Theophil Gautier
Kapitän Fracasse. Zweiter Band
Theophil Gautier

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Das gekrönte Radieschen

Jacquemin Lampourde lenkte seine raschen und langen Schritte unverweilt nach der Kneipe »Zum gekrönten Radieschen«, dem gewöhnlichen Heiligtume, wo er dem Gott des Weinstockes opferte. Das »gekrönte Radieschen« bot Lampourde den Vorteil, daß es an der Ecke des Marché Neuf nur zwei Schritte von seiner Wohnung lag, die er dann, wenn er sich von der Sohle seiner Stiefel an bis zum Halstuchknoten herauf mit Wein angefüllt hatte, in wenigen Zickzackschritten erreichte.

Es war die abscheulichste Kneipe, die man sich denken konnte.

Über der Tür figurierte ein ungeheueres Radieschen mit einer goldenen Krone oben darauf, das seit vielen Generationen von Trinkern dem Hause als Schild und Bezeichnung diente. Die Fensterläden waren in diesem Augenblicke geschlossen, aber nicht so hermetisch, daß sie nicht einige Strahlen rötlichen Lichtes und einige verworrene streitende und singende Stimmen durchgelassen hätten. Dieser Lichtschimmer auf dem von Schmutz und Nässe spiegelnden Pflaster äußerte eine seltsame Wirkung, deren malerische Seite Lampourde nicht fühlte, die ihm aber sagte, daß es im »gekrönten Radieschen« noch zahlreiche Gesellschaft gab.

Mit dem Knopfe seines Degens an die Tür pochend, gab der Raufbold durch den Rhythmus dieses Pochens sich als Stammgast zu erkennen, und die Tür öffnete sich ein wenig, um ihn einzulassen. Das Zimmer, in dem die Gäste saßen, hatte ganz das Ansehen einer Höhle. Der Qualm der Tabakspfeifen und der Talglichter hatte die Decke so schwarz gemacht wie das Innere der Schornsteine, in denen man Pöklinge, Schinken und dergleichen räuchert.

Als Jacquemin Lampourde in das »gekrönte Radieschen« trat, herrschte ein fürchterlicher Lärm. Gesellen von verdächtigem Aussehen schwangen ihre geleerten Kannen und schlugen mit den Fäusten auf die Tische, so daß die Lichter umzustürzen drohten. Andere heulten mit entsetzlichen Stimmen ein wildes Sauflied und schlugen dazu mit den Messern an die Gläser. Diese Zecher machten auch wiederholte Angriffe auf die Kellnerinnen, die Teller mit dampfenden Speisen in den Händen trugen und sich gegen ihre kecken Unternehmungen nicht verteidigen konnten, weil ihnen jedenfalls mehr daran lag, ihr Geschirr als ihre Tugend unverletzt zu bewahren. Es waren fast nur Männer anwesend und das schöne Geschlecht nur durch einige ziemlich häßliche Exemplare vertreten, denn das Laster erlaubt sich zuweilen nicht schöner zu sein als die Tugend. Diese Phillis, deren Tircis oder Tityrus jeder sein konnte, der ein Stück Geld bezahlte, spazierten paarweise hin und her, blieben an den Tischen stehen und tranken wie zahme Täubchen aus jedem Becher.

Dann und wann sah man eine dieser Damen mit einem Manne, der ihr kurz vorher etwas ins Ohr geflüstert, eine Treppe hinauf verschwinden und nach längerer oder kürzerer Zeit mit der unbefangensten Miene von der Welt ihre Kleider ausbauschend oder glattstreichend wieder herunterkommen.

Lampourde, der schon längst an dieses Tun und Treiben gewöhnt war, betrachtete mit zärtlich begierigem Blick eine Flasche Kanariensekt, die eine Kellnerin soeben gebracht hatte, ein alte empfehlenswerte Flasche aus der für Feinschmecker und gute Zahler reservierten Abteilung. Obwohl der Bandit allein war, so hatte man doch zwei Gläser vor ihn auf den Tisch gestellt, denn man kannte seinen Abscheu vor dem einsamen Zechen, und es konnte sich jeden Augenblick ein Kumpan zu ihm gesellen. Einstweilen hielt Lampourde langsam das mit der hellgelben, edlen Flüssigkeit gefüllte Glas gegen das Licht. Nachdem er die herrliche warme Farbe bewundert und auf diese Weise den Gesichtssinn befriedigt hatte, ging er zu dem Geruchssinn über, brachte den Wein durch eine geschickte Handhabung des Glases gleichsam in rotierende Bewegung und sog begierig das aufsteigende Aroma mit der Nase ein. Nun blieb noch der Geschmackssinn übrig. Die durch Gesicht und Geruch in geeigneter Weise angeregten Gaumenwärzchen wurden durch einen Schluck von diesem Nektar angefeuchtet, dann nahm ihn die Zunge auf und sendete ihn mit beifälligem Schnalzen in die Kehle hinab. Auf diese Weise schmeichelte Meister Jacquemin Lampourde mit einem einzigen Glase dreien von den fünf Sinnen, die der Mensch besitzt, und bewies auf diese Weise, daß er ein vollendeter Epikuräer war, der aus den Dingen den letzten Tropfen und die Quintessenz des Vergnügens zieht.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

So hatte es unser Raufbold seit einigen Minuten getrieben, als die Tür des Weinhauses sich abermals öffnete und ein Mann, der vom Kopf bis zum Fuße schwarz gekleidet war, in das Zimmer trat. Einige defekte Stickereien versuchten vergebens den schlechten Zustand eines Kostümes zu verdecken, dessen Schnitt dennoch einen gewissen Rest von altmodischer Eleganz besaß.

Dieser Mensch besaß die Eigentümlichkeit, ein Gesicht, so weiß wie Mehl, und eine Nase zu haben, die aussah wie eine glühende Kohle. Kleine violette Pusteln darauf verrieten einen eifrigen Kultus der göttlichen Flasche. Die Berechnung, wieviel Tonnen Wein und Flaschen Branntwein dazu gehört hatten, um dieses intensive Rot zu erzeugen, hatte für die Phantasie etwas Furchtbares.

Dies war Malartic, der Busenfreund, der Pylades, der Euryalus, der Fidus Achates des würdigen Jacquemin Lampourdes. Schön war er allerdings nicht, aber seine sittlichen Vorzüge wogen diese kleinen physischen Mängel reichlich auf. Nach Jacquemin, gegen den er stets die tiefste Bewunderung zu erkennen gab, war er die beste Klinge von Paris. Beim Spiel schlug er die Volte mit einem Glück, das niemand unverschämt zu finden wagte. Er trank stets, ohne jemals betrunken zu erscheinen, und obwohl man nicht wußte, ob er einen Schneider hätte, war er doch mit Mänteln besser versehen als der eleganteste Höfling. Übrigens war er nach seiner Art ein sehr zartfühlender Mensch und fähig sich für einen Kameraden totschlagen und lieber auf die Folter spannen zu lassen, als seine Genossen durch ein einziges indiskretes Wort zu gefährden. Er erfreute sich daher in der Welt, in der er seinem Erwerb oblag, der allgemeinsten Achtung.

Malartic ging gerade auf Lampourdes Tisch zu, ergriff einen Stuhl, setzte sich seinem Freund gegenüber, ergriff schweigend das volle Glas, das ihn zu erwarten schien, und leerte es auf einen Zug. Sein System unterschied sich von dem Jacquemins, war aber deswegen nicht weniger wirksam, wie dies der Kardinalpurpur seiner Nase bewies.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Lampourde, der die Gewohnheiten seines Freundes kannte, füllte ihm sein Glas mehrmals bis zum Rande. Dieses Verfahren machte das Erscheinen einer zweiten Flasche notwendig, die ebenso wie die erste sehr bald geleert war. Dann folgte eine dritte, die sich länger hielt und mehr Umstände machte, ehe sie sich ergab. Hierauf verlangten die beiden, um wieder ein wenig zu Atem zu kommen, Tabakspfeifen und begannen durch den verdichteten Nebel über ihren Köpfen lange Korkzieher von Rauch zur Decke des Zimmers emporzusenden. Nachdem sie dies eine Weile getan, verschwanden sie allmählich gleich den Göttern des Homer und des Vergil in einer Wolke, in der nur Malartics Nase leuchtete wie ein rotes Meteor.

In diesen Qualm gehüllt, begannen die von den andern Zechern isolierten beiden Kumpane eine Unterredung, die ihnen, wenn ein Polizeibeamter sie gehört hätte, ganz gewiß schlecht bekommen wäre. Zum Glück war das »gekrönte Radieschen« ein sicherer Ort. Kein Polizeispion hätte sich hierher gewagt, denn die Falltür des Kellers hätte sich unter seinen Füßen geöffnet und ihn auf immer verschwinden lassen.

»Wie gehen die Geschäfte?« fragte Lampourde seinen Kameraden in dem Tone eines Kaufmanns, der sich erkundigt. »Es ist jetzt alles sehr still und flau. Der König wohnt in St. Germain, wohin die Höflinge ihm folgen. Dies schadet dem Handel unendlich, denn es gibt in Paris jetzt nur noch Spießbürger und Leute, die wenig oder nichts haben.«

»Ach, sprich mir doch nicht davon!« antwortete Malartic. »Es ist eine wahre Schande! Da neulich abends halte ich auf dem Pont Neuf einen Menschen an, dessen Äußeres gar nicht übel war. Ich verlange von ihm die Börse oder das Leben. Er wirft mir seine Börse hin. Es waren höchstens drei oder vier Silbermünzen darin, und der Mantel, den er in meinen Händen zurückließ, war bloß von Serge mit einer unechten goldenen Tresse besetzt. Anstatt der Dieb zu sein, war ich der Bestohlene. Man hat nicht den mindesten Hinterhalt, nicht die leichteste Entführung oder den kleinsten Meuchelmord bei mir bestellt. Mein Gott, was sind das für Zeiten!«

»Ja, die gute Zeit ist vorbei«, entgegnete Jacquemin Lampourde. »Früher hätte ein vornehmer Herr unsern Mut in seinen Dienst genommen. Wir hätten ihm in seinen geheimen Unternehmungen beigestanden, jetzt müssen wir für das Publikum arbeiten. Indessen gibt es manchmal doch noch ein gutes Geschäft zu machen.«

Indem Lampourde dies sagte, klimperte er mit den Goldstücken in seiner Tasche. Bei diesem melodischen Klange begann Malartics Auge seltsam zu funkeln. Bald aber gewann sein Blick wieder den früheren sanften Ausdruck, denn das Geld eines Kameraden war ihm heilig. Er begnügte sich, einen Seufzer auszustoßen, den man in die Worte übersetzen konnte: »Du bist glücklich!«

»Ich denke«, fuhr Lampourde fort, »dir binnen kurzem Arbeit verschaffen zu können, denn du bist geschickt und brauchbar und verstehst dich aufs Geschäft, sei es mit dem Degen oder dem Pistol in der Faust. Als ein Mann von Ordnung führst du die dir erteilten Aufträge in der gesetzten Frist aus, während du zugleich das Risiko der Polizei gegenüber auf dich nimmst.«

Die beiden Banditen stopften ihre Pfeifen und füllten ihre Gläser, und stemmten sich mit den Ellbogen auf den Tisch, wie Leute, die es sich wohlsein zu lassen gedenken, und nicht wünschen, daß man sie in ihrer Ruhe störe.

Dennoch wurden sie darin gestört. In der Ecke des Zimmers erhob sich ein lauter Wortwechsel unter einer Gruppe, die um zwei Männer herumstanden. Diese suchten sich über die Bedingungen einer Wette zu einigen, bei der der eine etwas, was der andere erzählt hatte, nicht eher glauben wollte, als bis er sich durch eigenen Augenschein davon überzeugt hätte. Die Gruppe öffnete sich. Malartic und Lampourde, deren Aufmerksamkeit erwacht war, gewahrten einen Mann von mittlerem Wuchse, aber auffallend behend und kräftig, braun von Gesicht wie ein spanischer Maure, das Haar mit einem Tuche umwunden und bekleidet mit einem dunkelbraunen Kittel. Ein breiter Gürtel von rotwollenem Zeug umschloß seine Lenden, und er hatte aus diesem ein valencianisches Messer, eine sogenannte Navaja, gezogen, die geöffnet, die Länge eines Säbels erreichte. Er drehte deren Ring fest, untersuchte die Spitze mit dem Finger und schien mit dieser Prüfung zufrieden zu sein, denn er sagte zu seinem Gegner:

»Ich bin bereit.«

Dann rief er mit gutturalem Akzent einen seltsamen Namen, den die Gäste des »gekrönten Radieschens« noch niemals gehört hatten:

»Chiquita! Chiquita!«

Beim zweiten Rufe wickelte sich ein hageres, schwarzbraunes, kleines Mädchen, das in einem finstern Winkel eingeschlafen war, aus dem Mantel, in dem sie sorgfältig eingehüllt gewesen, kam auf Agostin, denn dieser war es, zu, heftete ihre großen funkelnden schwarzen Augen auf ihn und sagte in einem ernsten, tiefen Tone, der zu ihrem schwächlichen Ansehen in seltsamem Gegensatz stand:

»Was willst du von mir, Meister? Ich bin bereit, dir hier ebenso zu gehorchen wie draußen auf der Ebene, denn du bist tapfer, und deine Navaja zählt schon viele rote Streifen.«

Chiquita sagte diese Worte in baskischer Sprache, die für Franzosen ebenso unverständlich ist, als Hochdeutsch, Hebräisch oder Chinesisch.

Agostin faßte Chiquita bei der Hand, stellte sie an die Tür und befahl ihr, sich nicht zu rühren. Die an diese Kunstproduktionen gewöhnte Kleine verriet weder Furcht noch Überraschung. Sie blieb, die Arme dicht an den Körper anlegend, stehen und schaute mit vollkommener Gemütsruhe vor sich hin, während Agostin, der am andern Ende des Zimmers stand, einen Fuß vorsetzte und das lange Messer, dessen Griff auf seinem Vorderarm ruhte, in der Hand wog.

Eine doppelte Reihe von Neugierigen bildete ein Spalier von Agostin bis zu Chiquita, und wer ein wenig Korpulenz besaß, zog vorsichtig den Bauch ein, um nicht die Linie zu überragen, ebenso wie die etwas langen Nasen klüglich zurückwichen, um nicht im Fluge abgeschnitten zu werden.

Endlich machte Agostins Arm eine Bewegung, wie von einer Feder geschnellt. Ein Blitz zuckte, und die furchtbare Waffe fuhr mit der Spitze in die Tür hinein, gerade über Chiquitas Kopfe und ohne ihr nur ein Haar zu verletzen, aber so dicht, als ob die Körperlänge der Kleinen gemessen werden sollte.

Als die Navaja vorüberzischte, konnten die Zuschauer nicht umhin, die Augen zu schließen, aber Chiquitas lange dichte Wimpern hatten nicht einmal gezuckt. Die Geschicklichkeit des Banditen entlockte diesem in dergleichen Dingen sonst so schwer zu befriedigenden Publikum ein bewunderndes Gemurmel. Selbst der Gegner, der bezweifelt hatte, daß ein solches Kunststück möglich sei, klatschte begeistert in die Hände.

Agostin riß das noch vibrierende Messer aus dem Holz der Tür heraus, kehrte auf seinen Standpunkt zurück und warf nun das Messer so, daß es zwischen dem Arm und dem Körper der abermals unbeweglich stehenden Chiquita hindurchfuhr. Wäre die Klinge nur um drei oder vier Linien abgewichen, so hätte sie das Herz getroffen. Obschon das Publikum rief, es sei nun genug, so begann Agostin das Experiment doch noch einmal auf der andern Seite, um zu zeigen, daß seine Kunst nicht vom Zufall abhängig sei. Chiquita ließ, stolz auf den Beifall, der ebenso ihrem Mute als Agostins Gewandtheit gezollt wurde, einen triumphierenden Blick um sich schweifen. Sie war jetzt noch ebenso wild wie in der Herberge »Zur blauen Sonne«, aber durch das Kind blickte schon ein Schimmer von dem jungen Mädchen hervor. Sie hatte seit ihrem Abschied von der Ebene so mancherlei gesehen, und ihre naive Phantasie bewahrte die Erinnerung daran. Sie begab sich wieder in ihre Ecke zurück, wickelte sich in ihren Mantel und schlief wieder ein.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Der Mann, der die Wette verloren hatte, bezahlte Chiquitas Gefährten die bedungenen fünf Pistolen.

»Zum Teufel,« sagte Lampourde zu Malartic, nachdem er Agostins Leistung mit angesehen, »dieser Kerl ist durchaus nicht linkisch, und ich werde mir ihn merken, um ihn im Notfalle bei schwierigen Unternehmungen aufzusuchen. Dieser Messerwurf von weitem ist, wenn es sich um Personen handelt, denen man nicht gut zu Leibe gehen kann, weit besser als ein Pistolenschuß, der Lärm, Rauch und Feuer macht und gleichsam die Polizei zur Hilfe herbeizurufen scheint.«

»Ja«, antwortete Malartic. »Gute Arbeit, und sauber ausgeführt. Wenn man aber das Ziel verfehlt, so ist man entwaffnet und steht dann wehrlos da. Was mir bei diesem gefährlichen Kunststück am meisten gefällt, ist der Mut dieses kleinen Mädchens. Diese kleine Kanaille hat nicht zwei Lot Fleisch auf den Knochen, trägt aber in dem engen Käfig ihrer mageren Brust das Herz eines Löwen. Überdies gefallen mir auch ihre großen kohlschwarzen fieberhaften Augen. Unter allen diesen Enten, Gänsen, Tauben und Hühnern kommt sie mir vor wie ein junger Falke. Ich verstehe mich auf die Weiber und weiß die Blume schon nach der Knospe zu beurteilen. Diese Chiquita, wie dieser schwarzbraune Schuft sie nennt, ist binnen hier und drei Jahren ein Bissen für einen König.«

»Oder einen Räuber,« setzte Jacquemin Lampourde philosophisch fort, »falls nämlich nicht das Schicksal die beiden Extreme vereinigt und aus dieser morena, wie die Spanier sagen, die Buhlerin eines Spitzbuben und eines Fürsten macht. Dergleichen Dinge sind schon dagewesen, und der Fürst ist nicht immer der, der am meisten geliebt wird, so launenhaft und wild sind die Neigungen solcher Dirnen. Doch lassen wir dieses überflüssige Gerede und kommen wir zu ernsten Dingen. – Ich brauche binnen kurzem einige zuverlässige Leute zu einer Unternehmung, die man mir angetragen hat. Es ist eine ziemlich verwickelte und gefährliche Expedition. Ich bin nämlich beauftragt, einen gewissen Kapitän Fracasse, einen Schauspieler von Profession, zu beseitigen, der, wie es scheint, der Liebschaft eines sehr vornehmen Herrn im Wege ist. Für diese Arbeit würde ich allein schon genügen, aber es gilt auch die Entführung der von dem vornehmen Herrn und zugleich von dem Schauspieler geliebten Dame zu bewerkstelligen, die von seiner Gesellschaft den Räubern streitig gemacht werden wird. Setzen wir daher eine Liste von zuverlässigen, erprobten Freunden auf. Was meinst du zu Piquendère?«

»Oh, der wäre ganz vortrefflich,« antwortete Malartic, »aber wir können nicht mehr auf ihn rechnen. Er baumelt in Montfaucon am Ende einer eisernen Kette, bis sein von den Vögeln zerhackter Kadaver in die Galgengrube auf die Gebeine der ihm vorausgegangenen Kameraden fällt. Es gibt aber noch andere brauchbare Leute, zum Beispiel sind jetzt Piedgris, Tordgueule, Rapée und Bringuenarilles frei und stehen zur Verfügung.«

»Diese Namen genügen mir. Sie gehören wackern Leuten an. Du wirst mich mit ihnen zusammenführen, sobald es Zeit sein wird. Darauf wollen wir diese Flasche beendigen und unsere Hosen von hier wegtragen.«

Jacquemin Lampourde war total betrunken, aber niemand wußte sich in diesem Zustande so zu beherrschen wie er. Als er sich erhob, war es ihm freilich, als wären seine Füße von Blei und senkten sich in den Fußboden hinein. Mit einem kräftigen Ruck aber riß er sich los und ging stolz und gerade entschlossen auf die Tür zu. Malartic folgte ihm mit ziemlich festem Schritt, denn seine Betrunkenheit konnte nicht höher steigen.

Der kleine Mohr des Marché Neuf schlug die vierte Morgenstunde. Der Schenkwirt, der, den Kopf auf die gekreuzten Arme gelehnt, eingeschlummert war, wachte auf, ließ einen forschenden Blick im Saal umherschweifen, rief, als er sah, daß nichts mehr verzehrt wurde, seine Kellner und sagte:

»Es ist schon spät. Kehret mir dieses Gesindel hinaus. Es trinkt ja nicht mehr!«

Die Kellner schwangen ihre Besen, gossen drei oder vier Eimer Wasser aus, und ehe fünf Minuten vergingen, war das Haus leer.

*


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