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Die Burgfrau

Einer der ersten, die in den nächsten Tagen auf das Gehöft von Burg Malcolm ritten, war der alte Priester Melvil.

Er warf dem Troßknechte die Zügel zu und schritt, grau vom Wegstaub, zu dem Frauengemach, Frau Harriet Kunde zu bringen von Sieg und von traurigem Sterben.

Aber die Botschaft von der männermordenden Schlacht war ihm mit der Eile einer Schwalbe vorausgeflogen.

Als der Greis in das Gelaß der jungen Herrin trat, saß sie in ihrem Lehnstuhle und war bleich. Sie starrte den Alten an, als fürchte sie, daß ihr der Tod von seinen Lippen käme. An ihrer verängstigten Seele erkannte er, daß sie schon alles wußte, was sich ereignet hatte. Zudem waren die Frauen in Trauergewänder gehüllt.

»Müßt Ihr nun auch noch kommen und der Herrin Herz zerreißen?« sprach die Kammerfrau.

»Ich tat nur, was meine Pflicht war,« antwortete der Greis. Und die Kammerfrau warf die Hände vor ihr Gesicht. Da rannen die Tränen zwischen ihren weißen Fingern hervor.

»So redet nur – und verschweigt mir nichts, mein alter Priester,« unterbrach Frau Harriet die Stille. Immer lagen ihre traurigen, stillen Augen auf seinem Antlitz. »Ihr wißt viel, aber Ihr wißt noch nicht alles!« setzte sie hinzu. »Was sinnt Ihr?«

»Ich verfluche die Stunde, die mich heimkehren ließ, und das Schicksal, das mich ausersah, als der erste vor Euch zu treten, Herrin! Meine Schultern sind müde und können kaum das Rüstzeug tragen. Aber kein Schwerthieb spaltete mir die Stirne, und kein Spieß fand den Weg in mein Herz. Der Schlachtentod mäht die Blüte der Männer.« So sprach Melvil.

Frau Harriet streckte ihm beide Hände entgegen. Er reichte ihr die seinen und hörte, wie sie sprach: »Der Tod war nicht grausam genug, auch Euch mir zu rauben. Vielleicht ließ er Euch mir, damit Ihr einst bei dem himmlischen Gotte schwören könnt, daß ich eines Mannes Weib gewesen bin! Eines Douglas Weib – denn wer sollte mir das glauben?«

Weil Frau Harriet vor ihrer Kammerfrau von dem plauderte, was tiefes Geheimnis bleiben sollte, wunderte sich der Priester – »So wissen auch andere darum, gnädige Herrin?«

»Ja; denn der Himmel, der mir alle nahm, die ich lieb hatte, hat mir inzwischen ein Kind geschenkt. Aber ...« sie barg ihr Gesicht unter angstvollem Schluchzen in den Händen, »vielleicht ist auch dies Kind verloren!«

Das Staunen des Priesters wuchs mit jedem Worte, das er vernahm. »Ich weiß nicht, wie ich mir Eure Rede deuten soll, Herrin!«

Da hob Frau Harriet flehend die Hände zu dem alten Manne und tastete mit zitternden Fingern, die die Angst ihres Herzens verrieten, über sein hirschledernes Wams. »Der Staub der Schlacht liegt noch auf Euren Kleidern, Mann! Ihr seid müde und seid elend – aber, so wahr Gott lebt, Ihr dürft nicht rasten! Hört! Bald, nachdem das Kind geboren ward, hat es jene alte Amme genommen, deren Mann jenseits des Flusses als Hirte lebte. Auch er ist in der Schlacht gefallen.«

»Was hat die Amme mit Euch zu schaffen?« fragte der Greis und ließ seine Augen ratlos zu der Kammerfrau gleiten.

Da fuhr Frau Harriet fort: »In einer stillen, dunkeln Sommernacht – damit sie niemand um ihr Geheimnis bestehle – ist die Treue mit dem wohlgeborgenen Kinde und reichlich mit allem versehen, was not war, von hinnen gezogen. In jener Nacht brach ein Wetter über den Wald, die Blitze haben ihr den Weg hell gemacht. Aber ich habe keine Kunde von ihr und dem Kinde. Es ist heute schon der vierte Tag. Nehmt ein Roß, Melvil, und reitet und bringt mir Botschaft, wie es steht und was aus meinem Kinde geworden ist!«

Da hieß der alte Mann ein Roß satteln und ritt aus dem Burgtor.

Die Fährfrau am Flusse schüttelte den Kopf und sagte: »Es ist niemand in der Nacht zu uns gekommen und niemand am Tage, der über den Fluß wollte. Der Wald lag die Zeit her wie gestorben.«

Da ließ sich der Priester übersetzen und ritt zum Hause des Hirten Norval und fragte nach der Kinderfrau.

Aber Norval war mit seinen Leuten gerade dabei, seine baufällige Hütte zu verlassen, und sagte: »Ich habe das Weib nicht gesehen. Doch hat einer meiner Söhne einen Korb gefunden, drunten am Ufer des Flusses; der ist in jener Wetternacht an meinen Anger getrieben. Sonst weiß ich nichts. Ich habe vor, diese Gegend zu verlassen und mir im Norden ein Weideland zu kaufen – dort, wo die große Schlacht geschlagen wurde. Es ist dort alles wüste geworden, Herr, und die Männer sind tot, deren Amt es gewesen ist, jene Felder zu bestellen. Darum ist das Land billig, und wer arm ist, kann um wenig Geld weite Flächen erwerben. So ist's – dem einen sein Tod ist dem andern sein Brot.«

Und Melvil ritt weiter und ritt zu dem einsamen Hause der Amme. Es war geschlossen, und war keine Spur eines Lebens in ihm oder eines Fußes im Grase vor seiner Schwelle.

Ein hoffnungsloser, alter Mann, ritt er wieder in den Burghof ein. Er ging in der Frauen Gemach, und Frau Harriet las in seinen Augen, daß er ohne Trost und Kunde heimgekommen sei.

Nun hingen viele schwere, schwüle Sommernächte über den Wäldern. In diesen Nächten lag Frau Harriet mit wachen Augen auf ihrem Lager, und die junge Kammerfrau saß neben ihr.

Das rote Licht der Ampel floß warm über die bleiche Stirne der Herrin.

»Einst wird wieder ein sanftes Rot auf Euren Wangen sein wie im Scheinen der Ampel!« tröstete die Schottin. Aber um der Burgfrau Lippen spielte der tiefe Schmerz. Sie erhob sich von ihrem Lager und trat an das geöffnete Fenster. Draußen lag der weite, alte Schloßpark. In den dunkelen Büschen der glanzblätterigen Stechpalmen waren die Nachtigallen wach. Bei ihrem sehnsüchtigen Singen brach der Schmerz laut über die zitternden Lippen der verlassenen Frau. Sie schlang ihre Arme um den Hals der Dienerin:

»Oh, Mary, Mary, das ist ein Leid ohne Ende und viel zu schwer, es zu ertragen!«

Die Tränen der beiden Frauen rannen ineinander: »Laßt mich mit Euch tragen, teuere Herrin!« bat die Kammerfrau.

»Du sollst hinfort die Vertraute meiner großen Schmerzen sein, Mary. Aber – was kann es nützen? Vermögen dein Mitleid und deine Liebe die Erde und den Strom zu zwingen, mir meine Toten wiederzugeben? Oh, Mary, Mary!«

Frau Harriet ließ ihre Arme leise von den Schultern der Vertrauten sinken. Sie lehnte ihre Stirne gegen das Kreuz des hohen Fensters. Kein Rauschen des Windes war in der Nacht und kein Flüstern des Laubes. Nur das Schluchzen der Nachtigallen im tiefen Dunkel des Parks. Da sank sie an dem Fenster nieder und umfaßte das Kreuz mit ihren Händen. Wie ein Gebet, wie ein Rufen des gequälten Herzens zum Himmel kam es von ihren Lippen:

»Oh, mein gemordetes Kind! Hätt' ich gefürchtet, dich zu verlieren, ich hätte meines Vaters Wut verachtet und meines Vaters Schmerz vergessen! Oh, wär' ich mit dir in die Welt gewandert!«

Sie fühlte die sanfte Hand der Kammerfrau auf der goldenen Seide ihres Haares. Aber sie wandte der Freundin ihre starren Augen zu:

»Tröste mich nicht, Mary, nein – ich will tragen, was ich durch meine große Schuld an Leid über mich gebracht habe!«

»Euere Schuld war die Liebe, Herrin! Und wie könnte die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind eine Schuld sein?«

»Die Liebe?« fragte Harriet wie im Traume. »Oh, Liebe könnte niemals Schuld sein! Aber ich bin die Schlangenpfade der Verstellung gegangen! Ich habe, ehe sie in den Krieg zogen, meinen Vater betrogen, um meinen Gatten zu schützen. Das war die erste Lüge! Und wie ein Sturmwind aufsteht und einen Faden, den er von ungefähr erfaßt, zu einem unentwirrbaren Knäuel schlingt, so spann sich aus jener ersten Lüge ein Netz von List und Trug um mich, in dem ich nun verderbe. Ich sah den Gatten ziehen und durfte nicht einmal um ihn weinen. Wie einen Stern sah ich in meinem Kinde die Hoffnung aufgehen, es könne noch alles gut werden. Aber nun ist der Stern untergegangen, und die Blume meiner Hoffnung ist verwelkt! Daran ist die Lüge schuld!«

Frau Harriet preßte ihre Stirne auf die Hände der getreuen Dienerin.

»Laßt Euch zu Euerem Lager führen, Herrin. Schon sind die Nachtigallen verstummt. Der Tag dämmert über den Säumen der Wälder, und Ihr habt in dieser Nacht wieder kein Auge geschlossen.«

Sie hob Frau Harriet auf und geleitete sie zu dem Lager.

»Oh, wär' ich gestorben, als mein geliebter Gatte in der Schlacht fiel!« schluchzte die bange Frau und bedeckte ihr Gesicht mit ihren weißen Händen. »Oh, hätte mir ein guter Engel das Buch der Zukunft für einen Augenblick aufgeschlagen und mich mein Leben sehen lassen, eh' ich vor Melvil in jenem Turmgelasse kniete! Mein Herz wäre gebrochen, wenn ich das Leid gesehen hätte, das ich nun tragen muß.«

Die Kammerfrau löschte das Licht hinter dem roten Glase und kniete auf dem Felle vor dem Lager ihrer Herrin.

»Mary,« sagte die nach einer Weile, »es wird Tag. Ich höre die Rosse auf die Weide traben. Es ist keine Zeit zu schlafen. Rufe Mägde und gebiete ihnen, alle Dinge, an denen mein Herz hängt, in jenes Turmgemach zu tragen. Dort ist das große Glück über mich gekommen. Und dort wollen wir fortan wohnen und meiner teuren Toten gedenken.«

Es geschah.


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