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Nach meiner Folterung

Jetzt kam die Sehnsucht nach der fernen deutschen Heimat wieder. Ich glaubte, dieses Gefühl schon für immer überstanden zu haben. Und nun brach es aus den unerforschlichen Herzenstiefen mächtiger hervor als je. Da wusste ich, dass mir der, den wir heute begruben, in dem fremden Lande die Heimat gewesen war. Ich vergaß die übrige Welt, solange ich in derjenigen dieses Menschen lebte, der wie ein Weiser gedacht und wie ein Kind geträumt hatte. Jetzt lag er in der alten Schlosskirche bei seinen Ahnen, und ich war in dem prunkvollen Bojarenpalaste wieder ein Fremdling geworden. Wie am Abend nach meiner Ankunft stand ich nun wieder auf dem Balkon des Eckzimmers und sah nach der Richtung, aus welcher ich gekommen war. Unter meinen Füßen stürzte der felsige Schlossberg jäh in das schwarze, tausendwipfelige Waldmeer ab, welches auf sanften Bodenwellen in die Ferne zog. Hinten blaute das Land in den lichten Himmel hinaus, bis es mit diesem eins zu werden schien – nur eine haarfeine, blasse Linie war dort in den Ätherduft gemalt – der Zug des Uralgebirges. Mein Auge unterschied das Haupt des Blogodal, an dem ich bei der Herreise vorüberkam. In ein paar Tagen hoffte ich nun jenen Bergriesen, der sich von hier nicht größer als ein Fingerhut ausnahm, wieder mehrere hundert Meilen weit hinter dem Rücken zu haben.

Die leise Hand, welche mich damals aus dem eiligen Winde, der um den Balkon pfiff, an den großen Kamin geführt hatte, rührte sich nicht mehr. »Komm, mein Junge, Du musst bei mir heimisch werden.«

Fürst B. hatte mich an einer kleinen deutschen Universität gefunden. Ich wollte dort meine letzten Prüfungen machen und er einen berühmten Humanisten vortragen hören. Aber das ging uns beiden nicht aus. Mir fehlten zuletzt die nötigen Prüfungstaxen. Da führte ich nun ein erbärmliches Bummelleben. Und jener erhabene Gelehrte hatte eben diese kleinliche Welt verlassen, als der Fürst kam, um ihn kennen zu lernen. Bei einer Trauerkneipe, die eine Burschenschaft um den Dahingeschiedenen veranstaltete, bekam ich den jungen Aristokraten zum Sitznachbarn. Gleich bei dem ersten Kantus verliebte er sich in meinen Tenor. Dann gefielen ihm auch meine Persönlichkeit und mein Sprechen. Ich ließ es mir freilich auch sehr angelegen sein, Eindruck auf ihn zu machen – schon darum, weil er ein russischer Fürst war. Es dauerte aber nicht lange – da verehrte ich den Menschen in ihm mehr als den Fürsten. Schon nach ein paar Stunden kam da eine der überschwänglichsten Freundschaften zustande. Und nach ein paar Tagen folgte ich ihm auf sein Schloss an der Grenze Sibiriens. Und hier waren wir drei Jahre lang glücklich.

B. lebte auf seinen weiten Ländereien als ein richtiger Alleinherrscher. Das kleine Volk seiner Untertanen war das glücklichste, das ich jemals sah, und selbstverständlich auch das geistig beschränkteste. Arbeit und Zerstreuung gab es hier für uns beide genug. Wir spielten bald Bauern nach Tolstoischem Muster, bald Jäger, dann abwechselnd Volksbeglücker und Tyrannen und wirklich nur aus Ironie – Kulturmenschen. Dabei wurden wir wunderbar gesund und stark und hofften auch sehr alt zu werden, aber eines Tages sprang B. einem betrunkenen Bauern, der in den reißenden Turafluss fiel, nach. Darauf bekam er die Lungenentzündung, welche ihn hinraffte. Den Geretteten aber hatte ich gerade vorhin im Schlosshofe wieder betrunken gesehen. Es war ein alter Brauch hier, dass man den zur Leichenfeierlichkeit herbeiströmenden Landbewohnern recht viel zu essen und zu trinken gab. Da waren sie noch jetzt am Abend unten in den Räumen des Erdgeschoßes und zechten. Zuvor hatten sie alle ganz fürchterlich um ihr einziges »Dadjuschka« geheult, und nun hoben sie jeden Augenblick zu singen und zu krakeelen an. Pohotin, der Verwalter, schrie sie immer wieder sehr grob an, die Gesellschaft gefiel ihm aber deswegen doch. Er gab ihnen noch immerfort zu trinken und trank selber auch. »Trinkt nur«, hörte ich einen der Bauern unten sagen. »Dieser Leichentrunk ist das letzte Gute, was wir von unserem Herrn, der uns nur Gutes tat, genießen. Der neue Herr ist schlimmer als der Teufel.«

Auf diese Worte hin verzieh ich es den Leuten, dass sie sich betäubten. Sie sahen bösen Zeiten entgegen. Der neue Herr war wirklich ein Teufel. Er hauste auf einem alten, verwahrlosten Gute am Tobol mehr wie ein wildes Tier als wie ein Mensch. Der Fürst wollte mit ihm keine Gemeinschaft haben, obwohl er sein einziger Blutsverwandter war. Kenow kam fast niemals über die Grenzen seines eigenen kleinen Landes hinaus, in welchem er ganz nach seinen unberechenbaren Launen und Gelüsten herrschte. Und er wusste auch dafür zu sorgen, dass kein Unberufener seinen Boden betrat.

B. hatte ihn nur einmal in meiner Gesellschaft besucht. Wir waren damals froh gewesen, dass wir mit heiler Haut heim kamen. Der Fürst hatte seinem Vetter verschiedene Grausamkeiten vorgehalten, welche dieser an armen Dienstleuten beging. Darauf wollte Kenow den Fürsten einfach erschlagen, zog aber den Kürzeren, als ich mich mit meiner ansehnlichen Kraft in das Mittel legte. Nun war aber Kenow doch der Universalerbe des Fürsten, der ohne Testament starb. Ich verstand den Freund fast bis zu seiner letzten klaren Stunde bei dem Glauben zu erhalten, dass er wieder gesund würde. Mit dem Worte »Testament« hätte ich ihn arg erschreckt. Ich ließ es auch den Popen nicht aussprechen, der sich damit immer wieder zu dem Kranken drängen wollte. Der Priester schalt mich einen Narren. Er hätte mich gerne zum Universalerben gemacht, weil er Kenow hasste. Aber ich wollte den Freund um keinen Preis daran glauben lassen, dass er sterben müsse. Bis zum letzten Augenblick klammerte er sich an mich, als ob ich ihn retten könnte. Dass Kenow nicht zum Leichenbegängnis kam, stimmte mir ganz zu seinem Wesen. Ich dachte mir: »Desto sicherer kommt er morgen«, und hoffte vor seiner Ankunft schon fort zu sein. Zu reden hatten wir beide doch nichts miteinander. In aller Morgenfrühe wollte ich mich auf die Reise machen. Aber da sprengte er am späten Abend plötzlich auf seinem großen, roten Hengste in den Schlosshof, und hinter ihm ritt Mischwa, sein Lieblingsbursch. Ich lag schon im Bette, als sie kamen, und lief im Hemde an das Fenster, als ich das Pferdegetrappel hörte. Die im Erdgeschoße sausenden und johlenden Bauern hatte der erste Hufschlag mäuschenstill gemacht. Kenow sah, welche Orgie er hier unterbrochen hatte. Er trieb die Leute gleich mit der Reitpeitsche fort. Und Mischwa half ihm recht tüchtig. Die beiden schlugen zu, dass es nur so pfiff. Zuletzt nahmen sie den betrunkenen Schlossverwalter in die Arbeit. Die Hiebe schienen ihn nüchtern zu machen. Ich hörte ihn ganz gescheite Gründe zu seiner Entschuldigung vorbringen. »Ich will Dich leben lassen, weil Du uns doch ein Nachtmahl besorgen musst«, sagte ihm dann Kenow. Darauf begaben sie sich nach den Salons, die dem Trakte, in dem ich mich befand, gegenüberlagen. Der Verwalter musste in der ganzen langen Zimmerflucht die Lichter anzünden. Dann setzten sie sich im großen Saale zu Tisch. Ich konnte das alles genau sehen und hörte auch ein jedes ihrer Worte herüber, nachdem Mischwa die Fenster aufgerissen hatte. Kenow freute sich großartig über die gemachte Erbschaft, und von Trauer um den Fürsten war bei ihm keine Spur. Als der Verwalter kaltes Fleisch, Schnaps und Bier gebracht hatte, fragte ihn Kenow unter anderem auch um mich.

»Ist sein Bube noch da?«

»Ja«, sagte der Verwalter. »Er schläft aber schon.«

»Wo?«

»Da drüben.«

»Hol' ihn mir – oder warte, ich will ihm meine Aufwartung machen.«

Da verriegelte ich nun erst die Türe und legte mich sonach in das Bett, ziemlich neugierig, ob Kenow mir gegenüber nicht doch einige Manier beobachten werde. Aber schon das erste Klopfen war unhöflich laut.

»Was ist's«, rief ich.

»Dein Herr ist's!« sagte Kenow draußen.

»Mein Herr liegt unten in der Kirche«, antwortete ich.

»Dein Herr steht hier!« schrie Kenow, »und er will zu Dir. Mache auf, sonst…«

»Sonst?«

Da rannt er schon die Türe ein, dass sie krachend in das Zimmer flog. Um meine Ruhe war es nun geschehen. Ich sprang zornig aus dem Bette und hob den nächststehenden Stuhl an einem Beine empor. Das voll blühende, von wilder Freude glühende Gesicht des jungen Edelmannes sah mich nun verwundert an. Im nächsten Augenblick gab er seinem Knechte einen Wink. Schneller als ich nur den Sessel niedersausen lassen konnte, hatte mich jener furchtbar starke Kerl wehrlos gemacht. Erst hatte er sich geduckt, dann war er mir auf eine Art zwischen den Beinen durchgeschlüpft, dass ich mit dem Gesichte auf den Boden hinschlagen musste. Schließlich saß er übermütig lachend auf mir und presste meine Arme an sich.

»Stricke!« befahl Kenow dem Verwalter.

Ich wollte mich mit erneuter Kraft frei machen, aber Kenow half nun dem Knechte. Dann brachte der Verwalter ein ganzes Bündel Stricke. Damit schnürten sie mich, dass mir jede Bewegung unmöglich war, und dabei rissen sie mir den letzten Fetzen des Hemdes vom Leibe. Schließlich trugen sie mich in den Saal hinüber. Kenow nahm mich an meinem dichten Haar und Mischwa an den Füßen. Drüben warfen sie mich vor einem Diwan nieder. Mischwa und der Verwalter gingen fort, Kenow aber nahm Platz und setzte seine Reiterstiefel auf meinen nackten Körper. Und indem er mit den spitzen Rädersporen auf mir herumfuhr, lachte er mich lustig an. »Glaubst Du nun schon, dass ich Dein Herr bin?«

»Du bist nur mein Schinder, mehr kannst du mir nicht werden«, sagte ich. Seine Sporen und die Fesselns taten zwar ziemlich weh, aber meine furchtbare Wut ließ mich allen Schmerz verachten. Meine Antwort stachelte seine Grausamkeit. Seine schwarzen Augen brannten in einer seltsam wilden Lust auf mich nieder.

»Dich muss ich ganz demütig und sanft sehen, und wenn das auch noch so viel Arbeit kostet.«

»Diese Freude wirst du nicht erleben«, versicherte ich ihm, fest entschlossen, mich eher auf jede mögliche Art hinmorden zu lassen als meinen Stolz vor so einem Menschen auch nur das Mindeste zu vergeben.

»Du willst lieber sterben als mir dienen?« fragte er, merklich erstaunt.

»Gewiss.«

»Das ist dumm von Dir«, meinte er.

»Nein«, sagte ich, »Dein Knecht zu sein, wäre das Schlimmste, was ich mir wünschen könnte.«

So viel hatte ihm noch niemand zu wagen gesagt, darum staunte er auch. »Warum? Warum?«

»Weil Du ein wildes Tier bist«, antwortete ich, »und weil es für einen Menschen nichts Entwürdigenderes geben könnte, als Deinesgleichen untertänig zu sein. Ein jeder anständige Kerl müsste den Tod einer solchen Knechtschaft vorziehen.«

Seine Verwunderung wurde immer größer. »Ich verstehe nicht, wie ein Wehrloser einen solchen Stolz haben kann«, gestand er.

»Ja, weil die keinen Stolz haben, die als Deine Knechte geboren sind.«

»In Dir wird er wohl auch zu töten sein.«

»Niemals.«

»Ich will es versuchen.«

»Tue, was Du willst.« Ich hatte ihn anscheinend ein wenig verwirrt gemacht. Er wusste nicht, was er mit mir beginnen sollte.

»Du könntest es ganz gut bei mir haben«, sagte er nach einer kleinen Pause, während welcher er aufgehört hatte, mich mit den Sporen zu quälen.

»Wenn ich falsch, verlogen und erbärmlich genug wäre«, war meine Antwort.

»So? Müssen alle so sein, die mir dienen?«

»Ja, alle.«

»Es könnte mich doch auch einer lieb haben«, meinte er wieder nach einer Weile, und nun kam etwas wie Trauer und Wehmut in sein Gesicht.

»Nein«, entgegnete ich, »Dich kann niemand lieb haben.«

»Das tut mir leid«, sprach er leise, dann aber riss er sich von diesem Gedanken los. »Weil es aber einmal so ist und nimmer anders wird« – hier unterbrach er sich abermals. »Gelt – es wird doch nimmer anders? Ich kann doch nimmer ein so feiner Herr werden wie der Deinige einer war, und wenn ich auch alles hätte, was dazu gehört.«

»Du hast gar nichts davon in Dir.«

»Das weißt Du nicht«, sprach er seltsam empfindlich und gekränkt. »Vielleicht fehlt mir nur das, was man in der großen Welt lernt, in der er war.«

»Ach was«, sagte ich, »ein wenig Gefühl und Gemüt kann der Mensch in jeder Wildnis haben.«

»Von mir hat das aber noch niemand verlangt«, meinte er, »und wer weiß, ob ich nicht mit so manchem aus mir heraus könnte, wenn ich es wirklich bräuchte.«

Da sah ich, dass er selbst allen Ernstes gut von sich dachte.

Ich glaubte aber deswegen noch lange nicht an ihn.

»Dich könnte ich vielleicht höher achten als alle, die ich bisher um mich hatte. Vielleicht könnte ich Dir sogar alles das werden, was Dir Dein Herr gewesen ist. Ich beneide ihn jetzt um Dich. Und da ich jetzt an seiner Stelle bin, sehe ich nicht ein, warum ich nicht auch alles haben könnte, was er hatte, und warum ich nicht alles das sein könnte, was er war.«

Es empörte mich, dass er sich dem Fürsten gleichzustellen wagte.

»Du bist und bleibst ein Tier«, erklärte ich ihm, ohne viel zu bedenken, ob ich ihm damit nicht doch unrecht tat. Damit machte ich ihn auch wieder wild.

»Gut«, sage er ingrimmig, »da Du mich nicht anders haben willst, sollst Du mich auch nicht anders kennen lernen. Aber zur Demut zwinge ich Dich nun doch, weil ich Dich zu nichts Besserem zwingen kann. Der Gesellschafter meines Vetters bleibt auf jeden Fall auch der meinige, und ich will mir jene Unterhaltungen verschaffen, die mit Dir möglich sind. Aber hier in dem großen Salon ist es nicht traulich genug. Komm!«

Er nahm das Ende der Hanfschnur, die um meine Hüften lag, und zog mich daran nach dem am Ende der Zimmerreihe liegenden Schlafgemach. Hier hatte der Verwalter eben zuvor Feuer im Kamin gemacht.

Kenow nahm vor allem die kleine Hängelampe herab, um – was mir erst später einleuchtete – den Lüsterhaken frei zu bekommen. Dann begann er mit den Vorbereitungen zu einer neuen Marter. Er löste alle Stricke von meinem Leibe bis auf diejenigen, welche die Gelenke meiner Hände und Füße zusammenschnürten.

Sonach sprang er auf einen Tisch, warf das Ende der meine Hände bindenden Schnur um den Haken und begann mich dann emporzuziehen. An der Kaminsäule zog er die Schnur straff, als ich schon noch genug in der Luft baumelte.

»Siehst Du«, sagte er, »nun wirst Du mir gleich dienen. Erst sollst Du mir eine Leuchte abgeben, wenn ich mich zum Schlafen ausziehe.«

Er langte in die Hosentasche und brachte in großes Stück Feuerschwamm hervor, von dem er immer Gebrauch machte, wenn er auf der Jagd seine Pfeife rauchte. Den Schwamm zerriss er in kleine Stücke, dann schlug er die vielen kleinen Photographien nacheinander von der Wand, um die dünnen Drahtnägel zu bekommen, an denen die Bilder hingen. An jedem Nagel befestigte er ein Stück Schwamm. Dann bog er die Nägel um und steckte sie mir an verschiedenen Stellen in das Fleisch. Mit einem brennenden Stück Holz, das er vom Kamin holte, brachte er dann die Schwämme nacheinander zum Glimmen. Ich hätte immer laut brüllen mögen, sobald mir die langsam schleichende Glut da oder dort zur Haut kam. Wo die Haut schon angebrannt war, stumpfte dann der Schmerz allmählich ab.

Während sich Kenow dann entkleidete, sah er mir zuweilen forschend in das Gesicht. Aber ich verzog meine Miene nicht anders, als es den Schimpfworten angemessen war, die ich ihm sagte. Ich fluchte und höhnte wirklich nach dem Beispiele der an dem Marterpfahle hängenden Indianer. Und damit verschaffte ich mir tatsächlich eine bedeutende Erleichterung.

»Du wirst schon nachgeben«, meinte er immer wieder. Dann machte er aus den Nägeln, an denen die Schwämme verglühten, Kleiderhaken und hing Rock, Hosen und Stiefel an mir auf.

»Nicht wahr«, höhnte er dabei, »ich kann Dich wunderschön zu vielem brauchen? Warte nur, es kommt noch viel besser.«

Für eine Weile warf er sich auf das Bett und sah lachend meinen Qualen zu. Dann sprang er wieder empor und rief:

»Da fällt mir schon wieder etwas Prächtiges ein. Die Matratzen sind nicht elastisch genug. Du sollst mich in den Schlaf schaukeln.«

Er untersuchte das Bett und nahm dann die Eisenstäbe heraus, auf welchen die Matratzen gelegen hatten. Sonach ließ er mich auf den Boden herab. Dann band er mich mit dem einen Fuß an den rechten Säulenknauf des Kamins, mit dem andern an den Haken, wobei er meine Beine so weit als möglich auseinander spreizen musste. Auch meine Arme führte er in der gleichen Weise auseinander, zur Befestigung des einen musste ein Türkegel, zu der des anderen ein Spiegelhaken herhalten.

Endlich hing ich an den fest gespannten Stricken mit der Vorderseite nach aufwärts in der Luft. Kenow holte nun die Eisenstäbe und band sie mit den Stricken auf mir fest. Damit die Stäbe in die gewünschte Lage kamen, musste er die Stricke mit Holzstücken fürchterlich fest andrehen. Als er mit dieser langwierigen Arbeit fertig war, warf er eine Bettdecke über die Stäbe hin und sprang mit einem mächtigen Satze auf das neu konstruierte Bett, so dass mir alle Glieder krachten. Er streckte sich lachend auf den Stäben über mich aus. Dann fuhr er zweimal auf und fiel wieder schwer zurück.

»Nun? Was sagst Du zu Deinem Dienste?« fragte er, nachdem er die Decke von meinem Gesichte weggeschoben hatte. »Das wird eine lustige Nacht für uns beide, nicht wahr? Im Verlaufe derselben dürftest Du mir doch mit einer demütigen Bitte kommen. Glaubst Du nicht?«

»Nein«, sagte ich mit ungebrochenem Trotze, »lieber sterben.«

»Nun gut«, entgegnete er. »Wir werden ja sehen. Wenn Du aber doch bitten willst – kannst Du mich immer wecken. Ich schlafe jetzt.«

Und er war wirklich dessen fähig, in dieser Lage einzuschlafen. Schon nach einer halben Stunde schnarchte er. Dann machte er einmal im Schlafe eine jähe Bewegung und lag unten am Fußboden auf den Matratzen. Und unten schlief er weiter. Bald darauf sah ich hinter dem Rahmen der halb offenen Tür das Gesicht des Verwalters.

»Ich will Sie befreien«, raunte er mir zu. »Dann erschlagen wir den Teufel, und Sie sind der Herr. Verstehen Sie mich?«

Damit begann er auch schon mit einem Messer meine Bande zu zerschneiden.

»Verstehen Sie mich?« wiederholte er.

»Ja, ja, freilich«, flüsterte ich. »Sehr gut. Machen Sie mich nur frei.«

Und nach einem Weilchen stand ich wieder auf meinen Beinen. Ich torkelte zwar beträchtlich, ermannte mich aber bald.

»Wollen Sie zuschlagen?« fragte der Verwalter, ein schweres Beil aufhebend, das er mitgebracht hatte. »Sind Sie stark genug, um es mit einem Hiebe zu machen? Oder soll ich?«

»Nein«, entgegnete ich, »überlassen Sie das mir.« Ihm schien es selbstverständlich, dass ich Kenow mit voller Lust erschlagen würde. Er reichte mir das Beil. Ich aber packte ihn dafür blitzschnell an der Gurgel und warf ihn nieder. Da wurde Kenow wach. Nach einigen Augenblicken begriff der junge Edelmann unsere Lage vollständig. Ehe er sich aber über den Verwalter hermachte, gab ich diesem einen Fußtritt und sagte: »Geh!« Schnell wie ein Fuchs war der Mann fort.

Und Kenow? Der lag vor mir auf dem Boden und presste sein Gesicht auf meine Füße.

»Erschlage mich«, sagte er. »Ich will mich nicht rühren, wenn Du mich erschlägst – denn ich schäme mich vor Dir zu leben. Ich kann Dein Gesicht nicht mehr sehen. Erschlage mich, denn – Du darfst nicht so groß vor mir stehen – das ertrage ich nicht.«

Da erbarmte er mir plötzlich. Ich hob ihn auf. Und er legte weinend den Kopf an meine Brust.

»Wenn Du mich jetzt nur in Frieden heimziehen lässt, dann trag ich Dir nichts nach«, sagte ich.

Aber da schlang er ungestüm seine Arme um mich. »Nein! Ich lasse Dich nicht ziehen. Wenn ich leben soll, will ich's nun nicht mehr ohne Dich. Du musst einen Menschen aus mir machen! Verstehst Du? Oder könnte es irgendwo in der Welt etwas Besseres für Dich zu tun geben? O, gewiss nicht. Du musst einen Menschen aus mir machen, wie Dein Herr einer war – und ich werde Dir folgen wie ein Kind. »Willst Du? Willst Du?«

Und da wollte ich – und blieb.


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