Simon Gfeller
Unveröffentlichtes / Briefe / Vermächtnis
Simon Gfeller

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Getreuer Freund und Weggefährte!

Aus der Festschrift zum 60. Geburtstag von Otto von Greyerz

Wenn Du an Deinem 60. Geburtstage geruhsam und bedächtig wie ein rechter Ackerbauer durch Deine Wiesen und Felder schreitest und Deine Pflanzungen in Augenschein nimmst, ergreift Dich sicher eine große, stille Freude und tiefe Dankbarkeit. Was Du in heißem Bemühen gesäet und gesetzt, gehegt und gepflegt hast, ist aufgegangen in Segen und Fülle. Reichbehangen neigen sich Deine Fruchtbäume; verheißungsvoll grünt der Klee in Deinen Neulissen, dicht und wohlbestockt die Saat in Deinen Weizen- und Roggenäckern. Im Walde erschallen Dir heimelige Lieder; Hecke und Wegrand spenden Dir wilde Röslein und blaue Kornblumen zum duftigen Geburtstagssträußchen.

Es hat schwere Arbeit gekostet. In manches wirre Dorngestrüpp mußtest Du Deine Reuthacke schlagen, manchen Sumpf austrocknen. Wege mußten angelegt sein, Quellen gefaßt werden und scharfer Kampf geführt mit dem wuchernden Unkraut. Du ließest Dich die Anstrengung nicht verdrießen. Tief hast Du den Pflug gerichtet und nie die Furchen obenab gehakelt, mochte der Boden noch so zähe sein. Heimischer Erde hast Du die Treue gehalten, und was Du ihr abgerungen, hat nicht nur Dich genährt und gestärkt, sondern Tausenden herrliche Erquickung geboten. Und gradaus ging 238 allezeit Dein Weg, und mannhaft und mutig hast Du ihn beschritten, unbekümmert um Geld und Gunst, das muß Dir auch der Gegner lassen an Deinem Ehrentage. Aber Du hast noch viel mehr getan. Wenige wissen, wie oft und viel, wie freudig und uneigennützig Du auf fremden Äckern gewerkt hast und was Du Deinen Angrenzern stets für ein guter, hilfebereiter Nachbar gewesen bist. Das einmal kundzutun, drängt mich vor allem; denn ohne Deine starken Nietrosse wäre auch mein Höflein zum großen Teil unangebaut geblieben und mir manches Füderchen Heu draußen am Regen zugrunde gegangen. Deine Freundschaft hat mein Leben reich gemacht, und nie werde ich Dir dafür genug danken können.

Dreiundzwanzig Jahre sind es heuer, seit wir uns zum ersten Male begegneten. Du hieltest der Lehrerkonferenz Sumiswald einen Vortrag über die praktische Verwendung Deiner neugeschaffenen «Sprachschule für Berner» und ich war Dein aufmerksamster Zuhörer. Ich hatte angefangen mich schriftstellerisch zu betätigen und wünschte zu lernen. Auch hatte ich Deine Kritiken im «Bund» gelesen und was Du schriebest, schien mir außerordentlich klug, klar, frisch und blutreich. Gerne hätte ich Dich nach dem Vortrage angeredet, wagte es aber nicht. Nach langem Kampfe mit meiner Schüchternheit nahm ich das Herz in beide Hände und schrieb Dir. Du antwortetest freundlich, und an den ersten Brief reihten sich andere. Ich lud Dich ein, einmal auf die Egg zu kommen. Du versprachst es; vorerst gab es aber einen kleinen lustigen Krach. Ich hatte Dich gebeten, Deine Ankunft anzuzeigen. Das paßte Dir nicht, Du fürchtetest das Dorfen mit Umständen. Du könnest 239 Dich nicht recht freuen, wenn alles so absichtsvoll aufgeräumt und abgestaubt sei und die Kinder mit waschnassen Gesichtern und steifgekämmten Haaren wohldressiert herumstehen, ließest Du mich wissen. Ich antwortete: ein saftig Stücklein von einem bauernmäßig geräucherten Schinken oder Laffli werde Dich kaum töten und fügte im Namen meiner Frau bei, daß unsere Kinder auch sonst hin und wieder einmal gewaschen und gestrählt würden. Dann ergabst Du Dich gutartig und kamst. Es war an einem Sonntagmorgen; über der Egg lag ein Nebel, man hätte «einen Scheiche drin verdrehen können». «Er kommt nicht», seufzte ich. Aber Du kamst. Im Spittelwald trafen wir uns. Ich wollte Dir irgend etwas abnehmen und tragen. Du rissest Deine Sache an Dich und für meine «schurkische» Dienstbeflissenheit erntete ich einen Blick, daß ich beinahe rücklings übers Wegbort hinaus gepurzelt wäre, ich war Dir anfangs immer zu glimpfig und unterwürfig. Indessen verlief der Tag aufs schönste und wenn Du auch an uns nicht so viel Gefallen fandest, wie ich an Dir, verschmähtest Du es doch nicht, in Zukunft mit dem simpeln Landschulmeister Briefe zu wechseln, und als dieser einmal wußte, wie gut Du es mit Land und Volk meintest, durfte er herzhafter herausreden und sich geben, wie er war.

Bald darauf wurde uns ein gemeinsames liebes Sorgenkind geschenkt: Friedlis Bärndütsch. Es war für mich ein Glücksfall sondergleichen, daß ich solch bewanderten und begeisterten Wärchmannen einwenig handlangern durfte. Was ich an Sprachstudien versäumt hatte, wurde nun wenigstens nach der mundartlichen Seite hin einigermaßen nachgeholt. Ich lernte 240 besser werten und vieles schätzen, was ich vordem übersehen hatte. Dein «Röseligarten» kam ins Blühen, und der Wind wehte auch mir anregenden Duft über den Hag. Du schufest Dein «Kinderbuch», und durch Dich wurde ich bekannt mit den Reformbestrebungen in der Schule. Du zogst nach Glarisegg. Nicht leicht wurde Dir der Abschied von Deinem lieben, alten Bern; aber es galt, neue Provinzen zu erobern für die liebe Jugend. Ich fürchtete, Dich zu verlieren; aber Du bliebst Zoll für Zoll Berner, und unser Briefwechsel bekam Schwalbenflügel. In mir hatte sich mancherlei gesammelt und begann nach Gestalt zu ringen. Längst beschäftigte mich der Plan zu einem größern mundartlichen Werke, mühsam ging es ab Fleck damit, wie nasser Lehm klebte mir alles an der Hacke. Doch immer, wenn ich Dich nötig hatte, ließest Du alles aus den Händen fallen und halfest mir meine Garbe binden. Immer warst Du mir nahe mit Rat und Trost und Aufmunterung, ohne meine Freiheit oder Eigenart zu gefährden. Jeder Deiner Briefe spendete mir etwas Gesundes, Kerniges, Lustiges oder Heiligschönes, das mir zur Kopfklärung oder Herzstärkung diente. Allemal, wenn wieder einer kam, hüpfte mein Herz wie ein Eichhörnchen auf dem Ast und kletterte manchmal hinauf in die höchsten Wipfel des Entzückens. Was für eine heillose Mühe hattest Du mit mir, bis Du mir nur eine halbwegs lesbare berndeutsche Orthographie beigebracht hattest! Und das Rührendste: Immer wenn Du mir mit vollen Händen schenktest, danktest Du, als wärest Du der Beschenkte. Du trugst mir das vertrauliche Du an, «damit ich Dir jederzeit ohne Rückhalt die ganze Wahrheit sagen dürfe». Ich nahm es an als köstliches Geschenk und gelobte 241 mir, mich stets so zu halten, daß ich Deiner wert würde. Es waren herrliche, gesegnete Zeiten.

Dann kehrtest Du in Deine Vaterstadt zurück, und es fügte sich, daß ein Lieblingswunsch Deiner Freunde erfüllt wurde: Du konntest Deinen guten Samen in Hände legen, die ihn weiter ausstreuten. Das war auch Dir das Rechte; denn immer wünschtest Du ins Volk zu wirken und ihm alles, was Du Gutes gefunden, zugänglich zu machen. Dir war die Wissenschaft nie eine Geheimlehre für die Söhne der bevorzugten Klassen, Du kümmertest Dich auch um die geistigen Nöte und Bedürfnisse der Geringsten.

Von Jugend auf war Dir das Volkstbeater eine ernste und wichtige Angelegenheit. Heimgekehrt, konntest Du Dich ihr mit ganzer Kraft widmen. Es war aber auch hohe Zeit, daß etwas geschah. Über die Großzahl der Liebhaberbühnen zu Stadt und Land wälzte sich ein Sodrich von Verlogenheit, Unnatur und sacharinsüßer Rührseligkeit. Man stopfte mit Holzschuhen an die Zwerchfelle, jeder Kuhblödsinn schien für das Volk gut genug. Den innern Hohlklang suchte man mit Blitz und Donner, Trommeln und Pfeifen, Schellen und Sturmglocken zu übertönen, die verrenkten Gestalten und verschwommenen Gesichter hinter Fahnentuch, Degengefuchtel und Schaugepränge aller Art zu verbergen. Wohl gab es Schriftsteller, die sich redlich mühten, dem Volke bessere Kost zu bieten; aber keiner vermochte eine durchschlagende Wendung zum Guten herbeizuführen. Erst Dir war es beschieden, richtungweisend zu wirken und den andern ein zuverlässiger, wegkundiger Führer zu werden. Du preßtest wieder frischen, klaren Saft aus gesunden Lebensfrüchten und 242 stelltest den Dramatiker vor die Aufgabe, unser reiches Volksleben in der Fülle und Tiefe seiner erdverbundenen Eigenart und Urkraft auszuschöpfen. Du zeigtest mit Wort und Tat, daß dazu Geist und Humor, Gestaltungskraft und psychologischer Tiefblick, reifes Lebensverständnis und warmblütige Anteilnahme notwendig seien. Du wußtest andere zu begeistern, und sie folgten Dir willig. Freilich, das hochgesteckte Ziel liegt noch in weiter Ferne; denn eine Volkstheater-Reform ist kein eintägig Heu. Aber sie marschiert, und Dein Heimatschutz-Spielverein ist eine wackere Kampftruppe, die treue Bundesgenossen wirbt, weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Mag auch hin und wieder ein Samenkorn auf den Weg fallen und verdorren, es regt sich doch allenthalben ein fröhliches Sprießen.

Wer sein Haus an die Straße baut, wird immer erfahren müssen, daß Vorübergehende über sein Werk die Nase rümpfen. So hat es auch den Bestrebungen für Mundartpflege, Heimatkunst und Volkstheater nicht an Verächtern gefehlt. Und doch hindern diese Bestrebungen niemanden, sich zum weltliterarischen Genie auszuwachsen, ebensowenig wie sie uns hindern, wirklich Gutes und Großes anzuerkennen, das auf anderem Boden gewachsen ist. Man sollte sich doch zweimal besinnen, bevor man den letzten starken Schutzwall gegen Schundliteratur und schlechtes Kino niederreißen hilft. Wir, lieber Freund, wollen an diesem Schutzwall fröhlich weiterbauen, und Du wirst wie bisher unser Bauführer sein und mit fester Hand die Richtlinien in den Plan zeichnen. Möge es Dir beschieden sein, noch lange zu wirken in Gesundheit, Vollkraft und unverminderter 243 Freudigkeit zum Segen unserer Schule, unseres ganzen Volkes.

Das wünscht aus einem Herzen voll Dank und Verehrung

Egg b. Grünenmatt, Juni 1923

Dein Simon Gfeller


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