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Die Erhöhung

In tiefem Schweigen lag der mitternächtige Park. Früher als sonst waren die Fenster des Trinksaals finster geworden. Nur in Frau Harriets Gemach schien noch das sanfte Licht der roten Ampel. Der Mond stieg aus den Nebeln, die in Schwaden in den Tiefen der Täler brauten und ihr dichtes Gespinn über dem Laubdache der Wälder woben.

Der Himmel war voll sommernächtiger Klarheit. Im silbernen Scheine des Mondes schlugen sich die Nebel nieder. Der Park lag hell wie am Tage.

Vom Trinksaal aus hatte sich der Marschalk in ein Gemach des Seitenflügels der Burg begeben. Der Lord hatte bestimmt, daß er in dieser Nacht nicht nach seinem Gehöfte reiten solle. Man hatte in der Frühe des Tages gemeinsam Burg Malcolm verlassen wollen.

Es war die hochsommerliche Zeit, in der zwei Tage durch die Nacht die Hände sich reichen. Wenn der letzte Schimmer des Lichts im Westen verblich, stahl sich der erste des neuen Tages schon im Osten über die Kuppen der Berge.

Das Gemach des Seitenflügels lag nach dem Hofe hinaus. Der Marschalk saß in dem kahlen Raume sinnend am Fenster. Die Wahrnehmungen der letzten Stunden scheuchten den Schlaf von seinen Augen. Der Mondschein warf seine bleichen Netze auf den Fußboden – die trüben Verglasungen des Fensters wehrten seinem klaren Lichte schier den Eintritt.

Das Nachtmahl war kurz gewesen.

Glenalvon hatte an diesem Abend jedes Wort der Burgfrau und jenes Norval sorgsam gewogen. Es war nichts geredet worden, was seinen Argwohn hätte stärken können. Die Freude Norvals war gedämpft gewesen. Der angetane Schimpf machte sein Verhalten erklärlich.

Nun lastete die Schwüle der Sommernacht doppelt schwer auf des Marschalks Brust. Die Milde und Sicherheit, die Frau Harriet bei dem Nachtmahle gezeigt, hatten ihn verwirrt. Noch war sein Spiel nicht gewonnen – er kam sich vor wie ein Verwegener, der all sein Glück auf eine Karte gesetzt hat. Sein Gesicht überzog jene fahle Blässe, die die verwitterten Züge wie vergilbtes Pergament erscheinen ließ. Es war, als hätten Spinnen und Staub ihre Netze darüber gezogen.

Er hatte so viel gehofft von diesem Tage. Und jetzt, wo bald das Licht des neuen von jenseits über die Berge zu steigen begann, hatte sich nichts erfüllt, nichts. Wie ein Gespenst schritt der letzte Morgen noch einmal an ihm vorüber, der ihm die große Enttäuschung gebracht hatte: auf die gedungenen Mörder, denen ihre Treue um Gold feil war, hatte Tod und schimpfliche Flucht gelauert. Wenn ihm nun morgen ein Kläger in einem der entkommenen Feiglinge erstand ...?

Er sprang von seinem Sitz auf und starrte in das Mondlicht. Sein Stern schien im Niedergange. Des tückischen Mannes Herz verlor seinen kalten Gleichklang. Die Rechnung, die er so sorgsam gemacht, war falsch gewesen. Und wenn auch noch sein Mißtrauen gegen die Herrin und diesen Norval ihm einen Streich spielte und töricht war – – es war nicht zu sühnen, was er gegen seine Gebieter gesündigt hatte.

Da klangen Schritte unter dem Fenster über die Fliesen des Hofes – leichte, unsichere Schritte, wie von einem, der den Weg nicht weiß oder der nicht gesehen sein will.

Der Marschalk schlug das Fenster vollends auf und beugte sich hinaus.

Der Hirte war's, Norvals Knecht, dem er am Morgen Geld gegeben hatte. »Wo kommst du her, Schleicher?« fragte er.

»Ich suchte Euch, Herr. Ich habe große Angst!«

»Was ist geschehen?«

»Es ist wie ein Wunder!«

Glenalvons Gemüt erfüllte sich mit schlimmer Ahnung. »Komm herein!« Dann ging er, dem Jungen zu öffnen.

»O Herr, ich hab' Euch seit einer Stunde gesucht! Ich wollte wachen, bis die Fenster des Saales finster wurden. Aber ich hab's verpaßt. Nun irr' ich schon lange umher, Euch zu finden; denn ich bin fremd hier.«

»Schwätz nicht. Berichte – was gibt's?«

»Herr!« sagte der Hirt, und seine Stimme zitterte. Er lehnte im Mondlicht wie ein Sterbender – »Alles, was ich Euch an diesem Morgen erzählt habe – von Norval, mein' ich – das ist falsch.«

»Ist falsch?«

Der Marschalk erfaßte den Hirten am Wamse vor der Brust. Die lederne Jacke krachte in den Nähten. »Soll ich dich erwürgen?«

»Gnade, Herr! Und ich habe doch nicht gelogen! Es ist alles wahr gewesen, was ich Euch erzählt hab!«

»Bist du ein Narr, Bursche?« fragte der Marschalk. Der Speichel rann ihm aus den verzerrten Winkeln seines Mundes: »Falsch gewesen – und doch die Wahrheit? Was soll das heißen?«

»Faßt mich nicht so hart an, Herr. Ich kann sonst nicht reden!«

»Sprich, sprich!«

»Ich erhielt einen zweiten Brief von der Kammerfrau, wie Ihr beim Nachtmahle saßt ...«

»Für Norval?« knirschte der Marschalk.

»Nein, Herr, – sondern für den alten Norval, von dem ich heut morgen dachte, er sei der Vater dessen, mit dem ich ritt.«

»Was soll das? Ist er hier?«

»Ja, Herr. Er ist bei dem alten Hirten, der in der Hütte am Karron haust.«

»Weißt du, was in dem Briefe stand?«

»Nein. Ich kann nicht lesen. Aber die beiden Graubärte – der alte Norval und der andere – sind voll großer Freude geworden und haben mir gesagt: der, den wir Norval nennen, ist gar nicht Norval, sondern er heißt Douglas. Er ist aus edlem Geschlecht und ist Euerer Herrin eigener Sohn.«

Der Marschalk rang um ein Wort. Er fand's nicht. Da faßte er den Jungen wieder mit beiden Händen vor der Brust. Dem war, als säh er dem Tod ins Gesicht, so grauenvoll waren die Züge des Marschalks.

»Narr,« knirschte der, »komm, laß dich ansehen!«

Das war die Verzweiflung, die aus ihm schrie. Er zerrte den Jungen in das Mondlicht an das Fenster. »Was redest du? Bist du schon immer von Sinnen gewesen, oder hat dich der Teufel erst heute geholt?«

»Ich bin nicht von Sinnen,« stammelte der Hirt, »ich weiß auch noch ...«

»Was weißt du?«

»Vor zwanzig Jahren ist die Burgfrau eines Douglas Weib geworden, – eines Douglas, den Ihr selbst einst aus der Schlacht auf die Burg gebracht habt. Im Turme hat er lange auf den Tod gelegen, und hernach ist er in der großen Schlacht vor dem Kliff gefallen.«

Der Marschalk ließ die Hände sinken, er begann zu wanken, und die Knie schlotterten ihm.

»Geh!« befahl er.

Da stahl sich der Junge aus dem Gelaß. Er schlich in den Stall und verbarg sich im Stroh; denn er fürchtete sich. Diesem Manne wollt er nicht zum andern Male begegnen.

Glenalvon warf sich in den Stuhl am Kamin. Es war finster um ihn; dem sanften Falle des Mondlichts am Fenster wandt' er den Rücken.

Hinter seiner Stirne jagten sich die Gedanken wie fliehende Wölfe. Noch einmal vernahm er dann die heimliche Mahnung seines scharfen Verstandes, seinem guten Sterne zu trauen; denn die Geschichte, die der Hirt in stammelnder Furcht erzählt hatte, klang so abenteuerlich – selbst dem Schicksal konnte es nicht eingefallen sein, so verworrene Fäden zu ziehen ...

Und doch – konnte es nicht wahr sein, was der Schäfer sagte? Die Zeit stimmte. Die Geschichte mit jenem verwundeten Ritter hatte sich ereignet ...

Glenalvons Scharfsinn begann das Dunkel zu durchleuchten, das über dem märchenhaften Berichte des Hirten lag. Neunzehn Jahre hatt' er sich vergeblich gemüht, eine Erklärung für die Trauer der Burgfrau zu finden. Um einen Bruder – selbst um einen gefallenen Gatten wäre Frau Harriet kaum in Trauerkleidern und mit blutendem Herzen durch diese lange Reihe von Jahren gewandelt. Aber – rechnete Glenalvon – wenn sie eine Schuld hatte, wenn sie das Geheimnis hütete, daß sie sich einst dem Erbfeind der Malcolm angetraut hatte, dann konnte sie sich jeden Tag von neuem ängstigen. Die Trauer um ein verlorenes Kind, dessen Schicksal sie nicht kannte, die konnte sie geleiten bis an das Grab ...

Glenalvon saß mit geschlossenen Augen. Er knüpfte und ordnete die Fäden, deren Enden oder Anfänge ihm der Hirtenjunge in die Hände gegeben hatte. Es war ein mühsames Werk, und wenn sein Denken nicht gewöhnt gewesen wäre, auf dunkelen Wegen zu wandeln, so hätt' er schwerlich einige Klarheit geschaffen.

Die Mitternachtstunde war nahe.

Die silbernen Tafeln des Mondes auf den Steinfliesen des Gemaches rückten und rückten.

Mählich brachte Glenalvons durchdringender Verstand ein unsicher Licht in das weite Düster der Jahre, das zwischen dem Ausritt in die große Schlacht am wilden Kliff und diesem Aufbruch in den neuen Krieg gegen den Erbfeind lag.

Er stand auf und schloß das Fenster.

Das Spiel war verspielt.

Er schritt mit weiten Schritten und gefurchter Stirn über die Fliesen. Die nächste Stunde forderte ihn – mußt' ihn vernichten. Wurde dieser Douglas Herr von Malcolm, so warf er dem Marschalk den Brief und die Siegel zerrissen vor die Füße, durch die der alte Ritter ihm Amt und Macht bis zum Tode verbürgte; denn was galt der Wille jenes Malcolm einem Douglas?

Und dann würde auch Frau Harriet zu ihrem Sohne treten. Und sie würde ihm das Schuldbuch des Marschalks aufschlagen – es war voll bis zur letzten Seite: er selber – der Dienstmann von unedlem Geschlecht – hatte nach dem Herrensitze der Malcolm getrachtet.

Wie die Sonne an diesem Abend sank, die jetzt noch nicht wieder über die Berge heraufgestiegen war, hatte ihm dieser Douglas zugerufen: »Vergiß nicht – mein Haß ist tödlich, Marschalk!« Der grimmigste Däne würde sanfter mit ihm verfahren als dieser flaumbärtige Held, über den er die Flut seiner Schmähreden ausgegossen hatte.

Er dachte daran, daß der Douglas um diese Stunde einsam an jenem Quell warten werde, zu dem ihn die Burgfrau gerufen hatte. Er war nach dem Nachtmahle nicht zur Ruhe gegangen. Wenn er ihm jetzt in der Einsamkeit jenes Hochwalds entgegentrat und ihm sein Schwert ins Herz stieß ...!

»Ein halbes Werk,« knirschte Glenalvon und spie auf die Fliesen. Er schnallte sich die eherne Brustwehr an und drückte sich den runden Eisenhut auf das Haupt. Beide mußten sie fallen – beide!

Gewappnet trat er hinaus in die Nacht und schlich im Schatten der Gemäuer über den Hof, dem Park entgegen.

Kein Knirschen unter seinen Sohlen verriet seinen Gang. So gelangte er im Schutze der Büsche in die Nähe des Quells unter der königlichen Eiche. Tiefes Dunkel lag unter dem Blätterdach des mächtigen Baumes.

Glenalvon wahrte die Deckung, die ihm die Büsche schufen. Er lauschte wie ein sichernder Hirsch. Nur das silberne Fallen des Quells war vernehmbar.

Da trat ein Mann unweit des Felsvorsprunges aus dem Strauchwerk. Es war Lord Randolph. Er wollte dem Marschalk zeigen, daß er am Platze sei.

Glenalvon schritt lautlos näher.

»Seid Ihr allein, Herr?« flüsterte er.

Der Lord deutete nach dem Turmfenster, hinter dem noch das rote Licht der Ampel brannte. Die Herrin war noch nicht herabgestiegen.

Ahnungslos wandte sich der Ritter, um wieder in sein Versteck zurückzutreten. Noch einmal schaute er zurück – »Ihr seid gewappnet, Mar –«

Da zischte das Schwert Glenalvons aus der Scheide.

»Verräter!« schrie der Lord und griff nach seiner Waffe.

Die Stille der Nacht erschrak vor dem wilden Rufe des Ritters.

Aber schon sank Lord Randolph blutend an den Grund. Der Stahl des Marschalks hatte seine Brust getroffen.

Wieder klangen Männertritte durch das Grün der Hecken. Das Gestrüpp teilte sich, und der junge Douglas sprang mit gezücktem Schwerte in den klaren Schein der Nacht.

»Mörder!«

Das scharfe Auge des Marschalks ersah den sausenden Hieb des starken Gegners. Er parierte. Von neuem blitzten die Klingen, klirrte der Stahl –

Da zerriß der klagende Ruf Frau Harriets die Stille der Nacht. Aber noch ehe der Schrei verhallt war, bohrte sich die Klinge des Douglas dem tückischen Marschalk über dem Harnisch in den Hals. Sterbend sank er zur Erde, und sein Blut quoll über die blanke Brustwehr.

Lord Randolph versuchte sich zu erheben. Aber kraftlos sank er zurück. Frau Harriet kniete im tauigen Gras an der Seite ihres Gemahls.

»Wo ist der Marschalk?« fragte der Getroffene.

»Er ist tot!« sagte Archibald Douglas.

Die Kammerfrau war zurückgeeilt und rief die Knechte wach.

Eilige Männer hasteten alsbald durch die lichtklare Nacht. Sie trugen Lord Randolph in die Burg. Der Verräter hatte ihm nicht Zeit gelassen, seiner Tücke mit der Waffe zu begegnen. Nie hatte der Stahl des Marschalks sein Ziel verfehlt. Aber – die Hand, die ihn in dieser Stunde geführt, hatte gezittert: das Herz des Burgherrn war unversehrt geblieben; nur aus einer klaffenden Wunde in der linken Brustseite rann das Blut.

In das Grauen des Tages jagten reitende Boten aus dem Burgtor. Sie ritten mit dem Befehl ihres Herrn; die Hauptleute aus Ritter Randolphs Troß wurden auf die Burg entboten.

Wie die Knechte ins Lager sprengten, wartete man längst des Führers. Aber Lord Randolph war ein siecher Mann. Da erfuhren sie: Marschalk Glenalvon ist tot, gefällt durch das Schwert eines Douglas.

Die Hauptleute saßen zu Pferde und begaben sich eilig ins Schloß.

Lord Randolph lag bleich auf seinem Lager. Frau Harriet pflegte den Verwundeten. Der aber rief Archibald Douglas in den Saal und hieß die Hauptleute an sein Lager treten. Douglas erschien gerüstet wie ein Ritter.

»Ihr wißt,« begann der Lord, »was in dieser Nacht geschah. Die Kunde, die euch gestern über diesen Edlen geworden ist, ist falsch. Er ist nicht ein Hirt von den Grampianhügeln; in seinen Adern fließt das Blut der Douglas, er ist der Sohn meiner edlen Gattin. Die Tücke des Schicksals hat ihn als Knäblein der Sorge seiner Mutter entrissen. Aber ein Wunder des Himmels führte ihn in ihre Arme zurück. In seine Hände lege ich die Macht und die Ehren, die ich selbst im Namen des Königs trage. An der Spitze meines Trosses reitet er an meiner Statt in den Kampf. Er ist unser Sohn und der Erbe von Malcolm.«

Da huldigten die Hauptleute ihrem Führer und leisteten ihm den Schwur der Treue.

Lord Randolph reichte ihm zum Abschiede die Hand. Archibald Douglas aber schloß seine Mutter in die Arme und küßte ihren Mund.

Draußen stiegen die Männer in die Sättel. Vor ihnen sprengte der ritterliche Douglas auf dem aschgrauen Roß durch das Tor.

Die Morgensonne stieg in strahlendem Glanze über die Wälder. Und wieder wehte der weiße Schleier Frau Harriets aus einem Fenster der Burg – ein Segensgruß für siegreiche Schlacht und fröhliche Heimkehr.


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