Friedrich Gerstäcker
Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten Nordamerikas
Friedrich Gerstäcker

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5.
Cincinnati.

Die Königin des Westens, das Eldorado der deutschen Auswanderer! Fragt einen Deutschen, der aus einer der Seestädte in das Innere des Landes will, wohin er gehe, die unausbleibliche Antwort ist: »Nach Cincinnati.« Und was findet er da?

Als ich hinkam, waren alle Wirtshäuser überfüllt von Menschen, die auf Arbeit warteten und gern jeden irgend gebotenen Lohn angenommen haben würden, um nur ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ich sprach unter anderen auch einen Mann, dem sein Bruder geschrieben hatte, er möchte doch zu ihm kommen, hier wäre das Land, wo einem gewissermaßen die gebratenen Tauben in den Mund flögen. Zum Beweise führte er sich selber an. Er wäre vor wenigen Jahren mit nichts nach Amerika gekommen und hätte jetzt schon ein Hotel und Kaffeehaus. Die Sache war richtig; der Mann hatte wirklich ein Hotel und ein Kaffeehaus. Was wird aber unter einem solchen in Amerika verstanden? Ein Hotel nennt man jede Baracke, in der sich ein großes Zimmer mit fünf bis sechs zweischläfrigen Betten für etwaige Gäste vorfindet, die dann des Tages regelmäßig dreimal abgefüttert werden, wofür sie 2¼ bis 2½ Dollar die Woche (for boarding and lodging) bezahlen. »Coffee-house« ist der Name für jede Branntweinkneipe, und wenn nur drei oder vier Flaschen in den Häusern stehen, so prangt der Name des Eigentümers als Kaffeehauswirt gewiß in gewaltigen Buchstaben über der Tür. Der arme Deutsche, von den hochtrabenden Titeln getäuscht, kam und fand seinen Bruder trotz Hotel und Kaffeehaus in den erbärmlichsten Umständen und kaum vermögend, sich selber zu erhalten. Der arme Teufel mußte sehen, wie er auf seine eigene Faust durchkäme. Beispiele dieser Art kamen in der Zeit meines dortigen Aufenthalts mehrere vor.

In Cincinnati wohnt eine ungeheure Menge von Deutschen; besonders der obere Teil der Stadt, der von dem Hauptteile durch einen Kanal getrennt ist, enthält fast nichts als Wohnungen Deutscher, weshalb auch die Amerikaner jenes Stadtviertel häufig »little Germany« (klein Deutschland) nennen. Aber leider zeichnen sich meine lieben Landsleute dort nicht durch Reinlichkeit und gutes Betragen aus, und der Ruf, in dem der Deutsche dort überall steht, stimmt auch nicht mit den Berichten überein, die ich früher in so großer Anzahl über Amerika und über die Achtung, mit der die Deutschen dort behandelt werden, gelesen habe. Wenn auch der Bessere dort wohl, wie überall, geachtet wird, so tut es doch den Deutschen wehe, den Namen »Dutchman« (wie die Amerikaner uns alle nennen) als Schimpfnamen gebraucht zu sehen, wenn auch die eigene Person nicht darunter verstanden ist. Es gibt zwar in Amerika, und besonders in Cincinnati, eine Anzahl von Deutschen, die sich ein paar Taler dort erworben haben und nun auf den ärmeren Teil mit Verachtung herabsehen, ja sogar in das Schimpfen der Amerikaner auf ihre eigenen Landsleute mit einstimmen, denen also der Ruf, in dem der Deutsche steht, wenig oder gar nicht am Herzen liegt; doch können diese schwerlich als Regel angenommen werden, und ich habe mich manchmal ihrer geschämt.

Obgleich die Lage Cincinnatis sehr gesund ist, so ist doch eine wahre Unzahl von Apotheken und Doktoren dort – unter diesen vorzüglich viele Deutsche –, und ich begreife eigentlich jetzt noch nicht, wie sie alle leben können.

Die Zeitungen Cincinnatis starren von Anzeigen über vorzügliche Kaffeehäuser und Hotels, fast alle von Deutschen gehalten, einige gute amerikanische Hotels ausgenommen, und doch sind die meisten weiter nichts als Branntweinkneipen, und gewöhnliche Wirtshäuser, ja nicht einmal das, was man in Deutschland unter einem Wirtshause versteht. Sie beherbergen den armen Teufel von Einwanderer so lange, bis er sein Geld aufgezehrt und vertrunken hat, geben ihm vielleicht noch für einige Dollars Kredit und schicken ihn dann fort, indem sie für das wenige, das er ihnen schuldet, seine paar Habseligkeiten als Pfand behalten. Nur selten oder nie ist er imstande, sie wieder einzulösen.

Ich selbst bin, Gott sei Dank, diesen Geiern nie unter die Hände geraten, habe aber manchen armen Burschen, manchen Familienvater, der auf diese Weise um alles gekommen war, mit tränenden Augen sein Leid klagen hören.

Recht sehr hat mich der Religionsunsinn amüsiert, der in Cincinnati getrieben wird, und in dem sich die guten Deutschen gleichfalls auszeichnen. Besonders arg machen es die Methodisten, die unter einem Pennsylvanier namens Nasch jeden Sonntagsabend in ihrer Kirche heulen, springen und sich die Brust schlagen, und dann, wie sie es in ihrem englisch-deutschen Dialekt nennen, sich »glücklich« (happy) fühlen.

Herr Nasch gab auch eine deutsche Methodisten-Zeitung heraus, die unter dem Titel »der christliche Apologet« erschien. Ihm gegenüber, als sein bitterster Feind, stand »der Wahrheitsfreund« (das katholische Blatt), der nur dann aufhörte, gegen den »ketzerischen Unsinn des christlichen Apologeten« zu wettern, wenn er eine gewaltige Ladung von Gift und Bannflüchen gegen den »Lichtfreund« schleuderte. Der »Lichtfreund« aber, den Herr Eduard Mühl herausgab, lehrte die reine Vernunftreligion und machte sich über beide Gegner lustig. Mit den rationalistischen Predigern und Zeitungen ist es aber eine eigene Sache, nicht allein in Amerika, sondern auch in der ganzen übrigen Welt. Nicht etwa, als ob es an Leuten fehlte, die mit deren Richtung einverstanden sind, Gott sei Dank, es gibt deren genug, und es steht zu hoffen, daß die Mehrzahl sich ihnen hinneigt, aber die Leute, die eben an keine orthodoxe Lehre, die nicht an die Dogmen und Formen glauben und nur eben einer reinen Vernunftreligion leben, gehen wohl ein paarmal in die Kirche – es freut sie, das auch von einer Kanzel zu hören, was sie bis jetzt sich in ihrem eigenen Herzen gedacht hatten, aber – sie mögen nicht viel Zeit darauf verwenden, und besonders kein Geld dafür ausgeben. Die Kirche ist ihnen kein Bedürfnis, und der Prediger selber, der nun einmal doch leben will, sieht sich bald, nachdem der erste Reiz der Neuheit vorüber ist, auf einen sehr kleinen Kreis von Zuhörern beschränkt. Selbst die Zeitung, für die ihnen der blinde Glaube fehlt, wollen die Leute nicht gern halten.

So ging es auch in Cincinnati, und während die Methodistenkirche, in der man sich eher in einem Narrenhause als bei vernünftigen Deutschen glaubte, zur Zeit des Gottesdienstes gedrängt voll Menschen war, blieb die rationalistische Kirche ziemlich leer.

Mühl durfte sich allerdings damit trösten, daß es auf der Welt mehr Narren als vernünftige Leute gibt, aber seine Kasse blieb deshalb doch leer, denn auch seine Zeitung, die er nicht allein selber schrieb, sondern auch eigenhändig setzte und druckte, ging sehr schwach, und er siedelte später nach Missouri über.

Während meines dortigen Aufenthalts hörte ich auch, daß ein deutsches Mädchen in little Germany krank liege, das vom Teufel, vom Gottseibeiuns besessen sei. Ich wollte es nicht glauben, daß in unserem Zeitalter so etwas vorfallen könnte, doch beteuerte mir ein junger Oldenburger, den ich kennen lernte, hoch und heilig, daß alles wahr und daß er selbst dort gewesen sei und die Sache mitangesehen habe. Da ihm alles, was die guten Leute trieben, barer Unsinn geschienen hatte, war er unvorsichtig genug gewesen, dies zu äußern, und das bigotte Volk, deutsche Katholiken aus dem Elsaß, war über ihn hergefallen und hatte ihn mit Schlägen zum Hause hinausgetrieben.

Ein junger Mann, Herr Julius Weyse (der damals in Cincinnati war), und ich beschlossen also den Spektakel einmal mitanzusehen und gingen eines Abends nach dem bezeichneten Hause in »little Germany«. Leicht wurden wir beschieden, wo das kranke Mädchen sich befände, denn jener Teil der Stadt war voll von dem »sonderbaren Vorfall«, wie sie es nannten.

Es war schon dunkel, als wir in das kleine Zimmer eines sogenannten »frame-house«Ganz von Holz erbaute Häuser, von starken Gestellen aufgeführt und mit Brettern benagelt. traten. Über dem Kamin stand eine Lampe, die schon fast verlöscht war, und in dem engen Raume lagen gegen zwanzig bis dreißig Personen in stillem Gebete auf den Knien. Keiner sprach ein Wort. Die Lampe flackerte und verdunkelte sich wieder, leuchtete noch einmal hell auf und erlosch dann ganz. Dichte Finsternis herrschte, und nur das leise Atemholen der Betenden war hörbar; aber ein dumpfes Murmeln und Brausen, wie das Getöse ferner Brandung, schlug an mein Ohr, und ich wußte lange nicht, was dies zu bedeuten habe. Plötzlich wurde eine Tür geöffnet. Helle drang in den kleinen Raum und mit ihr das Murmeln hundertfacher Stimmen. Leute kamen aus der Tür, und die, welche bisher kniend gebetet hatten, standen auf und bewegten sich dem Lichte zu. Wir folgten dem Strome.

Ein sonderbarer Anblick bot sich unseren Augen. Wir traten in einen ziemlich großen Raum, aus dem uns eine fürchterliche Hitze entgegenströmte, und fanden das ganze Zimmer gedrängt voll kniender Menschen, sowohl Männer als Frauen. Auf einem Tische in der Ecke brannten zwei Lichter. Drei Männer mit aufgeschlagenen Büchern saßen daran und sprachen laut das katholische Gebet: »Gebenedeiet seist Du, Maria« usw., das die ganze Versammlung im Chor nachsprach und, sobald es beendigt war, wieder von vorn anfing. Obgleich erst im Mai, war doch die Hitze im Zimmer durch diese große Anzahl von Menschen drückend, und siedendheiß lief's mir über den ganzen Leib. Doch noch wärmer schien es dem armen Wesen zu sein, das hier der Gottheit »Unsinn« geopfert wurde. Auf einem breiten Bette in der dem Tische gegenüberstehenden Ecke lag die Kranke, die, wie mir gesagt wurde, erst siebzehn Jahre alt war, mir aber, wie sie so dalag, siebenunddreißig Jahre alt vorkam. Sie schien sehr schwach und angegriffen zu sein, was auch gar nicht zu verwundern war, denn seit mehreren Tagen und Nächten dauerten die Gebete ununterbrochen fort. Ihre Mutter beugte sich über die Kranke und trocknete ihr mit einem Tuche fortwährend die Stirn, auf der stets neue Schweißtropfen durch die furchtbare drückende Stubenwärme hervorgepreßt wurden.

Es mochte ungefähr sieben Uhr gewesen sein, als wir in diesen Begräbnisplatz der gesunden Vernunft eintraten, und es war zehn Uhr, als wir es erst möglich machen konnten, wieder ins Freie zu gelangen, und während dieser ganzen Zeit wurde nichts getan, als ein und dasselbe Gebet eintönig wiederholt, um, wie mir ein kleiner Elsässer, der neben mir stand, leise zuflüsterte, den Teufel, der in ihr stecke, herauszutreiben, auf daß ihr Körper genese. Es mußte aber auf jeden Fall einer der hartnäckigsten Teufel sein, die je existiert haben; denn wäre ich an seiner Stelle gewesen und hätte sollen tage- und nächtelang ein und dasselbe Gebet mit anhören, ich wäre ausgefahren, und wenn es aus dem Paradiese gewesen wäre.

Mit einer wahren Wollust atmete ich die balsamische Nachtluft ein, als wir aus der Pesthöhle traten. Ich habe nie gehört, was später aus dem armen Mädchen geworden ist.

Ich hatte mich, wie schon früher erwähnt, deshalb in Cincinnati so lange aufgehalten, meine beiden Koffer wie das mir noch zustehende Geld von New-York zu erwarten. Endlich kam der kleinere der beiden Koffer an, und zwar halb gefüllt nur mit einigen alten, noch dazu fremden Schuhen und Stiefeln belastet. Von meinen Sachen lagen noch einige Hemden, einige Paar Socken und ein alter Rock darin. Geld hatte mir mein früherer Kompagnon, der gute Herr Naumann, ebenfalls nicht mitgeschickt, weil er es wahrscheinlich selber brauchte und mich weit genug entfernt glaubte. Daß mich die Bären und Indianer indes nicht umgebracht, war ja doch nicht seine Schuld, weshalb sollte er darunter leiden.

Mir blieb indessen, auch der letzten Hilfsmittel entblößt, nichts anderes übrig, als wieder einmal etwas zu verdienen, und ich ging deshalb, da andere Arbeiter zu schlecht in Cincinnati bezahlt wurden und ich der englischen Sprache noch nicht mächtig genug war, irgendeine Stellung anzunehmen, wieder an Bord desselben Dampfers, mit dem ich von New-Orleans als Passagier heraufgekommen war, als Feuermann.

Meine Erlebnisse darauf will ich hier nicht beschreiben – sie würden allein einen Band füllen. Das rohe Leben aber, und die furchtbar schwere Arbeit, noch dazu im heißen Sommer in dem ungesunden New-Orleans wurden mir doch zuletzt zu arg, und wieder in Cincinnati angekommen, beschloß ich, etwas anderes zu ergreifen.

In damaliger Zeit waren auch wieder mehrere Unglücksfälle mit Dampfbooten vorgekommen. Die Chillicothe sank gleich auf der nächsten Reise, nachdem ich sie verlassen hatte, und die Moselle, ein ungemein schnelles Boot, wurde infolge der Wut des Kapitäns, mit einem andern Boote zu wettfahren, und durch unvorsichtiges Zurückhalten der Dampfkraft nahe bei Cincinnati in die Luft gesprengt, wobei hundertunddreißig Menschen, die in den aufgefundenen Schiffsbüchern notiert waren, ihr Leben verloren, Gott weiß, wie viele arme Zwischendecks-Passagiere, die gar nicht eingeschrieben waren, noch außerdem. Dreißig Wagen brachten die zerstückten Körper zu ihrer letzten Ruhestätte, und noch wochenlang wurden unterhalb Cincinnati Leichname ans Ufer geschwemmt. Die Gewalt des Dampfes war so groß, daß sie einen Mann an das gegenüberliegende Ufer von Kentucky schleuderte und einen andern gerade in die Höhe warf, der, in der Luft einen Bogen beschreibend, im Herunterstürzen mit dem Kopfe durch ein Schindeldach fuhr und dort, natürlich als Leiche, stecken blieb.

Ich suchte lieber in Cincinnati selbst Arbeit und fand sie bei einem Silberschmied. Obgleich ich von seinem Geschäft nichts verstand, so arbeitete ich mich doch schnell hinein und war bald bei den Leuten, gar freundlichen Engländern, wie ein Kind vom Hause.

Hier verlebte ich einen der ruhigsten Zeitabschnitte meines Lebens, arbeitete hart und hielt mich mäßig. Doch wollte mir das Philisterleben nicht sehr behagen; es trieb mich wieder hinaus in die liebe, freie Gottesnatur, und nur der Wunsch, mir etwas Ordentliches zu verdienen und dann vielleicht ein Stück Land zu kaufen und selber ansässig zu werden, nebst anderen lange gehegten und liebgewonnenen Plänen hielt mich zurück. Aber es waren auch nur Pläne gewesen, und schon im Mai 1839 warf ich das mir selbst aufgelegte Joch wieder ab. Ich hatte meine Schrotflinte gegen eine Doppelflinte eingetauscht, richtete mir alle meine Jagdgeräte wieder her, packte eine Zither, die ich in Cincinnati spielen gelernt und gekauft hatte, dazu, schüttelte allen mir lieb gewordenen Freunden die Hand und ging, jetzt etwas Reisegeld in der Tasche, mit einem jungen Deutschen namens Uhl auf das Dampfboot Commerce, um neuen Abenteuern und Gefahren entgegen zu ziehen.



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