Friedrich Gerstäcker
Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten Nordamerikas
Friedrich Gerstäcker

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4.
Streifzug westlich vom Mississippi.

In St.-Louis hatte ich Briefe und Geld von New-York erwartet, da mir mein Kompagnon fest versprochen hatte, es dorthin zu senden. Zu meiner nicht geringen Bestürzung fand ich aber auch nicht das Geringste vor. Der gute Mann dort in New-York dachte wahrscheinlich, er sei mich jetzt los, und hoffte vielleicht gar, was ich auch später bestätigt hörte, daß ich auf meinem wilden, abenteuerlichen Zug irgendwo die Wölfe oder Fische füttern solle.

Mein Wunsch war gewesen, Texas zu besuchen. Wie sollte ich das aber, jetzt ganz ohne Mittel, möglich machen? Da brachten mich die vielen, nach New-Orleans bestimmten Dampfboote auf eine andere Idee. Wenn ich einen Platz als Arbeiter auf irgend einem dieser Boote bekommen konnte, war mir geholfen, und ich hatte dann nicht allein freie Passage, sondern verdiente auch noch etwas unterwegs. Die Boote selber machten mir da einen Strich durch die Rechnung, denn es war Winter, wo überhaupt viele Leute stromab nach New-Orleans ziehen, und jede Stelle an Bord war besetzt.

Was nun tun? St.-Louis wollte ich doch auch nicht augenblicklich wieder verlassen, ohne es wenigstens etwas gesehen zu haben. Ich bedurfte auch wirklich einer kurzen Ruhe nach der Anstrengung, des letzten Marsches. Außerdem hatte ich immer noch die stille Hoffnung, daß doch noch am Ende ein Brief von New-York während meiner Anwesenheit eintreffen könne.

Glücklicherweise traf ich hier ein paar Schiffskameraden von der Konstitution, die sich in ziemlich guten Umständen befanden. Diese merkten bald, woran es mir fehlte, und boten mir freundlich ein Darlehn an. Ich mochte aber keine großen Schulden machen, da ich ja gar nicht wußte, wann ich sie wieder bezahlen konnte; nur einige Dollars nahm ich an, der augenblicklichen Verlegenheit wenigstens enthoben zu sein, und mit drei anderen Dollars, die ich für einiges Wild erhalten, hoffte ich schon wieder ein Stück westlich zu kommen. War dann mein Geld ausgegangen, so wollte ich arbeiten, und einer der Farmer im Walde würde schon irgend eine Hilfe brauchen.

In St.-Louis mietete ich mich unterdessen für eine Woche im »Grünen Baum«, einem der besseren amerikanischen Boarding-Häuser, ein und durchstreifte die Stadt nach allen Richtungen.

Das Boarding-Haus selber war mir im Anfang aber das Interessanteste, denn ich lernte hier zum erstenmal wirklich amerikanisches Leben, und zwar der besseren Stände, kennen. Ich müßte aber lügen, wenn ich sagen wollte, daß ich davon sehr erbaut war.

Zuerst setzte mich die Art ihres Essens – ich möchte beinahe sagen Fressens – in Erstaunen. Zu jeder Mahlzeit wurde zweimal geklingelt, einmal die Gäste zu sammeln und das zweite Mal als Zeichen, daß man sich zu Tische setze. Die Gäste drängten sich schon bei der ersten Klingel in dichten Scharen an die Tür, da sie nach festem Übereinkommen den Speisesaal vorher nicht betreten durften. Kaum ertönte aber die zweite Klingel, so flog alles wie wild und toll, und als ob sie sämtlich halb verhungert wären, zum ersten und besten Stuhl, den sie erwischen konnten, und rafften nun ohne Rücksicht auf jede Sitte, auf jeden Anstand – die Nachbarn gar nicht gerechnet – von den Schüsseln zusammen, was ihnen gerade zusagte. Daß sie oft ganze Kompottnäpfchen auf ihren Tellern leerten, geschah sehr häufig.

Auffallend wenig essen dagegen die Damen, denen besondere Sitze reserviert werden, an öffentlicher Tafel. Sie nippen und kosten eben nur von den Speisen, weil es nicht für ladylike gehalten wird, viel zu essen. Oben im Zimmer sollen sie es aber dann nachholen.

St.-Louis hat nicht allein einen sehr bedeutenden Handel mit dem Norden, Osten und Süden, sondern auch mit dem Westen – und ich fand selbst hier, daß ich noch sehr weit zur westlichen Grenze hätte – da von hier aus der hauptsächlichste Binnen- und Pelzhandel nicht allein mit den amerikanischen Pelz- oder Rockymountain-Kompanien, sondern auch mit den Indianern selber getrieben wird.

Von diesen sah ich denn auch einige prachtvolle Exemplare in St.-Louis, die, teils mit ihren buntesten Farben bemalt, teils die nackten Oberkörper nur mit einem Büffelfell umhüllt, fast immer aber ihre Kriegskeulen in der Hand, langsam und majestätisch durch die Stadt schritten und die Wunder der »weißen Wigwams« fast immer mit sehr gleichgültigem, aber nichtsdestoweniger aufmerksamem Auge betrachteten.

Die Indianer sind schon oft beschrieben, und ich will den überdies beschränkten Raum nicht mit Wiederholungen füllen, einer aber ist mir noch zu frisch im Gedächtnis und machte einen zu komischen Eindruck auf mich, ihm nicht wenigstens ein paar Worte zu gönnen. Er war ein hübscher, schlanker dunkelbrauner Bursch, das Haar, die Skalplocke ausgenommen, kurz geschnitten und mit roter Farbe bemalt, wie auch rote und blaue Querstreifen durch sein Gesicht liefen. An den Beinen trug er lederne Leggins, an den Füßen perlgestickte Mokassins und im Arme die unvermeidliche Kriegskeule, beiläufig gesagt, eine höchst fatale Waffe aus einem krummgeschnittenen, mit Messingnägeln wie ein Sofa beschlagenen Stück Holz und mit einer eingepaßten, wohl vier Zoll langen und zwei Zoll breiten Stahlspitze. Mit dem Oberkörper ging er nackt bis auf den Hals, um den er – es war zum Totschießen – eine schwarze abgenutzte Krawatte mit seidener Schleife trug und nicht wenig stolz darauf zu sein schien.

Als ich meine Rechnung im Wirtshaus bezahlt hatte, was mir an Kapitalien nur noch einen sehr kleinen Rest ließ, schulterte ich wieder meine Flinte, warf die Jagdtasche über den Rücken und wanderte getrosten Mutes zur Stadt hinaus gen Süden. – Wohin? Man hatte mir gesagt, daß Arkansas das Paradies der Jäger sei, und mein Ziel lag der Hunderte von Meilen entfernten Hauptstadt Little Rock zu.

Als es dunkelte, zündete ich mir ein Feuer an und warf mich unter einen Baum; ich fühlte mich nicht in der Stimmung, Menschen aufzusuchen, und die Einsamkeit tat mir wohl.

Es war Silvester-Abend und Mitternacht lange vorüber, ehe ich einzuschlafen vermochte. Keine freudigen Gefühle konnten es freilich sein, mit denen ich in das neue Jahr hineinschlummerte; aber die neue Morgensonne brachte auch neuen Mut und neues Vertrauen.

Von St.-Louis aus südlich marschierend, hat der Wanderer keine geringere Aufgabe, sich durch alle die Kreuz- und Querwege, die den Wald nach jeder Richtung durchschneiden, hindurchzufinden, und ich lief denn auch, trotz Kompaß und Sonne, durch die vermaledeiten Wege irre gemacht, so viel fehl, daß ich zu 50 Meilen Entfernung fünf Tage brauchte, ohne jedoch nötig zu haben, noch eine andere Nacht im Walde zu bleiben. Ich fand jeden Abend eine kleine Hütte, deren Bewohner mich freundlich aufnahmen.

Sehr viele Deutsche wohnen in diesem Teile des Landes, besonders viele Schwaben, welche sich vom Ackerbau ernähren und, wenn sie nahe genug der Stadt wohnen, auch Holz dahin zum Verkauf führen. Dicht um St.-Louis herum steht sehr wenig Holz; nichts als kleine Krüppeleichen.

Meine Barschaft, da ich bis jetzt gar nichts zum Schuß bekommen und an der begangenen Straße keine Gastfreundschaft erwarten durfte, war jetzt auf einen nordamerikanischen Silberdollar zusammengeschmolzen, dessen Inschrift »E pluribus unum« eine gar bittere Satire auf meine eigenen traurigen Verhältnisse schien.

Der fünfte Tag, den ich in Missouri herumstreifte, brach trübe und naß über die mit dünnem Nebel bedeckte Erde herein. Es fing an zu regnen, und die Wege wurden schlüpfrig. Gegen Mittag stand ich wieder an einem Kreuzwege und überlegte noch, welchen Pfad ich einschlagen sollte, als ich, nicht gar weit entfernt, das Krähen eines Haushahnes hörte, das mir in diesem Augenblick wie Musik klang. Ich schlug sogleich den dahin führenden Pfad ein, und bald sah ich die Fenz eines kleinen Kornfeldes; auf ihr aber saß eine wunderbare Gestalt, die sich schwankend hin und her bewegte.

Neugierig trat ich näher und erkannte die Gestalt eines jungen Mannes, der, den Rücken gegen mich gekehrt, nur in einen blauleinenen, fast bis an die Knöchel reichenden Kittel gekleidet, in bloßen Füßen mit hellbraunen, herabhängenden und infolge des Regens an seinen Schläfen klebenden Haaren und unbedecktem Kopf auf der Fenz saß und in leisen Tönen ein mir fremdes Lied mit keineswegs unmelodischer Stimme sang; dazu schlug er mit den nackten Füßen den Takt auf dem rauhen, nassen Holze.

Als er meine Schritte hörte, sprang er, sich herumdrehend, in einem Satze von der Fenz, stellte sich vor mich hin und sah mich mit seinen großen, glanzlosen Augen starr an. Der Wahnsinn war in diesen matten Augen, in dieser ängstlich vorgebeugten, lauschenden Gestalt nicht zu verkennen, und kalt überlief's mich, denn ein Wahnsinniger hat für mich etwas unbeschreiblich Fürchterliches.

Einen Augenblick stand der junge bleiche Mann in dieser Stellung, dann richtete er sich bewußtlos lächelnd empor und reichte mir die rechte Hand zum gastlichen Willkommen, indem er sich mit der linken die herunterhängenden Haare aus dem Gesicht strich. Er faßte meine dargereichte Hand fest in die seinige und zog mich sanft der Wohnung zu. An der Tür verschwand er, und ich habe ihn nicht wieder gesehen.

Der Vater des Unglücklichen, ein alter Farmer, benachrichtigte mich, daß ich bald eine deutsche Ansiedelung finden würde, die ungefähr 8–9 Meilen von ihm entfernt lag. Obgleich der Regen jetzt ziemlich stark vom Himmel goß, entschloß ich mich dennoch, diesen Abend meine Landsleute aufzusuchen, und erreichte auch vor Dunkelwerden die Blockhäuser derselben.

Das Wetter war schlecht, Geld hatte ich nur noch sehr wenig, also beschloß ich einmal zu arbeiten, im Fall ich Arbeit bekommen könnte. Drei Brüder, die diesen Platz bewohnten und mir ordentliche Leute schienen, waren bereit, mir Arbeit zu geben, über den Lohn wollten wir uns nach Ablauf der ersten Woche vereinigen. Der nächste Tag sah mich daher am frühen Morgen, mit einer schweren Hacke bewaffnet, hinausziehen, um Büsche auszuroden, und sehr sonderbar kam mir die ungewohnte Arbeit vor. Die Sehnen der Arme und Hände schwollen an, und schmerzten mich ungemein, die Hände füllten sich mit Blasen, und sehr gelegen kam es mir, daß auf den folgenden Tag das Fest der heiligen drei Könige fiel, an welchem die ehrlichen katholischen Deutschen nicht arbeiteten. Ich war zum erstenmal den heiligen drei Königen für ihr Erscheinen sehr verbunden.

Obgleich nun die Leute nicht für sich selber arbeiteten, gingen wir doch zu einem dort erst kürzlich angesiedelten Nachbar hinüber und halfen ihm ein Haus aufrichten, zu welchem die Blöcke schon gehauen waren. Der amerikanische Landmann hat nämlich die Gewohnheit, sobald er das Holz zu seinem Hause hergerichtet hat, die Nachbarn zusammen zu rufen, die ihm gern das Ganze vollenden helfen.

Ohne besondere Vorfälle verlief jetzt eine sehr schwere Arbeitswoche. Noch nie nämlich an so dauernde und anstrengende Arbeit gewöhnt, glaubte ich im Anfang wirklich, daß mir die Sehnen bersten müßten, und die Blasen an den Händen schmerzten mich ebenfalls entsetzlich. Dabei glaubten die Deutschen, die sich sonst jedoch auf das freundlichste gegen mich benahmen, mir nicht mehr als acht Dollars den Monat zahlen zu können.

Für meine Arbeit damals war es auch vielleicht genug gewesen, mit meinen Ansichten über amerikanische Preise stimmte es aber nicht überein, und ich beschloß, meine Arbeitskräfte lieber in Little Rock, der Hauptstadt von Arkansas, zu verwerten, wo ich sie jedenfalls besser bezahlt bekommen würde.

Ich nahm also die zwei sauer genug verdienten Dollars, sagte allen ein herzliches Lebewohl und wanderte mit dem frischen Reisegeld voll neuer Hoffnung weiter in die Welt – oder vielmehr in den Wald.

Den ersten Morgen schon erreichte ich eine der bedeutendsten Bleiminen Missouris diesseits Farmington, eines kleinen, freundlichen Städtchens. Das Bleierz war in großen Haufen an der Seite des Weges aufgeschichtet und machte, da es dem Silber sehr ähnlich sieht, auf jeden mit ein wenig Einbildungskraft ausgestatteten einen sehr bestechenden Eindruck. Da meine Kugeln gerade auf die Neige gingen, nahm ich mir von dem Haufen ein paar Stücke Blei mit, um im nächsten Hause neue Kugeln zu gießen.

Alle diese Minen sind Privateigentum, und die Arbeiter, die Lust haben, nach Blei zu graben, fangen an, wo es ihnen gerade beliebt, und wo sie glauben, Erz zu finden. Sie bekommen ihre Arbeit nach der Menge bezahlt, die sie zu Tage fördern; finden sie nichts, so verdienen sie auch nichts, so daß schon mancher arme Teufel dort wochenlang umsonst gearbeitet hat. Der Bergbau wird übrigens auf die einfachste Art betrieben. Gewöhnlich graben die Arbeiter, von denen sich zwei oder mehrere zusammentun, einen 10–12 Fuß im Durchmesser haltenden Schacht, bis sie auf Erz kommen.

Stollen haben sie gar nicht, und zeigt sich ihre Grube unergiebig, so fangen sie eben eine andere an. Die ganze Gegend ist von solchen Schachten durchlöchert, und ich halte es nicht für gefahrlos, dort in der Nacht umherzulaufen.

Der Eigentümer der Gruben richtet dicht bei denselben seine Schmelzöfen ein, gießt da das Blei in Formen und schafft es an den Mississippi.

Am nächsten Abend übernachtete ich bei einer amerikanischen Familie, die einen prächtigen Viehstand und darunter herrliche Pferde hatte. Noch nicht lange saß ich am warmen Kaminfeuer, als ich den kurzen Galopp eines Pferdes hörte; es hielt vor dem Hause, die Tür ging auf, und ein allerliebstes Mädchen, die zarten Wangen vom scharfen Ritt gerötet, die kleine Reitgerte in der Hand, trat herein und wurde mit allgemeiner Freude empfangen. Sie schien die Braut des einen der jungen Leute zu sein, denn sie setzte sich zu ihm und koste und scherzte mit ihm – und ich durfte zusehen.

Durch Frederickstown gehend, erreichte ich den 22. Januar die Grenze von Missouri, den Current river, einen kleinen Fluß, dessen Wasser so klar ist, daß ich, obgleich er an meinem Übergangspunkte, ungefähr 15 Fuß tief sein mochte, auch die kleinsten Gegenstände auf dem Boden erkennen konnte.

Ich war jetzt in Arkansas, dem mir von allen gepriesenen Paradies der Jäger, und der Anfang schien, was die Jagd betraf, auch nicht so übel. Einem neu durch den Wald gehauenen Weg, der sogenannten Countystraße, folgend, an deren Rand eine Masse hinausgehauener Kiefern lagen, fand ich, daß sich das Wild zu den Wipfeln derselben zog und oft in Rudeln von 8–10 Stück an der Straße stand. Auch wilde Truthühner sah ich häufig. Mit der Jagd aber noch wenig vertraut, mußte ich oft Lehrgeld zahlen, schoß aber doch einige und verkaufte das Wildbret für Nachtherberge und Mahlzeit.

Am 23. Januar kam ich an den Spring river oder, wie er auch heißt, Quellenfluß, wahrscheinlich von der kristallenen Klarheit des Wassers so genannt. Ich wollte am andern Morgen wieder aufbrechen, als mir meine geschwätzige Wirtin unter anderm auch von ihrem Mann erzählte, der ein alter Pennsylvanier sei, Deutsch spreche und viele Geschichten von indianischen Begräbnisplätzen zu erzählen wisse. Das war ein starker Magnet für meine Begierde, etwas über die Eingeborenen dieses Landes zu erfahren, und ich beschloß daher, die Ankunft des Alten abzuwarten. Da ich aber meine geringe Barschaft nicht unnützerweise vergeuden wollte, so half ich den Leuten den Tag über Welschkorn hereinschaffen, um wenigstens mein Essen zu verdienen. Denselben Abend kam auch der Mann vom Lande herein, und ich hatte also nicht vergeblich gewartet.

Er erzählte mir von einer Unmasse von Grabhügeln, die an den Ufern des Spring river oder wenigstens doch in dessen Nähe wären, von ungeheuren Knochen und Skeletten, die man gefunden hätte usw.

Schon in Illinois hatte ich von solchen Überbleibseln eines riesigen Menschengeschlechts gehört, unter anderm von einem menschlichen Unterkiefer, dessen Besitzer wenigstens neun Fuß hoch gewesen sein müsse.

Er berichtete mir ferner, daß er alte Urnen und Waffen in den Grabmälern gefunden habe, konnte mir aber nichts mehr davon vorzeigen, da die Leute auch nicht den mindesten Sinn für etwas haben, was ihnen nicht unmittelbar Aussicht auf Gewinn bietet.

An den Ufern eines benachbarten Flusses (White river) hat man, einige Fuß unter der Erde, mehrere Lagen gebrannter Steine gefunden, ganz in der Art unserer Backsteine, und zwar Strecken lang durch den Urwald, an manchen Orten sogar straßenförmig ausgelegt. Der Alte sowohl als viele andere, die ich deswegen fragte, behaupteten, daß dort auf jeden Fall eine Stadt gestanden haben müsse.

Es unterliegt gewiß keinem Zweifel mehr, daß vor den jetzigen Eingeborenen Amerikas, und zwar vor der Zeit, wohin zurück ihre ältesten Übertragungen reichen, ein anderes, weit mehr kultiviertes Volk jene Länder bewohnt hat. Welcher Art das aber gewesen sei, ist bis jetzt noch nicht erforscht worden, und da die wilden Stämme selber nicht das mindeste darüber auszusagen wissen, bleibt die Entdeckung dieses jedenfalls höchst interessanten Geschlechts vielleicht späteren Ausgrabungen vorbehalten. Hätte der Alte Zeit gehabt, mir die Plätze genau zu zeigen, so würde ich mit Vergnügen ein paar Tage daran gewandt haben, sie zu untersuchen; er mußte aber schon den andern Morgen eine Reise unternehmen, und so lange wollte ich mich auch nicht aufhalten. Vielleicht hält ein anderer es der Mühe wert, dort nachzugraben.

Den andern Morgen setzte ich meinen Marsch fort und kletterte, ein wenig vom Wege ab, eine kleine felsige Anhöhe hinan, als gerade vor mir ein Adler in die Luft stieg. Augenblicklich hatte ich die Flinte an der Backe und gab Feuer. Einen Augenblick schwebte der Adler unbeweglich in der Luft, fing dann an, mit den Flügeln zu schlagen, und stieg höher und höher, gerade empor, so daß ich ihn kaum noch erkennen konnte. Schon glaubte ich, ihn gefehlt zu haben, und setzte unmutig die Flinte nieder, um sie neu zu laden, als er sich plötzlich in der Luft wandte und tot herunterstürzte. Es war ein starker Vogel und maß 7 Fuß von einer Flügelspitze bis zur andern. Mein Glück freute mich ungemein, da es der erste Adler war, den ich geschossen hatte. Seine Farbe war braunschwarz, Kopf und Schwanz waren weiß gezeichnet. Den Indianern nachahmend, ließ ich sogar eine seiner Federn als Schmuck an meiner Mütze prangen.

Den 27. Januar abends war ich gerade beschäftigt, einen Hirsch aufzubrechen, den ich erlegt hatte, als ein junger Bursche von etwa dreizehn Jahren, mit einer Schrotflinte auf der Schulter, zu mir kam und mir in meiner Arbeit half, bei der er eine keineswegs ungeübte Hand zeigte. Wir packten die Keulen und den Rücken des Tieres in das abgezogene Fell und trugen es gemeinschaftlich der nur wenige Meilen entfernten Wohnung des jungen Mannes zu, wo ich zu übernachten beschloß. Ich habe zwar in allen Teilen Amerikas sehr liebenswürdige Leute, wie auch recht schlechte Gesellschaft angetroffen, wie das wohl in einem so bunt bevölkerten Lande gar nicht anders sein kann, hier aber, in dieser wilden Einsamkeit, fand ich eine so liebe, gemütliche, amerikanische Familie, wie ich je eine in den Wäldern angetroffen habe. Ein ganz alter Mann mit zitternden Händen saß am Kamin, aber obgleich mancher Winter seine Locken gebleicht hatte, schien er dennoch rüstig und gesund, wie die roten Backen dies bewiesen. Den andern Stuhl am Kamin hatte die Gattin des Alten, eine Matrone im wahren, ehrwürdigsten Sinne des Wortes, eingenommen. Sie war augenscheinlich bedeutend jünger als er, aber dennoch auch schon hoch in den Jahren. Neben ihr saß ein junges hübsches Weibchen aus der Nachbarschaft, deren Mann auf einer Geschäftsreise nach dem Norden begriffen war. Noch gehörten zur Familie drei kräftige, blühende Knaben, die, einer nach dem andern, von der Jagd zurückkehrten und vier Truthühner mitbrachten.

Ich war in der Kenntnis der englischen Sprache jetzt schon weit genug vorgerückt, mich notdürftig mit ihnen unterhalten zu können; der gebildete Amerikaner ist mit dem Fremdling sehr nachsichtig in dieser Hinsicht. So plauderten wir den ganzen Abend, fast bis zehn Uhr. Die kleine junge Frau hatte kürzlich einen Brief von ihrem Manne erhalten und las ihn wohl zehnmal durch. Sie war in Arkansas schon sehr unglücklich gewesen. Die Doktoren hatten ihr drei Kinder getötet, und sie litt, durch die Schuld derselben, an entzündeten Augen; denn diese Herren – jeder Quacksalber nennt sich dort Doktor – kurieren in diesen, von keiner Aufsicht der Behörden vor ihrem Treiben geschützten Staaten fast jede Krankheit mit Kalomel und Quecksilber, und hohle Zähne, entzündete Augen, böses Zahnfleisch und mürbe Knochen, wie ein siecher Körper, sind fast jedesmal die Folgen ihrer Kuren.

Die nächste Nacht schlief ich bei einem Kentuckier, der sich hier angesiedelt hatte. Mehr als zwölf Hunde liefen um sein Haus herum, und gern trat er mir einen von ihnen ab, der nach seiner Aussage, vorzüglich geschickt war, Truthühner zum leichten Schuß auf Bäume zu jagen. – Ich glaube, er wollte ihn los sein.

Die Straße hinschlendernd sah ich, noch ein gutes Stück vor mir, einen ruhig äsenden Hirsch dicht am Wege stehen. Da ich der Dressur meines Hundes nicht recht traute, so band ich ihm mein weißleinenes Schnupftuch um den Hals, knüpfte die Pulverhornschnur hinein und befestigte diese an eine junge Eiche.

Jetzt näherte ich mich dem Hirsche bis auf 85 Schritt, der, nichts Böses ahnend, ruhig fortäste. Ich hatte jedoch den Wind im Rücken, der Hirsch witterte meine Annäherung und setzte im Nu über einen vorliegenden Baumstamm, das Dickicht zu erreichen. Meine Rehposten sausten ihm zwar nach, doch mochte ich wohl in der Hitze etwas zu kurz geschossen haben, denn etwa 150 Schritte von mir knickte er nur in die Hinterläufe. Jetzt hielt es aber auch mein Hund nicht länger für nötig, den bloßen Zuschauer abzugeben; er hatte die Schnur durchbissen und setzte, mit meinem Schnupftuch um den Hals, an dem noch ein Stückchen der Schnur hing, dem sich wieder aufraffenden Wilde nach.

»Und Roß und Reiter sah ich niemals wieder.«

Weder Hund, nach Schnupftuch, noch Hirsch sind mir je wieder zu Gesicht gekommen.

Mit Sonnenuntergang erreichte ich ein Haus, in dem ich zu übernachten gedachte. Schon hatte ich die Hand auf den Zaun gelegt, um hinüberzuspringen, als ich die Frau des Hauses vor der Tür sitzen und die niedere Jagd auf den Häuptern ihrer Kinder anstellen sah. Mir verging die Lust bei ihr einzusprechen, und ich wandte mich, rasch entschlossen eher die Nacht im Walde als bei dieser Familie zuzubringen.

Das hatte ich übrigens nicht nötig, denn ich erreichte vor Dunkelwerden die kleine Wohnung eines Mannes, der noch den Revolutionskrieg mitgemacht hatte. Er war natürlich schon hoch in den Jahren, lief aber noch rüstig im Hause herum. Nur noch wenige sind von diesen Revolutionshelden übrig geblieben, die unter dem herrlichen Washington gefochten haben; die meisten ruhen unter dem grünen Rasen ihres Vaterlandes, dessen Freiheit sie erkämpfen halfen.

Am nächsten Abend kam ich zu dem »little Red river« (kleinen roten Flusse). Es fing schon an zu dunkeln, doch arbeitete noch ein Mann an der andern Seite des Flusses, und ihn fragte ich auf Englisch nach einem Punkte, wo ich überfahren könne. Er antwortete: »You see that house there?« An der Aussprache erkannte ich sofort den Landsmann und fragte ihn wieder auf gut Deutsch: »Was für ein Haus denn?« – »Dort das Haus, diesseit des Flusses, o – if you please.« – »God damn!« unterbrach er sich wieder, ärgerlich darüber, daß er seine eigene Muttersprache nicht mehr unvermischt reden könne, – »o, seien Sie doch so gut und gehen Sie den Fluß ein wenig hinunter, Sie finden ein Kanoe.« – Den Mann hatte ich lieb gewonnen, trotzdem daß uns der Fluß noch schied. Ich fand das Kanoe, ruderte mich über den Fluß und ging auf das nächste Haus zu, vor welchem mehrere Leute standen, unter ihnen ein Herr v. G., der Besitzer dieser Farm. Früher Offizier, war er jetzt ein fleißiger Ackersmann und tüchtiger Jäger geworden, hielt zwei Sklaven und befand sich seiner Aussage nach recht wohl in seinem neuen Berufe. Gastfreundlich lud er mich ein, die Nacht bei ihm zu bleiben. Am Abend kam auch noch der Deutsche herein, dessen Bekanntschaft ich schon am Flusse gemacht hatte, und ich fand in ihm einen ganz liebenswürdigen, originellen Mann. Auch ich mußte ihm wohl gefallen haben, denn er erklärte mir, daß ich nicht so schnell wieder fort dürfe, sondern wenigstens einen oder mehrere Tage bei ihm bleiben müßte, das Land zu besehen.

Ich hatte nichts zu versäumen und sagte es ihm daher gern zu. Am andern Morgen suchte ich ihn in seiner Wohnung auf und war dort bald wie zu Hause. Er war verheiratet, hatte eine recht nette junge Frau und fünf gesunde, starke Kinder.

Nachmittags fing es an zu regnen, und jetzt durfte ich ans Fortgehen gar nicht mehr denken; hätte ich auch gewollt, sie hätten mich nicht fortgelassen. Wir schwatzten und erzählten bis tief in die Nacht hinein, und gar wohl war es mir, in meiner Muttersprache wieder einmal so recht nach Herzenslust plaudern zu können. Mein Wirt war ein Maurer aus Rheinbayern und hieß Hilger.

Am nächsten Morgen kam einer der Nachbarn meines Gastfreundes zu ihm. Es war ein Mann von fünfunddreißig Jahren, der einen kurzen grünen Rock trug und eine deutsche Büchsflinte führte. Seine Aussprache verriet den Nichtdeutschen. Hilger begrüßte ihn mit dem Namen Turoski. Es war ein polnischer Offizier, der in den Wäldern des freien Amerika Schutz gegen die politischen Verfolgungen, die er in Europa erdulden mußte, gesucht und gefunden hatte. Er lebte unverheiratet, und die zehnjährige Tochter Hilgers führte seine Wirtschaft. Dieses kleine Mädchen, fast noch ein Kind, blieb oft ganze Tage und Nächte lang allein in dem kleinen Blockhause Turoskis, meilenweit von jeder andern menschlichen Wohnung entfernt, und es kümmerte sie wenig, ob der Sturm oder die Wölfe die einsame Wohnung umheulten.

Nach kurzer Unterhaltung machte mir auch Turoski den Vorschlag, einige Zeit bei ihm zu bleiben, und ich verlebte mit diesen wackeren Männern, bald bei dem einen, bald bei dem andern wohnend, recht vergnügte Tage. Um aber einen Begriff von dem Junggesellenleben eines amerikanischen Landmannes zu geben, will ich hier eine der bei einem solchen verlebten Nächte beschreiben. Hilgers Tochter war nach Hause gegangen, um ihre Eltern zu besuchen, die drei Meilen von T.s Hause wohnten, und hatte es uns überlassen, für uns selber zu sorgen.

Das Haus des Polen war nichts als eine einfache, rohe Blockhütte ohne Fenster, an der er alle Spalten zwischen den aufeinander gelegten Stämmen, wahrscheinlich um der frischen Luft Zugang zu verschaffen, offen gelassen. Zwei Betten, ein Tisch, ein Stuhl und ein Sessel, nebst ein paar eisernen Töpfen, drei Tellern, zwei Blechbechern, einer Untertasse, mehreren Messern und einer Kaffeemühle bildeten seinen ganzen Hausrat wie sein sämtliches Kochgeschirr. Ein kleines Haus neben dem Wohngebäude war dazu bestimmt, den Fleischvorrat für den Winter aufzubewahren. Ein Feld von 4 bis 5 Acker lag dicht am Hause, ein anderes, ungefähr ¼ englische Meile davon, dicht am Flusse. Nebenbei hatte er hübsche Pferde, viele Schweine, eine Masse Federvieh und mehrere Milchkühe.

Am Kamin im traulichen Gespräch sitzend, dachten wir nicht an Zubereitung unseres Abendessens, und erst als die Kälte sich zu sehr fühlbar machte, suchten wir unsere Lagerstätte.

Es mochte halb eins sein, als mich T. weckte und bei allen Heiligen schwor, er könne es vor grimmigem Hunger nicht länger im Bette aushalten und müsse essen, sollte es auch nur ein Stück rohes Fleisch zu verzehren geben. Ich lachte und gab ihm den Rat, seinen Hungerriemen enger zu schnallen; er sprang aber auf und ließ mir keine Ruhe mehr. Wir bliesen das Feuer, das fast ganz niedergebrannt war, wieder ein wenig an und überlegten nun, was eigentlich gekocht werden sollte. Geschossen hatten wir nichts, Brot war nicht vorhanden und das letzte Stück Schweinefleisch am Mittag verzehrt worden. – Woher etwas nehmen? T. wußte Rat. Das letztgeerntete Korn (Welschkorn) lag in einem kleinen Verschlage im Felde, nahe am Flusse; von dort sollte ich einen Arm voll Mais holen, er selbst wollte unter der Zeit etwas Essen herrichten. Die Nacht war stockfinster, und ich mußte oft wie ein Blinder den schmalen Fußpfad mit den Füßen suchen, um mich nicht im Walde zu verlieren. Als ich nach ungefähr einer halben Stunde mit dem Verlangten zum Hause zurückkehrte, hatte T. ein Huhn von einem der kleinen Bäume, auf denen die Tiere schliefen, heruntergeschlagen und bereits in heißem Wasser abgebrüht. Während er es reinigte, röstete ich das Korn in einer Pfanne, in der er, sobald ich damit fertig war, das Huhn mit etwas vorgefundenem Fette briet. Während der Zeit mahlte ich den gerösteten Mais in der Kaffeemühle, wodurch er aber noch keineswegs zu Mehl wurde, feuchtete die bröckelige Masse mit etwas Wasser an, tat Salz hinzu, schlug sie dann auf einen der eisernen Topfdeckel ungefähr ¾ Zoll dick und stellte sie gegen die Glut. So weit war alles gut gegangen, jetzt vermißte aber T. noch ein paar Eier zu unserem Gebäck. Er hatte an seinem Hause eine Art von Schuppen, worin er das sogenannte »fodder« (die grün abgerissenen und getrockneten Blätter des Maises) aufbewahrte, und in welches die Hühner gern ihre Eier legten. Dahinein kroch er, entdeckte auch, herumfühlend, ein Nest mit fünf Eiern, brachte aber nur zwei davon glücklich zurück, die übrigen hatte er in der Eile zerdrückt. Etwas Kaffee war schnell gekocht, und wir hielten ein, wenngleich nicht sehr feines, doch schmackhaftes Abendessen oder vielmehr Frühstück, denn bis dahin war es fast zwei Uhr geworden. Unsere Nachtruhe sollte aber noch nicht gesichert sein. Der ungeheure Hickoryklotz, den wir ins Feuer gewälzt hatten, flackerte nämlich zu hoch auf und entzündete, als wir eben einschlafen wollten, den Kamin. Eine solche Feuersbrunst hat indessen, wenn nur zeitig genug entdeckt, wenig zu sagen. T. stieg aufs Haus, goß ein paar Eimer Wasser, die ich ihm reichte, in die Flamme und löschte sie glücklich. Endlich zur Ruhe gekommen, schliefen wir, bis die Sonne hoch am Himmel stand.

Mich trieb es aber bald weiter, und am 7. Februar morgens machte ich mich wieder auf die Wanderung, nahm herzlichen Abschied von den lieben Leuten und ging in der Richtung nach Südwest in den Wald hinein, in der Hoffnung, bald die fahrbare Straße zu erreichen. Die Sonne verschwand zwar hinter dunkel heraufziehenden Wolken, doch glaubte ich meine Richtung beibehalten zu können und schritt unverdrossen vorwärts. Keineswegs angenehm überrascht war ich freilich, als ich nach ungefähr zweistündigem Marsche plötzlich wieder vor demselben Hause stand, von dem ich ausgegangen war. Das war höchst ärgerlich, doch schlich ich mich, ohne mich weiter bemerkbar zu machen, wieder in den Wald, nahm den Kompaß zur Hand und verfolgte nun eine gerade Richtung. Den 9. Februar endlich, lange nach Sonnenuntergang, erreichte ich das Ufer des Arkansas. Von der andern Seite schimmerten die Lichter von Little Rock herüber, mir aber zeigte sich diesseit des Flusses, als ich aus dem dichten Walde trat, ein fremdartig phantastisches Gemälde, auf das ich mit verwundertem Auge hinstarrte.

Ein indianischer Stamm hatte nämlich sein Lager dicht am Ufer des Arkansas aufgeschlagen. Über großen, prasselnden Feuern, die an dort wild umhergestreuten riesigen Bäumen angezündet waren, hingen Kessel und steckten große Stücke von Hirsch- und Bärenfleisch, Eichhörnchen, Waschbären, Opossums, wilden Katzen und was sonst noch das Jagdglück dem Stamme beschert hatte. Hier waren junge Leute beschäftigt, die Pferde sicher an die umherstehenden Bäume zu befestigen und zu füttern, dort lagen andere, augenscheinlich von dem zu reichlichen Genusse des Feuerwassers betäubt, und sangen mit schwerer Zunge ihre eintönigen und wilden Nationallieder. Ich lehnte mich auf mein Gewehr und schaute lange dem regen, geschäftigen Treiben zu.

Ein großer, kräftiger Indianer, mit Glasperlen und Silberzierat behangen, kam jetzt, in der linken Hand eine leere Flasche, in der rechten eine schöne Büchse haltend, taumelnd auf mich zu und gab mir, indem er beides vorzeigte, zu verstehen, daß er mir die Büchse geben wolle, wenn ich ihm die Flasche füllte. Die Leute, welche Branntwein ausschenken, dürfen diesen bei harter Strafe »keinem Indianer, keinem Neger und keinem Soldaten« verkaufen. Die arme Nation der Indianer ist aber durch die niederträchtigen Spekulationen der »blassen Gesichter« schon so verdorben und heruntergebracht, daß der Indianer das Liebste, was er hat, weggibt, nur um sich das heillose Branntweingift zu verschaffen. Ich hatte nur noch wenig Geld und verweigerte den Tausch, er aber wandte sich um, wahrscheinlich um einem andern den vorteilhaften Handel anzubieten.

Der arme betrunkene, hilflose Wilde und sein schönes Gewehr dauerten mich; ich nahm ihm die Flasche aus der Hand, ließ sie füllen – mir blieben von meiner ganzen Barschaft nur noch 12 Cents – und gab sie ihm zurück.

Da ich die Annahme seiner Büchse verweigerte, hielt er mich fast mit Gewalt zurück, zog mich zu seinem Feuer nieder, an dem seine Frau und seine drei Kinder in der Ecke des Zeltes saßen und neugierig den Fremdling betrachteten, und nötigte mich, mit ihm zu trinken, aus seiner Pfeife zu rauchen und ein großes Stück Hirschbraten mit ihm zu essen. Dann stand er auf und erzählte in seiner klangvollen Sprache mir und einigen Söhnen des Waldes, die sich um ihn versammelt hatten, eine lange Geschichte, von der ich leider nichts verstand. Endlich, da mir das Getöse zu arg wurde, stahl ich mich leise fort, ein Nachtlager zu suchen. Am andern Morgen, als ich wieder an die Fähre kam, war das Lager schon abgebrochen und die Indianer auf einem Dampfboote eingeschifft, das sie nach dem Westen bringen sollte.

Ich ging auf die Fähre und brauchte nun, nachdem ich die Überfahrt bezahlt hatte, weitere Geldausgaben nicht mehr zu fürchten, denn meine letzten 12 Cents (ungefähr 5 Groschen) hatte ich ausgegeben. Wohl nicht oft mag ein Reisender mit ebenso leichtem Geldbeutel eine fremde Stadt betreten haben. Meine Lage, in einem wildfremden Orte, war keineswegs beneidenswert, doch verließ mich mein guter Mut auch jetzt nicht, obgleich ich schon seit mehreren Tagen auf den bloßen Strümpfen (die Sohlen meiner Stiefel waren verschwunden), ja auf den nackten Füßen über den gefrorenen Erdboden gelaufen war. Das erste, was ich tat, war nun, mich nach einem Hause umzusehen, in dem ich übernachten konnte, das zweite, meine Stiefel wiederherstellen zu lassen. Logis und Kost fand ich bei einem Deutschen, der mich für 3 Dollars die Woche beherbergen wollte. Obgleich ich nach allem Suchen in meinen Taschen keine 3 Cents mehr zusammenbrachte, ging ich doch den Vertrag ein, gab meine Flinte in Versatz, nahm dann meinen Hirschfänger und ging zum Schuhmacher, bei ihm, der 2½ Dollar für das Besohlen meiner Stiefel verlangte, meine andere Waffe zu verpfänden. Der Preis für Stiefelbesohlen war enorm, dieser Mulatte aber damals auch der einzige Schuhmacher in Little Rock, der mit drei Gesellen, zwei Amerikanern und einem Deutschen, arbeitete. Ich mußte den Handel also eingehen, doch lieh mir der Mulatte auch noch ein paar alte Schuhe, bis meine Stiefel gemacht wären. Dann sah ich mich nach Arbeit um.

Daß man, wenn man wirklich Arbeit haben will, keine finden könne, hatt' ich bis dahin nicht für möglich gehalten, und dennoch wies es sich so aus. Ich lief an alle Ecken und Enden der Stadt, fragte hier und da, und es war mir dabei ganz einerlei, was für Arbeit ich bekam, ich hätte alles angenommen, denn leben mußte ich, und meine Flinte konnt' ich auch nicht im Stiche lassen; nirgends aber in der ganzen Stadt fand ich das geringste für mich zu tun. Jung und gesund, verließ mich indes mein guter Mut noch lange nicht, und ich war überzeugt, daß ich zuletzt doch etwas auftreiben müsse.

Den zweiten Tag meines Umhersuchens ging ich mit dem alten Wagenmacher Sprenger, meinem Wirte, vor die Stadt, auf der Farm eines Herrn v. Seckendorf ein paar Bäume umzusägen, die jener zu seiner Arbeit gebrauchen wollte, und verdiente dadurch wenigstens eine Kleinigkeit.

In Little Rock hatten mich mehrere an einen gewissen C. Fischer gewiesen, der unter den Deutschen sehr bekannt sein sollte und mir auf jeden Fall Arbeit zuweisen würde. Er hatte gerade ein großes hölzernes Haus (frame house) errichtet, an dem noch ein kleiner Anbau fehlte. Ich ging an alle Türen dieses Gebäudes, jemand zu finden, der mir sagen könnte, wo ich ihn träfe, aber alles schien wie ausgestorben.

Endlich kam ich an das kleine Gebäude und klopfte. Da niemand antwortete, faßte ich nach dreimaligem Klopfen an die Klinke; die Tür ging auf, und ich trat in den kleinen Raum.

In der einen Ecke dieser elenden Stube stand ein leeres Bettgestelle mit abgebrochenen Füßen. Das Handwerkszeug eines Tischlers lag auf dem Boden und auf dem Tische, und ein fertiger Sarg stand in der Ecke; zu den Füßen des Bettes aber, mit dem Kopfe auf einem der abgebrochenen Bettfüße, lag ein Mann auf der bloßen Erde. Den rechten Arm hatte er unter den Kopf, den linken über das Gesicht gelegt, so daß ich nur die krausen, schwarzen Haare erkennen konnte, und die linke Hand war, wie ich vermutete, vom Färben des Sarges, schwarz und rot befleckt. Ich fragte ihn, ob er nicht wisse, wo C. Fischer wohne. Er antwortete aber nicht, und ich glaubte, er schlafe. Der Mann schien mir krank zu sein. Leise ging ich wieder hinaus und versuchte, noch mehrere andere Türen zu öffnen; alles aber war verschlossen und keine Seele zu finden. Ich ging wieder zu dem Schlafenden zurück, doch obgleich ich ihm mehrere Male stark zurief und ihn gar an die Schulter stieß, antwortete er doch nicht, und ärgerlich verließ ich ihn. Nach langem Suchen fand ich endlich den Verlangten, hatte aber keinen Nutzen davon, denn auch er wußte mir keine Arbeit zuzuweisen.

Im Laufe des Gesprächs fragte ich ihn auch nach dem Manne, der in der kleinen Stube läge, und erfuhr, daß er gestern an den Blattern gestorben wäre.

Es überlief mich kalt bei diesen Worten, und die nachfolgende, ziemlich unbefangen gegebene Erklärung Herrn Fischers machte es nicht besser.

Der herbeigerufene Arzt, der bald ausfand, daß der arme kranke Fremde kein Geld habe, hatte einfach die Krankheit für die Blattern erklärt, die Leute gewarnt, in die Stube zu gehen, und die Tür dann zugeschlossen. So mußte der Unglückliche, sich selbst und seinem Elend überlassen, ja ohne jemand um sich zu sehen, der ihm nur einen Trunk Wasser für die fieberheißen Lippen reichte, elend auf der bloßen Erde liegen bleiben und wie ein Hund da sterben.

Little Rock hatte damals überhaupt einen bitterbösen Ruf, und die Schiffer auf dem Mississippi sangen nicht ohne Ursache:

Little Rock in Arkansaw
The damnest place I ever saw!
Little Rock in Arkansaw,
Der verdammteste Platz, den ich jemals sah.

Da sich keine Arbeit in der Stadt zu finden schien, so ging ich an den Strom auf ein Dampfboot, deren mehrere dort lagen, um vielleicht auf einem von ihnen Beschäftigung zu finden. Die Dampfboote Fox und Harpe lagen beisammen. Ich ging zuerst auf den Fox und bekam sogleich gegen 20 Dollar monatliches Gehalt Arbeit als Feuermann. In einer Stunde ging das Boot ab, und ich war seelenvergnügt. Meine Habe wurde mit leichter Mühe an Bord gebracht.

Wir liefen den Arkansas hinunter bis an die Mündung, dann den Mississippi hinauf bis Memphis und von dort aus wieder zurück nach Little Rock. Die Arbeit als Feuermann ist indes wohl eine der schwersten, die es in der Welt gibt. Der Feuermann hat zwar nur vier Stunden am Tage und vier in der Nacht zu heizen, aber die Hitze vor den Kesseln, das Hinauslaufen in die kalte, schneidende Nachtluft, während der Körper von Schweiß trieft, die Unmasse von Branntwein, die der Feuermann zu sich nehmen muß, wenn er nicht krank werden will, das eiskalte Wasser, das er auf die glühende Lunge schüttet, müssen auf die Länge der Zeit den kräftigsten Körper zerstören. Ich habe oft nicht begriffen, wie ich, der ich doch nicht an solche Sachen gewöhnt war, es habe aushalten können.

Dazu kommt noch das, besonders in dunklen, nassen Nächten, so gefährliche Holztragen. Mit schweren, 4 Fuß langen Scheiten – man trägt deren oft 6 bis 7 auf der Schulter, steile, schlüpfrige, bei niedrigem Wasserstande 15 bis 20 Fuß hohe Ufer hinunter zu klettern und dann über ein schmale, schwankende, oft mit Glatteis überzogene Planke zu gehen, um vom Ufer ins Boot zu gelangen, ein Weg, auf dem ein einziger Fehltritt den Unvorsichtigen in den schnellen, tiefen Strom hinabwirft, – was mir auch später einmal am Mississippi passierte, – ist wahrlich ein saurer Bissen Brot. Zum Überfluß hat man noch die Aussicht, in die Luft gesprengt zu werden, ein Unglück, das bei der leichtsinnigen Führung der Boote durch die amerikanischen Ingenieure sehr oft geschieht.

In Memphis hätte ich übrigens meinen Dienst beinahe wieder verloren, denn der Steuermann fand dort einen alten Bekannten von sich, der eine Stelle an Bord als Feuermann haben wollte, und schickte mich natürlich ohne weiteres fort. Glücklicherweise lief, gerade eine Stunde vorher, ehe das Boot abfahren wollte, der Koch fort, und ich, der ich noch am Land stand und vom Boot eben sehr niedergeschlagenen Abschied nehmen wollte, denn ich wußte nicht, wie ich wieder nach Little Rock zu meinen Stiefeln und meiner Flinte kommen sollte, wurde gefragt, ob ich kochen könne. Natürlich sagte ich Ja, denn so viel hatte ich mich schon amerikanisiert, mir nicht in einem solchen Fall durch zu große Bescheidenheit meine eigene Karriere zu verderben. Allerdings konnte ich damals noch nicht viel mehr als Wasser kochen, mit Hilfe des Stewards lernte ich aber das Nötige schnell. Dem Kapitän konnte ich es freilich nicht verdenken, daß er sich an jedem unterwegs berührten Städtchen die größte Mühe gab, für sich und seine Passagiere einen andern Koch zu bekommen.

So kam ich zurück nach Little Rock und löste dort nicht allein Flinte und Hirschfänger wieder ein, sondern fand auch meine Wasserstiefel wieder neu und trefflich besohlt und konnte, wenn ich mir nur noch eine kleine Summe verdient hatte, meinen Marsch weiter fortsetzen – wohin, blieb sich gleich.

Hierauf machte ich eine zweite Reise bis an die Mündung des Flusses und wieder zurück, da noch immer kein anderer Koch für das Boot gefunden werden konnte. Das rohe Leben unter der Hefe des Volkes ekelte mich jedoch bald an. Dazu kam noch die Feindschaft des Kapitäns, der mich nicht leiden konnte, wahrscheinlich nur, weil ich ein Deutscher war, vielleicht aber auch wegen meiner Kocherei, was ich ihm weniger hätte verdenken können. Da ich keinen Stellvertreter für mich finden konnte, war ich genötigt, noch eine Reise, und zwar den Fluß hinauf, mitzumachen, doch hatte ich schon eine Ahnung von der Art, in der mein Schiffsdienst enden würde. Ich packte meine Jagdtasche, stellte Flinte, Hirschfänger und einen kleinen Tomahawk, den ich mir gekauft hatte, zusammen und war auf alles gefaßt.

Ein paar Tage nach unserer Abfahrt kam der Kapitän zu mir herunter und traf mich, wie ich eben von den Überresten der Mahlzeit einer armen alten Frau etwas gab, die zu ihren Kindern reisen wollte und nicht einmal die Passage bezahlen konnte. Schon vorher hatte er auf mich geschimpft, wie mir ein alter Pennsylvanier erzählte. Dies und die Frage, wer mir erlaubt habe, Lebensmittel wegzuschenken, machte mich ärgerlich, und ich fragte zurück, ob ich sie lieber über Bord werfen solle. Kaum war sein »Ja« heraus, als Teller und Speise im Arkansas schwammen. Seine Wut brach nun los, und mit einem schnellen Satze hatte er mich bei der Brust gepackt, flog aber, durch einen kräftigen Stoß hinweggeschleudert, an die gegenüberliegenden Planken an. Er raffte sich schnell wieder auf, ergriff ein Stück von einem abgebrochenen Hebebaume, sprang auf mich zu und hätte mich ohne Zweifel zu Boden geschlagen, wenn ich ihn nicht unterlaufen hätte.

Mein kaltes Blut war aber jetzt zu Ende. Mit einem Griffe hatte ich ihn bei der Gurgel und schleppte ihn zum Rande des Bootes, ihn über Bord zu werfen. Sein Geschrei zog indes den Ingenieur und den Bootsmann herbei. Der eine riß den Kapitän bei den Beinen, der andere mich bei den Schultern zurück, und beide brachten jenen, der stark am Kopfe blutete in die Kajüte hinauf.

Ich mußte sogleich zum Buchhalter, bekam mein verdientes Geld in schlechten Banknoten, die 37 Prozent Diskonto hatten, ausgezahlt, das Boot hielt an, und ich wurde mit meinen Sachen mitten in der Nacht ans nächste Ufer gebracht. Der Kahn, der mich übergefahren, kehrte zum Boote zurück, und ich befand mich wieder in einer ganz neuen, wunderlichen Lage.

Rings um mich her war einsame Wildnis und hinter mir der Strom. Die Erde war gefroren und mit einem dünnen Schneelager bedeckt; dabei sauste der Wind recht scharf von Nordwest durch die entlaubten Zweige. Ich suchte in der Tasche nach meinem Feuerzeuge. Alles war naß und feucht geworden. In meinem Pulverhorn war kein Körnchen mehr und nur der eine Lauf meiner Flinte geladen. Sollte ich den letzten Schuß daran wenden, Feuer zu bekommen, und dann in dieser Wildnis waffenlos bleiben? Nein! Ich legte mich, nachdem ich den Schnee weggeräumt hatte, unter einen Baum und versuchte zu schlafen; aber der Wind ging zu scharf, die Kälte wurde unerträglich, und ich fürchtete, zu erfrieren.

Ich entschloß mich zum äußersten, schoß die Flinte gegen die Wurzel des Baumes ab und entzündete die feucht gewordenen Schwefelhölzchen an dem glühenden Pfropfen, legte sorgfältig dürres Gras und trockenes Holz darauf, und in fünf Minuten prasselte ein herrliches Feuer empor.

Obgleich ich mehrere Wölfe heulen hörte, beunruhigte mich doch nichts, und ich schlief herrlich. Freilich verfolgte ich am nächsten Morgen meinen Weg etwas mutlos, da ich kein Pulver mehr hatte und mein Magen stark nach etwas Genießbarem verlangte. Ich wanderte am Flusse hinunter, in der Hoffnung ein Haus zu finden.

Nachdem ich ein Stück gegangen war, fand ich ein altes, halb versunkenes Kanoe, schöpfte das Wasser mit der Mütze aus und fand den Kahn noch brauchbar. Der alte Gedanke, Texas zu sehen, tauchte in mir auf und gewann die Oberhand. Ich beschloß überzusetzen, am andern Ufer ein Haus aufzusuchen, Essen und Pulver zu bekommen und dann eine südwestliche Richtung einzuschlagen, die Straße nach Texas zu erreichen.

Kaum war ich am anderen Ufer angelangt, so entdeckte ich ein ganzes Volk wilder Truthühner vor mir. Rasch legte ich die Flinte an und drückte ab, – ich Tor hatte alles vergessen – sie war ja nicht mehr geladen. Die Truthühner flogen bei meinem Näherkommen in die Bäume. Ich litt bei diesem Anblicke Tantalusqual, aber es half nichts, ich mußte mit hungrigem Magen an ihnen vorüberziehen. Wie es immer zu gehen pflegt, wenn man nicht schießen kann, sah ich an diesem Tage Wild in Überfluß.

Trübe und kalt brach die Nacht herein, mit ihr der so gefürchtete Nordwind, und ich mußte ohne Feuer kampieren.

Um Bären und Panthern auszuweichen, vor denen ich damals noch ziemlichen Respekt hatte, wäre ich gern auf einen Baum geklettert, aber der Wind ging zu scharf, als daß ich es in so luftigem Raume hätte aushalten können. Endlich fand ich einen hohlen Baum, setzte mich hinein, bedeckte die Füße mit der Jagdtasche, stellte die Flinte zur Linken, legte den blanken Hirschfänger zur Rechten und verbrachte so eine der trübseligsten Nächte meines Lebens. Ich hörte die Wölfe heulen und auch einmal in der Ferne einen Panther brüllen, doch störte mich nichts, und die freundliche Morgensonne fand mich schon wieder auf dem Marsche, denn mein Lager war nicht einladend genug, mich lange zu fesseln. Endlich, o welche Musik für mein Ohr und für den gar vernehmlich knurrenden Magen, verkündete ein nicht fernes Hahngeschrei und Hundegebell einen Farmhof. Bald sah ich auch den blauen, dünnen Rauch des Schornsteins in die schöne reine Luft aufsteigen, und mit schnellen Schritten eilte ich darauf zu, Leib und Seele zu stärken.

Die Leute empfingen mich freundlich und tafelten mir so viel zu essen auf, daß ich trotz meines furchtbaren Appetits doch nicht alle Teller leeren konnte. Zum Glück hatte der Farmer auch Schießpulver, und für einen Vierteldollar füllte er mir fast mein ganzes Horn.

Einen langen und mühseligen Marsch hatte ich jetzt vor mir, zuerst noch eine weite Strecke durch wilden, pfadlosen Wald, bis ich die ungeheure Redriverstraße erreichte, und dann dieser folgend, durch kaum besseres Land, da dort wieder der Redriversumpf begann. Dennoch erreichte ich diesen am 15. März und ließ mich ohne weiteren Aufenthalt übersetzen.

Jede größere Verbindungsstraße hörte hier auf; das rote Land, wie dieses zwischen Texas und den Vereinigten Staaten liegende und bestrittene Land hieß, bestand aus reinem Schilfbruch und Urwald, und nur einzelne Baumwollenplantagen sollten dazwischen verstreut liegen, die Jagd in dieser wilden Gegend aber auch dafür vortrefflich sein.

Einem ziemlich betretenen Pfad folgend, erreichte ich denn auch gegen Abend eine nicht unbedeutende Plantage und wünschte dort zu übernachten. Der Aufseher schien im Anfang keine besondere Lust zu haben, mich bei sich zu behalten, da aber auch weit und breit kein anderes Haus war, willigte er endlich ein, und ich brach am nächsten Morgen ziemlich früh wieder auf, meine Bahn jetzt fast ebensoviel nach dem Kompaß wie nach irgend einem begangenen Weg zu verfolgen.

Das Land am Fluß war ungemein sumpfig und mit Schlingpflanzen und dichtem Rohr durchwachsen; doch wurde der Wald lichter und der Boden höher, sobald ich aus der Nähe desselben kam. Am dritten Abend schlief ich zum letzten mal in einem Hause, und zwar wieder auf einer Plantage.

Der Aufseher wohnte in einem kleinen Blockhause, und rings umher standen die niederen Hütten der Sklaven – für jede Familie eine. Er selbst führte dabei während seiner Dienstgeschäfte eine starke lederne, sogenannte Negerpeitsche, die Sklaven im Zaum zu halten, schien sich aber doch nicht so ganz sicher zwischen ihnen zu fühlen, denn ein par Pistolen staken vorn in den Halftern seines Pferdes, und am Körper trug er außerdem gewiß noch andere Waffen.

Wie man den Sklaven behandelt, kann man sich nach einer »Heilmethode« denken, die mir später einmal ein anderer »Negertreiber« mitteilte. Dieser meinte nämlich, der beste Negerdoktor in der Welt sei die Peitsche. Sobald sich einer von ihnen krank stelle, bekomme er so lange Hiebe, bis er wieder gesund werde. Oft mag es nun wohl geschehen, daß sich die armen Sklaven, unter dem Vorgeben, krank zu sein, ein paar Ruhetage verschaffen wollen, aber wie oft mag auch der wirklich kranke Schwarze auf solche Art von unbarmherzigen Aufsehern mißhandelt worden sein.

Von dieser Plantage aus begann, wenigstens in der westlichen Richtung, der ich jetzt folgte, der wilde, durch nichts gestörte Wald, denn der Aufseher sagte mir, wenn ich dem Sonnenuntergang von dort aus zumarschierte, hätte ich 180 englische Meilen zu machen, ehe ich das nächste Haus wieder träfe.

Rasch und fröhlich marschierte ich trotzdem in die schöne, prachtvolle Wildnis hinein, die sich im ersten Frühlingsnahen mit jungem Grün zu decken begann. Die Vögel sangen dabei so lieblich in den Zweigen, und alles knospte und keimte so frisch und wundervoll um mich her, daß es mir wie mit lautem Jubel durch die Seele zog. Nur noch einen einzigen Gefährten hätte ich haben mögen, nur noch einen Menschen, mein Glück mit ihm zu teilen. Das aber sollte nun einmal nicht sein, und so wanderte ich denn allein vorwärts in das Gewirr von Stämmen und Zweigen, in die knospende Pflanzenwelt hinein gen Westen – immer nur gen Westen.

Es war ein wilder, öder, wunderlicher Marsch; Wald Wald, Wald und ewig Wald. Den ganzen Tag wanderte ich, und abends machte ich mir ein Feuer an, legte mich daneben und schlief bis zum nächsten Morgen.

An Lebensmitteln fehlte es mir dabei nicht, denn Wild gab es damals in jener Gegend noch im Überfluß, aber einesteils war ich noch ein sehr junger Jäger und wußte nicht recht, wie man sich an ein Stück ordentlich anschleichen und ihm den Wind abgewinnen müsse, und dann hatte ich auch nur eine doppelläufige Schrotflinte und konnte natürlich nur in sehr geringen Entfernungen mit Erfolg schießen. Was mir über 60 Schritt weit blieb, war ziemlich sicher.

Ein paar Hirschkälber schoß ich dieser Art und einige Truthühner, aß davon, soviel ich konnte, und steckte eine weitere Mahlzeit in meine Jagdtasche. Ein wirkliches Jagdabenteuer hatte ich aber erst den sechsten Tag, wo ich, ruhig meinen Marsch fortsetzend, meist den hier ziemlich lichten Wald, manchmal aber auch eine kleine Prärie durchschneidend, auf einer starken Eiche vor mir, dicht über einer der hier ziemlich zahlreichen natürlichen Salzlecken, einen eigentümlich dunklen Gegenstand entdeckte und bald darauf eine ziemlich starke Pantherkatze, ein sogenanntes catamount, die mich bis dicht unter den Baum ließ, von dem Aste herunterschoß. Es war das erste Stück Raubzeug, das ich in Amerika erlegte, und ich schleppte das ziemlich schwere Fell nicht ohne bedeutenden waidmännischen Stolz noch eine lange Strecke mit mir durch den Wald, die nächste Nacht wenigstens auf dieser Siegestrophäe zu schlafen.

Ich hatte bis jetzt den Plan gehabt, bis zu den ersten östlichen Ansiedlungen von Texas vorzudringen und dann eben weiter zu marschieren, wohin mich die dortigen Ansiedler schicken würden, nach Süden oder Westen.

Das Wetter war bis dahin so ziemlich gut gewesen, und bedeutende Hindernisse in der Verfolgung meines Weges hatte ich auch nicht gefunden. Hier und da traf ich allerdings einen kleinen Wasserkurs, konnte ihn aber meist durchwaten oder fand hinübergestürzte Stämme, die mir als Brücke dienten. Nur ein einziges Mal mußte ich eine kurze Strecke schwimmen. Jetzt fing aber das Wetter an schlechter zu werden. Eines Tages gegen Abend fing es an leicht zu regnen, und am nächsten Nachmittag goß es, was vom Himmel herunter wollte. Ich hatte damals ein paar sehr fatale Nächte. Nichtsdestoweniger setzte ich immer noch meinen Marsch fort, bis ich eines Mittags plötzlich und ganz unvermutet an einen angeschwollenen und ziemlich reißenden Fluß kam, der meiner Tagereise ein rasches Ende machte. Wie er hieß, wußte ich allerdings nicht, aber ohne weiteres hinüberzuschwimmen, dazu konnte ich mich auch nicht gleich entschließen, machte mir deshalb ein Feuer dicht am Ufer an und lagerte mit einem an dem Morgen geschossenen wilden Truthahn.

Der amerikanische wilde Truthahn gleicht dem unsrigen zahmen in seiner ganzen Gestalt und Lebensweise auf ein Haar. Er wird 18, 20, ja 22 Pfund schwer und sieht stets bräunlich schwarz mit den eigentümlich schillernden Farben dieser Tiere aus.

Hier nun, behaglich am Feuer hingestreckt, mit dem drohenden Rauschen des angeschwollenen Wassers aber dicht neben mir, überlegte ich, ob ich den Fluß durchschreiten solle oder nicht. Zu tun hatt' ich drüben nichts, so viel war sicher, aber wollte ich ihn nicht kreuzen, so mußte ich aufgeben, weiter nach Texas hinein zu marschieren – und warum nicht? Hätte ich noch einen Kameraden bei mir gehabt, wir wären weiter gen Westen marschiert, und weder dieser noch irgend ein anderer Strom hätte uns aufgehalten, vielleicht nicht einmal die westlichen Gebirge, von deren jenseitigen Hängen die Quellen ihr Wasser dem Stillen Meere bringen. So aber hatte ich das einsame Wandern doch etwas satt bekommen, und der Gedanke an die Ansiedelungen stieg lockend vor mir auf.

Des Geländes wegen hatte ich dabei keineswegs immer einen rein westlichen Kurs beibehalten können, ja war den letzten Tag schon fast südwestlich gegangen, und wer weiß, wann ich das erste einzelne Haus, den ersten von Menschen begangenen Pfad wieder traf. Der Unterschied zwischen dem jetzt und früher geführten Leben war auch zu groß, ich selber noch nicht an diese furchtbare Einsamkeit gewöhnt; ich wurde mit einem Worte waldmüde und beschloß, diese unbesiedelten Strecken zu verlassen.

Da der Regen aufgehört hatte, schlief ich die Nacht vortrefflich und schlug am nächsten Morgen statt den Strom zu durchschwimmen, der wieder um einige Zoll gestiegen war, einen Ost-Südost-Kurs ein, irgendwo den Redriver und dort auch wahrscheinlich wieder eine Plantage zu erreichen.

Das Gefühl, wieder zu Menschen zurückzukehren, war dabei ein höchst angenehmes, und ich wanderte, die Flinte auf dem Rücken, rasch, wenn auch aufmerksam überall umhersuchend, durch den Wald.

Meine Schrotflinte hatte ich dabei in ihrem linken Lauf mit einer Kugel geladen, die sie gar nicht schlecht schoß, mit einem halben Truthahn im Jagdranzen als Zehrung dachte ich nicht besonders an Jagd und wollte mich keineswegs durch langsames und vorsichtiges Birschen aufhalten.

Wenn man nichts schießen will, kommt einem gewiß etwas zum Schuß. Ich mochte etwa eine Stunde an dem Morgen so fortgewandert sein und hatte oben einen kleinen ausgetrockneten Hohlweg durchstiegen, an dessen anderer Seite ein dichtes Gewirr von Schlingpflanzen und durcheinander gestürzten Bäumen mich kaum weiter lassen wollte, als plötzlich etwas dicht neben mir in den Büschen rasselte. Ohne weiteres riß ich die Flinte vom Rücken und entdeckte zu gleicher Zeit, kaum 4 Schritt von mir entfernt, einen jungen zweijährigen Bären, der Reißaus nahm. Auf die Entfernung konnte ich selbst mit der Kugel nicht gut fehlen, und ich schoß ihn durch den Wanst.

Er zeichnete auf den Schuß und sah sich wild nach mir um, wagte aber doch keinen Angriff und glitt in das nächste dichte Gebüsch, wohin ich ihm nicht eher folgte, als bis ich den abgeschossenen Lauf wieder geladen hatte. Seine Spur war, da er stark schweißte, leicht zu verfolgen, und ich holte ihn bald wieder ein; in der Hitze aber, solch edles Wild zum Schuß zu bekommen, und auf ganz geringe Entfernung fehlte ich ihn mit der zweiten Kugel, und Petz wurde jetzt ernstlich böse.

Ob er nur an mir vorbei oder gerade auf mich zu wollte, weiß ich nicht, die Richtung nach mir schlug er aber ein, und mein zweiter Lauf, mit dem ich ihm eine Ladung Rehposten entgegenschicken wollte, versagte. Daß ich gleich nach dem versagten Schuß die Flucht ergriff, mochte den Bär dabei vielleicht dreist machen, denn ich hörte ihn plötzlich dicht hinter mir, und hatte eben nur noch Zeit, hinter einen Baum zu springen und den Hirschfänger aus der Scheide zu reißen, den ich ihm in den Rachen stieß. Dabei war ich aber ebenfalls weder geschickt noch geschwind genug, denn der Bär erwischte mich mit der einen Tatze und riß mir meine grüne, überdies schon etwas lebensmüde Pekesche in Streifen vom Leibe.

Jedenfalls war aber der Bär schon durch meine erste Kugel tödlich getroffen – er hätte sich auch sonst nicht sogleich wieder niedergetan – und mir zum Heil verließen ihn gerade zur rechten Seit die Kräfte. Er ließ mich los, taumelte und verendete bald darauf. Von dem Fleisch nahm ich mit, was ich, ohne mich zu überladen, tragen konnte.

Am nächsten Abend – ich hielt jetzt in gerader Richtung nach Südosten hinunter, dem Redriver wieder zu – hörte ich plötzlich einen Schuß fallen, und wie ein elektrischer Schlag zuckte mir der Ton durch alle Glieder. In dieser Wildnis waren also noch mehr Menschen, und zwar gar nicht weit von mir entfernt, denn der Schütze mußte sich hinter dem nächsten Hügel befinden. Schnell eilte ich nach der Richtung vorwärts und hatte kaum die kleine Anhöhe erstiegen, als sich ein buntes wildromantisches Schauspiel meinen überraschten Blicken bot.

Es war ein indianisches Lager, in dem ich eben alles beschäftigt fand, Zelte aufzuschlagen und für die Nacht zu sorgen. Hier hieben einige der Wilden mit ihren Tomahawks Zeltstangen ab, dort schleppten die Weiber Brennholz herbei, daran zu kochen. Dort waren wieder andere beschäftigt, den Pferden die Vorderbeine zu fesseln, und hier streifte einer der wilden Waldsöhne einen Hirsch ab, kurz es war das Leben der Wildnis in seinem höchsten Glanze. Ich konnte mich nicht satt sehen, an den schönen, kräftigen Gestalten mit ihren bemalten Gesichtern, ihren in grelle Farben gekleideten Körpern und mit Federn geschmückten Häuptern, und an Gefahr dachte ich auch nicht dabei, denn mir hatte schon auf der letzten Plantage der Aufseher gesagt, daß ich von den Eingeborenen, die ich etwa auf meinem Wege fände, nichts zu fürchten haben würde.

Mir blieb jedoch nicht lange Zeit, sie zu betrachten, denn die Hunde schlugen an und kamen auf mich zu. Ich brach nun einen grünen Zweig ab und ging nach dem Lager. Die Indianer riefen die Hunde zurück, und aller Augen richteten sich auf den Fremdling. Auf eine Gruppe junger Männer zugehend, die gerade beschäftigt waren ein Hirschfell aufzuspannen, fragte ich, ob keiner von ihnen Englisch spräche, und wurde sogleich an einen älteren Mann gewiesen, der rauchend unter einem Baume saß und mich schweigend betrachtete. Ich sagte ihm, daß ich ein Reisender sei, der an die Ufer des Redriver zurück wolle, und fragte ihn, ob ich die Nacht in seinem Lager bleiben könne. Eine dichte Gruppe von jungen Männern hatte sich währenddessen um uns versammelt.

»Sind der weißen Männer so wenig,« fragte mich endlich der Alte, »daß Du allein in diese Wälder kommst?« Ich erwiderte, daß ich bloß der Jagd wegen hierher gekommen sei und jetzt wieder zurück wolle. Statt der Antwort reichte er mir schweigend seine Pfeife, aus der ich einige Züge tat, worauf ich sie dem neben mir stehenden Indianer überreichte, der sie nach einigen Zügen dem älteren zurückgab. Ich setzte mich zu ihm nieder, und er erkundigte sich nach vielen Dingen, unter anderen auch danach, wie ich meinen Rock so arg zerrissen habe, worauf ich ihm mein Abenteuer erzählte. Er lächelte und übersetzte meine Worte den anderen, denen das Abenteuer gleichfalls Spaß zu machen schien.

Der Alte sagte mir nun, daß es für einen Ungeübten gefährlich sei, sich allein solchem Kampfe auszusetzen; der Jäger müsse nach dem ersten Stoße schnell zurückspringen, weil der Bär oft im Todeskampfe den Feind umbringe; es sei ein Glück für mich, daß es nur eben ein junger Bär gewesen wäre, mit einem alten würde ich bös gefahren sein.

Er besah aufmerksam meine Doppelflinte und meinen Hirschfänger und versicherte mir, noch niemals zwei zusammengeschmiedete Flinten gesehen zu haben. Das Englische sprach er sehr gut, viel besser als ich, und was mir sehr angenehm war, er sprach es langsam. Die Indianer waren vom Stamme der Choktaws und von Arkansas hierher gekommen, um zu jagen.

Die Nacht brach nun herein, überall brannten Feuer, und die Frauen, unter denen, wenigstens unter den jüngeren, recht edle Gestalten waren, kochten das Abendessen, während die Männer ruhig ihre Pfeifen rauchten. Das in das Feuer-Starren der Indianer fand ich übrigens sehr langweilig und versuchte mehrere Male ein Gespräch mit dem Alten anzuknüpfen, bekam aber nur sehr kurze Antworten, so daß mir am Ende nichts übrig blieb, als ebenfalls den Indianer zu spielen und in schweigsamer Würde zu verharren. Endlich legten wir uns zur Ruhe, und zwar streckte ich mich vor dem Zelte des Alten am Feuer auf ein ausgebreitetes Bärenfell nieder.

Am andern Morgen noch vor Sonnenaufgang weckte mich schon das Singen und Lärmen der jungen Indianer, die sich zur Jagd rüsteten. Ich sprang empor und wollte mich gleichfalls dazu fertig machen, konnte aber, wie ich bald bemerkte, in meinem zerfetzten Rocke nicht wagen, durch die Dornen zu gehen, weil ich überall hängen geblieben wäre. Ich zeigte ihn daher einem der jungen Männer, der schnell hinwegsprang und bald mit einer Art Rock oder Jagdhemd, aus einer alten wollenen Decke gemacht, zurückkam. Er gab mir durch Zeichen zu verstehen, daß er mir das Stück verkaufen wolle, und ging den Handel mit Freuden ein, als ich ihm einen Silberdollar anbot und ihm die Fetzen meines grünen Rockes noch in den Kauf gab. Für einen andern Dollar erhielt ich seinen gestickten Gürtel und war nun wieder trefflich ausstaffiert. Meine Jagdtasche ließ ich im Lager und beschloß, diesen Tag einmal ganz den Indianer zu spielen.

Wir gingen zu sechzehn auf die Jagd, alle zu Fuß. Einige der Indianer hatten Feuergewehre, andere noch Pfeile und Bogen, mit denen sie außerordentlich sicher und weit schossen. Ich ging mit einem der jungen Männer, welche Bogen und Pfeile führten, und schweigend schritten wir, da sich keiner dem andern verständlich machen konnte, nebeneinander her. Wir hatten jeder etwas Fleisch mitgenommen und verzehrten es unterwegs. So mochte es Mittag geworden sein, als wir ein Rudel Hirsche gewahrten.

Mein Jagdgefährte schlich gegen den Wind um das Rudel herum und schoß zwei Stück daraus mit sicheren Pfeilen. Erschreckt flohen die anderen und kamen gerade auf mich zu, und zwar in so blinder Hast, daß der Führer der Herde, ein feister Bock, mich erst gewahr wurde, als er kaum noch zehn Schritt von mir entfernt war. Meine Kugel traf ihn aufs Blatt, und er stürzte lautlos nieder. Nun war die Flucht allgemein, und wie Spreu stoben die Tiere auseinander. Um die gute Beute zum Lager zu schaffen, mußten wir Pferde holen und machten uns daher auf den Rückweg. Mein Gefährte schlug eine ganz gerade Richtung nach dem Lager ein, das ich in meinem Leben nicht wieder gefunden hätte. Es war von da, wo wir uns befanden, nur wenige Meilen entfernt, während ich glaubte, es läge wenigstens eine halbe Tagreise hinter uns.

Im Lager angekommen, bestieg jeder von uns ein Pferd, und in scharfem Trabe eilten wir dem Platze zu, wo unsere Beute lag, den wir auch leicht wieder fanden, da der Indianer auf dem Rückwege mehrere Bäume mit dem Tomahawk bezeichnet hatte.

Endlich kamen wir zu meinem Hirsch, aber schon saß eine wilde Katze auf demselben, ihr Mahl zu halten. Der Indianer sprengte darauf zu, und die Katze, die ihn zu spät bemerkte, floh auf einen Baum. Ein Pfeil von der sichern Hand des Wilden holte sie schnell herab. Sie war grau von Farbe und größer als unsere zahmen Katzen. Diese Tiere sollen, gereizt, sogar auf den Menschen zugehen. Mein Jagdfreund streifte die Katze ab und nahm den Balg mit.

Mit unserer Beute schwer beladen, ritten wir jetzt zum Lager zurück, wo wir mit Jubel empfangen wurden.

Nach und nach kehrten alle von der Jagd heim, und die meisten brachten Beute; sogar ein ungeheurer Bär, der größte, den ich bis jetzt gesehen hatte, war erlegt worden.

Nun wurde gekocht und gesotten, und die jungen Männer tanzten und sangen; die Weiber nahmen jedoch an dem allen keinen Anteil und verrichteten ruhig ihre Geschäfte.

Am andern Morgen sagte mir der alte Indianer, er habe eine Wolfsfalle gestellt, und wir gingen, um nachzusehen, ob sich etwas darin gefangen habe. Da genug Fleisch im Lager war, begleiteten uns fast alle Indianer. Nur drei, die gestern nichts geschossen, zogen heute auf Beute. Wir nahmen vier große, starke Hunde mit und zogen unter Führung des Alten dem Orte zu, wo die Falle gestellt war. Mit triumphierendem Lächeln zeigte mir unser Führer den Fleck, wo sie gelegen hatte, und eine schwache Blutspur daneben. Die Hunde wurden auf den Schweiß gebracht, und bellend und heulend, mit der Nase auf der Erde, folgten sie ihm. Eine Meile ungefähr mochten wir gelaufen sein, als sie laut anschlugen. Wir eilten, so schnell wir konnten, dem Orte zu und fanden den Wolf schon in den letzten Zügen unter den wütenden Bissen der Hunde. Sie wurden gleich zurückgerufen, sahen aber nicht wenig zerfetzt aus, besonders der eine, dem der Wolf, ein großes schwarzes Tier, das ganze Ohr abgerissen hatte.

Eine solche Falle, welche unserem Marder- und Fuchseisen gleicht, und die die Indianer jedenfalls von den Weißen eingetauscht haben, wird mit der Lockspeise aufgestellt, aber nicht befestigt, denn wenn der Wolf sich finge und die Falle nicht bewegen könnte, so würde er sich eher das gefangene Glied abbeißen, als sich erwischen lassen. Die Falle steht vielmehr lose da, doch ist an einer dünnen, 2–3 Fuß langen Kette ein vierhakiges Eisen befestigt. Sowie der Wolf sich gefangen sieht, eilt er mit der Falle fort, bleibt alle Augenblick mit den Haken, die überall einfassen, in den Wurzeln und Sträuchern hängen. Zwar macht er sich jedesmal wieder los, ja man hat sogar bemerkt, daß er den alle Augenblicke festhängenden Haken in das Maul genommen und so versucht hat, zu entfliehen; aber die Falle hindert ihn immer aufs neue, und leicht wird er am andern Morgen gefunden.

Ich hatte jetzt das Leben der Indianer genugsam gekostet und sehnte mich zu einer etwas mehr kultivierten Welt zurück. Einen Tag noch blieb ich bei ihnen, und wir schossen mit Pfeilen nach einem aufgestellten Ziele; doch erregte ich manches Lächeln, wenn ich einen Fuß breit vom Ziele vorbeischoß, das die Indianer selten fehlten; auch warfen wir mit den Tomahawks nach einem Baume, worin ich es eher zu einiger Gewandtheit brachte.

Am andern Morgen wanderte ich, mit etwas Hirschfleisch und grobem Salz versehen, wieder gen Osten; aber ganz sonderbar und einsam kam es mir vor, als ich die letzten Indianer hinter den Bäumen verschwinden sah, und es war mir fast, als sei ich jetzt erst in die Wildnis getreten. Doch gewöhnte ich mich schnell wieder an das alte Leben und schlief auch diese Nacht so gut, wie man nur in duftendem Moos und Gras schlafen kann. Am andern Morgen kam ich wieder an die Ufer der Sabine, suchte aber jetzt vergeblich einen Durchweg, da der Fluß bedeutend angeschwollen war und hier, weiter südlich, auch breiter und tiefer schien. Es half nichts, ich mußte durchschwimmen.

Ich baute mir zu diesem Behufe ein kleines Floß, band es mit Schlingpflanzen zusammen, befestigte Jagdtasche, Flinte, Hirschfänger, Tomahawk und Pulverhorn darauf und stieß, hinterher schwimmend, dasselbe ans andere Ufer.

Am 30. Januar endlich erreichte ich wieder das Redrivertal und traf glücklicherweise einen ziemlich begangenen Pfad, der durch den Schilfbruch führte. Dicht zum Strome gekommen, hörte ich auch wirklich das Krähen eines Haushahns, das mir wie Sphärenmusik herübertönte, und glaubte mich auch schon wieder unter Menschen. Hierin aber hatte ich mich getäuscht, denn der Hahn krähte am andern Ufer, und der furchtbar angeschwollene Strom wälzte seine roten schmutzigen Wellen reißend schnell vorüber. Ich rief und schrie mich bald heiser, doch ohne Erfolg; ein Schuß hatte keine bessere Wirkung. Schon machte ich mich darauf gefaßt, mein Jagdgerät im Busche zu verbergen und hinüber zu schwimmen, als der Knall meines zweiten Schusses den Farmer noch glücklicherweise aufmerksam machte.

Er kam ans Ufer, und als er jemanden rufend und winkend an der andern Seite stehen sah, machte er sein Kanoe los und fuhr herüber, nicht wenig erstaunt, mich ganz allein zu finden. Bei seiner Familie hatte ich eine herzliche Aufnahme, besonders ergötzten sich alle über den Appetit, mit welchem ich das Brot verschwinden ließ; auch der Kaffee mundete mir nicht wenig. Da ich mich hier nicht lange aufhalten wollte, es aber auch ebenso herzlich satt hatte, länger allein in der Wildnis und durch die furchtbaren Dickichte zu laufen, so wurde ich mit dem Manne über den Verkauf seines Kahnes bald handelseinig, zahlte ihm für denselben 4 Dollars und erhielt als Zugabe noch eine geräucherte Hirschkeule und einen gebratenen Truthahn nebst mehreren Maisbroten. Kurz nachher schwamm ich schon in dem ausgehauenen Baumstamme den Strom hinunter, der in wilder Schnelle riesig große Bäume mit sich fortführte.

Der Farmer stand mit seiner Frau und sechs oder sieben Kindern am Ufer, mich abfahren zu sehen, denn seines Wissens war, wie er meinte, noch kein einzelner weißer Mann in einem solchen »Trog« den wilden, brausenden Strom hinuntergefahren. Übrigens meinte er, wenn ich auf keinen Snag (im Strom festsitzenden Baumstamm) liefe, wenn ich glücklich durch das sogenannte raft käme, unterwegs von keinem Alligator gefressen würde oder überhaupt nicht umschlüge und ersöffe, könnte ich wohl in den Mississippi hinein kommen, mitfahren aber möchte er nicht.

Die reißend starke Strömung faßte meinen Kahn bald und führte ihn rasch in die Mitte des Bettes hinaus, ich hatte fast nur zu steuern, und noch einen Abschiedsgruß den freundlichen Leuten zurückwinkend, die ihre Hüte schwenkten und mit den Händen winkten – Taschentücher führen sie nicht – hatte mich eine Biegung des Flusses bald ihren Blicken entzogen. Mitten in der Wildnis, die brausende Flut kochend und zischend um mich her, ich selber in einem roh ausgeschlagenen schaukelnden Baumstamme, schoß ich dahin, dem von dort mehr als 500 Meilen entfernten Mississippi zu.

Der Redriver hat dort eine durchschnittliche Breite von etwa 6–800 Schritt und war so hoch angeschwollen, daß er fast die sonst steilen, oft 20 Fuß hohen Lehmufer überflutete. Das trockene Land lag noch an der höchsten Stelle etwa 1½ bis 2 Fuß hoch über der Oberfläche, und an vielen Orten hatte die Flut schon in die düsteren Schilfbrüche die wilde Bahn gefunden und quoll rauschend und schäumend, die schlanken Rohre herüber und hinüber biegend, dazwischen ein.

Wald lag zu beiden Seiten bis dicht an den Strom hinan, ja oft bis in ihn hinein, mit den überall unterspülten Wurzeln und dem tief unterwaschenen Ufer. Die Gewalt, mit der die mächtige tiefe Flut aber auch stromab stürzt und hier und da mit voller Kraft gegen vorbiegendes Land anprallt, ist ungeheuer, und da der Boden nur an wenig Stellen Steine und Felsen zeigt, sondern überall aus weicher, unendlich fruchtbarer, lehmiger Ackerkrume besteht, die hier an manchen Stellen gewiß 50 und 60 Fuß tief liegt, so läßt es sich denken, daß das Wasser da oft arge Verheerungen anrichtet. Es ist das auch bei allen westlichen Strömen Amerikas so, besonders aber bei denen, die von Westen her in den Mississippi einmünden, wie bei dem Mississippi selber, daß die Flut nach und nach das Uferland und gar nicht selten ganze Acker mit den gewaltigen Stämmen darauf abbricht und mit wegführt. Wie sich aber alles in der Natur ergänzt, so auch hier, und was auf der einen Seite gewaltsam genommen wird, setzt der Strom auf der andern wieder in immer steigender Sandbank an, bis sich diese nach und nach mit jungen Pflanzen bedeckt und die Breite des Bettes ziemlich dieselbe bleibt.

Das Wasser des Redriver, wie auch sein Name schon kündet, ist bei solchem hohen Wasserstand vollkommen ziegelrot und sieht wirklich so aus, als ob eine ungeheure Masse von Backsteinen darin aufgelöst wäre. Zum Trinken ist es in solcher Verfassung allerdings nicht besonders appetitlich, soll aber doch gesund sein, übrigens hat der Arkansas wie der Redriver, nur natürlich nicht bei solchem Wasserstand bemerkbar, viel Salzteile.

Es ist ein eigenes Gefühl, in einem solchen schmalen Kahn auf einem wilden Wasser, rings von dichtem, riesenhohem Wald umgeben, dahin zu schwimmen und nur das eintönige Rauschen der Wipfel, das Gurgeln der Flut oder dann und wann den scharfen Ton einer Wildente oder eines andern scheu abstreichenden Wasservogels zu hören. Wenn die Sonne oben am Himmel steht und ihre Strahlen auf den Strom wirft, geht das noch an; wie sich aber der Abend niedersenkt, die Schatten über die breite Wasserfläche fallen und die Nacht scheinbar aus dem Dickicht langsam herauszieht und rasch und unaufhaltsam Laub und Strom in ihren Mantel hüllt, da wird das Rauschen in den Wipfeln stärker, die Strömung scheint rascher zu fließen und tut es in der Tat – und wie geheimnisvoll verschließt sich da der Wald.

Während das Boot rasch und geräuschlos dicht neben der düsteren, scharf abgeschnittenen Laub- und Holzmasse vorüberschießt, raschelt und flüstert es drinnen, als ob neckende Geister durch die Büsche sprängen, immer dem Boote folgend und gleichen Schritt mit ihm haltend. Und dann die wunderbaren Laute, die von dort herüberschallen, der Whip-poorwill (die amerikanische Nachtschwalbe), der sonderbare, hohlklingende Schrei der Eulen, der gellende Kreisch eines Panthers, dem eines klagenden Kindes nicht unähnlich, und das Schnarren, Schnattern und Krächzen der zahllosen Wasservögel, die bald über die Stromfläche dahin streichen, bald in den Wipfeln der Uferbäume die Nacht horsten. Das alles, so oft man es auch mitten im Walde gehört hat, macht vom Wasser aus gar einen wunderbaren Eindruck, und die kleinen, von einer frischen Brise geweckten Wellen lecken dabei wie gierig an dem rauhen Bord herauf, als ob sie das kecke Menschenkind zu sich niederziehen wollten, das es wagt, hier auf ihrem Nacken durch die Nacht zu ziehen.

Die Fahrt in der Dunkelheit in einem so unsichern Kahn ist auch wirklich gefährlich, denn die, besonders in diesem Strom so zahlreich niedergeschwemmten und unten am Grund mit den Wurzeln festgeklemmten Bäume strecken an so vielen Stellen ihre kaum sichtbaren, oft ganz versteckten Äste und Zweige bis dicht unter oder über die Wasserfläche, daß ein so schwanker Nachen, wie ein Kanoe ist, jedenfalls umschlagen würde und müßte, sobald es seitwärts einmal auf einen solchen verborgenen Feind aufliefe.

Überhaupt noch nicht mit dem ganzen Charakter des Stromes vertraut, wollte ich keineswegs schon am ersten Abend zu viel wagen und lenkte deshalb mein Boot, als es ziemlich dunkel geworden war, dem nächsten Ufer zu, da irgendwo zu landen. Das erwies sich indes weit schwieriger, als ich im Anfang gedacht hatte, und so viel Holz lag dort überall im Weg, teils im Wasser selber fest, teils vom Ufer hineinhängend, daß ich der schäumenden Flut an solchen Stellen nicht zu nahe kommen mochte. Ich fand endlich einen Ausweg in dem weit in den Strom gebrochenen Wipfel eines mächtigen Baumwollenholzbaumes. Diesen, an dem ich dicht vorbeitrieb, erfaßte ich, zog mich so dicht als möglich hinein und band das vorn in meinem Kanoe befestigte Tau um einen der Zweige. Hiernach, erst einmal sicher vor Anker, verzehrte ich mein frugales Abendbrot und legte mir dann meine wollene Decke zurecht, die erste Nacht so gut als möglich im Kanoe selber zu verschlafen.

Vor etwas fürchtete ich mich noch oder hatte wenigstens, wenn ich es auch nicht gerade Furcht zu nennen brauche, eine Scheu davor, und das waren die im Redriver angeblich sehr häufigen Alligatoren, die, wie mir gesagt worden, oft eine Länge von 15 bis 16 Fuß erreichen und selbst dem Menschen gefährlich werden. Mit den Raubtieren der Wälder war ich indessen ziemlich vertraut geworden und nie von ihnen, wenn ich nicht selber den Streit anfing, belästigt worden, und was waren mir vorzüglich in den östlichen Staaten, und selbst auch an Ort und Stelle, für haarsträubende Geschichten von diesen blutdürstigen Panthern erzählt worden. Halb und halb hoffte ich, daß sich die Berichte über die Alligatoren als ebenso übertrieben und unbegründet erweisen würden; trotzdem ist es aber, wo man es mit vollkommen unbekannten Bestien zu tun hat, immer ein eigenes Ding, und wie ich, in meine Decke fest eingewickelt, mit der besten Absicht zu schlafen im Kanoe lag, horchte ich doch noch eine lange Weile den einzelnen Lauten und Tönen, die vom Land, und oft auch vom Strom aus, zu mir herüber drangen. Ein paarmal glaubte ich sogar deutlich ein Plätschern zu vernehmen – und hatte mich vielleicht auch nicht geirrt. – Wenn das ein Alligator wäre, der mir in meinem Boote einen Besuch abstatten wollte? Sowie er nur eine seiner Klauen an den Rand gelegt hätte, wäre es rettungslos umgeschlagen. Ich allein mußte schon gewaltig ruhig sitzen, um es im Gleichgewicht zu halten.

Wie das so wunderbar dicht neben mir in dem Schilf rauschte, und wie das Wasser gurgelte und quoll! Es war ordentlich, als ob leise flüsternde Stimmen neben mir auf und nieder wogten und mit den dunkeln Wellen, mit den wehenden Wipfeln unheimliche, kosende Zwiesprache hielten; aber nichts störte die heilige Ruhe, die auf dem Strom selber lag, und wenn ich auch noch manchmal nach einem hier und da aus der Flut springenden Fisch hinüber horchte oder dem eintönigen Schrei einzelner unbekannter Wasservögel lauschte, schlief ich endlich, fest in meine warme Decke eingewickelt, den prachtvollen Sternenhimmel als Zelt über mir ausgespannt, ruhig und sanft ein und erwachte auch nicht eher wieder, als bis der erste graue Streif im Osten den kommenden Tag verkündete.

Rasch band ich jetzt mein Kanoe los, schob es aus den Zweigen hinaus, nahm mein Ruder wieder auf und glitt bald aufs neue in die Mitte und rascheste Strömung des wenigstens fünf englische Meilen die Stunde laufenden Flusses.

Zwei oder drei Stunden mochte ich etwa gefahren sein, als ich das erste Zeichen menschlicher Wohnungen am linken Ufer des Stromes entdeckte. Es war eine elende, kleine Blockhütte, die in der sie rings umdrängenden Waldung kaum Platz zum Stehen hatte. Außerdem war das Ufer hier keineswegs höher als rings umher, und die rote Flut, die in der Nacht wieder um einige Zoll gestiegen sein mußte, kaum noch mehr als anderthalb Fuß davon entfernt, das ganze Land unter Wasser zu setzen.

Da auch die Strömung dort dicht vorüber führte, beschloß ich zu landen, und das Verlangen, vielleicht eine heiße Tasse Kaffee zu finden, hatte ebenfalls nicht geringen Anteil an dem Wunsche. Ein Stück weggebrochenes Ufer erleichterte mir das, da sich dadurch ein kleiner stiller Hafen gebildet hatte, in dem mein Kanoe bequem und sicher einlaufen konnte.

Großer Gott, wie sah der Platz aus! Das Holz, aus dem die Hütte gebaut worden, lag noch in seinen Überresten wild und toll umher. Das Nutzholz war allerdings davon verwandt worden, aber das ganze Oberholz zurückgeblieben, von dem die Familie bis jetzt ihren Bedarf an Feuerung genommen haben mochte. Im Rücken des Hauses waren übrigens noch mehr Stämme gefällt, und die Axt des Holzhauers schallte auch jetzt von dort herüber. Der ganze Platz schwärmte dabei von Moskitos, und die Luft, da der dichte Wald den Windzug abhielt, war schwül und dumpf. Was konnte einen Menschen nur bewogen haben, sich in Amerika, wo gutes und trefflich gelegenes Land in Masse zu haben ist, in einer solchen trostlosen Wildnis niederzulassen?

Ich trat in das Haus – nahm übrigens mein Ruder mit, denn ich hatte ein paar Hunde am Ufer gesehen, die mich auch mit eben nicht freundlichen Blicken umschlichen. Dort konnte ich allerdings nicht gleich etwas Lebendes erkennen, ein paar schmutzige Kinder ausgenommen, die am Feuer saßen; als ich aber mit dem üblichen Gruß auf der Schwelle stehen blieb und mich in dem kleinen, dunkeln, rauchigen Zimmer umsah, erhob sich hinten von einem roh aufgeschlagenen Bette eine weiß, wenigstens hell gekleidete Gestalt und kam auf mich zu.

Es war eine junge Frau, und das Antlitz mußte einmal von wirklich blendender Schönheit gewesen sein; Krankheit und Entbehrungen hatten sie aber fast aufgerieben, und die todbleichen, eingefallenen Wangen, die hohl liegenden, so schwermütigen, lebensmüden Augen, die bleiche, abgehärmte Gestalt machte einen wehmütigen, fast peinlichen Eindruck auf mich. Nur das Haar war noch schön an dem armen jungen Weibe, und der schwache Nacken schien die Wucht dieser kastanienbraunen Lockenfülle, die nur notdürftig und unordentlich auf dem Scheitel zusammengesteckt war, kaum tragen zu können.

»Kommt herein, nehmt einen Sitz« sagte sie da, mit freundlichem und doch wie wehmütigem Lächeln mir den einzigen hölzernen Schemel zuschiebend, der im Hause stand, und als ich, auf mein Ruder gelehnt, daneben stehen blieb und sie vielleicht länger als eben schicklich war und mit mitleidigem Blick betrachtete, wendete sie sich leicht errötend ab und schickte die Kinder vom Feuer, an das sie die schon fortgenommene Blech-Kaffeekanne rückte. Plötzlich aber mochte ihr doch einfallen, wie ich denn überhaupt in diese Wildnis, in die wahrscheinlich gar kein Pfad führte, komme, denn sie drehte sich auf einmal rasch nach mir um und sagte, mich erstaunt ansehend:

»Wo kommt Ihr her? Gehört Ihr auf ein Flatboot?«

Mein Aussehen rechtfertigte vielleicht die Frage, denn das zerlumpteste, nichtswürdigste Gesindel der Vereinigten Staaten treibt sich gewöhnlich auf diesen Booten, dessen unstetes Leben ihnen behagt, umher – und ich selber glich ihnen in mancher Hinsicht auf ein Haar.

Der untere Mensch stak allerdings bei mir in unbootsmannmäßigen alten deutschen Wasserstiefeln, die bis hierher gehalten, meinen früheren grünen Jagdrock hatte mir aber in Texas ein Bär zerrissen, und der alte Kittel aus einer wollenen Decke, mit Sehnen zusammengenäht, den ich später von einem Indianer eingetauscht, hing mir, nur durch den Gürtel festgehalten, am Körper. Auch meine Wäsche, die ich selber besorgen mußte, konnte ich, wenn auch rein, doch nie mehr weiß bekommen. Eine durch Dornen und Wetter hart mitgenommene grüne Pelzmütze vollendete das Kostüm, zu dem das seit langer Zeit nicht geschnittene wilde Haar und der lange Bart vortrefflich paßten. In jeder deutschen oder selbst europäischen Stadt wäre ich auch ohne weiteres als Vagabund aufgegriffen worden; hier im Wald fiel das aber gar nicht besonders auf, und eher wäre ihnen ein anständig gekleideter Mensch an einem solchen Ort verdächtig vorgekommen. Ich, wie ich aussah, gehörte in die ganze Umgebung hinein, und als ich ihr noch gesagt hatte, daß ich allein in einem Kanoe stromab ginge, fand sie nicht das geringste Außerordentliche darin.

»Ihr seid wohl krank?« frug ich die arme Frau jetzt, die sich, trotz ihrer Schwäche, am Feuer abmühte, dem Gast eine Erfrischung zu bereiten.

»Krank? – nein!« seufzte sie, »nur das kalte Fieber. Im Frühjahr fängt es an und dauert bis spät in den Herbst hinein – man wird's gar nicht wieder los.«

»Und braucht Ihr nichts dagegen?«

»Brauchen? – Lieber Gott, wo soll man hier Medizin bekommen! Shreveport liegt weit von hier, und ich weiß nicht einmal, ob selbst dort eine Apotheke ist.«

»Ich will Euch etwas geben!«

»Seid Ihr ein Doktor?« fragt sie, sich überrascht nach mir umdrehend, und mein Äußeres hatte damit allerdings nichts zu tun, denn »Medizinkrämer«, die manchmal im Lande herumreisen und sich Doktor nennen, sahen oft, wenn nicht schlimmer, doch ebenso abgerieben aus. Ich verneinte nun allerdings ihren Verdacht, daß ich zu einem dieser Menschenvergifter gehöre, die ihre Opfer mit Kalomel anfallen und sich schwer dafür bezahlen lassen, sagte ihr aber, daß ich gerade gegen diese bösen kalten Fieber etwas Chinin bei mir führe und ihr gern überlassen wolle.

»Aber wir haben kein bar Geld,« sagte sie traurig, »mein Mann hat immer darauf gewartet, daß das erste Dampfboot durch das Raft kommen sollte, und schon einige Klafter Holz geschlagen, sie zu verkaufen. Obgleich es aber schon lange so hieß, haben wir doch noch nichts zu sehen bekommen.«

Ich beruhigte sie bald darüber, versicherte ihr, daß ich meine Medizin, die ihr mit Freuden zu Diensten stehe, nicht verkaufe, und gab ihr endlich den ganzen kleinen Vorrat, den ich davon noch bei mir führte. Ich war selber gesund wie ein Fisch und kam ja überhaupt bald wieder in eine Gegend, wo ich, wenn ich es brauchte, mehr bekommen konnte.

Es war die erste Freude, die der armen Frau vielleicht seit langer Zeit einmal wieder wurde, die Hoffnung, von dem bösen Fieber befreit zu werden, und über ihr bleiches Antlitz zog sich, als sie mir mit herzlichen Worten dankte, eine leichte durchsichtige Röte. Sie trat jetzt vor das Haus, nahm ein langes Blechrohr vom Nagel und blies hinein, in der Richtung nach dem Walde zu, wo ich die Axtschläge gehört hatte. Diese verstummten alsbald, und nach einer Viertelstunde etwa, von den Hunden schon vorher angemeldet, kam ihr Gatte ins Haus.

Es war ein junger kräftiger Mann, in der Tracht der Hinterwäldler, d. h. in groben Schuhen, baumwollenen Hosen und Hemdärmeln, mit einem alten, arg zerknitterten Filz auf dem Kopfe. Auch er sah entsetzlich bleich aus, schien aber sonst gesund und bot mir freundlich die Hand, als er mich bemerkte.

Wie ich von ihm hörte, war er eigentlich nur hierher gezogen, ein Floß zu bauen. Prachtvolles Holz stand in Masse in der Nachbarschaft, mit zwei Gehilfen hatte er auch schon ziemlich viel davon geschlagen, und wenn der Fluß noch einen Fuß stieg, konnte er es, etwa 200 Schritt unterhalb der Hütte, in den Strom flößen und dort verbinden. Das Land hinter dem Hause stand jetzt schon, wie er versicherte, unter Wasser. Kam die Dampfbootfahrt auf dem Redriver wirklich zustande, so blieb er vielleicht wohnen, den auflaufenden Booten Klafterholz zu verkaufen, war das nicht der Fall, nahm er »seine Alte« und die Kinder auf das Floß und ging stromab, es gefiel ihr so nicht besonders und sie wäre auch immer »poorly« (kränklich).

»Wenn der Fluß noch einen Fuß stieg,« der Mann sagte das mit einer solchen Ruhe, und doch stand in dem einzigen Fall also, in dem er seine Arbeit verwerten konnte, sein ganzes Haus im Wasser, und er war jeden Augenblick der Gefahr ausgesetzt, von Grund aus fortgeschwemmt zu werden. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, lachte er aber und meinte, dann hätte er ja das Floß für den schlimmsten Fall, und außerdem auch noch drei Kanoes in der Baio (Sumpfausläufe, bei niederem Wasserstand ohne die geringste Strömung), in denen er schon hohes Land erreichen könnte.

Die Frau hatte indessen das Frühstück für mich fertig, etwas heißen Kaffee, ein paar Schnitte gebratenen Speck und etwas Maisbrot, und der Mann lud mich ein, ein paar Tage bei ihm zu bleiben und einen Bären zu schießen, es gäbe dort viele in der Umgegend, nur sei der Sumpf jetzt ziemlich voll Wasser. Ich hatte übrigens genug Sumpfpartien wie Jagd in der letzten Zeit gehabt, um schon jetzt wieder ein Bedürfnis danach zu fühlen, und lehnte es dankend ab. Der Frau gab ich dann Anweisung, wie sie die Medizin zu gebrauchen hätte, etwas Indian physik, eine Pflanze, die vollkommen den Brechweinstein ersetzt, hatten sie im Hause, wie es die Amerikaner fast stets haben, und ich schiffte mich dann wieder ein, meine Reise fortzusetzen.

Ungemein viel Wassergeflügel trieb sich auf dem Strom umher; ganze Ketten von Wildenten und Gänsen schwärmten auf und ab, Züge von Pelikanen saßen hier und da fischend an hohen Uferstellen, und große weiße Reiher, wie die kleinen blauen und weißen Arten, waren überall sichtbar. Ich hatte die geladene Flinte neben mir im Kanoe liegen, und als an diesem Morgen eine Kette von vielleicht hundert Stück Wildenten dicht und schwirrend vorüberstrich, schoß ich dahinterher in das ganze Volk. Ich erlegte drei mit dem einen Schuß, die ich auflas und ins Boot nahm, und flügelte noch zwei andere, die mir aber durch Tauchen entgingen.

An diesem Tage sah ich meinen ersten Alligator. Die Sonne brannte ziemlich heiß nieder, und ich glitt eben mit der Strömung, und ziemlich scharf dabei rudernd, dicht unter dem linken Ufer, auf das ich mit dem Kopf bequem hinaufsah, und vielleicht drei Schritt davon entfernt hin, als ich plötzlich von einem dunkeln Gegenstand, den ich nach flüchtigem Hinschauen für einen angebrannten Baumstamm gehalten hatte, ein Paar tückisch blickende Augen nach mir herüber blitzen sah. Im Nu erkannte ich die schuppige, widerliche Gestalt eines vielleicht zehn Fuß langen Alligators, der sich hier in der Sonne dörrte und mein so nahes Vorbeifahren wahrscheinlich mißtrauisch betrachtete. Fast unwillkürlich warf ich das Kanoe mit dem Bug abwärts, dadurch kam ich aber mit dem Hinterteil desselben, in dem ich saß, nur noch näher an die Bestie hinan, und so rasch geschah das Ganze, so rasch war ich aber auch vorbei und der geglaubten Gefahr entzogen, daß ich wirklich in dem Augenblicke nicht einmal an mein Gewehr dachte. Der Alligator beachtete mich aber gar nicht weiter, und als ich vorbei war, wobei er nur ein wenig den Kopf gehoben, ließ er ihn wieder in seine alte, behagliche Lage sinken und träumte ruhig weiter.

Ich war indessen auf diese Burschen aufmerksam geworden, und vorsichtig nach ihnen ausschauend, verging kaum eine Stunde, daß ich einen zweiten in ähnlicher Lage entdeckte. Wieder fuhr ich jetzt an ihn, mein gespanntes Gewehr aber auf dem Knie, etwa bis auf zehn Schritte hinan, und schoß ihm dann die volle Ladung Entenschrote gerade hinter dem Vorderlauf aufs Blatt. Da ich mich etwas tiefer befand als er, konnte ich mit meinen Schroten die weichen, verwundbaren Teile seines Körpers erreichen. Nach dem Schusse drehte er sich wenigstens blitzschnell auf die Seite und fiel mit der ganzen Länge des Körpers in den unter ihm vorbeiströmenden Fluß. Obgleich ich aber auf der Stelle eine Weile halten blieb und hoffte, ihn wieder an die Oberfläche kommen zu sehen, ließ er sich doch nicht mehr blicken.

Ich schoß so nacheinander vier von ihnen, ohne einen einzigen zu bekommen.

An diesem Tag fiel weiter nichts Merkwürdiges vor. Den Abend landete ich indes vor Dunkelwerden, briet meine Enten und schlief die Nacht im Walde unter einem Baume.

Am nächsten Tage sollte ich durch besondere Gefälligkeit eines Fisches, die in Unmasse den Redriver füllen, eine Abwechselung meiner Mahlzeit haben. Wie ich mitten im Strom hinruderte, sprang, etwa gerade in der Mittagsstunde, ein starker Buffalofisch (eine karpfenähnliche Gattung) hoch aus dem Wasser, dicht neben meinem Kanoe heraus und gerade in dieses hinein. Im ersten Augenblick erschrak ich, denn ich glaubte nichts Geringeres, als ein Alligator hätte mich angefallen, im nächsten aber schon traf mein Ruder den ertappten muntern Wasserbewohner, gerade als er sich wieder über den Rand zurück in sein Element schnellen wollte, auf den Kopf und sicherte mir die willkommene Beute.

Am nächsten Tage wäre ich beinahe übel angekommen und hätte, wenn ich nicht schwimmen konnte, selber die Fische gefüttert. Ich fand nämlich an einem der zahlreich aus dem Wasser vorragenden Baumwipfel ein paar, der Himmel weiß woher kommende Bretter schwimmen. Diese als gute Beute erklärend, wollte ich sie vorn in mein Kanoe bis zum nächsten Hause mitnehmen, versah es aber bei der starken Strömung, indem ich mich an dem Baumast selber festhielt, das Kanoe schoß mir unter dem Leibe fort, und während ich im ersten Schreck nicht wußte, was ich tun sollte: loslassen oder festhalten, hielt ich eben fest und fand mich im nächsten Augenblicke von dem niederschlagenden elastischen Holz unter Wasser gedrückt. Allerdings kam ich gleich wieder nach oben, aber da hing ich auch jetzt, und mein verlassenes Fahrzeug schoß nur zu rasch weiter und immer weiter von mir fort. In dem Kanoe lag aber alles, was ich mein nannte, glücklicherweise freilich auch meine Wasserstiefel, die ich seit dem zweiten Tag meiner Wasserfahrt nicht mehr trug, und ein Besinnen war gar nicht möglich. Blieb ich nur fünf Minuten an dem Aste hängen, so war ich verloren und konnte selbst, wenn ich glücklich das Land erreichte, in der Wildnis verhungern. Ich ließ los, sank unter, kam wieder nach oben, und strich jetzt für mein Leben aus, hinter dem flüchtig gewordenen Fahrzeug her. Ich mußte, wenn auch nicht sehr lange, doch sehr weit schwimmen, ehe ich es wieder erreichte, und dann selbst gelang es mir erst nach großer Anstrengung, wieder hineinzukommen, ohne es umzuschlagen – und wie fror ich. Erst wieder im Kanoe und gerettet, begriff und fühlte ich aber auch, in welcher fatalen Gefahr ich geschwebt, und das Herz schauderte mir, wenn ich an die möglichen Folgen eines solchen Unfalls dachte.

Das ist einer der großen Übelstände, solche wilde Touren allein zu machen und nur auf sich selber beschränkt zu sein. Der Mensch ist nun einmal ein geselliges Geschöpf und von der Natur darauf angewiesen, von anderen unterstützt zu werden, andere zu unterstützen. Für mich hat das einsame Wandern aber trotzdem von jeher einen unbeschreiblichen Reiz gehabt, und selbst in einer vollkommen wilden Gegend ist es doch, wenn man nicht jemanden bei sich hat, der ganz zu einem paßt, immer besser, man ist allein, als daß man sich auch noch, außer den Unbequemlichkeiten des Marsches, mit einem langweiligen Gefährten abquält.

An dem ersten sonnigen Fleck, zu dem ich kam – und deren waren wenig genug an dem dichtbewaldeten Ufer – landete ich und trocknete vor allen Dingen meine Kleider, denn ich wollte mich nicht der Gefahr aussetzen, krank zu wenden.

Den Rest meiner Lebensmittel verzehrte ich an diesem Abend, und da ich mich nicht aufhalten wollte, zu jagen, und auf dem Fluß nichts erlegen konnte, hoffte ich jetzt wieder auf ein bewohntes Haus zu stoßen, die indessen außerordentlich dünn gesät schienen. Ich fuhr auch den ganzen Morgen, ohne eine menschliche Wohnung anzutreffen, ausgenommen mittags, wo ich an einer kleinen, im Walde versteckten Hütte vorübergefahren war, ohne sie bemerkt zu haben, und nun, wie ich sie zufällig hinter mir entdeckte, nicht gegen die Strömung dahin zurückkehren wollte, ja eigentlich nicht einmal konnte. Es mochte vier Uhr abends sein, und ich war indessen entsetzlich hungrig geworden. Das scharfe Rudern den Tag über diente auch nicht dazu, meinen Appetit zu schwächen, als ich plötzlich, gar nicht weit von mir, am linken Stromufer eine größere offene Farm mit fünf oder sechs Gebäuden erkannte und jubelnd begrüßte. Dort waren Menschen, wenn auch gerade kein Rauch aus dem Schornstein aufstieg. Am Ufer lief ein schwarz und grau gestreifter Hund umher und gackerten ein Dutzend Hühner, und neben der Fenz standen ein paar Kühe, die wahrscheinlich nach Hause gekommen waren, um gemolken zu werden. Der ganze Platz sah, als ich mich ihm rasch näherte, freundlich und reinlich aus, und das Ufer lag hier auch bedeutend höher, als an dem übrigen Sumpfland und hob sich wohl 15 bis 18 Fuß zu den Häusern auf.

Der Hund bellte, als ich mit dem Bug meines kleinen Fahrzeuges an die kiesige, von blühenden, duftenden Weiden beschattete Landung der Farm stieß, wo ein kleines Boot angebunden lag, und ich nahm wieder mein Ruder mit hinauf, ihn mir von den Beinen zu halten. Das Kanoe band ich so lange an eine der Weiden. In dem Hause, dessen Tür offen stand, ließ sich aber niemand sehen, und als ich oben an die Schwelle trat und erst mit artig gedämpfter, dann endlich mit lauterer Stimme meinen »guten Abend« hineinrief, wurde mir keine Antwort. Nur der Hund bellte stärker und wedelte mit dem Schwanze, wie um anzudeuten, er wolle mir eigentlich nichts tun, sondern mir eher helfen, seine Leute, mit herbeizurufen, da er sich ebenfalls langweilte.

Ich ging jetzt an alle die verschiedenen Gebäude, trat endlich an die Fenz hinaus, die ein etwa fünf Acker großes urbar gemachtes und bestelltes Feld umschloß, und rief hier, so laut ich rufen konnte, um irgend jemanden der wahrscheinlich im Feld arbeitenden Leute herbeizuziehen – es war alles umsonst. Eine volle halbe Stunde kostbaren Tageslichts versäumte ich damit, auch nur wenigstens einen antwortenden Ruf herauszulocken, und die Stille und Öde des Platzes hatte wirklich etwas Unheimliches. Noch unheimlicher aber war mein Hunger, und ich hatte schon ein paarmal die Hühner mit mordlustigen Blicken betrachtet, ob ich nicht vielleicht eins von ihnen mit einem Stock werfen und mit ins Boot nehmen solle, um es den Abend am Feuer zu braten. Im Hause fand sich aber doch vielleicht ein Stück Maisbrot – wenigstens hineinsehen wollte ich einmal, ob sich nichts entdecken ließ.

Der Hund, mit dem ich mich inzwischen vollkommen befreundet, begleitete mich, und ich stieß, immer noch an der Schwelle stehen bleibend, die Tür des Wohnhauses etwas weiter auf, einen Überblick über das Innere zu bekommen.

Es ist ein höchst unbehagliches Gefühl, solcher Art einen fremden Raum zu betreten. Man weiß recht gut, man hat darin nicht das mindeste zu suchen, und ein plötzlich Dazukommender hätte Ursache zu dem schlimmsten Verdachte. Man setzt sich aller Gefahr und Unannehmlichkeit eines wirklichen Einbruchs ohne irgend eine schlechte Absicht aus. Das Herz klopfte mir wenigstens ebenso stark, als ob ich hätte wer weiß was Böses begehen wollen.

In dem Zimmer sah es übrigens entsetzlich unordentlich aus, Männer- und Frauengarderobe lag darin umhergestreut und zwei Betten standen mit den zurückgeworfenen und verschobenen Kissen eben noch so da, wie sie am Morgen verlassen waren – aber in der Ecke war, was ich suchte. Dort stand ein kleiner, mit einem Stück Moskitonetz überspannter Schrank; an solchen Plätzen heben die Bewohner der Backwoods gewöhnlich ihre Lebensmittel auf, und nachdem ich noch einmal in das leere Zimmer, diesmal ordentlich, hinein geschrien hatte, sowohl eines irgend dort Schlafenden, als meines eigenen Gewissens wegen, ging ich entschlossen, und ohne mich weiter nach rechts oder links umzusehen, auf den Schrank zu, öffnete ihn und fand – das Wasser lief mir im Mund zusammen – unter einem kleinen, ebenfalls mit Gaze überspannten Gestell einen noch unangeschnittenen, braungebackenen Kuchen von Maismehl und Kürbis, der von den glücklichen Eigentümern wahrscheinlich für ihr Abendbrot aufgehoben war. Die Leute hatten aber gefrühstückt – oder sie hätten den Kuchen nicht übrig gelassen – und außerdem jedenfalls Eier, gesalzenes Fleisch und andere gute Dinge, und ohne mich lange zu besinnen, hob ich die Gazeglocke, nahm den Kuchen heraus, legte dafür ehrlicherweise einen Vierteldollar unter, deckte boshafterweise die Glocke wieder über, schloß den Schrank, wie ich ihn gefunden, und verließ dann das Haus etwa gerade mit einem Gefühl, als ob ich den größten Raub begangen und jeden Augenblick dabei erwischt werden könnte. Ich hielt mich jetzt auch wirklich nicht mehr lange auf, band mein Kanoe los, stieg hinein, und hatte bald, lebhaft dabei an meinem Raube zehrend, die freundliche Farm aus Sicht verloren.

Eigentlich machte mir die Sache aber auch vielen Spaß, und ich malte mir im Geist das Erstaunen der rückkehrenden Leute aus, die hier, wahrscheinlich von jeder Verbindung mit der Welt abgeschnitten, aus ihrem Schrank heraus das Brot verschwunden sahen und keine Ahnung haben konnten, wo es hingekommen. Hoffentlich bemerkten sie den dafür hingelegten Vierteldollar nicht gleich.

»Wenn man nichts hat, gibt einem niemand etwas, wenn man vollauf hat, kommt's von allen Seiten«, ist eine allbekannte Thatsache. So schoß ich an demselben Abend eine wilde Gans, die mit ihrer Gesellschaft über meinem Kanoe hinstrich, und hatte jetzt wieder Lebensmittel genug.

Nichts ist übrigens zäher auf der weiten Gotteswelt, als der Flügel einer alten wilden Gans – und die meinige war eine alte. Man kann eine Viertelstunde darauf kauen, und er wird immer dicker.

Am nächsten Abend erreichte ich gerade mit Dunkelwerden eine kleine Farm und beschloß, hier wieder einmal unter einem Dache zu übernachten. Überdies hatte sich der Himmel gegen Abend umwölkt und versprach Regen. Die Leute nahmen mich sehr freundlich auf, und ich erzählte ihnen unter anderem auch mein gestriges Abenteuer mit dem entführten Kuchen, bat sie auch, die Beraubten wissen zu lassen, wer es getan und weshalb es geschehen sei. Der Mann, bei dem ich übernachtete, lachte herzlich, ärgerte sich aber, daß ich den Vierteldollar dafür hingelegt. »Die Alte, die den Kuchen gebacken, sei ein wahrer Geizteufel und würde mit dem Vierteldollar jetzt noch glauben, ein gutes Geschäft gemacht zu haben.« – So sind die Menschen – hätte ich ihm den Kuchen mit fortgenommen, würde er sich über den Vierteldollar wohl schwerlich geärgert haben.

Der Mann schüttelte übrigens ganz bedenklich den Kopf, als ich ihm sagte, daß ich mit meinem Kanoe das Raft befahren wolle, und soviel hatte ich nun über dieses Raft gehört, daß ich ihn bat, mir endlich eine Auskunft darüber zu geben. Das tat er folgender Art:

Der Redriver ich ein entsetzlich reißendes Wasser, das die Ufer über- und unterwäscht und das Holz mit fortspült. Dabei tritt er sehr häufig über seine Ufer und wäscht dort ebenfalls mit fort, was er an heruntergefallenem oder windbrüchigem Holze findet. Bei solcher Überschwemmung ist die Hälfte des Flusses dann manchmal mit solchem Treibholz, ganze Bäume wie einzelne Äste und Stämme, bedeckt, und in früherer Zeit führte er alles dem Mississippi zu. Jetzt aber schon seit langen Jahren hat sich ein Teil des Holzes erst an den Seiten zwischen umgestürzten Bäumen gefangen, teils an Snags in der Mitte des Stromes gesammelt. Mehr und mehr blieb daran hängen, dichter und fester wurde dieser knorrige Damm, bis er sich endlich, da nichts geschah, ihn wieder zu öffnen, über den ganzen Strom ausbreitete und jetzt eine richtige Baumwand bildete, die alles auffing, was überhaupt den Fluß niederschwamm. Wie das nur erst einmal Festigkeit gewonnen hatte, wuchs es aber rasend schnell. Jedes Jahr setzte es mehr nach oben zu an und wurde tiefer, nach einiger Zeit erstreckte sich dies sogenannte Raft oder Floß wie es die Nachbarn jetzt nannten, schon meilenweit stromauf und füllte das ganze Bett, ja dämmte teilweis den Strom und zwang ihn sogar zuletzt, als es immer weiter und weiter hinauffraß, sich zum Teil einen Abfluß durch ein paar am rechten Ufer liegende Seen, Soda Lake und Clear Lake, zu suchen. Auf den in der Sonne bleichenden und aus dem Wasser ragenden Stämmen sammelte sich indessen mit den Jahren Sand, Laub, verwesende angeschwemmte Tiere, Erde von den Wurzeln usw. usw., und bildete mit der Zeit eine neue Humusdecke, auf welche die Baumwollenholzbäume ihren gefiederten Samen niederstreuten, und junge Schößlinge bald lustig auftrieben, grünten und blühten.

Wie der Mann behauptete, sollte diese Raft jetzt schon 40 Meilen lang sein, und wenn er da auch mag übertrieben haben, füllte es doch eine lange Strecke den Strom. Dadurch unterbrach es aber natürlich die ganze Schiffahrt des breiten und tiefen, dem Handel mit dem Binnenlande wunderbar günstigen Flusses, und die unternehmenden Amerikaner gingen ans Werk, die Raft zu durchschneiden. Mit Dampfern und Sägen und Äxten wurde begonnen und geschnitten, gehauen und gerissen, und im Lauf der Jahre wirklich ein breiter Kanal hindurchgearbeitet, der sich aber später wieder, wenn auch nicht so arg, verstopfte. Der war nun in letzter Zeit wieder geöffnet worden, und wie mir der Mann sagte, erwarteten sie in nächster Zeit ein Dampfboot hindurch, das ihnen Lebensmittel bringen sollte, wenn es eben nicht unterwegs verunglückt wäre. Diese brauchten sie überhaupt notwendig, da das Faß Mehl (etwa 180 Pfund) jetzt in den Staaten 3 Dollars galt, während sie es hier mit 22 Dollars bezahlen mußten.

Das klang nun allerdings sehr gefährlich, war aber nicht so arg, denn die 22 Dollars wurden in Arkansas-Banknoten bezahlt, und die standen damals mit 40 Prozent Diskonto. Immerhin betrug es aber noch 13 Dollars 20 Cents auf das Faß.

Übrigens versicherte er mir, daß ich kaum wagen könne, mit dem eben nicht besonders hoch aus dem Wasser gehenden Kanoe die Fahrt durch den gehauenen Kanal zu wagen, da die Strömung mit furchtbarer Gewalt hindurchschösse und der kleinste Zweig, auf den ich etwa träfe, das schwanke Fahrzeug umwerfen würde. Es sollte im vorigen Monat ein Bootsmann, der es auf dieselbe Art versuchen wollte, ebenfalls verunglückt sein. Außerdem gab es einen Weg, das Raft zu umgehen. Der Fluß hatte sich nämlich selber, wie schon vorerwähnt, durch eine Baio Bahn in einen See gemacht, der unter dem Raft wieder, gleich oberhalb des Städtchens Shrevesport, in den Redriver einmündete. Wenn ich dort einliefe und den Weg fände, könnte ich die höchst gefährliche Stelle umgehen.

Das war so weit ganz gut, »wenn ich den Weg fand«, aber wenn nicht, konnte ich einen Monat in all den kleinen Buchten und Baios herumfahren, die in solche Seen gewöhnlich münden und bald hier, bald da mit überstürzten Bäumen verstopft sind. Ich zerbrach mir jedoch nicht lange den Kopf damit, sondern beschloß, meine künftige Bahn eben dem Zufall und einem weiteren Bericht über das Raft zu überlassen, den ich mir, wie der alte Mann sagte, an einem dicht über demselben liegenden Hause, wo überdies die Baio in den Soda Lake abging, holen konnte.

Am nächsten Morgen war ich wieder früh unterwegs, und nach herzlichem Abschied von meinem Wirt, der das mir gestattete Nachtlager unter keiner Bedingung bezahlt nehmen wollte, ging es aufs neue die alte Bahn stromab.

Der Fluß war die Nacht wieder um einige Zoll gestiegen, und eine Masse Treibholz füllte die eigentliche Strömung an manchen Stellen so an, daß ich daneben hinfahren und es manchmal sogar kreuzen mußte, um nicht zu tief an die Uferbank getränkt und vielleicht unter einen Baum geworfen zu werden. Mehrere Male entging ich dabei nur mit genauer Not dem Umschlagen und sah immer mehr ein, daß eine Fahrt bei dem jetzigen Wasserstande durch einen so engen Kanal, wo sich die niedertreibenden Stämme überall anstießen, höchst gefährlich, ja vielleicht unmöglich werden würde.

Dieselbe Bestätigung wurde mir in dem letzten Hause. Der Mann dort benachrichtigte mich aber zu gleicher Zeit, daß ein Flatboot, das einige Tage an seinem Hause gelegen hätte und Baumwolle stromab führte, erst an diesem selben Morgen dort eingelaufen sei, und wenn ich ein wenig zuruderte, müßte ich es noch einholen, ehe es aus dem Hauptkanal in einen andern einlaufen könne.

Dem Rat folgte ich, kaufte mir hier einige Lebensmittel, um nicht genötigt zu sein, mich unterwegs mit der Jagd aufzuhalten, und lenkte dann getrost in das rechtsabführende schmale Fahrwasser ein, das mich bald, dicht unter überhängende Weiden und Sykomoren hin, in eine ganz andere Szenerie einführte. Die Strömung war hier weit schwächer, das Ufer auch nicht so schroff und abgerissen, und das graue hängende Moos, der sogenannte »spanische Bart«, begann sich schon zu zeigen. Mir war es damals noch neu, und die Bäume bekamen dadurch, wie mir schien, ein wunderbar ehrwürdiges, stattliches Aussehen.

Ich hielt mich übrigens nicht lange mit Naturbetrachtungen auf, denn jetzt lag mir vor allen Dingen daran, das Flatboot in Sicht zu bekommen. Das geschah jedoch früher, als ich selbst erwartet hatte, und zwar hörte ich es eher, als ich es sah, da die Leute an Bord mit den langen eingelegten Rudern, sogenannten »Finnen« arbeiteten, das schwerfällige Boot in der Strömung zu halten und die hier und da überhängenden Bäume zu vermeiden.

Ich hatte im Anfang die Absicht gehabt, nebenher zu fahren, bis wir die Seen durchschifft hätten; die Leute aber, die kaum hörten, daß ich mit ihnen einen Weg ging, luden mich freundlich ein, zu ihnen an Bord zu kommen und mein Kanoe neben das ihre hinten anzuhängen. Das tat ich.

Es war ein »Kapitän«, wie sich der Eigentümer nennen ließ, und ein »Volk« von vier Mann an Bord des Flatbootes. Diese Flatboote sind große, länglich viereckige, unbehilfliche Kästen, nur berechnet, mit der Strömung den Fluß hinabzugehen, während sie nur äußerst schwer durch ihre weit ausgreifenden Finnen, gegen welche die Leute an Bord mit den Schultern pressen, regiert und vorwärts getrieben werden können. Ein ähnliches Steuer, wie die Finnen sind, ist hinten angebracht.

Wie ich bald merkte, war den Leuten meine Ankunft ganz erwünscht, da sie dadurch eine Hand oder vielmehr eine Schulter mehr an Bord hatten, ihnen durch das fast stille Wasser der Seen rudern zu helfen, und da sie mich zu ihren Mahlzeiten einluden und mich ganz wie zu ihnen gehörig betrachteten, dachte ich natürlich auch gar nicht daran, ihnen meine Arbeit zu weigern.

Hier hatte ich Zeit, den Wald näher in Augenschein zu nehmen, denn die Baio, der wir folgten, war an manchen Stellen kaum 20 Schritt breit. Er bestand meist aus Zypressen, Sykomoren und Weiden dicht am Ufer und Baumwollholzbäumen. Hier und da stand ein Pekannußbaum dazwischen, und an manchen Stellen wuchsen dichte Gruppen von Sumpfeichen. Überhaupt schien das Land hier vollkommen flach, ja zum größten Teil Sumpf zu sein, wenn es nicht, wie jetzt, bei dem hohen Wasserstand, überschwemmt war. Unterholz wuchs nur wenig, Sassafrasbüsche und grüne Dornen ausgenommen.

Die Leute selber waren zusammengewürfeltes Volk, wie man sie in keinem Lande der Welt in so toller Mischung findet, wie gerade in dem westlichen Teile der Vereinigten Staaten. Der »Kapitän« schien mir der Aufseher einer Plantage, vielleicht ein Unteraufseher oder sogenannter »Negertreiber« zu sein. Einer der Leute an Bord war ein Jäger und Fallensteller aus den Felsengebirgen, der das wilde Leben dort oben satt und wahrscheinlich eine Hand voll Dollars für gelöste Felle bei sich hatte, die er in der Wildnis nicht so gut und rasch los werden konnte. Er war zum Redriver gekommen, diesen ebenfalls wie ich in einem Kanoe hinab zu gehen, als er das Boot traf, auf das er sich verdingte, und solcher Art nicht allein Passage fand, sondern noch Geld dazu verdiente. Zwei andere hatten mit an dem Raft gearbeitet und nachher Vieh auf eine Plantage getrieben, von wo aus sie der Aufseher in Dienst nahm, und der vierte, der ein böses finsteres Gesicht und sehr wahrscheinlich schon weit mehr erfahren hatte, als er gern eingestehen mochte, behauptete, er sei ein Farmerssohn aus Louisiana und mit einer Herde Maultiere hier heraufgekommen. Dieser hielt sich auch ziemlich abgesondert von den anderen und blieb mürrisch und in sich gekehrt. Das einzige, was ich ihn die Tage lang, die ich an Bord verbrachte, reden hörte, waren auch nur die entsetzlichsten Gotteslästerungen, mit denen er, bei dem geringsten Hindernis in der Fahrt, rasch bei der Hand schien. Daß er das Boot selber verdammte und auf den Grund des Flusses wünschte, geschah des Tages wohl fünfzigmal.

Noch denselben Abend liefen wir in den Soda Lake ein. Ich hatte mir allerdings eine andere Idee von diesem sogenannten See gemacht. Es war in der Tat eine weite, vielleicht vier, fünf oder mehr Meilen breite Wasserfläche, aber sonderbarerweise bewaldet. Durch den ganzen See standen nämlich einzeln zerstreut, und nur hier und da in Gruppen zusammen, hohe stattliche Zypressen, viele davon abgestorben, manche aber noch lebendig, und wie eine breite Fahrstraße zog sich ein offener Kanal hindurch. Wahrscheinlich lag bei niederem Wasserstand der größte Teil dieses Sees trocken, und die offenen Stellen bezeichneten nur die Stellen, wo fortwährend Wasser stand.

Die Nacht banden wir das Flatboot an einem der Bäume fest, da sich im Dunkeln zwischen diesem Holze nicht fahren ließ. Nicht weit von uns hatte ein Adlerpaar – der weißköpfige Adler, den die Vereinigten Staaten zu ihrem Sinnbild genommen – sein Nest, ein riesiges Gebäu von dürren Zweigen, das oben im Wipfel einer Zypresse lag. Die Brütezeit hatte allerdings noch nicht begonnen, aber wir sahen die stattlichen Vögel doch in der Nähe, und sie bäumten, wenig Notiz von uns nehmend, etwa 1000 Schritt entfernt, auf einer andern Zypresse für die Nacht auf. Der Jäger von den Felsengebirgen nahm, als es anfing dunkel zu werden, seine Büchse und ein Kanoe und suchte sich in Schußnähe anzurudern, die schlauen Tiere waren aber nicht so leicht zu überlisten und flogen mit schwerem, langsamem Flügelschlag davon, um einen sicherern Platz für ihre Nachtruhe zu finden.

Am nächsten Morgen nahmen wir mit der ersten Dämmerung unsern Weg wieder auf. Noch nie war mir dabei der eigentliche Wuchs der Zypressen so aufgefallen, wie gerade hier, wo sie einzeln im Wasser standen. Der schlanke, prächtige Stamm derselben beginnt eigentlich erst 8 bis 10 Fuß, oft noch höher, vom Boden, in dem sie wurzeln, und ein Stamm, der in dieser Höhe 2 oder auch nur 1 Fuß im Durchmesser hat, mißt dicht über der Erde vielleicht 12, also im Umfang 36 Fuß und bildet solcher Art eine ganz ordentliche, spitz auflaufende Holzpyramide, aus deren oberster Spitze der Stamm schlank und gerade wie ein Rohr emporsteigt und 80, ja 100 und oft mehr Fuß vom Boden die ersten Zweige gerade ausreckt. An einigen seichten Stellen im See, die wir von da, wo wir fuhren, erkennen konnten, und wo das Wasser vielleicht eben nur den Boden deckte, sah das besonders merkwürdig aus, denn es schien fast, als ob der Baum mit seiner breiten Wurzelunterlage auf dem Wasser schwämme und jeden Augenblick, von dem geringsten Luftzug getroffen, umschlagen könne. Dabei machen die übrigen Wurzeln desselben, anstatt wie die anderer anständiger Bäume ruhig unter der Erde fortzulaufen und sich damit zu begnügen, ihrem Stamm zur Stütze zu dienen, allerlei wunderliche Seitenkapriolen und steigen fast wie kleine Fontänen gerade aus der Erde empor, um oben, wie fallendes Wasser, wieder scharf umzubiegen und gerade da wieder einzuwachsen, wo sie herausgekommen sind. Dadurch bilden sie über der Erde ein sogenanntes Knie und haben auch Ähnlichkeit damit, indem sie oben an der Spitze die rötliche, rund überspannte Rinde fast wie ein Menschenknie zeigen. An manchen Stellen, besonders in den Sümpfen drin, stehen diese »Cypress knees«, wie sie genannt werden, zu Hunderten von 3 bis 12 und 18 Zoll aus dem Boden heraus, und machen das Fortkommen zwischen ihnen, besonders in der Dunkelheit, unendlich schwierig. Manchmal schießen sie aber auch bis zu 8 und 10 Fuß empor, mit 12 und 18 Zoll unten im Durchmesser.

Unser »Kapitän« war schon früher ein paarmal durch diese »Seen« gefahren und kannte, wie er behauptete, das Wasser genau. Das Adlernest war eins seiner Merkmale, ein Dampfboot-Wrack, das am Einlauf in den Clear-Lake lag, ein anderes. Es scheint, daß in früherer Zeit einzelne kleine Dampfboote versucht hatten, das Raft durch diese Seen zu umgehen und mit dem obern Teil des Stromes in Verbindung zu treten; gerade die Zypressenknie, wie andere verborgene Wurzeln und umgefallene Stämme sind aber einer solchen Fahrt sehr gefährlich, und wie uns unser Führer versicherte, sei es auch mit einem Flatboot nur bei sehr hohem Wasserstand geraten, hier durchzugehen.

In den Clear-Lake (Klar-Wasser-See) liefen wir ein, als ob wir mitten ins Holz hineinführen. Die Zweige der überhängenden Weiden schlugen uns von beiden Seiten aufs Boot, und wir konnten die Finnen gar nicht gebrauchen. Doch ging eine schwache Strömung hier, die uns, wenn auch langsam, doch forthalf. Den Namen »Klar-Wasser-See« verdankte dieser ebenfalls durchaus mit Zypressen durchwachsene Wasserspiegel übrigens wohl einem niederern Stand oder einer andren Zeit, als das Raft noch nicht den schmutzig roten Redriver hier hindurchführte, denn die Flut war, wenn auch nicht so rot wie im Strom, doch ebenfalls schmutzig und undurchsichtig.

Über Mittag, als wir uns mitten im Clear-Lake befanden und ich eben meine Beobachtung über verschiedene Alligatorenköpfe machte, die rings um uns her aus dem Wasser schauten und genau wie schwimmende Stücke schwarzgebrannten Holzes aussahen, warf der eine der Leute, der Jäger aus den Felsengebirgen, plötzlich ganz ruhig und unbekümmert seine Kleider ab und machte Anstalt, sich zu baden. Ich glaubte erst, er hätte die Alligatoren nicht gesehen, und sprang rasch auf ihn zu, ihn zu verhindern; aber er lachte und meinte, das wären ganz gute und vernünftige Burschen, die keinem weißen Mann etwas zuleide täten – er sei oft zwischen ihnen umhergeschwommen.

Ich muß gestehen, mir war gar nicht wohl zu Mute, als ich den Mann wirklich ganz unbekümmert ins Wasser springen sah. Mit Zagen beobachtete ich auch die, wie ich glaubte, gefährlichen Tiere in seiner Nachbarschaft und fürchtete jeden Augenblick, sie würden auf ihn zuschwimmen und ihn angreifen. Er mochte das merken, denn er drehte jetzt plötzlich die Sache um und schwamm selber auf den ihm nächsten Alligator zu. Die übrigen riefen ihn an, davon abzulassen, aber er kehrte sich nicht daran, und der Alligator schien etwas erstaunt über das kühne Menschenkind, denn wir konnten deutlich erkennen, wie sich der scharfe, zugespitzte Kopf ihm zudrehte. James, wie der junge Mann hieß, kannte aber seine Leute, und als er etwa noch 5 oder 6 Schritt von ihm entfernt war, verschwand der Kopf plötzlich unter Wasser, und der Alligator zog es vor, dem Begegnen friedlich aus dem Wege zu gehen. Noch mit drei oder vier anderen versuchte er es ebenfalls, die sämtlich untertauchten und nach einiger Zeit weiter entfernt wieder zum Vorschein kamen. Der Klügste gibt nach.

Dadurch wurde ich aber auch kühn gemacht; das Wasser sah überhaupt verlockend genug aus, und wenn auch die übrigen unserem Beispiel nicht folgen mochten, schwamm ich doch bald an James' Seite und hatte dadurch seine volle Hochachtung gewonnen.

Einige Schwierigkeit hatte es für uns an dem Nachmittag trotz unseres Kapitäns ausgesprochener Kenntnis des Fahrwassers, die richtige Baio zu finden, die uns wieder in den Redriver führen sollte, und wir sahen uns genötigt, das Flatboot festzubinden und mit beiden Kanoes nach verschiedenen Richtungen hin das Wasser zu untersuchen. Endlich fanden wir den richtigen Platz, den unser Führer an einem alten indianischen Lager erkannte. Ein Stamm der Choktaws hatte dort, wie er uns erzählte, vor einigen Jahren einmal eine Zeitlang gelagert, gefischt und gejagt, und hier und da standen noch einige halb verbrannte und rauchgeschwärzte Zeltstangen.

Das Land wurde da bedeutend höher, und hier und da konnten wir schon kleine offene Prärien, natürliche Wiesen, durch die lichter werdenden Bäume erkennen. Auch Zeichen von Kultur wurden sichtbar: Fenzen und urbar gemachtes Land, und gegen Abend erreichten wir eine große und, wie es schien, ziemlich bedeutende Baumwollenplantage, mit einem bequemen Wohnhaus für den Eigentümer, einer Zahl von regelmäßig gebauten Negerhütten für die Sklaven und einer sogenannten Baumwollen-Gin oder Mühle, den Samen aus den wolligen Hülsen zu befreien und die Baumwolle zu reinigen. Dicht daneben war ein Berg von vielleicht 20 oder 25 Fuß Höhe von reinem Baumwollensamen aufgeschüttet, der hier, wo er lag, verfaulen mußte und nicht einmal zum Dünger verwendet wurde. Und doch läßt sich aus diesen Kernen ein vortreffliches, sehr reines Öl gewinnen, das sich besonders gut zu Malerfarben verwenden lassen soll. Mit einer hydraulischen Presse könnte dort viel Geld gewonnen werden, denn wo besonders viel Baumwollenplantagen in der Nähe sind, ist der Samen um nichts oder doch um nur geringen Preis zu bekommen.

Mir tat es wohl, wieder einmal offenes, sonniges Land betreten zu können, und der Anblick der reizenden Prärien machte mir besondere Freude. Sie waren im Winter, als das gelbe hohe Gras noch darauf stand, abgebrannt worden, und jetzt trieb der Frühling das wundervollste saftige Gras und kleine allerliebste Blumen daraus hervor. Die letzteren zeigten aber kaum erst die frühen Knospen, und die ganze Decke war noch ein einziges prachtvolles Grün. Berge waren aber auch hier nirgends zu sehen.

Der Plantagenbesitzer gehörte zu den reichsten Leuten dieses Distriktes und hatte einige hundert Sklaven, die er übrigens, wenn das alles wahr ist, was uns der Kapitän darüber erzählte, entsetzlich streng und selbst grausam behandelte. Ein paar »Tatsachen« – wie uns dieser zuschwor – berichtete er dabei, und mir schauderte die Haut, wenn ich es möglich glaubte, daß Menschen solcher Bosheit fähig wären. Was er getan haben sollte, ist aber wirklich so schrecklich, daß ich es hier nicht einmal wieder erzählen mag.

Den südlichen Sklavenbesitzern ist leider eine viel zu große Gewalt über ihre Sklaven, die doch nun einmal Menschen sind, eingeräumt und selbst von den Gesetzen des Landes zugestanden. Das Gesetz schützt die Sklaven allerdings gegen zu große Willkür oder Grausamkeit; solche muß aber vor dem Gesetz bewiesen werden können, und wie soll das geschehen? – Ein Schwarzer kann, diesem Gesetze nach, nicht gegen einen Weißen zeugen, und ein Weißer ist nur in sehr seltenen Fällen Zeuge, und tritt selbst dann nicht, wenn er nicht unabhängig zwischen diesen Leuten lebt, oder vielleicht ein Fremder ist, gegen sie vor Gericht. So geschieht es denn, daß die meisten solcher Grausamkeiten selbst den Richtern vollkommen gut bekannt sind, niemand aber dagegen einschreitet, weil eben der Kläger fehlt oder nicht gestellt werden kann.

Ich kenne nur einen Fall in Louisiana, wo ein Weißer wirklich vor Gericht gezogen und verurteilt wurde, im Gefängnis seine Tat zu büßen, und dieser hatte sich solche ausgesuchte scheußliche Grausamkeiten gegen verschiedene seiner Neger zu Schulden kommen lassen, und es wurde so viel, selbst von den benachbarten Pflanzern darüber gesprochen, daß man es nicht gut mehr ruhig hingehen lassen konnte. Derselbe Bursche, ich habe leider seinen Namen vergessen, hatte auch schon mehrere Weiße im Streit erschossen, und zwar, wie man sich dort ganz unverhohlen erzählte, aus der Tasche heraus. Er trug nämlich fortwährend ein geladenes Terzerol in der rechten Hosentasche und hatte, während er mit jemand Streit bekam, anscheinend ganz ruhig die Hände in den Taschen, wo er sein Terzerol heimlich spannte und ungefähr richtete, und in beiden Fällen sein Opfer durch den Leib schoß. Auch hierin war er den Gesetzen, Gott weiß wie, entgangen, und als ich ihn sah, lief er wieder frei unter Gottes Sonne umher, auf neue Untaten sinnend.

Es war gegen Abend, als wir endlich wieder in stärkere Strömung kamen und damit den in den Redriver einmündenden Hauptkanal erreichten, in den auch die anderen Baios sämtlich einmündeten. Das Ufer lag hier etwa 5 Fuß über dem jetzigen Wasserstand, aber nicht wenig erstaunte ich, als ich das linke Ufer der Baio, gerade an der Spitze, die sie mit dieser und dem Redriver bildete, beschneit fand. So wenigstens sah es ganz genau aus. Als wir aber näher kamen, erkannte ich, daß es Baumwolle sei, die hier den Boden fast im Umfang eines Ackers so dicht wie Schnee bedeckte. Unser »Kapitän« erzählte uns, daß vor einigen Jahren ein mit Baumwolle geladenes Flatboot an der Spitze dort verunglückt sei – der Fluß hatte damals 6 Fuß höher gestanden, und die Baumwolle war, beim Fallen des Wassers, über den Boden gewaschen worden und nun nicht mehr zu gebrauchen.

Dicht unter der Mündung lag Shrevesport, ein kleines unansehnliches Städtchen mit hell angemalten, großen viereckigen Vorderseiten der Häuser, hinter denen ein kleines, winziges Ding von einer Bretterbude versteckt lag. Riesige Buchstaben kündeten dabei die verschiedensten Waren und Produkte in den sogenannten Kaufläden an, und kam man hinein, so war fast nichts darin zu bekommen, als spirituöse Getränke und ein Spiel Karten – abends wohl auch ein Messerstich oder eine Pistolenkugel. Jetzt mag sich der Ort geändert haben, damals stand er jedoch seiner Spieler- und Räuberbanden wegen in dem schlimmsten Ruf, den sich ein junges, neues Städtchen nur wünschen kann.

Wir landeten hier, und ich selber beschloß, mir einige Zehrung zu kaufen und von hier aus, wo ich von dem hinter mir liegenden Raft nichts mehr zu fürchten hatte, meine Fahrt wieder rasch und ungestört in meinem Kanoe fortzusetzen. Unsere Flatbootleute waren ebenfalls an Land gegangen, da der »Kapitän« Geschäfte am Ufer hatte und gleichfalls erst morgen früh von da wieder aufbrechen wollte. Des vielen Treibholzes wegen konnte er überdies nicht gut in der Nacht fahren, und ich ließ mich verleiten, mit ihnen eine der verschiedenen »Groceries« zu besuchen, in denen schon, als wir das Haus betraten, in einer der Hinterstuben stark gespielt wurde.

Ich selber bin kein besonderer Freund von starken Getränken; nach so langer Zeit, in der ich nichts Ähnliches hatte bekommen können, und nach dem vielen Schlammwasser, das ich hatte trinken müssen, tat es mir aber, wie ich glaubte, wohl, einmal wieder etwas Pikantes zu kosten und »einen andern Geschmack in den Mund zu bekommen«. Der Kognak, den sie feilhielten, war indessen so nichtswürdiger Art, aus Spiritus und Schwefelsäure zusammengesetzt, daß er mir fast die Kehle verbrannte. Ich begnügte mich von da an mit der Beobachtung meiner Umgebung, ohne selber teil an den weiteren Genüssen dieses Orts zu nehmen, und betrat vor allen Dingen das Spielzimmer, einen hölzernen Verschlag, absichtlich vielleicht nur durch eine trübe Öllampe erleuchtet, in dem etwa zwanzig oder fünfundzwanzig Menschen um einen runden Tisch gedrängt saßen und standen. Auch der finstere »Farmers-Sohn« vom Flatboot hatte seinen Platz schon eingenommen und schien dort auch weit mehr zu Hause zu sein, als bei irgendeiner Arbeit.

Das Spiel, das gespielt wurde, war das sogenannte Pokern – wenn ich nicht irre, das einzige in den Vereinigten Staaten gestattete oder noch nicht ausdrücklich verbotene Hasardspiel. Es hat Ähnlichkeit mit unserm deutschen Sequens und besteht in einem Überbieten und Wetten. Wer z. B. drei Buben hat, wettet darauf und setzt einen Satz, der andere, mag er nun haben, was er will, darf höher bieten, d. h. setzt mehr Geld hinzu. Glaubt der nun mit den drei Buben, daß seine Karten besser sind und der Gegner nicht etwa drei Könige hat, so setzt er wieder höher, bis einer von ihnen es aufgibt, dann zieht der andere den Satz ein, und wenn er nicht einmal eine Folge in der Hand hätte, ja er braucht seine Karten nicht einmal zu zeigen. Nur wenn sie fortsetzen, bis sie sich vereinigen, werden die Karten aufgelegt, und wer die besten hat, gewinnt. – Das wäre nun so weit ein ganz ehrliches Spiel, wenn es eben ehrlich gespielt würde. In den Vereinigten Staaten aber – und ich weiß nicht, inwieweit sich das auch auf andere Länder, in denen Hasardspiele ohne die geeigneten Vorkehrungen getrieben werden, ausdehnen läßt – sind fast alle die Spiele auf reinen Betrug berechnet, und nicht der Glücklichste, sondern Geschickteste, wie sie sich ausdrücken, gewinnt. Es bestehen in der Union wirkliche Fabriken, die sich fast ausschließlich mit der Anfertigung von falschen Karten beschäftigen, Karten nämlich, die auf der Rückseite in dem angeblich unordentlich durcheinander geworfenen Muster der Sterne, Wasserlinien oder Punkte feste, den Spielern wohlbekannte Gesetze befolgen, und also die Karte auf der Rückseite für den Eingeweihten ebenso kenntlich machen wie auf der eigentlichen Fläche. Außerdem werden noch alle möglichen Kunstgriffe und diese nicht selten so plump angewendet, daß ich, als ganz uninteressierter Zuschauer, zu meinem Erstaunen merkwürdige Entdeckungen machte. Mein »Farmers-Sohn« nämlich, dessen Name Bob (Robert) war, behielt, wie mir bald nicht länger entgehen konnte, da ich ihn besonders scharf im Auge hatte, regelmäßig ein oder zwei Karten auf seinem Schoße und damit natürlich mehr Aussicht, ein »Volles« zu bekommen, wie mit den gewöhnlichen fünf ihm zugeteilten. Außerdem schien er noch ein ganz einträgliches Geschäft mit seinem Nachbar zu treiben, da sich die beiden gegenseitig zusteckten, was sie brauchten. Einmal, als er wieder etwas Ähnliches ausgeführt hatte und sich doch vielleicht nicht ganz sicher glaubte, drehte er den Kopf halb zur Seite und begegnete dabei meinem fest auf ihm haftenden Blick. Er schien jedoch dadurch nicht im geringsten außer Fassung zu kommen, sondern blinzelte mir nur mit dem linken Auge zu und – betrog weiter.

Ich hatte jetzt genug gesehen und kehrte, da ich nicht in der Stadt schlafen mochte, auf das Flatboot zurück, auf dem sich meine Sachen noch befanden. Hier kam ich dem einen der Leute, der als Wache hatte darauf bleiben müssen, gerade recht, denn trotzdem daß ihm die Aufsicht des Bootes – an solch einem Ort wirklich kein müßiges Geschäft – anvertraut worden, bat er mich, seine Stelle zu übernehmen, da er selber gern ein wenig an Land gehen und sein »Glück« da oben versuchen wolle. Ich sagte ihm allerdings, was ich davon gesehen, und warnte ihn wohlmeinend, aber er lachte und meinte, so klug wie die anderen wäre er auch.

Ich machte mir mein Lager, mit meiner geladenen Flinte neben mir, auf dem Verdeck und glaubte mich nicht ohne Grund hier weit mehr gefährdet, als mitten im Walde drin oder zwischen den Alligatoren. Überfälle waren sogar in der letzten Zeit ziemlich häufig vorgekommen, und Diebstahl und Einbruch gehörten in Shrevesport zu den alltäglichen Tagesneuigkeiten. Nichtsdestoweniger blieb das Boot unbelästigt. Mitten in der Nacht hörte ich einmal einen Schuß und wüstes Geschrei und Fluchen vom Lande her, dann war alles wieder still, und um zwei Uhr etwa kam der Bootswächter zurück. Er schien übrigens sehr kleinlaut und gestand mir endlich, daß sie ihn vollständig gerupft hätten. Sein ganzes Vermögen bestand freilich nur in 8 Dollars Arkansas-Geld.

Ich fragte nach dem Schuß.

»Ah – Unsinn!« brummte er, »sie erwischten den einen beim Betrügen, und so ein lumpiger Yankee wollte Skandal anfangen; sie haben ihn aber ein bißchen durch die Schulter geschossen, und nachher war er zufrieden.«

Mit Tagesanbruch, wo die übrigen Leute des Flatbootes noch nicht zurückgekehrt waren, schiffte ich mich wieder in meinem Kanoe ein, band es los und steuerte, Shrevesport mit all seinen Verbrechen den Rücken kehrend, stromab.

Der Redriver zeigte hier einen ganz andern Charakter als oben, oberhalb des Rafts, denn wenn auch noch Wald in ungeheuern unbebauten, ja unberührten Strecken an seinem Ufer lag, wurden die Farmen und Pflanzungen doch hier schon weit häufiger. Höchstens brauchte ich immer nur ein paar Meilen zu fahren, um wieder den blauen Rauch einer Hütte zwischen den dunkeln Bäumen und den weißen Sykomoren herausschimmern zu sehen.

Je weiter ich nach unten kam, desto belebter wurde der Strom, und gegen Abend sah ich sogar wieder ein kleines Städtchen, fühlte aber nicht das geringste Bedürfnis, dort zu landen. Es wurde jetzt dunkel, und ich fing an mich nach einem Lagerplatz für die Nacht umzusehen. Um so weit als möglich dabei von der Stadt entfernt zu sein, beschloß ich nach dem andern Ufer zu halten, und näherte mich eben dem schon düster werdenden Walde, als ich etwas vor mir im Wasser treiben sah, das kein Holz schien. Da ich nicht viel aus meiner Richtung zu fahren brauchte, um daran vorbeizukommen, ruderte ich darauf zu. Es war hell und schwamm mit der Oberfläche des Wassers gleich. Ich stieß mit dem Ruder darauf, und es fühlte sich weich an, tauchte auch dadurch etwas unter, und wie es wieder nach oben kam und durch das Aufsteigen ein wenig über die Oberfläche stieg, erkannte ich – mir wurde ganz unheimlich dabei zu Mute – einen menschlichen Leichnam, der hier, mit dem Rücken nach oben, Kopf, Arme und Beine nach unten hängend, langsam und schwerfällig vorbeitrieb. Jetzt bemerkte ich auch eine breite häßliche Wunde im Rücken der Leiche. Welche dunkle Tat war hier geschehen? – War es vielleicht eine abgeschüttelte faule Frucht des erst verlassenen Shrevesport? – Mir war aber dadurch die Lust zum Landen vergangen, und da der Mond heute zum erstenmal sein freundliches Licht voll auf den Strom goß, beschloß ich, wenn auch nicht die Nacht durch, doch wenigstens so lange zu fahren, als ich eben das Ruder regieren konnte, der neben mir treibenden Leiche nicht wieder zu begegnen.

An Nachitotches kam ich am nächsten Tage vorbei. Hier sah ich zum erstenmal wieder steinerne und ansehnliche Gebäude, wie die Bank und mehrere andere. Hier auch lagen mehrere Dampfboote, unter ihnen der Blackhawk, der seine erste Tour durch das Raft machen sollte. Er hatte Mehl, Salz und andere Produkte für die Farmer geladen und war bestimmt, Baumwolle dafür zurückzubringen.

Am dritten Tage von hier aus erreichte ich endlich die Mündung des Redriver in den Mississippi – ein wilder, bösartig aussehender Platz, denn die rote Flut quoll hier in furchtbarer Gewalt über das niedere Land der mit Weiden und Baumwollenholzbäumen bewachsenen Landspitze und schaukelte und warf die Wipfel der Büsche hin und her, als ob sie ärgerlich wäre, daß sie es wagten, ihr Widerstand zu leisten. Der Redriver ist hier nicht so breit, aber wohl ebenso tief wie der »Vater der Wasser«, der Mississippi, und scheint trotzdem in den gewaltigen Strom zu fließen, als ob er im Ozean verschwände, so wenig Einfluß übt er auf ihn aus. Nur das überhaupt schon gelblich schmutzige Wasser färbt er an der Stelle, wo er sich mit ihm vermischt, etwas rot.

Da hatte ich endlich mein nächstes Ziel erreicht, und es war doch ein eigenes, fast beängstigendes Gefühl, mit dem ich mich mit meinem kleinen, schwanken Kahn auf die ungeheure Wassermasse hinauswagte. Das aber verlor sich bald. Der große Strom war auch viel ruhiger als der mehr zusammengedrängte Redriver, wenn er auch ebenso rasch floß, und frohen Mutes trieb ich mit dem Ruder den leichten Kahn rasch vorwärts.

Hier aber war anderes Leben als im Redriver, und ich erkannte bald die große Pulsader des mächtigen Reiches. Wohin das Auge schaute, konnte ich mit der Strömung niedergehende, schwerbeladene Flatboote erkennen, und alle Stunden fast begegnete ich einem Dampfboot oder wurde von einem überholt. Oft traf ich drei und vier zusammen an. Diesen aber mußte ich mich soviel als möglich fernhalten, und wo das nicht ging, später sogar einige Male ans Ufer flüchten, um nicht von den hochgehenden Wellen, die sie aufwühlten, versenkt zu werden.

Bei unseren europäischen Dampfschiffen ist es eingeführt – ich glaube sogar durch ein Gesetz – daß die Ruderplanken ihrer Räder nicht zu weit voneinander stehen dürfen, weil sie sonst das Wasser zu sehr beunruhigen und den Ufern durch das ewige Wellenanwerfen schaden. In Amerika bekümmern sich Gesetze und Boote dagegen verwünscht wenig um die Ufer, und wenn ganze Äcker davon abgerissen würden. Nur rasch von der Stelle kommen wollen sie, und diese riesigen Boote, die oft imstande sind, drei- und viertausend Ballen Baumwolle aufzuladen, müssen auch in der Tat tüchtig eingreifen können, die gewaltige Strömung des Mississippi zu stemmen. Die Wellen schleudern sie dabei nicht selten acht und zehn Fuß am Ufer empor, und selbst draußen im Strome, wo sie allerdings lange nicht so hoch gehen, haben sie doch noch Höhe und Wucht genug, einem Kanoe gefährlich zu werden.

Eine Strecke lang fuhr ich jetzt noch zwischen den waldigen Ufern hin, die nur hier und da von einzelnen Plantagen unterbrochen wurden; mehr und mehr aber wurde der Wald von urbar gemachtem Boden zurückgedrängt, und bald lief ich an dem wundervollen Pointe-Coupee vorbei, wo das ganze Land fast einem Garten ähnlich ist.

Ich setzte meine Fahrt bis zum nächsten Morgen ruhig fort. Gegen neun Uhr früh umwölkte sich der Himmel, und es fing an zu regnen, was ich weiter nicht beachtete, sondern nur die wollene Decke über mein Gewehr und anderes Gepäck legte. Ich befand mich dabei etwa in der Mitte des Stromes, als plötzlich ein Sturm losbrach, der mir im ersten Ansatz die Mütze vom Kopfe riß und dermaßen über das Wasser heulte, daß ich mich, wie ich die weggeflogene Mütze mir erst wiedergeholt, flach in das Boot legte, den ersten Grimm des Orkans austoben zu lassen. Unglücklicherweise kam derselbe stromauf, stemmte das Wasser und fing nicht allein an die Wellen aufzurütteln, sondern verhinderte mein Fahrzeug, auch nur den geringsten Fortgang zu machen. Der Sturm ließ nicht nach; schon spritzten mir hier und da die Spitzen der stärksten Wellen in das Kanoe, und ich mußte jetzt ernstlich Anstalt machen, das ziemlich ferne Ufer – denn das nächste war über eine halbe englische Meile entfernt – zu erreichen. Ich richtete mich deshalb wieder empor, griff mein Ruder auf und arbeitete jetzt aus Leibeskräften, indem ich den Wind ziemlich im Rücken behielt, schrägüber dem Lande zu, und zwar mehr stromauf als ab. Zweimal mußte ich dabei anhalten und das eingenommene Wasser ausschöpfen, und einmal wäre ich fast mit dem Boote umgeschlagen. Ich zog deshalb vor allen Dingen die heute anbehaltenen Wasserstiefel wieder aus, in denen ich keinesfalls hätte schwimmen können, und machte mich wirklich auf das Äußerste gefaßt, band auch mein Gewehr an das Kanoe fest, um es im schlimmsten Falle doch noch retten zu können. Es ging aber noch besser, als ich erwartet hatte, und nach etwa einer Stunde schwerer und angestrengter Arbeit erreichte ich eine Stelle, wohin der Wind nicht so heftig dringen konnte und das Wasser deshalb auch viel ruhiger war. Dort, wieder an einer längeren Strecke Waldland, lag ein kleines Holzfällerhaus, wie die am Ufer aufgeschichteten Klaftern bewiesen, und ein stromab kommendes Dampfboot hatte eben beigelegt, seinen Holzbedarf einzunehmen. Ich fuhr auf das Haus zu und landete in der Absicht, besseres Wetter abzuwarten; der Wind wurde aber eher noch heftiger, und draußen im Strom wälzten sich jetzt schon die weißbeschäumten Wellen fast wie auf offenem Meere.

Als ich so am Ufer stand und dem mir von früher wohlbekannten Leben und Treiben zusah, wie die Arbeiter und Deckpassagiere des Bootes die vier Fuß langen Scheite an Bord schleppten und das riesige Fahrzeug keuchend und schnarrend dabei lag, als ob es ungeduldig die Zeit der Abfahrt nicht erwarten könne, kam der Eigentümer des Holzes, ein echter amerikanischer Backwoodsman, auf mich zu. Er schien guter Laune, denn er hatte zu ziemlich hohem Preise und für »bar Geld« gerade vierundzwanzig Klaftern an das Boot verkauft und hielt das Paket Banknoten in der linken Hand, während er in der rechten eine vom Kapitän erhaltene Zigarre dann und wann zum Munde führte und ein paar Züge daraus tat. Hinter ihm her kam sein Sohn, ebenfalls mit einer brennenden Zigarre, und ich mußte lachen, als ich den kleinen Burschen sah.

Es war ein Junge von höchstens drei oder vier Jahren, etwas bleich, wie alle Kinder in den Sümpfen, aber sonst voll und gesund, ja fast stämmig. Sein Anzug entsprach übrigens auch seinen Bedürfnissen, Jacke und Hosen von blauem Baumwollenzeug aus einem Ganzen. Dabei trug er, wie das gewöhnlich bei Kindern seines Alters der Fall ist, das Vorhemdchen hinten heraus, nichtsdestoweniger aber ganz stolz vorn die brennende Zigarre, an der er manchmal mit einem halb ängstlichen, halb entschlossenen Gesicht zog und sie dann aus dem Munde nahm, das Feuer anzublasen. Er beschäftigte sich damit weit mehr als nötig, jedenfalls weit mehr, als ihm gut war.

Sein Vater redete mich an; seine erste Frage war, woher ich käme, und wohin ich wolle, seine zweite, ob ich das Kanoe nicht verkaufen möchte. Den Amerikanern ist alles feil in der Welt, ihre Familie vielleicht ausgenommen, und sie setzen demnach voraus, daß andere Menschen gegen einen verhältnismäßigen Preis ebenfalls hergeben, was sie eben haben. Sein Antrag kam mir übrigens ganz unerwartet, und seine Bemerkung dabei, ich hätte ja jetzt die beste Gelegenheit, mit dem Dampfboot nach New-Orleans zu kommen, zeigte mir die Sache in einem ganz neuen Lichte. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Der Sturm wurde auch eher heftiger, als daß er nachgelassen hätte, und in fünf Minuten war ich mit ihm handelseinig. Er brauchte gerade ein Kanoe, wie er mir sagte, hätte Geld in Hülle und Fülle bekommen und zahlte mir dasselbe dafür, was ich am Redriver gegeben hatte – 5 Dollars Arkansas-Geld.

Übrigens blieb mir da auch nicht ein Augenblick Zeit, länger zu zögern. Die Leute waren gerade mit dem Holzeinwerfen fertig geworden, die Glocke wurde geläutet, und als ich kaum meine Stiefel angezogen und mein Gewehr, Decke und Tasche an Bord getragen hatte, zogen die Matrosen oder Deckhands schon die Planken hinter mir ein. Das Boot arbeitete vorwärts, wendete dann langsam wieder um, den Bug stromab kehrend, und als ich noch einmal zurücksah, stand der Farmer am Ufer und winkte mit dem Hut herüber, und sein kleiner Sprößling stand noch neben ihm und schmauchte seine Zigarre.

Das Boot ging trotz des heftigen Windes, der sich erst gegen zehn Uhr abends legte, rasch stromab; am andern Tag hatten wir aber doch noch einen langen Aufenthalt an einer Zuckerplantage, wo eine Anzahl Zucker- und Sirupfässer und Baumwollenballen an Bord genommen wurden, so daß wir erst mit Dunkelwerden New-Orleans erreichten.

Es war das erstemal, daß ich New-Orleans betrat, und die große gewaltige Stadt machte, nach dem langen, einsamen Leben in der Wildnis, einen merkwürdigen Eindruck auf mich. Vor allen Dingen mußte ich aber meine Sachen unterbringen, und als ich ein paar an mir vorübergehende junge Leute Deutsch miteinander reden hörte, bat ich sie, mir ein deutsches Gasthaus in der Nähe zu bezeichnen. Wir standen nicht weit von einer Laterne, und sie betrachteten mich etwas erstaunt. Zu meinem wilden Aussehen mochte ihnen wohl die deutsche Sprache nicht recht passen, auch waren sie wohl kaum schon einmal richtig in den Wald gekommen. Ihrem sehr eleganten Äußeren nach mochten es junge Kaufleute sein. Nichtsdestoweniger beschrieben sie mir ziemlich freundlich den erfragten Platz.

Dort hatte ich indessen noch ein anderes Examen meines Äußeren wegen zu bestehen, denn der Ausschenker in der Wirtsstube vorn sah mich, als ich Nachtquartier verlangte, von oben bis unten – und dann wieder von unten bis oben an und schien endlich die Verantwortung, einem solchen Passagier Herberge zu geben, nicht allein übernehmen zu wollen. Er rief den Wirt herbei, der mich gleichfalls ziemlich geringschätzig betrachtete. Erst als ich grob wurde, glättete sich sein Gesicht etwas, er hielt das Licht an meine Flinte, unter dem Vorwand, zu sehen ob sie geladen wäre, eigentlich aber nur, um zu erfahren, ob er durch sie, im Fall ich ihm durchbrenne, für Nachtlager und Kost bezahlt würde, und da es ein ganz vorzügliches und sehr reich verziertes, wenn auch etwas mitgenommenes Gewehr war, was er bald erkannte, befahl er dem »Barkeeber«, mir eine Schlafstelle anzuweisen, und ließ mir dann, da das Abendmahl vorüber war, allein etwas zu essen geben. Die Flinte und meine Tasche gab ich ihm in Verwahrung, und als er das Gewehr in der Hand hatte, beruhigte er sich vollkommen.

Nach dem Essen machte ich noch einen Spaziergang durch die Stadt, und es war für mich ein unbeschreiblich wunderliches, aber auch wohltuendes Gefühl, wieder einmal Straßenpflaster unter den Füßen zu haben. Ebenso freute ich mich, die elegant aufgeputzten und glänzend erleuchteten Läden, die hellen, mit Gardinen verhangenen Fenster der Wohngebäude zu sehen, und es kam mir in der Tat vor, als ob ich ebenso viele Jahre als doch nur Monate der Zivilisation entrückt gewesen. Der Mensch ist nun einmal ein Gewohnheitstier, und was ihm von Jugend auf angehangen, schüttelt er nicht so leicht ab. Ja, er mag es eine Zeitlang vergessen, aber bei erster Gelegenheit zieht es ihn doch nur wieder mit so viel stärkeren Banden in die Kreise zurück, in denen er heimisch war.

Trotzdem ließ mich dies Drängen und Leben in den Straßen ziemlich kalt, kälter vielleicht, als ich selbst geglaubt hatte. Das waren doch nur lauter fremde, gleichgültige Menschen, von denen sich keiner besonders um den andern bekümmerte, und nur daß sie auch mich unbeachtet ließen, beruhigte mich einigermaßen. Erst jetzt merkte ich auch, daß ich in der langen Zeit meines Alleinseins fast menschenscheu geworden war, so wenig als möglich jedenfalls mit andern verkehren mochte, und da ich niemanden in der großen Stadt kannte, konnte ich mich so viel ungestörter mir selber überlassen.

Allerdings hatte ich in meiner Brieftasche, als ich von New-York fortging, auch einige Empfehlungsbriefe für New-Orleans gehabt, die aber schon lange, noch oben in Illinois, zu Flintenpfropfen auf Präriehühner verbraucht waren. Was helfen auch Empfehlungsbriefe in Nordamerika! Höchstens wird man einmal zu Tisch geladen, was ich übrigens in meinem Zustand nicht einmal zu befürchten hatte – und die Empfänger sind froh, wenn sie nichts weiter vom Empfohlenen sehen.

Langsam fortschlendernd und in der Absicht, mein Kosthaus wieder aufzusuchen, hatte ich den Hauptteil der Stadt, den wenigstens, in dem die meisten Kaufläden lagen, verlassen und bog in eine Seitenstraße ein, in der fast nur Familienwohnungen standen. Die Häuser sahen reich und wohnlich aus, und in vielen waren die Fenster hell erleuchtet.

Sonderbar ist es dem Fremden zu Mute, der, so wie ich, abends durch die Straßen einer Stadt wandelt, in der er keine Heimat hat. Ringsum zeigen die hellen Fenster die Stellen, wo sich die Familien im traulichen Kreise um den Abendtisch sammeln – nur er gehört nirgends hin, und wenn er eins dieser Häuser jetzt betreten wollte, würde man ihn ängstlich fragen, was er wolle, und froh sein, wenn er wieder ginge, vollkommen unbekümmert, was weiter aus ihm würde. Wohl dem, der nicht auf der ganzen Erde ein solcher Fremdling ist.

Als ich so, eben nicht mit besonders freundlichen Gedanken durch die stille Straße wandelte, denn ich hatte in dem ganzen weiten Amerika verzweifelt wenig Menschen, die irgend teil an mir genommen hätten, sah ich etwas weiter unten, an der rechten Seite derselben, ein helles Licht über die Trottoirs fallen. Ich ging darauf zu und fand, daß es aus einem breiten Parterrefenster kam, dessen Jalousien offen standen, und das ich von außen, da es nicht hoch lag, vollkommen gut übersehen konnte. Es war ein sehr elegantes, wohnliches Gemach mit drei oder vier großen Astrallampen darin, die fast Tageshelle um sich verbreiteten, und zwischen diesen eine zahlreiche Gesellschaft von geputzten Leuten beiderlei Geschlechts. Acht oder zehn junge Mädchen und mehrere Frauen und ältere Damen saßen teils, teils standen sie im Zimmer umher, und junge Leute, Franzosen ihrem ganzen Aussehen nach, sprangen lachend und jubelnd dazwischen herum. Es wurde jedenfalls ein Gesellschaftsspiel gespielt.

Dicht am Fenster, mit dem Rücken mir zugedreht, saßen zwei wunderhübsche Mädchen. Ihre Köpfe lehnten fast an der Scheibe, an der ich stand, und vor ihnen kniete jetzt ein junger Mann und schien irgend ein Pfand einzulösen.

Mir wurde ganz wunderbar dabei zu Mute – so lange war ich – so weit von der Heimat fort, daß ich das herzliche Familienleben mit all seinen tausend Reizen, mit seinem stillen Glück ja fast vergessen hatte, und jetzt gerade mitten aus dem Wald heraus tauchte es, wie durch den Zauberstab eines Magiers heraufbeschworen, in all dem lichten Farbenglanze dicht vor meinen Augen empor – in Armes Bereich – und doch unerreichbar.

Ich weiß nicht, ob ich geseufzt hatte, oder ob mich jemand anders im Zimmer bemerkt haben mochte, aber die beiden jungen Mädchen drehten plötzlich und ganz unerwartet ihre lieben Gesichter nach mir um, stießen einen gellenden Schrei aus und flohen wie gescheuchte Rehe, von der ganzen Mädchenschar gefolgt, aus dem Zimmer.

So schrecklich sah ich aus? – Es gab mir wie einen Stich ins Herz, aber ich wollte die fröhlichen Menschen nicht länger stören, wandte mich ab und schritt die Straße hinunter. Als ich etwa hundert Schritt entfernt war, hörte ich, wie hinter mir die Jalousien geschlossen wurden.

Die Nacht schlief ich auf einem harten, unreinlichen Bett, ohne Moskitonetz, von unzähligen Mücken und anderen noch schlimmeren Bettquälern auf das ärgste gepeinigt. Es gibt nichts Traurigeres, Unerquicklicheres auf der weiten Gotteswelt, als diese deutschen Wirtshäuser in Amerika. An Schmutz werden sie gewöhnlich nicht einmal von den irischen übertroffen. Schlechter habe ich sie selber nicht in Südamerika gefunden. Mein »Wilhelm Tell« machte denn davon auch keine Ausnahme, und ich hätte zehnmal lieber im Walde unter einem Baum oder in meinem Kanoe geschlafen.

Am nächsten Morgen stand ich mit Tagesanbruch auf und ging auf den untern Markt, um das dortige Leben und Treiben anzusehen. Ich kam dabei an einem Barbier- und Friseurladen vorbei. Der Eigentümer stand, die Hände in den Taschen, in der Tür, und sah mich mit einem Blick an, als ob er mich hätte verschlingen wollen. Als ich vorüber war, fiel mir ein, daß ich mir wohl auch einmal könne die Haare und den Bart stutzen lassen, was in den letzten acht Monaten nicht geschehen war; ziemlich ebenso lange hatte ich in keinen Spiegel gesehen.

»Nun, das hab' ich mir gedacht,« sagte der Haarkünstler, als ich mich umdrehte und zu ihm hineinging – es war ein Amerikaner; »segne meine Seele, Herr, wo haben Sie denn eigentlich gesteckt?« Ich warf einen Blick in den großen im Zimmer hängenden Spiegel und wunderte mich jetzt nicht mehr, daß die armen Mädchen gestern Abend so erschreckt davongesprungen waren. Ich sah furchtbar aus.

Ich schaute mich jetzt nach einer Dampfbootgelegenheit nach Cincinnati um. Das Boot Chillicothe ging den nächsten Tag, morgens zehn Uhr, dorthin ab, und ich akkordierte meine Passage zu 5 Dollars für 1500 englische Meilen. Billiger kann man gewiß nirgends reisen, fast 400 deutsche Meilen für 5 Dollars. Gegen Abend erst verließen wir New-Orleans.

Von dort an sind die Ufer des Mississippi wahrhaft entzückend; eine Plantage schließt sich an die andere an, und die reizendsten Landhäuser inmitten grüner Bosketts von Orangen, Granatäpfel- und Chinabäumen bilden ein bezauberndes Gemälde. Dazu geben die vielen kleineren, gleichmäßig gebauten Negerwohnungen, die oft von weitem einer Stadt gleichen, dem Ganzen noch einen besonders eigentümlichen Anstrich.

Die amerikanischen Dampfboote sind sehr verschieden von den deutschen eingerichtet. Sehr leicht und scharf gebaut, sind sie nur dazu bestimmt, mit einer unglaublichen Schnelle ihre Reise zurückzulegen und in vier bis fünf Jahren den Eigentümer reich zu machen; dann mögen sie platzen oder sinken. Den Vorderteil des Verdecks nehmen die Kessel ein, unter welchen die Feuerleute ganz vorn, in freier Luft heizen. Diese Kessel reichen nicht ganz bis in die Mitte des Schiffes, und manches hat deren sogar bis acht nebeneinander (Chillicothe führte sieben). Hinter ihnen befindet sich die Maschine, die ebenfalls ganz auf dem Verdeck steht, und hinter dieser, in einer Art Verschlag, halten sich die Zwischendecks-Passagiere auf, deren Behausung es gerade nicht an frischer Luft fehlt. Als Schlafstellen dienen Kästen, die, immer drei übereinander, ringsum angebracht sind.

Über diesem allen kommt, eine Treppe hoch, die Kajüte als ein Aufbau, im Vorderteil mit einem kleinen Zimmer versehen, wo der Buchhalter, die Steuerleute, der Kapitän und Bootsmann ihre Schlafstellen haben, und wo gewöhnlich auch noch außer bei einigen Mäßigkeitsbooten eine Schenke ist. Der mittlere Raum dieser obern Etage ist der Speisesaal, zu beiden Seiten desselben befinden sich die Herren-Schlafstätten, welche mit Glastüren verschlossen sind, und ganz im Hinterteil des Bootes, auf jedenfalls dem sichersten Platze, wenn ein Unglück passieren sollte, ist die Damen-Kajüte angebracht. Auf einigen wenigen Booten auf dem Mississippi findet man noch eine dritte Etage, doch die meisten begnügen sich mit den beschriebenen beiden.

Ganz oben, in einem mit großen Glasfenstern versehenen Häuschen, zwischen den beiden riesigen Schornsteinen, steht der Steuermann am Rade, damit er leichter vorn hinüber sehen kann, ob dem Boote Gefahr drohe. Das Steuerruder wird mit Seilen gelenkt, und zwar, nach einer neueren Verordnung, mit erst kürzlich erfundenen Drahtseilen, damit auf diese Weise bei Feuersgefahr das schnelle Verbrennen derselben vermieden werde und das Boot bis auf den letzten Augenblick in der Gewalt des Steuermanns bleibe.

Wir hatten unter einer Menge anderer Passagiere auch eine junge Frau, zweiundzwanzig Jahre alt, mit einem sehr jungen Manne an Bord, die unterhalb Natchez auf das Boot gekommen waren. Die jungen Leutchen schienen erst ganz kürzlich verheiratet zu sein, denn sie küßten und herzten sich in einem fort. Als wir nach Louisville in Kentucky kamen, hatte das Boot Fracht auszuladen und blieb dort fast einen ganzen Tag liegen. Ich stand am Bugspriet und schaute dem Ein- und Ausladen zu, als ein ältlicher, sehr anständig gekleideter Mann auf mich zukam und, unser junges Pärchen beschreibend, mich fragte, ob zwei solche Leute auf unserem Boote wären. Ich antwortete ihm »Ja« und führte ihn in unsere Behausung. Die junge Frau saß auf einem Koffer und las, als wir zu ihr kamen. Ihr Mann war oben in der Stadt. Mir ahnte, daß wohl nicht alles ganz richtig sein möchte, und daß der Alte aus guten Gründen gekommen sei, doch beseitigte das ruhige Betragen beider bald meinen Argwohn. Im ersten Augenblick schien es mir, als ob sie die Farbe etwas veränderte, doch stand sie ganz ruhig auf, legte das Buch weg, und dem Alten ihre Hand reichend, sagte sie freundlich: »How do you do, Sir?« Nach einer Weile aber traten sie in eine Ecke und sprachen sehr angelegentlich zusammen. Ich verlor sie nun aus den Augen, erstaunte aber nicht wenig, als ich den Alten, sobald es Zeit zum Schlafengehen war, den Platz des Gemahls bei der jungen Frau einnehmen sah, während der junge Mann wie ein Bild des Todes am Ofen stand und sich in seiner Geistesabwesenheit beide Rockschöße verbrannte.

Der alte Mann war der Gemahl der jungen Frau, mit der dieser Bursche davongelaufen war. Der Alte hatte Wind bekommen und war ihnen nachgesetzt, hätte sie aber schwerlich eingeholt, wenn das Boot nicht so lange Zeit gebraucht, seine Fracht auszuladen. Wahrhaft Erstaunen erregend war die Geistesgegenwart, die beide Teile bewiesen, um Aufsehen zu vermeiden; – er, indem er seinem gerechten Unwillen nicht Luft machte, sondern ruhig und ernsthaft blieb, – sie, indem sie auch nicht eine Spur von dem Schrecken und der Furcht sichtbar werden ließ, die doch so natürlich waren, als ihr verlassener, so arg beleidigter Gemahl, den sie 1400 Meilen weit entfernt glaubte, so plötzlich wie hergeschneit vor ihr stand. Der Alte nahm die Frau am nächsten Morgen vom Boot weg, und der junge Mann mußte den Koffer tragen. Wie sonderbar wechseln unsere Schicksale.

Den 20. Februar langte ich endlich wieder in Cincinnati an und wurde nach meiner langen Pilgerfahrt von allen meinen Bekannten mit herzlicher Freude empfangen.



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