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Ein Tag aus dem Leben eines Hütbuben

Auf dem Girnhof bekam das sechste Kind den ersten Zahn. Da schrie es nun die ganze Nacht. Die Bäuerin konnte daher kein Auge schließen, so schläfrig und müde sie war. Aber der Bauer schlief. Sie hätte ihn gern mit dem Verlangen geweckt, dass er an ihrer Verzagtheit und an dem Schmerze des Kindes wie ein fühlender Ehemann und Vater Anteil nehmen solle. Aber das durfte sie nicht, sonst würde er grob. Sie hatte den Mann sonst ganz gern, aber sein gesunder Schlaf empörte sie. Und sie neidete ihm denselben. Ums Morgengrauen war es ihr erlaubt, den Schläfer aufzurütteln, damit er die Dienstleute wecken gehe. Darum sah sie oft so sehnsüchtig durch das Fenster auf die östlichen Berge, ob sich über diesen noch kein Wölkchen röten wollte. Bei der Entdeckung des ersten Tagesscheines fasste sie den Mann derb an den Schultern.

»Geh die Leut' auftreiben, dass was ausg'richt wird!« schrie sie. »Es zeigt sich ein schöner Tag, den man nutzen muss!«

Der junge, blonde Riese war zwar unwillig über die raue Störung der süßen Ruhe, konnte aber zu seinem Ärger nichts Begründetes dagegen einwenden. Unter unverständlichem Gebrumme stand er auf und ging hinaus. Der Magd, die jenseits des Hausflures in der Kammer lag, durfte er seinen Missmut nicht fühlen lassen. Die ließ sich nicht anschreien, auch dann nicht, wenn sie das verdiente. Sie gab auf jedes böse Wort eine gar viel bösere Antwort und durfte sich das wohl gestatten, da sie doch bei der im Tale herrschenden Mägdenot jederzeit zehn Dienste für einen bekam.

»Steh auf, Lenerl«, mahnte der Bauer ganz sanft zu der Tür hinein.

»Ja, gleich, bis es Zeit dazu wird«, antwortete sie mit schöner Ruhe, und dann setzte sie ein klein wenig eifriger hinzu: »Nach der Uhr, die Deine Bäuerin im Kopf hat, braucht sich kein gescheiter Mensch zu richten.«

Das stimmte nun den Bauern nicht holder. Aber er ging stumm in die Futterkammer zu dem Knechte. Den durfte er auch nicht anfahren, wie er gewollt hätte. »Jogl«, sagte er, »Tag wird's.«

»Das hoff' ich selber«, entgegnete der Knecht. »Wär auch traurig, wenn es Nacht bliebe. Nun und bis es richtig Tag ist, dann darfst Du mich wecken, Bauer, verstehst?«

Der Bauer verstand heute noch keinen Spaß. Er stieg über die Leiter auf den Futterboden. Hier oben lag Micherl, der Hütbube. Dem durfte er nun ohne Scheu und Bedenken auf jede beliebige Art seine Laune zeigen. Der Bube konnte sich noch um kein Recht wehren. Er wusste niemanden, zu dem er klagen gehen konnte, und fühlte sich dem Bauern ausgeliefert mit Leib und Seele. Einen Vormund hatte er wohl weit oben im Waldgereute, so einen ganz notigen Bergbauern, der unserem Herrgott noch keinen Abend für den Tag danken konnte und doch immer wieder um ein glückliches Morgen betete.

Aber um das Leben Micherls zu beten, würde sich dieser Vormund kaum unterstanden haben, wenn der junge Girnhofer die Hinrichtung des armen Jungen beschlossen hätte. Der Notvogel schuldete dem jungen Talbauern dreihundert Gulden. Micherl war so wie alle Tage arg herum gehetzt worden. Er schlief jetzt recht gut und hätte noch einiger Ruhestunden bedurft. Bloß mit einem verschlissenen, grobleinernen Hemd bekleidet, lag er hier auf dem Heuhaufen. Für seine vierzehn Jahre war er groß und stark genug. Das gute Aussehen dankte er aber weniger der Kost und Behandlung auf dem Girnhofe als der Abstammung von einer starken, prächtigen, unverwüstlichen Waldlerart. Der Bauer fasste ihn nun hinten am Genick wie einen Hund und zog ihn empor.

»Ich bin ja eh schon munter«, sagte Micherl und fing vor Schmerz und Verzweiflung über die Peinigung zu weinen an. Gestern war er weinend eingeschlafen, und heute fing er den Tag mit Weinen an.

Er riss sich von der fest zu zwickenden Hand des Bauern los, und nachdem er sich um seine Hosen gebückt, wollte er die Bodenleiter hinunter flüchten. Der Bauer versperrte ihm aber den Weg.

»Was? Eine Leiter braucht so ein Bub? In Deinen Jahren bin ich allmal in die Futterkammer hinunter gehüpft.« Micherl erschreckte vor dem verlangten Sprunge nicht zurück. Aber er hüpfte auf den Knecht, den er unten im Finstern nicht sah. Dem Knechte schadete das zwar nicht, aber er hielt den Burschen doch fest, um ihn einige Püffe zu versetzen. Jetzt lachte der Bauer oben, und seine Laune war besser, als er die Leiter hinabstieg. Micherl hatte auf den Knecht nicht zurückgeschlagen. Er glaubte schon beinahe daran, dass nur er geschlagen werden dürfe. Mit dem Mundwerke konnte er sich auch kaum verteidigen. Die anderen hatten ihn schon nahezu wortlos gemacht. Weil er sein Unglück nicht auszudrücken vermochte, fühlte er es um desto tiefer. Die fortgesetzten Misshandlungen hatten ihn aber seltsamerweise nicht abgestumpft, sonder seine Empfindlichkeit immer mehr gesteigert. Er torkelte jetzt mit schwindelndem Kopfe nach dem Kuhstalle. Es war seine Pflicht, der Magd bei dem Betreuen der Kühe zu helfen. Da er aber gleichzeitig dem Knechte im Ochsenstalle helfen sollte, ging es ihm in der Futterzeit zumeist recht übel. Hielt er sich bei der Magd auf, schwor ihm der Knecht das Verderben, war er bei dem Knechte, so wütete die Magd. Die Magd verstand es, ihm mit ihrer Zunge noch unerträglicher zuzusetzen als der Knecht mit den Fäusten. Darum bemühte sich Micherl, es zuvörderst immer dem Weibe rechtzumachen. So wollte er auch jetzt das Erstnötige im Kuhstalle besorgen, ehe der Knecht aufstand. Aber der Knecht ärgerte sich heute schon zu viel, um noch den Morgenschlaf genießen zu können. Er kam früher in den Stall, als es Micherl erwartete. Als nun der große, starke Mensch die Barren im Ochsenstalle noch nicht rein fand, fing er gleich Micherl am Arme ab. »Was hast Du denn die ganze Zeit getan? Um der Dirn ihr Lieb' hast Dich bemüht, gelt? Da muss ich Dir mehr Gefühl für mich beibringen, wart!« Er drängte den Burschen mit Fauststößen in die Stallecke. Aber Micherl war diesmal ganz besonders geschickt und entschlüpfte zwischen den langen Beinen seines Bedrängers, ehe ihn dieser an die Wand brachte, um ihn dort erst recht zu plagen. Auf dem Stallgange kam er der Magd in den Wurf. Die konnte es sich auch nicht versagen, ihm mit den Worten einen Puff zu geben. »Da hast, sonst vergisst Du mich und Deine Schuldigkeit im Kuhstalle.«

Während dann Micherl im Kuhstalle den Mist zusammenwarf, ging der Knecht fort, um das Futter für den Tag zu mähen. »Fahr gleich mit den Ochsen nach!« schrie er dem Hütbuben noch zu. Der Junge musste dann schleunig den vier Ochsen die Geschirre anlegen. Die Tiere waren noch jung und ließen sich nur schwer an den Wagen spannen. Mit unsäglicher Mühe und Not brachte er's doch zustande. Beim Fahren konnte er der noch schlecht geschulten Ochsen auch nicht recht Herr werden. Sie gingen ihm manchmal durch. Und so auch heute. Diesmal rasten sie mit dem Wagen mitten in den Jungklee hinein. Die Durchbrenner kamen dann haarscharf an dem Knechte vorüber, der noch keinen Sensenhieb getan hatte, sondern im Klee lag. Der Bursche konnte von Glück reden, dass der Wagen nicht über ihn ging. Er ließ den ausgestandenen Schrecken erst recht tüchtig die Ochsen entgelten. Darauf legte er den Hütbuben über die Wagenleiter und bearbeitete mit der Faust dessen Rückseite.

»So«, sagte er dann, »weil Du die Ochsen nicht halten kannst, muss ich bei ihnen bleiben, und Du mäh' den Klee. »Mäh' aber sauber, dass es der Bauer net kennt, dass Du gemäht hast, sonst muss ich ihm's erzählen, dass die Ochsen davon sind und dann – Du kennst ihn schon.«

Der Knecht war recht froh, dass er einen so guten Vorwand fand, sich bei den Ochsen wieder hinlegen zu können. Micherl verrenkte sich nun an der schweren Sense mit aller Gewalt den Leib. Der Schweiß troff von ihm, dass Hemd und Hosen zum Auswinden nass genug wurden. Und doch schrie der liegende Knecht immer wieder herüber: »Tummle Dich, tummle Dich! Und mach' es gut – sonst…«

Aufladen half ihm der Knecht doch, denn er war mittlerweile auch des Liegens überdrüssig geworden. Bei der Heimfahrt legte er sich aber wieder auf die Fuhre, und das Gespann ließ er den Jungen lenken.

»Damit Du doch ein wenig das Fahren lernst«, sagte er. Als sie heimkamen, schrie die Bäuerin zum Frühstück. Micherl musste jetzt vor allem die Ochsen ausschirren. Der Knecht ging gleich hinauf in die Stube. Als Micherl mit seiner Arbeit fertig war und hinaufkam, fand er die Milchschüssel schon fast leer. Er hatte den Löffel kaum zum Munde gebracht, da hörte man draußen im Stalle eine Kuh brüllen.

»Eine Kuh hat sich losgerissen«, sagte der Bauer.

»Deswegen iss ich doch mein Frühstück«, antwortete die Magd.

»So muss ich die Kuh selber anhängen gehen?« fragte der Bauer zornig.

»Nein, das musst Du nicht«, lächelte die Magd. »Aber mein Frühstück musst Du mich essen lassen.«

Da kehrte der Bauer seinen Zorn wieder gegen Micherl. »Der Bub tät sich auch nicht rühren, wenn das Haus im Feuer stünde. Allemal muss man ihm das Aufstehen vom Essen erst schaffen.«

So ging Micherl, ohne gefrühstückt zu haben, wieder hinaus, um die losgerissene Kuh anzuhängen. In die Stube zurück getraute er sich nicht mehr, und er wusste ja auch, dass unterdessen die Milchschüssel leer geworden war.

»Das Vieh austreiben!« schrie hernach der Bauer zur Küchentür in den Hof hinaus. Micherl ließ die fünfzehn Rinder von den Ketten, dann trieb er die Herde auf den Berghang. Dort war nun das Hüten eine schwere Mühe. Die Weide war von Saatengefilde umgeben, da ging das Vieh gar zu gerne von dem mageren Heideboden auf den feisten Ackergrund naschen. Micherl befand sich oft in heller Verzweiflung, wenn er gleichzeitig eine Kuh in des Nachbarn Krautfeld, eine andere in des Gemeindebüttels Erbsen und einen Stier im Flachse der Nachbarn sah. Dem Burschen waren bei diesem Hüten immer die Beine zu kurz und die Lungen zu eng. Den Nachbarn aber erbarmte er nicht, wenn sie sich von seiner Herde geschädigt sahen, und sie schlugen ihn, sooft es nur sein konnte.

Beim Herumtreiben begegnete er dem Bauern, der mit den vier Ochsen zum Brachfeldackern ausfuhr. »Das Vieh sollt schon daheim sein«, sagte der junge Mann. »Tracht' nur, damit Du mir bald nachkommst auf das Feld. Musst mir beim Ackern die Ochsen führen.« Micherl tat nur sein Möglichstes, um dem Bauern bald wieder nachzukommen. Aber daheim hielt ihn die Bäuerin auf. Sie gab ihm das Kleinste zum Tragen.

»Ich muss ja dem Bauern nach«, sträubte sich Micherl.

»Jetzt musst Du das Kind halten«, entgegnete sie. »Widerred' nur nicht – sonst…« Sie hatte nun freilich wichtige Arbeit genug und nahm ihm das Kind ab, sobald es ihr nur wieder möglich war. Aber Micherl kam dem Bauern, der unterdessen draußen auf dem Acker auf dem Raine lag, doch zu spät.

»Hab' ich nicht gesagt, Du darfst Dich nicht aufhalten daheim?« schrie er den Jungen an.

»Ich hab' ja das Kind halten müssen«, verteidigte sich Micherl. »Sonst hätt' mich die Bäuerin geschlagen.«

Da lachte der Bauer. »Lässt Du Dich von mir lieber schlagen?« Diesmal tat er dem Knaben nichts. Aber der wusste wohl, was ihm beim Ochsenführen bevorstand. Das Brachfeld war nicht leicht zu ackern. Sooft nun der Pflug durch einen schiefen Tritt eines Tieres aus der rechten Lage kam, machte der Bauer den Buben dafür verantwortlich, obwohl dieser mit dem besten Willen seine ganze Kraft aufbot. Es war kein Wunder, wenn der Bauer bei diesem mühseligen Werke hie und da recht zornig wurde. Aber es gelüstete ihn dann immer, mit der Peitsche nach den nackten Waden des Hütbuben zu schnalzen. Micherl schrie längst nicht mehr bei den brennenden Peitschenhieben. Nach einem besonders schmerzenden Hiebe sah er heut einmal groß und starr auf den Bauern zurück, als wollte er sagen: »Mir wäre es doch viel lieber, wenn Du mich auf einmal erschlügest.« Der Bauer verstand den Blick auch. Er wurde dann fast ein wenig schamrot und verlegen und sagte: »Ich kann mir nicht anders helfen in meiner Wut. Musst Dich halt damit trösten, dass wir nicht alle Tage ackern.« In kurzer Zeit schlug er den Burschen wieder. Aber beim Heimfahren ließ er ihn auf dem Wagen liegen. Nach einem Blick auf die mit Striemen bedeckten Waden des Buben sagte er dann:

»Mir ist's auch nicht anders gangen, wie ich Hütbub war. Mein Vater hat mir auch keinen Hieb geschenkt. Aber was wirst Du denn sagen, wenn Dich ein Fremder fragt, warum Deine Füße so aussehen?«

Micherl fand darauf sobald keine Antwort. Er sah den Mann nur staunend an. In dem Gesichte des jungen Riesen malte sich jetzt doch recht deutlich ein Erbarmen für das arme Kind.

»Musst mir nicht böse sein, ich kann mir in meiner Gall gegen das wilde Blut nit helfen«, sagte er plötzlich ganz weich und fuhr dem Jungen mit der rauen Hand milde und schmeichelnd über die Striemen hin. Dann fragte er ihn wieder mit einem innigen, um Vergebung flehenden Blicke: »Nun, was wirst Du denn sagen, wenn Dich jemand dieser Striemen wegen fragt?«

Da wusste nun Micherl plötzlich die Antwort. Und aus seinen tiefen, blauen Augen sprach ein großes Herz, als er antwortete:

»Ich werde sagen, dass ich unversehens in die Dornen kam.«

Der Bauer nickte nun recht dankbar und anerkennend: »Ja, Du bist's imstand', dass Du das sagst. Du wirst noch ein ganzer Mann. Das kennt man schon.« Micherl konnte sich daraufhin heute einmal mit einem großen Gefühl der Befriedigung zu Mittagsmahle setzen. Dafür wurde ihm dann bald wieder das Essen verleidet.

»Ein Wetter kommt über den Leuchtenberg her!« schrie da plötzlich eine Nachbarin zu Stubenfenster herein. »G'rad fliegen tut's. Schaut zum Heu!« Der Bauer warf den Löffel hin. »Geschwind eines hinaus, das Heu zusammentun!« rief er.

»Ich iss jetzt«, sagte die Magd. »Das Essen gehört gewiss so gut zum Leben wie das Heueinbringen.«

»Das sag' ich auch«, murmelte der Knecht.

»Renn', Micherl!« rief nun der Bauer. »Tracht' nur recht draußen. Wir kommen gleich alle mit den Wagen nach.« Als Micherl auf die Höhe des Dorfberges kam, hinter welchem die Wiesen lagen, sah er das drohende Wolkengespenst erst gehörig. Aus dem ungeheuren, schwarzen Gewitterstocke gingen die lichten Wasserstrahlen schon auf die nächsten Gegenden des Hochtales nieder. Zum Heueinfahren war es da wohl zu spät. Micherl fing nun doch an, das Heu zusammen zu häufen, weil ihm so befohlen worden war. Als der Bauer, der Knecht und die Magd mit den zwei Wagen kamen, fing es eben zu regnen an. Der Bauer hoffte trotzdem noch, dass das Gewitter eine andere Richtung nehmen würde. Die Magd musste zum Heulegen auf den Wagen des Knechtes und Micherl auf denjenigen des Bauern. Dann luden die beiden Männer um die Wette auf. Bei dem Bauern als dem weitaus Stärkeren ging es auch weitaus schneller vorwärts. Er warf dem Micherl Haufen hin, die denselben manchmal völlig begruben. Es war dem Jungen unmöglich, diese Massen oben so schnell in Ordnung zu bringen, als es der Bauer verlangte. Der arme Junge meinte bei diesem wilden Jagen jeden Augenblick vor Atemnot, Schwäche und Verzagtheit umkommen zu müssen. Aber der Bauer, der jetzt nur an die Bergung des Heues dachte, schrie den Gequälten immer wieder an: »Leg' die Fuhr gerade! Wenn wir umschmeißen, so…«

Wie er aber dann wieder einmal über eine tiefen Wiesengraben zu einem neuen Heuhaufen fuhr, fiel die Fuhre wirklich. Es war nicht genau zu bestimmen, ob das schiefe Legen oder das scharfe Anfahren mehr schuld an dem Unglücke trug. Jedenfalls war nun bei dem schon dicht strömenden Regen alle weitere Arbeit mit dem Heu lächerlich. Jetzt fiel der Bauer wieder in seiner sinnlosen Wut über den Jungen her. Aber er kam diesmal nicht dazu, ihn nach Lust durchzuwalken. Die Magd störte ihn dabei. Sie war vom Wagen gesprungen, als ihr das Heuladen in dem Regen zu dumm wurde, und stand jetzt lachend vor dem Bauern.

»So, so, sind wir darum ausgefahren, Bauer? Ich hab' mir's gleich gedacht, wie ich das Wetter sah. Wir fahren um kein Heu, wir fahren nur aus damit der Bub wieder ein wenig geschunden werden darf. Gelt, das hast Du Dir selber gedacht, Bauer, gelt?«

Damit machte sie nun dem Bauern die Zunge lahm. Er konnte ihr, so sehr ihn auch diese Beschämung ärgerte, nur stumm den Rücken kehren. Wenn er sich auf einen Streit mit diesem Weibe einließ, musste er auf jeden Fall jämmerlich verspielen. Sie fuhren nun alle mit dem leeren Wagen heim. Am Nachmittag musste dann Micherl wieder bei strömendem Regen mit dem Vieh hinaus. Und am Abend ging es ihm bei der Stallarbeit nicht viel besser als am Morgen. Es war schon tief in der Nacht, als er seine Liegestätte am Heuboden aufsuchen konnte. Er war dann zu müde und zu unglücklich, um gleich einschlafen zu können. Lange lag er nicht, da schrie unten im Hofe der Bauer: »Geschwind, Leut, das Bergwasser kommt! Wir haben eine Stoß Scheitholz am Bach stehen! Das müssen wir wegräumen, sonst ist es hin!« In einigen Minuten darauf gingen der Bauer, der Knecht und Micherl an dem stark angeschwollenen Bergbache hinauf in den Wald. Micherl musste vorne mit einer Pechfackel leuchten. Der Bauer und der Knecht trugen Floßhaken, um von dem Holze noch etwas retten zu können, falls dieses schon schwimmen sollte. Das Holz schwamm nun wirklich schon. Die beiden Männer waren im Auffangen der Scheiter schon recht geübt. Aber die Finsternis erschwerte die Arbeit. Eine gute Hälfte des Holzes ging ihnen durch, weil sie es nicht ordentlich sahen. Micherl hatte ihnen erst vom Ufer aus geleuchtet. Aber dann zwang ihn der Bauer, dass er sich mit der Fackel so weit in den Bach hineinstellte, als es nur anging. Da musste nun Micherl die müden Beine mit aller Gewalt gegen den Schwall spreizen, damit ihn dieser nicht umstieß. Einmal fuhren ihm dann allzugleich zwei große Scheite mit Wucht an die Knie und warfen ihn rücklings hin in das Wasser. Jetzt herrschte tiefste Finsternis um die Männer. Die Fackel war gleich unwiederbringlich dahin. Den Jungen erwischte der Bauer gerade noch an den Beinen.

»Der Schlingel!« rief der Knecht. »Damit das Leuchten aufhört, ist er umgefallen.« Dabei war er aber froh, dass mit dem Leuchten die Arbeit aufgehört hatte.

»Nein«, sagte der Bauer, nachdem er den in seinen Armen liegenden, nun ganz lenklosen, zermarterten Leib des Jungen prüfend vor die Augen gehalten hatte. »Ein Scheit hat ihn umgestoßen. Er blutet.« Dann legte er Micherl auf den Uferrand hin, nahm den Hut ab und strich darunter ein Zündholz an. Bei dem Scheine dieses Lichtes sah er nun dem Buben plötzlich ganz angstvoll in die Augen: »Wirst Du denn jetzt nicht gehen können, Micherl? Wird Dich wohl heimtragen müssen, gelt?«

Da hob der Knabe bittend die Hände zu ihm empor: »Ich bitt' Dich, lass mich liegen. Ich bitt'Dich!«

»Was?« rief der Bauer befremdet. »Soll das heißen, dass Du jetzt lieber sterben als bei mir weiterdienen möchtest?«

»Quäl' Dich nit ab, Bauer«, sagte der Knecht, der nun auch die Knie Micherls angesehen hatte. »Er ist nur abgeschunden da. Morgen rennt er wieder wie heut'« Und dann tröstete er den Buben höhnisch: »Lass 's nur gehen, Micherl, morgen hast Du wenigstens einen Vorwand, dass Du Dir – beim Brachfeldackern die Waden einbinden kannst.« Der Bauer überhörte den Spott. Er hob nun den Jungen wieder auf und redete schmeichelnd in ihn ein. »Dich lass ich nit sterben. Was tät' ich denn ohne Hütbuben? Wo bekäm'ich denn einen so guten, braven wie Dich, der die notwendige Geduld und den guten Willen zu allem hätt'?«

Dann trug er ihn heim. Als er am nächsten Tag sah, dass der Junge wieder auf den Beinen stehen konnte, trieb er ihn wieder an wie am Tage zuvor und dachte dabei: Gute Bauernart hält das aus. Und Micherl stammte ja von so einer Art, die viel aushält.


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