während Christi Passionszeit verwechselt werden sollte, war von den meisten Dichtern Virgil. Georgica 1,466; Tibullus, 2,5,75; Ovid, Metamorphoses 15,782. Lucan, Pharsalos 1,535. Der letztgenannte Dichter lässt das Wunder vor dem Bürgerkrieg stattfinden. und Geschichtsschreibern jenes denkwürdigen Zeitalters bereits rühmlich erwähnt worden. Siehe ein öffentliches Schreiben des Marcus Antonius bei Iosephus, Antiquitates Iudaicae 14,12; Plutarch, Caesar 69; Appian, Bella Civilia, 4; Cassius Dio, 45,17; Julius Obsequens, Liber prodigiorum 128. Sein kleines Traktat ist eine Zusammenfassung von Livius' Weissagungen.


 << zurück weiter >>