Theophil Gautier
Kapitän Fracasse. Zweiter Band
Theophil Gautier

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Chiquitas Liebeserklärung

Eine dichte Menge besetzte trotz der frühen Stunde, die die Rathausuhr anzeigte, den Grève-Platz. Die hohen Dächer des Domenico Boccadore zeichneten sich in violettem Grau auf einem milchig weißen Himmel. Ihr kalter Schatten zog sich bis zur Mitte des Platzes hin und umlagerte ein unheimliches Gerüst, das, blutrot angestrichen, um zwei, drei Fuß über die Front der Häuser hinausragte. An den Fenstern der Häuser erschienen einige Köpfe, die sich alsbald zurückzogen, da sie sahen, daß das Schauspiel noch nicht begonnen hatte. An das auf dem Abhange des Flusses stehende Steinkreuz hatte sich ein Kind gehängt und hielt sich an den Armen, die den Querbalken umfaßten, während sich die Knie und Beine am Stamme festklemmten. Die Stellung war ebenso beschwerlich wie die des bösen Schächers, aber es hätte sie nicht für einen Aschenkuchen oder Apfelfladen hergegeben. Von dort aus entdeckte es die interessanten Einzelheiten des Schaffots: das Rad, den Delinquenten zu drehen, die Schnüre ihn daran zu befestigen, die Eisenstange, ihm die Knochen zu brechen, lauter der Beachtung würdige Dinge.

Hätte indes einer der Zuschauer den Gedanken gehabt, das in dieser Stellung befindliche Kind zu betrachten, so hätte er auf dem Gesichte etwas anderes entdeckt, als gewöhnliche Neugier. Keineswegs hatte die grausame Anziehungskraft einer Hinrichtung dieses junge Wesen mit dem dunklen Teint, den braun umränderten Augen, hergebracht, das sich da mit gekrampften dunkelgefärbten Händen an der Querung von Stein festhielt. Die Feinheit seiner Züge schien sogar ein anderes Geschlecht anzuzeigen, als seine Kleider angaben. Aber niemand blickte nach dieser Seite hin, und alle Köpfe wandten sich instinktiv dem Schafott oder dem Kai zu, von dem aus der Verurteilte kommen mußte.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Unter den Gruppen erschienen einige bekannte Gesichter. Eine rote Nase inmitten eines bleichen Gesichts bezeichnete Malartic, und über einem in spanischer Art über die Schulter geworfenen Mantel trat genug vom hakigen Profil Jacquemin Lampourdes hervor, um an seiner Identität keinen Zweifel aufkommen zu lassen. Obwohl er seinen Filz bis zur Augenbraue heruntergestülpt hatte, um den Verlust des durch die Kugel Piedgris abgeschossenen Ohrs zu verbergen, war es doch leicht, in dem auf einem Wegstein sitzenden, eine lange holländische Pfeife rauchenden Kerl Bringuenarilles zu erkennen. Piedgris selbst plauderte mit Tordgueule, und auf den Stufen des Rathauses wandelten plaudernd mehrere Stammgäste des »gekrönten Radieschens« auf und ab.

Der Grèveplatz, auf dem sie früher oder später ein verhängnisvolles Ende finden, übt auf Mörder, Banditen und Diebe eine eigentümliche Anziehungskraft aus. Dieser unheimliche Ort lockt sie vielmehr an, statt sie abzustoßen. Sie betrachten gern den Galgen, den sie einmal selbst zu zieren bestimmt sind, und lernen durch die Grimassen der Delinquenten sich mit dem Tode vertraut machen, obwohl die Justiz die Absicht hat, die Verbrecher durch den Anblick der Qualen des armen Sünders abzuschrecken.

Es schlug sieben Uhr. Die Hinrichtung sollte erst um acht stattfinden.

Als Jacquemin Lampourde den Schlag der Glocke vernahm, sagte er daher zu Malartic:

»Du siehst, daß wir recht wohl Zeit gehabt hätten, noch eine Flasche zu trinken, aber du bist immer ungeduldig und ängstlich. Wie wäre es, wenn wir in das ›gekrönte Radieschen‹ zurückkehrten? Das Warten hier ist sehr langweilig. Lohnt es wohl der Mühe, einen armen Teufel rädern zu sehen? Diese Hinrichtungsart ist fad, bürgerlich und gemein. Wenn es noch eine schöne Zerreißung wäre, so mit vier Pferden, oder ein Zwicken mit glühenden Zangen, Anwendung von siedendem Pech oder geschmolzenem Blei oder sonst etwas sinnreich Martervolles, das der Phantasie des Richters oder der Geschicklichkeit des Henkers zur Ehre gereicht, o dann würde ich aus Liebe zur Kunst dableiben. Aber wegen einer solchen Kleinigkeit – pfui Teufel!«

»Ich finde, du bist ungerecht gegen das Rädern«, antwortete Malartic salbungsvoll, indem er seine Nase kratzte, deren Rot jetzt dunkler war als je. »Das Rad hat auch sein Gutes.«

»Über den Geschmack läßt sich nicht streiten«, antwortete Lampourde. »Jeder Mensch hat seine besondere Wollust, sagt ein sehr berühmter lateinischer Autor, dessen Namen ich vergessen habe, denn mein Gedächtnis bewahrt nur die großen Feldherren. Das Rad gefällt dir, und ich will dir weiter nicht widersprechen, aber dennoch wirst du zugeben, daß eine Enthauptung mit einer Damaszenerklinge, deren hohler Rücken mit Quecksilber gefüllt ist, um ihr Wucht und Schwung zu geben, einen scharfen Blick, Kraft und Gewandtheit verlangt und ein ebenso nobles wie anziehendes Schauspiel darbietet.«

»Ja, das ist wahr, aber es geht zu rasch vorüber, es ist gleichsam nur ein Blitz, und übrigens findet das Enthaupten auch nur bei Edelleuten statt. Der Block ist eines ihrer Privilegien. Unter den bürgerlichen Hinrichtungsmethoden scheint das Rad mir vor dem gemeinen Hängen den Vorzug zu verdienen, denn dieses taugt höchstens für die alleruntergeordnetsten Missetäter. Agostin ist mehr als ein gemeiner Dieb. Er verdient etwas Besseres als den Strick, und die Justiz hat ihm die Rücksicht angedeihen lassen, die ihm gebührt.«

»Du hast von jeher eine Schwäche für diesen Agostin gehabt, ohne Zweifel wegen Chiquitas, deren seltsames Wesen dein lüsternes Auge reizte. Ich für meine Person teile aber nicht deine Bewunderung für diesen Banditen, der mehr dazu geschaffen war, auf Landstraßen und in Gebirgsschluchten als in der Hauptstadt mit der entsprechenden Delikatesse zu arbeiten. Seine Art und Weise ist rauh, ungeschliffen und riecht nach der Provinz.«

Während Jacquemin Lampourde und Malartic auf diese Weise philosophierten, kam eine Karosse von dem Kai her auf den Platz gefahren. Die Pferde schnaubten, ohne vorwärts zu können, und zuweilen fielen ihre Hufe auf Stiefel nieder, was sehr hitzige und mit Beleidigungen und Schimpfreden untermischte Zwiegespräche zwischen den Gaffern und den Lakaien zur Folge hatte. Die zurückgedrängten Fußgänger wären gerne über die Karosse hergefallen, wenn ihnen nicht das auf den Schlag gemalte Herzogswappen eine gewisse Furcht eingejagt hätte, obwohl sie nicht gerade Leute waren, denen sonst schnell etwas imponierte. Bald wurden die Gruppen so dreist, daß der Wagen gezwungen war, mitten auf dem Platze Halt zu machen.

»Dieses Gesindel wartet auf eine Hinrichtung und wird nicht eher auf die Seite weichen, als bis der Delinquent expediert ist«, sagte ein schöner, prächtig gekleideter junger Mann zu einem Freunde von ebenfalls schönem Aussehen, aber in bescheidenerem Kostüm, der neben ihm im Wagen saß. »Der Teufel hole den Dummkopf, der sich gerade zu der Stunde rädern läßt, wo wir über den Grèveplatz fahren. Konnte er nicht warten bis morgen?«

»Seien Sie überzeugt,« antwortete der Freund, »daß ihm nichts lieber wäre, und daß ihm die ganze Geschichte noch weit unangenehmer ist als uns.«

»Es bleibt uns weiter nichts übrig, mein lieber Sigognac, als, wenn das Schauspiel uns zuwider ist, in aller Geduld das Gesicht nach der andern Seite zu wenden, was gleichwohl seine Schwierigkeiten hat, wenn man sich in der Nähe von etwas Schrecklichem befindet.«

»Auf alle Fälle werden wir nicht lange zu warten haben«, antwortete Sigognac. »Sehen Sie, Vallombreuse, dort unten teilt sich schon die Menge vor dem Karren des Verurteilten.«

In der Tat näherte sich ein von einem elenden Gaul gezogener und einigen berittenen Polizeisoldaten eskortierter rasselnder Karren, durchschnitt die Gruppen der Gaffenden und nahm die Richtung nach dem Schafott. Auf einem quer über die Leiterbäume gelegten Brett saß Agostin neben einem Kapuziner mit einem weißen Barte, der ihm ein Kruzifix von gelbem Messing an die Lippen hielt. Der Kopf des Banditen war mit einem Tuch umbunden, dessen Enden ihm den Nacken hinabhingen. Ein Hemd von grober Leinwand und Beinkleider von wollenem Stoff waren sein ganzes Kostüm. Ein System von Stricken, dessen Ende sich in der Hand des Nachrichters befand, der im hintern Teile des Karrens saß, damit der Delinquent ihn nicht sähe, hielt Agostin fest, indem es ihm gleichzeitig einen Anschein von Freiheit ließ. Ein quer auf der Deichsel des Karrens sitzender Knecht des Henkers führte die Zügel und peitschte fortwährend den alten mageren Gaul.

»Ach!« sagte Sigognac in der Karosse, »das ist ja der Bandit, der einmal an der Spitze einer Bande Strohmänner mich auf der Landstraße anhielt. Ich erzählte Ihnen diese Geschichte während unserer Reise an der Stelle, wo sie passierte.«

»Ich entsinne mich,« sagte Vallombreuse, »und habe herzlich darüber gelacht. Wie es scheint, hat dieser Schurke sich seitdem mit etwas ernsteren Dingen befaßt. Der Ehrgeiz hat ihn ins Verderben gestürzt. Er hält sich übrigens gut.« Agostin, der unter seinem von Natur braunen Teint ein wenig bleich geworden war, ließ einen Blick über die Menge schweifen und schien jemand zu suchen. Als er an dem steinernen Kreuz vorüberkam, gewahrte er den Knaben, der seinen Platz immer noch behauptete. Bei diesem Anblick zuckte ein Blitz der Freude aus seinen Augen, ein schwaches Lächeln teilte seine Lippen, er machte mit dem Kopfe eine fast unbemerkbare Bewegung, die gleichzeitig Abschied und Vermächtnis war, und sagte in gedämpftem Tone:

»Chiquita!«

»Mein Sohn, was sprichst du für ein Wort aus!« sagte der Kapuziner, sein Kruzifix bewegend; »es klingt wie ein Frauenname. Wahrscheinlich denkst du an eine Genossin deines verbrecherischen Wandels. Denke aber lieber an dein Seelenheil. Dein Fuß steht auf der Schwelle der Ewigkeit!«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Ja, mein Vater,« entgegnete Agostin, »und obwohl ich schwarzes Haar habe, sind Sie mit Ihrem weißen Barte doch jünger als ich. Jede Umdrehung der Räder, die mich jenem Gerüst näher bringt, macht mich zehn Jahr älter.«

»Für einen Räuber aus der Provinz, von dem sich kaum erwarten ließe, daß er vor Parisern auf eine würdige Weise zu sterben verstünde, benimmt sich dieser Agostin ziemlich gut«, sagte Jacquemin Lampourde, der sich mit den Ellbogen durch die gaffende Menge hindurch bis in die Nähe des Schafotts Bahn gebrochen. »Er ist nicht allzu niedergeschlagen. Er hat nicht schon das leichenhafte Aussehen im voraus, das man an vielen Verurteilten sieht. Sein Kopf wankt nicht. Er hält ihn hoch und gerade. Er betrachtet die Maschine mit festem Blicke. Wenn meine Erfahrung mich nicht täuscht, so wird er korrekt und anständig zu sterben wissen, ohne viel zu krächzen oder sich zu wehren, und ohne noch Geständnisse machen zu wollen, um Zeit zu gewinnen.«

»Oh, was das betrifft, so hat es damit keine Gefahr«, sagte Malartic. »Auf der Folter hat er sich lieber acht Keile eintreiben lassen, als daß er den Mund aufgetan und einen Kameraden verraten hätte.«

Während dieser kurzen Zwiegespräche war der Karren am Fuße des Schafotts angelangt, dessen Stufen Agostin langsam hinaufstieg, während der Knecht voranschritt, der Kapuziner ihn führte und der Nachrichter ihm folgte.

Binnen weniger als einer Minute war er durch den Knecht auf das Rad gestreckt und festgebunden. Der Henker hatte, nachdem er seinen roten Mantel abgeworfen, die Hemdärmel aufgestreift, um in seinen Bewegungen ungehindert zu sein, und bückte sich, um die verhängnisvolle Stange zu ergreifen. Die höchste Spannung und Neugier raubte den Zuschauern fast den Atem. Lampourde und Malartic waren ernst geworden, selbst Bringuenarilles vergaß seine Pfeife weiter zu rauchen. Tordgueule, der fühlte, daß auch ihm ein ähnliches Erlebnis bevorstand, nahm eine träumerische, wehmütige Miene an. Plötzlich machte sich eine Bewegung unter der Menge bemerkbar. Der an dem steinernen Kreuze hängende Knabe war auf die Erde herabgeglitten und hatte, indem er sich wie eine Natter durch die Gruppen hindurchwand, das Schafott erreicht, dessen Stufen er mit zwei Sprüngen erkletterte und dem erstaunten Henker, der schon seine Keule hob, ein bleiches Antlitz zeigte, aus dessen Auge eine so erhabene Entschlossenheit leuchtete, daß dieser unwillkürlich in dem Streiche innehielt.

»Marsch fort von hier, du kleiner Teufel,« rief der Henker, »oder meine Stange zerschmettert dir den Kopf!«

Chiquita hörte aber nicht auf ihn. Es war ihr gleich, ob sie getötet würde. Sich über Agostin neigend, küßte sie ihn auf die Stirn und sagte zu ihm: »Ich liebe dich«; dann stieß sie ihm mit einer Bewegung, rascher als der Blitz, die Navaja, die sie von Isabella zurückgenommen, ins Herz.

Der Stoß war mit so fester Hand geführt, daß der Tod fast augenblicklich erfolgte und Agostin kaum noch Zeit hatte zu sagen: »Ich danke.«

»Cuando esto vivora pica,
Non hay remedio an la botica,
«

murmelte das Kind mit wildem, wahnsinnigem Lachen, indem es von dem Schafott hinabstürzte, wo der Henker, durch dieses Abenteuer ganz verblüfft, seine nun nutzlose Stange senkte und nicht wußte, ob er die Gebeine eines Leichnams zerschmettern sollte.

»Gut, Chiquita, sehr gut!« rief unwillkürlich Malartic, der sie unter ihren Knabenkleidern erkannt hatte.

Lampourde, Bringuenarilles, Piedgris, Tordgueule und die Freunde aus dem »gekrönten Radieschen« bildeten, erstaunt über diese Tat, sofort ein geschlossenes Spalier, so daß die Soldaten gehindert wurden, Chiquita nachzusetzen.

Der auf diese Weise entstehende Wirrwarr verschaffte Chiquita Zeit, Vallombreuses an der Ecke des Platzes haltenden Wagen zu erreichen. Sie kletterte auf den Tritt, klammerte sich mit den Händen an den Schlag, erkannte Sigognac und rief keuchend:

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Ich habe Isabella gerettet, rette du mich!«

Vallombreuse, den dieser seltsame Auftritt nicht wenig interessiert hatte, rief dem Kutscher zu:

»Rasch vorwärts und diesem Gesindel, wenn es sein muß, über die Köpfe hinweg.«

Der Kutscher hatte aber nicht nötig, jemanden zu überfahren. Die Menge teilte sich vor dem Wagen und schloß sich dann sofort wieder, um die ohnehin nicht sehr energische Verfolgung der Schergen aufzuhalten. Als man über die Vorstadt hinaus war, ließ Vallombreuse Chiquita in den Wagen kommen. Sie setzte sich, ohne zu sprechen, Sigognac gegenüber. Obschon anscheinend ruhig, war sie doch eine Beute der höchsten Aufregung. Kein Muskel ihres Gesichts zuckte, aber eine Flut von Blut färbte ihre sonst so bleichen Wangen purpurrot und gab ihren großen starren Augen, die vor sich hinschauten, ohne zu sehen, einen übernatürlichen Glanz. Es war gleichsam eine Verwandlung mit ihr vorgegangen. Jene gewaltsame Anstrengung hatte die kindliche Larve zerrissen, in der die Jungfrau schlummerte. Indem sie ihr Messer in Agostins Herz stieß, hatte sie mit demselben Stoße das ihrige geöffnet. Durch diesen Mord ward ihre Liebe geboren. Das seltsame, beinahe geschlechtslose Wesen, halb Kind, halb Kobold, als das sie bis jetzt erschienen, existierte nicht mehr. Sie war fortan Weib, und ihre in einer Sekunde erschlossene Leidenschaft mußte ewig sein. Ein Kuß, ein Messerstoß – dies war Chiquitas Liebe!

Der Wagen rollte immer weiter, und man sah schon hinter den Bäumen die hohen Schieferdächer des Schlosses schimmern.

Vallombreuse sagte zu Sigognac:

»Sie werden mit in mein Zimmer kommen und dort ein wenig Toilette machen, ehe ich Sie meiner Schwester vorstelle, die von meiner Reise und Ihrer Ankunft nichts weiß. Ich hoffe von diesem Theatereffekt die beste Wirkung. Ziehen Sie auf Ihrer Seite den Fenstervorhang herab, damit man Sie nicht sieht und die Überraschung vollständig ist. Was sollen wir aber mit diesem kleinen Teufel beginnen?«

»Befehlen Sie,« sagte Chiquita, die trotz ihres tiefen Hinbrütens Vallombreuses letzte Worte gehört hatte, »befehlen Sie, daß man mich zu Madame Isabella führe. Sie soll über mein Schicksal entscheiden.«

Mit herabgezogenen Vorhängen fuhr die Karosse in den Ehrenhof ein. Vallombreuse nahm Sigognac beim Arme und führte ihn in sein Zimmer, nachdem er einem Lakaien befohlen, Chiquita zu der Gräfin von Lineuil zu bringen.

Bei Chiquitas Anblick legte Isabella das Buch, in dem sie eben las, nieder und heftete einen erstaunten, fragenden Blick auf die Kleine. Chiquita blieb unbeweglich und schweigend, bis der Lakai sich entfernt hatte. Dann ging sie mit seltsamer Feierlichkeit auf Isabella zu, faßte sie bei der Hand und sagte:

»Das Messer steckt in Agostins Herz. Ich habe keinen Herrn mehr, und ich fühle den Zwang, mich jemandem zu widmen. Nächst ihm, der tot ist, bist du es, die ich am meisten auf der Welt liebe. Du hast mir das Perlenhalsband geschenkt und du hast mich geküßt. Willst du mich zu deiner Sklavin, zu deinem Hunde? Ich will vor der Schwelle deiner Tür schlafen, dies wird dir gar nicht lästig fallen. Wenn du mich haben willst, so pfeifst du so« – hier pfiff sie – »und ich werde sofort erscheinen. Willst du?«

Isabella zog, ohne ein Wort zu sprechen, Chiquita an ihr Herz, küßte sie auf die Stirn und nahm einfach diese Seele an, die sich ihr widmete.

*


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