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Der neue Herr

Auf Burg Malcolm hatte sich in der langen Reihe von Jahren nicht viel geändert. Noch ragten die trutzigen Rundtürme, noch standen die breiten, grauen Mauern und sahen aus, als könne sie kein Schritt der Jahrhunderte zertreten.

Selten nur hallte das wuchtige Bauwerk wider von den frohen Klängen einer Festlichkeit; und selten versammelten sich Ritter und Knappen draußen auf dem weiten Anger vor den Toren, um im Spiele Speere zu brechen und aus der Hand der schönsten und traurigsten aller Burgfrauen das Zeichen des Sieges zu empfangen.

So war der Einsamkeit und Stille der Waldburg im Wandel der Zeiten wenig Eintrag geschehen. Und doch saß längst ein neuer Herr auf Schloß Malcolm.

Lord Randolph war von ritterlicher Art, stolz, tapfer und hochgemut. Aber das verdüsterte Gemüt Frau Harriets schuf ihm Gram und warf einen Schatten auf seine klare Stirn. Er hatte gehofft, die Wolken der Trauer, die über der Burgfrau Seele lagen, möchten verwehen, damit Raum für neue Freude werde.

Seine Hoffnung wich der Enttäuschung.

Da neigte er gemach der Erkenntnis zu: Frau Harriet habe ihn wohl zum Herrn über ihr Erbe gesetzt, aber nicht zum König in ihrem Herzen.

Zwar hatte die Hand der Burgherrin in jener Stunde gezittert, in der sie ihm verbriefte, daß außer ihr kein Mensch lebe, der ein Recht an das Erbe der Malcolm habe. Da ward ihm dieser Besitz verschrieben und die Schrift mit einem Insiegel versehen. Von Stund an konnte ihm sein wohlerworben Recht niemand streitig machen, und kein Widerruf Frau Harriets änderte an dieser Verbriefung auch nur ein Wort.

Jahre vergingen; aber die Schwermut wich nicht aus den Augen der Burgfrau. Da gab es Lord Randolph auf, mit den Toten um seines Ehegemahls Herz zu ringen. Und er ward einsamer und stolzer denn zuvor.

Lord Randolph maß der Trauer zu, was heimliche Schuld die Ursache war. Diese Schuld der Burgfrau war jene Lüge: sie verhehlte dereinst dem alten Vater, daß sie eines Douglas Weib geworden sei.

Aus dieser einen Lüge wuchs alles Elend ihres Lebens.

Weil sie sich vor ihr nicht gefürchtet hatte, scheute sie sich, ihrem Gemahl zu sagen: ich trage die Schuld an dem Tode meines Kindes. Da verschwieg sie ihm auch, daß sie je eines Mannes Weib gewesen; denn der Priester Melvil war schon lange zu den Toten gegangen.

So stellte sich das Gespenst jener Lüge zwischen sie am ersten Tag ihrer Ehe und ließ sie hinfort nicht zueinander kommen. Darum erstand ihr in dem Gatten kein Freund, der ihr tragen half an ihrer großen Schuld.

So blieb auch Frau Harriet einsam mit ihrem Leid, und ihr Leben war ein Gedenken ihrer Toten.

Selten ritten sie zu dritt in den Bergwald.

In der verschwiegenen Treue und dem heiteren Wesen der Schottin fand Frau Harriet zuzeiten sanfte Tröstung.

Auf dem Schlosse rechneten sie dem Stolz und der herrischen Art Lord Randolphs zu, daß die Eintönigkeit der Tage hinter den Mauern nur zu selten von einem Feste verscheucht wurde.

Da wandelte sich der Frohmut allgemach in Unzufriedenheit, die Liebe in Gleichgültigkeit. Und weil der neue Herr Pflichtvergessenheit hart zu strafen pflegte, so wuchsen in Troß und Gesinde Haß und Tücke. Vordem hatte dies stachlichte Kraut keine Saat auf Burg Malcolm gehabt.

Frau Harriet in ihrem Turmgemach ahnte nicht, daß es wucherte.

Um so eifriger war Burgwart Glenalvon, es zu hegen; denn er rechnete: in jedem Feinde des Lords erwachs' ihm selbst ein gefügiges Werkzeug. Der Marschalk schmiedete Ränke und plante schlimme Tat.

Glenalvon war noch gelber und häßlicher geworden, seit der frühe Schnee des Alters in sein struppiges Haar fiel. Aber er war auch noch tückischer und listiger. Um seinen Mund hatte die Zeit tiefe Furchen gepflügt, und in seiner Stirne saßen neben den Narben der Schwerthiebe die Falten verschlagenen Denkens.

Er hatte dem neuen Herrn weichen müssen. All seine List war an dem Eigenwillen Frau Harriets zuschanden geworden, als sie Ritter Randolph zum Erben von Malcolm erhob.

Aber nicht umsonst ging unter den Mannen und dem Gesinde die Meinung, daß Glenalvon keinen Plan unausgeführt lasse, den seine Klugheit einmal erwogen.

Darum sah der Burgwart auch in diesem Falle sein Spiel noch nicht verloren. Er wartete vielmehr, wie das Schicksal seine Fäden ziehe. Und wenn es sein müßte, so wollte er diesem Schicksal seine Klugheit leihen und es zu seinem Nutzen lenken. Sein Ehrgeiz war maßlos; und er scheute kein Mittel, wenn es ihn zum Ziele führte.

Der Burgherr sah den Marschalk nicht ungern. Es schien ihm seltsam, daß Frau Harriet vor diesem Manne gewarnt hatte. Nirgend gab er Anlaß zu Tadel und hielt das Tagwerk auf dem Schlosse in sicherem Gang.

Aber in der Seele des Marschalks glomm glühender Haß gegen den Lord. Sein zwiespältig Herz vermochte zu verbergen, was es an Tücke barg; und des Marschalks Mund sprach gleisnerische Worte.

Der Lord erkannte das nicht und dachte: Frau Harriets Unmut ist ungerecht.

Die Burgfrau vermied, dem Marschalk zu begegnen. So kam die Rede nur selten auf ihn, und Frau Harriet war zufrieden, wenn sie den Namen des unaufrichtigen Mannes nicht zu nennen brauchte.

Lord Randolph dagegen blieb ihm immer wohlgeneigt. Doch lag es nicht in seiner Art, mit einem Dienstmanne Freundschaft zu halten, wie es William Malcolm, der Alte, gepflogen hatte.

Auch für keinen der Knechte hatte der Lord ein freundliches Wort, um so weniger, je eintöniger die Tage durch die Burg dahinschritten.

Nicht einmal eine Grenzstreitigkeit mit denen der Douglas, nicht einmal ein Aufeinanderprallen der Jäger von hüben und drüben brachte die Zeit.

Da geschah es, daß fahrende Leute mit den Troßknechten plauderten: der Däne habe zu lange stille gesessen. Botschaft sei gekommen, er rüste Schiffe und wolle wieder einmal nach der Küste Schottlands steuern.

Diese Kunde hörte keiner lieber als Glenalvon, der Marschalk.

Durch die Waffenkammern, in denen Staub und Spinnen ihr Wesen getrieben, flog die Kunde wie Frühlingswind, und auf dem Burghofe ward es lebendig wie in einem Ameisenhaufen, in den ein plumper Fuß getreten. Harnisch und Gewaffen, Zaumzeug und Sättel wurden instand gesetzt, und Lord Randolph erschien unter den Leuten mit Blicken wie ein Adler, der auf Beute späht.

Einst hatte die Schlacht vor dem wilden Kliff die Blüte der Männer von Malcolm gebrochen. Konnte eine neue Schlacht die neuen Männer nicht fällen? Glenalvon ersah in heimlicher Freude die Ungeduld seines Herrn und schalt weidlich auf träge Zeit und faulen Frieden. Das Mark in den Armen der Krieger vertrockene und Müßiggang nehm' überhand.

Lord Randolph ließ Boten reiten, damit sie Kundschaft brächten, wie es um die Heerfahrt der Dänen stehe. Sein Herz brannte, die graue Stille der Burg mit der fröhlichen Kurzweil des Lagerlebens zu vertauschen. Er trieb Handwerker und Troßknechte zu schnellerer Arbeit. Er schritt durch die Ställe und musterte die jährigen Fohlen aus, die den Sattel tragen sollten.

Einer, den des Lords Tadel ungestüm und zu hart getroffen hatte, begegnete ihm mit keckem Worte.

Da ließ ihn Herr Randolph zur Strafe in Stricke legen und in den Turm werfen. Es war Hildefuns, der Großknecht.

So wendete sich in diesen Tagen das Herz manches Hörigen wider den neuen Herrn.

Das schlug dem Marschalk zum Vorteil. Je herrischer der Lord den Leuten begegnete, desto milder ward er selber gegen die Untergebenen. Und mancher ward ihm zum Freund, der ihm vordem feindlich gesinnt war.

Vor allem aber galt Glenalvons verschlagenes Denken jenem Gefangenen.

In der folgenden Nacht, wie schon die Herdfeuer niedergegangen waren, rasselte der Schlüssel im Schlosse der Turmtür. Das Mondlicht fiel durch die geöffnete Pforte auf modriges Stroh. Der Mann in Fesseln regte sich nicht.

»Hildefuns, wachst du?«

»Wie sollt einer schlafen in diesem Rattenloch, Herr Marschalk!«

»Was dünkt dich, Hildefuns – ich meine: du hättest ein unbedachtes Wort nicht leicht härter büßen können?« fragte der Marschalk, um sich der Gesinnung des Großknechtes noch einmal zu versichern.

»Seid Ihr geschickt, mich vollends stumm zu machen?« entgegnete Hildefuns argwöhnisch.

»Still, Mann!« gebot der Marschalk. »Vielleicht könnt ich vergessen, das Schloß zuzusperren ...«

Der Gefangene richtete sich auf dem Lager ein wenig empor. Er glaubte, nicht recht gehört zu haben.

»Der Strick schneidet mir die Fesseln blutig. Und die Handgelenke sind mir geschwollen, Herr! Was nützt es, wenn die Türe dieses Molchnestes angelweit offensteht?«

Der Marschalk war hinzugetreten, zog sein Jagdmesser und zerschnitt die Stricke, die die Knöchel des gequälten Mannes umfingen. Dann gebot er ihm, sich zu erheben, und trennte auch die Fesseln an seinen Armen.

Der Mann wußte nicht, warum ihm das geschah.

»Habt Ihr dem Lord Erkenntnis seines Unrechts beigebracht?« fragte er.

»Er ahnt nicht, was in dieser Stunde geschieht,« entgegnete der Marschalk und lehnte die Tür an. Ein silbernes Band klaren Mondlichtes fiel in das mißduftige Gewölbe.

»Was soll nun geschehen, Marschalk?« fragte der Befreite.

»Was meinst du?« – Glenalvon vermied es auch jetzt noch, sich zu verraten.

»Ich muß fliehen, so wahr mir mein Leben lieb ist!«

»Das wird geschehen müssen, Hildefuns.«

»Aber ich will ihm die Schmach vergelten, die er mir angetan hat. Ich will ihm sein schnellstes Roß stehlen! Ich will – was braucht Ihr zu wissen, was morgen geschieht oder übermorgen? Aber das eine sollt Ihr mir sagen –«

»Rede, Hildefuns!«

»Kennt Ihr den Roßknecht, der um diese Stunde die Stallwache hat?«

»Humfried!«

Hildefuns wollte einen Sprung tun. Aber seine gequälten Glieder versagten den Dienst.

»Der scheele Humfried ist mein Freund,« sagte er. »Habt Dank, Herr Marschalk! Vielleicht ist der lahme Hildefuns, wenn er wieder gesund ist, gut genug, Euch einen Dienst zu erweisen – versteht Ihr mich, Herr?«

»Sst! Was sinnst du, Hildefuns?«

»Wie ich Abrechnung halte mit dem edlen Ritter Randolph!« knirschte der Knecht. Seine Blicke leuchteten durch das Dunkel des Kellers wie aus eines Wolfes Augen.

Dann glitt er hinaus in die Nacht.

Der Marschalk aber schritt in den Schatten des Burggemäuers und verschwand.

Hildefuns schlich in den Stall. Der Roßknecht Humfried hockte verschlafen unter dem schwelenden Span.

Er sah den Großknecht an wie ein Gespenst.

»Bist du's, Hildefuns, oder ist es dein Geist?«

»Halt's Maul, Geisterseher! Ich bin es selber!«

Sie sprachen leise miteinander.

Dann machte sich Humfried von hinnen und kam alsbald mit zwei Gesellen zurück. Sie drehten Seile aus Stroh und umwickelten die Hufe von vier Pferden. Dann schwärzten sie ihre Gesichter mit dem Ruße des schwelenden Kiens. Sie legten sich Rüstzeug an, das als untauglich für die Feldschlacht am Tage beiseite geworfen war.

Der Mond ging unter. Es war dunkel über den weiten Rasenflächen der Koppeln. Da führten sie die Rosse hinaus. Sie schwangen sich in die Sättel und entkamen im Schutze der Nacht.


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