Simon Gfeller
Unveröffentlichtes / Briefe / Vermächtnis
Simon Gfeller

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Briefe

Am 25. Dezember 1903 an Rudolf Münger

Liebwertester Freund,

Stille Weihnachten! — So wenigstens bei uns. Bäumchen und Christkindlein haben den gestrigen Abend in Glanz und Schimmer getaucht. Heute naschen die Kleinen in ihren Geschenkbüchern herum. Wir haben uns redlich Mühe gegeben, etwas Rechtes auszuwählen. Beinahe wäre es aber mit dem Christkindlein schief herausgekommen. Wir wollten es diesmal nicht erscheinen lassen, in dem Gedanken, die Kinder seien nun schon zu groß, sie könnten etwas merken, und wir wollten ihnen die schöne Illusion nicht rauben. Aber potz bödeliblau! Da hatten wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Hedi und Werner schneuzen und schluchzen den ganzen Nachmittag, und wie auch Mutter und ich versichern, ein Bäumchen werde auf alle Fälle brennen, es hilft gar nichts — wenn das Christkindlein nicht komme, dann sei nicht Weihnachten, sie wollen lieber keine Geschenke als kein Weihnachtskindlein. Eigentlich hat’s mich gefreut, daß die Kleinen so dachten und den idealen Gehalt des Festchens höher veranschlagten als den realen. Also machte sich der Alte auf die Socken nach einem Weihnachtskindlein. Vorerst pocht er bei einer einstigen Schülerin an, die aber seither bedeutend frömmer geworden ist. Ich bringe mein Anliegen vor. 150 Aber die Tochter gibt den Bescheid, es sei ihr schauderhaft leid; allein ihr Gewissen verbiete ihr auf mein heidnisches Ansinnen einzutreten. Und nun hält mir meine ehemalige Schülerin eine Privatvorlesung, wie das Weihnachtskindlein eine Entheiligung der Person des Heilands bedeute und im Grunde alles eine verruchte Verblenderei sei. Zerknirscht sinke ich in die Ofenecke und stottere natürlich, daß ich der letzte sei, der eine ehrenwerte Tochter zur Sünde zu verlocken und in den Höllenrachen zu stürzen begehre. Ich widerrief meine Bitte; aber fügte doch bei, daß ich eine Handlung, die weder mit böser Absicht noch mit schlimmer Wirkung behaftet sei, nie als eine Sünde zu betrachten vermöge; daß auch Kinder das Weihnachtskindlein nie mit der Person des Heilands, der doch Mann und nicht Frau gewesen sei, verwechseln und daß ich für die fromme Täuschung sogar dereinst von meinen Kindern, wenn sie groß geworden seien, noch einen innigen Dank erhoffe. Worauf mir die Mutter jenes Mädchens, die ich bisher für eine verständige Frau gehalten habe, zumutete, es würde mir und meiner Familie nicht schaden, wenn wir auch in die Stündeliversammlung gingen, offenbar um zu sehen, wie man würdig Weihnacht feire. Wäre ich nicht als Bittsteller vor jener Frau erschienen, ich würde ihr einfach erwidert haben, daß ich, nachdem ich mich zwei Jahrzehnte lang viel mit religiösen Fragen beschäftigt habe, nicht mehr zu einfältigen Bauern und hergelaufenen Schustergesellen in die Lehre gehen möge.

Mir ist sonst das Weihnachtsfest immer dasjenige gewesen, welches ich vor allen anderen kirchlichen Festen aus vollem Herzen mitfeiern konnte. Zu Weihnachten 151 senkt sich der Himmel auf die Erde hernieder. Zur Erinnerung an den unvergleichlichen Menschenfreund, dessen weltumfassende Liebe den Himmel so nahe herunterzog, daß auch das schwächste Auge einen Abglanz davon zu erspähen vermochte, fliegt den braven Kindern ein Himmelsbote aus den Wolken. Man denke doch, was das für ein Kind bedeutet: Mir sendet der Himmelvater ein Englein, soviel kümmert er sich um mein Bravsein, so himmlisch lieb ist er mit mir! Liegt darin nicht eine unnennbar tiefe wunderbare Poesie? Kann das nun eine Sünde sein, ein Kinderherz so unendlich zu beglücken? Ich werde nie vergessen, wie sich einmal unsere Heidel benommen hat, sie mag 3-4 Jahre alt gewesen sein. Kommt auch das Weihnachtskindlein zur Türe hinein. Die Kleine ohne jede Spur von Befangenheit oder Scheu pflanzt sich vor die Lichtgestalt auf, faltet die Händlein, spricht ihr Verslein und die Äuglein erglänzen so selig, so wunderbar; ein ganzer Himmel von Vertrauen, Liebe und Dankbarkeit liegt darin. Meiner Frau und mir schießen die Tränen in die Augen. Wäre ein Engel oder der Heiland selbst hinuntergestiegen, er hätte heilig sicher der Kleinen einen Kuß gegeben.

Auf mich hatte die kleine Scene eine Wirkung stärker als zehn Predigten. Und solches ist Verblenderei!! Aber den Leuten den Teufel samt feurigen Hörnern alle Augenblicke an die Wand malen und die Hölle zum Bersten heizen, das ist erlaubt.

Siehst Du, so hat mich das eigentlich so unbedeutende Ereignis um meinen Weihnachtsfrieden gebracht. Hoffentlich ist’s bei Euch ohne Ärger abgegangen. Auch uns hat der «Houpme Lombach» eine Reihe der 152 schönsten Abende verschafft. Nun aber wird fleißig gearbeitet. Ich habe nun auch wieder einmal eine Schreiberei vorgenommen, und wenn mir nichts Schlimmes widerfährt, so möchte vielleicht bis zur nächsten Weihnacht auch ein Büchelchen daraus geworden sein. Gelingts mir, daß ich’s zeigen darf, so werde ich Dich alsdann auch um eine Umschlagzeichnung und vielleicht um einige Illustrationen ansprechen; aber nur, wenn es mich voll und ganz befriedigt. Ist das der Fall, so weiß ich, daß ich dann auch einen Verleger finden werde. Sonst bleibts ungedruckt und wird verbessert bis es sich zeigen darf. Ich habe aber so eine Ahnung, als müßte mir diesmal etwas Rechtes gelingen. Doch liegt das alles noch in blauer Ferne und es ist eigentlich töricht davon zu reden.

Das ist nun wieder ein rechter Ichbrief geworden und doch wollte ich soviel fragen wie es Dir und den Deinen gehe etc. etc. Aber wes das Herz voll ist, des geht der Mund über. Meine Frau und die Putzen senden Dir und Deinen lieben Angehörigen einen vierstimmigen Collektivgruß und die herzlichsten Glückwünsche zum Jahreswechsel.

Alles Liebe, Gute wünscht Dir

Dein S. Gfeller

Am 5. Dezember 1905 an Rudolf Münger

Freund!

Diesen Winter möchten nun meine Frau und ich das gegebene Versprechen erfüllen und einmal nach Bern kommen. Erstens hätten wir Einkäufe zu besorgen, dann möchten wir ins Theater und in die Weihnachtsausstellung, und wenn wir Dir und Deiner wackern 153 Hausfrau nicht unkommod kommen, möchten wir gerne auch zu Euch. Gelegen wäre uns für den Besuch am besten Samstag und Sonntag 16. und 17. Dezember. Nun kommt es aber ganz auf Euch ab. Kommen wir Euch im geringsten ungelegen, so hoffe ich, wirst Du es mir ganz ohne Umschweife und in aller Offenheit sagen. Wir können ganz gut im Hotel übernachten (wir sind nämlich sehr «brav» gewesen, haben das ganze Jahr nichts verreist und können uns die kleine Ausgabe ohne Bedenken genehmigen) und Euch nur eine kurze Zeit in Anspruch nehmen. Es wäre mir sehr peinlich, wenn Ihr Euch unsertwegen den geringsten Zwang antun müßtet.

Wir haben nun diesen Winter als Magd wieder eine zuverlässige Verwandte bei uns, in deren Obhut wir die Kinder wohl lassen dürfen. So möchten wir das bißchen Freiheit ausnutzen. Einen Schulhalbtag dürfen wir ja wohl aussetzen und andere dringende Geschäfte (o der Seltenheit!) gibt’s gegenwärtig nicht. Meine Nebenbeschäftigungen, die mir zu Zeiten wie Wanzen auf dem Leibe sitzen, sind abgegrast, es ist einmal einen Augenblick klare Luft. Korrekturen und dergleichen werden noch bei «Tagheiterkeit» erledigt und abends darf ich mich, wie ich’s schon lange ersehnt habe, mit schriftstellerischen Arbeiten befassen. So ist denn endlich der Plan zu einer längeren Erzählung (Heimisbach d.H.), die wohl ein Bändchen füllen dürfte, festgelegt und die zwei ersten Kapitel geschrieben, d.h. natürlich nur noch ins Rohe überhauen. Bis zur Druckreife wirds noch lange Zeit dauern, da ich ja nicht nur eine Erzählung schaffen muß, sondern aus dem Wust von Dialektausdrücken, Bildern, Redewendungen mir die 154 Sprachmittel dazu zurechtmachen muß, wie ein Handwerker, der erst sein Werkzeug ersinnen muß, bevor er mit diesem Werkzeug schaffen kann. Ein Vorbild gibts nicht, da noch kein Buch in reinem Emmenthaler-Dialekt erschienen ist. Den gemeinen Gassenklatsch möchte ich nicht nachahmen, anders schreiben als gesprochen wird möchte ich ebenfalls nicht, so bleibt mir nur übrig aus dem dichten Wortgebüsch sorgsam das Pfeifenholz herauszuschneiden, auszusuchen was charakteristisch, kraftvoll oder zierlich oder sonst in einer Weise brauchbar ist. Vor allem sollte mir gelingen herauszugreifen, was mit dem Charakter der handelnden Personen harmonisch ist und wirkt. Was die Charaktere selbst betrifft, fühle ich mich auf ziemlich festem Boden, sie sind mir geistig lebendig vor Augen, einzelne seit Jahren. Das Gewand macht mir mehr Sorge als der Inhalt und die Charakterzeichnung. Wenn es mir nur gelingt, den gemütlich-trockenen Emmenthaler Humor ohne zu forcieren hineinzubauen. Doch will ich Dich damit nicht länger langweilen.

Trotzdem ich mich mit so gewagten Plänen herumschlage, bin ich nun wieder mit Leib und Seele Schulmeister und zu Zeiten ein zornmütiger, der grimmig tobt, nicht etwa über die unfolgsamen Schüler, vielmehr über die Unnatur und Verkehrtheit unserer gegenwärtigen Schule und über die Vergewaltigung unserer lebensfrohen Jugend. Wie überspannt sind z.B. die Forderungen im Rechnen. Tatsächlich muß das Kind jede im bürgerlichen Leben vorkommende Rechnung lösen können, es soll für das ganze Leben vorauslernen, es soll ohne Anschauung das rechnen, was der Erwachsene immer nur den Gegenstand vor Augen habend 155 rechnen muß; es soll in Sekunden das rechnen, wozu sich der Erwachsene gemütlich Minuten, ja oft Stunden, halbe Nächte Zeit läßt. Es soll im Kopfe lösen, was sich die meisten Erwachsenen bequem auf der Kalenderschreibtafel zurechtkritzeln. Alles das soll es leisten, obschon es noch gar keinen Wertbegriff von den Dingen besitzt. Sogar Christeli in Bluttenriedschwand am Napf hinten muß Wechselrechnungen lösen, obschon tausend gegen eins zu wetten ist, daß er nie in seinem Leben einen Wechsel erblicken wird. Wenn das nicht verrückt ist! Nicht besser siehts in der Aufsatzstunde aus. Der lehrherrliche Frosch quakt vor, die kleinen Fröschlein quaken nach. Wenns alle leidlich können, so wirds ins Aufsatzheft geschrieben. Am Abend hat der Lehrer das Vergnügen, 30 oder vielleicht 25 wörtlich gleiche Arbeiten zu corrigieren, für einen geistig noch nicht Versumpften einfach eine teuflische Höllenqual. Wollte der Pfarrer seinen Sermon oder die Frau ihre Gardinenpredigt zwanzigmal hinter einander herunterleiern, die davon Betroffenen müßten unweigerlich ein Billet «Münsingen-einfach» lösen. So etwas halten nur Schulmeister aus, Schulmeister, die entweder ein gigantisches Pflichtgefühl besitzen oder von einem pyramidalen Stumpfsinn besessen sind oder vielleicht von beidem eine starke Dosis besitzen. Wenn darunter aber nur der Lehrer zu leiden hätte! Aber es leiden darunter auch die Kinder, die den manchmal schauerlichen Hexentrank, den ihr Peiniger zusammengebraut hat, oder sich aus irgend einer Bücher-Apotheke verschrieben, hinunterwürgen müssen. Ob er ihnen ecklig sei oder nicht, geschluckt muß die Brühe sein. Das ist eine himmelschreiende Vergewaltigung, 156 die uns Lehrer zu einem heillosen Geßlerpack stempelt. Warum wollen immer nur wir maulen? Warum lassen wir nicht auch das Kind reden von dem, woran es innige Freude hat? Mich hat je und je das köstliche Geschichtlein ergötzt von jenem munteren Büblein, das dem Heidelbergerfragen zerkrautstückenden Pfarrherrn oder Schulmeister auf den Vorwurf, er wisse nichts, zu antworten wagte: «I weiß ou öppis, wo du nid weischt!» Und was wußte das junge, dicktuende Wissensprotzlein: Ein niedliches Vogelnestchen mit jungen Finklein im krummästigen Holderbusch! Grau, Freund, ist alte Eselshaut und grün der Lebensblütenbaum!

Eine kleine, buntfarbige, krause, aber unendlich heimelige Welt an Wissen, Erfahrungen und Vorstellungen bringt uns das Kind in die Schule. Und nun fahren wir mit der Reuthacke wuchtig in dieses Gärtlein, wühlen, reuten aus, zerstoßen achtlos winzige Samenkörner, Keime und feine Würzelchen, brechen Stämmchen, zerknicken Halme, überwuchern mit unserm durch den Trieur der Lehrpläne gejagten Samen und unserer pädagogisch geeichten Pflanzenmischung das sämtliche Erdreich, anstatt zu üppiges Unkraut auszurupfen, an allzu wilde Schößlinge das Schwentbeil anzusetzen und bloß sorgsam und stilgerecht die Blüten und Blößen zu befruchten. Gärtner sollten wir sein, die begießen, aufbinden, veredeln, besonnen lassen, nicht Toren, die mit frischangestrichenen Brettern lebenskräftige Jungsaat überdecken und ersticken, nicht Pedanten oder gar Kulturwüthriche, die hausen wie ein zorniger Elefant in der Dschungel. In der dichtesten Hecke wächst der schlankste Rosendorn, dem der Kundige das Edelauge einsetzt, 157 im ärgsten Gestrüpp der Apfel- und Birnenwildling, dem das fruchtbare Edelreis aufgepfropft werden kann. Ach wenn wir Lehrer und Lehrerinnen es gleicherweise verstünden, auf die Wissens- und Erfahrungsunterlage unserer Kinder unseren Schulstoff aufzupfropfen und eine blüten- und fruchttragende, festgefügte Einheit zu erzeugen. Aber da haperts! Zusammenwachsen will die Geschichte nicht; trotz allem Verkleistern klafft die Wunde. Denn wie wenig von dem was wir bieten geht in Saft und Kraft über! Wir Lehrer müssen noch besser pfropfen lernen und alles was nicht auf diese Unterlage paßt unnachsichtlich ausrangieren. Alleweile halten es aber die meisten statt mit dem Pfropfen noch mit dem Stopfen. Gestopft wird das Kind wie ein Lumpensammlersack. Aber ob sie gleich Samt und Seide hineinstopfen, für das Leben wird daraus bloß schlechter Hudelrupf. Doch nun auch hievon genug; aber es hat mir wohlgetan, wieder einmal gründlich auswüten zu können.

R. von Tavels «Götti und Gotteli» haben gleich nach ihrem Erscheinen auf der Egg Besuch gemacht und sind natürlich sehr willkommen geheißen worden. Anfangs wollten mir einige Stellen pietistischer Färbung nicht recht munden, weil ich das Pech hatte, in meinem Leben mehrfach mit recht traurigen Vertretern der pietistischen Richtung bekannt zu werden. Davon ist mir eine gewisse Schwerfälligkeit im Gerechtsein gegen diese Richtung, ein gewisses Mißtrauen hängen geblieben. Aber schließlich habe ich mich doch des ganzen Werkes recht freuen können und an manchen Einzelzügen herrlich gelebt. Dieses Jetti Lombach ist halt trotz seines Bekehrungseifers ein famoser Käfer!

158 Für R. v. Tavel böte die bernische Täufergeschichte einen herrlichen Stoff. Freilich müßte er dann auch seinen Stadtkreis verlassen und zum Teil den städtischen Dialekt. Etwas von so ergreifender Tragik wie den Kampf der bernischen, speziell der emmenthalischen Täufer und ihre Überzeugung habe ich noch nicht kennen gelernt. Die Notwendigkeit der weitherzigsten Toleranz ließe sich mit nichts so in alle Herzen einbrennen wie mit der Geschichte dieser guten Leute, denen ihre religiöse Überzeugung nicht erlaubte, gute Staatsbürger zu sein. Und was für Bilder sich da malen ließen, Täuferjagden, Familientrauungen, der Abschied von den Lieben, das Wandern in die Verbannung, das furchtbare Heimweh, das sie nach Hause zu den Lieben trieb und damit in den Tod; eine einzige ununterbrochene Schicksalstragödie. Wäre ich nicht ein Stümper, der Stoff könnte mich locken, es wäre aber jammerschade, wenn er nicht meisterlich behandelt würde.

Wir sind gesund, wie hoffentlich auch ihr. Von allen herzliche Grüße an euch alle. In der Hoffnung auf, wenn auch kurze, Antwort

S. Gfeller

Am 28. Januar 1907 an Rudolf Münger

Freund!

Es ist im Rate der Götter beschlossen worden, über mich diesen Winter eine kleine Prüfung hereinbrechen zu lassen in Form einer sechstägigen Landwehrdienstübung in der Kaserne zu Bern. So wie das Wetter gegenwärtig bei uns aussieht, hat dieser Dienst sicherlich nichts Verlockendes an sich. Die einzige Annehmlichkeit, die er mir bieten kann, besteht in der Aussicht, gelegentlich 159 abends Dir einen Besuch abstatten zu dürfen. Nicht als Gast, den man bewirten muß, nicht als Störefried in der Arbeit, nicht als einer auf den man irgend eine Rücksicht nehmen soll, möchte ich aber kommen, sondern ich möchte nur ein Stündchen in Dein Atelier schlüpfen, Dir bei der Arbeit zuschauen und dann wieder still verschwinden, so daß in Deinem Hauswesen und der Hausordnung nirgends ein Loch entsteht. Wenn ich so kommen dürfte, dann wäre es mir eine Wohltat; sobald ich aber merken würde, daß ihr meinetwegen auch nur einen Tritt mehr tut, so möchte ich wegbleiben.

Vielleicht gestaltet sich der Dienst selbst für mich erträglicher als ich fürchtete. Soeben habe ich mich nämlich beim Adjudanten des Bat. 113 als Postordonnanz angemeldet, und da ich ihn persönlich kenne, darf ich vielleicht auf Berücksichtigung hoffen. Mit meiner Kriegstüchtigkeit steht es nämlich nicht mehr am besten und ein wehmütiger Blick auf die nicht unbeträchtliche Wölbung meines Hosengurtes erweckt mir schlimme Ahnungen. Sollte ich gar in die Abteilung eines jungen, feurigen Leutnants hineingeraten, der für «ideale Richtung» und weitausgreifende Schritte schwärmt, so könnte das ganz bedenkliche Folgen nach sich ziehen. Ich spüre bereits Atembeklemmungen. Am meisten aber fürchte ich mich nicht vor den Strapatzen des Dienstes, sondern vor den mir bevorstehenden Traumnächten. Wie oft werde ich da im Hemd, ohne Gewehr oder Patronentasche, mit zerrissenen Hosen oder weiß Gott wie einrücken müssen. Ich komme gewöhnlich bis die letzten acht Tage vor dem Dienst nicht über Zollikofen hinaus, und auch die Gegend von 160 Schönbühl wird mir meistens gefährlich. Ich halte mir jetzt schon abends, bevor ich zu Bette gehe, eine beruhigende Ansprache, deren Refrain lautet: Herz sei still; der Tornister ist richtig gepackt; die Hosen sind ganz; das Dienstbuch steckt im Brotsack; vergessen wird nichts, also keine Bange! Obs hilft? — Ich zweifle.

Bei uns geht alles seinen gewohnten Gang. Jeden Tag Schule, jeden Abend Vorbereitungen und Correkturen; denn über alles geht mir gegenwärtig meine Schule und ich muß noch viel viel lernen, bevor ich mit mir als Lehrer zufrieden sein kann. Solange ich Schule halte, habe ich mich noch nie so fleißig präpariert wie diesen Winter; freilich auch noch nie mit soviel Befriedigung und Gemütsruhe unterrichtet. Nur manchmal wallt es in mir bitter auf, wenn ich sehe, wie wir die Kinder ganz unnötig quälen müssen um Dinge, die todsicher einige Jahre nach dem Schulaustritt völlig vergessen sind. Über unserer ganzen Schulorganisation lastet der Fluch der Lebensunfruchtbarkeit, und es wird noch harter Kämpfe bedürfen, bis alle lausigen Zöpfe und Zöpfchen daraus verschwunden sind. Ich beschäftige mich gegenwärtig mit einer Arbeit für das Schulblatt, in der ich gegen einige der ärgsten anrennen will.

Da fällt mir gleich ein, daß Du Dich halb bedauernd geäußert hast, Deinem älteren Töchterchen fehle der Ehrgeiz. Seither habe ich ein ehrgeiziges Mädchen so recht kennen gelernt. Das begabte Kind ist eines der unglückseligsten Geschöpfe, die es geben kann. Alles an ihm ist lauter Berechnung, alles Kindliche dahin. Ich hätte nie geglaubt, daß ein Kind so sein könnte. Gang, Haltung, Blick, Ton — alles studiert, wie bei der ärgsten Kokette. Der grüne Neid zerstört ihm jede 161 Freude. Es zermartert sich, von der Mutter angestachelt, das arme Gehirn, um Außerordentliches zu leisten. Und doch mögen es weder Lehrer noch Kameradinnen. Und darüber weint es herzzerbrechend und wird alle Tage verbitterter. Es will gewinnen und wird im innersten Kern seines Wesens immer verlogener. Danke Gott, daß Dein Kind nicht dieses furchtbare Schicksal teilt, sondern noch Kind ist und Kind sein kann; die Seelenkämpfe kommen noch früh genug. Wie oft fehlt unsere Schule darin, daß wir die Kinder in diesen unnatürlichen Ehrgeiz hineinreiten.

Draußen heult die Bise, wie eine Sau die gerungen wird. Schnee ist wieder knietief. Vor unseren Fenstern wimmelt es von Vögeln. Krähen und Eichelhäher kommen ganz ungeniert aufs Futterbrett. Am meisten machen mir aber die Eichhörnchen Freude. Alle Tage krabbeln sie an unserem braunen Schulhaus herum. Die Schüler legen ihnen Nüsse parat und stören sie nicht, sondern haben Freude am Beobachten. Sogar die Eichhörnchen haben mir erziehen geholfen. Wenn mal Kinder sich aufs Schauen verlegen und die Tierfreude in ihnen geweckt ist, so ist viel gewonnen.

Hoffentlich gehts euch allen wohl und ihr seid gesund. Freundliche Grüße von Haus zu Haus

S. Gfeller

Wenn Du nicht Zeit hast, so laß das Schreiben. Mein Dienst währt vom 16.-22. Februar und ich werde mich auf alle Fälle bei euch einfinden und schauen wie es euch geht.

Am 6. Juni 1908 an Rudolf Münger

Freund,

...

Nun zu meinen Bildern aus dem Bauernleben (Heimisbach. d.H.). Falls ich einen Verleger finde und dieser Verleger (ich dachte an Herrn Francke) etwas opfern will für den Buchschmuck, dann möchte ich herzlich gern, daß Du einige Helgen dazu zeichnen würdest; natürlich nur, wenn Du Lust hättest! Meine Arbeit hätte noch so nötig, daß ihr Wert durch gute Bilder gesteigert würde. Und für diesen, allerdings noch sehr ungewissen Fall möchte ich Dir die Sachen zur Durchsicht vorlegen. Ich weiß zwar, daß Deine Zeit rar ist; aber Du darfst die Handschrift ruhig Wochen behalten und ich hoffe, Du werdest in dieser Zeit ein freies Stündchen haben zum Lesen.

Das erste Bild muß noch in der Orthographie völlig geändert werden, auch das zweite ist noch nicht völlig konsequent, doch denke ich mir die Orthographie ungefähr so, wie sie im zweiten Bild angewendet ist.

Leider komme ich nicht viel zum Schreiben und es geht voraussichtlich noch lange bis ich das Ganze so zusammengeschweißt habe, daß es mich freut und daß es bestehen darf. Wie der Titel besagt, habe ich nicht eine Geschichte mit geschlossener Komposition zu schreiben im Sinne, sondern eben durch etwas Handlung lose verbundene Bilder. Es soll dabei zugehen wie in einem Gärtlein: Heute zieht dieses Beet oder diese frischerblühte Rose die Aufmerksamkeit auf sich, morgen blüht es in einer anderen Ecke. Aber immer soll das Leben einfach und wahr dargestellt sein und in möglichst reinem Dialekt. Dabei denke ich weniger an 163 Verfälschung durch Lehnworte aus der deutschen Sprache als an Verleugnung des mundartlichen Charakters durch Phrasen und Abstraktionen. Die Mundart ist die Sprache der konkreten Welt und von schier unerschöpflichem Bilderreichtum trotz ihrer großen Schwerfälligkeit.

Dann möchte ich Dich freundlich bitten, mir alles zu offenbaren, was Dir nicht gefällt. Ich bin für jede Kritik sehr dankbar. Ich weiß ja wohl, daß ich Dir damit eine Zumutung stelle; aber ich hoffe auch, daß Dir dieses oder jenes ein wenig Freude bereite, obschon ich meine Arbeit durchaus nicht etwa für eine großartige Leistung taxiere. Mein Trost, wie viel wäre daran zu verbessern!

Wir sind alle gesund und leben unser ruhiges, friedliches Leben mit seinen kleinen stillen Freuden und sind dabei zufrieden. Daß ich mit meiner Arbeit noch nicht weiter bin, plagt mich zwar manchmal; aber ich will doch auch gelebt haben und mal bei meinen Bienen stehen oder bei meinen Rosenstöcken oder beim Schneeballenbäumchen oder beim Stiefmütterchenbeet oder Parillenstock. Bienenhaus, Garten, Pflanzblätz, Bäume, Armensachen, alles will besorgt sein, von der Schule nicht zu reden, und ob ich ein Jahr eher oder später fertig werde, was verschlägts? Die Welt dreht sich deswegen ganz gleich und ich kann ruhig warten; Ehrgeiz stachelt mich keiner. Das Grien habe ich gerüstet; aber bis alles mauerfest steht, gehts noch ein Weilchen.

Hoffentlich steht auch bei Dir und den Deinigen alles wohl. Ich danke Dir zum voraus für Deine Mühe und verbleibe mit den herzlichsten Grüßen an alle

Dein S. Gfeller

Am 24. Februar 1909 an den Verleger Alexander Francke

Hochgeehrter Herr Francke,

Herr Dr. O. v. Greyerz hat mir den beiliegenden Correkturbogen zugehen lassen mit der Anweisung: Weils pressiert, bitte ich Sie, eine etwaige Correktur sofort an den Verleger Herrn Francke zu senden...

Demgemäß lasse ich Ihnen also den Bogen zukommen. Correkturen habe ich nur ganz belanglose anzubringen gehabt. Sollte die Zeit nicht mehr hinreichen sie zu berücksichtigen, so hat das nicht viel zu bedeuten. Nur die rot angestrichenen Stellen rühren von mir her und es ist bloß eine (Seite 79 Murer statt Muser) etwas wesentlicher und einer Verbesserung rufend. Da wir nur einmalige Postverbindung haben, war es mir unmöglich den Bogen eher ablaufen zu lassen.

Da ich nun einmal am Schreiben bin, möchte ich Ihnen auch noch etwas anderes mitteilen. Ich habe Ihnen gegenüber ein schlechtes Gewissen. Sie beschenkten mich mit dem II. Bärndütsch-Band (Grindelwald). Dafür wollte ich eine Besprechung erscheinen lassen, bisher ist es bei dem bloßen Vorsatz geblieben. Lassen Sie sich erklären warum. Kurz gesagt: Ich habe selber Korn auf dem Felde, das ich zu Garben binden möchte, deshalb fand ich nicht Zeit, auf dem Acker des Nachbars den Halmrechen zu ziehen. Unbildlich gesprochen: Ich schreibe an einem Buch: «Bilder us em Pureläbe». Die Bilder fügen sich zusammen zu einer Geschichte, in Lützelflüher Mundart erzählt. Dabei habe ich mir die Aufgabe gestellt, einen Ausschnitt aus dem Leben eines abgelegenen Bauernweilers auszuheben, wie man eine Blumenstaude ausgräbt, in ein Töpflein setzt und auf 165 dem Fensterbrett in liebevolle Beleuchtung rückt, damit sie ihre Ästlein ausbreite, Knöpflein ansetze und ein paar liebliche Blumen hervorbringe, die einen Menschen, der Sinn für schlichte und einfache Schönheit hat, erquicken möchten. Natürlich erzählt man einem Buchverleger solches nicht absichtslos, und ich will Ihnen gleich gestehen, daß ich in stillen Stunden die Hoffnung nährte, Sie wären vielleicht der gute Götti, der mir hülfe das Kindlein aus der Taufe zu heben. Bereits hat mir Herr Verleger Dr. Wyß in Bern, der von meinen Plänen durch den mir befreundeten Verfasser des «Chräjebüehl» Wind bekommen hat, anerboten, das Werk in Verlag zu nehmen. Aus verschiedenen Gründen möchte ich aber lieber mit Ihnen, dem ich so viel Dank schulde, in Verbindung treten. Vorläufig möchte ich Ihnen das aber nur zu meiner Entschuldigung mitteilen. Denn es kann noch eine ziemliche Zeit gehen, bis ich mit meiner Arbeit fertig bin, und bis dahin möchte ich Sie unbelästigt lassen. Ich möchte bloß noch darauf hinweisen, daß 3 der Stücke, die ich Herrn Dr. von Greyerz für die «Vorstufe zum Sprachschüler» geliefert habe (Wie ’s Sömli errünnt! — Wie ’s Strößli u ’s Bechli zsäme wandere — Hustage) aus meinen «Bildern us em Pureläbe» stammen.

Mit Hochschätzung

S. Gfeller, Lehrer

Der Verleger Alexander Francke am 27. Februar 1909 an Simon Gfeller

Sehr geehrter Herr Gfeller,

Ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Ihren Brief vom 24. d. erst heute und nur kurz beantworte. Meine Frau 166 hat sich hinter den Doktor gesteckt und dadurch zuwege gebracht, daß ich ein paar Tage folgen und ins Bett mußte, um einen eingerosteten Husten loszuwerden. Ich bin daher zum Schreiben etwas ungeschickt, um so empfänglicher aber für die frohe Botschaft, die Sie mir senden. Nicht leicht hätte mich ein Verlagsanerbieten so freuen können, wie das Ihre. Ich sage Ihnen also schon jetzt herzliches Willkommen und verspreche Ihnen, mein Möglichstes zu tun, dem Blumenstock, den Sie mir anvertrauen wollen, ein treuer, liebevoll besorgter Gärtner zu sein.

Ich zweifle nicht, daß wir uns über die Verlagsbedingungen leicht werden einigen können und sehe der Zusendung des Manuskripts, sobald es druckfertig ist, voller Freuden entgegen. Lassen Sie sich aber nur alle Zeit. Ein Buch von Ihnen kommt zu jeder Stunde recht.

Mit hochachtungsvollem Gruß

Ihr ergebener A. Francke

Am 6. März 1909 an Alexander Francke

Hochgeehrter Herr Francke,

Vor allem danke ich Ihnen für Ihre so überaus freundlichen und ermutigenden Zeilen vom 27. Februar, die mir wie ein wärmender und belebender Sonnenstrahl ins Haus geflogen kamen. Sie werden mir ein Ansporn sein, das beste zu leisten, was mir möglich ist. Leider wurde ich an der sofortigen Beantwortung durch dringende Schul- und Armengeschäfte abgehalten, würde Ihnen aber auf alle Fälle morgen geschrieben haben. Wie froh ich bin, daß Sie seinerzeit mein Manuskript 167 entgegennehmen und prüfen wollen, kann ich nicht sagen. Denn was mir not tut, ist nicht bloß ein geschäftstüchtiger Verleger, sondern ein Kunstverständiger und warmherziger Volksfreund, der mir meine Schwächen aufdeckt und mir mit bewährtem Rat zur Seite steht. Nur wenn es mir gelingt, etwas zu schaffen, das Sie gerne und freudig unterstützen, soll zu Druck und Herausgabe geschritten werden. Um die Verlagsbedingungen kümmere ich mich nicht; meine Hauptsorge ist, dem Gegenstande, den ich schildere, gerecht zu werden. Wenn es mir gelingt, das Meinige zu tun, Sie werden das Ihrige schon tun; ich bringe Ihnen ein schrankenloses Vertrauen entgegen! Wann ich fertig werden kann, weiß ich noch nicht und bin darum dankbar, daß ich mir Zeit lassen darf. Sobald ich dann fertig bin, werde ich es Ihnen melden.

Gerne bin ich bereit, die Arbeit des Herrn Loosli, den ich persönlich einigermaßen kenne, zu durchgehen und gründlich zu prüfen; nur erschreckt mich die Verantwortlichkeit, die ich damit auf mich nehme, ein wenig. Es wäre mir eine Beruhigung, wenn ich meinen Freund Emil Günter in Burgdorf (Verfasser des Christe Chräjebüehl) zur Mitberatung herbeiziehen dürfte. Herr Günter ist ein Mann von gesundem Urteil, reicher Erfahrung, ein Kenner emmenthalischer Mundart und Verhältnisse und mir wegen seiner großen Herzensgüte und unbedingten Lauterkeit überaus sympathisch. Daß er sich der Mühe gern unterzieht, wenn ich ihn darum bitte, dessen bin ich sicher, und Verbindlichkeiten erwachsen Ihnen keine daraus. Wir würden das Manuskript alsdann getrennt lesen und in mündlicher Besprechung unsere Eindrücke austauschen und ein gemeinsames 168 Urteil abgeben. Sollte aber Ihnen oder Herr Loosli aus dem einen oder andern Grunde die Beiziehung des Herrn Günter unerwünscht sein, so bitte ich, es unverhehlt zu sagen, dann besorge ich die Durchsicht allein und bleibe Herrn Günter gegenüber still. Am liebsten ist es mir, wenn Sie das Manuskript sofort senden; später kommt das Examen in die Quere und allzulange möchte ich Sie nicht warten lassen.

Mit hochachtungsvollem Gruße

Ihr S. Gfeller

Am 21. September 1909 an Alexander Francke

Sehr geehrter Herr Francke,

Ich danke Ihnen herzlich für das zugesandte Buch. «Mys Dörfli» ist recht schmuck geworden und hoffentlich findet es zahlreiche Freunde und Leser. Ich bin außerordentlich gespannt darauf, wie es aufgenommen werde, und hauptsächlich interessiert es mich, was man zu dieser kühnen Rechtschreibung sagen wird. Für mich gibt es da sicherlich viel zu lernen.

Nach halbjähriger Unterbrechung arbeite ich seit einigen Tagen wieder emsig an meinem «Heimisbach». Es stehen mir jetzt etwa 4-5 Wochen zu freier Verfügung und in dieser Zeit hoffe ich einen mächtigen Schritt vorwärts zu tun. Ich habe mir fest vorgenommen, daß das Manuskript bis zum Frühjahr spätestens fertig sein müsse. Dann wandert es vorerst zu Herrn Dr. von Greyerz, der so gütig sein will, es zu prüfen. Wahrscheinlich werden dann Kürzungen und Umänderungen nötig, ebenso wird die Orthographie dann endgültig festgelegt werden müssen (mit Ihrer Zustimmung), 169 und dann kann das Ganze endgültig ins Reine geschrieben werden, was dann rasch geschehen sein wird.

Je nach Ihrem Wunsch steht Ihnen schon der erste oder dann der bereinigte Entwurf zur Verfügung.

Bis dahin möchte ich Sie ganz in Ruhe lassen und Ihre kostbare Zeit schonen.

Mit Hochschätzung und freundlichen Grüßen

Ihr ergebener S. Gfeller

Am 14. Dezember 1909 an Alexander Francke

Sehr geehrter Herr Francke!

Das Feuilleton «Der Lieder Kraft» stammt, wie Sie vermutet haben, wirklich von mir. Ich schrieb es in der Hoffnung, allen Röseligarten-Herausgebern damit eine kleine Weihnachtsfreude zu machen. Denn für diese Lieder, die manchmal in ihrer treuherzigen Unbeholfenheit unendlich mehr ergreifen als das raffinierteste Kunstgedicht, bin ich Feuer und Flamme. Schaue man einmal über die ganze Sammlung weg, so wird man inne werden, daß wir hier eine der intimsten und vielseitigsten Offenbarungen der Volksseele vor uns haben, die es geben kann. Der Volksschriftsteller kann in seinen Beobachtungen irren, er ist gebunden an seinen Erlebens- und Erfahrungskreis, sein Werk wird immer Lücken aufweisen und von Einseitigkeiten durchsetzt sein. Diese Lieder aber sind bis zum letzten Tüpflein ächt; mögen sie auch von Einzelnen stammen, so sind sie doch durchs große Sieb gereinigt worden, und nur das konnte sich halten, was eine Saite des Volksgemütes 170 zum Mitschwingen brachte. Das ganze Volk hat an ihnen geschliffen und geändert, wohl nicht immer zum Vorteil der Form, sicherlich aber zum Vorteil für wirklich volkstümlichen Gehalt. So sind die Lieder, abgesehen von ihrer Bedeutung für das Volk, unschätzbar wichtige Dokumente für jeden, der tiefgründiges Volksstudium betreiben will.

Dann schrieb ich den kleinen Beitrag auch mir zur Erholung und zur Abwechslung. Meine berndeutsche Schreiberei ist auch gar zu ermüdend. Der Dialekt hat seine herrlichen Vorzüge, aber auch seine Schattenseiten. Kommt man zur Schilderung von Seelenzuständen oder sonst in abstrakte Gebiete, ja, dann ist Holland in Not. Umschreibungen und Bilder müssen das ersetzen, wofür noch keine Worte geprägt sind, und die Gefahr, Fremdes zu unterschieben, ist dann groß. Mein Manuskript ist immer noch nicht fertig. 7 Kapitel sind in Glarisegg bei Herrn von Greyerz, das achte ist unter der Feder (zum drittenmal!). Immerhin gedenke ich bis im Frühling fertig zu sein, insofern mich nicht Unabwendbares hindert. Versprechen Sie sich nicht zuviel davon: Höhenfeuer kann ich keine anzünden, ich bin zufrieden, wenn es mir gelingt, einige stille wärmende Lichtlein aufzustecken.

Mit Hochschätzung und freundlichem Gruß

Stets Ihr S. Gfeller

Am 31. Dezember 1909 an Josef Reinhart

Lieber Freund,

Nun muß ich aber verdammt pressieren, wenn ich dir im alten Jahr noch schreiben will, denn soeben haben 171 die Sylvesterglocken zu läuten begonnen und ihre Klänge in die Töne eines wunderbaren Abendhimmels gemischt. Neujahr ist hier oben allemal weihevoll; von sieben, acht Dörfern wehen die Glockenklänge zitternd über Hügel und Wälder; unten rauscht die Emme, und die Tannen stimmen leise ein; daneben Stille und wohltuende Einsamkeit. Ich bin sicher, wenn du soeben mit mir auf der Egghöhe gewesen wärest und in die feurige Lohe des Abendhimmels gestaunt hättest, so säßest du jetzt hinter einem Gedicht und nicht über einem prosaischen Brief.

Ich will aber gleich bemerken, daß ich dir mit diesem Brief keine Schuld auferlegen will. Zu einem regelrechten Briefwechsel Zug um Zug, mit regelmäßigen Terminen, möchte ich weder dich noch mich verpflichten, sonst wird leicht Wohltat zur Plage und was einem eine Freude und ein Genuß sein soll, kann zu einer drückenden Schuldigkeit werden. Als wir damals in Großhöchstetten auseinandergingen war es grad im Momente als wir anfingen warm zu werden, und ich möchte den Faden von damals weiterspinnen.

Du warntest dannzumal Grunder und mich vor unserer Bernerderbheit. Drauf hätte ich dir noch gerne ehrlich und klar geantwortet. Mir schien nämlich, man dürfe eine solche Generalregel nie aufstellen. Ich meine, wer schriftstellert, hat sich den Kuckuck darum zu kümmern, ob dieses oder jenes Wort seine Leser in die Nase stechen könnte, sondern es heiße da einfach den Blick zu richten auf das, was man darstellen will, auf den Stoff. An diesem allein kann der Maß-stab gefunden werden. Die einzige Sorge ist die, seinem Stoff gerecht zu werden, ihm die Behandlung angedeihen zu 172 lassen, die er verträgt, und die sich mit den Fähigkeiten und Kräften des schaffenden Künstlers verträgt. Was sind Regeln? — Ein tüchtiger Kerl hat sie immer über den Haufen geworfen und das Regelbuch ist zu seinen Gunsten angewendet und umgeändert worden von der Kritik, die stets hintennach hinkt. Wenn zwei die gleiche Art der Darstellung anwenden, so ist es eben nie das Gleiche. Der eine haut durch, der andere bleibt stecken; dem einen gelingt das Feine besser, dem andern das Grobe. Ich für meine Person bin für das kräftige und wuchtige, weiß aber auch das Zarte und Feine zu würdigen. Du scheinst dich, nach deinen Aussagen, nun etwas einseitig ins Feine auswachsen zu wollen und das ist mir — lache des törichten anmaßenden Toren oder nicht — geradezu ein Kummer, und wenn ich dir wirklich und ehrlich Freund sein darf und will, so kann ich nicht anders als den Spieß umkehren und dich warnen.

Sieh, ich weiß sicherlich, wer der Josef Reinhart ist, und was er kann. Es gibt unter deinen Schriften etliche, die mir zum Liebsten und Schätzenswertesten gehören, was deutsches Volksschrifttum hervorgebracht hat; ich habe sie lieb gewonnen gerade um ihrer Feinheit und Zartheit willen. Aber verschweigen möchte ich nicht, daß zum Beispiel deine Liedli ab em Land für meinen Geschmack (nenne es herzhaft Ungeschmack) schon beinahe zu fein und zu geschliffen sind. Noch eine Nummer glätter und sie wirken nicht mehr wie sie wirken könnten, man sehnt sich nach einer festen Faust, die einem an den Krossen fährt, würgt, schüttelt, daß man nachher spürt, der Mensch hat eine Löwenpranke, die einem ächzen und stöhnen macht, aber zwingt, aufreißt zu staunender Bewunderung. Wie in der Malerei 173 so auch in der Schriftstellerei ist es der Kontrast, der die Farben leuchten macht, und es ist durchaus unklug, sich vor einer tüchtigen Derbheit zu fürchten (ausgeschlossen das Gemeine, insofern es nicht zur Charakterisierung unumgänglich notwendig ist). Zartes und Inniges kommt daneben umso mächtiger zum Bewußtsein. Nach den kleinen Seelen, die einem um eines derben Wortes willen gering schätzen, soll man sich doch nicht richten.

Ich erlebe gegenwärtig etwas Kurioses: Jede Woche kommt die Hottinger-Lesemappe und bringt zehn der ersten deutschen Zeitschriften. Und weißt du, wie sie mir vorkommen, unsere neunmalklugen deutschen Schriftsteller und Redaktoren? Haargenau wie eine Meute von Jagdhunden, die einen Hasen aufstechen wollen. Sie schnüffeln und suchen fieberhaft. Jeder sucht die rechte Spur. Brüllt einer laut und hässig, im Nu ist ein Rudel anderer neben ihm und bellt der Spur nach. Wie lange? Bis wieder ein anderer das Maul recht voll und toll aufreißt und noch zuversichtlicher bellt. Dann verlegenes Aufhorchen: um Gotteswillen, wer hat die rechte Spur? wo liegt der Has? wem soll man glauben? wo wird er endlich hinauspfitzen? Einzelne lösen sich und machen sich so sattli zu einem anderen Rudel hinüber; andere trauen der Sache zwar schlecht, schämen sich aber auszukneifen. Der Ratlosen, derer die Räuspern und Spucken nachmachen, können ganze Haufen sein, der Nachtrotter ganze Kometenschweife. Was nun tun?

Um bei dem Bilde zu bleiben: Ein tüchtiger Jagdhund, der eine gesegnete Riechwurzel hat, wird dem ganzen Rudel den Rücken kehren; er wird sein eigenes 174 Wäldchen aufsuchen, er wird sich selbst einen Hasen aufspüren. Er wird im Schweiße seines angesichts keinen Strauch, kein Stockloch, kein Brombeerdach, keinen Abzuggraben ununtersucht lassen, und findet er im ersten Waldstück vielleicht bloß noch alte, schon abgejagte Spuren, so wird er in einem zweiten seine Sucharbeit fortsetzen; er wird die alten und die neuen Spuren endlich unterscheiden lernen und wird endlich auch sein Häslein stechen, unbekümmert darum, wie viel die andern unterdessen aufgetrieben haben.

Du hast die gesegnete Riechwurzel, von der ich gesprochen habe und hast nie und nimmer nötig, auf die Laute zu horchen, die aus deutschen Wäldern klingen. Du hast auch dein gutes Waldrevier und kennst dich aus unter den heimischen Tannen, es wächst dort noch mancher kuriose Knorren, dienlich zu wuchtigem Prügelholz. Und jammerschade wäre es, wenn du die heimische Weise mißachten und nach deutschen Noten geigen wolltest. Jakob Schaffner zeigt, wie falsch das klingt. Glaube mir, das Volksleben in seiner billionengestaltigen Fülle ist immer noch nicht ausgeschöpft, hunderte können noch schöpfen, denn es ist ein Lebendiges, ewig Wechselndes, stets in neuen Farbenmischungen Erstrahlendes. Wie wär’s, wenn du dich jeweilen in den Ferien irgendwo in einem Nebenausnest vergraben tätest und Augen und Ohren recht scharf spitztest? Ich bin sicher, du würdest allemal einen guten Stoff aufpirschen.

Doch nun will ich aufhören, ich bin mir selbst genau bewußt, daß es mir nicht ansteht, dir zu dozieren. Aber mit dem Freimut des selbständigen Menschen, der jahrelang gewöhnt ist, sich über alles sein eigenes Urteil 175 zu machen, habe ich es dennoch gesagt. Fluche über mich, erbose dich weidlich, aber verkenne nicht, daß alles, was ich dir geschrieben habe, aus meinem Wohlmeinen geboren ist.

Als ich in dem beigelegten Feuilleton den Schlußabschnitt schrieb, dachte ich auch vor allem an dich, deshalb sende ich dir den Abschnitt zu. Ich selbst kann leider nicht Lieder dichten. In meinem dicken Gring steckt nicht mehr Poesie als in einem ausgetretenen Stiefelabsatz. Das ganze Feuilleton habe ich geschrieben mir zur Erholung von der mühseligen Dialektschriftstellerei. Gestern habe ich von meinem «Heimisbach» das achte Kapitel beendigt. Noch zwei, dann Schluß. Bis nächsten Herbst sollt’s im Buchhandel sein.

Und nun empfange meinen herzlichsten Glücks- und Segenswunsch zum neuen Jahre. Möge es für dich und die deinen licht und freundlich sein.

Von Herzen dein S. Gfeller

Der Verleger Alexander Francke am 19. Mai 1910 an Simon Gfeller

Sehr geehrter Herr Gfeller!

Nun habe ich Ihr Manuskript schon 8 Tage im Haus und habe doch noch kein Lebenszeichen von mir gegeben. Ich wollte mich nicht auf die trockene Anzeige des richtigen Eingangs beschränken, sehe nun aber doch ein, daß ich unmöglich alles lesen kann, bevor ich Ihnen schreibe. Es wäre auch schade, die Lektüre zu überstürzen. Wie es geschrieben ist, in liebevollem, sorgfältigem Aufbau, so will es auch genossen sein.

176 Meine Frau und ich sind jetzt beim 3. Kapitel, beim Schulmeister, wie er sich durch seine selbstlose Mitarbeit das Zutrauen der Bauersleute erwirbt, und schon jetzt muß ich Ihnen sagen, daß es mich geradezu glücklich macht, dieses Buch verlegen zu dürfen. Ich möchte nicht gern große Worte brauchen, muß es aber doch aussprechen, daß Sie mir erscheinen wie ein moderner Prometheus, der den Emmentaler in seinen vielgestaltigen Vertretern lebendig aufs Papier bringt und in seiner charakteristischen Eigenart für Gegenwart und Zukunft lebendig erhalten wird. Man kommt aus dem Staunen und Genießen gar nicht heraus. Man sieht und hört die handelnden Personen bis in die kleinsten Einzelheiten, aber nicht einfach abkonterfeit. Unmerklich, aber gerade um so wirksamer, fühlt man den Herzschlag des Menschenfreundes, der sein Volk auf den richtigen Weg leiten möchte, wo es abirrt. Ich denke dabei zum Beispiel an den Abschied des Melkers vom Bauern. Diese Szene ist pestalozzisch.

Doch ich darf mich nicht auf Einzelheiten einlassen. Ich würde sonst nicht fertig. Auch dürfen wir mit dem Druckbeginn nicht warten bis wir mit der Lektüre fertig sind. Sonst wäre das Erscheinen zum Herbst kaum möglich. Ich gehe daher zu den Verlagsfragen über.

1. Honorar. Es ist ein Jammer, daß ein so herrliches Buch durch den Dialekt auf einen kleinen Abnehmerkreis beschränkt ist und daher nicht in großer Auflage gedruckt werden kann. Infolge dessen kann auch das Honorar nicht hoch sein. Immerhin biete ich Ihnen Fr. 500.-. Außerdem, wenn ein Reingewinn erzielt werden sollte, der eintreten würde nachdem auch mir Fr. 500.- zugeflossen wären, so würde ich einen solchen 177 alljährlich mit Ihnen zu gleichen Hälften teilen. Wenn Sie mit diesem Vorschlage grundsätzlich einverstanden sind, werde ich Ihnen einen Vertragsentwurf mit den nötigen Einzelheiten senden.

2. Ortographie. In dieser kritischen Frage halte ich die von Ihnen vorgeschlagene Lösung für die richtigste. Die 3 Arten von Unterpunktion stören das Satzbild entschieden am wenigsten, und auch diejenigen Leser, die sich durch Friedlis Bärndütsch noch nicht daran gewöhnt haben, werden es bald begreifen. Einer Erklärung und Begründung wird es natürlich bedürfen. Wie haben Sie sich das gedacht? Am besten wohl mit einer Einleitung? Es trifft sich gut, daß Herr Loosli für sein neues Buch, das in meinem Verlag erscheint, «Geschichten vom Drätti», seine Rechtschreibung neu präzisiert hat. Ich schicke Ihnen beifolgend einen Korrekturabzug, der es ermöglicht, sein Verfahren mit dem Ihren zu vergleichen. Der Vergleich kann, scheint mir, nicht anders als zu Ihren Gunsten ausfallen. Abgesehen von der Unschönheit des Wortbildes ist es einfachen Lesern häufig nicht zuzumuten, daß sie richtig zu unterscheiden wissen, wo zum Beispiel ein w als labialisiertes l und wo als w verstanden sein soll. Ebenso bei dem Ersatz des ll durch u. Jede Seite des beiliegenden Verzeichnisses bietet dafür Belege. Am ehesten könnte man sich vielleicht dazu verstehen, nd mit g zu schreiben, Ching statt Chind. Aber auch das möchte ich nicht befürworten. Es kommt mir vor wie ein Attentat auf die Spracheinheit, wenn wir um der Aussprache willen die Wörter bis zur Unkenntlichkeit verzerren und weniger Sprachgewandten dadurch ohne Zweifel die Lektüre erheblich erschweren. Ich bedaure nur, daß ich Ihre Vorschläge 178 nicht schon früher kannte. Sonst hätte ich Herrn Loosli zu bewegen gesucht, sich Ihnen anzuschließen.

Die im «Bärndütsch» verwendeten Lettern können wir nicht brauchen, weil augenblicklich ja gerade der III. Band, Guggisberg, im Satz ist. Auch bin ich mir nicht klar darüber, ob diese Schrift nicht etwas zu groß ist. Ich will darüber mit Herrn Buchdrucker Büchler verhandeln und Ihnen baldmöglichst berichten.

Auf Illustrationen würde ich lieber verzichten, weniger wegen der Kosten, obschon das Buch natürlich dadurch verteuert würde, als weil ich es für eine künstlerisch kaum lösbare Aufgabe halte, Figuren und Szenen zu schaffen, die auch nur annähernd auf der Höhe Ihrer Zeichnungen stünden. Es gäbe beständige störende Konflikte und Enttäuschungen, vor denen wir unsere Leser bewahren sollten. Jeder soll sich mit Ihrer Hülfe seine Phantasiegestalten schaffen. So werden sie ihm lieb und vertraut sein, und er ist vor dem Eindringen fremder Erscheinungen sicher.

Noch selten, vielleicht nie, bin ich mit einem solchen Glücksgefühl an ein neues Verlagsunternehmen herangetreten und mir bewußt gewesen, was für ein schöner Beruf der des Buchhändlers sein kann, wie jetzt, da ich Ihr glücklich vollendetes Manuskript «Heimisbach» in Händen habe. Mögen die Hoffnungen, die Sie und ich an Ihr Buch knüpfen, in reichem Maß in Erfüllung gehen!

Mit herzlichem Gruß

Ihr ergebener A. Francke

Der Verleger Alexander Francke am 25. Mai 1910 an Simon Gfeller

Sehr geehrter Herr Gfeller,

Ihren Brief vom 23. d. habe ich mit Dank erhalten. Ich schicke Ihnen nun beifolgend die Abschnitte Ihres Manuskriptes, die meine Frau und ich gelesen haben. Es sind die 4 ersten, die — darüber glaube ich Sie beruhigen zu können — sicher alle auf gleicher Höhe stehen. Eine kleine Bemerkung möchte ich mir erlauben über den Titel des III. Kapitels. «Bi de Ruehbettchünige» scheint mir nicht ganz glücklich. Wenn schon die beiden Alten allabendlich auf ihrem Ruhebett thronen, von dort aus Überschau halten und Worte der Weisheit sprechen, so ist das doch gerade das Erfreuliche an ihnen, daß sie trotz ihrer Jahre nicht der Ruhe pflegen und, wo sie können, noch tapfer mit angreifen. Sie sind also mehr als Ruehbettchünige. Überdies aber, und das scheint mir die Hauptsache, dreht sich nach meinem Gefühl das Hauptinteresse, unbeschadet der Freude an den Alten, um den Schulmeister, mit welcher Energie er sich auf und in die Landarbeit stürzt, um das Vertrauen der Bauern zu erwerben und sich eine gründliche Kenntnis des Tuns und Trachtens seiner Schulkinder zu erwerben. Für die Entwicklung des Schulmeisters, der doch im Mittelpunkt des Buches steht, ist dieses Kapitel von besonderer Wichtigkeit. Darum möchte ich Ihnen eine Umtaufe des Titels vorschlagen, etwa: «Wie der Schumeister ds Puure lehrt».

...

Anbei sende ich Ihnen 2 Verlagsverträge mit meiner Unterschrift. Wenn Sie einverstanden sind, wollen Sie 180 mir gefl. 1 Ex. unterschrieben zurückschicken. Sollten Sie aber noch irgendwelche Änderungen wünschen, so bitte ich um Mitteilung.

Mit freundlichem Gruß

Ihr A. Francke

Am 8. Oktober 1910 an Rudolf Münger

Freund!

Die freundliche Einladung zu einem Vorleseabend in Bern hat mich in nicht geringe Unruhe versetzt. Ganz gewiß weiß ich die mir zugedachte Ehre zu schätzen und verstehe die gute Absicht zu würdigen. Und doch muß ich nach reiflicher Überlegung ganz entschieden ablehnen. Ein Buch vorzulesen, das in aller Hände ist, erscheint mir direkt widersinnig. Etwas anderes wäre es, wenn ich ein ausgezeichneter Vorleser wäre und durch einen schönen Vortrag dem Geschriebenen einen erhöhten Wert zu geben vermöchte. Dem ist nun aber nicht so. In großer Erregung werde ich leicht heiser und manchmal versagt mir schon nach kurzer Zeit die Zunge, so daß ich anstoße. Zudem erscheint es mir als eine schlechte Gepflogenheit, ein Buch, das ein Ganzes bildet, auseinander zu reißen und damit einen Kurzwarenhandel zu eröffnen. Hätte ich Neues vorzulesen, zum Beispiel kurze Geschichten, Skizzen etc., die ein abgeschlossenes Ganzes bilden, so würde ich vielleicht den Versuch wagen. Was bleibt aber übrig bei einem Buche, das die meisten vielleicht schon gelesen haben? Läuft da nicht der ganze Rummel mehr oder weniger auf eine «Viehschau» hinaus? Man kommt nicht aus Freude am Werk, sondern aus Neugierde, um zu schauen, was der Kerl für ein Gefräß macht. Ich glaube entschieden, daß 181 gerade durch diese Vorlesereien die Sucht des Publikums, sich mehr mit dem Dichter als mit seinem Werk zu befassen, unheilvolle Nahrung erhält. Doch will ich damit niemanden tadeln, der seine eigenen Werke gern vorliest. Bei mir aber ist das nicht der Fall, so gerne ich meinem Buche eine weitere Verbreitung gönnte. Ich bin kein Rezitator und will mir nicht Dinge anmaßen, die ich nicht kann. Und ich denke, daß es auch zur guten bernischen Eigenart gehört, nicht überall die Nase zuvorderst haben zu wollen und da wegzubleiben, wo man nicht hingehört, und daß mir deshalb der Vorstand der Heimatschutzvereinigung nicht zürnen werde. Vielleicht ließe sich die Sache auch so arrangieren, daß einer der es wirklich kann (zum Beispiel Dr. von Greyerz) einen Abend aus verschiedenen bernischen Dialektschriftstellern vorliest, wobei dann das Publikum wirklich einen Genuß hätte.

Auf den jetzigen Zeitpunkt kann ich also nicht zusagen; ob später einmal, nachdem ich mich zum Beispiel im Vorlesen tüchtig geübt und ausgebildet hätte, das Wagnis unternommen werden dürfte, weiß ich noch nicht.

Herzlich grüßt Dich Dein

S. Gfeller

Für die gütige Einladung immerhin herzlichen Dank.

Der Verleger Alexander Francke am 5. Januar 1911 an Simon Gfeller

Lieber Herr Gfeller!

Schon seit Wochen wollte ich Ihnen schreiben, und nun sind Sie mir zuvorgekommen! Nicht zwar mit einem Brief, aber mit einem stummberedten Gruß, der mir und meiner Frau viel Liebes sagt von Ihnen und Frau 182 Gfeller. Rosig, ein Bild des Friedens und der Verheißung, breitet sich der Himmel in seiner Unendlichkeit über der Egg aus, über der verschneiten Matte und den winterlich kahlen Obstbäumen. Aber es wohnen Menschen in der Nähe. Ihre Spuren führen durch den Schnee. Eben waren sie noch hier, um Hand in Hand sich zu freuen an der glitzernden Pracht. Nun sitzen sie in der warmen Stube und plaudern miteinander, vielleicht von der Fortsetzung vom «Heimisbach».

Vielleicht aber auch vom ersten Teil, und da dürfen sie sich des schönen Erfolges freuen. Wenn alle die, die das Buch geschenkt bekommen und gelesen haben, des Verfassers in Dankbarkeit gedenken — und daran ist nicht zu zweifeln — so muß Ihr Haus jetzt allabendlich von fröhlichen Geistern umschwirrt sein, die ganz leise an die Fensterscheiben klopfen und sehnsüchtig hereinschauen um den Mann kennen zu lernen, dem sie solche Weihnachtsfreuden zu danken haben. Auch meine Frau und ich gehören zu diesen, und Sie sind vor einem Besuch nicht sicher, wenn meine Frau sich hoffentlich in nicht zu ferner Zeit von einem Leiden erholt haben wird. Einstweilen müssen wir uns damit begnügen, Ihnen schriftlich unsern Dank zu sagen und alles Gute für das neue Jahr zu wünschen. Was wird es uns bringen? Unter anderem hoffentlich eine Vorlesung von Ihnen. Nachdem Sie in Burgdorf einen vollen Erfolg gehabt, hat die Bundesstadt auch Anspruch darauf, Sie zu hören. Am besten geschähe es wohl unter der Ägide des Heimatschutzes. Soll ich einmal mit Freund Münger darüber reden?

...

Mit herzlichem Gruß

Ihr ergebener A. Francke

Am 19. Mai 1911 an Rudolf Münger

Freund Münger,

Leider muß ich Dir mitteilen, daß ich voraussichtlich nicht nach Interlaken kommen kann. Bei der naßkalten Witterung habe ich mir ärgerliche Rheumatismen zugezogen und dazu kommen noch Imkersorgen. Voraussichtlich, das heißt wenn es schön ist, fällt am Sonntag ein Schwarm, vielleicht zweie, und da wäre meine Frau in Verlegenheit. Ich bitte Dich deshalb mich zu entschuldigen, hoffentlich wird durch meine Abwesenheit nichts wichtiges versäumt. Unter normalen Verhältnissen hätte mir die Tagung Freude gemacht.

Wie stehts nun mit Eurem und Herrn Franckes Besuch am 28. Mai? Hoffentlich kommt da nicht auch noch etwas in die Quere. Willst Du mir dann noch schreiben darüber?

Was sagst Du zum Seminarhandel? Ist das nicht das reinste Ketzergericht? Schneider muß weg, weil er nicht an die Unfehlbarkeit der bernischen Lehrerschaft glaubt. Die «Kardinale» Fischer und Rothen haben seine Schriften durchschnüffelt im Auftrag der Indexkongregation; wichtige Fehler sind zum Vorschein gekommen (zum Beispiel auch, daß Schneider in einem Satze viermal das Wörtlein «wäre» gebraucht!!). Die Jungen stehen zwar tapfer zu Schneider und haben ihn geschickt verteidigt; tut nichts: Der Jude wird verbrannt!

Der Kantonalvorstand hat (zwar lau) die Beschwerde gegen Schneider etwas zu mildern gesucht, die Kampfhähne haben davon keine Notiz genommen. Als ein Hauptpunkt der Klage figuriert das künstlerisch-ästhetische Bildungsideal, dem Schneider nachjage. Könnte 184 nicht auch von Seite des Heimatschutzes oder von Seite der Künstler für den Verfolgten ein Wort eingelegt werden? Etwa ein Zeitungsartikel im «Bund» oder eine Besprechung mit Dr. Büchler, der in der freisinnigen Parteileitung sitzt? Denn das ist sicher, daß die jungen Lehrer (zu einem schönen Bruchteil wenigstens) für Kunst und Literatur mehr Interesse haben als die alten. Kommt man zu einem jungen Lehrer, so hat er ein schönes Bild an der Wand und ein gutbesetztes Bücherbrett. Dieser Zug dürfte anerkannt werden, und es sollte nicht wieder einer ans Seminar gelangen, der Rafaels Engeli aufhängt, weil man daran sehen kann, wie schön es ist, wenn ein Kind nicht unterstellt, und wie häßlich, wenn es die Fäustchen unters Kinn stützt. (Zwar nicht ein Seminardirektor, sondern ein Meiringer Schulmeister soll sich das geleistet haben). Vielleicht sprechen wir dann anläßlich Deines Besuches noch darüber.

Freundlich grüßend

S. Gfeller

An Josef Reinhart am 20. April 1912

Freund!

Nein, du hast mir seit dem Berner Vortragsabend nie geschrieben bis heute. Glücklicherweise bin ich nicht mißtrauisch veranlagt, sonst hätte ich wähnen können, du habest meine Zeilen übel gedeutet und mich für einen zutäppischen und überheblichen Menschen gehalten, der denen raten will, die es weder begehren noch nötig haben. Kraft meines guten Gewissens dachte ich aber nicht so, sondern verließ mich darauf, du werdest meinen herzlichen Anteil an dir nicht verkennen. Dafür gab mir dann dein heutiger Brief die Bestätigung.

185 Zu deiner Beförderung wünsche ich dir Glück wie’s in der Bibel heißt: Von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und aus allen Kräften; wenn es einem Guten und Tüchtigen gelingt und gut geht, feiere ich immer ein kleines Festchen fröhlichster Genugtuung. Und daß du mir auch fernerhin ein wenig Anteil an dir und deinem Streben einräumen willst, schlage ich dir hoch an. Es mag selten genug vorkommen, daß ein neugebackener Seminarlehrer einem Hinterwaldschulmeister seine Pläne vorlegt; das tut nur ein Josef Reinhart. Daß du es tust, legt mir die Pflicht auf, Vertrauen mit Vertrauen zu erwidern und dir mein Herz ganz abzudecken.

Ich bin auch just in der Stimmung dazu. Laß Dir erzählen. Ich stand heute an einem offenen Grabe und empfing dort einen starken Eindruck. Man begrub einen einfachen und bescheidenen Mann. Ein ganzes Dorf war anwesend, und durch die ganze Trauergemeinde kreiste immer nur der eine Gedanke: Das war ein Mann! Der Verstorbene war tüchtig in seinem Berufe; doch nicht das verursachte den starken, überwältigenden Eindruck, der alle in Bann schlug. Der Verstorbene war ein Fels der Wahrheit, Gerechtigkeit und Treue, zuverlässig, lauter und gerade. Nie ist ein Falsch an ihm erfunden worden, und darum galten seine Worte wie ein Evangelium, obschon er nur ein einfacher Käser war. Du kennst die Hinterhältigkeit und Mißtreu unserer Bauern und ihr dickes Fell. Aber ich sage dir, und es ist nicht dichterische Phantasie, sondern an Einzelbeobachtungen durch Jahre hindurch erhärtete Lebenstatsache: ihm gegenüber waren sie wie ausgewechselt; ihr Glaube an ihn und seine Rechtlichkeit war unerschütterlich; auch wenn er irrte, zweifelten sie nicht an seiner lauteren Absicht.

186 Du siehst, wo ich hinaus will. Fang deinen Kurs mit Mundart oder Hochdeutsch an (dein Plan scheint mir verständig), das ist nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist für dich und mich und jeden Lehrer nicht, was er sagt, sondern was er ist. Die Hauptsache für den Schüler ist, daß er in seinem Lehrer einen Fels der Wahrheit, Gerechtigkeit und Treue findet, einen Menschen von lauterer, wohlwollender Gesinnung, uneigennützig und sich selbst vollkommen beherrschend. Hätten wir Beredsamkeit um Berge zu versetzen, Geist und Gedanken ganze Abgründe voll, ohne sittlich ernsten und gereiften Charakter, ohne feste und starke Persönlichkeitswerte, wären wir tönendes Erz und klingende Schellen. Blitzlichter des Geistes erhellen und blenden wohl einen Augenblick, aber nachhaltig und lebenbefruchtend wärmen sie erst, wenn dahinter ein Mann steht, dessen Gesinnung und Handlung damit harmonieren. Was nützt’s, wenn einer erhabene Gestalten zeichnen kann und im nächsten Augenblick eine häßliche Gesinnung verrät?

Du wirst mir entgegenhalten, daß die Jugend nicht immer urteilsfähig genug sei um zu unterscheiden, daß die besten verkannt werden usw. Gewiß: der Beste ist gekreuzigt worden; er ist aber trotzdem Sieger geblieben. Wie oft haben wir Seminaristen unsern Deutschlehrer belächelt; aber nicht einer ist, der ihm nicht später abgebeten hätte. Seine Worte haben wir in den Wind gestreut; wir hielten’s für Schwefel. Als uns aber das Leben gelehrt hatte, es sei Gold gewesen, liefen wir herum und suchten mühsam zusammen, was wir heute achtlos durch die Finger gleiten lassen.

Deine Zöglinge werden später Lehrer, nach und nach wachsen sie hinein in den Ernst des Lebens, erfahren wie 187 viel Angst und Not ein Kind kostet, ehe es noch zur Welt gebracht ist, merken wie viel Opfer und Sorge Eltern für so ein Kleines aufwenden müssen, bekommen eine Ahnung, was ihnen anvertraut ist. In dem Moment fangen sie an zu graben in den Goldgruben, die Du ihnen eröffnet hast; denn daß Du ihnen nicht bloß den Weg in die Literatur weisen wirst, sondern durch die Literatur den Weg ins Lebensverständnis bahnen, dessen bin ich sicher. Das, meine ich, wäre ein Neues und Schönes, wenn so eine Literaturstunde immer statt ein Wissen wirkliche Bildung vermittelte und ins Leben ausmündete. Was nützt es zum Beispiel einem Seminaristen, zu wissen und zu schwatzen von Ritterlichkeit, wenn er noch spöttisch lachen oder rohe Witze reißen kann über die hochschwangere Waschfrau, die unter unsäglicher Mühe den ganzen Tag am Waschtrog stehen muß, um für ihre Kinder Brot zu schaffen, da ihr Mann seinen Lohn vertrinkt! Greif hinein ins Menschenleben und stecke Deine Hand keck in die Wespennester der Gemeinheit, und Du tust Großes. Einmal danken es Dir Deine Zöglinge, wenn Du ihnen Brot und nicht Steine bietest. — Jetzt wollt ich, ich hätte die Worte noch aufgezeichnet, die ich letzten Winter meinem ehemaligen Lehrer ins Grab nachrief. Sie gipfelten darin, daß er bis zu seinem letzten Atemzuge mein Lehrer geblieben ist durch das, was er gelebt hat, lange nach meinem Schulaustritt. Er war kein Engel oder Riese, sondern ein Mensch mit Fehlern. Aber wie er gewachsen ist in Güte hinein, wie er eins ums andere vom weniger guten überwunden und weggetan hat, wie sein ganzes Wesen sich läuterte und klärte bis zu seinen heldenhaft ertragenen Todesschmerzen, das war für mich 188 wichtiger, ergreifender und lebensnützlicher als alles, was sein Mund gelehrt und gesprochen hat. Du siehst, ich komme immer und immer wieder darauf zurück: Worte sind Schaum, Lebenshaltung und Taten ergreifen! Meine ganze pädagogische Weisheit läßt sich in die Worte zusammenfassen: Gerecht und gütig sein und Vertrauen haben!

Das alles weißt Du besser als ich; meine Meinung soll bloß die Deinige bestärken. Nimms als einen Beweis meiner Anhänglichkeit und rechne es mir nicht als Aufdringlichkeit oder noch Schlimmeres an, wenn ich meinem augenblicklichen Gefühl nachgab und (gegen bloße Wortmacherei eifernd!!) ins Schwatzen geriet.

Deine «Liedli» werden mich freuen. Mich wandelt immer die Lust an, Melodien dazu zu suchen und dann finde ich keine dazu, die schön, das heißt schlicht, einfach und doch inhaltsvoll genug wären.

Meine Novelle (Bürden. d.H.) muß noch durch verschiedene Feuer, bis sie mich befriedigt.

Leb wohl

Dein S. Gfeller

Am 2. November 1914 an Josef Reinhart

Lieber Josef,

Nun bin ich nach allerlei Fährnissen im Hafen der Schule gelandet und mit der regelmäßigen Betätigung und Zeiteinteilung ist mir auch die Lust und Muße zum Schreiben wieder geschenkt. Aber ich weiß fast nicht, wo ich anpacken soll; denn ein Aschentuch voll hätte ich Dir mitzuteilen. Könnten wir doch wieder einmal einen Samstagabend und Sonntag zusammen verplaudern!

189 Zum Schriftstellern bin ich diesen Herbst fast gar nicht gekommen, und wenn ich auch Zeit gefunden hätte, es wäre doch nichts rechtes geworden. In unserer großen, wilden Zeit, wo nur die Tat gilt — wer mag da hinter dem Schreibtisch kauern und Alltagsschicksale zusammenklauben! Geht es Dir nicht auch so? Bevorzugte Kollegen, freie Vögel, sind nach dem Kriegsschauplatze geeilt um seelenerschütternde Eindrücke zu sammeln. Andere dichten Kriegslieder und sitzen dabei hinter dem warmen Ofen, was mir recht ungeschämt vorkommt; denn ich meine, wer Not und Krieg nicht am eigenen Leibe erfährt, sollte bescheiden schweigen.

Nun, an Not, wenigstens an seelischer, fehlt es auch uns Neutralen nicht. Es gibt keine Menschen mehr um uns her, nur noch Deutsche, Russen, Franzosen und Engländer; das Menschentum muß zertreten werden und nur das Deutschtum und Franzosentum etc. hat noch Kurswert. Es gibt kaum etwas Beelendenderes als diese gegenseitige Herabsetzung, die sich in der Presse aller Länder austobt. Vergessen ist, was die Großen und Guten aller Länder und Völker der Menschheit geschenkt haben; Vernunft, Überlegung, Rechtlichkeit und Wahrheit, alles scheint im Blut ersaufen zu müssen, soviel wahnsinnige Verkehrtheit ist niemals in der Welt gewesen.

Anfangs war meine Sympathie auf Seite der Deutschen; aber die Verletzung der belgischen Neutralität und vor allem das großmäulige Schnorrertum mancher deutschen Blätter hat mich bedenklich abgekühlt. Die armen Franzosen dauern mich aufs lebhafteste, obschon nicht zu leugnen ist, daß sie durch ihr vierzigjähriges 190 Revanchegeschrei und Teufel-an-die-Wand-malen auch ihren Teil Schuld auf sich geladen haben. Und was soll man vom England der Grey, Asquith und Churchill sagen? Ich habe in letzter Zeit Carlyle und Ruskin gelesen — welch ein Abstich!

Doch was nützt alles Kannegießern — die Teufel in der Hölle müssen wohl vor Wollust bersten über die Art und Weise, wie ihnen die heutige Menschheit zu Gefallen lebt.

Was nun die Vorlesung in Solothurn anbetrifft, wäre mir recht, wenn sie nicht zu früh angesetzt würde. Wenn möglich möchte ich doch noch etwas Neues schaffen daraufhin. Natürlich füge ich mich den Wünschen meiner Auftraggeber; denn in der jetzigen Zeit sind die Schriftsteller sehr zahm und fügsam geworden. Dem kuriosen Menschen, der noch ein Buch kauft, müßten wir eigentlich die Hand küssen.

Mit meinen «Geschichten aus dem Emmental» geht es schlecht. Francke hat zuviel davon gedruckt. Solch altmodische und gnietige Sachen kauft man heute nicht mehr. Und doch ist keine einzige Nummer dabei, an der ich nicht mit Liebe und Sorgfalt gearbeitet hätte.

Meiner lieben Frau geht es ganz ordentlich. Sie ist wieder zuhause, aber Schule halten kann sie noch nicht. Es war ein rechter Schreck für uns, als sie operiert werden mußte. Die Zeit, da sie auf dem Krankenlager ruhte, hat uns gelehrt und gezeigt, was sie unserem Hause bedeutet.

...

Habt ihr in Solothurn auch recht vorgesorgt für die künftige teure Zeit? Unser Keller ist recht gehörig angefüllt. Es hat viel Obst gegeben und Kartoffeln haben 191 wir rechtzeitig angekauft. Sehr sparen müssen wir mit Petrol, es ist schon jetzt schwer erhältlich.

Ich wünsche Dir und den lieben Deinigen von Herzen alles Gute

Stets Dein S. Gfeller

Am 21. Oktober 1915 an Elisabeth Müller

Liebe Elisabeth,

Nein, solche Freudenbotschaft nehme ich nicht übel! Was könnte mir Lieberes geschehen als zu hören, daß Sie auf dem Wege der Genesung sind und obendrein noch ein Buch (Vreneli. d.H.) geschrieben haben! Und nun sind Sie im Hangen und Bangen um Ihr Werk. Gewiß, ich kenne diesen Zustand genugsam. Als ich mit «Heimisbach» fertig war und die letzten Korrekturen gelesen hatte, war es mir so zum Ekel geworden, daß ich fast darob körbeln mußte. Trösten Sie sich aber: dem Leser ist das Ganze neu und frisch; er ahnt nicht, was für Qual und Mühsal dahinter steckt, sondern braucht nur spielend zu genießen. Nach dem, was ich von Ihnen gelesen habe und wie ich Sie selbst kenne, brauchen Sie sich keine großen Sorgen zu machen. Sie können nicht anders schreiben als Sie sind: ächt und ehrlich. Damit ist die Hauptsache erledigt. Ob Sie’s etwas geschickter angegriffen, oder ob Ihnen auch Mängel eingeschlüpft sind, ist Nebensache. Schlimm wirds nicht sein, dazu sind Sie zu helle, zu verständig und zu warmherzig. Ich bin sicher, daß Sie Erfolg haben werden, und wenn ich etwas tun kann, diesen Erfolg zu steigern, geschieht es mit Wonne. Also nur her mit dem Rezensionsexemplar!

Noch mehr freuen würde es mich, wenn Sie selber 192 gesund und frisch damit angeschritten kämen. Meine Frau und ich wünschen Ihnen alles Gute und begrüßen Sie aufs Herzlichste.

Glückauf!

S. Gfeller

An Karl Grunder am 15. November 1915

Lieber Karl,

Entschuldige wenn meine Antwort auf sich warten ließ; ich stecke in Arbeit bis über die Ohren. Deine freundliche Einladung zur Teilnahme an einem Vorleseabend trifft in eine ungute Zeit. Ich habe es übernommen, ein Theaterstück in kürzester Frist ins Berndeutsche zu übertragen; die Arbeit drängt. Zudem habe ich nichts Neues vorzulesen; denn die zwei letzten Erzählungen, die ich geschrieben habe, sind schriftdeutsch und eignen sich ihrer Länge wegen nicht zum Vorlesen. Säße mir das Theaterzeug nicht auf dem Halse, so könnte ich um Verschiebung bitten und etwas Frisches zusammenschlagen; so geht auch das nicht. Dann ist noch ein Punkt: Ich bin der Autoren-Kuppelung feind. Autorenabende sind da, damit das Publikum und der Autor Fühlung gewinnen. Dieser Zweck wird aber nur unvollkommen erreicht, wenn 2-3 Autoren am gleichen Abend auftreten. Irgend etwas Zusammenhängendes kann fast nicht zum Vortrag gelangen, die Aufstellung des Programms macht Mühe, man kann nur die eine oder andere Seite seiner Kunst zeigen und nicht durch das, was man vorträgt, ein geschlossenes Bild seiner Persönlichkeit geben. Die Autoren-Kuppelung ist eine sehr fragwürdige Erfindung der Freistudenten in Bern. Diese Herren, die sich als Gönner der Schriftsteller und 193 Schützer der Kunst aufspielen, möchten allemal einen vollbesetzten Saal haben, damit für ihre Kasse etwas Erkleckliches herausschaut. In Wirklichkeit ist diese Gesellschaft ohne jegliche Beziehungen in der Stadt, ihre Mitwirkung bei der Vorlesung beschränkt sich auf Mieten des Saales und Aufgabe der Inserate und Einstecken des Profites. Um des Kassenerfolges willen sollen sich die Schriftsteller gefallen lassen, in Herde vorgeführt zu werden. Andere Gesellschaften ahmen das nach, und so werden bald keine Vorleseabende stattfinden können, an denen nur ein Autor auftritt. Darum habe ich auch jüngsthin eine Vorlesung (nicht bei den Freistudenten), die ich mit Dr. von Greyerz oder Rudolf von Tavel halten sollte, abgelehnt und gebeten: Gönnen Sie jedem der Herren einen eigenen Abend. So möchte ich auch Dir das Gleiche zurufen. Lies Du diesen Winter in Großhöchstetten, und spar mir eine Vorlese-Gelegenheit für kommenden Winter. Es ist billig, daß der Einheimische zuerst dran komme, und Konkurrenz wollen wir Schriftsteller in dieser Angelegenheit nicht wuchern lassen und uns dagegen sträuben, daß man uns als 1/2 oder 1/3 Männlein behandelt. Ich meine, jeder der Herren sei imstande, sein Publikum einen Abend lang einzig zu unterhalten. Wenn zwei auftreten, so führt das zum Vergleichen, Kritteln etc., kurz, es ist einer Unsitte Vorschub geleistet. — Wohlverstanden, es ist nicht etwa Abneigung, mit Dir gemeinsam aufzutreten, sowenig wie es Abneigung gegen von Greyerz und von Tavel war. Es ist auch nicht Geldsucht von mir (ich habe diesen November drei Gratisvorlesungen gehalten und nur eine schwach honorierte vorständs), sondern die durch Erfahrungen gewonnene klare Einsicht, daß die Autorenkuppelung 194 zu Mißbräuchen führt und daß wir Schriftsteller Stolz genug besitzen sollten, nicht darauf einzutreten; von Greyerz und andere denken darin ganz wie ich. Also zürne mir nicht etwa; ich lasse Dir das Feld offen und führe nichts Böses gegen Dich im Schilde. Vielleicht findet sich später Gelegenheit zu mündlicher Aussprache, wobei ich Dir meine Gründe noch besser auseinandersetzen kann, als in diesen mit fliegender Feder hingeworfenen Zeilen.

Freundlich grüßend

S. Gfeller

Am 21. November 1917 an Josef Reinhart

Lieber Josef,

Du wirst mein Paket mit Seufzen und Stöhnen empfangen und ansehen; aber ich kann Dir die schwere Arbeit des Durchlesens nicht ersparen. Hoffentlich hast Du ein warmes Zimmer und findest einige Stunden um das Stück (Probierzyt. d.H.) zu prüfen. Es hat mich der Stunden auch viele gekostet und ist doch nicht so geworden, wie ich es gerne gehabt hätte. Zum voraus nur eins: Wenn dich die groben Ausdrücke allzusehr stören, will ich mildern. Ich habe geschrieben, wie ich die Leute reden höre, es muß aber nicht durchaus so bleiben. Streich mir am Rande an, was Dir nicht ins Maß zu gehen scheint; ich finde schon andere Wendungen, die nicht zu sehr verletzen, ohne den Charakter der Personen zu verändern.

Das Stück lag schon vor einiger Zeit bereit. Dann schrieb Professor von Greyerz, das Schänzli könne nicht spielen wegen Kohlenmangel, und ich saß bis über die Ohren in der Arbeit, so ließ ich’s ein bisschen schlitteln. 195 Nun sollt’s aber doch rücken. Wird’s nicht in Bern gespielt, so doch hier in Lützelflüh oder Sumiswald vielleicht; es tut das der Berner Aufführung nicht viel Eintrag. Immerhin mag darüber Professor von Greyerz entscheiden.

Zum Schreiben bin ich seit Beendigung des Stückes nicht mehr gekommen. Meine Kollegen und Gemeindegenossen legten mir unangenehme Lasten auf: Verfechtung der Teuerungszulagen, Holzversorgung der Gemeinde und eine äußerst unangenehme Vogtei hat man mir aufgehalst. Dazu bauliche Veränderungen am Schulhaus (Fenster-Gartenmauer) und eine Vorlesung in Oschwand. Bei letzterer lernte ich Herrn Maler Amiet kennen und mich für seine Person mehr begeistern als für seine Werke.

Dem Oltener Meitschi für seinen schönen Aufsatz viel Dank und freundlichen Gruß. Seine Arbeit hat mir viel Vergnügen bereitet. Wenn man immer so liebevolle Beurteiler fände! Na, es wird später schon kritischer werden, nur wachsen lassen!

Deine Erzählung im «Heimkalender» habe ich angefangen, aber noch nicht fertig lesen können. Ich habe seit etwa einem halben Jahr, glaub ich, nur ein einziges Buch lesen können (die Schule nimmt mir je länger je mehr Zeit weg) und das hat mich bitter enttäuscht.

Wie gehts euch mit der Brotkarte? Wir kommen gut aus, haben auch ziemliche Vorräte an Obst und Kartoffeln und Holz genug unser Stubeli zu heizen. Und doch lastet einem der Krieg und alles was drum und dran hängt immer schwerer auf. Man kann die Menschen nie mehr anschauen wie früher. Auch in unserem lieben Vaterland ist vieles kernfaul. Aber ich will nicht anfangen 196 zu kannegießern, es hat halbelf geschlagen und ich muß dir gute Nacht sagen.

Herzlich

Dein S. Gfeller

Am 31. Januar 1920 an Rudolf Münger

Lieber Rudolf,

Das Bild meines lieben Vaters mutet mich so vertraut an, daß es keinen Zweifel darüber geben kann: Es ist wohl gelungen! Aus dem Bilde spüre ich deutlich, mit welcher Liebe und Treue Du daran gearbeitet hast, und als ich das gewahrte, wurde mir das Herz warm von einem großen Dankesgefühl für Dich. Du weißt, daß mir der Vater unendlich viel gewesen ist in seiner unbeirrbaren Rechtschaffenheit, Vatertreue, Arbeits- und Opferwilligkeit, vornehmlich auch in seiner Genügsamkeit und heitern Zuversicht, die sich mit dem Alter zu einer wahren Verklärung steigerten, so daß der junge Arzt, der ihn einmal auf seinem Krankenlager sah, in die Worte ausbrach: «Nie in meinem Leben habe ich Schöneres gesehen!»

Also fahr Du nur zu, das muß gut kommen. Zeichnest Du lieber die beiden Köpfe apart, so ist es mir auch ganz recht, die Gesichtszüge würden in diesem Falle etwas deutlicher, weil mehr Platz für das Einzelbild vorhanden. Schaffe also ganz wie Du willst, ich lasse Dir völlige Freiheit.

Die Mutter soll neben dem Vater nicht zu kurz kommen. Sie war eine jener Frauen, von denen der alte Spruch gilt:

Ein Stub’ zu wüschen
Ein Kind zu tüschen
197 Ein’ Mann zu pflegen:
Was für ein Segen!

Einmal in ihrem Leben ist sie nach Bern gekommen zu einem Verwandtenbesuch, sonst ist sie kaum je über die Schwelle ihres Hauses und die Marche der heimischen Äcker hinausgekommen als etwa zu einem Kirchgang. Und doch fühlte sie sich glücklich hinter ihren Blumenstöcken, in ihrem mit Sorgfalt gepflegten Gärtchen und ihrem Familienkreise, glücklicher als die Tausend und aber Tausende, die schalen Vergnügen nachjagen. Die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn, das ist die Grundwahrheit, auf der das Leben meiner Eltern ruhte.

Der Sendung lege ich das Bildchen bei, das sich Otto v. G. gewünscht hat. Willst Du so gütig sein und es ihm bei Gelegenheit übergeben? (das fruchtbehangene Apfelbäumchen.)

...

Vor einer Woche war ich in Bern, mußte aber rennen und jagen und von Besuchen absehen. Sobald ich nach Bern komme, suche ich Dich auf. Bis dahin sei versichert, daß mir Dein Bild eine herzliche Freude gemacht hat.

Freundlich alle grüßend, stets Dein

S. Gfeller

Am 30. Dezember 1921 an Emil Balmer

Lieber Emilius,

Es ist ein Jammer! Ich habe Dein schönes Büchlein (Zytröseli. d.H.) immer noch nicht in Angriff nehmen können. Es soll aber sofort geschehen, wenn Neujahr 198 vorbei sein wird; ich traue ihm das beste zu, weil ein guter ehrlicher Mensch dahinter steckt.

Es sind schöne Zeiten, wenn das erste papierene Junge die Fecken gelupft hat und in die Welt hinaus geflogen ist! Genieße sie von Herzen; denn leider folgen auch weniger angenehme und beschauliche Zeiten. Man stochert damit einen Stein aus einem Haufen, der ins Rollen gerät und einem endlich einzudecken droht. Man gibt einem Teufelchen ein Fingergelenk, das man nie wieder ganz kriegt. Möchte man einen Augenblick auf dem Ofen höckeln und gemütlich ein Pfeifchen schmauchen, gleich tippt einen das Teufelchen im Nacken mit eiskaltem Fingerbeeri an: «Du, der Beitrag an das X-Blatt ist schon seit acht Tagen fällig! — Du, der Y wartet schon lange auf die versprochene Erzählung! — Herrgott, jetzt habe ich dem Tz noch nicht geschrieben!» Keinen ruhigen, sorgenfreien, vollkommen sorgenfreien Tag hat man mehr, und das bischen Ruhm, das man eventuell einheimst, hat gelegentlich ganz widerwärtige Beigeschmäcklein; es schweißelet und duftet nach Neid und Mißgunst.

Dessen ungeachtet freue Dich und räume nicht alle Geigen vom Himmel herunter! Die schönen Stunden, in denen man mit selbstvergessener Hingabe an einer selbstgewählten Aufgabe formt und arbeitet, sind vom Kostbarsten, was ein Mensch erleben kann.

Darum mit gutem Mut hinein ins neue Jahr und viel Glück auf den Weg.

S. Gfeller

Am 6.Juni 1923 an Rudolf Münger

Lieber Freund!

Umsonst habe ich daran herumgemürdet, Ottos Bedeutung für das Heimatschutztheater darzulegen — es will sich nicht fügen und will sich nicht runden und eine brauchbare Form annehmen. Und ich kann nicht hineinlegen, was ich Otto am 60. Geburtstag sagen möchte. Darum habe ich dieses Kapitel fallen lassen und eine andere Arbeit angefangen. Ich glaube den Stoff umso eher fallen lassen zu dürfen, da auch Balmer schon davon geschrieben hat, so daß es nicht ganz ungehört bleibt.

Statt dessen möchte ich schildern, wie ich mit O. bekannt wurde und was er mir in 23 jähriger Freundschaft war. Das ist das Gebiet, das niemand besser kennt als ich, hier kann ich mit wenig Mühe etwas zutage fördern, was nur wenige wissen. An diesem einen Beispiel wird dann auch ersichtlich sein, was er für Volkstum, Mundart und Heimatschutztheater für ein Anreger war. Und ich komme dann dazu, mein dankerfülltes Herz leeren zu können. Ob ich just mit drei Druckseiten auskomme, kann ich nicht sicher versprechen. Ich wähle die Form eines Briefes und schreibe schriftdeutsch. (siehe: Getreuer Freund und Weggefährte. Aus der Festschrift zum 60. Geburtstag von Otto von Greyerz. d.H.) Es soll warm und lebendig werden, ein Teil ist schon geschrieben. Verzeiht mir, wenn ich da eigenwillig vorgehe. Es ist noch immer am besten gekommen, wenn ich meinem innersten Triebe gehorcht habe.

Freundlich grüßend

Dein S. Gfeller

Am 12. Juni 1923 an Rudolf Münger

Lieber Rudolf,

Endlich ist das Heuwetter gekommen, hat mir Ferien gebracht und die nötige Muße, meinen Beitrag zu Ottos Geburtstag fertig zu machen. Dabei habe ich den verfügbaren Raum bedeutend überschritten und muß dringend um einen Nachkredit für Druckpapier einkommen. Wie mein Beitrag zum übrigen Inhalt passen wird, kann ich natürlich nicht wissen. Im Notfall könnte ich ja noch ändern daran. Ich bitte Dich herzlich, nachzulesen und nachzuprüfen, ob nichts darin sei, was Otto unangenehm berühren könnte. Mir ist, was ich geschrieben, heiliger Ernst, keine bloße Phrasenmacherei. Ich habe Ottos Briefe fast alle nachgelesen und war von dem Gesamteindruck ganz überwältigt, so daß ich an mich halten mußte, um nicht zu überschwänglich zu werden. Hoffentlich fühlt man meinem Beitrag an, daß er gefühlsächt und nicht bloße Gefälligkeitssache ist. Einmal mußte ich doch bekennen vor der Öffentlichkeit, was er für mich getan hat. Es zu unterlassen schiene mir eine Schlechtigkeit. Seien meine Leistungen noch so gering und bescheiden, ohne ihn wären sie noch viel schlechter, und er ist nicht der Mann, sich seiner Freunde zu verschämen. Das kleine Geschehnis zu anfang unserer Bekanntschaft ist so bezeichnend für ihn, so ganz Otto, daß ich es meinte erzählen zu müssen.

Gelüstet hätte es mich wohl, andern einige gesalzene Hiebe auszuteilen; ich meine aber, Maß gehalten zu haben. Die Jungen möchten Otto gerne auf die Seite schieben; sie möchten für die Beurteilung ihrer Bücher einen, der das gröbste Lobhorn bläst; am liebsten wäre 201 ihnen, wenn man auf dem Niesen und Stockhorn und sämtlichen größeren Högern der Welt Lobposaunenstationen zu ihren Gunsten aufstellen und einrichten könnte.

Freuen würde es mich, wenn Du mir mit einigen Zeilen mitteilen würdest, ob Du mit meinem Brief einverstanden seiest, oder ob noch irgendwo ein Haar in der Suppe liegt.

Freundlich grüßend S. Gfeller

Am 25. November 1924 an Emil Balmer

Lieber Emilius,

Schon wieder ein neues Buch (Friesli. d.H.), und dazu noch eins von ganz ansehnlichem Kaliber, du bist ein Tausendsassa! Du bist eben fertig mit Deiner Berufsarbeit, wenn die Bureaustunden vorbei sind, und dann kannst Du mit voller Kraft dahinter. Auch besitzest Du noch die ganze Elastizität der Jugend und die Sorglosigkeit einer glücklichen Natur, einen Optimismus und eine Fähigkeit, Illusionen festzuhalten, um die Du zu beneiden bist. Mir sind manche dieser Gaben mehr oder weniger abhanden gekommen, was mich gegenüber meinem eigenen Schaffen mißtrauisch macht. In meiner Mappe stecken zwar auch verschiedene Arbeiten und übers Jahr werde ich, wenn ich gesund bleibe, auch wieder einmal mit einem neuen Schunken auf den Plan rücken. Für heuer kam ich zu spät. Den Herbst habe ich mit meinem Theaterstück vertrödelt, es liegt im Salz und harrt der zweiten genauen Durcharbeitung. Mich quält dabei immer der Gedanke, daß das Motiv zu jenen gehört, mit denen die Liebhaberbühne bereits überschwemmt 202 ist, sonst wäre es wohl schon fertig. Man sollte auch auf der Heimatschutzbühne hin und wieder neue Probleme aufrollen, sonst kommen wir in den Ruf, eine erzkonservative Gesellschaft zu sein, die nichts kann als den Mekan anziehen.

Dein Buch habe ich natürlich noch nicht lesen können, hoffe aber bald dazu zu kommen und auch etwas zu finden darin, das ich meinen Schülern vorlesen kann. Deine Wahlern-Geschichten (D’Glogge vo Wahlere. d.H.) bedeuten gegen den frühern Band einen starken Fortschritt, ich nehme an, auch Dein neues Buch werde Dich wieder einen Schritt vorwärts geführt haben. Wenn die Kritik mich ausspielt gegenüber Dir, so ist das etwas, das mir nicht recht ist und woran ich unschuldig bin. Wir wollen uns dadurch nicht trennen lassen. Ich gönne Dir von Herzen besten Erfolg, mir wird so überviel Ehre angetan, daß ich nicht nötig habe, Jüngere, die auf ähnlichen Wegen wandeln, zu beneiden oder zu schädigen. Deine Art war mir immer sympathisch, denn Du schreibst einen durchfühlten Dialekt, der nicht verstandesgemäß zusammengestoppelt ist. Alles was bloß zusammengezwungen ist, fällt wieder auseinander, das beste muß aus dem Unbewußten und Unwillkürlichen heraufsteigen, namentlich bei mundartlichen Sachen.

Leider kann ich Deine Gabe nicht vollwertig erwidern. Ich habe nichts als einen Separatabzug des kleinen Beitrages in der heurigen Ernte. Vielleicht macht es Dir Vergnügen, eine bessere Photographie von mir Dein eigen zu nennen, so lege ich denn eine Aufnahme bei, die letzten Winter in Winterthur bei Anlaß einer Vorlesung entstanden ist.

203 Vorlese-Einladungen erhalte ich immer viel mehr, als ich besorgen kann und habe schon verschiedentlich versucht, das Überwasser auf Deine Mühle zu reisen. Bis Neujahr lese ich fleißig vor, nachher höre ich fast ganz auf, denn ich muß Zeit haben zum Produzieren, und gegen den Frühling fangen manchmal meine Nerven an zu revoltieren.

Dir also herzlichsten Dank für die willkommene Gabe, die ich erwidern werde, sobald ich kann, und viel Glück und frohen Mut zum Weiterschaffen. Laß Dich auch wieder einmal auf der Egg blicken.

Freundlich grüßend

S. Gfeller

Am 23. Februar 1925 an Emil Balmer

Lieber Balmer,

Endlich habe ich Zeit gefunden, Deine «Bueberose» anzuschauen, wenn auch noch nicht sehr gründlich. Was die erste Geschichte anbelangt (Der Suhn), begreife ich, daß man sie Dir ein bißchen zerzaust hat. Sie ist nicht durchwegs glücklich geraten. Namentlich das Lisi spielt eine etwas bemühende Rolle, Du zeigst es in einer zu harten und lieblosen Beleuchtung. Es ist kein böses Geschöpf, eine Mischung von Gut und Böse, von Schwachheiten und Fähigkeiten, und da es im Grunde kein schlechter Mensch ist, hättest Du es mit mehr Schonung behandeln sollen. Als Dichter sollte man, wie der Herrgott, eine freundliche Sonne leuchten lassen über Gerechte und weniger Gerechte. Nur wo es sich um ganz verworfene und verdorbene Geschöpfe handelt, darf man den Fehler mit ganzer Schärfe brandmarken, aber wieder mehr den Fehler und nicht den Menschen. 204 Denn wo sind die gänzlich Verworfenen und Verdorbenen? Meist nur im Unverstand der Leute existieren sie. Lernt man einen dieser Unglücklichen näher kennen, dann versteht man auch, daß von seinem Standpunkt aus alles ganz anders aussieht, als vom Standpunkt der andern. Als Dichter sollte man in alle seine Gestalten hineinschlüpfen können und aus ihren Augen die Welt und das Menschenleben betrachten. Je älter ich werde, und namentlich auch in der Schule, mache ich die Beobachtung, daß beißender Spott immer verletzend wirkt, nie heilt und bessert. Damit meine ich nun gar nicht etwa, daß man alles verschlirggen und verwedeln müsse, sondern daß man Wunden mit Vorsicht waschen sollte und immer ein Tröpflein Öl der Güte hineinfließen lassen. Viel besser gefallen hat mir die andere große Geschichte: «Herti Chöpf». Sie ist von ergreifender Wirkung, die sollen sie Dir gelten lassen; es ist eine wackere Bauerngeschichte.

Habe ich Dir nicht schon früher nahegelegt, es einmal mit einem Theaterstück zu versuchen? Es brächte Dir reichen Gewinn auch für die Technik des Erzählens. Das Drama verlangt straffe Linienführung, Conzentration auf das Bedeutsame, klare Charakterzeichnung; in der Erzählung ist man nur zu oft Civilist in der bequemen Hausjoppe; im Drama muß man den Gurt umschnallen und der steife Kragen des Waffenrocks zwingt einen, den Nacken zu strecken, es heißt wie im Militärdienst: Stramm aufs Ziel los marschieren! Das lernt man allerdings nicht beim ersten Versuch, man kommt ihm aber doch näher mit der Zeit und durch sorgfältige Übung.

Nun wollte ich noch eine Bitte an Dich richten: Du bist im Tessin unten bekannt wie in Deiner Hosentasche. 205 Könntest Du mir nicht irgend eine Adresse verschaffen von einer einfachen kleinen Pension oder Privatfamilie? Ich möchte mit meiner Frau in den Frühlingsferien ein bißchen in den schönen Süden hinunter. Am liebsten ginge ich in die Gegend des Luganersees, nach Melide, Morcote oder dort herum. Auch der Lago Maggiore wäre mir recht, z.B. Ascona oder ähnliches. Dabei sollten die Leute etwas Deutsch verstehen; denn ich kann leider Gottes nur ganz miserabel französisch und gar nicht italienisch. Irgend in eine Freßgesellschaft möchte ich nicht hinein, sauber und einfach müßte es sein und nicht allzu teuer, das heißt was es wert ist, will ich gerne bezahlen. An die Fleischtafel eines Hotels begehre ich nicht, denn meine Arterien erlauben mir nicht zu schlemmen und einen hohen Preis zahlen, ohne etwas davon zu haben, ist nicht mein Fall. Wenn Du mir eine gute Unterkunft wüßtest, wäre ich Dir wirklich dankbar. Losmachen kann ich mich erst um den 25. März herum, wenn die Examen vorbei sind.

Freundlich grüßt Dich Dein

S. Gfeller

Am 11. März 1928 an Fritz Wartenweiler

Lieber Fritz,

Aus Askov, Vejen, Dänemark schreibt mir jener junge Bauernsohn aus dem Thurgau, der eines Abends hier auf der Egg auftauchte und mir Grüße von Dir überbrachte. Leider ist seine Unterschrift nicht ganz klar (entweder Hermann Wäny oder Hermann Wäng), so daß ich genötigt bin, Dich anzufragen, welches das richtige sei, denn ich möchte auf seine Fragen antworten. 206 Willst Du mich durch eine Karte aufklären? Ich wäre dankbar dafür.

Nun ist heute ein so stiller, verlorner Schlechtwetter-Sonntagnachmittag, daß ich Zeit und Lust habe, an das obgenannte Häcklein auch noch einige andere Gedankenschnüre anzuknüpfen. Werktags allerdings käme ich nicht dazu, denn in der letzten Zeit war wieder Hochbetrieb mit Korrekturbogen für die Neuauflage meiner «Steinigen Wege», Massenandrang von Briefen, Besuchen, Examenvorbereitungen und Störungen aller Art. Unter solchen Umständen bleibt einem einzig der Augenblick vor dem Einschlafen und der Sonntag zu innerlicher Klärung und Reifung. Das Bedürfnis hiezu war aber in letzter Zeit in mir besonders stark. Wir stehen im Kanton Bern in schlimmen Schuhen. Hinter uns liegen drei Abstimmungen, die einem schwer zu denken geben, über das Alkoholgesetz, Automobilgesetz und Jagdgesetz. Alle drei Vorlagen wurden mit überraschendem Mehr verworfen und es besteht die Gefahr, daß jedes Gesetz, das einen kulturellen Fortschritt bedeuten würde, bachab geschickt wird. Man weiß jetzt, daß man nur die Gift-, Kot- und Verleumdungsspritze recht wacker zu brauchen, recht unverschämt zu lügen, verdrehen und an die schlechtesten Instinkte zu appellieren braucht um Sieger zu werden. Soweit sind wir mit unserer glorreichen Demokratie, daß man einen Tell und Winkelried zu Hütern des privaten Geldsäckels bestellt und als Pfropfen ins Loch steckt, wenn irgendwo der leiseste kulturelle Luftzug einzudringen droht.

Das wäre nun alles nicht möglich, wenn nicht in unserem Volke ein furchtbarer Haß gegen alle Bessergestellten und ein immer mehr anwachsender Mangel an 207 Vertrauen gegen alle Vorgesetzten und Führer Platz gegriffen hätte. Unser Volk, oder wenigstens große Teile davon, sind wie vergiftet. Nun wird ein Bodensatz von Gemeinheiten aus dem Volke niemals ganz auszutilgen sein. Aber auch wertvolle und im Grunde anständige Menschen sind verbittert. Ihnen wieder Wege zu ebnen und Kräfte zu erwecken, ihnen Mut und Vertrauen zurückerobern zu helfen, wäre eine schöne und zeitgemäße Aufgabe. Es wäre so recht eine Aufgabe für Volkshochschul- und Lüderenkurse und so habe ich denn dem Leiter des letzteren vorgeschlagen, man sollte den nächsten Herbstkurs unter die leitende Idee der Volks-Entgiftung stellen, wobei allerdings diese Idee im weitesten Sinne aufzufassen wäre. Und schärfste Konsequenzen aus ihr zu ziehen. Denn meines Erachtens sind die Höher- und Bessergestellten nicht unschuldig an dem Unmut und Neid, der ihnen überall entgegenlodert. Freß- Sauf- Kleider- Auto- Reise- Festprotzerei und hochmütiges Betragen, wegwerfende Behandlung, Unterdrückung und Lieblosigkeiten der verschiedensten Art mögen daran schuld sein. Erst müßten einmal die obern Kreise durch freiwilligen Verzicht und opferwillige Selbstbescheidung zeigen, daß nicht an diesen Gütern der Wert des Lebens hängt, oder sie müßten den untern Volksklassen durch freundliches Entgegenkommen soviel Gutes tun, daß diese ihnen dieses oder jenes Vorrecht gerne gönnen möchten. Um das zu können, müßten sie aber selber aus der seelischen Vergiftung herauskommen, in die sie namentlich auch durch die moderne Literatur hineingeraten sind. Leider sind es gerade die größten der modernen Schriftsteller, die ungeheure Werte an Glauben und Vertrauen vernichtet 208 haben. Wenn ich an einen Balzac oder Strindberg etc. denke: Wie glücklich macht es sie, zu entdecken, daß am ganzen menschlichen Körper nicht eine Zelle ist, die nicht in Eiter und Morast verwandelt werden könnte, wie glücklich, wenn sie wieder eine neue, ungewöhnliche Stelle aufgefunden haben, an der ein interessanter Eiß wachsen konnte. Wie herrlich, daß auch der letzte Hauch der Seele, ihre geheimste Schwingung vergiftet werden kann, wenn man es mit der richtigen Säure versucht! O glücklicher Fund, daß Leib und Seele gleichermaßen schlecht und verweslich sind und diese Schlechtigkeit allen Menschen innewohnt und das große Band bildet, das alle umschlingt! Was tut es, wenn dieses Seelengift zuletzt das eigene Leben, die eigene Seele verpestet und vergiftet. Sie verpflanzen es dennoch, wie die alten Ärzte mit ihren vergifteten Messern alle Wunden vergifteten, wie die alten Hebammen, die mit ihrem Kindbettfieber von Wochenbett zu Wochenbett eilten. Seelenvergifter sind sie, die dem harmlos und unschuldig-vertrauensvoll Wandelnden jegliche Unbefangenheit rauben, weil sie es nicht lassen können in allen Seelenmistlöchern zu rühren, um nachher triumphierend ausrufen zu können: Auch hier stinkt es! Nichts gilt der frische Apfel, die goldene Traube, die lachende Kirsche, die betaute Pflaume, nichts die nahrhafte Kartoffel und das feine Gerstenkorn, alle müssen zuerst in die Beize gelegt werden, damit aus dem Pflüder ein prickelnd berauschendes Gift aufsteige. So muß auch alles Menschliche zerlegt, zersetzt und verpflüdert werden, damit der Geist seine amüsanten und reizvollen Teufelsbläschen auftreiben kann, Seelenrauschgift, das heraostratischen Größenwahnsinn erzeugt, der sich 209 weiß Gott wie klug und erhaben vorkommt bei seiner Zerstörungsarbeit.

Das mag einseitige Beleuchtung sein, aber wem steigt nicht Groll auf über den Fäulnisstrom, der aus Buch, Theater, Kino und Presse in das Volk hinaus dringt! Und manchmal scheint mir, es gäbe noch dankbarere Aufgaben, als Kindern schöne Schriftschleifen vorzumalen und Sieb-Gehirnen immer wieder obenfür zu schütten, was unten herausgeronnen ist.

Doch nun zum Schluß, es kommt Besuch. Möge der Nußbaum diesen Frühling wieder recht grünen und blühen und für den Herbst herrliche Früchte reifen. Ihm und allen seinen Zugehörigen meine besten Wünsche für ihr Wohlergehen.

Herzlich

Dein S. Gfeller

Am 10. November 1928 an die Schweizerische Schillerstiftung

Hochgeehrter Herr Präsident!
Sehr geehrte Herren!

Als Sie mir zu meinem 60. Geburtstag einen Ehrenpreis stifteten, ging ich vorerst ernstlich mit mir zu Rate, ob ich ihn annehmen und behalten dürfe oder nicht; denn bessere und um die Literatur weit verdientere Berner, als ich einer bin, sind noch nie bedacht worden. (Das war auch der Grund, warum ich Ihnen nicht sofort schrieb und dankte.) Ehrenpreise gehören vornehmlich denen, die ihre ganze, ungeteilte Kraft der Schriftstellerei widmen. Ich aber bin ein Tanntschupp mit zwei Wipfeln, von denen keiner stolz und frei in die Höhe schießen durfte, und die Schriftstellerei ist bloß der jüngere und benachteiligte Austrieb. Als ich anfing 210 zu schriftstellern, hatte ich bereits eine Frau und drei Kinder, deren Versorgung ich nicht dem Geratewohl anheim stellen mochte. Zudem bot mir auch die Schule ein reiches Arbeitsfeld, von dem ich mich nicht ohne Gewissensbisse hätte lösen können. So blieb ich in der Halbheit stecken und mußte meine Kräfte zersplittern fühlen. Wohl schützte und stärkte zuweilen ein Wipfel den andern, ebenso häufig aber raubten sie sich gegenseitig Licht und Luft. Durch Beruf und Familie an die Scholle gefesselt, war es mir nicht möglich, Welt und Menschen der Ferne gründlich kennen zu lernen und so blieb der Kreis meines Erlebens ein sehr begrenzter. Auch diesen auszuschöpfen, wie es mir vorschwebte, gelang mir nicht. Die steten Unterbrechungen erschwerten das Entstehen größerer Arbeiten und viel zu oft hinderte mich die Berufspflicht, ein Eisen zu hämmern, während es noch im Glühen war. Hätte ich immer frei über meine Zeit verfügen dürfen, dann würde die Zahl meiner Werke heute dreimal größer sein, dessen bin ich gewiß. Vielleicht wären sie auch besser geworden, es ist nicht vieles darunter, das mich ganz befriedigt.

In den letzten Jahren kam ich immer weniger zum Schreiben, obwohl die Lust dazu immer vorhanden war, denn meine Kraft reichte nicht mehr aus für zwei Aufgaben. Indessen naht die Zeit, da ich mich mit Fug und Recht um Pensionierung und Entlassung aus dem Lehramt bewerben darf. Bereits bin ich daran, mir und meiner treuen Lebensgefährtin ein bescheidenes, ruhiges Altersheim erbauen zu lassen, das wir im Herbst 29 zu beziehen hoffen. Dann mag noch verschiedenes Angefangene und Planierte Gestalt annehmen; denn wenn mir meine Gesundheit treu bleibt, gedenke ich noch 211 lange nicht zu faulenzen, nur wünsche ich mir eine ruhigere und weniger nervenzerreibende Betätigung. Ihre feine und herzliche Würdigung meiner, ach so unbedeutenden Werke wird mir dabei eine freundliche Ermunterung und tröstliche Kraftquelle sein, für die ich Ihnen aus vollem und bewegtem Herzen Vergeltsgott sage.

Mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebener S. Gfeller

An Karl Grunder am 28. November 1931

Lieber Karolus,

Ich hätte Dir da auch noch was zum Lesen (Drätti, Müetti u der Chlyn. d.H.), wenn Dir das Tantiemen-päckeln und Fünfliberbeigen Zeit dazu läßt. Viel Rares ist es ja nicht, was ich zu erzählen hatte, immerhin hoffe ich, daß auch etwas für Bauernbuben Allgemeingültiges dabei sei und daß Du auch etwas findest, das Du Deinen Schülern vorlesen kannst. Es geht mir recht erträglich, und wenn ich einmal mit allen Verpflichtungen fertig bin, mache ich mich auch wieder hinter ein Theater-Stück; Krümpe hätte ich noch zwei, drei bei dem Wagnerholz auf der Laube; aber das Erzählen kanns mir viel besser. Da darf man sich gemütlicher ausleben als bei dem verflixten dramatisieren.

Wenn Du Zeit findest, sieh Dir auch das Gotthelf-Buch des Literaturhistorikers Dr. W. Muschg in Zürich an (Gotthelf, Die Geheimnisse des Erzählers. d.H.) und schau nach, wie er uns Mundartler und Gotthelf-Nachfahren abkapitelt.

Dir alles Gute wünschend grüßt freundlich

S. Gfeller

Am 10. September 1934 an Karl Uetz

Lieber Kari!

Nun sind schon drei Wochen verflossen, seit unser lieber Werner verunglückt ist, Wochen, wie ich sie nicht mehr erlebt habe, seit mein Bruder Jakob im Lindenhofspital sterben mußte. (Der Maler Werner Neuhaus, Simon Gfellers Schwiegersohn, wurde von einem Auto überfahren und tödlich verletzt. d.H.) Viel Schweres liegt hinter uns, viel Schweres steht uns noch bevor. Soeben war der Untersuchungsrichter Hauptmann Itten hier, um mich einzuvernehmen und mir Gelegenheit zu geben, unsere Entschädigungsansprüche anzumelden. All dies ist so peinlich, muß aber durchgefochten werden. Werner geht aus der Voruntersuchung ganz unbelastet hervor. Dem Täter wünschen wir nichts Böses, er scheint auch nicht der Alleinschuldige zu sein. Ein Schweinehändler von Schloßwil soll ihn durch unvorsichtiges Fahren oder Ausweichen um die klare Besinnung gebracht haben. Da auch ein Zivilist in Frage kommt, ist wohl möglich, daß der Bundesrat den Handel dem Zivilrichter in Trachselwald überweist.

Für das schöne Buch, das Du uns geschenkt hast, herzlichen Dank. Von Mathias Claudius’ Prosaschriften ist mir außer einigen Ausschnitten aus dem Wandsbecker Boten nie etwas bekannt geworden. Dagegen galten mir einige seiner Gedichte längst als Wunder von Einfachheit, Klarheit und Natürlichkeit. Welch kinderreines, reiches, gläubiges Gemüt! Sein Herz duftet von ächter Frömmigkeit wie ein Rosenstrauch an der Mauer des Gartens Eden, erblüht an paradiesischer Sonne und Luft. Aber der Durchblick ins Jenseits, auf den er noch 213 im Sterben gehofft hat, ist auch ihm, dem Frommen und Reinen, nicht beschieden gewesen. Eine solche wunderkräftige und weltüberwindende Herzensfrömmigkeit ist nicht dem menschlichen Willen erreichbar, sondern Gnadengeschenk Gottes. Das spürte vielleicht auch Claudius und darum konnte er so tolerant sein gegen Andersdenkende und Andersgeartete. Wenn man doch den Leuten klar machen könnte, daß auch die religiösen Fähigkeiten und Bedürfnisse so verschieden sind wie die ganze Konstitution und wie die Haut- und Haarfarbe der Menschen. Vielleicht würden sie dann erkennen, daß ehrliche Frömmigkeit nur auf dem Boden absoluter Freiheit gedeihen kann und daß in Glaubenssachen jeglicher Zwang vom Übel ist. Man kann Haare färben, scheiteln, aufkräuseln und pomadisieren; man kann Glauben vortäuschen und aufsträußen; aber Gott wird man mit solcher pomadisierter Frömmigkeit nicht täuschen, sondern nur leichtgläubige Menschen.

Lasse man doch jeden, der ehrlich nach dem Guten strebt, so gelten wie er ist und wie er sein kann und sein muß, beschreite er nun mehr den Glaubens- oder den Liebesweg und sei ihm dieser Weg mehr vom vernünftigen Denken oder vom Gefühl vorgezeichnet. Leider gebärdet sich auch unsere Landeskirche in manchen ihrer Diener immer noch sektenmäßig, das heißt als Generalpächterin und Alleinverwalterin der Wahrheit und nimmt den Himmel ganz für sich allein in Anspruch. Sie stützen sich auf das Wort: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.» Damit hat Jesus die Menschen ins schönste und innigste Verhältnis zu Gott gesetzt und ihnen die lichtvollste Gotteserkenntnis geschenkt; aber 214 nie kann ich mir denken, daß dadurch alle Nichtchristen verdammt werden sollen und ihr Gutes in den Kot getreten werden soll. Dem widerspricht das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, in dem das Gesetz des Herzens dem Gesetz des Buchstabens und Mundbekenntnisses vorangestellt wird. Das Hauptwort der christlichen Religion heißt: Liebe! Diesem Leuchtstern darf man wohl vertrauensvoll folgen und alles ablehnen, was dawider streitet. Denn es waren Menschen, die die Bibelworte aufgezeichnet haben, Menschen, die nicht über alle Irrtümer erhaben waren. Sie haben uns ihr Bestes hinterlassen; aber kläglich schiene mir, wenn damit alle Entwicklung und Erkenntnis abgeschrieben werden sollte und die Menschheit für ewige Zeiten an das Buchstabenkreuz der Bibel geschmiedet werden sollte. Wir haben auf dem ererbten guten Grunde weiterzubauen und den christlichen Grundsätzen der Nächstenliebe die für unsere Zeit und unsere Verhältnisse passende Anwendung und Ausgestaltung zu suchen. Christusgeist ist uns von Nöten, aber ohne dogmatische Enge und Überheblichkeit.

Aber nun will ich aufhören mit Predigen, Du findest Deinen Weg ohne das. Hoffentlich schlägt Dir Dein Aufenthalt bei den Welschen recht an, daß Du wieder frisch und ausgeruht und mit neuer Schaffenslust hinter Deine Lebensaufgaben kannst. Den Toten wollen wir ein liebendes Andenken bewahren, aber dabei in die Zukunft blicken. Die Deine wird noch mit Kilometern zu messen sein, die meine nur noch mit Metern. Darüber zu klagen wäre töricht; mir und den Meinen war viel Gutes beschieden, daran denke ich alle Abend, wenn ich zu Bette gehe und alle Tage, wenn ich meinen 215 Blumen und Bienen nachtrappe oder unsere Kleinen gaume.

Dir herzlich alles Gute und freundliche Grüße vom Müetti und von

S. Gfeller

An eine Schülerin in Roggwil (undatiert)

Mein liebes Roggwiler-Meitschi!

Gerne möchte ich Dir recht ausführlich schreiben, bin aber mit dringender Arbeit überhäuft, daß ich mich kurz fassen muß.

Vorab will ich Dir ein Müsterlein erzählen: Es war einmal ein Doktor, der wurde zu einem kranken Schmied gerufen. Dieser hatte eine schwere Lungenentzündung. Alle Mittel versagten, der Doktor erwartete mit Sicherheit, daß ihm der Patient wegsterben werde. Als er ihn aber nach einigen Tagen besuchte, befand sich der Schmied in Besserung. Was für Mittel ihm jetzt wieder auf die Beine geholfen haben, wollte der Doktor wissen. Zögernd gestand ihm der Schmied, er habe fleißig Sauerkrautwasser getrunken, davon sei er gesund geworden. Der Doktor notierte sich dieses seltsame Heilmittel und als er bald darauf zu einem Schneider gerufen wurde, der auch die Lungenentzündung hatte, verordnete er ihm sofort Sauerkrautwasser. Erfolg: Andern Tages war der Schneider eine Leiche.

Du lächelst und merkst, wo ich hinaus will: Jeder Mensch ist ein eigenes Spiel von Kräften und Gaben, ohne diese zu kennen, kann man ihm keine Rezepte verschreiben (wenigstens keine speziellen), wie er sein Leben einzurichten habe, daß alles gut herauskomme. Da kann Dir Dein Lehrer viel besser raten und helfen als ich.

216 Wer den Marsch ins Leben hinaus mit gesunden Gliedern und gesunden Sinnen antreten darf, hat keinen Grund, davor Angst zu haben. Mehr oder weniger ist doch jeder seines Glücks oder Unglücks Schmied. Wie mans treibt so geht es. Wer ehrlich bestrebt ist, aus seinem Leben etwas Rechtes zu machen, wer seine Gaben und Kräfte mit Ausdauer und Beharrlichkeit übt in fleißiger Arbeit und verständiger Überlegung, wer rechtschaffen nach dem Guten trachtet und sich mit seinen Mitmenschen friedlich zu vertragen sucht, kommt auch heute noch am ehesten vorwärts.

Fast am schwersten haben es im Leben die verhätschelten Kinder, denen man in der Jugend alle Wünsche erfüllt und alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt hat. Man hat mir gesagt, achtzig Prozent von jenen Unglücklichen, die in Nervenheilanstalten verpflegt werden müssen, seien einzige Kinder. Ich weiß nicht, ob die Zahl stimmt, aber das weiß ich sicher, daß die, die sich keinen Wunsch versagen und sich nicht beherrschen können und meinen, die ganze Welt müsse sich nur um sie drehen, besonders heftig anstoßen im Leben. Tausende fühlen sich bloß deswegen unglücklich, weil sie sich ihre Bedürfnisse haben über den Kopf wachsen lassen und erfüllt sind von unersättlichen Begierden.

Pflück süße Beerlein am Lebensstrauch,
Doch überiß dich nicht daran;
Die Lebenslust verfliegt im Rauch
Dem, der nicht Maß einhalten kann!

Wo es einem Menschen nie und nimmer gelingen will im Leben, steckt doch in der Regel immer eine Selbstschuld dahinter. Freilich kann es auch den Guten und 217 Fleißigen schlecht gehen, aber solchen wird auch gerne geholfen, sie stehen nie allein. Wer sich so benimmt und stellt, daß er etwas auf sich halten darf, ist immer besser dran, als wer sich sagen muß: Ich bin selber schuld. Das tun die Leute aber freilich selten, ihre Fehler einsehen, seit Adams und Evas Zeiten geht es ringer, sie andern in die Schuhe zu schieben.

Ich schließe meine flüchtigen Ausführungen mit dem tröstlichen Bibelwort: Dem Aufrichtigen läßt es Gott gelingen! Es faßt groß und einfach zusammen, was ich Dir sagen möchte.

Freundlich grüßt Dich und Deine Mitschüler

S. Gfeller

Knospen

Wenn im Herbst die Blätter fallen,
trägt der Baum schon längst an allen
Zweigen Knösplein zart und fein...
Herz, warum denn traurig sein?

Schaffe, daß in dir nie fehle
knospend Leben einer lichten Seele!
Alsdann darfst du ohne Grauen
auch dem Tod ins Antlitz schauen...

An Frau Nußbaum (undatiert)

Sehr geehrte Frau Nußbaum,

Ihr Stück habe ich sofort nach Ihrer Abreise vorgenommen und durchgelesen. Und nun will ich versuchen, Ihnen das Rätsel aufzuklären, warum es dem Publikum so wohl gefallen hat, vor der fachmännischen Kritik 218 aber nicht bestehen kann. Denn, so leid es mir tut, kann ich nicht anders als mich dem Urteil des Herrn Prof. v. Greyerz anschließen. Warum, das will ich Ihnen in einem Gleichnis dartun.

Ein Bauersmann, der Freude an der Natur und schönen Bildern hatte, genoß von seinem Hause aus einen freundlichen Ausblick, der ihm sehr lieb war. Er hatte in der Schule nicht schlecht gezeichnet und beim Anblick des lieblichen Geländeausschnittes wandelte ihn eines Sonntags die Lust an, ihn zu malen. So oft hatte er ihn schon gesehen und so klar umrissen schien ihm alles, daß er meinte, ihm müßte das Bild gelingen. Er nahm Stift und Leinwand, Pinsel und Palette an die Hand und versenkte sich mit Eifer und Freude in die Arbeit, zeichnete Bäume, Wiesen, Wegstücke, Wald und Berge und einen Himmel darüber. Und es gelang ihm so gut, daß jedermann sofort sah: Das ist ein Baum, das ist eine Wiese, das ein Waldstreifen, das dahinter eine Bergkette und darüber ein Himmel mit glanzen Stellen und Wölklein. Dann griff er zum Pinsel und begann Farben aufzutragen: Die Wölklein schön kreideweiß, den Himmel prächtig hellblau, die Berge violett, den Wald düstergrün, die Bäume fensterladengrün, die Wiese gelbgrün und den Weg rötlich. Dann kamen Nachbaren vorbei, schauten auf das Bild und als sie all die glänzenden Farben erblickten, klatschten sie in die Hände und riefen: Herrlich, dieses Grün, Rot, Blau und Weiß... ein wundervolles Bild! Das mußt du unbedingt auf eine Ausstellung schicken, denn es ist ein wahres Kunstwerk, schöner kann man das gar nicht malen. Auch der Pfarrer und Lehrer kamen und fanden es gut.

219 Nun begab es sich, daß ein Maler des Weges kam, der diese Kunst seit Jahrzehnten geübt hatte und darin ein anerkannter Meister war. Man zeigte ihm das Bild und fragte ihn: Ist es nicht würdig, auf eine Ausstellung gebracht zu werden? Nachsichtig lächelnd antwortete er: «Freude an der Natur und Kunst ist immer zu schätzen. Aber auf einer Ausstellung würde das Bild nie angenommen». «Warum denn nicht?» fragten alle erregt. «Weil es nicht treu und wahr nach dem Leben gemalt ist und die Farben nicht zueinander stimmen», antwortete er ruhig. «Nicht lebenswahr? — Der Himmel ist doch blau, die Wolken weiß, der Wald dunkel und die Wiese grün! Wie kann man denn behaupten, es sei nicht lebenswahr?»

«Gewiß sind es Bäume, aber die Zeichnung ist ungenau, die Astverteilung eine andere, Stämme und Kronen stehen nicht im richtigen Verhältnis, Licht und Schatten ist willkürlich verteilt. Freilich ist dieser Baum grün, aber es ist nicht dieses Grün, das ihn so köstlich kleidet. Freilich sind die Wolken hell, aber es ist nicht dieses ungebrochene Weiß, sondern ein goldig abgetöntes; freilich ist der Himmel blau, aber es ist nicht dieses gläserne Blau, sondern ein weiches, verschwimmendes. Alle diese Farben müssen aufeinander abgestimmt sein, daß sie sich gegenseitig heben und tragen und ein harmonisches Ganzes bilden. Hier auf dem Bilde stehen sie hart und kraß neben einander und wirken übertrieben, unwahr und süßlich. Die Fähigkeit, dies zu unterscheiden, erwirbt man sich nur durch jahrelange Übung und Beobachtung.»

«Aber wir finden es doch so schön», riefen sie, und auch der Pfarrer und Lehrer konnten nicht begreifen, warum es nicht kunstgerecht sein sollte. «So freuet 220 euch daran», lächelte der Künstler, «aber verlangt nicht von mir, daß ich es als vollgültiges Kunstwerk anerkenne.» Damit schritt er fürbas und hinter seinem Rücken murrten sie: «Unbegreiflich! Am Ende versteht er selber nichts davon.»...

Was ich hier erzählt habe, ist die Geschichte Ihres Stückes. Dieses ist mit herzlichem Anteil verfaßt und aus menschenfreundlicher Gesinnung und den besten Absichten herausgeflossen. Das hat auch das Publikum richtig herausgefühlt und dem Stücke Beifall gezollt. Dem Kenner und Künstler aber kann es nicht genügen. Sie zeichnen Ihre Bauernleute zu sehr nach dem Schema: Gut und Böse. Die Kontraste stoßen zu hart aufeinander. Wirksam wird das Stück allerdings dadurch, ich kann mir gut vorstellen, daß ein naivgläubiges Publikum am Schlusse in helle Tränen ausbricht. Aber es ist ein Publikum, das von der Technik eines Dramas kaum einen Hochschein hat und nicht gewohnt ist, seelische Zustände zu zergliedern. Es hat genug zu tun mit Schauen und kümmert sich nicht viel um Lebenswahrheit und künstlerisches Darstellen derselben. Was es sucht ist Unterhaltung und Rührung, Theater ist ihm eben Theater und nicht eine Bildungsstätte, an der es neue Blicke ins Leben, neue Einsichten in seelische Zusammenhänge gewinnen will.

An Ihrem Stück ist manches richtig gezeichnet und die Sprache eine natürliche, daneben aber leider Unzulängliches, sowohl Technisches (Monologe) als auch Psychologisches. Ich kann nicht näher darauf eintreten. Die Richtung habe ich Ihnen im Gleichnis zu geben versucht.

Damit soll nun Ihre Arbeit nicht totgeschlagen sein. In die Sammlung der Heimatschutzstücke kann sie allerdings 221 nicht aufgenommen werden, sie würde einstimmig abgelehnt. Das hat wohl Prof. von Greyerz vorausgesehen und sie deshalb nicht in Umlauf versetzt.

Vielleicht finden Sie aber trotzdem einen Verleger dafür. Theaterverlage sind: Küenzi-Locher, Bern, Kuhn, Biel, Sauerländer, Aarau u.a. m. Zum Selbstverlag würde ich Ihnen nicht raten.

Und nun glauben Sie mir, daß es mir zehnmal leichter geworden wäre, Ihnen die Arbeit zu rühmen als Ihnen Ihre schönen Hoffnungen zu rauben und Ihnen wehe zu tun, aber um der Wahrheit willen konnte ich nicht anders.

Hochachtungsvollst und freundlichst grüßend

S. Gfeller

NB. Für meine Arbeit sollen Sie mir nichts senden.

Am 24. Mai 1936 an Karl Uetz

Lieber Kari!

Ich bin daran, meine Geburtstagsgeschichten zu liquidieren und komme endlich auch dazu, Deinen Schülern für ihr Bilderbuch zu danken. Lies ihnen meinen Brief vor und gib ihnen, wo es Dir angezeigt scheint, die nötigen Erklärungen dazu.

Letzten Sonntag hatte ich eine schwere Aufgabe auf dem Buckel: Den Aufsichtsrat der Schillerstiftung in Lützelflüh zu begrüßen und ihnen in Affoltern einen auf Gotthelf bezüglichen Vortrag zu halten. Ich suchte die Frage zu beleuchten: In welchem Lichte stellt sich Gotthelf unserer heutigen Generation dar? formte das Thema und seine Ausführung aber berndeutsch. Ich warf einen Rückblick auf das, was die Gotthelf-Forschung in den letzten 12-15 Jahren geleistet hat und forschte auch 222 anderen Einflüssen nach, die in dieser Zeit für Gotthelf geworben haben, so zum Beispiel das bernische Mundarttheater. Dabei habe ich mir erlaubt, die Übertreibungen in der Kritik ein bißchen ironisch zu begucken. Muschg und Günther machen ja aus Gotthelf einen literarischen Himalaya, und Wolkenkratzer passen nun einmal nicht in die bernische Landschaft. Dabei ist das Bernervolk als Stofflieferant für so nebensächlich angesehen worden, daß es mein demokratisches Empfinden verletzt hat und ich mich dafür ein wenig einsetzen mußte.

Ich saß zwischen alt Regierungsrat Merz und dem sympathischen und ehrwürdigen Peider Lansel. Er läßt Dich freundlich grüßen; Du hast ihm einen guten Eindruck gemacht, er findet, das Emmenthal dürfe sich glücklich schätzen, solche Lehrer zu besitzen, wie Du einer seiest.

...

Am nächsten Freitag wollen wir uns dann Deine Kohlenbrenner-Schulstunde anhören. Laß Dir nur nie Angst werden. Man muß nur immer ungescheut zu dem stehen, was man als gut und wahr empfindet, dann kann es nie ganz fehlen!

Dich und die Deinen herzlich grüßend

S. Gfeller

Am 14. Dezember 1936 an Walter Laedrach

Lieber Kollege,

Verzeihe mir, daß ich Dich so lange auf Antwort warten ließ. Es war in letzter Zeit wieder ein Andrang und Stoßverkehr in Briefen und Aufträgen, daß ich fast nicht wußte, wo wehren.

223 Den Ausgang unserer Sitzung in der Kommission zur Förderung bernischen Schrifttums hast Du schon aus der Zeitung erfahren. Es lagen 19 Bücher vor, darunter beachtenswerte Werke zweier Autoren, die sich in sehr mißlicher finanzieller Lage befinden und darum in erster Linie berücksichtigt werden mußten. Ohne mein Wissen hatte der Verlag Francke auch mein Büchlein in Umlauf gesetzt. Wäre es nach meinem Willen gegangen, so hätte ich es vom Wettbewerb ausgeschaltet. Denn nun durfte die Kommission nicht wohl anders als es auch berücksichtigen, trotzdem es keine rare Sache ist. Ich hatte ein schlechtes Gewissen dabei, durfte aber nicht gegen meinen Verleger operieren, wenn ich es nicht mit ihm verderben wollte. Leider mußte ich auf die Bahn, bevor die Sitzung fertig war.

Dazu mußte auch das Buch eines Jurassiers berücksichtigt werden, da der Jura bisher beim Bücherankauf sehr wenig an die Reihe gekommen war.

An meiner «Seminarzyt» habe ich mit schweren Hemmungen gearbeitet. Das Büchlein sagt mehr aus durch das, was ihm fehlt, als durch das, was in ihm zu Worte kommt. Nämlich daß das Seminar einen jungen, normal begabten Menschen seelisch nicht zu packen wußte, ihm keine tiefgehenden seelischen Erlebnisse vermittelte. Darin liegt eigentlich die schärfste Kritik des damaligen Erziehungssystems. Allerdings mache ich das Seminar nicht allein verantwortlich, es fehlte sicher auch an mir. Ich trat mit schlechter Vorbildung ein, entwickelte mich als richtiger Emmenthaler spät und war kameradschaftlichen Einflüssen zugänglich, die nicht besonders günstig waren. Indessen mochte ich davon nicht reden und andere ans Brett geben.

224 ...

Dir und Deiner lieben Frau herzlich alles Gute und bessere Gesundheit wünschend
grüßt freundlich

S. Gfeller

Beilage zu einem Brief vom 28. März 1940 an Elisabeth Müller

Letztes Laub — letzte Frucht

Verengt hat sich mein Lebensraum;
Die Schwäche schlüpft dem Leib in alle Ritzen.
Ich bin ein hohler, spitzendürrer Baum,
Dem Schwämme auf den Wurzeln sitzen.
Nur müde kreist der Lebenssaft
Noch unter hart gerißner Rinde
Und trotzt mit einem Rest von Lebenskraft
Dem Griff der Stürme und der Winde,
Müht sich, mit Laub- und Früchtetragen,
Bevor der Wipfel kommt zum Sinken,
Ins Sonnenhelle fröhlich aufzuragen
Und noch ein Schlücklein Glück zu trinken.

Am 21. Juli 1940 an Karl Uetz

Lieber Kari!

Leider haben die Kinder Dein Soldatengeschichtlein im Atelier auf den Tisch gelegt, ohne mir etwas davon zu sagen, so hatte ich es nicht gelesen, als Du kamst um das Kätheli abzuholen. Nun habe ich es gelesen und begriffen, daß Dir daran lag, jene willigen und treugesinnten, aber etwas schwerfälligen und ungeschickten Soldaten 225 in Schutz zu nehmen, aus denen freilich nie Paradegageln werden können, die sich aber im Ernstfall als brauchbare und verläßliche Kämpfer und Kameraden erweisen würden. Das muß man unseren Vorgesetzten, namentlich denen aus der Stadt, die vor allem auf Schliff sehen, immer wieder zu Gemüte führen. Soweit bin ich mit Deiner Geschichte sehr einverstanden. Sprachlich aber scheint sie mir nicht ganz auf der Höhe zu stehen, wie Deine bessern Arbeiten. Da merkt man ihr an, daß sie ein in Unruhe verfaßtes Notprodukt ist. Es fehlt ihr etwas am natürlichen Fluß der Sprache. Die Satzanfänge klingen manchmal etwas gezwungen, der Punkt sollte kein Abwuhrhölzchen sein, bei welchem es das Rädlein aufsprengt beim darüberfahren. Wie hilft man sich da am besten? Genau so, wie wenn man über einen Bach schreiten will. Langt es nicht mit einem fortlaufenden Schritt hinüberzukommen, so geht man ein paar Schritte zurück um einen Anlauf zu nehmen. So beim Erzählen auch. Will das Trom nicht nach Wunsch unverknotet und unverkauzt weiter laufen, dann spricht man sich die letzten paar Sätze vor und siehe, öfters stellt sich eine Wendung ein, mit der man flüssig weiterfahren kann. Ich wenigstens helfe mir jeweilen so. Im übrigen hat Deine Mundart gute Qualitäten und Du sollst Dich durch meine Bemerkungen nicht entmutigen lassen, sondern wissen, daß die Kraft durch stetes Mühen und Anwenden ins Wachsen kommt. Ach Gott, wie habe oft ich mit der Sprache ringen müssen, bevor es mir gelang, das wenigstens einigermaßen herauszubringen, was ich sagen wollte. Denn, wo es in seelische Belange hineingeht, ist die Mundart kein wühliger Kleeacker und kein dichtbestandenes Ährenfeld.

226 Sicher wartete Deiner bei Deiner Heimkehr ein trauriger Anblick. Aber unsere Bauern nehmen auch ein Hagelwetter mit Gefaßtheit auf. Sie wissen um die unerschöpfliche Zeugungskraft der guten Mutter Erde, die von sich aus die entstandenen Schäden wieder ausbessert.

Am Radio haben sie eine Klagemeierei losgelassen. Ein Kaufmann, Bauer, Angestellter, eine alte Frau, ein Ingenieur usw. haben ihre Nöte herausgejammert. Das mag im Hinblick auf die gesetzgebenden Räte von Nutzen sein, hat aber meinen Widerspruch herausgefordert. Wir Schweizer haben nicht am meisten zu klagen. Wenn man an das denkt, was die Kriegsländer erfahren haben, an die furchtbaren Blutopfer, an die grauenhaften Zerstörungen, an das unsägliche Flüchtlingselend, an das Auseinanderreißen der Familien, dann erscheinen unsere Leiden in einem erträglicheren Lichte. Unsere Städte und Dörfer, Wohnstätten, Felder und Gärten, Straßen, Brücken und Eisenbahnstränge stehen unverwüstet da und wenn man einander aushilft, sind die Nöte, welche die Grenzbesetzung verursacht hat, sicherlich zu beheben. Wehleidig zu jammern ist nicht beste Schweizerart, da dürfte man sich die Tragfähigkeit des Deutschen zum Vorbild nehmen. Ich weiß nicht, ob diese Seite noch zum Ausdruck gekommen ist; denn ich mochte nicht bis zu Ende hören. Man sollte nicht helfen, die Unzufriedenheit schüren, sondern die guten Kräfte aufrufen und zur Tätigkeit anspornen.

Wir sind gestern zur Neuhauslinde gewandert. Es war aber luftig und ein Schauder durchfuhr mich. Als ich mich bückte, fuhr mir ein arger Hexenschuß in den Rücken, so daß ich fast nicht nach Hause gnoppen 227 konnte. Ich befinde mich in jenem lächerlichen Zustand, der jede unvorsichtige Bewegung verbietet und muß den Hinterteil nachschleppen wie ein gluggiges Huhn. Das wird aber in Tagen überstanden sein und soll mich nicht vom Schaffen abhalten. Ein Paul Baumgartner in ? hat mir eine (schlecht) gereimte Hochzeitsanzeige geschickt, die ich ihm verbessern soll, und von Francke sind die Entwürfe für den Schutzumschlag meines Eichbühler-Buches gekommen. Sie sind nicht ganz nach Wunsch ausgefallen. Auch sonst ist Arbeit vorhanden, so daß ich schließen muß.

Also immer guten Mut, nie nachlassen und weiterfahren, Segen ist der Mühe Preis.

Herzlich grüßend

Dein S. Gfeller

An Karl Uetz (Feldpostadresse) im Oktober 1940

Lieber Kari,

...

Bei Deinem letzten Besuche warst Du so niedergeschlagen und sahest so verstört und verhühnert aus, daß ich darüber heimlich tief erschrak. Leider war es mir in jenem Zeitpunkt Deiner Begleiter wegen nicht möglich, mit Dir darüber zu reden. Auch mußte ich mir zuerst überlegen, womit ich Deine seelische Niedergeschlagenheit mildern könnte...

Nun schicke ich Dir ein dickes, schön liniertes, rotrandiges Schwarztuchheft, um Dich zur Führung eines Tagebuches zu ermuntern. Damit scheucht man freilich keine Luftflotte und keine fünfte Kolonne weg und kann sich aus dem Kellergewölbe des Kummers und der Sorgen nicht auf einen Ruck befreien. Aber ein wenig 228 Sandkörner und Mauerkalk kann man damit doch wegschorren und frischere Luft und etwas Helligkeit hereinlassen.

Das Tagebuch ist das Persönlichste aller Schriftstücke, ihm darfst Du herzhaft alles anvertrauen, was Dich drückt, darfst darin kummern und klagen, hauen und stechen, donnern und schimpfen. Kein Zensor darf Dich daran hindern, kein Kritiker sich Dir an die Fersen heften. Hier bist Du frei wie das Füllen auf der Weide und darfst aufschlänggen, wie es Dich freut. Das schafft Ablenkung und läßt zu besserem Atem kommen. Wenn ich Unverdaulichkeiten im Magen habe, die mich wie ein Gift quälen und mir schlecht machen, bin ich froh, wenn ich obenab geben kann. Verzeih, wenn ich alter, magenkranker Mann auf dieses unappetitliche Bild verfalle und es mit seelischem Übelbefinden in Parallele setze. Zum bloßen Seelengift-Kotzbecki und Abladeplatz für Zornesknüppel und -knorren sollte das Tagebuch nicht werden; aber das eine oder andere Mal kann es auch als solches Erleichterung verschaffen. In Zeiten wie den heutigen kann es bis zu einer Wohltat werden, zu einem Kamm, mit dem Du Dir die Kummer-Klebläuslein von der Seele strählst, zu einem Frottiertuch, mit dem Du Dein Inneres vom Gedankenschweiß reinfegen kannst, wenn Dich dünkt, daß es keine Tausenddonner-Gattig habe, wie kuhdumm und verrückt es gegenwärtig auf Erden im Menschenleben her- und zugeht.

Daneben sind doch auch gute Kräfte eifrig am Werke und grünt es von verheißungsvollen Keimen schöner Hilfswilligkeit und Opferbereitschaft wie auf einem frisch geäferten Acker. Unsere Zeit ist doch auch eine Zeit seelischen Umbruchs und bringt neben dem Elend 229 vielleicht doch auch noch Segen mit sich. Und wenn Du Deinen Blick darauf richtest, gewahrst Du Erhebendes und Rührendes, daß Dir Dein Tagebuch plötzlich zur Vase wird, in die Du ein unterwegs eingesammeltes Feldblumensträußlein einstellen kannst, das Dich mit tröstlichen Farben erquickt.

Dann hat das Tagebuch für Dich noch eine besondere Bedeutung. Wenn Du alle Deine Erlebnisse und seelischen Regungen fleißig notierst, dient es Dir als stoffliches Reservoir und förderliche Übung im Formen und Gestalten. Auch wenn es Dir scheinen will, daß es nur Gedankenabfälle und bedeutungsloses seelisches Grübelmehl sei, was Du ihm anzuvertrauen hast, kann es Dir doch für spätere Arbeiten wertvoll werden. Denke an die Gärtner, die aus Gartenabfällen, Erbsen- und Bohnenstauden, Unkraut, Laub, Gras, Stengeln und Blättern ihren Kompost bereiten, der eine vortreffliche Düngekraft besitzt! Denke an die Hausfrauen und ihr Vorrats- und Einmachgänterli und hebe Dir die Aufbaustoffe, die Dir das Leben zuwirft, sorgsam auf.

Ich habe leider in jüngeren Jahren versäumt, regelmäßig ein Tagebuch zu führen. Ich verließ mich darauf, der Brunnen werde immer frisch quellen, und unterließ es, den Kessel unterzustellen und Reserven anzulegen und habe das später oft bedauert. Denn auch ein gutes Gedächtnis vermag nicht alles aufzubewahren, was an ihm vorübergeht. Mancher schöne Eindruck, mancher glückliche Einfall verweht ungenützt im Winde. Die Alten waren in dieser Hinsicht klüger. Die Einsichtigen stellten den Grundsatz auf: Jeden Tag eine Zeile. Ihnen war bewußt, wie wohltätig eine beständige Übung im Formen und Gestalten die Darstellungskraft beeinflußt. 230 Von dem, was ihnen quälend auf der Seele lag, befreiten sie sich, indem sie es klärten und künstlerisch gestalteten. So trieben es die Größten, ein Goethe, Hölderlin, Nietzsche und viele andere. Ihnen darf man nacheifern, auch wenn man sich der Distanz bewußt ist und weiß, daß man ein Grotzen ist, der kein Mahagoniholz liefern kann — nützliches Brenn- und Baumaterial ist auch nicht zu verachten.

Darf ich hoffen, daß Du meinem Rate Gehör gibst? Auf alle Fälle sollst Du spüren, wie viel innigen Anteil ich an Deinem Leben nehme und wie gerne ich Dir helfen möchte.

In herzlicher Verbundenheit grüßt Dich

Dein S. Gfeller

Am 20. Oktober 1940 an Karl Uetz

Liebe Fankhausfreunde!

Endlich ist mein Buch (Eichbüehlersch; d.H.) erschienen und bin ich in der Lage, euch ein Freiexemplar schicken zu können. Nehmt es mit Nachsicht auf; denn es steht punkto Fülle und Lebendigkeit wohl nicht mehr auf der Höhe meiner besten frühern Werke. Indessen hoffe ich, daß es immerhin einigen Wert besitze und dankbare Leser finden werde, die zwischen dem grauenhaften Kriegsgeschehen mit seinen schauerlichen Mordberichten nicht ungern nach einer friedlicheren Lektüre greifen, mag auch mein Werk unzeitgemäß erscheinen. Angefangen wurde es schon vor vielen Jahren und es mag Dir, lieber Kari, ein neues Beispiel sein, daß man sich im Schaffen nicht darf entmutigen lassen, auch wenn die Umstände zeitweilig nicht günstig aussehen. 231 Jeder Schaffende hat Zeiten, da ihm das Garn nicht laufen will. Es sieht manchmal ganz darnach aus, daß man vorerst recht gedemütigt werden müsse, bevor einem wieder etwas gelingen will. Wenn man aber nicht nachläßt, kommen wieder bessere Perioden und erneuter Fruchtansatz, der zum Reifen auch Nebel- und Regentage benötigte.

Ich schreibe probeweise einmal auf unserem Stubentisch. Man wird sich diesen Winter der Wärme halber zusammen lassen müssen; im Notfall kann ich auch in der geheizten Wohnstube etwas schaffen, die Kinder gehen ja in die Schule, so daß die nötige Ruhe auch nicht fehlen wird. Die Rationierung fängt jetzt an einzuschneiden. Mutter hat bisher unsere 4 Familien wöchentlich mit einem Halbpfund frischer Butter versorgt; das wird nun aufhören müssen. Aber deswegen wird niemand hungern oder umkommen, wir werden uns weder durch die Holz- noch die Buttersperre entmutigen lassen, im äußersten Notfall würde wohl auch in unseren Nachbarhäusern etwas zu erhaschen sein, haben doch Werner, Hede und die Mutter in verschiedenen landwirtschaftlichen Werkzeiten fleißig arbeiten geholfen. Und was meinen persönlichen Appetit betrifft, ist derselbe so minim, daß für ihn auch die schmalste Ration ausreicht.

Sollte Kari schon wieder im Dienst sein, bitte ich Marteli, ihm das Buch nachzusenden, es wird ihm vielleicht über Zeiten der Langeweile ein bißchen hinweghelfen. Es wäre schön, wenn es sich träfe, daß er zur Bewachung der Internierten nach Grünenmatt oder Lützelflüh oder sonst in erreichbare Nähe kommen würde. Aber auf solch günstige Zufälle hofft man wohl vergeblich.

232 Wir haben die letzten schönen Tage benutzt. Ich, um im Bienenhause alles in Ordnung zu bringen, daß, wenn mir den Winter über etwas zustoßen sollte, ein anderer alles Nötige vorfände um im Frühling meine Bienen zu betreuen. Die Frauen haben derweilen den Garten geräumt und das Wintergemüse in den Keller gebracht. Letztes Jahr mußten wir alles unter dem Schnee hervorlochen und naß einkellern, das hat uns ergremmt.

Heute morgen ist Mutter Meta nach Langenthal gereist zu einer Klassenzusammenkunft mit den wenigen Überlebenden, die mit ihr im Seminar waren. Sie ist wohl, trotzdem sie um Weihnachten das 74. Altersjahr vollendet, noch eine der rüstigsten.

Unentwegt verfolge ich die politischen Ereignisse. Man bangt manchmal, wenn die Nazibonzen an den europäischen Häfen herumfurzen und Gift legen, für England, und befürchtet neue Teufeleien. Dann kommen aber wieder so ermutigende Berichte über die englisch-amerikanische Zusammenarbeit und riesigen Rüstungsbestrebungen, daß man doch wieder Hoffnung faßt. Den Ausschlag wird die Haltung Rußlands geben und es ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß es nur darauf wartet, daß England zerschlagen und die Achse genügend geschwächt sei, um dann den Hauptgewinn einzuheimsen. Aber die Umstände könnten es doch zwingen, aus dieser füchsischen Lauer herauszutreten und eingreifen zu müssen, wenn Deutschland zu mächtig gegen den Bosporus und die Dardanellen vordrängt und Rußland alle fetten Bissen vorwegnimmt, dann könnte endlich diese düstere Paktfreundschaft ein Ende mit Schrecken nehmen. Ich hoffe immer noch, denn es erscheint mir etwas Unmögliches, daß ein auf so faulem 233 moralischen Untergrund aufgebautes System festen Dauerbestand haben könne. Wenn man an das Seufzen all der unterdrückten Völker von Narvik bis Istanbul denkt und daß bei einem deutschen Mißerfolg der zündende Funke in diese vergewaltigte Masse einschlagen könnte, sieht man allerdings erst ein neues, furchtbares Chaos vor sich, aber dahinter auch eine verheißungsvolle Morgenröte.

Euch allen herzlich alles Gute und freundliche Grüße

S. Gfeller

Am 26. Oktober 1941 an Walter Laedrach

Lieber Freund!

Draußen Schneedecke und dreckiger Weg, drinnen wohlige Stubenwärme. Da hält man sich an die Stube und nutzt die günstige Gelegenheit zum Briefeschreiben.

Herzlichen Dank für Dein neues Buch mit dem viel versprechenden Titel (Aufstieg zur Sonnseite; d.H.). Ich habe mich Vormittag im Bette still gehalten und den Anfang gelesen und zwar mit großem Genuß. Wenn es so weiter geht, darfst Du Dir gratulieren. Abschließend will ich Dir später darüber schreiben.

Letzten Freitag war Fräulein Waßmer, Büchlers Correktorin mit ihrem Bruder hier um das Manuskript meines neuen Buches abzuholen, dem ich den Titel «Landbärner» vorgesetzt habe. Sie will die Arbeit noch einer Vorkorrektur unterziehen (punkto Schreibweise), da Lang gegenwärtig zu beschäftigt sei, um sie lesen zu können. Nach Neujahr sollte der Druck beginnen und so gefördert werden, daß das Buch zu Ostern seine Reise antreten kann...

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Was ich selber in Angriff nehmen werde, weiß ich noch nicht bestimmt. Angefangen wäre ein Moses-Drama und die «Kinderrettung» in 3 Szenen im Conzept fertig. Als folgende Abteilung dachte ich mir den «Kampf um eine Seele». Aber der Widerhaken sind viele. Es ist mehr Erahntes, das ich da gestalten möchte; die Bibel gibt über diese Abteilung sozusagen keine Auskunft. Ich kann mir aber nichts anderes denken, als daß der junge Moses, der Günstling einer Prinzessin und Zögling raffinierter Priester längere Zeit in Gefahr war, ein Aegypter zu werden und sein Volk zu vergessen und sich um ihre Leiden in der Flut persönlicher Erlebnisse nicht mehr zu kümmern. Später aber muß das irgendwie umgeschlagen haben. Irgendwo habe ich gelesen, daß sich Moses von der Priesterschule in Heliopolis geflüchtet habe und dann treffen wir ihn ja bei den Seinen als Fürsprecher und Schützer seines Volkes.

Grund des Umschwunges könnte sein, daß er den Priestern hinter ihre Schliche kam. Die aegyptischen Tempel waren ausgestattet wie ein modernes Opernhaus mit Versenkungen, Hohlspiegeln und Türen, die durch Luftdruck geöffnet und geschlossen wurden. So vermochte man dem Volke Wunder vorzutäuschen. Zudem hatten die Priester gesorgt, daß sich ihr Nachwuchs bloß aus aegyptischen Priestergeschlechtern rekrutieren durfte. Moses, ein Israelit, konnte also niemals ein aegyptischer Priester, sondern bloß etwa Tempeldiener werden, wenn keine Prinzessin mehr da war, die ihn energisch begönnerte. Es könnte nun sein, daß die Königstochter, die ihn gerettet und quasi adoptiert hat, inzwischen gestorben, in ein fremdes Land verheiratet 235 worden wäre oder das Interesse an ihm verloren hätte, worauf er dann von den aegyptischen Priestern als Eindringling auf die Seite geschoben worden wäre. — Ich behaupte natürlich nicht: So war es! sondern nur: So hätte es sein können.

Noch wichtiger als diese zweite wäre mir eine dritte Abteilung «Der feurige Dornbusch», in der gezeigt wird, wie die Kraft Gottes den Moses zu seinem Volke zurückzwingt. Davon dann vielleicht ein ander mal. — Dir und Deiner lieben Frau die herzlichsten Grüße von

Meta und S. Gfeller


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