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Mürbe gemacht

»Morgen reist er«, sagte Frau Alice ingrimmig, mit ihren rosigen Fingerchen Krallen machend. »O, ich könnte ihn…«

»Und ich sie…« entgegnete Hans mit seinen blitzenden Zähnen knarrend. »Ihr als dem Weibe kommt die Demut, Unterwürfigkeit und Hingebung zu.«

Frau Alice lachte höhnisch auf: »Wie? Noch ehe er ihr seine Liebe gestanden hat?«

»Das tut er nun einmal nicht früher, ehe sie sich nicht ihrer Liebe willen entschließen kann, das ergebene Weib zu spielen – ich sage, sie soll es spielen, wenn sie es nun schon leider in Wirklichkeit nicht ist, er verlangt es nun einmal, dass die Frauen bis zu einem gewissen Grade erst ihm entgegenkommen – und wird sich in dem Bewusstsein seines Vollwertes in dieser Beziehung absolut nicht mehr ändern. Eher wird er vor Leidenschaft verglühen, als sich nur im allermindesten mit dem entwürdigenden, erbärmlichen, lächerlichen Scherwenzeln zu erniedrigen, das ihr Frauen als die approbierte Norm der Galanterie in einem jeden Vorspiele der Ehe eingehalten sehen wollt. Ach, hätte ich Euch nur auch so wie der kommen können!«

Alice strich ihrem auf dem Schaukelstuhle liegenden Manne, der trotz seiner ziemlich leidenschaftlichen Rede den zur Üppigkeit neigenden Körper nicht viel aus der behaglichen Lage gebracht hatte, schmeichelnd über das noch prächtig dichte, kurzgeschnittene Blondhaar.

»Dazu wärst du doch zu lieb und brav gewesen«, lächelte sie.

»Möchtest du nicht ›zu unbedeutend‹ sagen?« erkundigte er sich.

»Mir warst du bedeutend genug. Übrigens sieht man ja wieder an unseren Freunden das ewige Elend dieser bedeutenden Menschen.«

»Nenne ihn nicht elend«, sagte Hans. »Den kann Weiberliebe niemals elend machen. Ich finde es prächtig von ihm, dass er morgen reist, ohne ihr die Liebe gestanden zu haben. Wie mag sie darauf gewartet haben…«

»O, gar nicht«, versicherte Alice. »Seit er ihr damals in unserer Gesellschaft sagte, dass er, was die Stellung des Weibes im Allgemeinen betrifft, am meisten mit den Anschauungen sympathisiere, die die alten Kulturvölker des Orients darüber hatten, hat Eta ein richtiges Eheglück an seiner Seite selbstverständlich für unmöglich gehalten; aber trotzdem wäre sie gern eine Märtyrerin ihrer starken Liebe zu ihm geworden. Die beiden passen ihrem eigentlichen Wesen nach wie nicht so bald zwei Menschen zusammen. Wenn er sein angenommenes, ruppiges Benehmen ablegte – sich etwas salonfähiger benähme, was ihm gewiss noch immer etwas sehr Leichtes wäre…«

»Was gerade für ihn die unpassende, lächerlichste Spielerei wäre«, warf Hans ein.

»Und wenn er von seinem schrecklichen Hoheitsdusel befreit…«

»Halt!« gebot Hans. »Wo ist da der Hoheitsdusel? Doch nur bei ihr! Zuerst hat sich Eta immer so einen gewünscht, der über ihr steht, jetzt, wo sie ihn kennen und lieben gelernt hat, neidet sie ihm seine Höhe, empört sich in, sagen wir echt weiblicher Anmaßung gegen seine Überlegenheit – na, es ist eigentlich ganz gut, dass er morgen reist, er wird schon die rechte…«

»Frommgläubige Gans finden«, entgegnete Alice. »In irgendeinem spießbürgerlichen Provinzstädtchen oder in der wilden Türkei ganz sicher.«

Jetzt machte das Eintreten Eitels dem Gespräch ein Ende. Eitel hatte eine prachtvoll entwickelte, mächtige Gestalt, die bei jeder Bewegung eine vollendete Geschmeidigkeit verriet und in dem leichte, weißen, tadellos sitzenden Anzuge einen Eindruck machte, dem nicht so leicht ganz zu widerstehen war. Sein Gesicht wurde sowohl durch einen seltsam kühnen, stolzen Schnitt als auch durch eine auffällige Beweglichkeit der Mienen ungewöhnlich interessant. Die Augen hatten dasselbe nach außen weniger als nach innen leuchtende Grau, welches das Meer über seinen großen Tiefen zeigt, und den vollen, sinnlichen Mund überflog mit jedem Lächeln ein anderer, neuer Reiz. Eitel hatte eben mit seinen Wirten den Morgengruß gewechselt, als durch eine andere Türe des Salons Eta eintrat. Dem Äußeren nach passten diese zwei Menschenkinder wirklich zusammen wie nicht so bald zwei andere, obwohl ein Künstler gesagt haben würde, dass Eitels Schönheit in ihrem Verhältnis zur Kunst mehr das Demokratische, Freie, Neue vertrat, und diejenige Etas das Konservative, mustergültig Majestätische. Eta gab ihrer Freundin den obligaten Kuss, dann eilte sie zu Hans, um es zu verhindern, dass er ihretwegen aufstand. »Sie liegen doch so gerne«, rief sie, ihn an den Schultern auf seinen Sitz zurückdrückend. Dann nickte sie mit einem sehr höflichen Lächeln Eitel zu, der ihre Hand mehr formell als herzlich an seine Lippen führte. So sicher die beiden jungen Leute von ihrer gegenseitigen Liebe überzeugt waren, so wenig gönnten sie sich die Freude, sich etwas davon merken zu lassen. Es tat ihnen nur leid, dass sie sich bei ihrer großen Intelligenz so gar nichts weismachen konnten. Ihren Freunden hatten sie sich vertraut und den letzteren zu deren Bedauern jede noch so leise Art einer Kuppelei strengstens verboten. Beide hatten nun schon endgültig darauf verzichtet, nur noch die mindeste Anbahnung eines Einvernehmens zugunsten der gegenseitigen Neigung zu erstreben. Sie standen wirklich in jenem Stadium der Unvereinbarkeit, von dem ihre Wirte früher gesprochen hatten. Und nun wollten sie nach einem erbitterten Kriege, den sie hier in dem gastliche Hause mit ihren feinsten und schärfsten Waffen kämpften, scheinbar im schönsten Frieden auseinander gehen, ohne sich das Mindeste abgewonnen zu haben. Zum Schlusse hätte noch ein jedes gern dem andern eine möglichst tüchtige und unvergessliche Schlappe beigebracht, aber bei ihrer beiderseitigen sicheren Taktik mussten sie nun schon so ziemlich an der Erfüllbarkeit dieses Lieblingswunsches verzweifeln.

»Also Sie reisen morgen?« fragte ihn nun Eta mit rein konventioneller Freundlichkeit.

»Ja«, antwortete er, möglichst viel Frohmut in den Ton legend. »Ich reise morgen, und zwar mit einem Schatze hier gesammelter, angenehmer Erinnerungen, zu dem ja auch Sie einiges beitrugen, wofür sich kaum gebührend danken lässt – so schön ist es nämlich.

Sie lächelte wie bei bescheidenem Entgegennehmen eines nicht genug verdienten Kompliments und reichte ihm mit der bezauberndsten Liebenswürdigkeit die Hand zum Abschiede.

»Aber um Gottes willen!« platzte nun Hans darein. »Ihr werdet ja doch noch dreimal miteinander bei Tisch sein.

»Das tut nichts zur Sache«, entgegnete Eitel. »Wir haben uns nur gegenseitig die restlichen Verpflichtungen quittiert.«

»Und was darüber, geht auf neue Schuld«, lachte Alice.

Darauf meldete der Diener, dass auf der Veranda das Frühstück serviert werde. Eitel ging in einer ebenso lebhaften als gleichgültigen Unterhaltung mit der Wirtin voraus. Hans sprang auf und wollte Eta den Arm bieten. Aber diese bat ihn, vorauszugehen und begann an ihrem lose aufgesteckten Haare zu nesteln, als ob dort etwas in Unordnung wäre. Als Hans draußen war, huschte sie mit Blitzesschnelle an ein Tischchen, auf welchem in einem kleinen Stehrahmen ihre eigene Fotografie knapp neben derjenigen Eitels stak. Sie hatte dieses, in nicht verkennbarer Absicht von Alice getroffene Arrangement eben erst bemerkt. Unwillig war sie darüber zwar nicht, aber weil das doch gar keinen Sinn hatte, wollte sie es auch nicht dulden. Sie riss die Fotografie des Geliebten mit spitzen Fingern heraus, als ob sie brenne, und geriet nun in eine plötzliche Leidenschaft dabei. Als ob ihr mit einem Male die Berührung der Fotografie wollüstigen Schmerz machte, nahm sie das Bild ganz in die Hand, führte es knapp vor das erglühende Antlitz und funkelte es mit ihren schwarzen Augen an. Dann ging sie mit ihrem harmlosen Gesichte zu den anderen hinaus.

Eitel hatte die Bilder vorhin auch gesehen und wusste nicht, warum er sich nicht auf eine unauffällige Art wenigstens in den Besitz eines Angedenkens an Eta setzten sollte. Dass seine Wirte das Abgehen der kleinen Fotografie gleich bemerke würden, wollte er nicht annehmen, und noch weniger, dass Eta das neckische Arrangement Alicens bereits in die Augen gefallen. Und wenn er fort war, dann mochten sie denken, was ihnen beliebte. Während die anderen noch frühstückten, ging er in den Salon und war zunächst einen Augenblick vor Staunen darüber starr, dass – Eta sein Bild schon hatte. Aber eine herzliche Freude empfand er darüber doch. Es war ihm nun ein Beweis ihres echt weiblichen Empfindens, dass sie sich diesen Diebstahl nicht versagen konnte. Ziemlich gerührt nahm er nun auch ihr Bild, steckte es in die Brusttasche und presste von außen mit einem Seufzer dagegen. Und dann ging er um ein Beträchtliches ratloser, aber äußerlich umso lustiger wieder auf die Veranda hinaus.

Alice und Hans wollten nun Toilette zu einer Ausfahrt machen und ihre Gäste für solange allein lassen. Sie gingen miteinander durch den Salon, und Frau Alice sah sich durchaus nicht zufällig, sondern eben, weil sie in Gedanken so viel mit ihren Gästen beschäftigt war, nach deren Bildern um. Da gab sie plötzliche ihrem Manne einen Riss und wies stumm nach dem leeren Rahmen und drehte sich vor Vergnügen etliche Male auf ihrer Ferse herum, wobei sie, um nicht in lautes Lachen ausbrechen zu müssen, mit aller Gewalt in ihre Faust blies.

Hans aber schlug erst die Hände zusammen und sagte dann, wie in frommer Dankbarkeit zur Zimmerdecke empor blickend: »Nun, Gott sei Dank, das erste wirklich Menschliche, das wir an diesen Erhabenen erleben.«

»Es soll aber nicht das einzige Menschliche bleiben«, sagte Frau Alice. »Bisher war es uns nicht erlaubt, in ihre von ihnen selbst bestimmten Verhältnisse auch nur irgendwie einzugreifen. Mit ihrer ersten Schuld haben sie sich des Rechtes auf Unantastbarkeit begeben, und wir dürfen sie nun zu unserem Spiele machen. Wir verdächtigen jetzt natürlich gegenseitig uns des Diebstahls – verstehst du? Dass wir nicht wenig eifersüchtig aufeinander sind, wissen die beiden, also fangen wir gleich an.«

»Sehr gut«, sagte Hans.

Die Gäste kamen alsbald, von nicht geringem Schrecken erfüllt, in den Salon.

»Also du gestehst!« rief nun Alice ihrem Manne mit höhnischem Lachen zu. »Dur gestehst, das Bild von hier fortgenommen zu haben, um es in deinem Zimmer aufzubewahren! Das ist ja sehr aufrichtig!«

»Du ja auch!« lachte er womöglich noch schrecklicher als sie. »Du gestehst es ja auch?!«

»Ja freilich, wenn du es wünschst, wenn du so schlecht von mir denken kannst«, schrie sie und brach dann in ein wildes Weinen aus.

»Und wenn du es so wünschest, wenn du so schlecht von mir denken kannst«, sagte er ihr nach.

»Verteidige dich nicht mehr!« fuhr sie ihn leidenschaftlich an.

»Und du dich auch nicht!«

»Ich gehe«, sagte sie.

»Ich auch!« rief Hans.

Dann stürzte sie in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu, dass es krachte. Drinnen hörte man sie noch eilig den Schlüssel im Schlosse umdrehen. Hans aber warf sich auf den Schaukelstuhl und lachte, so viel und so bitter er nur konnte.

»Um Gotteswillen!« sagte nun Eitel, zu ihm tretend. »Was habt Ihr denn, Hans? Was treibt Ihr da miteinander…?«

Und Eta eilte an die verschlossene Türe und klopfte. »Alice!« rief sie bittend. »Mache mir auf! Mir, deiner einzigen Freundin, wirst du doch aufmachen! Alice, ich bitte dich!« Sie zitterte am ganzen Leibe, und Eitel musste seine Energie zusammennehmen, um Hans nicht seine Verlegenheit merken zu lassen.

»Nein!« schrie drinnen Alice. »Aber ich verzeihe dir, Eta! Du kannst ja nichts für deine Schönheit, du bist unschuldig. Lebewohl, Eta!« Dann hörte man eine schwere Schublade aufreißen und die Lade darauf zu Boden fallen. Da fuhr Hans empor und blieb darauf wie erstarrt stehen. »Sie wird es nicht machen«, flüsterte er, »nein, das tut sie nicht…!«

»Was? Was?« forschte Eitel.

»In der Lade liegt der Revolver.«

Da tat Eta einen Schrei des Entsetzens und rannte dann mit aller Macht gegen die Türe. »Alice!« schrie sie verzweiflungsvoll, »Halt! Tue es nicht! Ich – ich!«

Während des »Ich« war Eitel gerade an ihrer Seite angekommen, um die Türe einzurennen, aber jetzt zögerte er instinktiv damit ein wenig.

»Ich habe seine Fotografie gestohlen – ich!«

»Und ich«, schrie nun Eitel, »ich die Ihre!«

Da sperrte nun Alice flugs auf. »Ätsch!« sagte sie lachend.

»Ätsch!« machte es Hans noch übermütiger von der anderen Seite.

Die beiden glücklichen Genarrten standen nun einander dicht gegenüber und sahen sich erst noch einmal um. Aber da sahen sie, dass es mit der Möglichkeit eines jeglichen Heuchelns vorüber war.

Eitel breitete die Arme aus, und Eta stürzte sich hinein. Und Alice und Hans applaudierten.


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