Theophil Gautier
Kapitän Fracasse. Erster Band
Theophil Gautier

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Der Thespiskarren

Sigognac ging die Treppe hinunter, indem er seine Lampe mit der Hand gegen den Luftzug schirmte, der sie auszulöschen drohte. Unten angelangt, riegelte er die Tür auf, öffnete ihren beweglichen Flügel und sah sich einer Persönlichkeit gegenüber, der er seine Lampe unmittelbar unter die Nase hielt.

Durch diesen Schein beleuchtet, wurde eine ziemlich groteske Erscheinung sichtbar, und ein kahler Schädel von einer Farbe wie ranzige Butter glänzte unter dem Licht und dem Regen. Graues, an den Schläfen anklebendes Haar, eine rote dicke Nase zwischen zwei kleinen Augen mit sehr dichten seltsam schwarzen Brauen, aufgedunsene, mit roten Pusteln bedeckte Wangen, ein Mund, der einem Säufer oder einem Satyr anzugehören schien, ein warziges Kinn mit vereinzelten borstigen Härchen. Eine gewisse Gutmütigkeit milderte den abstoßenden Eindruck, den diese Züge auf den ersten Blick machten. Die zusammengekniffenen Augen und die bis an die Ohren gezogenen Mundwinkel verrieten übrigens die Absicht eines freundlichen Lächelns. Dieser eine Halskrause von zweifelhafter Sauberkeit überragende Kopf krönte einen Körper, der in einem schwarzen Kittel stak und sich mit übertriebener Höflichkeit tief verneigte.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Nach dieser Begrüßung nahm die burleske Persönlichkeit, der Frage, die der Baron im Begriff stand auszusprechen, zuvorkommend, in pathetisch deklamatorischem Tone das Wort und sagte:

»Entschuldigt, edler Schloßherr, wenn ich selbst an die Pforte Eurer Festung poche, ohne einen das Horn blasenden Pagen oder Zwerg voranzuschicken, und obendrein zu so vorgerückter Stunde. Not kennt aber einmal kein Gebot und zwingt selbst Weltleute von feinster Bildung zu Verstößen gegen die gute Lebensart.«

»Was wollt Ihr?« unterbrach ihn ziemlich kurz der Baron, durch den Wortschwall des alten Kauzes gelangweilt.

»Gastfreundschaft für mich und meine Gefährten, Prinzen und Prinzessinnen, Leanders und Isabellen, Doktoren und Kapitäne, die mit dem Thespiskarren von Stadt zu Stadt ziehen; dieser Karren, nach antiker Weise von Stieren gezogen, ist gegenwärtig nur wenige Schritte von Eurem Schlosse entfernt im Kote stecken geblieben.«

»Wenn ich das, was Ihr sagt, recht verstehe, so seid ihr herumziehende Schauspieler und habt euch vom rechten Wege verirrt?«

»In der Tat, meine Worte könnten nicht besser erläutert werden,« antwortete der Schauspieler, »darf ich hoffen, daß Ihr meine Bitte bewilligt, gnädiger Herr?«

»Obschon meine Wohnung in ziemlich schlechtem Zustande ist und ich euch nicht viel anbieten kann, so werdet ihr euch darin doch immer etwas weniger schlecht befinden, als unter freiem Himmel in diesem Regenwetter.«

Der Pedant, denn dies schien die Rolle zu sein, die er unter der Truppe spielte, verneigte sich zum Zeichen der Zustimmung.

Während dieses Zwiegespräches hatte Pierre, durch das Bellen des Hundes aus dem Schlafe geweckt, sich ebenfalls von seinem Lager erhoben und zu seinem Herrn in die Vorhalle verfügt. Sobald er gehört, um was es sich handelte, zündete er eine Laterne an, und alle drei lenkten ihre Schritte nach dem Wagen, der in dem vom Regen aufgeweichten Boden stecken geblieben war.

»Leander« und »Matamor« schoben an dem Rad, und der »König« stachelte die Stiere mit seinem tragischen Dolch. Die in ihre Mäntel gehüllten Frauen klagten, ächzten und winselten. Die unerwartete Verstärkung und ganz besonders Pierres Erfahrung brachten den schweren Wagen sehr bald über die schlimme Stelle hinweg. Er ward dann auf ein festeres Terrain gelenkt, erreichte das Schloß und fuhr durch das Kreuzgewölbe in den Hof hinein. Die abgespannten Zugtiere erhielten ihren Platz in dem Stalle neben dem weißen Gaul angewiesen; die Schauspieler sprangen von dem Wagen herunter, schüttelten ihre zerknitterten Kleider und gingen, von Sigognac geführt, in das Speisezimmer, als dem bewohnbarsten Raume des Hauses, hinauf.

Pierre fand im Hintergrund des Holzstalles ein Reisbündel und einige Arme voll Gestrüpp, die er in den Kamin warf, wo sie bald lustig emporloderten. Obschon man erst in den ersten Tagen des Herbstes stand, so war doch ein wenig Feuer notwendig, um die nassen Kleider der Damen zu trocknen. Übrigens war die Nacht auch frisch und die Luft pfiff durch die Ritzen des Wandgetäfels dieses unbewohnten Zimmers. Die Schauspieler betrachteten, obschon sie infolge ihrer herumziehenden Lebensweise an die verschiedensten Nachtlager gewöhnt waren, mit Verwunderung dieses seltsame Haus, das die Menschen schon seit langer Zeit den Geistern überlassen zu haben schienen und das unwillkürlich Gedanken an tragische, unheimliche Geschichten wachrief. Dennoch aber verrieten sie als Leute von guter Erziehung weder Furcht noch Überraschung.

»Ich kann Ihnen nur das Gedeck liefern«, sagte der junge Baron. »Meine Speisekammer enthält nicht einmal soviel, als zum Abendessen für eine Maus hinreichen würde. Ich lebe ganz allein in diesem Schlosse, empfange niemals Besuch, und Sie sehen, ohne daß ich es Ihnen sage, daß der Reichtum in diesen Räumen nicht wohnt.«

»Oh, das hat durchaus nichts zu sagen«, entgegnete der Pedant. »Wenn man uns auch auf dem Theater Hühner von Pappe und Flaschen von gedrehtem Holz vorsetzt, so versehen wir uns doch für das gewöhnliche Leben mit anderen, wirklichen Nahrungsstoff enthaltenden Dingen. Jene hohlen Fleischspeisen und eingebildeten Getränke würden unserm Magen sehr schlecht zusagen, und in meiner Eigenschaft als Proviantmeister der Truppe habe ich immer einen Bayonner Schinken, eine Wildbretpastete, ein tüchtiges Stück Kalbsbraten und ein Dutzend Flaschen Wein von Cahors und Bordeaux in Reserve.«

»Gut gesprochen, Pedant!« rief der Leander. »Geh und hole die Lebensmittel, und wenn der gnädige Herr es erlaubt und sich herablassen will, mit uns zu soupieren, so können wir den Schmaus gleich hier anrichten. Auf jenen Schenktischen steht Geschirr genug, und die Damen werden die Tafel servieren.«

Auf die zustimmende Gebärde, die der über dieses Abenteuer ganz betroffene Baron machte, erhoben sich die Isabella und die Donna Serafina, die beide am Kamin saßen, und stellten die Teller auf den vorher von Pierre abgewischten und mit einem alten abgenutzten, aber weißen Tuche bedeckten Tisch.

Es dauerte nicht lange, so erschien der Pedant wieder mit einem Korbe in jeder Hand und setzte triumphierend eine Pastetenfestung mit blonden vergoldeten Mauern, die eine Garnison von Feigendrosseln und Rebhühnern in ihren Flanken bargen, in die Mitte des Tisches. Dieses gastronomische Fort umgab er mit sechs Flaschen als Außenwerke, die genommen werden mußten, ehe die eigentliche Festung erstürmt werden konnte. Eine geräucherte Rindszunge und ein großes Stück Schinken vervollständigten die Symmetrie.

Der Matamor, der den Schein der Lampe nicht hell genug fand, holte aus dem Wagen zwei Theaterleuchter von Holz, mit Goldpapier umwickelt und jeder mit mehreren Kerzen versehen – ein Zuwachs, der eine ganz prachtvolle Illumination zur Folge hatte. Diese Leuchter, deren Form an den siebenarmigen Leuchter der Heiligen Schrift erinnerte, standen gewöhnlich im letzten Akt auf dem Altar, an dem die Liebenden vereinigt wurden, oder in »Marianne« von Meret und in »Herodias« von Tristan auf der Bankettafel. Das vorher so tote, unheimliche Zimmer hatte nun auf einmal einen gewissen Grad von Leben gewonnen. Ein matter roter Schimmer färbte die bleichen Wangen der alten Bildnisse, eine lauere, angenehmere Luft kreiste durch den weiten Saal, der beklagenswerte Zustand der Möbel und der Tapeten war weniger sichtbar, und das bleiche Gespenst der Armut schien das Schloß auf einige Augenblicke verlassen zu haben.

Sigognac, dem diese Überraschung anfangs unangenehm gewesen, überließ sich einem Gefühl ihm bisher unbekannten Wohlbehagens. Die Isabella, Donna Serafina und selbst die Soubrette erregten seine Phantasie auf wohltuende Weise und erschienen ihm mehr wie auf die Erde herabgestiegene Gottheiten denn wie einfache Sterbliche.

Es waren in der Tat sehr hübsche Frauen, die selbst von Männern, die auf diesem Gebiet weniger Neulinge waren als unser junger Baron, mit günstigen Augen betrachtet worden wären. Alles kam ihm vor wie ein Traum, und er fürchtete, jeden Augenblick daraus zu erwachen.

Als der Tisch serviert war, reichte der Baron Donna Serafina die Hand und ließ sie zu seiner Rechten Platz nehmen. Isabella setzte sich links, die Soubrette gegenüber, die Duenna neben den Pedanten, Leander und der Matamor, wo sie Lust hatten.

Nun konnte der junge Herr des Schlosses mit Muße die hellbeleuchteten Physiognomien seiner Gäste studieren. Sein prüfender Blick richtete sich zunächst auf die Damen.

Die Serafina war eine junge Dame von vier- bis fünfundzwanzig Jahren, der die Gewohnheit, die ersten Liebhaberinnen zu spielen, das Air und die Haltung einer Hofdame verliehen hatte. Ihr etwas länglich ovales Gesicht, ihre leicht gebogene Nase, ihre großen grauen Augen, ihr roter Mund bildeten eine angenehme und noble Physiognomie, die durch zwei Kaskaden kastanienbraunen Haares geschmückt wurde. Sie fielen wellenförmig an den Wangen herab, auf denen Belebung und Wärme eine anmutige Rosenfarbe hervorgerufen hatten.

Ein umgeschlagener, mit einem schmalen Spitzenrand versehener und durch eine schwarze Schleife festgehaltener Kragen fiel über den Halsausschnitt eines grünen Samtkleides mit geschlitzten Ärmeln, aus denen weiße Unterärmel hervorquollen. Eine über die Schulter geworfene Schärpe gab diesem ganzen Kostüm ein entschiedenes und ritterliches Gepräge.

Allerdings war alles dies nicht mehr von erster Frische. Die kleinen Schattenseiten hielten aber Donna Serafina nicht ab, die Haltung einer Königin ohne Königreich zu besitzen. Wenn auch ihr Kleid verschossen war, so war ihr Gesicht doch frisch, und übrigens schien dieses Kostüm dem jungen Baron von Sigognac, der an dergleichen Pracht nicht gewöhnt war und bis jetzt nur Bäuerinnen in wollenen Röcken und Pelzhauben gesehen hatte, das Blendendste von der Welt zu sein.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Übrigens war er auch mit den Augen der Schönen viel zu sehr beschäftigt, als daß er auf die kleinen Mängel ihres Kostüms geachtet hätte.

Die Isabella war jünger als die Donna Serafina, wie dies ihr naives Rollenfach auch verlangte. Auch trieb sie das Chevalereske in der äußern Erscheinung nicht so weit, sondern beschränkte sich auf eine elegante bürgerliche Einfachheit. Sie hatte ein kleines niedliches, fast noch kindliches Gesicht, schönes, seidenweiches, kastanienbraunes Haar, ein ausdrucksvolles, von langen Wimpern verschleiertes Auge, einen kleinen herzförmigen Mund und ein bescheiden jungfräuliches Wesen, das mehr natürlich als erkünstelt war. Ein mit schwarzem Samt ausgeputztes Leibchen von grauem Taft reichte, in eine Spitze auslaufend, auf einen Rock von derselben Farbe herab. Eine leicht gestärkte Halskrause richtete sich hinter dem hübschen Nacken empor, auf dem sich leichte Löckchen ringelten, und eine Schnur falscher Perlen umgab den Hals. Obschon die Isabella auf den ersten Anblick das Auge weniger anzog als die Serafina, so fesselte sie es doch länger. Wenn sie auch nicht blendete, so berührte sie doch angenehm, und dies hat auch seine Vorzüge.

Die Soubrette verdiente vollkommen das Prädikat »Morena«, das die Spanier den Brünetten geben. Ihre Haut spielte in allen goldgelben Farbentönen wie die einer Zigeunerin. Ihr kurzgekräuseltes Haar war schwarz wie die Hölle, und aus ihren gelbbraunen Augensternen leuchtete teuflische Schalkhaftigkeit. Ihr großer, lebhaft roter Mund ließ von Zeit zu Zeit ein Gebiß hindurchblitzen, das einem jungen Wolf Ehre gemacht hätte. Übrigens war sie mager und von Feuer und Geist gleichsam verzehrt, dabei aber war ihre Magerkeit jene jugendlich energische, die durchaus keinen unangenehmen Eindruck machte. Sie gehörte zur Zahl jener Frauen, die ihre Genossinnen häßlich finden, die aber für die Männer unwiderstehlich sind, und die sich durch ihr Feuer nicht abhalten lassen, kaltblütig zu sein, wie Wucherer, sobald es sich um ihr Interesse handelt. Ihre Toilette bestand aus einem phantastischen Kostüm in Blau und Gelb, mit falschen Spitzen herausgeputzt.

Madame Leonarda, die edle »Mutter« der Truppe, war ganz schwarz gekleidet wie eine spanische Duenna. Ein Haarnetz umrahmte ihr dickes, blasses und durch vierzigjähriges Schminken gleichsam abgenutztes Gesicht. Einige Barthärchen begannen die Mundwinkel zu beschatten, obschon sie unablässig bedacht war, diese unangenehmen Eindringlinge mit einer feinen Zange hinwegzutilgen. Der weibliche Charakter war fast gänzlich aus diesem Gesicht verschwunden, in dessen Falten man allerlei Geschichten hätte finden können, wenn man sich die Mühe genommen hätte, sie zu suchen. Schauspielerin von ihrer Kindheit an, hatte Dame Leonarda viele Erfahrungen in einem Berufe gesammelt, dessen verschiedene Fächer sie nach der Reihe alle ausgefüllt bis zu dem der Duenna, der komischen Alten. Leonarda besaß Talent, und so alt sie auch war, so wußte sie noch immer Beifall zu erringen, selbst neben ihren jungen schönen Berufsgenossinnen, die zuweilen nicht wenig überrascht waren, diese Zauberin mit Bravorufen überschüttet zu sehen.

Das männliche Personal bestand aus dem schon beschriebenen Pedanten, auf den wir nicht weiter zurückzukommen brauchen, aus dem Leander, dem Scapin, dem tragischen Tyrannen und dem Matamor.

Der Leander oder Liebhaber, der berufsmäßig die Aufgabe hatte, die grausamsten Tigerinnen zahm zu machen wie Lämmer, die Truffaldinos zu hintergehen und zuletzt allemal stolz und siegreich dazustehen, war ein junger Mann von dreißig Jahren, den die außerordentliche Sorgfalt, die er auf seine Person verwendete, noch weit jünger erscheinen ließ, als er wirklich war.

Leander rieb sich jeden Abend das Gesicht mit Talksteinpulver ein, und seine Augenbrauen sahen aus wie eine immer dünner werdende, mit chinesischer Tusche gezogene Linie. Seine äußerst sauber gehaltenen Zähne glänzten wie orientalische Perlen in ihrem roten Zahnfleische, das er fortwährend sehen ließ. Seine Kameraden behaupteten, daß er selbst außer dem Theater ein wenig Rot auflegte, um seinem Auge erhöhten Glanz zu verleihen. Schwarzes, sorgfältig gepflegtes Haar ringelte sich an seinen Wangen in Spiralen herab, die durch den Regen ein wenig lang geworden waren, was ihm Gelegenheit gab, sie wieder mit dem Finger aufzuwickeln und dabei zugleich eine sehr weiße Hand sehen zu lassen, an der ein Solitär funkelte, der viel zu groß war, um echt zu sein. Sein umgeschlagener Halskragen ließ den runden weißen Hals sehen, an dem ebenso wie am Kinn keine Spur des sorgfältig rasierten Bartes zu sehen war. Seine Beinkleider waren mit einer Menge Bänder besetzt, deren Erhaltung ihn sehr zu beschäftigen schien. Wenn er die Wand ansah, so tat er, als müßte er vor Liebe sterben, und er verlangte nie zu trinken, ohne eine schmachtende Gebärde dazu zu machen. Die Interpunktion seiner Phrasen bestand in Seufzern, und er warf, selbst wenn er von den gleichgültigsten Dingen sprach, mit Blicken und Mienen um sich, daß man hätte vor Lachen bersten mögen; die Frauen aber fanden dies reizend.

Der Scapin oder Intrigant hatte einen spitzigen Fuchskopf, seine Augenbrauen bildeten einen Zirkumflex, sein Auge war in immerwährender Bewegung, und der gelbe Stern darin zitterte wie ein Goldstück auf Quecksilber. Boshafte Krähenfüße zeichneten sich an beiden Augenwinkeln, die schmalen beweglichen Lippen zuckten fortwährend und ließen durch ein zweideutiges Lächeln hindurch grimmige spitze Zähne zum Vorschein kommen. Wenn er sein rot- und weißgestreiftes Barett abnahm, so zeichnete das kurzgeschnittene Haar die Umrisse eines höckerigen Kopfes. Dieses Haar war rotgelb und filzig wie das des Wolfes und vervollständigte den in der ganzen Physiognomie ausgesprochenen Charakter. Seine bald hohe, bald tiefe Stimme wechselte so schnell und seltsam, daß man darüber lachen mußte, ohne es zu wollen. Seine unerwarteten und wie durch eine verborgene Feder verursachten Bewegungen hatten etwas Unlogisches und Beunruhigendes und schienen mehr dazu zu dienen, den andern nicht zum Wort kommen zu lassen, als einen Gedanken oder ein Gefühl auszudrücken.

Er trug einen grauen Überwurf über seinem darunter hervorlugenden Theaterkostüm, weil er entweder nach seiner letzten Vorstellung nicht Zeit gehabt hatte, sich umzukleiden, oder weil seine dürftige Garderobe ihm keinen andern Wechsel gestattete.

Der Tyrann war ein großer guter Kerl, den die Natur ohne Zweifel, um sich einen Scherz zu machen, mit allen äußeren Zeichen der Wildheit begabt hatte. Nie hatte eine gutmütigere Seele in einer abstoßenderen Hülle gewohnt: dicke, zwei Finger breite, kohlschwarze, über der Nasenwurzel zusammenstoßende Augenbrauen, krauses Haar, ein dichter, bis an die Augen heraufreichender Bart, den er niemals stutzte, damit er sich keinen künstlichen anzukleben brauchte, wenn er den Herodes oder Polyphontes spielte, und dunkelbraune Gesichtsfarbe. Eine Donnerstimme, bei der die Fensterscheiben klirrten und die Gläser auf dem Tische erzitterten, trug nicht wenig bei, den Schrecken zu nähren, den diese Gestalt in ihrem Kostüm von abgetragenem schwarzem Samt einflößte. Übrigens war sein Leibesumfang ein ganz ansehnlicher und wohl imstande, einen Thron auszufüllen.

Der Matamor oder Held war mager, schwarz und trocken wie ein Gehängter im Sommer. Seine Haut glich einem auf Knochen geleimten Pergament. Eine große, wie ein Raubvogelschnabel gekrümmte Nase, deren schmales Bein glänzte wie Horn, stand wie eine Scheidewand zwischen den beiden Seiten des schmalen, durch einen Spitzbart noch verlängerten Gesichts. Diese beiden aneinander geklebten Profile vermochten nur mit Mühe ein Gesicht zu bilden, und die Augen mußten sich, um Platz zu finden, wie die der Chinesen, schief nach den Schläfen zu festklammern. Die halbrasierten Augenbrauen bildeten über den unruhigen Augensternen ein schwarzes Komma, und der übermäßig lange Schnurrbart stand mit seinen beiden gewichsten Spitzen gegen Himmel. Die vom Kopfe weit abstehenden Ohren sahen aus wie die beiden Henkel eines Topfes. Diese ganze, mehr den Charakter der Karikatur als der Natur tragende Erscheinung glich jenen wunderlichen Schattenbildern, die sich abends um die Laternen der Pastetenbäcker drehen. Die Eisenfressermanieren des Mannes waren durch die Länge der Zeit seine gewöhnliche und alltägliche Physiognomie, und auch außerhalb des Theaters ging er stets gespreizt wie ein Zirkel, den Kopf zurückgeworfen, die Faust auf der Hüfte und die Hand am Degengriff. Ein gelbes, küraßartig ausgebauchtes, grünverziertes Wams, ein mit Draht und Pappe steifgemachter spanischer Halskragen, mit Gold- und Silberarabesken verzierte Beinkleider, Stiefel von weißem russischem Leder, in dem die langen hagern Beine klapperten wie Flöten in ihrem Futteral, ein übermäßig langes Rapier, das er niemals ablegte und dessen eiserner durchbrochener Griff viele Pfund wog, bildeten das Kostüm des Matamors und waren von einem Überwurf bedeckt, dessen unterer Saum von der Spitze des Degens emporgehoben ward. Um nichts zu vergessen, erwähnen wir noch, daß zwei gabelförmig aufgesteckte Hahnenfedern den langen grauen, einem Filtriersack gleichenden Hut in grotesker Weise schmückten.

Der Anfang des Mahles war schweigsam. Der Hunger ist ebenso stumm wie die Leidenschaft. Aber sobald die erste Wut beschwichtigt war, kamen die Zungen allmählich in Gang. Der junge Baron, der sich vielleicht von dem Tage an, wo er der Mutterbrust entwöhnt worden, noch nie wieder ordentlich satt gegessen hatte, aß oder fraß vielmehr, obschon er nichts inniger wünschte, als der Serafina und der Isabella gegenüber den Schmachtenden zu spielen, mit einem Heißhunger, der nicht ahnen ließ, daß er schon einmal soupiert hatte. Der Pedant, dem dieser jugendliche Appetit Spaß machte, türmte auf dem Teller des Herrn von Sigognac Rebhuhnflügel und Schinkenschnitten, die so schnell verschwanden wie Schneeflocken auf einer glühenden Schaufel.

Beelzebub, der Kater, kam auf dem Bauche herangekrochen wie ein Panther, der eine Gazelle belauert, und ohne daß jemand auf ihn achtete. An dem Stuhl des Barons angelangt, richtete er sich auf und spielte, um die Aufmerksamkeit desselben zu erregen, ihm mit seinen zehn Krallen eine Gitarrenmelodie auf dem Knie. Sigognac ließ den bescheidenen Freund, der in seinem Dienst so oft gehungert, sein Glück teilen, indem er ihm einige Knochen unter den Tisch gab. Miraut, der Hund, der verstanden hatte, sich hinter Pierre ebenfalls mit hereinzuschleichen, empfing auch seinen Anteil.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Das Leben schien in diese bis jetzt so tote Wohnung zurückgekehrt zu sein. Es gab Wärme, Licht und Geräusch. Die Damen begannen, nachdem sie einige Schlucke Wein getrunken, zu schwatzen wie Papageien auf ihren Stäben, und sagten sich über ihre wechselseitigen Erfolge allerhand Schmeicheleien. Der Pedant und der Tyrann stritten sich über die Überlegenheit der komischen und der tragischen Dichtkunst. Der eine behauptete, es sei schwerer, vernünftige Leute zum Lachen zu bringen, als ihnen durch Ammenmärchen, die kein anderes Verdienst hätten als das Alter, Schrecken einzujagen. Der andere meinte, daß die Possen, die die Lustspieldichter in ihren Werken anbrächten, ihren Wert stark herabminderten. Der Leander hatte einen kleinen Spiegel aus der Tasche gezogen und betrachtete sich in demselben so selbstgefällig, wie der selige Narzissus in seiner Quelle. Der sonstigen Gewohnheit eines Leanders zuwider, war er nicht in die Isabella verliebt, sondern trachtete weit höher. Er hoffte durch seine Anmut und edelmännischen Manieren irgendeiner entzündbaren reichen Witwe in die Augen zu stechen, die ihn dann am Ausgange des Theaters mit ihrer vierspännigen Karosse abholen und nach einem Schlosse bringen ließe, wo sie ihn im elegantesten Negligé und an einer mit den feinsten Delikatessen besetzten Tafel erwartete. War diese Vision schon einmal in Erfüllung gegangen? Leander versicherte es, Scapin verneinte es, und dies war zwischen beiden ein Stoff zu nimmer endenden Zwisten. Boshaft wie ein Affe, behauptete letzterer, der arme Leander möge Blicke in die Logen schleudern und sich auf der Bühne gebärden, wie er wolle, so sei es ihm doch noch nie gelungen, auch nur in der geringsten Baronin, selbst wenn sie alt und häßlich wäre, das mindeste Gelüst nach der Nähe seiner Person zu erwecken.

Scapin brachte, als er Leander sich im Spiegel betrachten sah, dieses Thema in geschickter Weise aufs Tapet, und Leander, wütend darüber, erbot sich, aus seinem Gepäck ein ganzes Kästchen voll parfümierter Liebesbriefe hervorzusuchen, die eine Menge vornehmer Damen, Gräfinnen, Marquisen und Baronessen an ihn geschrieben hätten.

Serafina sagte, wenn sie eine dieser Damen wäre, so würde sie Leander wegen seiner Plauderhaftigkeit und Prahlerei durch ihre Leute durchprügeln lassen, und Isabella schwur schalkhaft, wenn er nicht bescheidener wäre, so werde sie ihn künftig im letzten Akt nicht mehr heiraten.

Der junge Baron bewunderte, obschon er vor Schüchternheit nur einige unzusammenhängende Redensarten hervorstottern konnte, die Isabella in hohem Grade, und seine Augen sprachen anstatt seines Mundes. Die junge Dame bemerkte recht wohl den Eindruck, den sie auf ihn machte, und antwortete ihm durch einige zärtliche Blicke, zum großen Mißfallen des Eisenfressers, der diese Schönheit im stillen liebte, obschon, im Hinblick auf sein groteskes Rollenfach, ohne Hoffnung. Ein anderer gewandterer und keckerer Mann als Sigognac würde seinen Vorteil verfolgt haben. Unser armer Baron aber hatte in seinem verfallenen Schlosse keine Hofmanieren gelernt, und obschon es ihm weder an Bildung noch an Witz mangelte, so erschien er doch in diesem Augenblick ziemlich albern.

Die sechs Flaschen waren andächtig geleert, und der Pedant machte mit der letzten die Nagelprobe. Der Matamor verstand diese Geste. Er ging zum Wagen und holte weitere Flaschen. Der Baron konnte, obschon er bereits leicht berauscht war, nicht umhin, auf die Gesundheit der Prinzessinnen noch ein volles Glas zu leeren, das ihm vollends den Rest gab.

Der Pedant und der Tyrann tranken wie alte, erfahrene Säufer, die, wenn auch niemals völlig nüchtern, doch auch niemals völlig betrunken sind. Der Matamor war enthaltsam wie ein Spanier und hätte leben können wie jene Hidalgos, die sich mittags an drei Oliven und abends an einer Mandolinenmelodie sättigen. Diese Mäßigkeit hatte ihren guten Grund. Er fürchtete nämlich, wenn er zuviel äße und tränke, die gespenstische Magerkeit zu verlieren, die sein bestes komisches Hilfsmittel war. Wäre er dicker geworden, hätte sich sein Talent vermindert. Deshalb schwebte er in beständiger Furcht und sah oft nach der Schnalle seines Gürtels, um sich zu überzeugen, ob er nicht zufällig seit gestern stärker geworden sei. Die Duenna nahm eine furchtbare Masse fester und flüssiger Nahrungsmittel in sich auf, und ihre feiste Unterkehle wackelte taktmäßig mit der Bewegung ihrer noch sehr gut mit Zähnen ausgerüsteten Kinnladen. Serafina und Isabella gähnten, da sie keinen Fächer zur Hand hatten, um die Wette hinter dem durchsichtigen Wall ihrer schönen, schlanken Finger.

Der junge Baron gewahrte dies trotz seines leichten Rausches und sagte zu ihnen:

»Meine Damen, ich sehe, daß Sie sich gern zur Ruhe begeben möchten, obschon Sie aus Höflichkeit den Schlaf zu bekämpfen suchen. Gern möchte ich Ihnen jeder ein tapeziertes Zimmer mit Kabinett anweisen lassen, aber mein armes Schloß geht in Trümmer wie mein ganzes Geschlecht, dessen Letzter ich bin. Ich trete Ihnen daher mein eigenes Zimmer, das einzige, in das es nicht hineinregnet, ab. Sie werden darin beide mit Madame Platz finden. Das Bett ist breit, und eine Nacht bald vorüber. Die Herren werden hierbleiben und sich mit den Sesseln und den Bänken behelfen. Vor allen Dingen fürchten Sie sich nicht vor den Bewegungen der Tapete, noch vor dem Ächzen des Windes in dem Schornstein, noch vor dem Trappeln der Mäuse. Ich kann Ihnen versichern, daß, obschon es in diesem Hause sehr unheimlich aussieht, doch von Gespenstern keine Rede sein kann.«

»Ich spiele die Bradamante und bin durchaus nicht furchtsam«, sagte die Serafina lachend. »Die schüchterne Isabella werde ich beruhigen, und was unsere Duenna betrifft, so ist diese selbst ein wenig Zauberin, und wenn der Teufel kommt, so wird sie mit ihm zu sprechen wissen.«

Sigognac ergriff ein Licht und führte die Damen in das Schlafzimmer, das ihnen allerdings ein wenig unheimlich vorkam, denn die von dem Winde bewegte flackernde Flamme der Lampe ließ seltsame Schatten an den Balken der Decke hin und her huschen, und ungeheuerliche Gestalten schienen sich in den nicht erleuchteten Ecken zusammenzuducken.

»Dies wäre eine vortreffliche Dekoration für den fünften Akt eines Trauerspiels«, sagte die Serafina, indem sie ihre Blicke um sich schweifen ließ, während Isabella im Banne dieser finstern, feuchten Atmosphäre sich eines Schauergefühles, das halb der Kälte, halb der Furcht entsprang, nicht erwehren konnte. Die drei Frauenzimmer schlüpften, ohne sich auszukleiden, unter die Decke. Isabella legte sich zwischen die Serafina und die Duenna, damit, wenn die haarige Tatze eines Phantoms oder Alps unter dem Bett hervorkäme, sie zunächst eine ihrer Genossinnen packen möchte. Die beiden mutigen Damen schliefen sehr bald ein, die furchtsame dritte aber lag noch lange, die offenen Augen auf die verschlossene Tür gerichtet, als ob sie jenseits davon ganze Welten von Gespenstern und Schreckgestalten ahnte. Zuletzt streute der Schlaf jedoch seinen Goldstaub selbst auf die Augenlider der furchtsamen Isabella.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Der Pedant schlief mit geschlossenen Fäusten, mit der Nase auf der Tischplatte, dem Tyrannen gegenüber, der schnarchte wie eine Orgelpfeife und träumend einige Fragmente von Trauerspielversen murmelte. Der Matamor ließ den Kopf auf der Lehne eines Sessels und die ausgestreckten Füße auf den Feuerböcken des Kamins ruhen. Er hatte sich in seinen grauen Mantel gehüllt und glich einem in Papier eingewickelten Hering. Leander hielt, um seine Frisur nicht in Unordnung zu bringen, den Kopf gerade und schlief die Nacht durch.

Sigognac hatte sich in einen der noch leer gebliebenen Sessel geworfen, die Ereignisse des Abends aber hatten ihn zu sehr erregt, als daß er hätte schlafen können. Zwei junge Frauen brechen nicht auf diese Weise in das Leben eines jungen Mannes ein, ohne es zu beunruhigen, besonders wenn dieser junge Mann bis jetzt das traurige, keusche, einsame Leben geführt hat, von dem jene harte Stiefmutter, die man die Armut nennt, alle Freuden seines Alters ferngehalten hatte.

Man wird sagen, es sei nicht wahrscheinlich, daß ein junger Mann von zwanzig Jahren noch keine Liebschaft gehabt habe. Sigognac war aber stolz, und da er nicht mit dem seinem Range und seinem Namen entsprechenden Glanz auftreten konnte, so blieb er zu Hause. Wohl war er auf seinen einsamen Spaziergängen zuweilen der schönen Yolande de Foix begegnet, wenn sie auf ihrem weißen Rosse von ihrem Vater und jungen Kavalieren begleitet, den Hirsch verfolgte. Diese blendende Vision erschien ihm oft in seinen Träumen, aber welche Beziehung konnte jemals zwischen dem schönen und reichen Edelfräulein und ihm, dem armen, herabgekommenen Junker, bestehen? Weit entfernt, sich zu bemühen, von ihr bemerkt zu werden, war er ihr daher, so oft er ihr begegnete, soweit wie möglich ausgewichen, weil er durch seinen elenden, verbogenen Filzhut, seine von den Ratten abgenagte Hutfeder, seine abgetragenen, für ihn viel zu weiten Kleider, seinen alten frommen Gaul, der sich für einen Landgeistlichen weit besser geeignet hätte als für einen Edelmann, keinen Stoff zum Lachen geben wollte. Denn nichts ist für einen Mann, der das Herz auf dem rechten Flecke hat, schmerzlicher, als der Person, die er liebt, lächerlich zu erscheinen, und er hatte, um diese keimende Leidenschaft zu ersticken, alle kaltblütigen Überlegungen angestellt, die die Armut einflößt. War es ihm gelungen? . . .

Wir können es nicht sagen. Wenigstens glaubte er es und hatte jenen Gedanken als Hirngespinst von sich gewiesen. Er fühlte sich ohnehin unglücklich genug, ohne daß er seinen Schmerzen auch noch die Qualen einer unmöglichen Liebe zuzugesellen brauchte.

Die Nacht verging ohne Zwischenfall, nur Isabella wurde durch Beelzebub ein wenig erschreckt. Er hatte sich ihr auf die Brust gelegt und wollte nicht wieder fort, weil er dieses Kissen sehr weich fand.

Sigognac konnte kein Auge zutun, sei es nun, daß er nicht daran gewöhnt war, nicht in seinem Bette zu schlafen, sei es nun, daß die Nähe der schönen Damen ihm keine Ruhe ließ. Die Ankunft dieser Schauspieler schien ihm ein Fingerzeig des Schicksals und gleichsam eine Botschaft des Glückes zu sein, die ihn aufforderte, dieses alte Ritterschloß, in dem seine Jugendjahre im Dunkel und nutzlos vermoderten, zu verlassen.

Der Tag begann zu grauen. Die Soubrette erwachte zuerst unter dem Kusse des Morgens. Sie richtete sich auf ihren kleinen Füßen empor, schüttelte ihre Röcke wie ein Vogel sein Gefieder, fuhr sich mit der flachen Hand über das Haar, um ihm wieder einigen Glanz zu geben, und lenkte, als sie sah, daß der Baron von Sigognac mit hellen Augen wie ein Basilisk im Sessel saß, ihre Schritte nach ihm hin, um ihn mit einer niedlichen theatralischen Verbeugung zu begrüßen.

»Es tut mir leid,« sagte er, indem er der Soubrette ihren Gruß zurückgab, »daß der verfallene Zustand dieses Hauses, das eher taugt, Gespenster als lebende Wesen zu beherbergen, mir nicht erlaubt hat, Sie auf angemessenere Weise zu empfangen. Gern hätte ich Sie in Tücher von holländischer Leinwand und unter eine Decke von indischem Damast gebettet, anstatt Sie sich hier auf diesem wurmstichigen Lager erkälten zu lassen.«

»Oh, beklagen Sie dies nicht«, antwortete die Soubrette. »Hätten wir nicht bei Ihnen Aufnahme gefunden, so hätten wir die Nacht auf einem im Kote stecken gebliebenen Wagen zubringen müssen, um unter dem herabströmenden Regen vor Kälte zu klappern. Wie würde uns allen heute morgen zumute sein! Übrigens ist dieses Nachtlager, das Sie so schmähen, luxuriös im Vergleiche mit den allen Winden geöffneten Scheunen, in denen wir während unseres unsteten Lebens als herumziehende Schauspieler oft gezwungen sind, zu übernachten.«

Während der Baron und die Soubrette diese Artigkeiten austauschten, stürzte der Pedant plötzlich mit lautem Geprassel zur Erde nieder. Sein Stuhl war, der ungewohnten Last müde, zusammengebrochen, und der große starke Mann gebärdete sich, indem er Arme und Beine bewegte, wie eine umgewendete Schildkröte, indem er dazu ein unartikuliertes Grunzen von sich gab. Bei seinem Sturze hatte er sich mechanisch an dem Rand des Tischtuches angehalten, so daß das ganze Tafelgeschirr ihm nachstürzte. Dieses Getöse schreckte sofort die ganze Gesellschaft empor. Der Tyrann dehnte die Arme, rieb sich die Augen, streckte dem alten Komiker die hilfreiche Hand entgegen und half ihm wieder auf die Füße.

»Dem Matamor könnte so etwas nicht passieren«, sagte der Herodes mit einem hohlen Gekrächz, das bei ihm die Stelle des Lachens vertrat. »Der könnte in ein Spinngewebe fallen, ohne es zu zerreißen.«

»Das ist wahr,« entgegnete der so angeredete Schauspieler, indem er seine langen Beine ausstreckte, »nicht jeder ist so glücklich, ein Polyphem, ein Cacus, ein Gebirg von Fleisch und Knochen zu sein wie du, ebensowenig als ein Weinschlauch oder ein zweibeiniges Faß wie Blasius.«

Dieser Lärm hatte zur Folge, daß nach Verlauf von wenigen Augenblicken die Isabella, die Serafina und die Duenna auf der Schwelle der Tür erschienen. Die beiden jungen Damen waren, obschon ein wenig angegriffen und blaß, auch bei hellem Tage immer noch sehr hübsch.

Es dauerte nicht lange, so trat Pierre ein, um das Zimmer in Ordnung zu bringen, Holz in den Kamin zu werfen, wo noch einige Kohlen in der weißen Asche glimmten, und die dem befriedigten Hunger so widerlichen Überreste des Schmauses verschwinden zu lassen. Die emporlodernde Flamme bewog die ganze Gesellschaft, in einem Halbkreise davor Platz zu nehmen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Der junge Baron hatte Pierre beiseite genommen, um ihn zu fragen, ob man im Dorfe nicht einige Dutzend Eier oder einige Hühner auftreiben könnte, um den Schauspielern ein Frühstück zu bereiten, und der alte Diener hatte sich sofort aufgemacht, um den Auftrag schnellstens zu vollziehen, denn die Truppe hatte augenscheinlich die Absicht, sehr bald wieder aufzubrechen, um eine starke Tagreise zurückzulegen und den Ort des Nachtlagers nicht allzu spät zu erreichen.

»Ich fürchte, Sie werden sehr schlecht frühstücken,« sagte Sigognac zu seinen Gästen, »und Sie werden sich mit einer pythagoreischen Mahlzeit begnügen müssen. Aber schlecht frühstücken ist immer noch besser als gar nicht frühstücken, und es gibt sechs Meilen in der Runde weder eine Herberge noch ein Wirtshaus. Der Zustand dieses Schlosses hier sagt Ihnen, daß ich nicht reich bin, da aber meine Armut nur von dem Aufwand herrührt, den meine Ahnen im Kriege zur Verteidigung unserer Könige haben machen müssen, so brauche ich darüber nicht zu erröten.«

»Ganz gewiß nicht, gnädiger Herr,« antwortete der Herodes mit seiner Baßstimme, »und mancher, der mit seinem Reichtum prahlt, würde in große Verlegenheit kommen, wenn er die Quelle desselben nennen sollte.«

»Was mich aber wundert,« setzte Blasius hinzu, »ist, daß ein vollendeter Edelmann, wie Sie zu sein scheinen, gnädiger Herr, seine Jugend auf diese Weise sich in einer Einöde verzehren läßt, wo das Glück ihn nicht aufsuchen kann, wie große Lust es auch dazu haben möge. Wenn es an diesem Schlosse, dessen Bauart vor zweihundert Jahren sehr gut ausgesehen haben kann, vorbeikäme, so würde es gleichwohl seinen Weg fortsetzen, weil es dieses für unbewohnt halten würde. Sie müssen nach Paris gehen, nach Paris, diesem Auge und Nabel der Welt, dem Sammelplatz schöner und tapferer Geister, dem Eldorado und dem Kanaan der französischen Spanier und christlichen Hebräer, dem gelobten Lande, das durch die Sonnenstrahlen des Hofes beleuchtet wird. Dort wird der Herr Baron nicht verfehlen, seinem Verdienst gemäß ausgezeichnet zu werden und sich hervorzutun.«

Diese Worte des Schauspielers waren trotz der närrischen Phrasen gar nicht ohne Verstand. Sigognac fühlte ihre Richtigkeit und hatte während seiner langen Spaziergänge durch die Ebenen bei sich selbst oft leise gesagt, was Blasius ihm jetzt laut sagte.

Aber er hatte kein Geld, um eine so weite Reise zu unternehmen, und er wußte auch nicht, wie er sich welches verschaffen sollte. Er war nicht bloß tapfer, sondern auch stolz und fürchtete sich vor einem Lächeln des Mitleids mehr als vor einem Degenstoß. Ohne große Bekanntschaft mit den Moden fühlte er doch, daß er in seiner abgetragenen und schon unter der vorigen Regierung altväterischen Kleidung eine lächerliche Erscheinung machte. Nach der Gewohnheit aller durch die Armut schüchtern gemachten Leute brachte er nicht seine Vorzüge in Anschlag, sondern sah seine Lage nur von der schlimmen Seite. Vielleicht hätte er sich die Unterstützung einiger alter Freunde seines Vaters verschaffen können, wenn er deren Bekanntschaft ein wenig kultiviert hätte. Dies war aber eine Anstrengung, die nicht in seiner Natur lag, und lieber wäre er, auf seiner Geldkasse sitzend und wie ein spanischer Hidalgo neben seinem Wappenschild einen Zahnstocher kauend, gestorben, als daß er jemanden um einen Vorschuß oder ein Darlehen angesprochen hätte. Er gehörte zu den Leuten, die mit leerem Magen vor einer ausgezeichneten Tafel vorgeben, schon gegessen zu haben, aus Furcht, man könnte glauben, sie hätten Hunger.

»Ich habe allerdings schon oft daran gedacht,« entgegnete er, »aber ich habe keine Freunde in Paris, und die Nachkommen derer, die vielleicht meine Familie gekannt, als sie noch reich war und Ämter bei Hofe bekleidete, werden sich nicht viel um einen Sigognac kümmern, der ausgehungert und mager, mit Klauen und Schnabel von seinem verfallenen Turm herabgeflogen kommt, um seinen Anteil an der gemeinsamen Beute zu beanspruchen. Übrigens sehe ich nicht ein, warum ich mich schämen sollte, es zu sagen, daß ich mich nicht in erforderlicher Weise equipieren und auf einem meines Namens würdigen Fuße erscheinen könnte. Ich weiß nicht einmal, ob ich, wenn ich alle meine Mittel und auch die Pierres zusammenraffte, genug haben würde, um nur bis nach Paris zu gelangen.«

»Aber,« hob Blasius wieder an, »Sie brauchen ja nicht im Triumph in die große Stadt einzuziehen, wie ein römischer Cäsar auf einem von vier weißen Pferden gezogenen Wagen. Wenn unser bescheidener Ochsenwagen nicht Ihren Stolz empört, Herr Baron, so kommen Sie mit uns nach Paris, da unsere Truppe sich dorthin begibt. Dort glänzt jetzt mancher, der zu Fuße, mit seinem Bündel auf der Spitze seines Rapiers und seine Schuhe in der Hand tragend, um sie nicht abzunützen, seinen Einzug gehalten hat.«

Eine schwache Röte färbte Sigognacs Wangen, teils vor Scham, teils vor Freude. Wenn einerseits der Adelsstolz sich in ihm gegen den Gedanken empörte, einem armen herumziehenden Schauspieler etwas zu verdanken zu haben, so war andererseits seine angeborene Herzensgüte durch ein Anerbieten gerührt, das ihm in offener, biederer Weise gemacht ward, und das seinem geheimen Wunsche so gut entsprach. Überdies fürchtete er, wenn er dieses Anerbieten zurückwiese, die Eigenliebe des Schauspielers zu verletzen und vielleicht eine Gelegenheit, die sich ihm nie wieder darbieten würde, zu versäumen. Er schwankte unentschieden zwischen ja und nein, und wog diese beiden entscheidenden Silben in der Wage des Nachdenkens, als Isabella, mit anmutiger Miene vortretend und sich vor den Baron und Blasius stellend, folgende Worte sprach, die der Ungewißheit des jungen Mannes sofort ein Ende machten:

»Unser Dichter, dem eine unverhoffte Erbschaft zugefallen, hat uns verlassen, und der Herr Baron könnte ihn ersetzen, denn ich habe, ohne es zu wollen, in einem Bändchen von Ronsards Gedichten, das neben seinem Bette auf dem Tische lag, ein an vielen Stellen korrigiertes Sonett gefunden, dessen Verfasser jedenfalls er ist. Er könnte unsere Rollen zurechtlegen, die nötigen Weglassungen, Zusätze und Änderungen bewirken und im Notfall auch ein Stück schreiben, wozu ihm die Idee gegeben würde. Ich habe gerade einen italienischen Entwurf, in dem sich eine allerliebste Rolle für mich befindet, wenn jemand das Stück ausarbeiten wollte.« Indem Isabella dies sagte, warf sie dem Baron einen so sanften und zugleich so durchdringenden Blick zu, daß er nicht widerstehen konnte.

Die Ankunft Pierres, der einen gewaltigen Eierkuchen mit Speck und einen respektablen Schinken getragen brachte, unterbrach dieses Gespräch. Die ganze Truppe setzte sich um den Tisch herum und begann mit gutem Appetit zu essen. Sigognac berührte die ihm vorgesetzten Speisen kaum. Seine gewohnte Mäßigkeit war so dicht aufeinanderfolgende Mahlzeiten nicht gewöhnt, und übrigens gingen ihm nun auch gar so viele Gedanken im Kopfe herum.

Als das Mahl beendet war, und während der Ochsentreiber die Jochriemen an den Hörnern seiner Stiere befestigte, kamen Isabella und Serafina auf den Einfall, in den Garten hinunterzugehen, den man vom Hofe aus gewahrte.

»Ich fürchte,« sagte der Baron, indem er ihnen die Hand bot, um sie die wackeligen, moosbewachsenen Stufen hinabzugeleiten, »daß Sie an dem Dorngestrüpp einige Fetzen Ihres Kleides hängen lassen werden, denn wenn man sagt, daß es keine Rose ohne Dornen gibt, so gibt es doch dafür genug Dornen ohne Rosen.«

Der junge Baron sagte dies in jenem melancholisch-ironischen Tone, der ihm eigen war, wenn er auf seine eigene Armut anspielte. Gerade aber, als ob der geschmähte Garten sich in seiner Ehre verletzt gefühlt hätte, zeigten sich plötzlich zwei kleine wilde Rosen an einem querüber ragenden Zweige, der den jungen Damen den Weg versperrte.

Sigognac pflückte die Rosen und bot sie galant der Isabella und der Serafina, indem er sagte:

»Ich glaubte nicht, daß mein Garten noch so etwas böte. Es wachsen in der Regel darin nur Unkraut, und aus Brennesseln und Schierling kann man keinen Strauß binden. Nur durch die Allgewalt Ihrer Blicke, meine schönen Damen, können diese Röschen so plötzlich hervorgezaubert worden sein.«

Isabella befestigte die Hagedornrose sorgfältig an ihrem Leibchen, indem sie dem jungen Mann einen langen Dankesblick zuwarf, der bewies, welchen hohen Wert sie auf dieses Geschenk legte. Serafina hielt den Stengel ihrer Blume zwischen den Zähnen fest, wie um die bleiche Rose mit dem dunklen Rot ihrer Lippen wetteifern zu lassen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

So ging man bis zu der mythologischen Statue, deren Phantom am Ende der Allee sich zeigte. Sigognac bog die Zweige, die das Gesicht seiner Begleiterinnen gepeitscht haben würden, auf die Seite. Die junge naive Schauspielerin betrachtete mit Interesse und Rührung diesen verwilderten Garten, der mit diesem verfallenen Schloß in solchem Einklange stand. Sie dachte an die traurigen Stunden, die Sigognac in diesem Wohnsitz der Langweile, des Mangels und der Einsamkeit gezählt haben mußte, wenn er, die Stirne an das Fenster gelehnt, die Augen auf die öde Landstraße heftete, ohne andere Gesellschaft als einen weißen Hund und einen schwarzen Kater. Die etwas härteren Züge der Serafina verrieten weiter nichts als kalte Mißachtung hinter der Maske der Höflichkeit. Sie fand diesen Edelmann entschieden allzusehr herabgekommen, obschon sie sich eines gewissen Respekts vor Leuten mit Titeln nicht entschlagen konnte.

»Hier ist die Grenze meines Gebietes«, sagte der Baron, als er vor der Felsennische anlangte, in der Pomona moderte. »Früher gehörten, so weit der Blick von der Höhe dieser Türme reichte, der Berg und die Ebene, das Feld und die Heide meinen Ahnen, aber es bleibt mir gerade noch genug, um die Stunde zu erwarten, in der der letzte der Sigognac sich zu seinen Vätern in der Familiengruft versammeln wird, die nunmehr ihr einziges Besitztum ist.«

»Wissen Sie, daß dergleichen düstere Gedanken sich für Sie eigentlich nicht schicken?« entgegnete Isabella, indem sie eine heitere Miene annahm, um die Wolke von Traurigkeit zu verscheuchen, die Sigognacs Stirn zu überziehen drohte. »Entschließen Sie sich; kommen Sie mit uns, und vielleicht machen in einigen Jahren die Türme von Sigognac, mit neuem Schiefer gedeckt, restauriert und frisch getüncht, eine ebenso stolze Figur, wie sie jetzt eine klägliche machen. Übrigens würde es mich auch wahrhaft betrüben, Sie in diesem Eulenschloß allein zurücklassen zu müssen«, setzte sie in gedämpftem Tone und so leise hinzu, daß die Serafina es nicht hören konnte.

Der sanfte Glanz, der aus Isabellas Augen leuchtete, triumphierte über das Widerstreben des Barons. Der Reiz eines galanten Abenteuers ließ ihn das Demütigende übersehen, das eine auf diese Weise zurückgelegte Reise für ihn haben konnte. Es war durchaus nichts Herabwürdigendes, einer Schauspielerin aus Liebe nachzuziehen und sich als Schmachtender an den Thespiskarren zu spannen. Selbst die feinsten Kavaliere hätten kein Bedenken getragen, dies zu tun. Allein . . . war Sigognac in Isabella auch wirklich verliebt?

Diese Frage suchte er nicht genau zu erörtern, wohl aber fühlte er, daß es ihm fortan schrecklich und unerträglich sein würde, in diesem Schloß zu bleiben, das einen Augenblick lang durch die Gegenwart eines jungen anmutigen Wesens erweckt worden war. Er faßte daher nun seinen Entschluß sehr schnell, bat die Schauspieler, ein wenig auf ihn zu warten, nahm Pierre auf die Seite und vertraute ihm sein Vorhaben an. Der treue Diener verhehlte, obschon es ihm schmerzlich war, sich von seinem Herrn trennen zu sollen, sich nicht die Übelstände, die ein längeres Verweilen hier für Sigognac zur Folge haben mußte. Obschon eine Truppe Schauspieler ihm für einen Herrn von Sigognac ein seltsames Gefolge zu sein schien, so gab er diesem Mittel, das Glück zu versuchen, immer noch den Vorzug vor der immer mehr zunehmenden Stumpfheit, die sich des jungen Barons bemächtigt hatte.

Es dauerte nicht lange, so hatte er die wenigen Wertgegenstände, die sein Herr besaß, in einen Mantelsack gepackt, die wenigen in den Schubfächern eines alten Geldschrankes herumliegenden Münzen in eine Börse gesteckt und, ohne etwas davon zu sagen, seine eigenen kleinen Ersparnisse hinzugefügt – ein Opfer, das der Baron vielleicht gar nicht einmal bemerkte, denn Pierre bekleidete außer den verschiedenen Ämtern, die er im Schloß versah, auch das eines Schatzmeisters, einen wahrhaften Ruheposten.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Das weiße Pferd wurde gesattelt, denn Sigognac wollte, um seine Abreise zu verheimlichen, erst in einer Entfernung von zwei oder drei Meilen in den Wagen der Schauspieler steigen. Auf diese Weise tat er, als ob er seinen Gästen bloß das Geleite geben würde. Pierre sollte zu Fuße folgen und das Pferd später in den Stall zurückführen.

Die Stiere waren angespannt. Isabella und Serafina saßen auf dem Vorderteil des Wagens, um die Aussicht zu genießen. Die Duenna, der Pedant und der Leander nahmen den Rücksitz ein, denn es lag ihnen mehr daran, ihren Schlaf fortzusetzen, als die eintönige Aussicht auf die Ebenen zu bewundern. Alles war bereit. Der Treiber berührte seine Tiere, die die Köpfe senkten und ihre muskulösen Beine einstemmten. Der Wagen kam in Bewegung, die Achsen krächzten, die schlecht geschmierten Räder schrien, und das Gewölbe der Vorhalle erdröhnte unter dem dumpfen Stampfen des Gespanns. Die Reise ging fort.

In dem Augenblick, da Sigognac diese traurige Stätte verließ, fühlte er sein Herz schmerzlich bedrückt. Er warf noch einen letzten Blick auf diese schwarzen Mauern. Er fühlte, er war undankbar gegen das arme, alte, verfallene Schloß, das ihn doch so gut wie möglich geschützt hatte und trotz seines Verfalls hartnäckig stehen geblieben war, um ihn nicht in seinem Sturze zu begraben, gerade wie ein achtzigjähriger Diener sich, solange sein Herr zugegen ist, auf seinen zitternden Füßen hält.

Als er, dem Wagen voranreitend, aus dem Tor heraustrat, trug ihm ein Windstoß den frischen Duft des von dem Regen abgewaschenen Heidekrautes, das angenehme scharfe Aroma der heimatlichen Erde, zu. Eine ferne Glocke läutete, und die metallenen Schwingungen wurden auf den Fittichen des gleichen Lufthauches hergetragen, der den Heidekrautduft brachte. Dies war zuviel, und Sigognac machte, von gewaltigem Heimweh ergriffen, obschon er kaum erst einige Schritte von seiner Wohnung hinweg war, eine Bewegung, um wieder umzulenken. Das alte Roß bog schon seinen Hals in der angedeuteten Richtung mit einer Schnelligkeit, die man von seinem Alter nicht hätte vermuten sollen. Miraut und Beelzebub hoben gleichzeitig die Köpfe empor, als ob sie wüßten, was in den Gedanken ihres Herrn vorging, blieben stehen und hefteten ihre fragenden Blicke auf ihn. Das Resultat dieser Bewegung war jedoch ein ganz anderes, als man hätte erwarten können, denn Sigognacs Blick begegnete dabei dem Isabellas, und diese legte in den ihrigen eine so schmeichelnde Anmut und eine so verständliche, obschon stumme Bitte, daß der junge Baron fühlte, wie er bald rot, bald blaß wurde. Er vergaß die verfallenen Mauern seines alten Schlosses, den Wohlgeruch des Heidekrautes und das Läuten der Glocke, obschon diese ihren wehmütigen Ruf immer noch ertönen ließ, riß scharf in den Zügel und bewog sein Pferd durch einen kräftigen Druck der Schenkel, ihn schneller vorwärts zu tragen. Der Kampf war beendet. Isabella hatte gesiegt.

Der Wagen lenkte in die Landstraße ein, und die Stiere konnten von nun an die schwere Maschine, an die sie gespannt waren, etwas schneller bewegen. Sigognac bildete nach einiger Zeit nicht mehr den Vor-, sondern den Nachtrab, um nicht eine allzu auffällige Aufmerksamkeit gegen Isabella an den Tag zu legen, vielleicht auch, um sich ungestörter den Gedanken hingeben zu können, die seine Seele bewegten.

Die Türme des Schlosses waren schon halb hinter den buschigen Bäumen verschwunden. Der Baron hob sich im Sattel, um sie noch einmal zu sehen, und als er seine Blicke wieder zu Boden senkte, gewahrte er Miraut und Beelzebub, deren klägliche Gesichter den ganzen Schmerz ausdrückten, dessen eine Tierlarve fähig ist. Miraut versuchte bis an das Gesicht seines Herrn emporzuspringen, um es zum letzten Male zu lecken. Sigognac, der die Absicht des armen Tieres erriet, faßte es bei der allzu weiten Haut seines Halses, zog es auf den Sattelknopf herauf und küßte ihm die schwarze Schnauze, ohne sich der nassen Liebkosung entziehen zu wollen, die das dankbare Tier dem Schnurrbart seines Herrn widerfahren ließ. Beelzebub war mittlerweile auf der andern Seite an dem Stiefel und Schenkel des Reiters hinaufgeklettert und bat schnurrend und seine großen gelben Augen rollend ebenfalls um ein Zeichen des Abschieds. Der junge Baron fuhr zwei- oder dreimal mit der Hand über den Schädel des Katers, der sich emporrichtete, um diese freundschaftliche Berührung besser zu genießen. Diese bescheidenen Beweise von der Liebe dieser wohl seelen- aber nicht gefühlslosen Geschöpfe bewegten ihn seltsam, und zwei aus seinem Herzen emporgestiegene Tränen fielen auf Mirauts und Beelzebubs Köpfe und tauften sie auf diese Weise im menschlichen Sinne des Wortes zu Freunden ihres Herrn.

Die beiden Tiere folgten eine Zeitlang mit dem Auge dem jungen Baron, der sein Pferd in Trab setzte, um den Wagen wieder einzuholen, und machten, da sie ihn an einer Biegung des Weges aus den Augen verloren, sich brüderlich miteinander auf den Rückweg.

Das Regenwetter der Nacht hatte auf dem sandigen Boden der Ebenen nicht die Spuren zurückgelassen, die auf einem weniger unfruchtbaren unter solchen Umständen zurückzubleiben pflegen. Die bloß erfrischte Landschaft besaß jetzt einen gewissen Grad ländlicher Schönheit. Am Rande des Horizonts zeigten sich die fernen Gipfel der Pyrenäen in den leichten Dunst eines Herbstmorgens gehüllt.

Bei jeder gefährlichen Stelle des Weges half Sigognac Isabella, die furchtsamer oder weniger träg war als Serafina oder die Duenna, vom Wagen herunter. Der Tyrann und Blasius schliefen sorglos, zwischen den Kisten hin und her geworfen, wie Leute, die noch ganz andere Fährlichkeiten bestanden hatten. Der Matamor schritt neben dem Wagen her, um durch die Bewegung seine gespenstische Magerkeit, auf die er stets die größte Sorgfalt verwendete, zu erhalten. Wer ihn von weitem sah, wie er seine langen Beine hob, hätte ihn für eine riesige, in dem Heidekraut einher marschierende Heuschrecke gehalten. Er machte dabei so gewaltige Schritte, daß er sich oft genötigt sah, stehenzubleiben, um die übrige Gesellschaft nachkommen zu lassen.

Ein mit Ochsen bespannter Wagen geht nicht sehr schnell, besonders in der Heide. Die Sonne stand daher schon hoch am Himmel, als man erst zwei Meilen zurückgelegt hatte. Sigognac hielt es daher für zwecklos, seinen armen alten Gaul noch länger zu ermüden. Er schwang sich aus dem Sattel und warf die Zügel dem Diener zu, dessen verwitterte Züge die Blässe einer tiefen Gemütsbewegung zeigten.

Der Augenblick der Trennung zwischen Herrn und Diener war gekommen, ein schmerzlicher Augenblick, denn Pierre war eher als der bescheidene Freund denn als der Diener zu betrachten.

»Gott geleite Sie, gnädiger Herr«, sagte er, indem er sich über die Hand neigte, die der Baron ihm bot. »Möge es Ihnen gelingen, den Glanz der Sigognac wieder herzustellen. Ich bedauere nur, daß Sie mir nicht erlaubt haben, Sie zu begleiten.«

»Was hätte ich in dem unbekannten Leben, dem ich entgegengehe, mit dir beginnen sollen, mein armer Pierre?« entgegnete der Baron. »In dem Schlosse wirst du zur Not immer leben können. Unsere alten Pächter werden den treuen Diener ihres Herrn nicht Hungers sterben lassen. Übrigens darf das Schloß der Sigognac nicht den Eulen und den Nattern preisgegeben werden. Die Seele dieser alten Wohnung existiert noch in mir und, solange ich lebe, soll neben seinem Portale ein Hüter stehen, der die Knaben abhält, mit den Steinen ihrer Schleudern nach meinem Wappenschilde zu zielen.«

Der Diener machte eine Gebärde der Zustimmung, denn er hing wie alle alten Diener edler Familien mit unverbrüchlicher Liebe an ihrem Wohnsitze und sah darin immer noch eines der schönsten Schlösser der Welt. »Und übrigens,« setzte der Baron lächelnd hinzu, »wer sollte für Bayard, für Miraut und für Beelzebub sorgen?«

»Das ist wahr, gnädiger Herr«, antwortete Pierre und ergriff den Zügel Bayards, dessen Hals Sigognac mehrmals liebkosend zum Abschiede streichelte.

Als das gute Pferd sich von seinem Herrn trennte, wieherte es mehrmals, und noch lange hörte Sigognac den in der Ferne immer schwächer werdenden liebreichen Zuruf des dankbaren Tieres.

Als der junge Baron endlich allein war, empfand er das Gefühl des Reisenden, der sich einschifft und den seine Freunde bis an den Hafen begleitet haben. Es ist dies vielleicht der bitterste Augenblick der Abreise. Die Welt, in der man bisher gelebt, zieht sich zurück, und man beeilt sich, seine Reisegefährten zu erreichen, so verlassen und traurig fühlt sich die Seele, und so sehr verlangt es die Augen nach dem Anblick eines Menschenantlitzes. Sigognac beschleunigte daher seinen Schritt, um den Wagen einzuholen, dessen Räder Furchen in den Sand zogen, wie Pflugscharen in weiches Erdreich.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Als Isabella den Baron neben dem Wagen hergehen sah, klagte sie, daß sie schlecht säße und wollte absteigen, um sich, wie sie sagte, ein wenig auszugehen, in der Tat aber in der Absicht, den jungen Mann nicht Beute der Melancholie werden zu lassen, sondern ihn durch heitere Konversation zu zerstreuen. Der Schleier von Schwermut, der Sigognacs Gesicht bedeckte, zerriß auch in der Tat wie eine Wolke, durch die der Sonnenstrahl fällt, als Isabella ihn um die Erlaubnis bat, sich auf seinen Arm stützen zu dürfen, um auf der an dieser Stelle sehr glatten Straße einige Schritte zu machen.

So wanderten sie nebeneinander her. Isabella rezitierte Sigognac einige Verse aus einer ihrer Rollen, mit denen sie nicht zufrieden war und worin sie einige Abänderungen getroffen zu sehen wünschte, als plötzlich rechts von der Straße in dem Walde sich Hörnerschall vernehmen ließ, mehrere Reiter, die Zweige der Bäume teilend, hervorsprengten und die jugendliche Yolande de Foix in ihrem ganzen Glanze als jagende Diana in der Mitte des Weges erschien. Der rasche Ritt hatte ihren Wangen eine höhere Röte verliehen, ihre rosenfarbenen Nüstern zitterten, und ihr Busen schlug unter dem Samt und Gold ihres Mieders schneller. Das Pferd bäumte und kurbettierte zur großen Bewunderung der drei oder vier reich kostümierten und berittenen jungen Edelleute, die der anmutigen Kühnheit dieser neuen Bradamante Beifall spendeten. Bald gab sie dieses Spiel auf, ließ ihrem Pferde den Zügel schießen und sprengte rasch an Sigognac vorüber, den sie von oben herab ansah.

»Sehen Sie doch,« sagte sie zu den drei Stutzern, die hinter ihr her galoppierten, »der Baron von Sigognac macht den Ritter einer Zigeunerin!«

Und der Trupp jagte mit lautem Gelächter in einer Staubwolke vorüber. Sigognac fuhr mit einer Bewegung des Zornes und der Scham rasch mit der Hand nach dem Griff seines Degens. Aber er war zu Fuße, und es wäre Wahnsinn gewesen, Reitern nachlaufen zu wollen. Übrigens konnte er Yolande nicht zum Zweikampf fordern. Ein sehnsüchtiger und ergebener Blick der Schauspielerin ließ ihn das übermütige Benehmen des Edelfräuleins bald vergessen.

Der Tag verging ohne Zwischenfall, und gegen vier Uhr langte man an dem Orte an, wo gespeist und übernachtet werden sollte.

In dem Schlosse Sigognac war der Abend sehr traurig. Die Bildnisse der Ahnen schauten noch mürrischer darein als gewöhnlich, was man nicht für möglich gehalten hätte. Die Treppe knarrte noch lauter, und die Zimmer schienen noch größer und kahler. Der Wind heulte seltsam in den Gängen, und die Spinnen ließen sich unruhig und neugierig am Ende ihres Fadens von der Decke herab. Das alte verfallene Haus schien die Abwesenheit seines jungen Herrn zu verstehen und zu betrauern.

Unter dem Mantel des Kamins teilte Pierre bei dem räucherigen Schein eines Harzlichtes seine magere Mahlzeit mit Miraut und Beelzebub, und in dem Stalle hörte man Bayard an seiner Kette zerren und in die Krippe beißen.

*


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