Theophil Gautier
Kapitän Fracasse. Erster Band
Theophil Gautier

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Zeichnung Karl M. Schultheiss

Das Schloß der Armut

Am Abhange eines jener kahlen Hügel, die sich auf den weitgestreckten Ebenen zwischen Dax und Mont de Marsan erheben, stand unter der Regierung Ludwigs XIII. eine jener in der Gascogne so häufigen Edelmannswohnungen, die von den Dorfbewohnern mit dem Namen Schloß beehrt wurden. Der Reisende, der diese mit ihren spitzen Dächern über das Ginster- und Heidekrautmeer hervorragende Burg von weitem gesehen hätte, würde sie als eine für einen Krautjunker ganz passende Wohnung betrachtet haben, näher kommend wäre er aber anderer Meinung geworden.

Der Weg, der von der Landstraße nach dem Schlosse führte, war durch überwucherndes Moos und Schmarotzergewächse zu einem schmalen weißen Fußsteig geworden, der einer verblichenen Tresse auf einem fadenscheinigen Mantel glich. Zwei mit Regenwasser gefüllte und von Fröschen bewohnte Fahrgeleise bewiesen, daß hier einmal Wagen ihren Weg genommen, und die Dreistigkeit dieser Batrachier verriet langen Besitz und Sicherheit vor Störung.

Der Rost hinderte die Wetterfahnen sich zu drehen, so daß jede einen andern Wind anzeigte. Die Dachluken waren mit Läden von verfaultem Holz geschlossen. Steingeröll bedeckte die Söller der Türme. Zwischen den Fenstern machte der wie die Schuppen einer kranken Haut herabgefallene Kalk auseinandergehende, dem Einflusse der Witterung preisgegebene Mauersteine sichtbar. Über der Tür, deren steinernes Gewand hier und da noch die von der Zeit abgeschliffenen Verzierungen sehen ließ, befand sich ein Wappenschild, das der geschickteste Heraldiker nicht zu entziffern vermocht hätte und dessen Einfassung durch phantastische, häufig unterbrochene Umrisse gebildet war. Schwalbennester bedeckten den Rand der Schornsteine und die Fensterecken. Hätte eine dünne Rauchsäule aus einem dieser Schornsteine sich nicht zum Himmel geringelt, wie auf jenen Zeichnungen, womit Schulknaben ihre Schreibbücher zu beschmieren pflegen, man hätte glauben können, das Haus sei ganz unbewohnt.

Mager mußte die Küche sein, die auf diesem Herde bereitet wurde, denn ein alter Soldat hätte mit seiner Pfeife dichtere Rauchwolken erzeugt. Es war dies übrigens das einzige Lebenszeichen, das das Haus von sich gab – gleich einem Sterbenden, dessen verlöschendes Leben sich nur noch durch den Hauch seines Atems verrät.

Stieß man den beweglichen Türflügel, der nicht ohne Widerstand nachgab und sich mit unverkennbar schlechter Laune in seinen rostigen, knarrenden Angeln drehte, auf, befand man sich in einer Art Kreuzgewölbe, das älter war als die übrigen Gebäude und das vier Pfeiler von bläulichem Granit teilten. An ihrem Kreuzungspunkte stießen sie an einem steinernen Vorsprung zusammen, an dem man das draußen über der Tür angebrachte ausgehauene Wappen etwas deutlicher sehen und sich überzeugen konnte, daß es aus drei goldenen Störchen im blauen Felde oder so etwas Ähnlichem bestand, denn die in dem Gewölbe herrschende Dunkelheit gestattete keine genaue Unterscheidung.

Aus dieser Vorhalle führten zwei Türen; die eine ging nach den Zimmern des Erdgeschosses, die andere in einen Raum, der früher wahrscheinlich als Wachsaal gedient hatte. Aus der Halle trat man in einen traurigen, kahlen und kalten Hof, von hohen Mauern umgeben, die durch die Winterregengüsse von langen schwarzen Streifen durchfurcht waren. Im Hintergrund führte eine mit einem steinernen Geländer versehene Rampe nach einem hinter dem Hofe gelegenen Garten. Dieser kehrte allmählich in den Zustand eines Dickichts oder Urwaldes zurück. Mit Ausnahme eines viereckigen Platzes, wo man einige Kohlstauden mit ihren geäderten Blättern und einigen Sonnenrosen mit schwarzem Zentrum sah, so daß man auf einen gewissen Grad von Kultur schließen konnte, eroberte die Natur in diesem verlassenen Raume überall ihre Rechte zurück und verwischte die Spuren der menschlichen Arbeit, die sie überhaupt gern verschwinden zu lassen liebt. Vom Winde herbeigetragene Samenkörner waren aufs Geratewohl gekeimt und entwickelten sich mit jener lebhaften Rüstigkeit, die dem Unkraut eigen zu sein pflegt, an der Stelle, wo früher schöne Blumen und seltene Pflanzen gestanden hatten. Dorngestrüpp kreuzte sich von einem Rande der Gänge zum andern und hielt den Vorübergehenden fest, damit er nicht weitergehen und dieses Geheimnis trauriger Verödung seinen Blicken entzogen bleiben möge. Die Einsamkeit liebt es nicht, nackt überrascht zu werden, und umgibt sich daher mit allen möglichen Hindernissen.

Hätte man jedoch, ohne die Ritzwunden von Sträuchern und ohne die Ohrfeigen von Baumästen zu scheuen, den alten Gartenweg, der schwieriger zu begehen war als ein Waldsteig, bis ans Ende verfolgt, so wäre man an eine Art Felsennische gelangt, die eine ländliche Grotte vorstellte. Zu den anfänglich zwischen den Felsblöcken gesäten Pflanzen hatten sich andere, wildere gesellt, die wie Bärte herabhingen und zur Hälfte eine Marmorstatue verschleierten, die eine mythologische Gottheit, Flora oder Pomona, vorstellte. Sie war zu ihrer Zeit sicherlich sehr schön gewesen und hatte ihrem Verfertiger zur Ehre gereicht, jetzt aber sah sie aus wie der Tod, denn man hatte ihr die Nase eingeschlagen. Die Grotte lehnte sich an eine grüngewordene, mit Salpeterausschlag bedeckte Mauer, die den Garten an dieser Seite abschloß. Jenseits erstreckte sich die Ebene mit ihrem eintönigen niedrigen Horizont. Wenn man nach dem Schloß zurückkehrte, sah man, daß die Hinterseite einen noch öderen und verfalleneren Anblick darbot, als die vorhin beschriebene Vorderseite. Die letzten Besitzer hatten sich bemüht, wenigstens den Schein zu wahren, und daher ihre geringen Mittel auf diese Seite vereinigt.

In dem Stalle, in dem bequem zwanzig Pferde Platz gehabt hätten, zog ein magerer Gaul, dem die Knochen überall hervorstanden, mit seinen gelben wackeligen Zähnen einige Strohhalme aus der leeren Raufe und wendete von Zeit zu Zeit ein Auge, in dessen Höhle die Ratten von Montfaucon nicht das mindeste Atom Fett gefunden haben würden, der Türe zu. Auf der Schwelle des Hundestalles schlummerte ein einziger Hund. Er schlotterte in seiner zu weiten Haut, auf der die Muskeln sich in schlaffen Linien zeigten. Die Schnauze ruhte auf dem nicht sonderlich gepolsterten Kissen seiner Pfoten. Er schien an die Einsamkeit des Ortes so sehr gewöhnt, daß er auf alle Wachsamkeit verzichtet hatte und sich nicht um das mindeste Geräusch kümmerte, wie es Hunde doch sonst, selbst wenn sie schlafen, zu tun pflegen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Wollte man in das Wohnhaus treten, so stieß man auf eine ungeheure Treppe mit einem hölzernen Geländer. Sie hatte nur zwei Absätze, denn das Haus hatte nicht mehr als zwei Stockwerke. Bis an das erste war das Haus von Stein, von da an aus Backstein und Holz. Eine grüne Tür, deren Beschlag gelb geworden und nur noch durch einige früher einmal vergoldete Nägel festgehalten wurde, bildete den Zugang zu einem Raume, der in den fabelhaften Zeiten, da man in dieser verödeten Wohnung wirklich gegessen, vielleicht als Speisesaal gedient hatte.

Über dem Kamin von antiker Form prangte ein stattliches Hirschgeweih, und längs der Wände grinsten auf braun gewordener Leinwand verräucherte Bildnisse. Sie stellten gepanzerte Ritter dar, deren Helm neben ihnen stand oder von einem Pagen gehalten wurde, und die ihre tiefschwarzen Augen auf den Beschauer hefteten. Zwei oder drei davon, die mit förmlichem Moder überzogen waren, sahen fast aus wie verwesende Leichname und verrieten eine vollständige Gleichgültigkeit des letzten Nachkommen dieser tapfern Ritter gegen die Bildnisse seiner edlen Vorfahren. Abends, beim unsichern Schein der Lampen, mußte diese stumme und bewegungslose Galerie sich in eine Reihe furchtbarer und zugleich lächerlicher Gespenster verwandeln.

Nichts ist trauriger als vergessene Bildnisse in verlassenen Zimmern, diese halb verwischten Nachbildungen von Gestalten, die längst unter der Erde der Auflösung und Vernichtung alles Irdischen anheimgefallen sind.

In der Mitte dieses Saales stand ein Tisch von schwarz gewordenem Birnbaumholz, mit spiralförmig gedrehten Säulen, wie salomonische Füße, deren tausend Löcher Holzwürmer gespickt hatten, die in ihrer stillen Arbeit gestört worden waren. Eine feine graue Staubschicht, auf die der Finger Buchstaben zeichnen konnte, bedeckte die Platte und verriet, daß dieser Tisch nicht oft gedeckt wurde. Zwei Anricht- oder Kredenztische, mit einigen Schnitzereien verziert und wahrscheinlich zur gleichen Zeit wie der Tisch in einer glücklicheren Epoche gekauft, standen an den beiden Enden des Saales und trugen auf ihren halbleeren Gestellen defektes Geschirr von Ton oder Glas.

Fünf oder sechs Stühle waren mit Samt überzogen, der früher einmal dunkelrot gewesen war, aber jetzt gelblich aussah. Sie ließen ihr Polsterwerk durch die Ritzen des Überzugs hervorquellen und hinkten auf ihren ungleichen Füßen wie aus einem Kampfe nach Hause zurückkehrende Söldner.

Aus diesem Zimmer gelangte man in ein anderes, etwas weniger großes. Flämische Tapeten bedeckten die Wände, aber das Wort »Tapeten« darf in der Phantasie des Lesers durchaus keinen Gedanken an übertriebenen Luxus erwecken. Diese hier waren vielmehr abgenutzt und verschossen, die aufgegangenen Nähte zeigten hundert Löcher und hielten nur noch durch einige wenige Fäden und die Macht der Gewohnheit zusammen. Zuweilen krachte unvermutet eines der Möbel, als ob die gelangweilte Einsamkeit sich die Glieder dehnte, so daß der, der es hörte, unwillkürlich zusammenfuhr. Ein Bett mit gedrehten Säulen und gelblich gewordenen Vorhängen nahm die eine Ecke des Zimmers ein. Man hätte nicht gewagt, diese Vorhänge aufzuheben, aus Furcht dahinter im Schatten eine zusammengeduckte Spukgestalt oder unter der weißen Bettdecke die Umrisse einer spitzigen Nase, hervorstehender Backenknochen, gefalteter Hände und emporgerichteter Füße zu sehen, wie die steinernen, auf Grabmälern liegenden Bildsäulen.

Ein Tisch von schwarzem Holz mit Verzierungen von eingelegtem Messing, ein trüber schielender Spiegel, dessen Zinn, müde, kein menschliches Antlitz zurückwerfen zu können, losgegangen war, ein Sessel mit gesticktem Polster, worauf aber nur noch einige Silberfäden unter der verschossenen Seide und Wolle zu sehen waren, vervollständigten die Ausstattung dieses Zimmers, das für einen Menschen, der weder Geister noch Gespenster fürchtete, zur Not noch bewohnbar gewesen wäre.

Wenn man die im Hintergrunde dieses letzten Zimmers befindliche Tür öffnete, fiel man mit einem Male in tiefe Finsternis, ging man ins Leere, Dunkle und Unbekannte. Allmählich jedoch gewöhnte sich das Auge an dieses Dunkel. Lichtstrahlen milderten es, die durch die Ritzen der Fensterverschläge brachen. Man entdeckte eine Reihe verfallener Zimmer mit Dielen, die aus den Fugen gegangen und mit Glasscherben bedeckt waren, kahlen Wänden und durchlöcherten Decken, deren Dachsparren sichtbar waren und die das Wasser des Himmels hereindringen ließen, so daß diese Räume sich für die Volksversammlungen der Ratten und das Parlament der Fledermäuse ganz vortrefflich eignen mußten.

Oben in den Dachböden wohnten am Tage die Nachteulen und Uhus mit ihren gefiederten Ohren, ihren Katzenköpfen und ihren phosphoreszierenden runden Augen. Das an zwanzig Stellen eingefallene Dach gestattete diesen liebenswürdigen Vögeln freien Ein- und Ausgang. Jeden Abend flog der staubige Schwarm mit einem Geschrei, das Abergläubische erschreckt haben würde, davon, um in der Ferne die in diesem Hungerturme unauffindbare Nahrung zu suchen.

Die Zimmer des Erdgeschosses enthielten weiter nichts als ein halbes Dutzend Bündel Stroh und einige Gärtnergeräte. In dem einen sah man auch einen mit trockenem Laub gestopften Strohsack und eine wollene Decke, offenbar das Bett des einzigen dienstbaren Geistes im Schlosse.

Da der Leser von diesem Spaziergange durch die Räume der Einsamkeit, des Mangels und des Verfalles müde sein wird, wollen wir ihn in das einzige nicht ganz verödete Gemach des Schlosses, nämlich in die Küche, führen, deren Schornstein jene bei der Beschreibung des äußern Schlosses erwähnte leichte Rauchwolke zum Himmel steigen ließ.

Ein mageres Feuer leckte mit seinen gelben Zungen die Eisenplatte des Kamins und erreichte von Zeit zu Zeit den Boden eines darüberhängenden Kessels, während es sich zugleich auf den an der Wand hängenden zwei oder drei kupfernen Pfannen spiegelte. Das sich langsam erwärmende Wasser fing endlich an zu summen, und der Kessel röchelte in dem ringsum herrschenden Schweigen wie ein engbrüstiger Mensch. Einige mit dem Schaume aufwallende Kohlblätter verrieten, daß der kultivierte Teil des Gartens für dieses mehr als spartanische Gericht in Kontribution gesetzt worden war.

Ein alter magerer schwarzer Kater, dessen Fell einem alten abgenutzten Muff glich und dessen ausgefallenes Haar hier und da die bläuliche Haut zum Vorschein kommen ließ, saß so nahe am Feuer, als ihm dies möglich war, ohne sich den Bart zu versengen, und heftete seine grünen Augen, deren Pupille einen dünnen Strich bildete, mit eigennütziger Wachsamkeit auf den Kessel.

In der Tat schien es, als ob der in dieser Küche ganz allein anwesende Kater die Suppe für sich selbst kochte. Und zweifellos hatte auch er auf dem Tisch von Eichenholz einen Teller mit grünen und roten Blumen, einen zinnernen Becher, der von seinen Krallen zerkratzt zu sein schien und einen Krug zurechtgestellt, auf dessen Bauch man in plumper Malerei mit blauer Farbe das Wappen der Vorhalle und des Schlußsteins im Kreuzgewölbe sah.

Endlich ließ sich ein Schritt hören, ein schwerer, wuchtiger Tritt, der einer bejahrten Person; ein kurzer anmeldender Husten, die Klinke der Tür knarrte, und ein Mann, halb Bauer, halb Diener, trat in die Küche.

Bei dem Erscheinen des Mannes verließ der schwarze Kater, der schon seit langer Zeit auf vertrautem Fuße mit ihm zu stehen schien, seinen Platz am Herde und rieb sich freundschaftlich an seinen Beinen, krümmte den Rücken, öffnete und schloß seine Krallen und ließ jenes heisere Schnurren hören, das bei dem Katzengeschlecht der höchste Ausdruck von Wohlbehagen ist.

»Schon gut, schon gut, Beelzebub!« sagte der alte Mann, indem er sich bückte, um dem Kater mit seiner harten, schwieligen Hand zwei- oder dreimal über den haarigen Rücken zu fahren und auf diese Weise in der Höflichkeit nicht hinter einem Tier zurückzubleiben. »Ich weiß, daß du mich liebst, und wir, mein armer Herr und ich, sind hier einsam genug, um nicht unempfänglich für die Liebkosungen eines Tieres zu sein, das keine Seele besitzt, aber dennoch den Menschen zu verstehen scheint.«

Pierre, so hieß der alte Diener, nahm eine Handvoll Reiser und warf sie auf das halberloschene Feuer. Die Reiser knisterten und wanden sich, und es dauerte nicht lange, so loderte die Flamme, eine Rauchwolke vor sich herstoßend, hell und klar unter einem lustigen Kleingewehrfeuer von sprühenden Funken empor. Es war, als ob Salamander in dem Feuer herumtanzten. Pierre setzte sich unter dem Mantel des Kamins auf einen hölzernen Schemel, und Beelzebub nahm neben ihm auf dem Fußboden Platz.

Der Widerschein des Feuers beleuchtete das Gesicht des Mannes, das die Jahre, die Sonne, die freie Luft und die Unbilden der Witterung mehr gebräunt hatten als das eines Indianers. Einige Büschel weißen Haares, die unter der blauen, glatt über den Kopf gezogenen Mütze hervorquollen, machten die dunkelbraune Farbe des Gesichtes um so auffälliger und die schwarzen Augenbrauen bildeten zu dem Schnee des Haupthaares einen grellen Gegensatz. Wie die Leute von baskischer Abstammung hatte er ein langes Gesicht und eine Nase, die gekrümmt war wie der Schnabel eines Raubvogels. Große senkrechte Falten, die von Säbelhieben herzurühren schienen, durchfurchten seine Wangen von oben bis unten.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Eine Art Livree mit verschossenen Tressen und von einer Farbe, die selbst ein Maler von Beruf Mühe gehabt hätte zu bestimmen, bedeckte zur Hälfte seine hier und da von dem Panzer blankgeriebene oder geschwärzte lederne Weste. Pierre war nämlich Soldat gewesen, und einige Bestandteile seiner kriegerischen Ausrüstung vervollständigten seine bürgerliche Toilette. Den Rücken an die innere Fläche des Kamins lehnend, kreuzte er seine plumpen roten Hände, die hier und da violett aussahen wie die Blätter des Weinstockes zu Ende des Herbstes, über den Knien und bildete ein unbewegliches Seitenstück zu dem Kater. Beelzebub hockte in der Asche, den Kopf ihm zugekehrt, mit verhungertem und kläglichem Ausdruck und verfolgte mit tiefer Aufmerksamkeit das asthmatische Brodeln des Kessels.

»Der junge Herr bleibt heute recht lange«, murmelte Pierre, indem er durch die räucherigen, gelben Glasscheiben des einzigen Fensters, das die Küche erleuchtete, den letzten Lichtstreifen an dem mit schweren Regenwolken bedeckten westlichen Himmel erlöschen sah. »Was für ein Vergnügen kann er nur daran finden, so allein auf der Heide umherzustreichen? Freilich ist dieses Schloß so traurig, daß man sich anderwärts schwerlich noch mehr langweilen kann.«

Ein lustiges heiseres Gebell ließ sich vernehmen, das Pferd stampfte in seinem Stall mit dem Hufe und klirrte mit seiner Kette an dem Rande der Krippe. Der schwarze Kater unterbrach sich in der kleinen Toilette, die er machte, indem er mit seiner vorher mit Speichel befeuchteten Pfote sich über die Backen und die gestutzten Ohren fuhr, und näherte sich, wie ein liebreiches höfliches Tier, das seine Pflichten kennt und nach ihnen lebt, der Tür.

Diese öffnete sich. Pierre stand auf, nahm ehrerbietig seine Mütze ab, und der Neuangekommene trat in das Zimmer, während der alte Hund ihm voraneilte, einige Sprünge versuchte, aber altersschwach sofort auf den Boden zurückfiel.

Beelzebub verriet gegen Miraut durchaus nicht die Antipathie, die seinesgleichen gewöhnlich gegen das Hundegeschlecht an den Tag legen. Er betrachtete ihn im Gegenteil mit sehr freundschaftlichem Blick, indem er seine grünen Augen hin und her rollte und den Rücken krümmte. Man sah, daß sie einander schon längst kannten, und in der Einsamkeit des Schlosses sich oft Gesellschaft leisteten.

Der Baron von Sigognac – denn es war wirklich der Herr dieses verfallenen Schlosses, der jetzt in die Küche trat – war ein junger Mann von fünf- oder sechsundzwanzig Jahren, obschon man ihn auf den ersten Anblick vielleicht für älter gehalten hätte, so ernst und gesetzt erschien er. Das Gefühl der Ohnmacht, das eine Folge der Armut ist, hatte die Heiterkeit aus seinen Zügen verscheucht und jene Frühlingsblüte ertötet, die sonst jugendlichen Gesichtern eigen zu sein pflegt.

Obschon behend und von einer mehr rüstigen als schwachen Konstitution, bewegte der junge Baron sich doch mit einer apathischen Langsamkeit wie jemand, der vom Leben Abschied genommen. Seine Gesten waren verschlafen und tot, seine Haltung träge, und man sah ihm an, daß es ihm vollkommen gleich war, ob er hier oder dort wäre, ob er ginge oder käme.

Auf dem Kopfe trug er einen alten grauen Filzhut, der ihm viel zu weit war und bis auf die Augenbrauen herabfiel, so daß der junge Mann, um zu sehen, die Nase emporheben mußte. Eine Feder, die infolge ihrer Kahlheit mehr einer Fischgräte glich, fiel schlaff hinten vom Hute herab, als ob sie sich vor sich selbst schämte. Ein antiker Spitzenkragen, dessen Löcher nicht alle von der Geschicklichkeit des Arbeiters herrührten, war über den Ausschnitt des Wamses herabgeschlagen. Dessen weite Falten verrieten, daß es für einen Mann zugeschnitten worden, der größer und stärker war als der schlanke junge Baron. Die Ärmel dieses Wamses bedeckten die Hände wie Manschetten, und die großen, mit eisernen Sporen bewaffneten Stiefel reichten ihm bis an den Leib herauf. Dieses wunderliche Kostüm war das seines vor mehreren Jahren verstorbenen Vaters, dessen Kleider er vollends abtrug, obschon sie bereits zur Zeit des Ablebens ihres ersten Besitzers für den Trödler reif waren. In dieser Weise ausstaffiert, bot der junge Baron einen gleichzeitig lächerlichen und rührenden Anblick dar. Man hätte ihn für seinen eigenen Großvater halten können. Obschon er gegen das Andenken seines Vaters eine durchaus kindliche Verehrung an den Tag legte und ihm oft die Tränen in die Augen traten, wenn er diese teuren Reliquien anlegte, die in ihren Falten Geste und Haltung des alten seligen Barons zu bewahren schienen, so machte der junge Sigognac doch von der Garderobe des Vaters nicht etwa deshalb Gebrauch, weil er Geschmack daran gefunden hätte. Er hatte ganz einfach keine andern Kleider und war sehr froh gewesen, als er in einem alten Koffer diesen Teil seiner Erbschaft gefunden. Seine Jünglingskleider waren zu klein und zu eng geworden. Die seines Vaters waren ihm wenigstens bequem. Die Bauern, daran gewöhnt, sie an dem alten Baron zu verehren, fanden sie beim Sohne nicht lächerlich und verneigten sich mit demselben Respekt davor, während sie die Risse des Wamses ebensowenig gewahrten wie die Sprünge in den Mauern des alten Schlosses. Sigognac war, wie arm er auch sein mochte, in ihren Augen immer der Herr, und der Verfall dieser Familie war ihnen nicht so auffällig, wie er fremden Leuten gewesen wäre. Der Baron setzte sich schweigend an den kleinen Tisch, nachdem er Pierres ehrerbietigen Gruß durch eine wohlwollende Handbewegung erwidert hatte.

Pierre hob den Kessel vom Feuer und goß den Inhalt auf das schon vorher geschnittene Brot in einen gewöhnlichen irdenen Napf, den er dem Baron vorsetzte. Es war dies die gewöhnliche Suppe, wie man sie jetzt noch in der Gascogne zu essen pflegt. Dann nahm er aus dem Schranke ein großes Stück Speck auf einem Holzteller, der mit einer mit Maismehl bestreuten Serviette bedeckt war, und setzte es auf den Tisch. Dies war das frugale Mahl des Barons, der mit zerstreuter Miene aß, während der Hund und die Katze rechts und links neben ihm die Schnauzen in die Luft emporreckten und warteten, daß auch ihnen einige Brosamen von dem Schmause zufielen. Von Zeit zu Zeit warf der Baron einen Bissen Brot, den er vorher an dem Speck gerieben, um ihm wenigstens einen Fleischgeruch mitzuteilen, dem Hunde zu, der den Bissen nicht erst auf den Boden fallen ließ, sondern geschickt aufschnappte. Die Speckschwarte fiel dem Kater zu, dessen Befriedigung sich durch dumpfes Schnurren und die ausgestreckte Pfote verriet, indem er zugleich alle Krallen ausstreckte, wie um sich zur Verteidigung seiner Beute bereitzuhalten.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Nachdem dieses magere Mahl beendet war, schien der Baron in schmerzliche Betrachtungen oder wenigstens in eine Zerstreutheit zu versinken, deren Gegenstand nichts Angenehmes war. Miraut, der Hund, hatte seinen Kopf auf das Knie seines Herrn gelegt und heftete auf ihn seine von Alter bläulich umschleierten Augen, aus denen ein Funke beinahe menschlicher Intelligenz zu leuchten schien. Es war, als ob er die Gedanken des Barons verstünde und ihm seine Sympathie zu zeigen suchte.

Beelzebub schnurrte so geräuschvoll wie möglich und ließ von Zeit zu Zeit ein leises, klägliches Miauen hören, um die anderwärts weilende Aufmerksamkeit des Barons auf sich zu lenken. Pierre stand in einiger Entfernung unbeweglich wie jene langen, steifen Granitbildsäulen, die man an den Vorhallen der Kathedralen sieht. Das Nachdenken seines Herrn respektierend, verharrte er stumm, in der Erwartung eines Befehles.

Indes war es Nacht geworden, und große Schatten sammelten sich in den Winkeln der Küche gleich den Fledermäusen, die sich mit den Fingern ihrer Flügelhäute an den Mauerrändern festkrallen. Ein Rest des Feuers, das der im Herde eingefangene Wind zum Leben erweckte, färbte mit seltsamem Widerscheine die um den Tisch vereinigte Gruppe mit einer Art trauriger Vertraulichkeit und machte die melancholische Verlassenheit des Schlosses noch fühlbarer.

Von einer früher mächtigen und reichen Familie war nur noch ein vereinzelter Sprößling übrig, der wie ein Schatten in diesem von seinen Ahnen bevölkerten Herrensitze umherirrte. Von den zahlreichen Dienern war nur noch ein einziger vorhanden, der bloß aus treuer Anhänglichkeit blieb und nicht wieder ersetzt werden konnte. Von einer Meute von dreißig Jagdhunden lebte nur noch ein einziger, beinahe blind und ganz altersgrau, und ein schwarzer Kater mußte Leben in die verödete Wohnung bringen helfen.

Der Baron gab Pierre durch einen Wink zu verstehen, daß er sich zur Ruhe begeben wolle. Pierre bückte sich, zündete einen Kienspan, wie die armen Landleute sich deren als Licht bedienen, an und begann dem jungen Herrn voranzuschreiten. Miraut und Beelzebub bildeten den Nachtrab. Der rauchige Schein der Fackel ließ die verblichenen Freskogemälde an den Wänden der Treppe hin und her schwanken und verlieh den Bildnissen im Speisesaal, deren schwarze starre Augen einen Blick schmerzlichen Mitleids auf ihren Nachkommen zu werfen schienen, einen Schein von Leben.

In dem bereits beschriebenen gespenstischen Schlafzimmer angelangt, zündete Pierre eine kleine Messinglampe an, deren Docht sich in dem Öle krümmte wie ein Bandwurm im Spiritus im Schaufenster eines Apothekers. Dann zog er sich mit Miraut zurück. Beelzebub, der sich größerer Vorrechte erfreute, lagerte sich auf einem der Sessel. Der Baron sank, niedergedrückt durch Einsamkeit, Beschäftigungslosigkeit und Langweile, auf den andern nieder.

Das Wetter war schlecht geworden, und große von dem Wind gepeitschte Regentropfen schlugen an die in ihren bleiernen Maschen gerüttelten Fensterscheiben. Zuweilen schien die Verglasung sich öffnen zu wollen, als ob von draußen eine Hand daran herumarbeitete. Es war das Knie des Sturmes, der auf das zerbrechliche Hindernis drückte. Manchmal stieß, um das Konzert durch eine neue Stimme zu vermehren, eine der unter dem Dache nistenden Eulen einen kläglichen Schrei aus, der klang, als wenn ein Kind erdrosselt würde, und streifte mit schwerem Flügelschlag an dem Fenster vorbei.

Der Herr dieser traurigen Räume war an diese unheimliche Musik gewöhnt und achtete weiter nicht darauf. Nur der Kater bewegte mit der den Tieren seiner Gattung angeborenen Unruhe bei jedem Geräusch die Wurzeln seiner gestutzten Ohren und blickte starr in die finstern Winkel, als ob er mit seinen im Dunkel sehenden Augen etwas für das menschliche Auge Unsichtbares wahrgenommen hätte.

Sigognac nahm von dem Tische ein kleines Buch, dessen abgerissener Einband das Wappen der Familie trug, und begann nachlässig darin herumzublättern.

Wenn auch seine Augen genau den Zeilen folgten, so waren doch seine Gedanken anderwärts oder fanden an den Liebesgedichten Ronsards trotz ihrer schönen Reime und ihrer gelehrten Anspielungen ein nur mäßiges Interesse. Es dauerte nicht lange, so warf er das Buch wieder von sich und begann sein Wams langsam aufzuknöpfen wie ein Mensch, der nicht Lust hat, zu schlafen, und sich bloß niederlegt, weil er nicht weiß, was er sonst beginnen soll, und die Langweile in den Schlaf zu versenken sucht. Die Sandkörner fallen gar so langsam in einer schwarzen, regnerischen Nacht im Innern eines verfallenen Schlosses, das ein Ozean von Heidekraut umgibt, und wo kein einziges Lebewesen auf zehn Meilen in der Runde anzutreffen ist.

Der junge Baron, der einzige noch lebende Sprößling der Familie Sigognac, hatte in der Tat viele Beweggründe zur Melancholie. Seine Vorfahren hatten sich auf verschiedene Weise ruiniert, teils durch das Spiel, teils durch den Krieg, teils durch die eitle Begier nach Glanz, so daß jede Generation der nachfolgenden ein immer kleineres Erbteil hinterlassen hatte. Die Lehensgüter, die Meiereien, die Pachthöfe und die Ländereien, die zu dem Schlosse gehörten, waren eins nach dem andern in fremde Hände übergegangen, und der letzte Sigognac hatte nach unerhörten Anstrengungen, um das Vermögen der Familie wieder herzustellen, seinem Sohne weiter nichts hinterlassen als dieses alte verfallene Schloß und die wenigen Äcker unfruchtbaren Bodens, die die nächste Umgebung bildeten. Der Rest war in die Hände der Gläubiger gefallen.

Schon in frühester Jugend seiner Mutter beraubt, die vor Schwermut in diesem verfallenen Schlosse gestorben war, weil sie an das Elend dachte, das später auf ihrem Sohne lasten und ihm jede Laufbahn verschließen mußte, kannte er nicht die süßen Liebkosungen und die zärtliche Fürsorge, von denen die Jugend selbst in den weniger glücklichen Familien umgeben ist. Die Liebe seines Vaters, den er gleichwohl betrauerte, hatte sich in der Regel nur durch einige Fußtritte oder Androhung der Peitsche zu erkennen gegeben.

In diesem Augenblick langweilte er sich so sehr, daß er glücklich gewesen wäre, eine dieser väterlichen Züchtigungen zu erhalten, bei deren Erinnerung ihm die Tränen in die Augen traten. Denn ein Fußtritt, den der Vater dem Sohne gibt, ist doch eine menschliche Kundgebung, und seit den vier Jahren, während der Baron ausgestreckt unter der Steinplatte in der Gruft der Familie Sigognac schlief, lebte der Sohn in der tiefsten Einsamkeit. Seinem jugendlichen Stolze widerstrebte es, bei den Festen und den Jagden unter dem Adel der Provinz ohne den seinem Stande zukommenden Glanz zu erscheinen.

Was würde man in der Tat gesagt haben, wenn man den Baron von Sigognac in dem Kostüm eines Bettlers oder Apfelpflückers gesehen hätte! Diese Erwägung hatte ihn auch abgehalten, seine Dienste irgendeinem Fürsten anzubieten. Viele Leute glaubten daher, die Sigognac seien vollkommen ausgestorben.

Seit einigen Augenblicken schien Beelzebub unruhig zu werden. Er hob den Kopf, als ob er etwas Befremdendes witterte. Er richtete sich an dem Fenster empor und stemmte die Pfoten an die Glasscheiben, als ob er die schwarze Regennacht durchdringen wollte. Seine Nase zuckte und bewegte sich. Es dauerte nicht lange, so wurden diese Pantomimen durch ein lang anhaltendes Geheul des Hundes draußen unterstützt. Ganz bestimmt ging in der gewöhnlich so ruhigen Umgebung des Schlosses etwas ganz Besonderes vor.

Miraut fuhr fort, mit der ganzen Energie seiner chronischen Heiserkeit zu bellen. Der Baron knüpfte, um auf jedes Ereignis gefaßt zu sein, das Wams, das er auszuziehen im Begriffe gewesen war, wieder zu und stand auf.

»Was hat denn Miraut, der sonst, sobald die Sonne untergegangen ist, auf dem Stroh seiner Hütte schnarcht wie der Hund der Siebenschläfer? Warum macht er einen solchen Lärm? Sollte vielleicht ein Wolf um das Haus herumschleichen?« sagte der junge Mann, indem er einen Degen mit schwerer eiserner Glocke umgürtete, den er von der Mauer herabnahm und dessen Riemen er in das allerletzte Loch schnallte, denn der für die Taille des alten Barons zugeschnittene Lederstreifen wäre um die des Sohnes zweimal herumgegangen.

Drei ziemlich heftige Schläge, die an das Tor des Schlosses geführt wurden, hallten in gemessenen Abständen und weckten das Echo in den leeren Räumen.

Wer konnte zu dieser Stunde die Einsamkeit des Schlosses und das Schweigen der Nacht stören? Pochte vielleicht ein schlecht unterrichteter Reisender an dieses Tor, das sich seit so langer Zeit keinem Gast geöffnet? (Allerdings nicht, weil es dem Wirt an Gastfreundschaft gebrach, sondern dem Hause an Besuchen.) Wer verlangte Aufnahme in diese Herberge des Hungers, in diesen Hof des Fastens, in dieses Haus der Entbehrung und der schmalen Bissen?

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