Theophil Gautier
Kapitän Fracasse. Erster Band
Theophil Gautier

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Die Dinge verwickeln sich

Am Morgen nach der Vorstellung nahm Bellombre seinen ehemaligen Kollegen Blasius auf die Seite, knüpfte die Schnur einer langen Börse auf und ließ wie aus einem Füllhorn in seine Hand hundert schöne blanke Pistolen rollen, die er in einem Stoß übereinandersetzte – zur großen Bewunderung des Pedanten, der diesen Schatz mit metallgierigen Blicken betrachtete. Mit stolzer Gebärde nahm Bellombre die Pistolen mit einem einzigen Griffe vom Tisch hinweg und legte sie klirrend in die flache Hand seines alten Freundes.

»Du kannst dir denken,« sagte er, »daß ich dieses Geld nicht zum Vorschein bringe, um dich wie den armen Tantalus zu locken und zu äffen. Nimm dieses Geld ohne Bedenken. Ich gebe es dir oder ich leihe es dir, wenn dein Stolz sich gegen den Gedanken sträubt, von einem ehemaligen Kameraden ein Geschenk anzunehmen. Übrigens sind diese Münzen geschaffen zum Rollen, denn sie sind rund, schon längst überdrüssig, im Dunkel dieses Beutels zu liegen, in dem sie mit der Zeit schwarz und rostig werden. Ich gebe hier nichts aus, denn ich lebe als Bauer und nähre mich an den Brüsten der Natur, der großen Amme des ganzen Menschengeschlechtes. Diese Summe wird mir daher nicht fehlen.«

Blasius, der auf diese Schlußfolgerung nichts zu erwidern wußte, steckte die Pistolen ein und umarmte Bellombre herzlich. Das Auge des Pedanten glänzte zwischen seinen blinzelnden Lidern mehr als gewöhnlich.

Der widrige Wind, der die Truppe so lange angeweht, schien wirklich umgesprungen zu sein. Die Einnahme der Vorstellung ergab zusammen mit den Pistolen Bellombres eine ziemliche Summe, denn außer den als Eintrittsgeld bezahlten Viktualien hatte man auch genügend bares Geld eingenommen, und der bisher so armselig ausgestattete Thespiskarren war nun reichlich verproviantiert. Um nichts halb zu tun, lieh Bellombre den Komödianten zwei Ackerpferde. Sie waren bunt geschirrt und mit Klingeln behangen, die den festen, regelmäßigen Tritt dieser wackeren Tiere mit lustigem Geläute begleiteten.

Unsere Freunde hielten auf diese Weise in Poitiers einen Einzug, der allerdings nicht so prachtvoll wie der Alexanders des Großen in Babylon, aber doch ganz majestätisch war. Durch die winkligen Gassen der Stadt, auf dem holperigen Pflaster knarrten die Räder und klirrten die Hufeisen mit einem lustigen Getöse, das die Einwohner an die Fenster und vor die Tür der Herberge lockte. Damit man ihnen das Tor öffne, führte der Knecht ein lustiges Peitschenknallkonzert auf, und die Pferde stimmten darin ein, indem sie sich schüttelten und das Glockenspiel ihrer Schellen ertönen ließen. Das machte sich ein wenig anders als die klägliche, erbärmliche und verstohlene Weise, auf die sich die Komödianten früher den elendesten Kneipen genähert hatten. Der Gastwirt »Zum französischen Wappen« schloß aus diesem triumphierenden Lärm auch sofort, daß die Neuankommenden Geld hätten und eilte selbst, um beide Flügel des Tores weit aufzureißen.

Das Gasthaus »Zum französischen Wappen« war das schönste in Poitiers, und Reisende von Stand und Wohlhabenheit kehrten gerne hier ein. Der Hof, in den der Wagen fuhr, sah sehr gut aus.

Am Fuße der Rampe, mit der Mütze in der Hand, stand der Gastwirt, ein Mann von ungeheurer Korpulenz, der den Ruhm seiner Küche durch drei Fettfalten seines Kinnes und den seines Kellers durch die schöne Purpurfarbe seines Gesichtes pries, das mit Maulbeeren berieben zu sein schien, wie die Larve Silens, dieses trefflichen Säufers und Lehrers des Bacchus. Ein Lächeln, das von einem Ohre bis zum andern reichte, rundete die fetten Wangen und verkleinerte die blinzelnden Augen, deren äußerer Winkel in einem Krähenfuß von schelmischen Falten verschwand. Er war so fett, so frisch, so rot, daß man förmlich Lust bekam, ihn an den Spieß zu stecken und, mit seinem eigenen Saft begossen, zu schmausen.

Als er den Tyrannen ansah, den er schon längst kannte, stieg seine gute Laune noch höher, denn Schauspieler ziehen Gäste herbei, und die jungen Leute der Stadt setzten sich in Unkosten für Frühstücke, Diners, Soupers und andere Schmausereien, um die Schauspieler zu traktieren und sich durch Näschereien, feine Weine und dergleichen andere Delikatessen die Gunst ihrer Koketten zu gewinnen.

»Welcher günstige Zufall führt denn Sie hierher, Seigneur Herodes?« sagte der Gastwirt. »Es ist lange her, daß man Sie in dem ›französischen Wappen‹ zum letzten Male gesehen hat.«

»Das ist wahr,« antwortete der Tyrann, »aber man darf seine Possen nicht immer an einem und demselben Orte loslassen. Die Zuschauer würden uns zuletzt alles ablernen und dann selbst Komödie spielen. Gibt es gegenwärtig viele Standespersonen in Poitiers?«

»Ja, sehr viel, Seigneur Herodes. Die Jagden sind vorüber, und man weiß nun nicht, was man machen soll. Man kann nicht immer essen und trinken. Sie werden ganz gewiß viel Publikum haben.«

»Dann,« sagte der Tyrann, »lassen Sie denn Schlüssel zu sieben bis acht Zimmern bringen, drei oder vier Kapaune an den Spieß stecken, und ein Dutzend Flaschen von der Ihnen schon bekannten Weinsorte hinter den Reisbündeln hervorholen. Dann verbreiten Sie in der Stadt die Nachricht: Die berühmte Truppe des Seigneur Herodes ist mit einem neuen Repertoire in dem ›französischen Wappen‹ angelangt und beabsichtigt, mehrere Vorstellungen zu geben.«

Während dieses Gesprächs waren die Schauspieler aus dem Wagen gestiegen. Die Hausknechte nahmen ihr Gepäck und trugen es in die bezeichneten Zimmer. Das Isabellas war ein wenig entfernt von den andern, weil die nächsten schon besetzt waren. Diese Entfernung war der züchtigen jungen Dame gerade recht, denn das zigeunerhafte Zusammenstecken, zu dem das fahrende Leben der Schauspieler zwingt, brachte sie oft in Verlegenheit.

Es dauerte nicht lange, so wußte die ganze Stadt, daß Schauspieler angekommen seien, die Stücke der berühmtesten dramatischen Dichter ebensogut spielen würden, wie man sie auf den Bühnen von Paris zu sehen bekam, ja vielleicht besser. Die Stutzer und Gecken erkundigten sich nach der Schönheit der Schauspielerinnen und strichen sich dabei mit wahrhaft lächerlicher Zuversicht den Schnurrbart. Bilot, der Gastwirt, gab ihnen unter allerhand bedeutsamen Grimassen verschwiegene und rätselhafte Antworten, die geeignet waren, den jungen Laffen den Kopf zu verdrehen und ihre Neugier aufzustacheln. Isabella hatte ihre Sachen auf die Bretter des Schrankes legen lassen, der mit einem Gurtbett, einem Tisch, zwei Sesseln und einem hölzernen Kasten das Mobiliar ihres Zimmers ausmachte und widmete sich jenen Sorgen für ihre Toilette, die für eine junge saubere Dame nach einer in Gesellschaft von Männern zurückgelegten langen Reise unabweisbar sind.

Der Schnee war unter dem Einfluß einer milderen Temperatur geschmolzen. Ein Sonnenstrahl blickte auf. Isabella konnte nicht der Versuchung widerstehen, das Fenster zu öffnen, ihre hübsche Nase ein wenig hinauszustecken, um zu sehen, welche Aussicht sie von ihrem Zimmer aus hatte.

Es war dies ein um so unschuldigerer Einfall, als das Fenster auf ein einfaches Gäßchen ging, das auf der einen Seite durch das Gasthaus, auf der andern durch eine lange Gartenmauer gebildet wurde, über die die kahlen Gipfel der Berge hervorragten. Von dem Fenster aus konnte man über diese Mauer hinweg in den Garten sehen. Im Hintergrund stand ein Herrenhaus oder Hotel, dessen geschwärzte Mauern ein hohes Alter verrieten.

Zwei Kavaliere wandelten hier in einem jetzt kahlen Laubgange auf und ab. Beide waren jung und von vorteilhaftem Äußern. Dem Stande nach aber schienen sie verschieden zu sein, denn der eine zeigte sich dem andern gegenüber ungemein devot, hielt sich ein wenig zurück und ließ ihn jedesmal, wenn sie sich umdrehten, wieder vorgehen. Wir wollen sie zunächst Orest und Pylades nennen, ehe wir ihre wahren Namen verraten. Orest zählte vielleicht zwanzig bis zweiundzwanzig Jahre. Seine Gesichtsfarbe war bleich, seine Augen und sein Haar dagegen sehr schwarz. Sein braunes Samtwams hob seine biegsame und schlanke Figur. An der kecken Ungezwungenheit seiner Bewegungen, an der stolzen Sicherheit seiner Haltung erriet man den vornehmen Herrn, der sicher war, überall gut aufgenommen zu werden, und vor dem sich das Leben ohne Hindernisse öffnete. Pylades, rot von Haar und Bart und vom Kopf bis zum Fuß schwarz gekleidet, besaß nicht die triumphierende Sicherheit, obschon er von Person ebenfalls ein ziemlich hübscher junger Mann war.

»Ich sage dir, lieber Freund, daß diese Corisande mich ungeheuer langweilt«, sagte Orestes, indem er am Ende des Laubganges sich umdrehte und eine Unterhaltung fortsetzte, die begonnen war, ehe Isabella das Fenster geöffnet hatte. »Ich habe ihr mein Haus verbieten lassen, und ich werde ihr nicht bloß ihr Porträt zurückschicken, sondern auch ihre Briefe, die noch langweiliger sind als ihre Unterhaltung.«

»Aber Corisande liebt Sie doch«, wendete Pylades schüchtern ein.

»Was mache ich mir daraus, wenn ich sie nicht liebe?« entgegnete Orestes mit einem gewissen Grade von Unwillen. »Das wäre noch besser! Kann man von mir verlangen, daß ich auf alle Gänschen und Dirnen, denen es einfällt, sich in mich zu verlieben, Rücksicht nehme? Ich bin viel zu gutmütig. Ich lasse mich von dieser Augenverdreherei, diesem Gewinsel, diesen Seufzern und Jeremiaden rühren, und dann will man meine Gutmütigkeit mißbrauchen. Von jetzt ab werde ich kalt sein wie Hippolyt und die Frauen fliehen wie Joseph. Die Potiphar, die mich am Mantel festhalten will, muß sehr geschickt sein. Wer sich mit den Frauen einläßt, hat davon ja nie etwas anderes als Ärger und Unruhe. Ich hasse sie vom Scheitel bis zur Sohle. Ich werde mich künftig in Keuschheit hüllen, wie ein Mönch in seine Kapuze. Diese verwünschte Corisande hat mir für immer Abneigung gegen ihr Geschlecht eingeflößt. Ich entsage –«

Soweit war Orestes in seiner Rede gekommen, als er den Kopf emporrichtete, wie um den Himmel zum Zeugen seines Entschlusses anzurufen und zufällig Isabella am Fenster erblickte. Er stieß seinen Begleiter mit dem Ellbogen und sagte zu ihm:

»Sieh dort an jenem Fenster, frisch wie die Morgenröte, jenes anbetungswürdige wonnige Wesen, das mit dem aschbraunen Haar, dem hellen Antlitz und den sanften Augen mehr Gottheit als Weib zu sein scheint! Wie anmutig nimmt sie sich aus, so auf den Ellbogen gestützt und ein wenig vorwärts geneigt, so daß man unter dem dünnen Flor des Hemdes die elfenbeinernen Hemisphären ihrer Brust sehen kann. Ich wette, daß sie den besten Charakter hat und von andern Frauenzimmern gänzlich verschieden ist. Ihr Geist ist jedenfalls bescheiden, liebenswürdig und gebildet und ihre Unterhaltung angenehm und liebenswürdig.«

»Donnerwetter,« antwortete Pylades lachend, »Sie müssen sehr gute Augen haben, um dies alles von hier aus zu entdecken. Ich für meine Person sehe weiter nichts als eine Dame am Fenster, die allerdings ganz hübsch ist, aber ganz gewiß nicht die unvergleichlichen Vollkommenheiten besitzt, womit Sie sie so freigebig ausstatten.«

»Oh, ich liebe sie schon mit aller Kraft meiner Seele. Ich muß sie besitzen, und ich werde sie besitzen, müßte ich auch deswegen den größten Grad von Mut und Schlauheit aufbieten, meine Truhen leeren und hundert Nebenbuhler durchbohren.«

»Na, na, erhitzen Sie sich nur nicht gleich so,« entgegnete Pylades, »wie leicht könnten Sie milzkrank werden! Was ist denn auf einmal aus dem schönen Frauenhaß geworden, zu dem Sie sich soeben erst so eifrig bekannten? Das erste hübsche Gesicht brauchte nur zu kommen, und fort ist er.«

»Als ich vorhin sprach und die Frauen schmähte, wußte ich nicht, daß dieser Engel an Schönheit existiert, und alles, was ich gesagt habe, ist nichts als verdammenswerte Lästerung und Ketzerei, die ich Venus, die Göttin der Liebe, bitte, mir verzeihen zu wollen.«

»Und Sie wird Ihnen verzeihen, zweifeln Sie nicht daran, denn sie ist nachsichtig gegen die verliebten Narren, deren würdiger Bannerträger Sie sein könnten.«

»Ich werde sogleich den Feldzug eröffnen,« sagte Orestes, »und meiner schönen Freundin in galanter Weise den Krieg erklären.«

Mit diesen Worten blieb der junge Kavalier stehen, heftete seinen Blick gerade auf Isabella, nahm auf ebenso galante als ehrerbietige Weise seinen Hut ab, dessen lange Feder den Boden kehrte, und entsendete von den Spitzen seiner Finger einen Kuß in der Richtung des Fensters. Die junge Schauspielerin, die dies sah, nahm sofort eine kalte strenge Miene an, um diesem Zudringlichen begreiflich zu machen, daß er sich irre, schloß das Fenster und ließ die Gardinen herunter. »Sehen Sie, Aurora birgt sich hinter einer Wolke«, sagte Pylades. »Dies ist für den übrigen Tag von keiner guten Vorbedeutung.«

»Im Gegenteil, ich betrachte es als ein günstiges Zeichen, daß die Schöne sich zurückgezogen hat«, bemerkte Orestes. »Wenn der Soldat hinter die Zinne des Turmes zurückweicht, so verrät dies, daß der Pfeil des Belagerers getroffen hat. Der Kuß, den ich dieser Dame zugesendet, wird sie zwingen, die ganze Nacht an mich zu denken, wäre es auch nur, um mich zu schmähen und mich der Zudringlichkeit zu beschuldigen, eines Fehlers, der übrigens den Frauen durchaus nicht mißfällt. Es besteht nun zwischen mir und dieser Unbekannten eine gewisse Beziehung. Es ist allerdings nur ein sehr dünner Faden, aber ich werde ein Seil daraus zu machen verstehen, an dem ich den Balkon des schönen Kindes erklettere.«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Sie kennen wunderbar die Theorie und Praxis der Liebe«, sagte Pylades ehrerbietig.

»Darauf bin ich auch zuweilen stolz«, antwortete Orestes. »Gehen wir jetzt hinein. Die schöne Zürnende wird nicht sobald wieder zum Vorschein kommen. Heute abend werde ich meine Leute ins Feld rücken lassen.«

Die beiden Freunde gingen langsam die Stufen des alten Hauses hinauf und verschwanden.

Nicht weit von der Herberge stand ein Ballspielhaus, das sich ganz vorzüglich zur Einrichtung eines Theaters eignete. Die Komödianten mieteten es, und ein Tischlermeister der Stadt richtete es unter der Leitung des Tyrannen in kurzer Zeit für seine neue Bestimmung ein. Ein Lackierer, der auch Schilder und Wappen malte, restaurierte die ein wenig verschossenen Dekorationen und malte sogar eine neue, die gar nicht übel ausfiel. Das Zimmer, in dem sich die Ballspieler aus- und ankleideten, wurde zum Garderobezimmer für die Künstler eingerichtet, mit einigen spanischen Wänden, die die Ankleideräume der Schauspielerinnen umgaben. Alle numerierten Plätze waren bereits im voraus bestellt. Die Einnahme versprach gut zu werden.

»Wie schade,« sagte der Tyrann zu Blasius, als sie miteinander die Stücke aufzählten, die sie hier vorführen konnten, »wie schade, daß Zerbine uns fehlt. Eine Soubrette ist in der Tat das granum salis, das Salz und die Würze der Komödie. Ihre sprühende Heiterkeit beleuchtet gleichsam die Bühne. Durch ihr Geschwätz, ihre Impertinenz und ihre Zweideutigkeit gibt sie der affektierten Sprödigkeit der weichlichen Sprache und dem Gegirr der Liebhaberin erst wahren Wert. Die grellen Farben, die sie aufträgt, ergötzen die Augen. Wenn es sein muß, so kann sie in ihren roten Strümpfen mit goldenen Zwickeln ein schön geformtes Bein bis an die Strumpfbänder oder doch beinahe so weit zeigen, und dies ist eine angenehme Perspektive für die Jungen wie für die Alten, ganz besonders für die Alten, deren schlummernde Lüsternheit dadurch wieder geweckt wird.«

»Ja,« antwortete Blasius, »die Soubrette ist eine wertvolle Würze. Wir müssen sie aber nun einmal entbehren. Weder Isabella noch Serafina können diese Rolle spielen. Übrigens bedürfen wir ja auch dieser Damen für ihr eigenes Rollenfach. Der Teufel hole diesen Marquis von Bruyères, der uns in der Person der unvergleichlichen Zerbine die Perle, den Phönix aller Soubretten geraubt hat.«

Soweit war die Unterhaltung zwischen den beiden Komödianten gediehen, als silbernes Schellengeläute sich vor dem Tore der Herberge hören ließ. Es dauerte nicht lange, so dröhnten rasche, taktmäßige Tritte auf dem Pflaster des Hofes, und die beiden Schauspieler sahen drei spanisch geschirrte Maultiere mit Federbüschen auf den Köpfen, Stickereien, wollenen Quasten, Glöckchen und gestreiften Decken. Alles sah sehr sauber und gediegen aus und verriet, daß dies keine gemieteten Tiere waren.

Auf dem ersten saß ein Lakai in grauer Livree mit einem Jagdmesser im Gürtel und der Muskete am Sattelbogen. Mit einer um den Arm gewundenen Leine zog er das zweite Maultier hinter sich her, das zwei ungeheure Pakete zu beiden Seiten des Packsattels trug.

Das dritte Maultier, von bestem Aussehen und noch stolzerer Gangart, trug eine junge Dame, die sich warm in einen Pelzmantel gehüllt hatte, und von deren grauem Filzhut eine rote Feder über die Augen herabhing.

»Heda,« sagte Blasius zu dem Tyrannen, »erinnert dich dieser Aufzug nicht an etwas? Mir ist es, als wenn ich diese Glöckchen nicht zum ersten Male läuten hörte.«

»Bei dem heiligen Alipantin!« antwortete der Tyrann, »es sind dieselben Maultiere, die uns unsere Soubrette am Kreuzwege entführten. Wenn man von dem Wolfe spricht –«

»So steckt er die Schnauze zur Tür herein«, unterbrach Blasius. »O dreimal gesegneter Tag! Es ist wirklich die Sennora Zerbine selbst. Sie springt von ihrem Reittier herab und wirft ihren Mantel dem Lakai über den Arm. Jetzt nimmt sie ihren Hut ab und schüttelt ihr Haar wie ein Vogel seine Federn. Gehen wir ihr eiligst entgegen.«

Blasius und der Tyrann stiegen in den Hof hinab und begegneten Zerbine am Fuß der Rampe. Diese muntere junge Dame warf sich dem Pedanten sofort an die Brust und nahm ihn beim Kopfe.

»Ich muß«, rief sie, indem sie die Tat auf das Wort fallen ließ, »dein altes Gesicht mit derselben Freude küssen, als ob du ein junger Mann wärest, so entzückt bin ich, dich wiederzusehen. Sei nicht eifersüchtig, Herodes, und runzle nicht deine dicken, schwarzen Augenbrauen, als wenn du die Ermordung der unschuldigen Kindlein befehlen wolltest. Ich werde dich gleich auch umarmen. Ich habe mit Blasius bloß angefangen, weil er der Häßlichste ist.«

Zerbine hielt redlich ihr Versprechen, denn sie war ein Mädchen von Wort. Indem sie dann jedem der beiden alten Schauspieler eine Hand gab, stieg sie die Galerie hinauf, wo Meister Bilot für sie ein Zimmer instand setzen ließ. Kaum hier eingetreten, warf sie sich in einen Sessel und begann geräuschvoll aufzuatmen, wie jemand, der einer großen Last ledig ist.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Ihr könnt euch«, sagte sie zu den beiden Schauspielern, nachdem sie einen Augenblick geschwiegen, »unmöglich die Freude denken, die ich fühle, hier wieder mit euch zusammengetroffen zu sein. Glaubt aber deswegen nicht, daß ich mich in eure alten, von Bleiweiß und Zinnober durchbeizten Gesichter verliebt habe. Ich liebe niemand, Gott sei Dank. Meine Freude hat vielmehr ihren Grund, daß ich in mein Element zurückkehre, denn außerhalb seines Elementes befindet man sich allemal nicht wohl. Das Wasser sagt den Vögeln ebensowenig zu, wie die Luft den Fischen. Die einen ersaufen, die anderen ersticken. Ich bin geborene Komödiantin, das Theater ist meine Atmosphäre. Nur hier atme ich frei. Ich nehme daher mein Rollenfach wieder auf und hoffe, daß ihr dasselbe noch nicht anderweit besetzt habt. Übrigens bin ich auch nicht zu ersetzen. Wenn dies der Fall wäre, so kratzte ich meiner Nachfolgerin auf offener Bühne die Augen aus oder schlug ihr die vier Vorderzähne ein. Wenn man meine Vorrechte zu beeinträchtigen wagt, so bin ich boshaft wie ein Teufel.«

»Du wirst nicht nötig haben, dergleichen Gewalttaten zu begehen«, entgegnete der Tyrann. »Wir haben noch keine andere Zofe. Leonarda hat mittlerweile deine für sie als komische Alte zugeschnittenen und abgeänderten Rollen gespielt. Es war dies eine sehr traurige und lahme Metamorphose, zu der uns die Notwendigkeit zwang.«

In diesem Augenblick traten mehrere Hausknechte in das Zimmer und brachten eine Menge Pakete, Schachteln und Mantelsäcke, die die Schauspielerin musterte und in Gegenwart ihrer beiden Kunstgenossen mit mehreren an einem silbernen Ring hängenden kleinen Schlüsseln öffnete. Da waren schöne Sachen, feine Wäsche, Spitzen, Schmucksachen, ganze Stücke Samt und chinesischer Atlas – eine förmliche ebenso elegante als kostbare Ausstattung; außerdem befand sich auch ein langer, dicker, schwerer, bis an den Schlund mit Gold gefüllter lederner Beutel darunter, dessen Schnüre Zerbine aufknüpfte, um den Inhalt auf den Tisch strömen zu lassen. Zerbine tauchte ihre kleinen braunen Hände in den Goldhaufen wie eine Kornschwingerin in einen Haufen Getreide, hob so viel, als sie in ihre aneinandergehaltenen hohlen Hände fassen konnte, empor, öffnete sie dann und ließ die Goldstücke als funkelnden Regen herabfallen. Die Augen Zerbinens funkelten von ebenso lebhaftem Glanze, wie der der Goldstücke war, ihre Nüstern weiteten sich, und ein krampfhaftes Lachen ließ ihre weißen Zähne zum Vorschein kommen.

»Serafine würde vor Wut platzen, wenn sie mich im Besitz von so vielem Geld sähe,« sagte die Soubrette zu Herodes und zu Blasius; »ich zeige es euch, aber um euch zu beweisen, daß es nicht die Not ist, die mich verirrtes Lamm zum Stall zurückführt, sondern die reine Liebe zur Kunst. Was euch betrifft, alte Freunde, so taucht eure Tatzen hinein und nehmt so viel, als ihr mit euren fünf Fingern fassen könnt.«

Die alten Schauspieler dankten ihr für ihr freigebiges Anerbieten, versicherten ihr aber, daß sie nichts brauchten.

»Wohlan,« sagte Zerbine, »ein anderes Mal, ich werde euch euren Teil als Schatzmeisterin in meiner Kassette bewahren.«

»Du hast also diesen armen Marquis verlassen,« hob Blasius mit dem Ausdrucke des Bedauerns wieder an, »denn du gehörst nicht zu den Frauen, derer man überdrüssig wird. Die Rolle der Ariadne paßt nicht für dich, wohl aber die der Circe. Dennoch war er ein prächtiger Kavalier, schön von Person, mit höfischem Anstand, geistreich und in jeder Beziehung würdig, länger geliebt zu werden.«

»Meine Absicht«, antwortete Zerbine, »ist auch, ihn zu halten wie einen Ring an meinem Finger und als mein kostbarstes Kleinod. Ich verlasse ihn durchaus nicht, und wenn ich ihn verlassen habe, so ist es geschehen, damit er mir folge.«

Fugax sequax, sequax fugax«, hob der Pedant wieder an. »Diese vier lateinischen, kabbalistisch gleichklingenden Worte, die ein der Komödie: ›Die Frösche‹ von Aristophanes entlehntes Gekrächze von Batrachiern zu sein scheinen, enthalten die Quintessenz aller Theorien der Liebe und können ebenso für das männliche als für das weibliche Geschlecht als Verhaltungsregel dienen.«

»Und,« rief Zerbine, »was bedeutet dein Latein, alter Pedant? Du hast versäumt, es zu übersetzen und vergissest, daß nicht alle Leute wie du Professoren an lateinischen Schulen gewesen sind.«

»Man kann es«, antwortete Blasius, »mit den zwei Zeilen übersetzen:

Fliehe, und man wird dir folgen,
Folge! und man wird dich fliehen.«

»Na,« rief Zerbine lachend, »das ist ja eine Poesie, wie man sie sonst nur auf den Lebkuchen zu lesen bekommt.«

Und die kleine Ausgelassene begann die Verse des Pedanten laut und mit so heller, silberner und perlender Stimme zu singen, daß es ein Vergnügen war, sie zu hören.

Nachdem sie ihrer Lachlust eine Zeitlang Raum gegeben hatte, wurde sie allmählich ernst.

»Höret meine Geschichte«, hob sie dann an. »Der Marquis ließ mich durch den Lakaien und den Maultiertreiber, die mich am Kreuzwege in Empfang nahmen, nach einem kleinen Jagdschlosse bringen, das er in einem seiner Wälder besitzt. Dieses Schloß liegt sehr abgelegen und ist schwer zu entdecken. Hierher begibt sich der gute Marquis zuweilen mit einigen Freunden und Zechgenossen, um tüchtig zu schwelgen. Man kann hier schreien und toben, wie man will, ohne daß jemand anders es hört, als ein alter Diener, der immer frische Flaschen bringt. Hier ist auch der Ort seiner Liebschaften und galanten Abenteuer. Es gibt darin ein kleines Zimmer, das in sehr geeigneter Weise mit flandrischen Tapeten und mit einem antiken, breiten, weichen, gut mit Kissen und Vorhängen ausgestatteten Bette versehen ist. Überdies findet sich darin ein Ankleidetisch, auf dem nichts fehlt, was für eine Dame, wäre sie selbst eine Herzogin, notwendig ist. Dieses Asyl nimmt geheimnisvollerweise die zweite Etage des Pavillons ein. Ich sage geheimnisvoll, denn von außen ist es unmöglich, die innere Pracht zu ahnen. Die Zeit hat die Mauern geschwärzt, die ohne den Efeu, der sie umschlungen hält, aussehen würden, als müßten sie in Trümmer fallen. Wenn man an dem kleinen Schloß vorübergeht, so sollte man meinen, es wäre unbewohnt, denn dichte Läden und Fenstervorhänge verhindern, daß am Abend der Schein der Kerzen und des Feuers von außen wahrzunehmen ist.«

»Das wäre«, unterbrach der Tyrann, »eine schöne Dekoration für den fünften Akt einer Tragikomödie. In einem solchen Hause könnte man sich in aller Bequemlichkeit erwürgen.«

»Die Gewohnheit, tragische Rollen zu spielen,« sagte Zerbine, »verdüstert deine Phantasie. Es ist im Gegenteil eine sehr heitere Wohnung, denn der Marquis ist nichts weniger als blutdürstig.«

»Fahre in deiner Erzählung fort, Zerbine«, sagte Blasius mit einer Gebärde der Ungeduld.

»Als ich in der Nähe dieses einsamen Schlosses anlangte,« erzählte Zerbine weiter, »konnte ich mich einer gewissen Furcht nicht erwehren. Einen Augenblick hatte ich den Gedanken, der Marquis wolle mich dort wie in einem Verlies einmauern. Aber ich war auf die angenehmste Weise von der Welt überrascht, als ich sah, daß dieses alte Haus, das die Vorübergehenden so mürrisch anschaute, die Gäste freundlich anlächelte. Außen herrschte Verfall, inwendig Luxus. In dem Kamin brannte ein gutes Feuer. Der Schein rosenfarbener Kerzen wurde von den Spiegeln an den Wänden zurückgeworfen, und auf der mit einer Masse Kristall- und Silbergeschirr besetzten Tafel war ein ebenso reichliches als ausgesuchtes Abendessen aufgetragen. Auf dem Rande des Bettes spiegelten nachlässig hingeworfene Stoffe den Lichtschimmer von ihren Falten zurück. Auf der Toilette liegende Schmucksachen, Armbänder, Ohrgehänge spielten im Glanze des Goldes und in allen Farben eines Juwelenregenbogens. Ich fühlte mich sofort vollkommen beruhigt. Eine junge Bäuerin kam, den Türvorhang hebend, mir ihre Dienste anzubieten und entledigte mich meines Reisekleides, um mich ein passenderes anlegen zu lassen, das fertig in der Garderobe hing. Es dauerte nicht lange, so kam der Marquis. Er fand mich in meinem Negligé von weiß- und rotgestreiftem Taffet ganz reizend, und schwur, daß er mich bis zum Wahnsinn liebe. Wir soupierten, und wie schwer es meiner Bescheidenheit wird, so muß ich doch gestehen, ich war blendend. Ich fühlte, ich hatte Geist wie ein Teufel, die Einfälle sprangen, die Antworten kamen mir zwischen glänzendem Feuerwerk von Lachen. Es lag ein Zug drin, ein Feuer, eine jeder Vorstellung spottende lustige Tollheit. Geblendet, bezaubert, trunken, nannte mich der Marquis bald Engel, bald Dämon, und erbot sich in allem Ernste, seine Frau umzubringen und mich zu heiraten. Der gute Mann! Er hätte auch wirklich getan, wie er sagte, aber ich wollte nicht, sondern sagte ihm, dergleichen Umbringereien wären abgeschmackte, philisterhafte, gemeine Dinge. – Ich glaube, weder Laïs, noch die schöne Imperia, noch Madame Vannoza, die die Geliebte eines Papstes war, haben ihren Anbetern jemals eine köstlichere Nacht bereitet. – So ging es mehrere Tage. Allmählich jedoch ward der Marquis nachdenklich und schien etwas zu suchen, worüber er sich selbst nicht klar war, was ihm aber fehlte. Ich versuchte meine stärksten Liebestränke, aber leider hatten sie keine Gewalt mehr über ihn. Dieser Zustand schien ihn selbst in Verwunderung zu setzen. Zuweilen betrachtete er mich sehr aufmerksam, als ob er in meinen Zügen Ähnlichkeit mit einer andern Person fände. Sollte er, dachte ich, mich bloß zu seiner Geliebten gemacht haben, um eine Erinnerung zu verkörpern? fragte ich mich. Nein, antwortete ich mir sogleich, dergleichen wehmütige Phantasien liegen nicht in seiner Natur. Dergleichen Träumereien sind bloß gelbsüchtigen Hypochondern eigen, aber nicht jungen Männern mit roten Wangen und Ohren.«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»War es vielleicht Übersättigung?« sagte Blasius. »Selbst der Ambrosia wird man überdrüssig, und die Götter kommen auf die Erde, um das Schwarzbrot der Menschen zu essen.«

»Herr Dummkopf,« antwortete Zerbine, indem sie dem Pedanten einen leichten Klaps auf die Finger gab, »wissen Sie nicht, daß man meiner niemals überdrüssig wird? Sie haben es mir ja vorhin selbst gesagt.«

»Verzeihe mir, Zerbine, und sage uns, was dem Herrn Marquis die Laune verdorben hatte. Ich brenne vor Ungeduld, es zu erfahren.«

»Durch langes Nachdenken«, hob die Soubrette wieder an, »ergründete ich endlich, was den Marquis in seinem Glück peinigte. Er besaß das Weib, aber er vermißte die Schauspielerin. Jener glänzende Anblick, den die Lichter, die Schminke, die Kostüme, die Mannigfaltigkeit und Wirkung der Rollen geben, war entschwunden, wie der künstlerische Glanz des ganzen Theaters entschwindet, wenn der Lampenputzer die Lichter ausbläst. Es blieb ihm jetzt nur Zerbine übrig. Was er in mir liebte, war aber Lisette, oder Marton, oder Marinette, der Blitz des Lächelns und des Auges, die schlagende Antwort, die kecke Entgegnung, das phantastische Kostüm, die Bewunderung des Publikums. Er suchte hinter meinem gewöhnlichen Gesicht mein Theatergesicht. Was der Marquis wünschte, war die Soubrette, die er in den ›Rodomontaden des Kapitäns Matamor‹ gesehen, und die ich ihm jetzt nur noch halb darstellte. Ich selbst begann mich zu langweilen. Oft hatte ich wohl gewünscht, von einem vornehmen Herrn geliebt zu werden, kostbare Toiletten zu besitzen, ohne Sorge im Schoße des Luxus zu leben, und mehr als einmal hatte ich dem harten Schicksal geflucht, das mich zwang, von Dorf zu Dorf oder von Stadt zu Stadt zu wandern und unter allerlei Entbehrung und Ungemach mein Handwerk als Schauspielerin und Tänzerin auszuüben. Ich wartete auf eine Gelegenheit, um diesem elenden Leben ein Ende zu machen, denn ich ahnte nicht, daß dies mein eigentliches Leben war, der Sinn meiner Existenz, mein Talent, meine Poesie, mein Zauber und mein persönlicher Glanz. Ohne diesen Strahl von Kunst, der mich ein wenig vergoldet, wäre ich weiter nichts als eine gewöhnliche Kokette wie so viele andere. Mein Aufenthalt in dem Jagdpavillon des Marquis klärte mich hierüber auf. Ich sah ein, daß dieser wackere Kavalier nicht bloß in meine Augen, in meine Zähne, in meine Haut, sondern auch in jenen kleinen Funken verliebt war, der in mir glänzt und mir Beifall erwirbt. Eines schönen Morgens erklärte ich ihm daher unumwunden, daß ich wieder ausfliegen wollte, und daß es mir durchaus nicht zusagte, auf ewige Zeiten die Geliebte eines vornehmen Herrn zu sein. Ich fügte zugleich die Bitte hinzu, mir meinen Abschied zu geben, und versicherte ihm übrigens, daß ich ihn immer noch liebte und ihm für seine Güte dankbar sei. Der Marquis schien anfangs überrascht, aber nicht erzürnt zu sein, und nachdem er ein wenig nachgedacht, sagte er: ›Was wollen Sie denn beginnen, Geliebte?‹ Ich antwortete: ›Ich will die Truppe, der ich früher angehörte, aufsuchen und finde sie jedenfalls in Paris, wenn sie schon dort angelangt ist. Ich will mein Rollenfach als Soubrette wieder aufnehmen. Es ist schon lange her, daß ich keinen Geronte hinters Licht geführt habe.‹ Dies brachte den Marquis zum Lachen. – ›Wohlan,‹ sagte er, ›reisen Sie mit der Maultier-Equipage, die ich Ihnen zur Verfügung stelle, immer voran. Ich werde Ihnen bald folgen. Ich habe schon seit längerer Zeit versäumt, gewisse Geschäfte zu ordnen, die meine Gegenwart am Hofe verlangen, und ich fühle selbst das Bedürfnis, die Provinz endlich einmal wieder zu verlassen. Sie werden mir wohl erlauben, Ihnen zu applaudieren, und wenn ich an die Tür Ihrer Wohnung poche, so hoffe ich, daß Sie mir öffnen.‹ – Ich nahm eine kleine verschämte Miene an, die aber durchaus nicht alle Hoffnungen vernichtete. ›Ach, Herr Marquis, was verlangen Sie da!‹ rief ich bloß. Kurz, nach dem zärtlichsten Abschied schwang ich mich auf mein Maultier, und nun bin ich hier im ›französischen Wappen‹.«

»Aber,« sagte Herodes in zweifelndem Tone, »wenn der Marquis nicht käme, wärest du arg betrogen.«

Dieser Gedanke erschien Zerbine so komisch, daß sie sich in ihrem Sessel zurückwarf und aus vollem Halse lachte, während sie sich die Seiten hielt.

»Der Marquis sollte nicht kommen!« rief sie, als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte. »Du kannst voraus ein Zimmer für ihn bestellen. Meine Furcht war bloß, daß er in seinem Eifer noch eher hier angelangt wäre als ich. Du zweifelst also an meinen Reizen? Du ebenso grausamer als einfältiger Tyrann! Die Tragödien scheinen wirklich deinen Verstand abzustumpfen. Früher warst du klüger.«

Leander und Scapin, die durch die Hausknechte Zerbinens Ankunft erfahren, traten jetzt in das Zimmer und begrüßten sie. Es dauerte nicht lange, so erschien auch Dame Leonarda, deren Uhuaugen bei dem Anblick des Goldes und der auf dem Tische ausgebreitet liegenden Schmucksachen zu funkeln begannen. Sie benahm sich gegen Zerbine auf die einschmeichelndste, kriechendste Weise. Isabella kam ebenfalls, und die Soubrette machte ihr sofort ein Stück Taffet zum Geschenk. Nur Serafina blieb in ihrem Zimmer. Ihr Stolz konnte ihrer Nebenbuhlerin die ihr vom Marquis gewordene Bevorzugung nicht verzeihen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Man erzählte Zerbine, daß der Matamor unterwegs erfroren, aber durch den Baron von Sigognac ersetzt worden sei, der als Theaternamen den des Kapitäns Fracasse angenommen habe.

»Es wird mir zur großen Ehre gereichen, mit einem Edelmann zu spielen, dessen Ahnen die Kreuzzüge mitgemacht haben,« sagte Zerbine, »und ich werde mich bemühen, daß der Respekt nicht das Feuer in mir erstickt. Zum Glück bin ich jetzt an den Umgang mit Standespersonen gewöhnt.«

In diesem Augenblick trat Sigognac ins Zimmer.

Zerbine bog das Knie, so daß ihre Röcke gehörig aufrauschten und machte ihm einen schönen, sehr abgemessenen und förmlichen Hofknix.

»Dies«, sagte sie, »ist für den Herrn Baron von Sigognac, und dies für den Kapitän Fracasse, meinen Kollegen«, setzte sie hinzu, indem sie ihn rasch auf beide Wangen küßte, was Sigognac, der an dergleichen Theaterfreiheiten noch nicht gewöhnt war und übrigens auch durch Isabellas Anwesenheit schüchtern gemacht wurde, beinahe aus der Fassung gebracht hätte.

Zerbinens Rückkehr gestattete nun eine sehr angenehme Abwechslung des Spielplans, und die ganze Truppe, mit Ausnahme Serafinas, war höchst erfreut, sie wiederzusehen. –

Orestes, der junge Herzog von Vallombreuse, denn dies war sein Titel, aß nur einige wenige Bissen und vergaß mehr als einmal das Glas, das der Lakai gefüllt, so sehr waren seine Gedanken mit der schönen Dame beschäftigt, die er am Fenster gesehen. Der Chevalier von Vidaline, sein Vertrauter, bemühte sich vergebens, ihn zu zerstreuen. Vallombreuse gab auf die freundschaftlichen Scherze seines Pylades nur einsilbige Antworten.

Sobald die Mahlzeit vorüber war, sagte der Chevalier zu dem Herzog:

»Die kürzesten Torheiten sind die besten. Damit Sie nicht mehr an diese Schönheit denken, müssen Sie sich bloß ihren Besitz sichern. Dann wird sie sich bald in der Lage Corisandens befinden. Sie besitzen die Eigenheit jener Jäger, die von dem Wilde weiter nichts lieben als die Verfolgung, und wenn sie das Tier erlegt haben, es nicht einmal aufheben. Ich werde einmal auf den Busch klopfen, um Ihnen den Vogel ins Netz zu jagen.«

»Nein, nein,« entgegnete Vallombreuse, »ich werde selbst gehen. Wie du sagtest, nur die Verfolgung ergötzt mich, und ich würde dem armseligsten Tier bis ans Ende der Welt folgen oder bis ich tot vor Ermüdung niedersänke. Nimm mir nicht dieses Vergnügen. Oh, wenn ich so glücklich wäre, eine Spröde zu finden, ich glaube, ich würde sie anbeten, aber es gibt auf diesem Erdenrund für mich einmal keine.«

»Wenn man Ihre Triumphe nicht kennen würde,« sagte Vidaline, »so könnte man Sie des Dünkels beschuldigen, aber Ihre mit Liebesbriefen, Porträts, Bandschleifen, getrockneten Blumen, schwarzen, blonden oder roten Haarlocken und andern dergleichen Liebespfändern angefüllten Schubfächer beweisen, daß Sie bloß bescheiden sind, wenn Sie so sprechen. Vielleicht werden Sie jetzt nach Wunsch bedient, denn die Dame am Fenster scheint mir wundersam keusch, schamhaft und kalt zu sein.«

»Wir werden sehen. Meister Bilot plaudert gerne. Er hört auch und kennt die Geschichte der Personen, die in seiner Herberge einkehren. Wir wollen gehen und bei ihm eine Flasche kanarischen Wein trinken. Ich werde ihm schon die Zunge lösen, und er wird uns Auskunft über diese reisende Prinzessin geben.«

Einige Minuten später traten die beiden jungen Herren in das »französische Wappen« und fragten nach Meister Bilot. Der Gastwirt, der den vornehmen Stand seiner Gäste kannte, führte sie selbst in ein wohltapeziertes Parterrezimmer, wo in einem Kamin mit breitem Mantel ein knisterndes, helles Feuer brannte. Er nahm aus den Händen des Kellermeisters die graue, mit Spinnweben bedeckte Flasche, befreite sie mit der größten Vorsicht von ihrer Wachskappe, zog ohne Erschütterung den festeingekeilten Pfropf heraus und goß mit so fester Hand, als ob sie aus Eisen geschmiedet wäre, einen Faden topasfarbener Flüssigkeit in die venezianischen Gläser mit gewundenem Fuß, die der Herzog und der Chevalier ihm hinhielten.

Bilot war im Begriffe, sich wieder zu entfernen, als Vallombreuse ihn durch einen geheimnisvollen Blick bewog, auf der Schwelle stehenzubleiben.

»Meister Bilot,« sagte er zu ihm, »holt Euch ein Glas und stoßt einmal auf meine Gesundheit mit mir an.«

Der Ton, in dem diese Aufforderung ausgesprochen ward, gestattet keine Weigerung, und übrigens ließ Bilot sich auch niemals lange bitten, wenn es galt, dem Gast die Schätze seines Kellers verzehren zu helfen. Er holte sich demgemäß ein Glas, ließ es füllen, hob es hoch empor und leerte den Inhalt bis auf die letzte Perle.

»Guter Wein«, sagte er, indem er lüstern mit der Zunge schnalzte, dann blieb er, die Hand auf den Rand des Tisches stützend, stehen, heftete die Augen auf den jungen Herzog und wartete, was man weiter von ihm wollte.

»Hast du jetzt viel Gäste in deiner Herberge?« fragte Vallombreuse, »und was sind es für Leute?«

Bilot wollte antworten, der junge Herzog kam ihm aber zuvor und fuhr fort:

»Warum sollte man mit einem alten, durchtriebenen Schurken, wie du bist, lange um den Brei herumgehen? Wer ist die Dame, die das Zimmer bewohnt, dessen Fenster auf das Gäßchen hinter dem Schloß Vallombreuse geht? Es ist das dritte Fenster von der Ecke der Mauer an gerechnet. Antworte schnell! Du bekommst für jede Silbe ein Goldstück.«

»Bei diesem Preis«, rief Bilot laut lachend, »müßte man sehr tugendhaft sein, wenn man den von den Alten so hochgeschätzten lakonischen Stil in Anwendung bringen wollte. Indessen, da ich ganz zu Ihren Diensten stehe, gnädigster Herr, so werde ich nur ein einziges Wort entgegnen und dieses Wort heißt: Isabella.«

»Isabella! Ein reizender, romantischer Name«, sagte Vallombreuse. »Ich bitte dich aber, von dieser lazedämonischen Mäßigkeit keinen ferneren Gebrauch zu machen. Sei vielmehr so weitschweifig als möglich und erzähle mir genau alles, was du von dieser Dame weißt.«

»Ich werde Ihren Befehlen gehorchen, gnädigster Herr«, antwortete Meister Bilot, indem er sich verneigte. »Mein Keller, meine Küche und meine Zunge stehen zu Ihrer Verfügung. Isabella ist eine Schauspielerin und gehört zu der Truppe des Sieur Herodes, welche gegenwärtig im Gasthause ›zum französischen Wappen‹ logiert.«

»Eine Schauspielerin!« rief der junge Herzog mit der Miene getäuschter Erwartung. »Nach dem feinen und zurückhaltenden Ausdrucke ihres Gesichtes hätte ich sie eher für eine Dame von Stande gehalten, als für eine herumziehende Komödiantin.«

»Der Mensch kann sich täuschen,« fuhr Bilot fort, »und übrigens hat diese junge Dame auch wirklich sehr anständige Manieren. Sie spielt auf dem Theater die Rolle der Naiven und bleibt ihr auch im gewöhnlichen Leben treu. Ihre Tugend hat, obschon sehr gefährdet, denn sie ist sehr hübsch, noch keine Bresche erlitten. Keine versteht besser als sie, einen Anbeter mit eisiger, keine Hoffnung lassender Höflichkeit abzuweisen.«

»Das gefällt mir«, sagte Vallombreuse. »Nichts ist mir verhaßter, als jene allzu offenen Festungen, die zum Rückzug trommeln und zu kapitulieren verlangen, ehe man noch den Sturm begonnen hat.«

»Um diese Zitadelle zu nehmen, wird es mehr als eines Sturmes bedürfen,« sagte Bilot, »obschon Sie ein kühner Feldherr sind, der nicht so leicht auf Widerstand zu stoßen pflegt. Diese Festung wird nämlich durch die wachsame Schildwache einer keuschen Liebe gehütet.«

»Dann hat sie also einen Liebhaber, diese sittsame Isabella!« rief der junge Herzog in zugleich triumphierendem und ärgerlichem Ton, denn einerseits glaubte er nicht an die Tugend der Frauen, und andererseits ärgerte es ihn, einen Nebenbuhler zu haben.

»Ich habe von einer Liebe, aber nicht von einem Liebhaber gesprochen,« fuhr der Gastwirt mit ehrerbietiger Beharrlichkeit fort, »und dies ist nicht ein und dasselbe. Sie, gnädigster Herr, sind in Sachen der Galanterie zu erfahren, als daß Ihnen dieser Unterschied, so subtil er auch aussieht, nicht sofort klar sein sollte. Eine Dame, die einen Liebhaber hat, kann deren auch zwei haben, wie es in dem alten Liede heißt, eine Dame aber, die eine Liebe hat, ist unmöglich oder wenigstens sehr schwer zu besiegen, denn was man ihr bieten will, besitzt sie bereits.«

»Du sprichst ja über dergleichen Dinge, als ob du einen Liebeskursus durchgemacht und Petrarcas Sonnette studiert hättest,« sagte der junge Herzog; »ich hielt dich nur für einen Gelehrten in Küche und Weinkeller. Wer ist denn aber der Gegenstand der platonischen Zärtlichkeit dieser schönen Dame?«

»Ein Mitglied der Truppe,« antwortete Bilot, »ein junger Mann, von dem ich fast vermute, daß er eben dieser Liebschaft wegen sich der Gesellschaft angeschlossen hat, denn er scheint mir durchaus nicht das Wesen eines gewöhnlichen Komödianten zu haben.«

»Nun,« sagte der Chevalier Vidaline zu seinem Freund, »nun sind Sie wohl zufriedengestellt? Da gibt es ja eine Menge unvorhergesehener Hindernisse. Eine tugendhafte Schauspielerin trifft man nicht alle Tage. Das ist etwas für Sie. Nachdem Sie sich solange mit vornehmen Damen und Kurtisanen beschäftigt haben, ist dies einmal eine Abwechslung und Erholung.«

»Weißt du aber auch gewiß,« fuhr der junge Herzog, seine Gedankenreihe weiter verfolgend, zu dem Gastwirt gewendet fort, »daß diese keusche Isabella jenem Gecken keine Vertraulichkeit gestattet?«

»Man sieht wohl, daß Sie diese junge Dame nicht kennen, gnädigster Herr«, hob Meister Bilot wieder an. »Sie ist ein Hermelin, der lieber stirbt, als seinen Pelz beschmutzen läßt. Wenn das Spiel Umarmungen und Küsse verlangt, so sieht man sie durch die Schminke hindurch erröten und zuweilen sich mit dem Handrücken die Wangen abwischen.«

»Es leben die störrischen, scheuen, widerspenstigen Schönheiten!« rief der Herzog. »Ich werde ihr aber so mit Sporn und Peitsche zuzusetzen wissen, daß sie ganz nach meinem Willen Schritt, Trott, Galopp und alle übrigen Gangarten durchmachen soll.«

»Erlauben Sie mir die untertänigste Bemerkung, gnädigster Herr, daß Sie auf diese Weise nichts erlangen werden«, entgegnete Meister Bilot, indem er sich tief verneigte.

»Wenn ich ihr nun in einem schönen Maroquin-Etui Ohrgehänge mit großen Perlen, ein goldenes Halsband mit Juwelenschloß und ein Armband in Form einer Schlange mit zwei großen Rubinen statt der Augen zuschickte?«

»Dann würde Sie Ihnen alle diese Kostbarkeiten zurücksenden und sagen lassen, daß Sie sich ohne Zweifel in der Person irrten. Sie ist durchaus nicht eigennützig wie die Mehrzahl ihrer Kunstgenossinnen, und ihre Augen – es ist dies bei den Frauen etwas Seltenes – entzünden sich nicht an dem Feuer der Edelsteine.«

»Das ist aber dann ein seltsames und wunderliches Exemplar des Frauengeschlechtes«, sagte der Herzog von Vallombreuse ein wenig verwundert. »Ohne Zweifel will sie durch diesen Anstrich von Sittenreinheit jenen Tölpel, der jedenfalls ein wohlhabender Mann ist, veranlassen, sie zu heiraten.«

»Nun, so heiraten Sie sie doch, wenn es einmal kein anderes Mittel gibt«, rief Vidaline lachend. »Die Aussicht, Herzogin zu werden, überwindet die sprödeste Tugend.«

»Na, na!« hob Vallombreuse wieder an; »gehen wir nicht so rasch ins Zeug. Erdenken wir, um uns der Schönen zu nähern, irgendeine List, durch die sie nicht allzusehr erzürnt wird.«

»Dies wird leichter sein, als ihre Liebe zu gewinnen«, sagte Meister Bilot. »Heute abend ist im Ballspielhaus die letzte Probe zu dem für morgen angesetzten Stück. Einige Kunstfreunde werden dabei Zutritt haben, und Sie brauchen sich nur zu nennen, damit sich die Tür Ihnen sofort öffnet. Übrigens werde ich ein paar Worte mit dem Sieur Herodes sprechen, der ein guter Freund von mir ist und mir nichts abschlägt. Nach meiner bescheidenen Ansicht aber hätten Sie besser getan, Ihr Augenmerk auf Mademoiselle Serafina zu richten, die nicht weniger hübsch ist als Isabella und deren Eitelkeit durch diese Bevorzugung sehr geschmeichelt wäre.«

»Nein, ich bin nun einmal in Isabella vernarrt«, sagte der Herzog in dem kurzen, trockenen Tone, den er so gut anzunehmen wußte, und der keinen Widerspruch duldete. »Isabella will ich und keine andere, Meister Bilot«, setzte er hinzu, fuhr dann mit der Hand in die Tasche, warf eine ziemlich lange Reihe Goldstücke nachlässig auf den Tisch und sagte: »Hier macht Euch für Euren Wein bezahlt. Was darüber ist, behaltet.«

Die beiden Kavaliere erhoben sich, drückten ihre Hüte tief in die Stirn herein, warfen ihre Mäntel über die Schulter und verließen das Zimmer. Vallombreuse ging mehrmals in dem schmalen Gäßchen auf und ab und hob jedesmal, wo er an dem glückseligen Fenster vorbeikam, die Nase, aber es war verlorene Mühe. Isabella, die jetzt auf ihrer Hut war, ließ sich nicht blicken. Der Vorhang war herabgelassen. Man hätte glauben können, das Zimmer sei gänzlich unbewohnt. Der junge Herzog war es endlich überdrüssig, in diesem einsamen Gäßchen, durch das der Wind ziemlich frisch hindurchpfiff, länger auf und ab zu patrouillieren und machte sich wieder auf den Weg nach seiner Wohnung, indem er im stillen die impertinente Sprödigkeit einer wandernden Komödiantin verwünschte, die sich erdreistete, einen jungen wohlgewachsenen Herzog auf diese Weise schmachten zu lassen. Er dachte sogar mit einer gewissen Freundlichkeit an die vor kurzem noch so verachtete gute Corisande, aber sein Selbstbewußtsein flüsterte ihm bald wieder zu, daß er sich bloß zu zeigen brauche, um zu siegen wie Cäsar. Was seinen Nebenbuhler betraf, so konnte er diesen, wenn er ihm zu unbequem wurde, durch einige gedungene Raufbolde oder Kehlabschneider beseitigen, denn seine Würde erlaubte ihm natürlich nicht, sich mit einem solchen Lumpen selbst zu befassen.

Von Isabella, die sich in den Hintergrund ihres Zimmers zurückgezogen, war Vallombreuse allerdings nicht gesehen worden, wohl aber hatte ihn ein eifersüchtiges Auge durch ein anderes Fenster hindurch erspäht. Es war dies das Auge Sigognacs, dem das Tun und Treiben des jungen Herzogs höchlichst mißfiel. Wohl zehnmal fühlte er sich versucht, hinunterzugehen und den Galan mit blanker Klinge zur Rede zu stellen, aber er hielt noch an sich. In dem Auf- und Abwandeln an einer Mauer lag an und für sich nichts, das einen derartigen Angriff gerechtfertigt hätte. Dennoch nahm der junge Baron sich vor, den Galan genau zu überwachen, und prägte sich seine Züge in Gedächtnis, um ihn im Notfalle wiederzuerkennen.

Herodes hatte für die schon in der ganzen Stadt angekündigte und ausgetrommelte Vorstellung des folgenden Tages das Lustspiel »Lygdamon und Lydias oder die Ähnlichkeit« gewählt. Auf dieses erste Stück sollten dann die »Rodomontaden des Kapitäns Fracasse« folgen und Sigognac in diesem Stück zum ersten Male vor einem wirklichen Publikum auftreten, denn in Bellombres Scheune hatte er nur vor Kühen, Ochsen, Kälbern und Bauern gespielt.

Sigognac, den Blasius in seiner neuen Kunst unterrichtete, studierte in seinem Zimmer mit dem alten Komödianten. Seine Rolle stand, wie wir wissen, mit seinem angeborenen Charakter in direktem Widerspruch, und dennoch mußte sie so gespielt werden, daß man unter der Übertreibung die Wahrheit fühlte. Blasius war auch der Meinung, Sigognac sollte die Halbmaske nehmen, die Stirn und Nase deckte, um die Überlieferung der Figur zu bewahren und in seinem Gesicht das Phantastische mit dem Wirklichen zu mischen, ein großer Vorteil bei diesen halb falschen, halb wahren Rollen.

In den Händen eines gewöhnlichen Komödianten kann eine solche Rolle weiter nichts sein als eine schale Posse, die wohl den Pöbel ergötzt, dem Gebildeten aber höchstens Achselzucken entlockt; ein wirklicher Schauspieler aber kann natürliche Züge dareinmischen, die das Leben zur Anschauung bringen. Der Gedanke der Halbmaske gefiel Sigognac. Die Maske sicherte ihm sein Inkognito und verlieh ihm den Mut, vor das Publikum zu treten. Die dünne Pappe kam ihm vor wie ein Helm mit geschlossenem Visier, durch das er mit einer Gespensterstimme sprechen würde. Denn das Gesicht ist die Person selbst. Der Körper hat keinen Namen und kann nicht erkannt werden, solange das Gesicht verhüllt ist. Auf diese Weise wurde die Achtung vor Sigognacs Ahnen mit den Notwendigkeiten seiner gegenwärtigen Stellung in Einklang gebracht.

Blasius, der Sigognac sehr liebte, modellierte selbst die Maske so, daß der junge Baron dadurch eine Theaterphysiognomie erhielt, die von seiner wirklichen gänzlich verschieden war. Eine große rote, mit Warzen bedeckte Nase, buschige Augenbrauen und ein Schnurrbart mit langen emporgedrehten Spitzen machte die regelmäßigen Züge dieses jungen Barons völlig unkenntlich, und obschon dieser Apparat nur Stirn und Nase bedeckte, so erhielt doch auch der übrige Teil des Gesichtes ein ganz anderes Aussehen.

Man begab sich zur Probe, die im Kostüm stattfinden sollte, um sich von der allgemeinen Wirkung Rechenschaft geben zu können. Um nicht wie Fastnachtsmasken durch die Stadt zu laufen, hatten die Schauspieler ihre Kleider in das Ballspielhaus tragen lassen, und die Damen machten in dem früher beschriebenen Saale Toilette. Die ganze elegante junge Herrenwelt und die Schöngeister der Stadt hatten sich beeilt, mit in dieses Heiligtum Thalias einzudringen, in dem die Priesterinnen der Muse sich mit ihrem Schmuck bekleideten, um die Mysterien zu feiern. Alle diese Herren bewiesen sich gegen die Schauspielerinnen sehr aufmerksam. Die einen hielten ihnen die Spiegel, die andern zündeten noch mehr Kerzen an, damit sie besser sähen. Der eine sprach seine Meinung über die Stelle aus, an der eine Bandschleife anzubringen wäre, der zweite reichte die Puderschachtel, ein dritter, etwas schüchterner, blieb auf einem Koffer sitzen, baumelte, ohne ein Wort zu sprechen, mit den Beinen und strich sich den Schnurrbart, um sich seine Verlegenheit nicht merken zu lassen.

Jede Schauspielerin hatte ihren Kreis von Höflingen, deren gierige Augen bei den verräterischen Zufällen der Toilette ihr Glück zu machen suchten. Bald ließ der zu gelegener Zeit herabrutschende Pudermantel einen blanken Marmorrücken sehen, bald mußte eine schneeige Halbkugel, die sich gegen die Enge des Schnürleibes sträubte, besser in ihr Spitzennest gelegt werden, bald war ein schöner Arm, der sich emporhob, um an dem Kopfputz etwas zu ordnen, bis zur Schulter sichtbar. Zerbine lachte wie toll, als sie diese Albernheiten hörte, Serafina, die mehr eitel als witzig war, fand Vergnügen daran; Isabella hörte nicht darauf und machte vor den Augen aller dieser Männer bescheiden ihre Toilette, indem sie die Dienstanerbietungen der Herren in höflichem, aber kaltem Tone zurückwies.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Vallombreuse, von seinem Freund Vidaline begleitet, versäumte natürlich nicht die Gelegenheit, Isabella zu sehen. Er fand sie in der Nähe noch hübscher als von weitem, und seine Leidenschaft war dadurch natürlich gesteigert. Der junge Herzog hatte sich aus diesem Anlasse zum Adonis zu machen gesucht und war in der Tat bewunderungswürdig schön. Er trug ein prachtvolles Kostüm von weißem Atlas mit kirschrotem Besatz, Diamantschnallen hielten die Schleifen fest. Eine Flut von Wäsche und Spitzen quoll aus den Ärmeln des Wamses. Eine kostbare Schärpe von Silberstoff trug den Degen, und ein weißer Hut mit roter Feder schaukelte sich in der feinbeschuhten Hand.

Sein langes schwarzes, lockiges Haar umschloß sein vollkommen ovales Gesicht und ließ die warme Blässe desselben hervortreten. Unter dem schmalen Schnurrbart glänzten die roten Lippen wie Granaten, und seine Augen funkelten zwischen den dichten Fransen seiner Wimpern. Sein Hals, der rund und weiß war wie eine Marmorsäule, trug stolz den Kopf und hob sich frei und ungezwungen aus einem Kragen von kostbaren venezianischen Spitzen.

Dennoch lag in dieser ganzen Vollkommenheit etwas, das notwendig mißfallen mußte. Diese so feinen, so reinen und edlen Züge wurden durch einen Ausdruck beeinträchtigt, den man einen unmenschlichen hätte nennen können. Offenbar berührten die Freuden und Leiden der Menschen den Träger dieses schönen Gesichtes nur sehr wenig. Er mußte einer ganz besonderen Gattung anzugehören glauben und vermeinte dies auch wirklich.

Er hatte sich schweigend neben Isabellas Toilette gestellt und stützte sich mit dem Arm auf den Rahmen des Spiegels, so daß die Augen der fortwährend den Spiegel befragenden Schauspielerin ihm oft begegnen mußten. Dies war ein geschicktes Manöver, das auch sicherlich bei jeder andern als unserer Naiven von Erfolg begleitet gewesen wäre. Er wollte, ehe er sprach, schon durch seine Schönheit, seine stolze Miene und die Pracht seines Kostümes einen Streich führen. Isabella, die den kecken Kavalier aus dem schmalen Gäßchen wiedererkannte und durch seine Zudringlichkeit sich beengt fühlte, beobachtete die äußerste Zurückhaltung und verwandte kein Auge vom Spiegel. Sie schien gar nicht zu bemerken, daß einer der schönsten Kavaliere Frankreichs sich vor sie hingepflanzt hatte. Endlich verlor Vallombreuse die Geduld, faßte einen raschen Entschluß und sagte zu der Schauspielerin:

»Nicht wahr, Mademoiselle, Sie spielen in dem Stück ›Lygdamon und Lydias‹ von Herrn von Scudéry die Sylvia?«

»Ja, mein Herr«, antwortete Isabella, die sich dieser ziemlich alltäglichen Frage nicht entziehen konnte.

»Nie wird eine Rolle besser gespielt worden sein«, fuhr der junge Herzog fort; »wenn sie schlecht ist, so werden Sie sie gut, und wenn sie gut ist, so werden Sie sie vortrefflich machen. Glücklich die Dichter, die ihre Verse diesen schönen Lippen anvertrauen!«

Diese Komplimente gingen nicht über die Galanterien hinaus, die höfliche Leute an Schauspielerinnen zu richten pflegen, und Isabella mußte sie hinnehmen, indem sie dem Herzog mit einer schwachen Neigung des Kopfes dankte.

Sigognac trat, nachdem er mit Blasius Hilfe sich in dem für die Schauspieler reservierten Zimmer des Ballspielhauses angekleidet, in das seiner Kunstgenossinnen, um hier den Anfang der Probe abzuwarten. Er war maskiert und hatte schon das große Rapier mit der schweren Handmuschel, das Erbteil des armen Matamor, umgürtet. Um sich in seine Rolle hineinzuleben, ging er mit vorwärts geneigten Hüften und gespalten wie ein Kompaß und mit herausfordernden kecken Gebärden, wie es einem Kapitän Fracasse zukommt.

»Sie sehen ausgezeichnet aus«, sagte Isabella, die er zu begrüßen kam. »Noch nie hat ein spanischer Kapitän eine arrogantere Miene gezeigt.«

Der Herzog von Vallombreuse maß den neuen Ankömmling, zu dem die junge Schauspielerin in so freundlichem Tone sprach, mit dem verächtlichsten Stolz.

»Wahrscheinlich ist das der Wicht, in den man sie verliebt glaubt«, sagte er bei sich selbst höchst ärgerlich, denn er begriff nicht, wie eine Dame zwischen dem jungen brillanten Herzog von Vallombreuse und diesem lächerlichen Kulissenreißer auch nur einen Augenblick zögern konnte. Übrigens tat er, als ob er Sigognacs Gegenwart gar nicht bemerkte. Für ihn war das nicht ein Mensch, sondern ein Ding. Er bewegte sich daher vor dem Baron mit derselben Freiheit, als wenn er allein gewesen wäre, und verschlang Isabella mit seinen verzehrenden Blicken.

Die junge Schauspielerin fühlte sich unter diesem zudringlich starren Blick, der sie heiß berührte wie ein Strahl geschmolzenes Blei, wider Willen erröten und beeilte sich, ihre Toilette zu beenden, um so mehr, als sie sah, wie Sigognacs Hand schon krampfhaft den Griff seines Rapiers faßte. Sie legte sich ein Schönheitspflästerchen an den Mundwinkel und schickte sich an aufzustehen, um sich auf die Bühne zu begeben, denn der Tyrann hatte mit seiner Löwenstimme schon mehrmals gerufen:

»Meine Damen, sind Sie fertig?«

»Erlauben Sie, Mademoiselle,« sagte der Herzog, »Sie vergessen noch eine Assassine aufzukleben.«

Zugleich fuhr er mit dem Finger in die auf der Toilette stehende Dose mit den Schönheitspflästerchen und nahm einen kleinen Stern von schwarzem Taffet heraus.

»Gestatten Sie,« fuhr er fort, »daß ich das Fehlende ergänze – hier ganz nahe am Busen. Seine blendende Weiße wird dadurch nur um so mehr hervorgehoben werden.«

Die Tat begleitete das Wort so schnell, daß Isabella, empört über diese Unverschämtheit, kaum noch Zeit hatte, sich in ihrem Stuhl zurückzuwerfen, um der frechen Berührung auszuweichen. Der Herzog gehörte aber nicht zu denen, die sich so leicht einschüchtern lassen, und sein noch mit dem Schönpflästerchen versehener Finger stand im Begriff, die Brust der jungen Schauspielerin zu berühren, als eine eiserne Faust ihn beim Arm packte und festhielt wie in einem Schraubstock. Der junge Herzog drehte, außer sich vor Wut, den Kopf herum und sah den Kapitän Fracasse in einer Stellung, die durchaus nicht den Bramarbas der Komödie verriet.

»Herr Herzog,« sagte Fracasse, indem er Vallombreuse immer noch beim Handgelenk gepackt hielt, »Mademoiselle legt ihre Schönheitspflästerchen selbst auf. Sie bedarf niemandes Beihilfe.«

Hierauf ließ er den Arm des jungen Herrn los, dessen erste Bewegung war, den Griff seines Degens zu suchen. Vallombreuse zeigte trotz seiner Schönheit in diesem Augenblick ein Gesicht, entsetzlicher und furchtbarer als das der Medusa. Leichenblässe bedeckte seine Züge, und seine schwarzen Brauen senkten sich über seine mit Blut unterlaufenen Augen herab. Er stürzte auf Sigognac, der um keinen Zoll zurückweichend, den Angriff erwartete, los, aber plötzlich hielt er an sich. Ein schneller Gedanke dämpfte wie ein Sturzbad von eiskaltem Wasser seine überwallende wahnsinnige Hitze. Seine Züge wurden wieder gewöhnlich, die natürliche Farbe kehrte zurück, er gewann vollständig wieder Herrschaft über sich selbst, und sein Gesicht verriet bloß die eisige Verachtung, die ein menschliches Wesen gegen das andere an den Tag legen kann. Er bedachte, daß sein Gegner kein Mann von Geburt sei, und daß er nahe daran gewesen, sich mit einem Komödianten einzulassen. Sein ganzer Adelsstolz empörte sich gegen diesen Gedanken. Dennoch aber lag es nicht in seiner Natur, eine Beleidigung, mochte sie kommen, woher sie wollte, ungestraft zu lassen, und indem er sich Sigognac wieder näherte, sagte er zu ihm:

»Warte, Schurke, ich werde dir von meinen Lakaien die Knochen zerschlagen lassen.«

»Nehmen Sie sich in acht, Monseigneur!« antwortete Sigognac im ruhigsten Tone und mit der ungezwungensten Miene von der Welt. »Nehmen Sie sich in acht! Ich habe harte Knochen, und die Stöcke werden daran zerbrechen wie Glas. Schläge laß ich mir nur auf der Bühne gefallen!«

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Du magst so unverschämt sein, als du willst, Lümmel, so werde ich dir nicht die Ehre antun, dich selbst zu züchtigen. Dieser Ehrgeiz geht über dein Verdienst«, sagte Vallombreuse.

»Das wollen wir sehen, Herr Herzog«, entgegnete Sigognac. »Vielleicht besitze ich für meine Person weniger Stolz und lasse mich herab, Sie mit meinen eigenen Händen durchzuprügeln.«

»Einer Maske antworte ich nicht«, sagte der Herzog und nahm den Arm Vidalines, der nähergetreten war.

»Am geeigneten Ort und zur geeigneten Zeit werde ich Ihnen mein Gesicht zeigen, Herzog,« hob Sigognac wieder an, »und ich glaube, es wird Ihnen noch unangenehmer sein als meine falsche Nase. Doch lassen wir diese Angelegenheit vorläufig ruhen. Ich höre die Klingel und würde, wenn ich länger hier stehen bleiben wollte, Gefahr laufen, mein Stichwort zu verlieren.«

Die Schauspieler bewunderten den Mut ihres Kollegen; da sie aber den eigentlichen Stand und Namen des Barons kannten, so wunderten sie sich darüber nicht wie die übrigen Zuschauer dieser Szene, die ob einer solchen Kühnheit sprachlos waren. Isabellas Gemütsbewegung war so lebhaft gewesen, daß ihr die Schminke heruntergefallen war und Zerbine, die ihre tödliche Blässe sah, genötigt war, ihr wieder ein wenig Rot auf die Wangen zu streichen. Kaum vermochte sie sich auf den Füßen zu halten. Die Ursache eines Zwistes zu sein, war der guten, sanften und bescheidenen Isabella außerordentlich unangenehm, denn sie fürchtete nichts mehr, als Lärm und Aufsehen, wobei der gute Ruf eines Weibes stets leidet. Andererseits liebte sie, obschon fest entschlossen, nicht schwach gegen ihn zu sein, Sigognac zärtlich, und der Gedanke, daß er Gefahr laufe, ermordet oder wenigstens in einen Zweikampf verwickelt zu werden, beunruhigte sie im höchsten Grade.

Trotz dieses Zwischenfalles ging die Probe ihren Gang, denn wirkliche Erregungen des Lebens können die Schauspieler nicht von ihren erkünstelten Leidenschaften ablenken. Isabella spielte sogar sehr gut, obschon ihr Herz voll Sorge war. Fracasse spielte, durch den Zwist erregt, geradezu ausgezeichnet. Zerbine übertraf sich selbst. Jedes ihrer Worte hatte lautes Gelächter und lang anhaltendes Händeklatschen zur Folge. Von der Ecke des Orchesters ging allemal eher als anderswo ein Applaudieren aus, das auch erst zuletzt aufhörte und dessen Hartnäckigkeit endlich Zerbinens Aufmerksamkeit erregte. Sie näherte sich, sobald es ihre Rolle gestattete, den Lichtern, streckte mit der Bewegung eines neugierigen Vogels den Hals aus, sah sich unter den Zuschauern um und entdeckte den Marquis von Bruyères, der vor Freude förmlich glühte und dessen Augen vor Begierde zu knistern und zu sprühen schienen. Er hatte die Lisette, die Marton, die Smeraldine seiner Träume wiedergefunden. Er schwebte vor Wonne im siebenten Himmel.

»Der Herr Marquis ist da«, sagte Zerbine leise zu Blasius, der den Pandolfo spielte, in der Pause zwischen einer Antwort auf eine Frage mit gedämpfter Stimme. »Sieh nur, wie er jubelt, wie er strahlt! Er weiß sich kaum zu fassen, und hielte ihn nicht die Scham zurück, so würde er über die Rampe springen und mich vor aller Welt umarmen. Ah, Herr von Bruyères, die Soubretten gefallen Ihnen! Wohlan, man wird sie Ihnen mit Salz, Zimt und Muskatnuß anrichten.«

Von dieser Stelle des Stückes an spielte Zerbine mit förmlich hinreißendem Feuer. Der Marquis fühlte, daß er künftig diesen Genuß nicht mehr werde entbehren können. Alle andern Frauen, deren Gunst er genossen und die er in der Erinnerung mit Zerbine verglich, erschienen ihm jetzt langweilig und fad.

Das Stück des Herrn von Scudéry, das man dann probierte, fand ebenfalls Beifall, obschon es weniger amüsant war, und Leander, der den Lygdamon gab, spielte ganz allerliebst.

Außer sich vor Wut über den Auftritt, bei dem er nicht am besten weggekommen, war der junge Herzog mit seinem Vertrauten, über tausend Rachepläne brütend, in das Palais Vallombreuse zurückgekehrt. Die gelindesten dieser Pläne bezweckten nichts Geringeres, als den verwegenen Kapitän so durchprügeln zu lassen, bis er tot liegen bliebe.

Vergebens suchte Vidaline den Herzog zu beruhigen. Dieser rang vor Wut die Hände und rannte im Zimmer herum wie ein Besessener, indem er Faustschläge gegen die Sessel führte, so daß sie umstürzten und alle viere gegen den Himmel reckten, die Tische umwarf, um seine Wut auszutoben. Zuletzt ergriff er eine japanische Vase und schleuderte sie auf den Fußboden, so daß sie in tausend Stücke zerbrach.

»Ha!« rief er, »ich wollte, ich könnte diesen Schurken zerschmettern wie diese Vase und ihn mit Füßen treten. So ein elender Wicht unterfängt sich, zwischen mich und den Gegenstand meiner Wünsche zu treten! Wenn er Edelmann wäre, dann würde ich ihn mit Degen und Dolch, mit Pistolen bekämpfen, bis ich meinen Fuß ihm auf die Brust gesetzt und seinem Leichnam ins Gesicht gespien hätte.«

»Vielleicht ist er es«, sagte Vidaline. »Aus seiner Dreistigkeit schließe ich es beinahe. Meister Bilot sprach von einem Schauspieler, der sich dieser Gesellschaft aus Liebe zu Isabella angeschlossen und der von dieser auch wirklich mit günstigen Augen betrachtet werde. Nach seiner Eifersucht und der Unruhe der jungen Dame zu urteilen, muß es dieser sein.«

»Wie!« rief Vallombreuse, »du glaubst, ein Mann von Stand und Geburt könne sich unter diese Komödianten mischen, die Bretter betreten, sich das Gesicht mit roter Farbe beschmieren und sich Nasenstüber und Fußtritte in den Hintern geben lassen? Nein, das ist geradezu unmöglich.«

»Jupiter verwandelte sich in ein Tier und sogar in einen Ehemann, um sterbliche Frauen zu genießen«, antwortete Vidaline. »Jedenfalls war dies für die Majestät eines olympischen Gottes eine weit stärkere Zumutung, als wenn ein Edelmann sich herbeiläßt, Komödie zu spielen.«

»Gleichviel«, sagte der Herzog, indem er die Klingel zog. »Vor allen Dingen will ich den Komödianten strafen und behalte mir vor, später den Menschen zu züchtigen, wenn wirklich einer hinter dieser lächerlichen Maske steckt.«

»Wenn einer dahintersteckt, sagen Sie?« hob der Freund des Herzogs wieder an. »O zweifeln Sie daran ja nicht! Seine Augen funkelten unter seinen künstlichen Brauen wie die eines Löwen, und trotz seiner mit Zinnober bemalten Pappnase hatte er ein furchtbares und majestätisches Ansehen, was in einem solchen Aufzuge nicht leicht ist.«

»Um so besser«, sagte Vallombreuse. »Dann wird meine Rache nicht Degenstöße ins Wasser führen, sondern eine Brust zum Ziele haben.«

Ein Diener trat ein, verneigte sich tief und erwartete mit vollständiger Unbeweglichkeit die Befehle seines Gebieters.

»Wenn Basque, Azolan, Merindol und Labriche schon zu Bett sind, so wecke sie und sage ihnen, daß sie sich mit tüchtigen Knüppeln bewaffnen und am Ausgange des Ballspielhauses, wo die Komödianten spielen, einen gewissen Kapitän Fracasse erwarten sollen, um dann über ihn herzufallen, ihn tüchtig durchzubleuen und auf dem Platze liegen zu lassen, ohne ihn jedoch zu töten. Die Folgen nehme ich auf mich. Während man ihn durchprügelt, soll man ihm zurufen: ›Da hast du etwas von dem Herzog von Vallombreuse!‹ damit er weiß, wo es herkommt.«

Dieser bösartige und verächtliche Auftrag schien den Lakaien nicht sonderlich zu überraschen, denn er entfernte sich, nachdem er dem Herzog versichert, daß seine Befehle sofort ausgeführt werden sollten.

»Es verletzt mich,« sagte Vidaline, »daß Sie diesen Schauspieler auf diese Weise behandeln lassen. Er hat doch jedenfalls einen Mut gezeigt, den man nicht bei ihm voraussetzen konnte. Wünschen Sie, daß ich unter irgendeinem Vorwand Streit mit ihm suche und ihn niedersteche? Jedes Blut ist rot, wenn man es vergießt, obschon man sagt, das der Edelleute sei blau. Ich bin von guter, alter Abkunft, aber nicht von so hohem Range, wie der Ihrige ist, und mein Zartgefühl scheut sich nicht, mich mit ihm einzulassen. Sprechen Sie nur ein Wort, und ich gehe. Dieser Kapitän scheint mir des Degens würdiger zu sein als des Stockes.«

»Ich danke dir«, antwortete der Herzog. »Dein Anerbieten beweist mir die vollkommene Treue, mit der du mein Interesse wahrst. Aber ich kann es nicht annehmen. Dieser Schurke hat gewagt, mich anzurühren. Es geziemt sich, daß er dieses Verbrechen auf schimpfliche Weise büße. Wenn er Edelmann ist, so soll er seinen Mann finden. Ich antworte stets, wenn man mich mit dem Degen befragt.«

»Ganz wie Ihnen beliebt, Herr Herzog«, sagte Vidaline, indem er die Füße ausstreckte wie ein Mensch, dem nichts weiter übrigbleibt, als die Dinge ihren Gang gehen zu lassen. »Apropos, wissen Sie, daß diese Serafina ganz allerliebst ist? Ich habe ihr einige Schmeicheleien gesagt, und schon hat sie mir eine Zusammenkunft bewilligt. Meister Bilot hatte recht.«

Der Herzog und sein Freund versanken hierauf in Schweigen und erwarteten die Rückkehr der Lakaien.

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