Friedrich Gerstäcker
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Friedrich Gerstäcker

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2. In Brownsville.

Der alte Jenkins blieb, als die beiden Fremden fortritten, kopfschüttelnd in der Tür stehen und sah ihnen nach, denn eine so bodenlose Frechheit war ihm doch in seinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Zwei wildfremde Menschen treten da in sein eigenes Haus und verlangen von ihm, mitten im texanischen Walde, er solle auf einen Papierwisch hin ihnen, mir nichts dir nichts, seine eigene Negerin ausliefern. – Er würde es auch nicht für möglich gehalten haben, wenn er es nicht selber erlebt hätte, und eine Zeitlang lief er, die Hände auf den Rücken gelegt, in seinem Hause auf und ab. Endlich rief er Nelly.

Das junge Mädchen kam und blieb in der Tür stehen.

»Master?«

»Kanntest du einen der beiden Halunken, die eben hier waren?«

»Nein, Master,« sagte die Negerin, »nur den einen habe ich vor acht oder vierzehn Tagen einmal gesehen.«

»Wo?« fragte der Alte rasch.

»Draußen am Feld – ich pflückte Bohnen, und er ritt an der Fenz vorbei. Als er mich sah, hielt er an und fragte, wer hier wohne.«

»Welcher war das?«

»Der mit der Büchse.«

»So? – hm – der im Frack nannte ihn Mr. Netley – also vor acht Tagen schon?«

»Es kann auch noch etwas länger her sein.«

»Und in Little Rock bist du nie gewesen.«

»Nie, Master; habe den Ort in meinem Leben nicht gesehen.«

»Kennst auch einen Mr. Saunders nicht?«

»Nein, Master,« sagte das Mädchen und sah treuherzig zu seinem Herrn auf.

»Es ist gut, Nelly,« nickte dieser nach kurzer Pause, und griff dabei seinen alten Filzhut auf und holte die Büchse von der Tür herunter. Seine Frau sah ihn erstaunt an.

»Willst du schon wieder fort, John?« fragte sie fast erschreckt. »Du bist doch kaum erst nach Hause gekommen.«

»Ja, Schatz,« sagte der alte Mann, »ich muß mit Reed sprechen – die Geschichte geht mir im Kopfe herum. Neulich, als ich drüben in der Ansiedelung war, hörte ich schon von allerlei faulen Dingen, die jetzt im Wald vorgingen, achtete aber nicht darauf, denn ich hielt's für übertrieben. Jetzt kommt mir die Sache selber bedenklich vor, und ich möchte doch einmal nähere Erkundigungen einziehen.«

»Und mich willst du indessen hier allein lassen?«

»Wär' wohl das erstemal, Schatz,« lächelte der Alte, »aber sei unbesorgt. Gerade jetzt reit' ich fort, damit ich die nächsten Tage bei dir bleiben kann, denn heute und morgen kommen die beiden Burschen, wenn wir sie überhaupt je wieder zu sehen kriegen, sicher nicht zurück. Übrigens hast du ja dein eigenes Gewehr, und sollte wirklich in der Zeit jemand eintreffen, der dir nicht recht ist, dann bist du und Sip Manns genug, um ihnen die Wege zu weisen. Ich bleibe auch nicht lange, sei ohne Furcht, wir haben jetzt mondhelle Nächte, und wenn ich quer durch den Wald schneide und den Bluff hinuntersteige, ist's bis zu Reeds hinüber kaum mehr als fünf Meilen. In anderthalb Stunden bin ich drüben.«

Sip, der Neger, legte indessen den Sattel auf, und der alte Mann nickte der alten Frau noch einmal zu und ritt dann langsam in den Wald hinein. Statt aber gleich der angegebenen Richtung zu folgen, kam ihm ein anderer Gedanke, als er die Pferdespuren der beiden Fremden sah. Wohin hatten sich diese gewandt? Das mußte er vorher wissen, und er folgte ihnen deshalb in einem etwas lebhafteren Trab: die Spuren waren ja deutlich genug dem weichen Boden eingedrückt, um rasch auf ihnen hinreiten zu können.

Die Reiter hatten in der Tat den Kurs nach Südosten eingehalten und endlich den nächsten Bach gekreuzt; sollte er ihnen nach dort hinüber folgen? Das hätte ihn weit ab von seiner eigenen Richtung geführt, und es trieb ihn, nicht zu lange von zu Haus fortzubleiben. Auf der anderen Seite des schmalen Wasserkurses ließen sich noch deutlich die Spuren erkennen, und darüber jetzt vollständig beruhigt, lenkte er selber sein Tier rechts ab und schnitt quer durch den Wald hindurch nach Reeds hinüber. Er kannte jeden Fußbreit Boden hier und konnte die kleine Farm so genau treffen, als ob eine breite Straße dorthinüber geführt hätte.

Es war noch früh am Nachmittag, als er Reeds Farm erreichte, aber er fand Reed nicht zu Haus, und dessen Frau sagte ihm, ihr Mann sei nach Brownsville am Sulphurcreek hinübergeritten und würde auch wohl vor morgen abend nicht zurückkommen. Drüben in Brownsville hätten sie eine Versammlung, aber weshalb, wisse sie nicht.

Brownsville, eine Stadt, die vorläufig erst aus drei Häusern bestand, lag noch etwa sechs Meilen weiter, er konnte es noch recht gut heute abend vor Sonnenuntergang erreichen. Doch einmal auf dem Weg, besann er sich auch nicht lange, und ohne selbst abzusteigen, nickte er der Frau Reeds einen herzlichen Gruß zu und verfolgte seinen Weg, bis er endlich gegen Abend auf seinem jetzt ziemlich müden Pferd in einen breiten, durch den Wald gehauenen Weg einlenkte, den eine an einen Baum genagelte und beschriebene Schindel als »Mainstreet« oder Hauptstraße bezeichnete.

Es war die Hauptstraße der künftigen Stadt, von der eben solche Seitenstraßen nach links und rechts abzweigten, aber er konnte ihr nicht einmal folgen, obgleich er von hier aus kaum noch zweihundert Schritt auf den »Marktplatz« hatte, denn die darin gefällten Bäume lagen noch genau so, wie sie die Axt umgeworfen, wirr und toll durcheinander. Jenkins mußte sich denn auch seine Bahn durch den Wald suchen, um diese »Hauptstraße« zu passieren, und erreichte endlich den eigentlichen Verkehrsteil der Stadt, eine kleine Gruppe von drei Blockhütten, die hier innerhalb einer Lichtung von fünf oder sechs Ackern Maisfeld zusammenstanden.

Das eine von diesen war das Courthouse (Rathaus), aber auch nur aus unbehauenen Stämmen aufgeführt wie die übrigen, das andere die »Grocery«, ein kleiner Laden, der die Bedürfnisse für die Nachbarschaft und – die Hauptsache – Whisky enthielt, und das dritte das eigentliche Farmhaus, das die anderen beiden hervorgerufen: die Wohnung des ersten Ansiedlers hier, der jetzt zu gleicher Zeit, neben der Bestellung seiner Felder, die Ämter eines Postmeisters und Friedensrichters verwaltete.

Der Platz war auch, da er mitten im County lag, von den Ansiedlern zu einem sogenannten county seat ernannt worden, und zu gewissen Zeiten im Jahre versammelten sie sich hier, um ihre Rechtshändel auszugleichen. Diese Zeit war gegenwärtig nicht, und Jenkins wunderte sich, heute eine ungewöhnliche Zahl von Menschen hier zu treffen, denn auf dem offenen Platze zwischen den drei Häusern, von dem man die gefällten Bäume, bis auf ein paar Stümpfe und Stammreste, sorgfältig entfernt hatte, traf er etwa fünfzehn oder sechzehn Ansiedler aus der Nachbarschaft, d. h. einige von zwanzig oder mehr Meilen Entfernung, die sich lebhaft miteinander unterhielten.

Als sie zuerst des nahenden Reiters ansichtig wurden, drehten sie alle rasch den Kopf nach ihm, aber im Nu hatten sie den alten Jenkins und sein braunes Jagdpony erkannt, und laute herzliche Zurufe begrüßten ihn. – Aber was führte ihn gerade heute zufällig hierher?

»Jungen,« sagte der alte Mann auf die an ihn gerichteten Fragen, »vor allen Dingen muß mein armes Pony etwas zu fressen haben, denn das ist den ganzen Tag auf den Füßen gewesen, und ich möchte einen Schluck Whisky, mir ist die Kehle wie ausgebrannt.«

Beiden Anforderungen wurde rasch entsprochen, das Pferd übergab man einem der Neger, und fünf, sechs Arme mit Whiskybechern streckten sich dem lachenden alten Mann zu gleicher Zeit entgegen.

»Und was führt Euch gerade heute hierher, Jenkins?« rief der Postmeister, »denn zu gelegenerer Zeit hättet Ihr gar nicht eintreffen können. Wir hatten sogar nach Euch geschickt, aber Billins fand Euer Haus nicht und behielt nur eben Zeit, hier wieder einzutreffen.«

»Billins fand mein Haus nicht?« lachte der Alte, »das ist nicht übel, da wundert's mich nur, daß er sich hier wieder hergefunden hat.«

»Zum Henker auch,« rief der junge Backwoodsman, »Ihr steckt so im Dickicht drin wie ein Bär im Winter, und die zahllosen kleinen Bäche sehen einer aus wie der andere. Ich geriet in den verdammten Schilfbruch, wo die Redriversümpfe beginnen, und hörte da drin einen Hund bellen. Nun glaubt' ich, dort wär's, kam aber nicht durch, band mein Pferd an, verirrte mich im Schilf und dankte Gott, als ich nur endlich die Stelle wieder fand, wo ich mein Tier gelassen. Nachher war's zu spät, noch weiter nachzusuchen.«

»Da habt Ihr Euch viel zu nördlich gehalten,« lachte der Alte. »Aber darf man erfahren, was Ihr heute vorhabt?«

»Gewiß,« rief Border, der Postmeister, »denn Euch geht es ebensogut an wie uns. Ihr wißt doch, daß wir schon seit einiger Zeit gespürt haben, wie irgend jemand hinter unseren Pferden her sei.«

»Hol' sie der Böse,« rief Jenkins, »meinen Rappen haben sie auch geholt.«

»Aha,« lachte ein anderer, »und den sucht Ihr wohl gerade bei uns?«

»Das nicht, aber –«

»Nun hört nur weiter,« sagte Border. »Es unterliegt keinem Zweifel mehr, daß wir einen Anteil von jenem aus Arkansas und Missouri verjagten Gesindel auch in unsere Nachbarschaft bekommen haben, und unsere nach allen Richtungen hin zerstreuten Wohnungen und Weideplätze machen ein Zusammenwirken nichtswürdig schwer. Man braucht ja wahrhaftig immer eine Tagereise dazu, um zwei oder drei Nachbarn aufzutreiben; und ehe ein Raub nur bekannt wurde, sind die Halunken über alle Berge.«

»Und habt Ihr denn noch auf niemanden Verdacht gefaßt?«

»Ja, hört nur, das ist ja die Geschichte,« fiel Border ein. »Am Zypressensumpf, der Bearbayou und oben am Rand des Schilfbruchs haben sich seit einiger Zeit einige Strolche niedergelassen, die niemand von uns kennt und die auch verwünscht wenig Staat mit ihrer früheren Lebensbeschreibung machen. Dem einen fehlt sogar ein Ohr; er behauptet freilich, ein Bär habe es ihm einmal auf der Jagd abgerissen, aber ich denke mir beinah', er hat's irgendwo in einer fatalen Geschichte sitzen lassen, denn die in Arkansas drüben machten sich manchmal den Spaß, Gauner, die sie bei Lumpereien erwischten, auf die Art zu zeichnen, um nicht mehr durch ihre Gesellschaft belästigt zu werden.«

»Aber Boyd, dem das Ohr fehlt,« rief Jenkins, »beklagt sich am bittersten, daß ihm schon zwei seiner besten Pferde gestohlen wären.«

»Ja,« sagte Border, »aber Pferde, die keiner von uns je zu Gesicht bekommen, und ob's wahr ist, wer weiß es? Das ist sicher, diese Gesellen, und ein paar von ihnen, die am Stierkopf und am Alligatorteich wohnen, machen das meiste Geschrei, und neulich – aber kennt Ihr Ashley?«

»Bob Ashley? Werde ich Ashley nicht kennen!« rief Jenkins, »wir waren ja alte Nachbarn im Oiltrovegrund am Witheriver – 's ist einer der ältesten Jagdgefährten, die ich auf der Welt habe.«

»Und er ist ein braver, ehrlicher Kerl?«

»Bei Gott, ich möchte den Mann sehen, der in meiner Gegenwart das Gegenteil behauptete!« rief der Alte heftig.

»Nun gut,« fuhr Border fort, »und wißt Ihr, was mit Ashley vor ein paar Tagen geschehen ist? – Die Regulatoren haben ihn gelyncht.«

»Die Regulatoren?« schrie Jenkins, »was für Regulatoren?«

»Eine Bande von Kerlen, deren Namen wir noch nicht kennen,« sagte Border. »Die Sache war so: neulich morgens – aber Billins, erzählt Ihr lieber die Geschichte, Ihr wißt mehr davon.«

»Und haben sie Ashley umgebracht?« rief Jenkins, und die Hand des Alten faßte krampfhaft seine Büchse.

»Das nicht,« sagte Billins, »Ihr wißt, ich wohne etwa vier Meilen von Ashley entfernt, ich bin der nächste Nachbar, den er hat. Vorgestern nacht, es war schon elf Uhr vorbei, und wir lagen alle im Bett, schlagen die Hunde an. Ich springe auf, fasse meine Büchse und laufe hinaus, da ruft eine Kinderstimme: »Oh, um Gottes willen, Mr. Billins, halten Sie die Hunde, daß sie mir nichts tun!« Ich zwischen die Hunde hinein und jage sie hinters Haus, und das kostete Mühe genug, aber brachte sie doch endlich still, dann geh' ich an die Fenz, und wer ist's? Ashleys kleines Mädchen, Betsy, ein Kind von kaum zwölf Jahren, das in der Nacht den ganzen weiten Weg durch den Wald allein zu Fuß gekommen.

»Aber um Gottes willen, Kind, rief ich aus, was bringt dich mitten in der Nacht hierher! Hast du dich verirrt?

»Nein, sagt die kleine und faßt meine Hand, helfen Sie, Mr. Billins, helfen Sie meinem Vater, schnell, sie haben ihn oben in einen Baum gebunden.

»In einen Baum gebunden, wer? rief ich.

»Die Regulatoren, sagte die Kleine, oh schnell, schnell, sonst muß er da oben sterben, und die Mutter ist vielleicht jetzt schon tot.

»Mit Mühe kriegt' ich jetzt aus dem armen Ding heraus, was geschehen war. Eine Bande Schufte war angeritten gekommen, hatten Ashley beschuldigt, ihnen zwei Pferde gestohlen zu haben, sagten, daß sie die Regulatoren wären, die dem Unfug hier ein Ende machen wollten, und als er heftig wurde und sie Lügner und Schufte nannte, nahmen sie einen Strick und wollten ihn aufhängen. Jetzt stürzte die Frau heraus und fiel vor ihnen auf die Knie, und sie erklärten ihr endlich, mit dem Leben solle er diesmal davonkommen, aber eine Strafe müsse er haben, banden ihn und zogen ihn auf den Ast einer Eiche hinauf, wo sie ihn festmachten und oben liegen ließen. Dann trieben sie die Pferde zusammen und ritten fort. Was sie mitgenommen, wußte das Kind nicht, aber die Mutter wurde ohnmächtig. Niemand war weiter im Haus, der ihrem Vater helfen konnte, sie allein aber nicht imstande, auf den Baum zu klettern, und da lief das Kind dicht vor Sonnenuntergang mitten in den Wald hinein, um bei mir Hilfe für die Ihrigen zu suchen. Natürlich tat ich, was sich nur in der Schnelle tun ließ. Das Kind nahm ich ins Haus, und die Frau gab ihm Brot und Milch nach dem schweren Marsch, und ich weckte indessen Jim Bailey, der gerade bei mir war und mir geholfen hatte, meine neue Küche aufzurichten. Die Pferde waren glücklicherweise bei der Hand und wir selber in kaum einer Viertelstunde marschfertig. Das Kind wollt' ich nun bei meiner Frau lassen, daß es die Nacht schlafen und sich erholen könne, aber Gott bewahre, es ließ nicht nach, ich mußte es hinten aufs Pferd nehmen, und was die Tiere laufen konnten, jagten wir hinüber. Aber bei Gott, da lag Ashley noch immer auf dem Eichenast, die Frau war wieder zu sich gekommen und jammerte, als sie die Tochter auch nicht fand, und glaubte, die Schurken hätten sie mit fortgenommen, halb wahnsinnig um Mann und Kind. Und die Freude, als wir ankamen! Aber ein verdammt schweres Stück Arbeit war's, den Alten oben von seiner Hühnerstange herunter zu bringen, denn losschneiden durften wir ihn nicht auf einmal, er wäre uns sonst durch die Finger gerutscht und hätte den Hals gebrochen. Endlich ging's, und wir brachten den armen Teufel wieder auf Gottes Erdboden hinunter. Aber er war ganz wie rasend und tobte und wütete, und fiel zuletzt in einen tiefen Schlaf, so daß wir ihn bewußtlos aufs Bett legen mußten. Am nächsten Morgen hatte er denn auch richtig ein hitziges Fieber, phantasierte von Regulatoren und Totschießen und Gott weiß was allem, und ein vernünftiges Wort war nicht mehr aus ihm herauszubringen. Da hielten wir uns denn auch nicht lange bei ihm auf. Wir ritten schnell zurück nach meinem Haus, und ich schickte meine Alte hinüber, daß die der Mrs. Ashley beistehen konnte, dann machten wir uns, Jim Bailey und ich, auf, um die Nachbarn zusammenzutrommeln und zu beraten, was geschehen könnte, und da sind wir jetzt, und deshalb war ich auch heute morgen nach Euch unterwegs, Jenkins, denn das dürfen die Schufte nicht ungestraft getan haben.«

»Und hat Euch Ashley keinen mit Namen genannt?« fragte Jenkins, der der Erzählung mit fast fieberhafter Spannung, ohne seine Büchse nur aus der Hand zu stellen, gefolgt war.

»Wir konnten nichts aus ihm herausbekommen,« erwiderte Billins, mit dem Kopf schüttelnd, »Von dem stundenlangen Hängen am Baume, mit zusammengeschnürten Armen und in der schmerzhaften Lage, war er natürlich so außer sich, daß er lauter tolles Zeug faselte.«

Jenkins war nachdenkend geworden. Sollte der Besuch der beiden Fremden, die heute morgen bei ihm gewesen, mit diesem neuen Regulatorenbund etwa im Zusammenhang stehen? Er erzählte mit kurzen Worten den Nachbarn sein heutiges Abenteuer. Kaum aber nannte er den Namen Netley dabei, als Border rief:

»Hol' den Schuft der Teufel, das ist derselbe Lump, den sie in St. Francisville in Arkansas schon einmal, wegen Schweinestehlen – er änderte ihre Zeichen ab – vor Gericht hatten, und damals schwur er's ab. Wie sie aber später feste Beweise gegen ihn bekamen und ihn noch einmal wegen Meineids beim Ohr nehmen wollten, kniff er aus, ließ seine Frau sitzen und ging nach Texas. Der braucht's auch noch, sich hier wichtig zu machen; hätten wir ihn damals erwischt, wär' er ohne Verlust seiner beiden Ohren nicht davongekommen!«

»Wenn wir nur einen einzigen der Schufte kennten,« rief Jenkins, »die den armen Ashley mißhandelt haben! Beim Himmel, wir wollten ihn beregulatoren und mit Dogwood und Hickory bekannt machen, bis er seine übrige Sippschaft verriete; aber was können wir so ins Blaue hinein tun?«

»Ich habe meinen Tom zu Ashleys hinübergeschickt,« sagte Border, »der soll drüben bleiben, bis er wieder zur Besinnung kommt, und uns dann gleich Nachricht sagen.«

»Und kannte denn seine Frau niemand aus der Schar?«

»Ja,« sagte Billins, »zwei oder drei der Männer behauptet sie schon gesehen zu haben, aber sie wußte die Namen nicht, und in der Aufregung und Angst hatte sie auch wohl auf Einzelheiten nicht so genau geachtet. Die Beschreibung wenigstens, die sie uns gab, würde auf jeden von uns ebensogut passen.«

»Das ist eine böse Geschichte, Gentlemen,« sagte Jenkins, der indessen recht nachdenkend geworden war und still vor sich niedergestarrt hatte, »und ich weiß wahrlich nicht, welchen Vorschlag man da machen soll. Tun wir aber nichts, so gewinnen die Schufte entweder Zeit, mit ihrem Raub die »Range« zu verlassen, oder tauchen plötzlich da oder dort wieder auf und verüben ein neues Bubenstück. Ist denn niemand ihren Fährten nachgegangen?«

»Wer sollte das?« sagte Billins, »erstlich nahmen wir uns dazu wahrlich nicht die Zeit, und dann wußte die arme Frau nicht einmal genau anzugeben, nach welcher Richtung hin sie sich gewandt hatten; um Ashleys Platz herum war der ganze Boden so von Pferdehufen zerstampft, daß sich kein Indianer mehr hindurchgefunden hätte.«

»Wär' ich nur dort gewesen!« nickte Jenkins, »aber so viel ist sicher, daß wir in unserer Heimat jetzt durch eine Bande gewissenloser Schufte gefährdet werden, die wir nicht länger dürfen ihr Wesen treiben lassen, denn keine einzelne Familie ist vor ihnen sicher.«

»Aber was können wir tun,« rief Border, »ehe wir nicht einmal einen von den Burschen namhaft machen?«

»Wir sind hier fast aus allen Teilen des County versammelt,« sagte Jenkins, indem er sich im Kreis der Männer umsah, »da sind drei – vier vom Trinidad, dort Tomlins von der Sabine, ein paar vom Redriver und vom Bear- und Saltcreek.«

»Vom Rio Rajo hatt' ich auch Meiers bestellen lassen,« sagte Billins, »aber er muß die Botschaft nicht bekommen haben, und selber hinüber konnt' ich nicht.«

»Den müssen wir's noch wissen lassen,« sagte Jenkins, »und dann schlag' ich vor, daß wir jetzt, bis das geordnet ist, jede Arbeit, jedes Geschäft an den Nagel hängen und Tag und Nacht draußen liegen, um nur erst einmal die Spur zu bekommen. Ihr habt drei Neger, nicht wahr, Border?«

»Vier,« sagte dieser, »und handfeste Burschen.«

»Gut, wenn Ihr mir folgt, so machen wir Brownsville zum Stationspunkt; heute abend verteilen wir uns, und übermorgen abend kommen wir wieder alle hier zusammen, um das weitere zu beraten. Bis dahin müßte es ja auch mit dem Bösen zugehen, wenn nicht einer oder der andere eine warme Fährte gefunden hätte, und gnade Gott dann den Schuften!«

»Wer kommt denn dort?« rief Border und schützte seine Augen mit der Hand gegen die Strahlen der eben untergehenden Sonne.

»Hol's der Teufel!« rief Billins, »der hat gar keine Hosen an.«

»Das ist Meiers, beim Himmel!« lachte ein anderer, »und im Hemd auf dem Pferd. Hahahaha, das ist kostbar!«

»Und mitten zwischen den Häusern reitet er durch,« rief Border, »die Frauen haben ihn schon weg. Aber, Meiers, was zum Henker fällt Euch denn ein? Wo habt Ihr denn Eure Hosen, Mann?«

»Guten Abend, Gentlemen,« sagte indessen der Neuankommende, der in einem kurzen Trab, aber in dem wunderlichsten Aufzug von der Welt herankam und nichtsdestoweniger, als er des Postmeisters Haus passierte, die dort halb versteckten kichernden Frauen und Mädchen auf das artigste grüßte. »Border, tut mir den Gefallen und borgt mir ein paar von Euren Hosen, denn die Nacht wird's frisch, und ich kann doch nicht so hier im Settlement herumlaufen und mich zum Abendbrot mit den Ladies an den Tisch setzen.«

Meiers sah wirklich komisch aus. Es war eine lange trockne Gestalt, mit breiten Schultern und entschieden vorstehenden Backenknochen. Auf dem Kopfe trug er einen alten Filz, der nicht einmal mehr erkennen ließ, ob er überhaupt je eine Form gehabt; am Körper aber nur sein nicht übermäßig langes, weißes baumwollenes Hemd, darüber, nach Art der Backwoodsmen, einen von selbstgewebtem blauwollenem Jeaneszeug verfertigten Frack, gar keine Hosen und Mokassins an den bloßen Füßen. Umhängen hatte er seine Kugeltasche, und auf der Schulter lag die lange einläufige Büchse, ohne die ein Backwoodsman sein Haus überhaupt nie verläßt. Dabei hingen ihm die glatten Haare ordnungslos unter dem Hut vor, und mit den blauen, gutmütigen Augen sah er sich überall im Kreise lächelnd um und nickte nach allen Seiten.

»Aber, Meiers, um Gottes willen, was habt Ihr nur mit Euren ›Bestien‹ angefangen?« lachte Border noch einmal, während der Angeredete einen vorsichtigen Blick nach den Häusern zurückdrehte, sein Pferd halb umwandte, um beim Absteigen keine Blöße zu geben, und dann rasch aus dem Sattel sprang, während sich die Schar jetzt mit lautem Gelächter um ihn sammelte.

»Die Geschichte ist sehr einfach,« sagte aber Meiers, ohne sich im geringsten außer Fassung bringen zu lassen, mit voller Ruhe, »verloren hab' ich sie unterwegs.«

»Verloren, vom Leibe?«

»Nein,« meinte Meiers, »das gerade nicht. Es war so verdammt warm, und da zog ich sie unterwegs aus und legte sie auf den Sattel. Nun weiß der Böse, wie es kommt, aber sie müssen mir, gerade wie ich etwa drei Meilen von hier den Sulphurcreek kreuzte, unter dem Leibe vorgerutscht und ins Wasser gefallen sein, denn gleich nachher vermißt' ich sie und bin noch etwa zwei Meilen, bis zu einer Stelle, wo ich genau wußte, daß ich sie noch gehabt, zurückgeritten, aber Gott bewahre. Jedenfalls hat sie der verwünschte Fluß mitgenommen; umkehren wollt' ich aber auch nicht, und da kam ich denn so. Border, holt mir einmal ein paar heraus, denn in dem Aufzug möcht' ich den Ladies nicht gern meine Aufwartung machen.«

Die Damen hatten indessen schon den Verlust ihres alten Freundes bemerkt, und ein kleiner Negerjunge kam mit einem paar neugewaschenen Beinkleidern angesprungen. Diese hatten allerdings den Nachteil, daß sie Meiers um etwa zwei handbreit zu kurz waren, aber das genierte ihn nicht. Seinen Hut gegen das Haus lüftend, denn er wußte recht gut, daß das mutwillige Volk dort ihn durch die offenen Spalten desselben beobachtete, nahm er das überbrachte Kleidungsstück, und ohne es der Mühe wert zu halten, damit auf die Seite zu gehen, zog er es gleich auf der Stelle an, auf der er stand. Noch damit beschäftigt, lenkte er die Fröhlichkeit der ihn umgebenden Männer aber bald wieder auf den ernsten Zweck zurück, der sie hier versammelt hatte.

»Und wißt Ihr, daß der Teufel auch im Süden los ist?« sagte er; »Ashleys Geschichte hab' ich gehört, und gerad' wie ich fortritt, kam Tom Burton von der Southfork herauf und erzählte, daß eine Bande von Kerlen seines Bruders Haus, während er draußen im Walde war, niedergebrannt und drei von seinen Pferden fortgetrieben habe. Er ist jetzt nach, um ihren Spuren zu folgen, und ich will ihnen nur wünschen, daß er sie einholt.«

»Und er hat auch keinen gekannt?« rief Jenkins rasch.

»Er war gar nicht daheim,« sagte Meiers, »und hatte bloß seinen Pflock außen vorgesteckt. Die Schurken steckten das Haus in Brand, das sie möglicherweise vorher ausgeplündert, wer weiß es. Viel werden sie aber wohl nicht darin gefunden haben.«

»Nun, Gentlemen,« sagte Border nach einer Pause tiefen Stillschweigens, in der die Männer ernst umherstanden und Meiers seine Toilette beendigte, »wie die Sachen jetzt stehen, ist kein Mensch in seinem eigenen Haus mehr sicher, und je eher wir dem Zustand ein Ende machen, desto besser.«

»Wo wohnt denn dieser Netley?« sagte Jenkins, dem die Begegnung von heute morgen nicht aus dem Kopf wollte, »wenn der in den Staaten schon Lumpereien gemacht hat, wird er hier nicht anfangen ein ehrlicher Kerl zu werden, und dem möcht' ich vor allen Dingen auf die Finger sehen. Haben wir nur erst einmal an einem einen Halt, so finden wir auch mit leichter Mühe den Rest.«

»Netley,« sagte Border, »hat sich eine Hütte in ziemlich nordöstlicher Richtung von hier, unmittelbar an dem Schilfbruch gebaut und war, als ich das letztemal dort oben nach meinen Pferden suchte, gerade dabei, sich eine Weide in das Schilf hinein zu umzäunen, wo die Tiere allerdings für eine gute Weile Futter haben.«

»Wo denn etwa?«

»Wißt Ihr die Slew, Jenkins, über die zwei Zypressenbäume so gefallen sind, daß sie gerade eine Brücke hinüber bilden?«

»Gewiß weiß ich sie. Ich bin den Platz schon passiert.«

»Gut, wenn Ihr an der aufwärts geht, kommt Ihr zu der Hütte; sie liegt aber nicht unmittelbar am Wasser, sondern etwas versteckt in den Büschen drin, und ich hätte sie damals gar nicht bemerkt, wenn mich nicht das Krähen eines Haushahns aufmerksam gemacht hätte.«

»Gut,« nickte Jenkins, »den Platz find' ich, und nun, denk' ich, hat mein Pony auch genug gefressen, daß ich den Heimweg wieder antreten kann; denn unter den Umständen möchte ich nicht länger, als irgend nötig ist, von zu Hause fortbleiben.«

Damit aber war Border nicht einverstanden. Er hatte, wie er erklärte, besonders zu dem Zwecke einen Feisthirsch geschossen und ein junges Schwein geschlachtet, Lebensmittel seien also genug im Hause, Whisky zu einem tüchtigen Arkansas-Stew ebenfalls, und er »wolle verdammt sein«, wenn irgendeiner die »Range« verlassen solle, ohne sich sattgegessen und getrunken zu haben, am wenigsten Jenkins.

Dabei blieb es; der Alte durfte sich nicht ausschließen, noch dazu, da die paar Ruhestunden ja auch seinem heute überdies fast zu sehr angestrengten Pferd zugute kamen. So sammelte sich die wilde Schar denn bald um Borders gastlichen Herd, wo die Frauen indessen emsig beschäftigt gewesen waren, riesige Blechkannen mit Kaffee zu kochen und die verschiedenen saftigen Fleischstücke zu braten. Die Becher, mit dem scharfen, aber wohlschmeckenden Getränk, einer Art von Grog, gefüllt, wurden fleißig geleert, und es war lange zehn Uhr vorbei, ehe Jenkins endlich Ernst machte zum Aufbruch. Border wollte ihn noch zurückhalten, aber es ließ ihm keine Ruhe mehr. Er stand auf, sattelte und zäumte sein indes vollständig ausgeruhtes Pferd und trat den Heimweg an. Vorher aber hatten sich alle das Wort gegeben, übermorgen abend wieder zu gemeinsamer Beratung hier zusammenzutreffen.



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