Emanuel Geibel
Brunhild
Emanuel Geibel

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Vierter Aufzug.

Halle in der Königsburg zu Worms. Den Haupteingang bildet ein offener Bogen im Hintergrunde; seitwärts zur Rechten eine hohe Pforte, die in Gunthers Gemächer führt; dieser gegenüber links ein anderer Eingang.

Erster Auftritt.

Siegfried. Gunther.

Siegfried. So weißt du nun, wie alles sich begab,
Ich habe nichts verhehlt und nichts entschuldigt;
Und nun noch einmal: gib mir Urlaub, Fürst.
Aufrichtig dank' ich dir's, daß du dein Herz
Um diese Schuld nicht von mir abgewendet,
Doch meines Bleibens ist fortan nicht hier.
Zu meinem Vater will ich heim nach Santen.

Gunther. Mitnichten, Siegfried. Unglücksel'ges wohl
Geschah, und meiner Krone besten Stein
Gäb' ich dahin, es ungeschehn zu machen,
Doch heilt sich Arges denn mit Ärgstem nur?
Du hast der Schwester hart ihr Tun verwiesen,
Hast an dir selbst gestraft, was du gefehlt;
Und sprech' ich nun: Mir ist genug geschehn,
Wer will noch rechten?

Siegfried.                           Du vergißt Brunhilden.
Ihr nordisch Blut hat schwerern Sinn wie deins.

Gunther. Erwarten wir's. Bis heut zwar schloß sie sich,
Mit ihrem Groll der Menschen Auge meidend,
In ihr Gemach. Und walten ließ ich sie,
Weil Zeit und Einsamkeit Besinnung schaffen.
Doch eben ward mir Botschaft: sie begehrt
Um Mittag hier im Saale mich zu sprechen.
Gewiß, sie fühlt, daß sie sich sühnen muß.

Siegfried. Vielleicht mit dir, mit mir und Kriemhild nie.

Gunther. Wer weiß! Ein Rätsel blieb ihr Wille stets.
Doch, wär's auch, wie du sagst, so laß die Frauen
Sich meiden; was am Ende kümmert's uns!

Siegfried. Du bleibst Brunhildens Gatte –

Gunther.                                               Doch kein Kind,
Das sich von Weiberlaunen gängeln läßt.
Fürwahr, dein langes Zaudern muß mich kränken.
Du traust mir nicht –

Siegfried.                       Beim Licht der Sonne dort!
Mißhör mich nicht. Am Ende machst du mich
Zum blöden Träumer, der am hellen Mittag
Gespenster schaut, und unter Freundes Dach
Vor Hinterhalt und Mörderwaffen bangt.
Nein, nur was menschlich ist, befürcht' ich. Keiner
Gehört in Haß und Liebe nur sich selbst;
Ein Zauber webt im Dunstkreis, den wir atmen,
Und sacht, vom ewig gleichen Hauch umwittert,
Verwandelt sich das Herz uns in der Brust.
Wir könnten leicht – nicht feind – doch fremd uns werden.
Drum, eh' uns das geschähe, laß mich ziehn.

Gunther. Dich treibt dein ungestümer Sinn hinaus,
Gesteh es nur, nicht diese Schattenbilder,
Die du dir selber schaffst. Fürwahr, du zwingst mich
Zu sagen, was der Mann nur schwer bekennt,
Und schwerer noch der König: Sieh, ich kann,
Kann dich nicht missen. Drum verlaß mich nicht.
Versteh mich, Siegfried, nicht den Siegerarm
Des Helden mein' ich; nein, dein fröhlich Auge,
Dein trautes Wort, dein sonnenhell Gemüt.
Wenn du mir schiedest, löscht' in dieser Burg
Mir jeder helle Klang und Schimmer aus.
Denn Brunhild lieb' ich, ja – allein ihr Sinn
Ist wie Gewitterhimmel; jede Lust,
Die von ihr ausgeht, birgt geheime Schrecken;
Ein heiter Glück erwart' ich nie von ihr.
Gernot ist fern, und Giselher ein Kind.
Wer bleibt mir sonst? Du weißt es ja, wir Kön'ge
Stehn einsam wie auf Bergesgipfeln da;
Die Ehrfurcht reicht hinauf, die Freundschaft nicht.
Doch du warst meinesgleichen, dir vermocht' ich
Mich frei zu schenken. – Sieh, so hab' ich stets
Die andern all, die eh'rnen Panzerhelden,
Geachtet, wie sie mir in Feld und Rat
Gedient; dich aber hab' ich lieb gehabt,
Von all den Hunderten, die mir begegnet,
Nur dich. – Nun ist's gesagt. Und jetzo geh!
Geh, wenn du kannst!

Siegfried.                         Beim Stuhl des Wodan, nein.
Ich bleibe bei dir. Wo aus Mannes Brust
So tief der volle Klang der Liebe bricht,
Da muß beschämt jedweder Zweifel weichen.
Gesegnet sei die Stunde, die mir so
Dein Herz enthüllt hat; diesen Hader selbst
Nun könnt' ich segnen. Ja, so schickt ein Gott
Die finstre Wolk' uns, daß wir doppelt siegreich
Das Farbenspiel des Bogens leuchten sehn.
Gib mir die Hand!

Gunther.                   Und spür' an ihrem Druck,
Wie treu ich's meine. Wahrlich, sehn die Weiber
Uns so verbunden, sie besinnen sich,
Und wie ein Funk' in Aschen stirbt der Zwist.
So sei denn gleich ein frohverbrüdert Tagwerk
Für heut begonnen! Mit den Mannen will ich
Zur Hirschjagd in den Odenwald hinaus.
Geleite mich, und unter grünen Wipfeln
Beschwören wir aufs neu den alten Bund.

Siegfried. Ich bin dabei.

Gunther.                     Geh denn und laß den Hengst
Dir satteln. Nur mit Brunhild red' ich noch
Ein ruhig Wort, das mir ein Gott gesegne,
Und dann vom Hof herauf mit Hörnerschall
Ruf' ich dich ab.

Siegfried.                 Du sollst nicht warten, Gunther.
Beim Thor! So fröhlich ging ich nie zur Jagd.

(Siegfried geht ab durch den Haupteingang, In demselben Augenblick erscheint Hagen durch die Pforte zur Linken.)

Zweiter Auftritt.

Gunther. Hagen.

Gunther. Du kommst zur guten Stunde. Eben hielt ich
Mit Siegfried Zwiesprach. Unser Zwist ist aus,
Und meinem Wunsche fügt er sich und bleibt.
Fürwahr, er trägt ein hoch Gemüt, und froh
Aufatm' ich, wie bei Frühlingswiederkehr,
Da ich nach all dem Wirrsal ihn aufs neue
Den Unfern heiße.

Hagen.                       Herr, was tatest du!

Gunther. Kann dich's befremden, Mann, wenn alte Freunde
Rasch ebnen, was sie schied? – Sag' an, was soll
Dies Runzeln deiner Stirne? Tust du doch,
Als hätt' ich Unheil dir, nicht Glück verkündet.

Hagen. Ein allzu rasches Wort ist niemals Glück.
Du wirst, was du gelobt, nicht halten können.

Gunther. Laß sehn doch, wer mir's wehrt!

Hagen.                                                     Die Taten, die
Geschehn sind, Herr, und deine Königin.

Gunther. Du sprichst sehr zuversichtlich. Warst du etwa
Bei Brunhild?

Hagen.                 Nicht bei ihr; denn niemand noch
Ward zugelassen. Doch ich forscht' im Vorsaal
Beim Ingesinde nach der Herrin Tun.

Gunther. Und was erfuhrst du? Was begann die Fürstin,
Seit sie sich unserm Blick entzog?

Hagen.                                               Laß mich
Berichten, was ich von den Frauen weiß.
Zur Stunde, da vom Sonnenwendenfest
Sie heimkam, löste sie ihr wallend Haar,
Und Mantel, Kron' und Spangen von sich legend,
Bestieg sie stumm ihr greifenklauig Bett.
Dort, wie ein Erzbild, lag sie nun zwei Tage,
Zwei Nächte, wortlos, ohne Speis' und Trank,
So ganz in sich versunken, daß sie kaum
Ein Glied geregt. Doch schlief sie nicht, denn finster,
Weit offen glomm ihr brennend Aug' empor,
Und sichtbar über Stirn und Brauen zogen
Wie Wolkenschatten die Gedanken ihr,
Als reift' ein furchtbar Schicksal sie im Innern.
Erst heut aus dieser Starrheit fuhr sie auf
Und rief nach Wein, und sog aus tiefem Becher
Den Trunk mit bleichen Lippen durstig ein.
Dann, ihren Purpur um die Schultern werfend,
Hieß sie hieher dich laden zum Gespräch.

Gunther. Seltsam! – Auf Frieden hofft' ich; dein Bericht
Hört freilich eh'r wie Möwenschrei sich an,
Der Sturm verheißt. So gilt es zwiefach denn
Mit Ruh' gewappnet sein.

Hagen.                                   Die Königin!

(Brunhild ist unter dem Bogen des Haupteingangs erschienen.)

Dritter Auftritt.

Gunther. Hagen. Brunhild.

Brunhild. Aus meiner Kammern Stille, wo ich einsam
Mein schlummerloses Leid in mir gewälzt,
Tret' ich gefaßten Geistes, mein Gemahl,
Bereit zur Zwiesprach wieder dir entgegen.
Doch nicht des Herzens Wunsch – du fühlst es wohl –
Die Not der Stunde nur, die unerbittlich
Ein schweres Werk uns auflegt, treibt mich her.
Dir anzukünden komm' ich, was geschehn muß,
So du nicht selbst schon deinen Schluß gefaßt.
Sprich denn!
        (Hagen will sich entfernen.)
                    Bleib, Hagen! Du bist treu; du trägst ja
Kein wallend Goldgelock und wußtest nie
Von süßer Rede. Deines Rats vielleicht,
Vielleicht auch deines Arms bedürfen wir.

Gunther. Mit Freuden seh' ich, Brunhild, daß der Sturm
Der bis zur Wurzel dich erschüttert, endlich
Vorüberzog. Besonnen wendest du
Den Blick umher, und ruhig klingt dein Wort.
So hoff' ich denn, auch was dir not scheint, wird
Getrosten Mutes zu vollführen sein.
Doch eh' du's aussprichst, hör mich an. Wohl fühl' ich's,
Daß ich mich schwer an dir verging, und stumm
Von meines Unrechts Wucht hinabgedrückt
Vor dir versinken müßt' ich, wär's nicht Liebe
Gewesen, was in dies Vergehn mich trieb.
Doch Liebesschuld ist stets geteilte Schuld.
Nicht mich allein, die eigne Hoheit auch,
Den Zauber, den dein Reiz allmächtig übt,
Verklage, wenn der Wunsch, dich zu besitzen,
Durch Recht und Sitte wie ein Feuer brach.
Jetzt ist's geschehn, und keines Gottes Spruch
Vermag's zu ändern; Zorn und Gram und Reue
(Könnt' ich bereun) sind alle gleich umsonst.
Da frommt nur eins: wie eines bösen Traums,
Den Finsternis und wildes Blut gezeugt,
Der Tat Gedächtnis löschen. Was versank
Nicht schon im Brunnen der Vergessenheit!
Wo ist ein tödlich Weh, das er nicht deckte!
So sei denn weise, Brunhild, wirf die Schuld
Auch dieser Tage großgesinnt hinab,
Und was dir doch – dafern das Leben je
Dir wieder blühn soll – einst die Not geböte,
Das tu aus freier Wahl: Vergiß! Vergib!

Brunhild. Du sprichst in einer Sprache, die, vernehm' ich
Die Worte gleich, doch wie des Windes Sausen,
Des Wassers Rauschen mir unfaßbar bleibt,
Ein leerer Schall, dem Sinn und Deutung fehlt.
Wenn mir ein Pfeil im wunden Fleisch noch zittert,
Wenn tödlich Gift mir durch die Adern rast,
Wirst du verlangen, daß ich Pfeil und Gift
Aus meinem Sinn vertilgen soll? – Und doch!
Ich könnt' es eh'r, als diese Qual vergessen,
Die unauslöschlich brennend mich verfolgt.
Den Göttern mag es anstehn, zu verzeihn,
Denn machtlos prallt von ihrer heitern Stirne
Der Frevel, wie von festem Erz, zurück;
Ich bin verwundbar irdischen Geschlechts,
Und Sühnung brauch' ich, wie ich Schmerzen fühle.

Gunther. Ich hatte dich besänftigter gehofft.
Doch sei's. Sag deinen Preis. Was menschlich ist,
Gewähr' ich dir. Du wirst im Zorn nicht reden.

Brunhild. Sei unbesorgt. Wer so wie ich gelitten,
Dem losch mit Furcht und Hoffnung auch der Blitz
Des Zornes aus, und ehern, wie das Schicksal,
Gelassen tut er, was notwendig ist. – –
Siegfried muß sterben.

Gunther.                           Weib, versuchst du mich?
Zu welchem Ende sonst der grause Scherz!

Brunhild. In solcher Stunde scherzen, wäre Frevel.
Du frugst mich um den Preis; ich nannt' ihn dir.

Gunther. Und Mindres also nicht, als Siegfrieds – Mord,
Begehrtest du?

Brunhild.               Du sagst es, mein Gemahl.

Gunther. So hat von deinen Zauberweibern eins
Mit Bechern Wolfsbluts dir das Haupt verwirrt,
Und dir das Herz zu kaltem Fels versteinert!
Doch wenn du selber fühllos solchen Greu'l
Nicht scheust zu denken, wähnst du denn, ich werde
Jemals einwill'gen in das Gräßliche?
Ich werd' es dulden, daß man hinterrücks
Den Waffenbruder mir, den Freund erwürgt?

Brunhild. Du wirst es dulden.

Gunther.                               Nimmermehr! Den Gast –

Brunhild. Der dir vor allem Volk dein Weib entehrt!

Gunther. Das tat nicht er –

Brunhild.                           Das tat die Schwester, meinst du.
Doch konnte sie's, wenn er dich nicht verriet?

Gunther. Durch absichtsloses Wort. Ein Schicksal war's.

Brunhild. So nenn's auch Schicksal, daß er sterben muß.

Gunther. Laß dich beschwören –

Brunhild.                                   Spar die eitle Rede!
Du hältst der Norne Schritt so wenig auf,
Wie du ihn retten könntest, wenn er mich
Vor deinen Augen hier erschlagen hätte;
Denn Ehr' und Leben halten gleich Gewicht.
O, als ich dalag, Tag' und Nächte lang
Nichts als den Abgrund meiner Schmach empfindend,
Als jede Faser, die in mir sich regte,
In Schmerz aufzuckend nach Vernichtung schrie:
Was hielt mich ab, mit eingepreßtem Odem
Die Brust zu sprengen und des Blutes Bäche
Stillstehn zu heißen, wenn es nicht die Pflicht
Der Reinigung und der Vergeltung war?
Nicht ungesühnt durft' ich hinuntergehn,
Ein ehrlos Bild zu wandeln bei den Toten,
Die ich im Leben hoch die Stirne trug.
Das trieb mich rückwärts von der düstern Schwelle,
Die meine Sehnsucht schon betrat, das hieß
Noch einmal dies verhaßte Licht mich grüßen;
Doch nur, damit's mein furchtbar Sühnungswerk
Bezeuge, wie es meine Schmach gesehn.
Nur um der Rache willen leb' ich noch;
Und bei dem Eid, mit dem du am Altar
Dich mir verschwurst, du wirst sie mir nicht weigern!

Gunther. O, hilf mir, hilf mir, Hagen! Rette mich
Vor diesem Weib! Es steigt aus ihren Worten
Ein Dämon, der das blanke Todesschwert
Mir aufdrängt, das ich doch nicht fassen kann
Tritt du dazwischen mit der Eisenseele!
Sag ihr – denn mich, du siehst es, hört sie nicht –
Daß sie Unmögliches begehrt. Und mir –
Bei deiner Treue, Mann, beschwör' ich dich –
Zeig' einen Pfad der Schonung!

Hagen.                                           Herr, weil ich
Dein treuer Mann bin, kann ich's nimmermehr.
Wie spräch' ich Ja, wo Ehre Nein gesprochen!
Er hat dein Weib beschimpft und deine Krone;
Du mußt ihn töten. Keinen Ausweg gibt's.

Gunther. Auch du! Auch du! Wohlan, so nehmt mein Haupt,
Mein Blut für sein's dahin! Ich bin kein Feigling,
Der erst die Tat gebeut und dann sie straft;
Denn das bekenn' ich, daß ich sie gebot.
Ich hab' das Leben lieb, doch eh' ich mir's
Durch solchen Vorwurf Tag für Tag verkümmre,
Werf' ich's auf einmal von mir. Nehmt es hin!

Brunhild. Nicht also, Gunther. Diese Regung acht' ich;
Doch wozu frommte mir dein Blut? Es würde,
Verschüttet' ich's, den dürren Sommerstaub
Zu meinen Füßen sätt'gen, nicht mein Herz,
Und nimmer wüsch' es mich vom Makel rein.
Denn nach der Kränkung, die die Schuld uns schuf,
Wägt sich die Buße. Und da uns denn doch
Ein finstrer Geist die Lippen löst, daß wir
Das Letzte sagen, keiner Scheu gedenk,
So hehl' ich's nimmer: Was ich litt, ist mehr,
Als du mir zu bereiten je vermocht.

Gunther. Beim Thor, du sprichst befremdlich –

Brunhild.                                                         Nur wahrhaftig;
Bekenntnis wäg' ich mit Bekenntnis auf.
Was du mir antatst, o, ein Frevel war's,
Ratlose Wildheit konnt' ihn blöder nicht,
Nicht blinder üben. Doch aus deinem Sinn,
Wie ich dich jetzt erkannt, begreif' ich ihn;
Du konntest mich beflecken, nicht erniedern.
Doch er, der in der flügelstolzen Seele
Das Maß der meinen trug, mit dem ich einst
Im Kelch der Jugendlust den Schaum geteilt –
Daß er zum schnöden Werkzeug dir sich lieh,
O das, das traf, das zehrt im Innern hier
Wie fressend Feuer! – Er, der tannengleich
Aus eurer Nebeldumpfheit seinen Wipfel
Ins Licht der Ehre streckte, der –

Gunther.                                           Halt ein! –
Dich macht dein Haß ja sehr beredt im Lob.

Brunhild. Man haßt nur das, was man als groß geehrt.

Gunther. Verflucht denn Schonung, die Mißachtung birgt!
So sind wohl wir für deinen Grimm zu klein?

Brunhild. Das sprachst du selber, mein Gemahl, nicht ich.
Ich heischte Siegfrieds Tod nur, nicht den deinen.

Gunther. Ja, weil sein Blut von echterem Rubin
Dir dünkt, wie mein's, weil du von ihm ein Bild
Im Herzen trägst, das, wie es mich verdunkelt,
Zu heißrer Wollust deine Rache lockt.
O tief in deine Seele schau' ich nun
Und sehe drin in allen Winkeln schlafend
Halbfertiger Sünden ungeborne Brut –
Du hättest ihn, wenn dieses Schicksal ausblieb,
Geheim auf deiner Wünsche Thron gesetzt,
Und zu ihm aufgeglüht in wilder Sehnsucht,
So wie du jetzt ihn zu vernichten brennst.
Doch bei den Göttern, eh' ich diesen Vorzug
Ihm neide, könnt' ich – o, mein Haupt wird irr,
Und Haß und Freundschaft schaun wie Zwillingsbrüder,
Daß ich sie nicht mehr scheide! –

Brunhild.                                         Komm zum Schluß!
Was soll geschehn?

Gunther.                     Beim Thor! Gewogen war's;
Allein mir deucht, die Schalen zeigten falsch.
Noch einmal wäg' ich's.

Brunhild.                           Tu's, doch tu's zur Stelle;
Denn kein Gespräch, wie dies, ertrüg' ich mehr.

(Gunther geht gegen den Hintergrund.)

Hagen. Er schwankt – du hast's errungen, Königin.
Du sprachst ein Wort, vielleicht unwollend nur,
Das ihm das Herz im Busen umgewendet.
Was dir die Freundschaft niemals zugestanden,
Die Eifersucht, hab' acht, gewährt es dir.

Brunhild. O welch Geschlecht! Vergebt, ihr hohen Götter,
Ihr meine Ahnen dort in Asgards Burg,
Daß ich mit diesen handle! Doch ihr wißt's:
Ich muß ans Ziel, gleichviel auf welchem Pfad.
        (Da Gunther sich wieder genähert hat.)
Nun, mein Gemahl, ist dein Beschluß gefaßt?

Gunther. Gewaltsam drängst du mich, entsetzlich Weib!
Doch wenn er's wäre, wer vollbrächt' ihn!

Hagen.                                                           Ich.

Gunther. Du wolltest? –

Hagen.                           Ja. Und sonder Aufschub, Herr,
Dafern dein Sinn gradaus geht, wie der meine.
Denn günstige Gestirnung winkt uns heut.
Du hast die Jagd bestellt. Der finstre Wald
Gibt Raum zur Tat, und Anlaß, und verhüllt
In rätselhaftes Dunkel ihre Schrecken.
Wir treffen's nimmer besser. Drum, so dir's
Genehm ist, braucht es keines Auftrags mehr.
Nur, so du nicht willst, sprich ein klares Nein.

(Ein Kämmerer, Bogen, Speer und Mantel in den Händen tragend, tritt im Hintergrund auf und geht quer durch den Saal in Gunthers Gemach.)

Brunhild. Dein Weidgerät!

Hagen.                               Befiehl!

Brunhild.                                       Ja oder nein?

Gunther (zögert einen Augenblick; er scheint mit sich selbst zu kämpfen; dann folgt er, ohne zu reden, dem Kämmerer in die Pforte zur Rechten.)

Hagen. Kein Wort! – Dies Schweigen, Siegfried, ist dein Tod.
Die Würfel liegen. Königin, du siehst
Mich wieder, wenn's vollbracht ist, oder nie. (Ab.)

Brunhild (allein).
Geh deinen Gang, Verderber! Triff ihn gut!
Triff ihn ins Herz, wie er mich traf! Mein Leben
Ist qualvoll Warten, bis das Opfer liegt.
Und dann? – Was dann? – Nicht weiß ich's, will's nicht wissen –
Ich weiß nur eins: Sein Haupt muß in den Staub!
Das andre fügt, ihr schonungslosen Götter,
Wie's eurem Sinn gefällt! Was kümmert's mich? (Ab.)

Verwandlung.

Kriemhildens Gemach. Im Hintergrunde eine breite Pforte, die auf einen offenen Altan führt. Über die Brüstung desselben ragen die Wipfel der im Burgzwinger stehenden Bäume empor; zwischen dem Altan und dem Zwinger wird seitwärts eine Verbindung durch Stufen angenommen. Vorne zur Linken ein Webstuhl, in dem ein Teppich eingespannt ist; rechts ein breites Fenster, daneben ein Schrein mit Krügen, Trinkhörnern und sonstigen Geräten.

Vierter Auftritt.

Kriemhild. Bald darauf Gerda.

Kriemhild (am Webstuhl stehend).
Nun magst du ruhn für heut, mein Weberschiff.
In wenig Tagen kann das Bild im Teppich
Vollendet sein. Und nun, wie anders doch,
Als mir's im Sinn einst schwebte, sieht es fertig
Mich an! – So weben wir am Leben auch,
Und anders wird es, ach, als wir gemeint.
Nach goldnen Fäden wähnen wir zu greifen,
Und eine Macht, die wir nicht kennen, tauscht
Sie unter Händen uns mit dunkeln aus.
Erst, wenn's zu spät zum Ändern, merken wir
Den Irrtum –
                    Horch, ein Schritt!

(Gerda tritt auf über den Altan.)

Kriemhild.                                     Du bist es, Gerda?
Ich dachte, Siegfried wär's – Wo bleibt er nur?

Gerda. Gleich wird er bei dir sein. Ich sah ihn eben
Im Hof, wo er den Hengst sich schirren läßt;
Da kreischt es rings von Falken, bellt's von Hunden.
Die Fürsten wollen auf die Jagd hinaus.

Kriemhild. Du sahst ihn? Schien er wohlgemut?

Gerda.                                                             Er lachte
Und rief: »Bestell mir einen Becher Weins,
Doch einen großen; frohes Herz macht Durst;
Ich will noch Abschied trinken, eh' ich reite.«

Kriemhild (schmerzlich).
Er scherzt und will hinaus.
Gerda.                             Verwundert's dich?
Ist doch der Tag zum Weidwerk wie geschaffen,
So frisch und sonnenklar! – Doch du bist bleich;
Was fehlt dir, Herrin?

Kriemhild.                       Nichts – ich bin ein Kind;
Unruhig schlief ich diese Nacht. Nun wallt
Mein Blut und ängstigt mich mit böser Ahnung.
Es wird vorübergehn.

Gerda (ist an den Webstuhl getreten). Ei, wie du fleißig
Gewesen bist! Wie prächtig hebt sich schon
Vom dunkeln Grund dein farbig Bildwerk ab!
Jawohl, das ist die Leichenfeier Balders,
Des lichten Asgardsohnes. Jegliche
Gestalt ist kenntlich: hier, wie Silber bleich,
Der Gott auf seines Scheiterhaufens Decken;
Hier Nanna, sein Gemahl, im goldnen Haar
Dir selber ähnlich, und im Kreis die Asen,
Der ganze Reigen, tief in Leid gehüllt. –
Wie brachtest du's so herrlich nur zustand?

Kriemhild. Weiß ich's? Halb sann ich's aus, halb wuchs es so.

Gerda. Mir deucht, was ich als Kind vom frühen Tod
Des schönen Gottes singen hört', hier ist's
Lebendig worden, und mit Schauern rieselt
Das alte Lied mir wieder durchs Gemüt.
Du weißt, Frau Ute summt' es oft uns vor.

Kriemhild. Den ganzen Morgen lag's mir schon im Sinn.
            »Da trugen Trauer
            Götter und Menschen,
            Daß nun ihr Liebling,
            Der lichte, schiede.«

Gerda.
            »Wie Bronnen brach es
            Aus Felsenbrüsten
            Und alle weinten
            Um Balders Tod.«

Kriemhild (ausbrechend).
So wird die Welt um Siegfried weinen, Gerda!

Gerda. Was sagst du, Herrin! Hält dein kunstreich Werk
Dir so den Sinn bezwungen, daß du's schon
Vom eignen Schicksal nicht mehr scheiden magst?
Fürwahr, das lange Sinnen bei der Arbeit,
Das stille Brüten hat dich krank gemacht.
Doch auf den Stufen hör' ich schon den Schritt
Des lieben Arztes, der von dieser Schwermut
Dich heilen wird. Dem lass' ich dich. Den Becher
Nur rüst' ich eilig noch, den er verlangt.

(Sie nimmt Krug und Trinkhorn aus dem Schreine, stellt sie auf die Tafel und geht seitwärts ab, während sich Kriemhild dem durch den Haupteingang auftretenden Siegfried entgegenwendet.)

Fünfter Auftritt.

Kriemhild. Siegfried.

Kriemhild. O fühl' ich endlich dich an meiner Brust,
In meinen Armen, fühle, wie das Leben
In warmem Strom durch deine Adern pocht!
Dank, Dank den Göttern! Ach, vermöcht' ich so
Dich stets zu halten!

Siegfried.                       Wie du glühst, mein Herz!
Und so bewegt! Zu spät wohl kam ich dir.
Doch sieh! Luft braucht der Mann, und tät' ich ganz
Den Willen dir, du schlössest mich – ich wette –
Noch zu den Mägden in dein Fraungemach
Und lehrtest mit der Kunkel mich mein Tagwerk
Bestellen. Traun, das gäb' ein artig Lied:
»Wie Siegfried, der vordem den Drachen schlug,
Am Rocken saß und spann.« – Was meinst du, Schatz?

Kriemhild. Ich kann nicht lachen. Felsenschwer liegt's auf mir,
Und all dein Scherzen scherzt die Last nicht fort –
O Siegfried, ich vergeh' in Angst um dich!

Siegfried. Um mich? Ei, Herz, wo träumst du denn Gefahr?
Was kann dich ängsten?

Kriemhild.                         Alles, Siegfried, alles.
Seit mir das unglücksel'ge Wort entflohn,
Du weißt, das Brunhilds Grimm gereizt, entwich
Die Ruh' aus meiner Seele. Jeder Laut,
Ein fallend Schwert, ein Hufschlag schreckt mich schon;
Aus jeder Pforte, die sich öffnet, muß
Ein Unheil treten, mein' ich; jedes Dunkel
Verbirgt geheimes Schrecknis. – O, ihr Blick,
Der letzte, den sie mir herüberschoß,
Sprach mehr, als Worte je gedroht. Dies Auge
Glimmt wie ein Feuer im Gedächtnis mir
Und sengt, zu Nacht ob meinem Lager schwebend,
Den Schlaf von meiner Wimper fort – O Siegfried,
Sie brüten Rache. Hüte, hüte dich!

Siegfried. Wenn dich nichts andres drückt, sei ruhig, Herz.
Das ist's ja grade, was mich heut so froh macht,
Daß dieser Hader, der auch mir ein Dorn
Im Fleisch war, völlig nun geschlichtet liegt.
Dein Bruder Gunther bot so treu und herzlich,
Daß tief mich's rührte, selbst die Hand dazu,
Und fester steht, denn jemals, unsre Freundschaft.

Kriemhild. Trau nicht auf dieser Freundschaft dünnes Eis!
Es lockt und gleißt, und dann urplötzlich reißt sich
Der Abgrund unter deinen Füßen auf!
Verzeihn es mir die Götter, wenn ich unrecht
Den Meinen tue! – Doch mir sagt mein Herz:
Sie täuschen dich –

Siegfried.                     Nein, Kriemhild, sprich nicht so,
Zur selben Stunde nicht, da fast beschämend
Sich Gunthers hoher Sinn an mir erwies.
Verbrechen ist's. Und wahrlich, lieber läg' ich
Ja schon im sonnenlosen Hügelgrund,
Ein Toter eingescharrt, als daß ich nicht
An meiner Freunde Treue glauben sollte!
Was ist ein Leben wert noch, wo der Mann
Dem Manne nicht mehr traut! – Hinweg damit! –
Gib mir den Becher, daß ich aus der Seele
Den trüben Dust mir spülen mag. Gleich wird
Man blasen –

Kriemhild.           Siegfried, geh heut nicht zur Jagd!
Geh nicht zur Jagd! Tu's mir zulieb.

Siegfried.                                             Ei, Schatz!
Soll ich denn wirklich spinnen?

Kriemhild.                                   Lache nur!
Verspotte mich, tu, was du willst, nur bleib!
Bleib heim um meiner Ängste willen, Siegfried!
Nur heute! – Sieh', mir war's zu Nacht im Traum,
Zwei Berge stürzten und begruben dich;
Und wieder, Siegfried, sah ich einen Hirsch
Von goldner Farbe durch das Dickicht ziehn,
Und plötzlich fiel ein wütend Eberpaar
Von hinten über ihn und schlug die Hauer
In seine Weichen, gräßlich, daß das Blut
In roten Bächen auf den Rasen schoß –
Der Hirsch warst du!

Siegfried.                       Wohin verlierst du dich!
Du bebst vor Schatten, die die eigne Furcht
Im Schlummer über deine Seele warf –
Glaub mir, es wohnt kein Sinn in diesen Bildern.

Kriemhild. O sprich nicht so! Die Götter haben oft
In Träumen schon zu unserm Stamm geredet,
Und manche Warnung kam uns im Gesicht.
Doch nicht zu streiten lüstet mich. Ich will
Nur bitten. – Gilt mein Glaub' als Torheit dir,
So sei denn töricht, weil dein Weib dich anfleht!
Sei töricht, einmal nur!

Siegfried.                           Laß ab! Sieh – dir
Zuliebe blieb' ich wohl, allein ich darf's nicht.
Denn diese Jagd war Gunthers Wunsch. Gemeinsam
Zum ersten Male wieder ziehn wir aus.
Er hat mein Wort. Was dächt' er, käm' ich nicht!
        (Er ergreift den Becher und trinkt.)
Auf frohe Heimkehr!

Kriemhild.                     O wie fühl' ich's nun,
Was ich der Mutter oft nicht glauben wollte!
Ein ewig Bangen ist der Frauen Los;
Und, ach, je herrlicher es sonst uns zufiel,
Mit so viel herbrer Sorge haben wir's,
Mit so viel heißern Tränen zu erkaufen!
Denn nimmer gönnt euch hohen Helden ja
Der stolze Sinn, der unsrer Not nicht achtet,
Windstiller Tage Glück.

Siegfried.                           Mag denn der Aar
Vom Fluge lassen, eh' die Schwing' ihm brach?
Nicht Siegfried wär' ich, könnt' ich jetzt schon ruhn. –
Doch auch die Zeit wird kommen, und fürwahr,
Dereinst, nach fünfzig Jahren, träum' ich's mir
Unlieblich nicht, mit dir die Rast zu teilen.
Ja, Herz, dann wird die Welt uns anders anschaun;
Dann sind wir beide grau, und wo die Rosen
Jetzt prangen, stehn ehrwürd'ge Falten dir
Im lieben Antlitz –

Kriemhild.                 Welch ein Märchen webst du!

Siegfried. Traun, gern gedenk' ich, wie in hoher Halle
Uns dann der Abend nahn wird, wenn der Sturm
Die Flocken sausend an das Fenster treibt.
Du aber sitzest, wo die Lohe flackert,
Am Herd auf buntgeschnitztem Drachenstuhl;
Rings um dich her die Mägd'; und wie dein Auge
Im Kreise waltet, tanzt die Spindel rascher
Und wie beflügelt springt das Weberschiff.
Da lockt auch mich, am Stab, doch fest noch schreitend,
Des Feuers Glanz heran; es bringt der Schenk
Das Trinkhorn, und beim Nachtmahl plaudern wir
Von unsern Söhnen, die auf Heldenfahrt
Hinaus sind –

Kriemhild.           Siegfried, liebster Mann!

Siegfried.                                                   Ei, laß mich!
Das Lieblichste verschwieg ich noch; denn sieh,
Nun kommt die Tochter auch, ein stattlich Weib,
Und hebt vom Busen, wo er warm sich dehnte,
Den jüngsten Enkel dir empor, der tastend
Den güldnen Reif auf deiner Stirne sucht.
Du aber schaust ihn lang rücksinnend an;
Denn aus des Säuglings großen Augen lächelt
Dir Siegfrieds Jugend. – Und du drückst ihn fester,
Und segnest ihn: Sei glücklich, wie dein Ahn!

(Hörner draußen.)

Kriemhild (schrickt zusammen).
Die Hörner – oh –

Siegfried.                   Wie mag ihr heller Klang
Dich schrecken! Ruft er doch aus ferner Dämmrung
Uns in die sonn'ge Gegenwart zurück.
Noch einen Kuß denn, süßes Weib, und laß
Mit ihm so heiter, wie ich kam, mich scheiden.

Kriemhild (mühsam gefaßt).
Sei's denn. Fahr wohl! Mein Herz wird bei dir sein!

(Siegfried geht bis zur Schwelle. In diesem Augenblick ruft Kriemhild ihm nach und stürzt ihm noch einmal um den Hals.)

Siegfried!
Noch einmal muß ich dir ins Auge schaun,
Tief, tief hinein! – O, wenn ich dich verlöre!
Mein Held! mein Hort!

Siegfried.                           Laß gut sein, Kind. Mein Los
Liegt glänzend auf des Göttervaters Knien;
Ich fühl's, mich trägt sein Hauch. Und so fahr wohl!

(Geht rasch ab.)

Kriemhild. Er geht! – O, niemals war ich so betrübt,
So ganz erdrückt von Sorge. – Wäre nur
Der Tag vorüber erst! – Ich will ans Werk,
Die Zeit zu täuschen –
        (Tritt an den Webstuhl.)
                                  Arme, arme Nanna!
Wie fühl' ich heut dein Leid, als wär' es meins!
            »Da trugen Trauer
            Götter und Menschen –«

(Hörner draußen.)

Kriemhild (stürzt ans Fenster). Siegfried! Siegfried!
        (Bricht zusammen.)

(Der Vorhang fällt.)


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