Ernst Georgy
Aus den Memoiren einer Berliner Range
Ernst Georgy

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Erstes Kapitel

Der Müllwagenausflug.

»Mutta – Mutta –« gellte es über den Hof. Der schrille Klang der hellen Kinderstimme lockte verschiedene Dienstmädchen ans Fenster. »Bachs Jöhre brüllt lauter wie die größte Trompete, – was will sie denn nu schon wieder?« fragte eins der menschenfreundlichen Geschöpfe und sah nach der zweiten Etage empor, wo sich der glattgescheitelte Kopf von Frau Bach mit halb lachendem, halb wütendem Ausdruck zeigte.

»Lotte! Was willst du? Schrei' bloß nicht so, man denkt ja, dir ist was passiert!« rief die Mutter und schaute auf ihren hoffnungsvollen Sprößling herab. »Mädel, wie siehst du bloß wieder aus!« kam es ärgerlich hinterher, denn die spürenden Augen entdeckten sofort, daß die weiße Schürze schwarz geworden war, daß der dicke blonde Zopf sich aufgelöst hatte. Die starken Haarmassen hingen zerzaust um das frische, blühende Kindergesichtchen.

»Bitte 'ne Stulle, Mutta, – aber 'ne recht dicke, ich hab' so 'n Hunger! – Du, Mutta, ich bin zwei 'rauf gekommen. Anne hat nichts gekonnt, und Frida hat gefehlt, da kommt sie letzte, fein! – Was? Herr Schulze war mächtig anständig, er hat mir gut unter die Rechenarbeit ge . . . Du, Mutta, Fräulein Schmid hat mich angeschnauzt, du sollst mir nicht immer Doppelstriche ziehen. Siehste, ich hab's gleich gesagt! Morgen schreiben wir Diktat!«

Bis hierher hatte Frau Bach die Schulchronik geduldig angehört. Sie wußte, daß diese Litanei so lange dauerte, bis das Dienstmädchen die Schnitte gestrichen und eingewickelt hatte. Bei dem Worte »Diktat« verfinsterte sich ihr gutes Gesicht plötzlich. Mit einer Energie, die sich nur vor diesen kritischen Tagen einstellte, sagte sie kategorisch: »Dann kommst du sofort herauf, wir wollen erst wiederholen!«

»Ach nee, liebstes gutes Muttachen, wir wollen doch vor Tisch Indianer spielen! Bitte, bitte, laß mich doch unten!« schmeichelte Lotte. »Du weißt doch, daß Haffners Jungen nachmittags Nachhilfestunden haben!«

»Ach bitte, lassen Sie doch Lotte im Garten,« flehte jetzt eine Knabenstimme aus dem vierten Stockwerk, »ich bin grade fertig mit dem Tomahawk! Ach ja, Frau Bach?«

Die also von zwei Seiten bestürmte Dame blickte einen Moment ratlos hinauf. Dann aber schüttelte sie den Kopf: »Nein, Max, es geht nicht. Ich kenne euch schon, wenn Lotte nicht jetzt arbeitet, ist sie so verspielt, daß sie mir nachher nicht aufpaßt. Es bleibt dabei, du kommst sofort herauf: Erst die Pflicht, dann das Vergnügen!«

Ein kurzes Kopfnicken, bums, war das Fenster zu. Die Tyrannin achtete weder auf Mäxchens tief enttäuschtes Gesicht, noch auf die furchtbare Schippe, die ihre Tochter zog. Das kleine Mädchen starrte nachdenklich, wie versteinert von der Grausamkeit vor sich hin, dann stampfte sie einige Male wutentbrannt mit den kräftigen Füßchen auf den Boden. Langsam trollte sie sich nach dem hinteren Treppenaufgang, blieb vor den Stufen stehen und bläkte ohne jeden Grund dem unschuldigen Mäxchen die rote Zunge aus. Ein knurriges: »Schafskopf!« klang zu ihm herauf, trotzdem er doch sowohl an dem Diktat als an dem mütterlichen Befehl unschuldig war.

Nun auch gereizt, erwiderte er sofort mit einem vernehmbaren »Affenschwanz.«

»Schweig!«

»Schweig du!«

Als Lotte ihr Köpflein noch einmal aus dem Flurfenster steckte, wütete der Spielkamerad: »Na, komm' du man 'runter, dann kriegste Kloppe!«, was nur mit einem satanischen Hohngelächter beantwortet wurde. – So war der Krieg wie immer schon erklärt, ehe noch das Spiel begonnen hatte. Frau Bach wunderte sich allabendlich, wenn sie ihr Töchterlein vor der Nacht »abrubbelte«, woher das Kind soviel blaue Flecke hatte. Klein-Lottes Corpsgeist war aber so entwickelt, daß sie sich lieber für einen »Tollpatsch« und »Hans-guck-in-die-Luft, der sich überall stößt« erklären ließ, als die freundnachbarlichen täglichen Raufereien zu verraten. An dem schönen Décolté der Arme lag ihr damals noch sehr wenig.

Der Regierungsrat Bach hatte die Mittagstafel aufgehoben und die nötigen Anordnungen erteilt. Er, die Mama und die beiden Erwachsenen, zwei ältere Töchter, sollten am Nachmittage eine Landpartie nach Hundekehle mitmachen, daher blieb Lotte allein mit dem Dienstmädchen. Sie bekam einen Entschädigungssechser für Blockzucker, einen ganzen Sack voll Ermahnungen, mehrere strenge Verhaltungsbefehle und unzählige Küsse, ehe die andern das Haus verließen. – Frisch gewaschen, gekämmt und ordentlich gekleidet erschien sie wenige Minuten später im Garten. Ein Freudengeheul der drei Spielgefährten empfing sie, vergessen war die versprochene »Kloppe« und die Personalinjurien. Max Helm vom Kanzleidirektor, Fritz und Franz vom Major Haffner waren froh, daß die Vierte in ihrem Bunde erschien und die holde Weiblichkeit auch in ihrem Kreise vertreten war. Die Frage: »Was thun wir jetzt?« regte heute die jugendlichen Gemüter wenig auf. Es galt, das Indianerdorf bis Sonntag fertigzustellen, wo sich, durch Vettern und Muhmen verstärkt, stets eine ganze Horde Kinder in dem großen Garten einfand, der zum Hause gehörte. Mit Feuereifer ging man ans Werk, das erste Zelt zu errichten. Dazu gehörten nun allerdings lange Stangen, und Fritzens Frage: »Wo kriegen wir die Stangen her?« war berechtigt. Die Meinungen flogen hin und her. Max schlug vor, eine aus dem Weinspalier zu ziehen. Diesem Ratschlag kam man sofort nach, und die kleinen Vandalen unternahmen einen Angriff auf das Spalier, den Stolz des Hausbesitzers. Es glückte ihnen, mit Zangen und Messern ein langes Stück Holz loszureißen; die abgeschlagenen Ranken, die Blätter, der Mörtel der Wand, welcher abbröckelte, wurden sorglich entfernt, damit die Spuren ihres Raubes nicht zu merken waren.

»Mit ein' solch Ding kann man nischt machen!« meinte Franz trocken, der sich stets derselben Ausdrucksweise bediente, wie Vaters jeweiliger Bursche. »Ihr seid Dösköppe!« worauf Lotte echt weiblich sofort einschaltete: »Selber einer«. Um Weiterungen vorzubeugen, fuhr sie aber rasch fort: »Wißt ihr was? Kühne (der Portier) hat massig so 'ne Sachen in der Kabuse auf dem Hof. Da können wir ihm ein paar mopsen. Er thut uns nichts, weil Papa ihm erst gestern einen alten Anzug geschenkt hat!«

Mit weitausholenden Schritten unternahm sie sofort die Führung ihrer Bande. Nach vorsichtiger Um- und Ausschau schlüpften die vier Verschworenen in die halbdunkle »Kabuse«, eine ausgediente Remise, und begannen ihre lichtscheue Untersuchung.

Plötzlich winselte Fritz vor Freude.

»Was hast du denn?« fragte Lotte, die hoch oben auf einem Bretterhaufen kramte, erschreckt innehaltend.

»Kühnes Schnapspulle!« ächzte Fritz vor Begeisterung, »die habe ich schon lange gesucht!«

Im Augenblick war er umringt, und mit glänzenden Augen starrten die Kinder auf die festverkorkte alte Bierflasche. Sie erschien ihnen als der Zauberstab einer unbekannten Gottheit, denn wenn Kühne sie nach zärtlicher Betrachtung an den Mund setzte und langsam schlucksend leerte, wurde er ein andrer. Seine verschwommenen Aeuglein blinzelten, die große, schwere Gestalt schwankte torkelnd hin und her.

»Wonnig!« wiederholte der zweite Haffner darum noch einmal und entkorkte sie, sein keckes Stubsnäschen auf die entstandene Oeffnung drückend. »Puh, das schtinkt!« meinte er atemholend. Alle rochen neugierig an dem Fusel.

»Ich möchte mal kosten,« flüsterte Franz aufgeregt und stand erst von dem Versuche ab, als Lotte ihn nachdrücklich »Schwein!« titulierte. Sie entriß ihm das Gefäß, hockte auf einem Faß nieder und sah es sinnend von allen Seiten an. Plötzlich drehte sie die Flasche um und ließ einen guten Teil des Inhalts auf die Erde laufen. Die drei andern waren starr vor Entsetzen. »Bist du verrückt, Mädel?«

»Nee, noch nich'. Max, lauf' mal an die Pumpe und hole in dem Blechtopf Wasser, schnell!« kommandierte sie.

Die Jungen verstanden sie sofort und blickten sie ob ihrer Idee bewundernd an. Max verschwand und kehrte nach wenigen Sekunden mit dem gefüllten Topf zurück. Eine kleine Spinne, Staub und Sägespäne schwammen oben auf dem Wasser und wurden von Lottchen geschickt mit in den Fuselrest hineingegossen. Kühne soll an jenem Abend nach dem heimlich eingenommenen Labsal weit weniger als sonst getaumelt haben. Man weiß nicht einmal, ob er die Tücke gemerkt hat, jedenfalls schwieg er sich aus. Wenn aber die Flasche reden könnte, so würde sie verraten, daß ihr Eigentümer ein grimmiges: »Verfluchte Bälger!« vor sich hingemurmelt hat.

Lotte und Konsorten hatten eben Kühnes »stille Liebe« an ihren Platz zurückgestellt, als ein donnerndes Gepolter sie von weiterem Suchen nach Stangen abhielt. Wie der Wind flogen sie aus der Remise hinaus und brachen in die Jubelrufe aus: »Der Müllwagen kommt! Hurra, der Müllmann!« Und richtig, da fuhr schon der große, schwerfällige Wagen, von zwei kolossalen Gäulen gezogen, in den Hof ein. Damals befand sich auf diesem noch eine tiefe, mit Brettern gedeckte Schuttgrube, die alle Woche einmal von zwei Männern geleert wurde, welches Ereignis der Kinder Wonne und höchstes Interesse erweckte. Seit einigen Monaten hatten sie sich mit Knautschke und Kulike, so hießen jene »Lumpenmätze«, innig angefreundet. Den Vätern war manche Cigarre zum Besten der braven Freunde abgebettelt worden. – Alles, was die Welt Schönes bot, vereinigte sich nach Knautschkes Ansicht in Lotte Bach. Er vergötterte das Kind, soweit dies bei seiner angebornen Plumpheit möglich war, und brachte ihr fast immer einen Zweig Kirschen oder ein paar Blumen mit. Die »infam süße Krabbe« nahm diese Proletarierhuldigung mit gönnerhaftem Hochmute hin. Auch heute spannte er sofort »Lise«, das Handpferd, aus und ließ Lotte und die Jungen auf dem Hofe spazieren reiten, zum Gaudium der gesamten Dienstboten, die von oben zuschauten. Während Kühne dem Kulike beim Leeren und Aufladen half, entspann sich zwischen den Kindern und ihrem Freund ein heiteres Gespräch: »Sie, Knautschke, wieviel Fuhren haben Sie heut schon gemacht?«

»Ick? Vierzehn!«

»Was macht Ihre Mutter?«

»Danke, et jeht wieder, se hat's nur 'nen bisken int linke Bein!«

»Was macht denn Kulikes Braut?« fragte der Chorus ernst und interessiert.

»Die is nach Wriezen zu ihren Vater 'runterjemacht«.

»Was thut sie denn da?«

»Na, se will ihre Kledasche in Ordnung bringen.«

»Die ist wohl reich?«

»Na und ob! Dreihundert Mark hat se mang de Sparkasse«.

»Donnerwetter!« rief Max und nickte bewundernd mit dem Kopf.

»Knautschke, wo fahren Sie jetzt hin?« unterbrach Lotte das ehrfurchtsvolle Staunen ihrer Genossen.

»Uf 't Feld, hier is de letzte Fuhre!«

»Ist das weit?«

»Ne, sonne fufzehn bis zwanzig Minuten, hintern Botanischen,« entgegnete er und sah heimlich entzückt auf seine kleine Freundin hoch zu Roß.

»Ach, da möchte ich mit,« stöhnte sie sehnsüchtig und ließ ihre blauen Augen ins Weite schweifen.

»Könnt ihr ja,« meinte der Kutscher, »die zwee Jungens setzen sich vorn bei uns mit 'ruff, Lotte un' du, Maxeken, stehst hinten uffs Brett. Wir jondeln los, laden ab, un' in eene Stunde seid 'r widder hier, dat 's Ende von weg is!«

Ein Schweigen trat ein, wie es die Seelenkämpfe verlangten, die jetzt in den Herzen des Quartetts zu toben begannen. – Was würden die Eltern sagen? Würden sie böse sein? Wenn's nun Schläge gab? – Ratlos, verlegen tauschten sie Blicke aus, alle hatten ein grenzenloses Verlangen danach. Alle hatten sie Angst in dem richtigen Gefühl, daß Vater und Mutter nicht gerade begeistert sein würden! Aber der Feuerbrand war geschleudert, und Knautschke, der Urheber, sah sie antwortheischend an.

»Wenn Papa 's erfährt, kriegen wir Mordskeile,« sagte Franz ernst.

»Er erfährt ja nischt, wer soll 'm denn wat sagen!« stichelte der Versucher laut.

»Ich möchte für mein Leben gern,« schrie Lotte. »Onkel Doktor hat nur ein Pferd, und mein größter Wunsch war schon lange, zweispännig zu fahren. Woll'n wir doch!«

»Ich möchte auch!« rief Max.

»Na, thun wir's doch!« drängte Fritz.

Noch ein kurzes Hin und Her, und es war entschieden. Der Müllwagen fuhr langsam aus dem Hause. Die Jungen rannten nach ihren Mützen, Lotte raste hinauf nach einer weißen Schürze und dem Hute. – Ein paar Häuser weiter holten sie die hochbeladene Müllequipage ein; die beiden Männer warteten schon auf sie. Max und Lotte stellten sich hinten auf das breite Trittbrett; Franz und Fritz wurden auf die schmale Bank zwischen Knautschke und Kulike gesetzt. »Himmlisch!« sagte Lotte, aus voller Brust Atem schöpfend, als die Fahrt langsam begann. Sie puffte den kleinen Helm fast herunter vor Entzücken. »Du, sieh doch, du Esel, wir fahren zweispännig!«

Heute, in diesem seligen Momente, vergaß er die übliche Entgegnung. »Ich möchte jetzt direkt zu den Indianern oder zu Robinson!« meinte er träumerisch.

Vorn auf dem Bock begann eine lebhafte Unterhaltung. Lotte drehte sich um und sah, wie die beiden Höschensitze der Majorsjungen schon eine weiße Färbung angenommen hatten. Der Wagen »stuckerte« ein bißchen stark, und da flogen die Sitzenden denn immer auf und nieder, was die Reize des Ausflugs erhöhte; wenigstens brüllten Haffners vor Wonne. Lotte betrachtete sinnend die Ladung, und unwillkürlich rümpfte sich ihr Näschen: Schutt, Asche, Lumpen, Speisereste und andere Vergänglichkeiten strömten nicht gerade Frühlingsdüfte aus. Sie konnte die Bemerkung nicht unterdrücken: »Eigentlich stinkt's ja mörderisch!«

»Quatsch!«

»Schweig!«

»Schweige du!« Damit war auch dies Intermezzo ohne Rauferei nach neuester diplomatischer Methode erledigt.

Als man aus den Hauptstraßen herauskam, setzten sich die Gäule in einen flotten Trab. Jetzt fuhr man nicht nur, sondern man hatte Tanzen und Schaukeln noch obendrein gratis. Lotte bemerkte sehr richtig: »Ei fein! So war's auch auf dem Stettiner Haff, als wir im Sommer fort waren! Die Mädel würden hier auch seekrank werden!«

Max war noch immer in seine Träume versunken. Er biß nicht recht an. Auf einmal quiekte Lotte wie eine Besessene: »Erna, Erna! Etsch, ich fahre!« Sie hatte eine Schulkollegin entdeckt, die ihr erstaunt, ihren Augen nicht trauend, nachsah. »Ach, das gönne ich ja der dummen Gans,« lachte sie »strahlend, die platzt ja vor Neid! – Wenn mich doch bloß ein Lehrer oder eine Lehrerin sehen würde!« Aber nicht alle Freuden sind vollkommen. Heute sah sie keinen der sonst so wenig herbeigewünschten Pädagogen.

Der Abladeplatz war erreicht. Unser Quartett jagte sich auf dem weiten Felde, wälzte sich in dem kalkig weißen Grase und half Knautschke und Kulike bei der Arbeit, bis ihnen der Schweiß herabrann. Nach verschiedenen Luftsprüngen wurden sie jetzt alle vier als einzige Last in den leeren Wagen verladen. Erst tanzten sie in dem freigewordenen Kasten. Dann auf dem schlechten Dammpflaster hockten sie nieder, und als die Straßen ebener wurden, ebbte auch ihr Jubel nach und nach. Zuletzt wurden sie sogar elegisch und sangen gemeinsam: »Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben!«, dabei die vorübergleitenden Häuserreihen ernst betrachtend.

An ihrer Ecke wurden sie von den jetzt maßlos geliebten Freunden nach vielem Dank und Händedrücken abgesetzt und schlüpften ins Haus. Der Jubel an der Landpartie hatte sich plötzlich gelegt. Oben auf dem Balkon stand der Major, denn es war sieben Uhr geworden. Und Franz und Fritz hatten die Nachhilfestunden vergessen. Verschüchtert schlichen die vier Sünder in die Wohnungen. Durch das offene Fenster hörte Lotte im vierten und zweiten Stockwerke klatschende Schläge und jämmerliches Gebrüll. Still mitleidend beweinte sie mit den Jungen diese schändliche Trübung des »himmlischen Nachmittags«.

Um acht Uhr kam die übrige Familie Bach von ihrem Ausflug heim. »Ich weiß nicht,« schnupperte die Regierungsrätin mißmutig, »bei uns ist eine elende Luft. Nach dem Waldozon die reine Pestilenz!«

»Du hast immer 'ne besonders feine Nase!« neckte Herr Bach; aber je näher er seinem Schlafzimmer kam, desto mehr zog auch er ärgerlich die Luft ein. Er stieß die Thür auf und prallte zurück: »Pfui, Donnerwetter, Lotte, was ist denn los!« – Seine Jüngste kam ihm anscheinend harmlos entgegen, um ihm einen Kuß zu geben. Er stieß sie empört zurück. »Das geht ja noch über Kanalisation! Donnerwetter, dazu bist du denn doch schon zu alt!«

Die Sache klärte sich endlich auf. Alle Fenster wurden aufgerissen und die zum Müllwagenausflug gebrauchten Kleidchen auf den Balkon zum Lüften gehängt. Lotte saß aber heulend in der Badewanne und wurde fast erstickt mit heißem Wasser und Seifenschaum, während die Mutter sie zornschnaubend mit einer Bürste bearbeitete.


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