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Das Armband.

1. Das Finden.

Sie ist eine zweite Pasta!«

»O, mehr als das, sie wird Alle überflügeln! Die Pasta, die Malibran, die Grisi, die Sonntag, die Lind, diese Namen werden alle vor dem der Alba in Schatten treten!«

Sie wurde von neuem gerufen. Das Publicum konnte sich nicht beruhigen, und doch war nur der erste Act vorüber.

Es war zum dritten male, daß die Alba auftrat, und zwar in der Rolle der Somnambula. In der vorigen Woche sprach man noch mit mitleidiger Neugier von der Debutantin, und heute war sie die Königin des Tags, die Erste in ganz London.

Man weiß, welch ausgewählte Gesellschaft das Publicum der italienischen Oper bildet; es läßt sich selten herab, für eine aufgehende Sonne zu schwärmen; Alba aber feierte diesen seltenen Sieg. Sie verdiente es; war sie auch noch keine Pasta und keine Malibran, so hatte sie doch eine prachtvolle, zum Herzen dringende Stimme, die sorgfältigste Ausbildung und war ein wunderschönes Geschöpf. Nichts an ihr war eckig, nicht die kleinste scharfe Linie zu finden, jede Bewegung wellenweich und elastisch, der Nacken gebogen, wie der eines Schwans, und ihre Augen – waren gar nicht zu beschreiben, denn sie wechselten fortwährend im Ausdruck und im Glanz.

Es war kein einziger junger Mann im Hause, der nicht in die schöne Sängerin verliebt gewesen wäre. Einem aber sah man es ganz besonders an. Es war ein sehr junger schlanker Mann mit blondem Haar und dunkelbraunen Augen; er verschlang Alba förmlich mit seinen Blicken. Er saß in der Loge des Staatssecretärs des Auswärtigen, und der alte Herr, dem die Aufregung des jungen Mannes nicht entging, meinte auch mit heimlichem Vergnügen zu bemerken, daß zuweilen die Augen der Sängerin sich in seine Loge und auf den jungen Mann lenkten, welcher Arthur Dundas hieß und Attaché der Gesandtschaft war, die morgenden Tages nach Petersburg abgehen sollte.

Endlich schloß die Oper. Bis zu Ende derselbe Beifall, derselbe Enthusiasmus für Alba. Aber sie selbst war todtmüde, als sie in die Kissen ihres Wagens gelehnt nach Hause fuhr, und sagte zu ihrer Kammerfrau, die ihr gegenübersaß: »Wer auch heute noch kommen möge, ich kann Niemanden mehr annehmen. Sobald ich meine Tisane getrunken habe, gehe ich zu Bett.«

Sie war schon in ihrem Schlafcabinet, als schüchternen Blickes die Kammerfrau eintrat.

»Es ist Jemand da, der sich durchaus nicht abweisen lassen will – er behauptet, morgen nach Petersburg zu reisen – er hat mir zwei Ducaten gegeben, daß ich ihn melde.«

»Es ist jedenfalls ehrlich von dir und klug zugleich, daß du mir das sagst«, bemerkte Alba mit einem kleinen Gähnen. »Verdiene deine zwei Ducaten, melde seinen Namen, und dann sage ihm, daß ich im Begriff sei, zu Bett zu gehen.«

»Es ist Herr Arthur Dundas.«

»Herr Arthur Dundas? Und er geht nach Petersburg? Hast du auch recht gehört?« fragte Alba wie aufgeweckt, indem sie ihren Gürtel, den sie zu lösen begonnen, wieder zusammen zog. »Hier, trage den Armleuchter in mein Studircabinet und führe ihn dahin, ich komme gleich.«

Beide jungen Leute traten zu gleicher Zeit von verschiedenen Seiten in das Cabinet. Die Kammerfrau stellte den Armleuchter auf den Tisch und ging. Arthur, nachdem er sich tief vor Alba verbeugt, nahm ihr gegenüber in einem Sessel Platz. Alba hatte sich in die Ecke einer Causeuse geworfen.

»Ist es wahr, Sie gehen, und so weit?« fragte mit einer gewissen stürmischen Offenheit das junge Mädchen schon, indem sie sich setzte.

Arthur war offenbar geschmeichelt und glückselig, trotz der strengen Consigne von ihr empfangen worden zu sein; das gab ihm eine gewisse Ruhe im Vergleiche mit seiner Aufregung bei ihrem Anblick während der Vorstellung.

»Heute Abend vor der Oper erhielt ich die Weisung, morgen mitzugehen – ich hatte darum gebeten.«

»Warum?«

»Weil mir nichts Anderes übrig bleibt. Seitdem mein Vater todt ist und mein ältester Bruder die Güter in Schottland besitzt, mag ich nicht mehr dort sein. Hier in London zu leben, dazu reicht mein Einkommen nicht aus. Zu einem Seemanne bin ich nicht berufen, zu einem Soldaten noch weniger; in den innern Staatsdienst mag ich nicht treten, weil mir die untersten Beamtenstufen, über die hinweg zu springen, ich nicht genug einflußreiche Verbindungen besitze, zu übersteigen ganz unmöglich scheinen – was soll ich sonst werden als Diplomat?«

»Künstler!«

»Ich habe aber kein Talent. Nicht Musik, nicht Malerei, nicht Dichtkunst habe ich mit Erfolg getrieben.«

Alba zuckte verdrießlich die Achseln und sagte halb komisch: »So gehen Sie denn in Gottes Namen, Mann ohne Talent, und werden Sie Diplomat.«

» So entlassen Sie mich?«

»Was soll ich denn thun?«

»Alba!« – Er sagte das in einem ganz andern Tone, als dem, in welchem er bisher gesprochen, und dieser Ton, den Alba noch nie gehört, machte sie erbleichen und zittern.

Er stand auf, er ging zu ihr, dicht vor sie hin stellte er sich und sagte dann mit der unterdrückten Stimme der Leidenschaft: »Wie lange lieb' ich Sie! O Gott, wie lange und wie sehr! Um Ihretwillen lebe ich nur! Um Ihretwillen gehe ich auch nach Petersburg. Ich will aufhören, nichts zu sein – ich will Ihre Liebe verdienen!«

»Mein Gott, mein Gott« – und Alba stützte ihre zitternde Hand auf den Tisch – »wer sagt Ihnen denn …«

»Daß Sie mich lieben könnten? Niemand; aber wenn es wahr wäre, Mädchen, daß ich dir ganz gleichgültig bin, ebenso gleichgültig, wie alle die Andern, denen du jeden Abend vorsingst, um sie verrückt zu machen, wie mich – wenn das wahr wäre – dann könnte ich dich ermorden!« … Er faßte zornig ihren Arm und preßte ihn, daß sie aufschrie vor Schmerz.

Dann schwieg sie; da wagte er's und umfaßte ihren schlanken Leib und hob sie vom Sopha auf und preßte ihren Kopf an seine Schulter und sagte weich und innig: »Da lasse dein Haupt ruhen, hier bist du sicher für und für, meine weiße Blume, meine Alba-Rosa!«

Sie aber brach in Thränen aus und ließ ihr Haupt auf seiner Schulter ruhen.

»Warum weinst du?« fragte er zärtlich, indem er ihre Hand an seine Lippen führte. Sie entzog ihm diese Hand, aber sie sagte nichts als: »Es ist doch nur ein Traum!«

»Ein Traum? was soll das heißen?«

»O, Ihre Liebe! Mir ist das als Kind prophezeit worden; eine alte Zigeunerin sagte zu mir: So schön du bist, so wirst du Alles eher finden als Liebe – der Abendstern ist dir am fernsten!«

»Welch ein Gedanke! Aber du, weiße Blume, du, die von Allen geliebt, vergöttert, angebetet wird – hast du ein Gefühl für Arthur Dundas anders, als das Gefühl …«

Sie schlug beide Arme um seinen Hals, stellte sich auf die Fußspitzen, drückte einen langen Kuß auf seine hohe Stirn und sagte dann, auf die Kissen zurücksinkend und ihr Gesicht verhüllend:

»Ich liebte dich, seitdem ich dich das erste mal gesehen!«

Er jubelte laut auf, er kniete vor sie hin, er trieb all die unsinnige Vergötterung, welche ein Mann treibt, der zum ersten male liebt und geliebt wird. Auch ihre erste Liebe war es, das wußte er gewiß, denn er hatte in ihrem Leben gelesen, wie in einem aufgeschlagenen Buche. Sie hatte ihm Alles früher erzählt, und er gehörte noch zu den jungen Seelen, die nicht ewig die entsetzliche Frage in ihrem Innern aufstellen: »Ist das auch wahr, belügt sie mich auch nicht, darf ich ihr trauen, kann man ihr Glauben schenken?« Nein, er glaubte und liebte und war sicher, zu lieben, so lange er zu glauben sicher war. Aber – er ging morgen fort in die große Welt, und welcher Mann hat da noch die Kunst erfunden, feinen Glauben zu erhalten?

Als er ihr sein ganzes stürmisches, leidenschaftliches Herz ausgeschüttet, als er ihr Alles gesagt, was er Monate, Jahre lang für sie gefühlt, fragte er endlich: »Und du, was sagst du mir?«

»Was ich dir schon einmal gesagt, daß ich dich immer geliebt!«

»Nun – und weiter?«

»Daß ich dich immer lieben werde!« – Und mit ihrer weichen Hand deckte sie die Strahlen seiner Augen – ihr kam es vor, als blendeten sie diese dunklen Sonnen!

»Aber ich muß eine Sicherheit haben.«

»A bond! A bond!« rief lachend im Uebermuthe des Glücks das schöne Mädchen – »du bist ja ein zweiter Shylok!«

»Was gibst du mir? Im Ernst, man geht nicht nach Petersburg und verläßt sein ganzes Besitzthum leichtsinnig auf das Wort eines achtzehnjährigen Mädchens!«

»O du einundzwanzigjährige Weisheit! Wo ist denn dein Vermögen?«

»Hier!« sagte er und umschlang sie fest mit beiden Armen, »hier ist Alles, was ich auf Erden mein nenne, und das sollte ich ohne Sicherheit verlassen?«

»Was willst du?«

Er sah sie lange an. Sie saß neben ihm, zurückgebeugt, den Kopf auf die Lehne geworfen, die Haare im Nacken, ihre schönen halb entblößten Arme gekreuzt im Schoose; kein anderer Schmuck als der Metallgürtel am weißen Kleide und ein blau emaillirtes Armband, eine dicke Schlange, die sich um sich selber ringelte.

»Gib mir dieses Armband.«

»Es ist das Liebste, was ich auf Erden besitze.«

»Das weiß ich.«

»Die größte Sängerin, die je gelebt, Giudita Pasta, hat es mir geschenkt, und die Haare meiner ungekannten Mutter liegen darin – hier ist es.«

»Nun noch einen Schwur! Schwöre, daß du – wo du auch sein mögest, welche Bande dich auch fesseln mögen, – Jedem, der dir dieses Armband zeigt, augenblicklich zu mir folgen willst. Ohne Besinnen, ohne Widerrede, ohne Zögerung.«

»Ohne Besinnen, ohne Widerrede, ohne Zögerung! So wie ich jetzt den Schwur leiste«, sagte sie augenblicklich und beugte ihr schönes kindliches Antlitz und legte die beiden Finger der rechten Hand in die dargehaltene Hand ihres Geliebten

»Glaube mir«, sagte Arthur, nachdem er ihr stürmisch gedankt, »glaube mir, daß ich dieses Vertrauen nie misbrauchen werde. Ich weiß, daß eine Sängerin Verpflichtungen, Contracte eingeht, die ihr nicht erlauben, so ohne weiteres wegzugehen. Wenn mir das Schicksal vergönnt, dich zu mir zu rufen, so werde ich dir es schreiben auf daß du Alles vorbereiten kannst – und ich werde nur das Armband an dich abschicken im höchsten Nothfalle, im dringendsten Augenblicke – wenn du es siehst, kannst du fest überzeugt sein, daß du nicht zögern darfst – entweder ich bin sterbend oder ich habe ein Königreich gewonnen!«

»Warum nicht gar! Nein, schicke mir nur das Armband, wann du willst, daß ich zu dir komme. Was kümmert mich, einem Impresario den Contract zu brechen – ihm brauche ich ja nur sein Geld zu lassen – ich bin ihm ja weiter nichts als eine Geldquelle! Aber schreibe mir nicht, denn Briefe würden mir mein ganzes Leben verbittern: jeden Tag würde ich einen erwarten, und jeden Tag, an welchem keiner käme, zu sterben vermeinen, und den Tag, wo einer einträfe, vor Freude toll sein. Nein, nicht schreiben – die Posten sind für die Philister, für euch Engländer! Bedenke, daß in meinen Adern das heiße calabresische Blut meiner Mutter und die klare germanische Lebensquelle meines fränkischen Vaters rinnt. Deutsche Schwärmerei und italienische Glut – fürchtest du dich nicht vor dieser Mischung?«

»Rinnt nicht auch in meinen Adern deutsches Blut? ist nicht meine Mutter eine Deutsche, die auch aus schwärmerischer Liebe dem hochschottischen Clan-Häuptling in seine Berge folgte?«

»Eine deutsche Prinzessin, nicht wahr?«

»Ah bah! Sie war nicht vornehmer als mein Vater, der schottische Lord! In Deutschland gibt es ebenso viel Prinzessinnen, wie in Schottland Lairds!«

» Meine Mutter war nur eine Sängerin und mein Vater ein Capellmeister! Ich bin dir nicht ebenbürtig!«

»Nicht von Geburt – und doch viel vornehmer als ich – wer kennt mich in dem großen London, und wer kennt dich nicht?«

Sie hielt ihm den Mund zu und sagte lachend: »Streiten wir darum nicht, denn es ist uns Beiden einerlei. Ich würde dich lieben, wenn du auch nicht der Sohn einer Fürstin wärest, und du würdest um mich werben, wäre ich die königliche Victoria selber – also wozu?«

»Soll ich dir wirklich nicht schreiben?«

Sie schüttelte mit dem Kopfe. »Es gibt noch viele Gründe. Ein Brief von dir würde mir nie genügen, immer zu kalt sein; nein, nein, ich will keine andern Worte von dir vernehmen, als die von deinen rothen Lippen geflossen, bestrahlt von deinen braunen Augen! Bist du mir fern, so stelle ich dich mir vor und bin glücklich!«

»Wirst du nicht an mir zweifeln, wenn du lange nichts vernimmst?«

»Zweifeln? Ist die Liebe nicht Sympathie, besteht nicht ein Band der Geister zwischen zwei so jungen feurigen Seelen, wie die unsern? Geht nicht ein elektrischer Strom von dir zu mir, von mir zu dir, und wären wir auch an den beiden Polen?«

Er sah sie besorgt an. »Es ist ein Wagestück; du stellst dir das anders vor. Willst du mir auch nicht schreiben?«

»Nein, nein, ich möchte dir nur schreiben, wenn ich dich nie gesehen hätte – dann hätte ein Briefwechsel einen romantischen Zauber – eine solche Liebschaft hätte mir auch gefallen, wenn ich dich nicht getroffen, so aber – so ist mir der Gedanke gräßlich! Der Gedanke dieses bleichen Nachdrucks unserer in Feuer getauchten Worte!«

»Du erlaubst mir doch, daß ich einen Freund anstelle, mir über jeden deiner Schritte zu berichten?«

Sie lachte. – »Es ist zwar eine ungleiche Partie, denn mir wird Niemand über dich berichten! Aber meinetwegen; ich darf jedoch nichts davon merkendes muß eine durchaus heimliche Polizei sein.«

»Ganz recht, mein süßes Herz, dein Wille geschehe.« – Er nahm ihr Armband und befestigte es an einer Schnur auf der Brust. Sie sah, indem er es da verbarg, daß er um den Hals noch ein kleines Kreuz trug, und fragte ihn, was das sei.

Er erröthete und schwieg.

Einen Augenblick stieg ein Verdacht in ihr auf – als er das sah, sagte er schnell: »Es ist von meiner Mutter – als wir uns trennten, hängte sie mir's um, damit ich in der Welt nicht Etwas vergesse, was man dort leicht verlernen soll.«

»Was?«

»Ich rede nicht gern davon – denn das und die Liebe müssen geheim sein. Wer beide zur Schau trägt, dem ist es um beide nicht Ernst.«

»Ich errathe«, sagte leise Alba und reichte ihm die Hand. »Gott und die Geliebte müssen in Einem Tempel wohnen – der einzig undurchdringliche, einzig sichere ist unsere eigene Brust!«

So trennten sie sich. – Ein frommer Gedanke war ihr letztes gemeinschaftliches Gefühl, und wer sie so gesehen – jung, schön, rein, glühend und fromm, der hätte sie lieben und ihnen Glück prophezeien müssen!

*

2. Die Trennung.

Er war fort. Monde, Jahre verflossen, und sie vernahm nichts – und wünschte und hoffte und erwartete doch nichts als ihn, nur ihn! Sie bereute es jetzt bitter, seinen Wunsch, ihr zu schreiben, zurückgewiesen zu haben im Uebermuth ihrer Jugend, in der Ueberspannung ihrer Kräfte. Sie gehörte unglücklicherweise zu den Menschen, die immer nur Einen Gedanken haben, Ein Ziel verfolgen. Dieser Eigenschaft verdankte sie freilich, daß sie eine große Künstlerin geworden, aber jetzt war diese Eigenschaft ihr Unglück! Ihre Gesundheit, die blühendste der Welt, wurde angegriffen, ihre Nerven, deren Existenz sie früher nicht geahnt, wurden schwach, nach jeder angreifenden Rolle mußte sie mehre Tage ruhen, und konnte so nur selten mehr auftreten. Sie spielte auch nur noch in ernsten Opern – hinreißend schön, aber ohne Freude am Beifall. Sie sah viele Menschen in ihrem Salon, aber sie mishandelte förmlich ihre Verehrer; man fand sie sehr geistreich, aber blasirt, hochmüthig, launisch und unhöflich – sie war das Ideal einer echten Theaterprinzessin! Auch ihre Schönheit hatte etwas gelitten, sie war zu mager und zu bleich geworden – Viele fanden das aber distinguirt, interessant!

Als vier Jahre verflossen und sie noch immer nichts weiter von Arthur vernommen, als was die Zeitungen meldeten, daß er nämlich von Petersburg nach Konstantinopel und von dort nach Athen geschickt worden, konnte sie es nicht länger ertragen; ihre Liebe und ihr Stolz waren durch sein langes Schweigen zu tief verletzt; sie beschloß, diesem Zustande ein Ende zu machen.

Sie schrieb an ihn folgende Zeilen und schickte den Brief zur Besorgung in das Gesandtschafts-Hôtel des griechischen Diplomaten:

»Lieber Arthur!

Sie lassen nichts von sich hören und denken wahrscheinlich längst nicht mehr an mich. Ich bin, seitdem wir uns trennten, noch immer jedes Frühjahr in London und während des Winters in Paris gewesen; den Herbst habe ich in einem Seebade zugebracht, weil meine Gesundheit elend war und von Zeit zu Zeit einer Stärkung bedurfte. Sie ist aber jetzt so schlecht, daß ich entschlossen bin, die Bühne zu verlassen, deren Aufregungen mich völlig tödten würden. Ich muß Ruhe haben! Dazu gehört auch, daß das Armband wieder in meine Hände gelangt, dessen Besitz Sie zu meinem unumschränkten Herrn macht und mich jeden Augenblick an den Rand einer Katastrophe führen kann. Diese Gefahr ist freilich nur eine eingebildete, denn Sie haben gewiß alles darauf Bezügliche längst vergessen. Ich bitte Sie aber, um unserer alten Freundschaft willen, suchen Sie es aus Ihrem alten Plunder heraus und schicken Sie mir es so bald als möglich, damit nichts fortan die Ruhe meiner armen Seele störe.

Ihre alte Freundin Alba.«

So schrieb ein zweiundzwanzigjähriges Mädchen! Nachdem der Brief abgegangen, begann aber erst ihre rechte Qual. Jedes mal, wenn ihr Diener eintrat, um einen Besuch zu melden, meinte sie den Namen Arthur Dundas von seinen Lippen hören zu müssen, und wenn er einen andern nannte, hatte sie Herzschmerzen!

Woche an Woche verging! Endlich kam ein Paket aus Athen – sie riß es auf – ihr Armband fiel ihr entgegen, sie durchsuchte die Umschläge, den Boden des kleinen Cartons – nichts, kein Brief, keine Zeile.

Endlich drückte sie an der Feder, welche die Kapsel, worin das Haar ihrer Mutter verschlossen war, öffnete – da lag ein ganz kleines, zusammengerolltes Zettelchen. Ihre Hände zitterten so heftig, daß sie es kaum aufrollen konnte; es enthielt die Worte: »Hüte mich, wie deinen Augapfel! Ich bin dein von dir selbst beschwornes Schicksal und möchte ein zweites mal nicht so foderungslos (claimless) in deine Hände zurückkehren!« Auch im Armbande waren die Worte Take care! eingravirt.

»Wie!« rief Alba empört, »noch Hohn, noch eine Drohung?!«

Am folgenden Tage reiste sie nach Paris ab; sie wollte nie mehr an den Ort zurückkehren, wo sie den Mann gesehen, der sie so tödtlich beleidigt hatte und den sie nicht vergessen konnte. Sie sann auf Rache und zwar auf eine recht empfindliche. Ihr Brief an Arthur gereute sie, er war ja viel zu freundlich – am Ende hielt er ihn für eine Mahnung, sich ihrer zu erinnern. Das durfte er nicht glauben, um keinen Preis, es mußte ein Vorwand, ein für ihn recht empfindlicher Vorwand für das Zurückfodern des Armbandes entdeckt werden – er sollte glauben, sie habe sich verheirathen wollen … das war das Beste, das Einfachste!

Sie kannte schon seit ihrer Kindheit einen alten Grafen Monthion. Er hatte im Spiel sein ganzes Vermögen verloren und vegetirte in Paris von einer kleinen Pension reicher Verwandten, die er auch verspielte, um dann zu hungern, zu frieren und zu darben. Er war aber ein liebenswürdiger Mann, gutmüthig und fein. Auf diesen Mann baute sie ihren Racheplan gegen Arthur.

Sie ließ ihn zu sich kommen und sagte ihm: »Ich will mich von der Bühne zurückziehen, lieber Graf, möchte aber nicht gern als Mademoiselle Alba, ci-devant cantatrice, in der Gesellschaft leben. Ich möchte gern einen Namen, einen Titel!«

»Ist Ihnen vielleicht mit dem Namen einer Gräfin Monthion de Saint Jean gedient – er liegt zu Ihren Füßen«, sagte der alte Herr sehr zuvorkommend.

»Sie haben's getroffen, doch mache ich Bedingungen. Ich besitze von meinen Ersparnissen, die übrigens durch meine häufige Kränklichkeit viel kleiner sind, als sie es sein könnten, ungefähr eine halbe Million Francs. Ich will mit Ihnen theilen, aber Sie geben mir Ihr Ehrenwort, mich sogleich nach der Trauung ungehindert abreisen zu lassen, da meine Gesundheit den Aufenthalt in einem südlichen Klima verlangt; ich werde Rom oder Neapel zu meinem Wohnorte wählen. Dann geben Sie mir Ihr Ehrenwort, nie ungerufen bei mir zu erscheinen, denn ich will frei sein – daß ich diese Freiheit nicht zur Beeinträchtigung der Ehre Ihres Namens misbrauchen werde, dafür birgt Ihnen mein bisheriges Leben. Was sagen Sie zu meinem Vorschlage?«

»Ich habe nie einer Dame Etwas abgeschlagen, und bei Ihnen könnte ich wahrhaftig nicht den Anfang machen.«

»Ich verlasse mich in diesem Vertrage ganz auf Ihr Ehrgefühl, Herr Graf, denn die Sitte erlaubt mir keine andere Sicherheit. Noch Eins, Herr Graf. Man nennt Sie einen Spieler; ich habe zu viel aufrichtige Freundschaft für Sie, als daß ich nicht wünschen sollte, Sie vor der Versuchung zu schützen, auch jetzt Ihr neues Vermögen zu verspielen – erlauben Sie mir, es bei einem Bankhause unangreifbar zu deponiren, damit nur die Zinsen Ihrem Lieblingsvergnügen können zum Opfer fallen?«

»Das ist mir sehr, sehr unangenehm! Ich will nicht mehr spielen – ich habe es aufgegeben, ich möchte mir ein Landgut kaufen und fern von Paris leben.«

»So lassen Sie mich Ihnen dieses Landgut kaufen.«

Er war damit einverstanden. Ein Schloß mit einträglichen Ländereien, welches in ziemlicher Entfernung von Paris zu haben war, wurde um 200,000 Francs gekauft, das Uebrige, zur Einrichtung und Verbesserung bestimmt, dem Grafen in die Hände gegeben.

Die Trauung war so still und einfach wie möglich. Alba sah im Schleier aus wie eine Marmorbraut, sie hatte sich nie unglücklicher gefühlt, als an diesem Tage! Gleich nach der Trauung bestieg das Paar einen Reisewagen und fuhr zum Thore hinaus gen Süden. Auf der ersten Poststation wartete eine Calesche, die den Grafen nach seinem Schlosse bringen sollte. Er küßte seiner Gemahlin die Fingerspitzen, wünschte ihr glückliche Reise, und nach mehren tiefen Verbeugungen am Wagenschlage ging er nach seiner Calesche.

Alba nickte ihm freundlich zu und sagte dann zu ihrer Kammerfrau, die ihr gegenübergesessen, so lange der Graf mitgefahren: »Setze dich neben mich, Betty – du wirst fortan meine einzige Gesellschafterin auf Reisen sein – mit der Männerwelt habe ich abgeschlossen, nachdem ich durch diese Scheinehe ihr meinen Tribut abgetragen.«

Und wehmüthig auf das Schlangen-Armband blickend, welches Tag und Nacht ihren Arm umschloß, rollte sie weiter auf dem Wege nach Marseille, um dort ein Schiff zu besteigen, das sie nach Civita Vecchia bringen sollte.

In der Times stand zwei Tage später: »Die einst hier in London so gefeierte Sängerin Alba hat sich in Paris mit dem Grafen Monthion de Saint-Jean vermählt und ist gleich nach der Trauung mit ihrem Gemahl nach Italien gereist.«

Alba hatte das selbst geschrieben und, ehe sie mit dem Grafen und ihrer Kammerfrau in den Wagen stieg, einem Freunde zur Einrückung in das Journal, welches Arthur täglich lesen mußte, nach London geschickt.

Für Alba begann nun eine neue Lebensperiode, und zwar eine, die glücklicher war, als die bisherige; denn außer dem einzigen Abend, wo sie den Bund mit Arthur geschlossen, war nur selten das Gefühl des Glücks überzeugend in ihr Herz gedrungen. Sie hatte bisher für nichts Anderes gelebt, als ihre Liebe und ihre Kunst, und nur in der letztern war sie glücklich. Wer weiß aber nicht, daß eine Frau, die liebt, kein anderes Glück, keinen andern Erfolg schätzt! Sie hatte mehre sehr gute Empfehlungen für Rom, unter andern an den alten Thorwaldsen, dessen Liebling sie bald wurde. Eines andern alten Mannes Glück gründete sie vollkommen. Es war der Abbate Santini, der in einem Palaste in der Nähe der Piazza Navona ein paar Entresol-Zimmer bewohnt und jede Woche einmal alte Musik bei sich treiben läßt, wovon er einen Reichthum besitzt, wie kein Anderer in der Welt. Dem sang sie alle seine Cantaten und Messen und Chöre vom Blatt, Alt oder Sopran, wo es fehlte, und war die Seele des Ganzen.

Ein anderer Freund, den sie in Rom kennen gelernt, begleitete sie in die Museen. Es war ein deutscher Doctor, ein Original; auf seiner Visitenkarte stand: Dottore Schwarz, Rupe tarpeia.

Alba lachte, als sie das zum ersten male las. »Wie kann ein Mensch auf dem Tarpejischen Felsen wohnen?« fragte sie ihren Freund. Der aber antwortete gravitätisch:

»Der Mensch kann Alles, was er will.«

Dieser dritte Freund lehrte sie bald einsehen, daß sie eigentlich gar nichts wußte, gar nichts gelernt hatte, als ihrer Mutter Sprache und Gesang.

Doctor Schwarz mußte nun Bücher herbeischaffen. Sie lernte, sie studirte ernstlich Kunstgeschichte, Alterthumskunde, Geschichte überhaupt. Die Gräber Tasso's und Raphael's weckten in ihr Gedankenströme, die später voll und glühend neben diesen Genien dahinschossen. Michel Angelo betete sie förmlich an. Es gab eine Zeit, wo jeder Marmorsockel, jedes Capitäl ihr Thränen der Rührung weckte; und dann Roms Natur, diese majestätische, ernste, melancholische, von Cypressen umrauschte, von Pinien beschattete Natur! Wer einen großen Schmerz in sich trägt, soll nach Rom gehen – nicht um ihn zu vergessen, sondern um einzusehen, wie nichtig er ist im Vergleich mit dem Untergange von Welten, auf deren Spuren hier jeder Schritt hinweist!

»Wer in Rom nicht bescheiden wird, der wird es nie, aus wem in Rom nichts wird, aus dem wird nie etwas«, sagte ihr einmal dabei Schwarz, als sie ihm »ihres Nichts durchbohrendes Gefühl« unter den römischen Umgebungen klagte.

Unter den Schmerzen der Vorzeit und dem jetzigen Jammer vergaß sie auch wirklich ihr eigenes Leid und lernte sich glücklich schätzen, daß so viel ihr geblieben. Rom, ihre Freude daran und ihre Freunde – was brauchte ein Menschenkind mehr, um glücklich zu sein?

Vom geselligen Leben zog sie sich um ihrer eigenen Kunst willen nicht zurück. In Rom ist außerordentlich viel musikalischer Sinn, und keine Stadt der Welt vereinigt so viel Notabilitäten, die halb incognito hier leben.

Zwei Jahre waren so verflossen. Alba war aus einer genialen Sängerin eine gebildete Dame geworden, aus einer Theater-Prinzessin eine vornehme Frau. Nichts in ihr verrieth mehr ihren frühern Stand, während sie vordem ihn keinen Augenblick verleugnet hatte. Ihre Launen, das ganze fieberhafte Benehmen war verschwunden, um einer ruhigen, verschleierten Anmuth Platz zu machen, die sie unaussprechlich gut kleidete, und die beste Folge ihrer wieder aufblühenden Schönheit war.

Die Herzogin von Torlonia, eine Enkelin des berühmten Vittoria Colonna, eine schöne stolze Frau, die Alba mit Aufmerksamkeiten überhäufte, gab eine musikalische Soirée. Auch Alba sang und zwar zum allgemeinen Entzücken, obgleich die Wenigsten wußten, daß einst die Gräfin Monthion ihre Kunst auf den Bretern preisgegeben. Als sie geendet hatte, umdrängte sie ein Schwarm von Bewunderern – aber auch am andern Ende des großen Saales sammelten sich dichte Gruppen der Gesellschaft, und zwar um einen Herrn, der eben erst eingetreten war, einen der Freunde des Hauses.

Er war in großer Aufregung und erzählte mit aller südlichen Lebhaftigkeit, daß soeben vor dem Palaste ein leer heimkehrender Fiaker eine arme Frau überfahren, die auf der Stelle todt geblieben; zwei schreiende Kinder, die hinter ihr hergelaufen, hingen an der Leiche und wollten sie nicht wegbringen lassen.

»Wir wollen für die Kinder zusammenlegen«, sagte die Gräfin Sp. und machte ihr Armband los, legte es auf einen silbernen Präsentirteller und reichte ihn weiter.

Er kam bedeckt mit Goldstücken von den Herren und mit Schmuck der Damen an Alba. Sie war in großer Verlegenheit; denn sie hatte nie außer der Bühne einen andern Schmuck als ihr blaues Schlangen-Armband getragen. Freilich hörte sie die Dame neben sich, als diese ihre Broche auf den Teller legte, laut sagen: »Ich werde sie morgen früh einlösen« – aber sie konnte sich nicht entschließen, auch nur auf eine einzige Nacht das verhängnißvolle Armband von sich zu geben. Als sie immer noch zögernd und Auskunft suchend den Teller in Händen hielt, blickte sie auf und sah die Augen der Frau des östreichischen Gesandten spöttisch auf sich gerichtet – das überwand Alles, sie machte ihr Armband los, das sie zur Sicherheit mit einem doppelten Schloß hatte versehen lassen, und sagte, es emporhaltend, laut zur Herzogin Torlonia, die zufällig in der Nähe stand: »Es ist mir unersetzlich – ich werde es morgen in aller Frühe einlösen.«

Die Herzogin nahm's ihr aus der Hand und sagte lächelnd: »Aber ich gebe es nur gegen ein hohes Lösegeld«, und legte es dann zurück auf den Teller, der weiter gereicht wurde.

Am andern Morgen – es war kaum möglich, daß die Herzogin schon aufgestanden sein konnte – schickte Alba ihre Kammerfrau mit zehn Dukaten in den Palast Torlonia.

Die Kammerfrau erhielt nach langem Warten die Antwort, das Armband habe die Frau Gräfin ja schon gestern Abend bald nach ihrem Wegfahren für hundert Dukaten einlösen lassen.

Die Kammerfrau wagte kaum, Alba diese Antwort zu bringen; denn Betty kannte, wenn auch nicht die ganze Geschichte, doch ungefähr den Werth des Armbandes für Alba.

Alba war außer sich. Augenblicklich fuhr sie zur Herzogin, die ihr die größten Entschuldigungen machte – aber das Armband war fort. Ein schwarzgekleideter Mann, der sich den Kammerdiener der Gräfin Monthion nannte und hundert Dukaten brachte, hatte es noch in der Nacht abgeholt und die Herzogin selbst es für ihn, auf seine genaue Beschreibung hin, ausgesucht. Er wußte sogar, daß es im Innern Haare und die Inschrift: Take care enthielt.

Wer anders als Arthur oder ein Vertrauter von ihm konnte ein Interesse gehabt haben, das Band mit dem zehnfachen Werthe einzulösen?

Die Gräfin nannte der Herzogin seinen Namen, aber diese hatte ihn nie gehört!

Alba kehrte völlig trostlos zurück. So war denn Alles umsonst! Sie war von neuem in seine Hand gegeben, sie, die sich jetzt die Gattin eines Andern nannte und auch von Allen dafür gehalten wurde – Niemand außer ihr selbst und Betty kannte ja das wahre Verhältniß dieser Scheinehe.

Jeden Tag konnte der stolze Mann jetzt wieder vor sie treten und ihr sagen: »Hier ist deine Spange, folge mir, du hast es geschworen!« und ihr blieb nichts Anderes übrig, als ihm zu folgen oder ihren Schwur zu brechen!

Sie war unglücklicher als je! Sie hätte ihr Leben für den Besitz des Armbandes gegeben – sie hatte keinen andern Gedanken mehr, als es wieder zu erlangen um jeden Preis!

*

3. Der Diplomat.

Wer kennt nicht in Neapel Santa-Lucia, den schönsten aller Quais der Welt!

In einem der großen Hôtels garnis, die dort mit ihren tief herabgehenden Fenstern eins neben dem andern stehen, saß oder lag vielmehr auf einem Divan ein blonder Mann. Seine Augen schweiften über den sapphirblauen Meerbusen nach dem stattlichsten Gegenüber der Welt, dem Vesuv! Eine weiße Rauchsäule stieg senkrecht in den blauen Aether und theilte sich dann rechts und links wie ein dunkler Thronhimmel über dem donnerndsten und unerforschlichsten aller Erden-Despoten – dessen Wuth über Nacht kommt und Städte und Länder verheert – dessen tiefes Beben den Stärksten mit Bangen erfüllt und dessen feurigen Zornausbrüchen nichts Irdisches widersteht!

In der Hand hielt der junge Mann spielend ein blau emaillirtes Frauen-Armband; wir ahnen, wer es ist, aber seine Züge sind verändert, und selbst Alba würde Mühe haben, in diesem Manne Arthur Dundas wiederzuerkennen.

Sein Name, sein blondes Haar und seine braunen Augen, das ist Alles, was er noch aus jener Zeit an sich trägt, wo er schwor, nur für Alba und seine Vereinigung mit ihr zu leben!

Seine Züge sind hart geworden. Sein sonst so üppiger, rother, voller Kindermund ist fest geschlossen und die Winkel sind herabgezogen. Obgleich er kaum achtundzwanzig Jahre zählt, ziehen sich über seine Stirn tiefe Falten, und die Augenlider sind gesenkt und halb geschlossen, als sei die Erde nicht mehr der Mühe des vollen Anschauens werth!

Arthur hatte Unglück gehabt, und zwar da, wo es den Mann am empfindlichsten verletzt, in seinem Ehrgeiz. Seit sieben Jahren arbeitete er unablässig, unaufhörlich, selbst Nachts arbeiteten seine Gedanken, und er war noch immer weiter nichts als Gesandtschaftssecretär. Die Fehler seines Gesandten waren ihm aufgebürdet und seine Anstrengungen dem Gesandten zurechnet worden. Sein alter Gönner war gestorben, und der neue Staatssecretär des Auswärtigen sein persönlicher Feind von einem kleinlichen Anlasse her.

Ich sagte vorhin, nichts aus früherer Zeit sei bei ihm dasselbe geblieben, als sein Name, seine braunen Augen und blonden Haare – nein, noch drei Dinge – aber er trug sie unsichtbar im Herzen – seine Ehre, seine Liebe und sein religiöses Gefühl; von den beiden letztern wußte aber auch heute wie damals die Welt nichts, von seinem reizbaren Ehrgefühl desto mehr; denn er hatte, wie alle Männer, die in ihrer Carrière nicht reussiren, ewige Streitigkeiten und Zwiste und Duelle. Man liebte ihn nicht in der Gesellschaft …, er war darin gerade das Gegentheil von Alba, die jetzt Aller Liebling wurde, wo sie erschien. Sie hatte alle Launen und Ecken abgelegt – er war verbittert und scharf und kantig, hart und abstoßend, launisch und unhöflich geworden, er, der sonst die offene Liebenswürdigkeit selbst gewesen!

Einen Freund hatte er, das war sein Vertrauter, sein Alles in Allem. Georg Finlay gehörte zu den rührenden Menschen, denen es Bedürfniß ist, für Jemand zu sorgen, zu leben. Er sorgte mit brüderlicher und väterlicher Liebe zugleich für Arthur, und hatte dies bis jetzt hauptsächlich bethätigt, indem er über Alba gewacht. In London, in Paris, in Rom hatte er sie nicht aus den Augen gelassen; denn er hatte weiter nichts zu thun, als seine Obersten-Pension, die ihm ein in Calcutta gebliebener Arm verschafft, zu verzehren. Er war vierzig Jahre alt, und eigentlich eine trockene und unfruchtbare Natur, aber gutmüthig und aufopferungsbedürftig.

In Rom war er es gewesen, der das Armband, einen hauptsächlich seiner Sorge empfohlenen Gegenstand, der armen Alba weggefangen, um es dann seinem Freunde zu bringen, der seit einigen Wochen nach Neapel versetzt war.

Er kam heute, um ihn zu besuchen. Als die Thür aufging, wollte Arthur mechanisch das Armband verdecken: doch indem er die Züge seines alten Freundes erkannte, behielt er es ruhig in der Hand.

»Wie geht es, Arthur? gut geschlafen?«

»Wie immer. Doch es ist mir lieb, daß Sie kommen; ich dachte eben daran, Sie zu fragen, ob Sie nicht erfahren können, ob Alba keine Briefe von dem Grafen Monthion erhält. Daß er sie während ihres beinahe dreijährigen Aufenthaltes in Rom nicht besucht, wollen Sie ja mit Bestimmtheit wissen?«

»Wie oft habe ich Ihnen das gesagt! Ich weiß es durch Betty, die meinem Diener, als er sie fragte, ob ihre Dame keine Anbeter habe, eine unhöfliche Antwort gab; und als er sagte: ›Das soll ja, habe ich in England gehört, die Sitte der verheiratheten Frauen in Italien sein‹, hat sie aufgelacht und gesagt: ›Ach, deswegen könnte die Gräfin so viel Verehrer haben, als sie wollte, aber sie will eben nicht.‹ Als er sie nun wegen dieser Aeußerung ausgefragt, hat sie endlich gesagt: ›Ach, ihr speculativen Männer meint immer, man könne nur um der Liebe oder um des Geldes willen heirathen. Es gibt auch andere Ursachen, und solche, die eurem Geschlechte wahrhaftig wenig Ehre machen.‹ Mein Bedienter, der sich über die bissige alte Jungfer geärgert, fragte nun nicht mehr – und später wollte sie nichts mehr sagen, ja, es schien sogar, als bereue sie, so viel gesagt zu haben.«

»O! mir ist es klar, sie hat ihn nur geheirathet, um eine vornehme Dame zu sein. Wenn ich nur die Erinnerung an sie vertilgen könnte! Sie ist tugendhaft, aber sie hat kein Herz, sonst hätte sie auf mich gewartet. Ich hätte ihr vielleicht auch noch eine Grafenkrone verschafft, anstatt daß ich sie jetzt an einer Sklavenkette halte«, sagte er, indem er mit einem boshaften Lächeln die Spange in die Höhe hob.

»Ja wohl! Ihr Bruder ist ja kränklich, und da er nur Töchter hat …«

»Pfui, Finlay, wer denkt an so etwas! Nein, nein, ich dachte eben, wenn ich später Erfolge hätte. Doch brauche ich jetzt nichts und bemühe mich auch um gar nichts mehr; meinetwegen mögen Englands Rechte überall geschmälert werden – was liegt mir an England!«

»Das ist nicht Ihr Ernst, Arthur, so denkt kein Engländer.«

»Ich bin auch keiner, ich bin ein Hochschottländer«, sagte mürrisch Arthur, indem er aufstand. »Meinetwegen mag das Einhorn den Löwen durchbohren, oder der Löwe das Einhorn zerreißen, mir liegt nichts daran! Ich habe jetzt nur noch Eine Sorge, meine zerrüttete Gesundheit herzustellen. Der Arzt sagt mir, ich müsse auf mehre Monate das südliche Klima meiden; ich habe Urlaub genommen und werde einige Zeit nach Schottland gehen – auch um meinen kranken Bruder zu besuchen.«

Ein Diener trat ein und legte die eben angekommenen Times auf den Tisch. Arthur nahm sie mechanisch und blätterte darin, da fuhr er plötzlich, wie von einer Viper gestochen, in die Höhe und schrie: »Das ist abscheulich! mehr als abscheulich! Hören Sie selbst, Finlay, was so ein Weib auszuhecken vermag:

»Eine Dame in Rom hat unlängst ein Armband verloren, auf welches sie den größten Werth legt, und wünscht wieder in dessen Besitz zu gelangen. Der gegenwärtige Besitzer, der sich wahrscheinlich in England befindet, wird zu nachstehendem Tausche ersucht. Sobald er das Armband in die Hände der Dame zurückgelangen läßt, ist sie bereit, einer von ihm zu bezeichnenden wohlthätigen Anstalt augenblicklich hunderttausend Francs zu übermachen. Von dem bekannten christlichen Sinne des Besitzers erwartet sie, daß er nicht um einer Laune willen den Armen ein solches Capital entziehen werde.«

Finlay legte sich zurück und sagte weiter nichts als: »Ein Capital-Weib! Beim Jupiter, sie verdiente, eine Krone zu tragen, so gut wie unsere ›graziöse Majestät‹.«

»Wie!« schrie Arthur zornig, »du bewunderst noch dieses Uebermaß von Grausamkeit? Sie bringt es dahin, wohin mich kein Mensch gebracht hätte – mich meiner Armuth zu schämen!«

Und er hielt die Hände vor das Gesicht und weinte wie ein Kind.

»Ja«, sagte einlenkend Finlay, »wenn ich die Summe besäße, ich wäre wahrhaftig im Stande, schon um der Ehre unsers Geschlechts willen, sie ihr in Banknoten zu überschicken, mit der höflichen Bitte, damit zu dotiren, was sie wolle, und uns das Armband zu lassen.«

»Ich bin geschlagen, total geschlagen! Es wäre eine Büberei, der darbenden Menschheit um einer kindischen, selbstsüchtigen Rache willen, an einem freilich ebenso kindischen und selbstsüchtigen Weibe, diese Wohlthat zu entziehen. Hier haben Sie das Armband, bringen Sie es ihr. Ich gehe nach Schottland!«

»Soll ich selbst zu ihr gehen, selbst mit ihr sprechen?«

»Wie Sie wollen – oder ja, thun Sie es und demüthigen Sie durch Ihr kaltes Betragen die unsinnige Verschwenderin, die ihrem Hochmuth und Stolz Hunderttausende opfert! Wenn sie auf diese Weise fortfährt, wird sie sich zuletzt ruiniren, und wenn sie auch so viele Millionen als Launen und Tücken besäße!«

»Sie lebt sehr einfach«, sagte Finlay, »in ihrer Lebensweise verräth nichts die reiche Frau.«

»Desto schlimmer! Denn eine einzelne Frau darf nicht sparen, das verräth eine kleinliche Seele. Ich gönne ihr ihren Reichthum, obgleich sie mich tief damit demüthigt.«

*

4. Die Verschwundene.

Arthur reiste wirklich nach Schottland, und zwar zur See, um gar nicht in Versuchung zu kommen, Alba auf dem Landwege in Rom zu sehen, und Colonel Finlay ging an demselben Tage nach der Weltstadt ab, um seinen Auftrag zu erfüllen und der Gräfin Monthion das Armband zu übergeben. Er begab sich sogleich, nachdem er im Gasthofe Toilette gemacht, nach der ihm wohlbekannten Wohnung in der Via del Babuino; aber wer beschreibt sein Staunen, als ihn die Nachricht empfing: die Frau Gräfin sei vor einigen Tagen, nur von ihrer Kammerfrau begleitet, abgereist, nachdem sie Alles versteigern lassen, was sie an Einrichtungsgegenständen und Kunstsachen besessen!

»Wäre es möglich?« fragte sich Finlay – »die ganze Annonce also nur eine boshafte Mystifikation, ein hochmüthiger Scherz mit Arthur – sie wollte ihn nur verhöhnen, ihn zwingen, ihr das Armband zu schicken, und dann verschwunden sein, wie ein Vogel, ihre hunderttausend Francs in der Tasche?«

Nun war es an ihm, dem Sanften, zornig zu werden, und dieser Zorn stieg mit jedem Tage, den er noch in Rom zubrachte, um Erkundigungen nach der Entflohenen einzuziehen. Nirgends bei ihren Bekannten, wo er nachfragte, hatte sie das Ziel ihrer Reise bei dem Abschiede genannt; dem Einen hatte sie gesagt, es gelte einer Zusammenkunft mit ihrem Gemahl in Oberitalien; die Bestimmung über den Ort des Rendez-vous werde sie erst in Livorno treffen; Andern aber sagte sie, sie gehe, um Oberitalien, das sie noch nicht kenne, zu bereisen, Sie werde wiederkehren, in einem halben Jahre, in einem Jahre oder gar nicht, je nachdem sie sich irgendwo gefalle.

Der ruhige Finlay wüthete förmlich. Er schrieb einen wetterleuchtenden Brief an Arthur und bat diesen flehentlich um ein paar Zeilen, die ihn autorisirten, Alba, im Falle sie nicht zahlte, zu ihm zu führen, wie eine entsprungene Sklavin. »Entweder hunderttausend Francs, oder Abbitte zu Ihren Füßen! Ich finde das dämonische Weib, und säße sie am Nordpol und sänge den Eiszapfen vor, um sie zu schmelzen und nachher wieder von neuem gefrieren zu lassen.«

Bei diesem schönen Gleichnisse von den Eiszapfen hatte wahrscheinlich der edle Colonel sich selber im Sinne. Denn er war damals im Salon der Herzogin Torlonia außerordentlich von Alba's Tönen gerührt und eigentlich sehr ihr Partisan geworden. Doch ihr Verschwinden selbst empörte den pünktlichen und redlichen Engländer dermaßen, daß er vollständig wieder für die Falsche gefror.

Nach ein paar Wochen sehr ungeduldigen Wartens traf Arthur's Antwort aus Schottland ein. Er nahm die Sache bei weitem nicht so ernsthaft wie sein Freund – vielleicht war das aber nur die Freude, daß die Armspange sich noch im Besitze seines Bevollmächtigten befand. Im Gegentheil, er nahm das Ganze als einen Scherz, that aber dennoch Finlay den Gefallen und schickte ihm folgende Zeilen für Alba:

»Die Zeit ist gekommen, Ihren Schwur zu halten. Die sieben Jahre der Dienstbarkeit sind verflossen für mich, um für Sie zu beginnen.«

Finlay hielt den Streifen jubelnd in die Höhe. »Ich finde sie!« rief er. Den folgenden Tag reiste er auch schon ab.

Wir wollen ihm nun nicht in jedes Dorf, auf jede noch so kleine Station von Oberitalien folgen, dem Rastlosen; es würde uns ermüden, immer und ewig den Mann nach zwei Damen fragen zu hören, wovon die eine jung, groß, schön und brunet, die andere, ihre Cameriera, alt, häßlich und klein sei.

Er fand zuletzt eine Spur, die ihn bis Florenz führte, sich aber dort verlor.

Er war schon einige Tage da, als er beim Herumschlendern auf der Straße einen unendlich großen Theaterzettel erblickte, worauf mit Riesenbuchstaben für den Abend die Opera Norma angekündigt war, und Norma sang Niemand anderes als die illustrissima Signora Alba, prima cantatrice del teatro Italiano di Parigi e di Londra!

»Sie singt heute nicht!« sagte Finlay mit einem unaussprechlichen Hohne in dem langen blassen Gesichte, und eilte nach seinem Gasthofe. Obgleich er vor Ungeduld zitterte, verleugnete er doch nicht seine Nation, und kein Fältchen an seiner weißen Cravate konnte verrathen, wie eilig ihr Besitzer bei dem Anlegen gewesen. Armband und Zettel steckte er zu sich und ging in das Hôtel, wo, wie er erfragt hatte, die Signora wohnte.

Er ließ sich melden und erhielt die Antwort, die Dame bedauere, heute nicht mehr empfangen zu können, da sie bereits sich für das Theater habe frisiren lassen.

Er ließ ihr sagen, er bringe eine wichtige Nachricht, welche augenblickliche Antwort erheische.

Man hieß ihn eintreten. In der Mitte des Zimmers stand Alba, schön, aber bleich, auf ihren Zügen den Ausdruck der Erwartung. Sie streckte die Hand aus und fragte mit bewegter Stimme den ihr gänzlich fremden Finlay:

»Was bringen Sie mir, mein Herr?«

Finlay war grausam genug, nichts zu sagen, sondern nur das Armband aus der Brusttasche zu ziehen und im offenen Etui, das er besonders dafür machen lassen, ihr zu präsentiren.

Sie war bei weitem nicht so bewegt von dessen Anblick, als sich sein Rachegefühl geschmeichelt, sondern sagte nur sanft lächelnd: »Und Ihre Parole?«

Finlay sprach wieder nicht, sondern producirte jetzt die Nummer der Times, worin die Annonce der hunderttausend Francs stand.

Sie warf einen Blick darauf und sagte, indem eine dunkle Röthe ihr Gesicht überzog: »Das habe ich einrücken lassen – aber ich kann augenblicklich nicht mein Wort halten, denn ich habe mein ganzes Vermögen verloren. Ich bin pennyless, wie Ihre Landsleute sagen! Wenn ich heute Abend in meiner Rolle nicht reussire und der Impresario gibt mir keinen Vorschuß auf meine Gage, so habe ich morgen keinen Scudo. Aber beruhigen Sie sich, binnen höchstens einem Jahre habe ich hoffentlich die Summe verdient, um deren Erwerbung willen ich einzig und allein die Bühne wieder besteige; bis dahin behalten Sie das Armband als Pfand, und seien Sie versichert, daß Alba noch im vollen Besitz ihrer Stimme ist, und mit fünfundzwanzig Jahren ebenso gut und vielleicht noch besser spielen wird, als mit achtzehn!«

Jetzt endlich ermannte sich Finlay zum Sprechen. »Verzeihen Sie, Signora (er nannte sie absichtlich nicht Frau Gräfin), »ich habe von unserm gemeinschaftlichen Freunde, den ich Ihnen wol nicht erst zu nennen brauche, den Auftrag, entweder die Quittung einer wohlthätigen Anstalt über hunderttausend Francs mitzubringen oder – Sie selbst.«

Alba sah ihn lange an, aber sie war auch jetzt nicht erschrocken, sondern sagte nur nach einer Weile: »Ihr Freund ist wol böse und glaubt, ich hätte ihn zum Besten gehabt – da sei Gott vor! Als ich diese Anzeige nach London schickte, war ich im Besitze der doppelten Summe, deren es bedurfte, mein Wort zu lösen – und ein paar Tage darauf eine Bettlerin. Ich hatte deshalb auch bei dem Verluste meines Vermögens nur den Einen Gedanken – den Gedanken, mein Wort Ihrem Freunde gegenüber nicht halten zu können, bis mir einfiel, daß in meiner Kehle noch mehre hunderttausend Francs verborgen liegen könnten. Die ersten, die ich verdiene, erhalten Sie, darauf mein Wort; und nun spielen Sie nicht länger Komödie, denn ich muß jetzt Komödie spielen. Der Wagen, der mich zur Oper fährt, hält schon unten.«

Finlay sagte mürrisch: »Worte nützen hier nichts; da Sie vorgeben, kein Geld zu haben, so kommen Sie mit mir in meinen Wagen, der uns nach Livorno bringt und von da nach London. Hier ist meine Legitimation.«

Alba las den Zettel mit einem schmerzlichen Lächeln. »Er droht mir! Was kann er mir Schlimmeres zufügen, als er in diesen sieben Jahren gethan?« Und sich umwendend flüsterte sie leise: »Was ist ärger als Warten ohne Kommen?«

Finlay aber fragte: »Nun, wie ist es?«

Sie sagte ruhig: »Ich kann nicht mitgehen. Das hieße den Impresario betrügen. Als ich jenes Versprechen gab, war ich achtzehn Jahre alt und liebeberauscht. Ich bin jetzt fünfundzwanzig und – nüchtern. Arthur hat auch sein Recht verloren, denn er sollte mich nur aus Liebe zu sich rufen, nicht aus Rache oder gar zur Strafe, wie es jetzt geschieht. Einer Foderung, die ich mit Geld abkaufen kann, gebe ich mich nicht selbst preis!«

»Das fehlte noch!« sagte Finlay bitter; »das fehlte noch, um meinem armen Arthur den Rest zu geben, diesem Arthur, den Sie schon halb zu Grunde gerichtet haben, durch Ihre herzlose Heirath!«

»Arthur?« und sie faßte die Hände des alten Mannes, als wollte sie ihn nie loslassen; »Arthur hat durch mich gelitten? So liebt er mich noch?«

»Freilich, freilich, und, lassen Sie mich's sagen, leider! Als der arme Junge vier Jahre gearbeitet, wie Einer, der's um seine Seele thut, kommt die Zurückfoderung Ihres Pfandes – dann die Nachricht Ihrer Heirath. Was kann der arme Junge dafür, daß er kein Glück und kein Talent zum Diplomaten hat? – seine Schuld ist es nicht – aber wenn Sie ihn sehen, wenn Sie in sein vor der Zeit gealtertes Gesicht blicken, dann wird doch Ihr kaltes Herz von Reue ergriffen werden!«

In diesem Augenblicke wurde Alba ein Brief übergeben. Halb gedankenlos, denn ihre ungetheilte Aufmerksamkeit war bei Finlay's Schilderung, riß sie ihn auf – sie blickte hinein, sie strich sich mit der Hand über die Stirn und sagte, indem ein kleiner Schauer ihre hohe Gestalt überlief: »Das ist Gottes Finger! Ich soll mit Ihnen gehen, denn der Anstand verbietet mir jetzt ohnehin, hier aufzutreten – hier ist die Todesnachricht des mir angetrauten Grafen Monthion; er hat sich erschossen!«

»So? Graf Monthion? erschossen?«

»So ist's!«

»So gehen Sie mit mir nach London.«

»Ich gehe, aber erst morgen; heute Abend bleiben Sie bei mir, um mir von Arthur zu erzählen, und morgen reisen wir. Nur müssen Sie auch meine alte Betty mitnehmen und mir die Reisekosten vorstrecken und mit mir über Paris gehen. Dem Impresario will ich diesen Brief mit der Todesnachricht schicken, so bin ich meines Wortes entbunden.«

Finlay sagte zu Allem Ja, aber er wußte selbst nicht recht, wie ihm zu Muthe war – sollte er dieses Weib hassen oder lieben?

*

5. Das Glück.

Es war in London einer jener Maitage, wie die Riesenstadt ihrer so viele hat, trübe und doch nicht regnerisch, belebt und doch nicht heiter.

Vor einem hohen Hause in Grosvenor-Square hielt ein Cabriolet, woraus ein schlanker, schwarz gekleideter Mann stieg, der an den Diener, welcher ihm öffnete, die Frage richtete: »Ist Niemand während meiner Spazierfahrt angekommen?«

»Doch, Mylord!«

»Wer ist denn gekommen? rasch!«

»Ein Herr und eine Dame«, sagte der pathetische Diener, »oder vielmehr eine Dame und ein Herr.«

»Dummkopf! Eine Dame? Was für eine Dame?«

Der Diener zuckte die Achseln und sagte verlegen: »Ich weiß weiter nichts, als daß sie sehr groß ist, beinahe so groß wie Ihre Lordschaft, und ganz schwarz gekleidet, auch in Trauer wie Ihre Lordschaft.«

»Wo ist sie?«

»Im Sprechzimmer.«

Der Mann in Trauer stieß den Diener rauh zur Seite und stürmte zur ersten Thür hinein; im nächsten Augenblicke stand er vor – Alba!

Sie sah ihn erschrocken an, der Ausdruck eines tiefen Schmerzes beim Anblick seines bleichen, abgehärmten Gesichts glitt über ihre schönen, regelmäßigen Züge. Sie kreuzte die Arme über die Brust, beugte ihr dunkles Haupt und sagte dann mit unaussprechlichem Wohllaut der Stimme: »Hier bin ich, bis in deines Bruders Haus, bis in dein eigenes Zimmer komme ich, um mein Wort zu lösen. Verhänge nun die Dienstbarkeit über mich, die du mir angedroht hast!« – Sie blickte zu ihm auf, mit denselben Augen, wie vor sieben Jahren, als er vor ihr stand und drohend ihre Liebe von ihr foderte.

In Arthur's Zügen ging eine merkwürdige Veränderung vor – wie wenn über eine Herbstlandschaft ein Sonnenblick fährt und sie vergoldet und ihr für einen Augenblick das sommerliche Ansehen gibt, um sie nachher desto grauer und trüber erscheinen zu lassen.

»Wie ist mir denn?« fragte er gehalten, ohne eine Hand nach ihr auszustrecken; »ist das nicht die Gräfin Monthion – und was führt die zu mir?«

Finlay, der im Hintergrunde am Fenster lehnte, wollte vortreten und sich Alba's, die sein ganzes Herz wieder erobert hatte, annehmen gegen den unbarmherzigen Freund; aber sie winkte ihn mit der Hand zurück.

»Lassen Sie mich allein mit ihm fertig werden. Es steht nichts zwischen uns, als sein Mistrauen.«

»Und Ihr Gemahl!« sagte Arthur finster.

Alba schüttelte mit dem Kopfe. »Niemals – es war nur eine Scheinehe, und jetzt ist der arme Mann ganz todt. Vor sechs Wochen hat er sich erschossen.«

»So bist du frei?« fragte Arthur wie auflebend.

»Das wäre ich, wenn ich dir nicht meine Seele verschrieben hätte. – Nun höre mich an, ich will dir einen Vorschlag machen. – Ich habe mein ganzes Vermögen, alle meine Ersparnisse verloren.«

»Warum fopptest du mich denn mit deinen großen wohlthätigen Stiftungen?«

»Ich vergaß – das muß ich dir erklären. Setze dich neben mich, mein Freund, ich will dir Alles von Anfang an mittheilen, und dann«, sagte sie mit unaussprechlich süßem Lächeln, »und dann wollen wir sehen, was für uns zwei arme Abgebrannte zu thun ist.

Als du vier Jahre lang nichts von dir hören ließest, fühlte ich mich dem Wahnsinn nahe und foderte die Spange zurück, und als du mir sie schicktest, war ich wieder beleidigt, daß du es gethan, und bot einem verarmten Spieler, dem Grafen Monthion, die Hälfte meiner Ersparnisse, wenn er mir am Altar seinen Namen gebe und dann weiter gar keine Ansprüche auf mich machen wolle.

Er ging das ein, und ich war zwei Jahre lang ziemlich zufrieden. Es war in Rom, ich lernte viel, bildete mich etwas aus dem Chaos meiner Künstlerlaufbahn heraus und bekam einige Berechtigung, mich zu den civilisirten Menschen zu zählen, während ich bisher doch eigentlich weiter nichts als ein seltener Vogel gewesen; da ließest du mir plötzlich mein Armband rauben, und ich bestimmte die Hälfte alles Dessen, was ich besaß, zur Wiedererlangung.

Stolz und glücklich über meinen Einfall, und stündlich deinen Boten mit Bestimmtheit erwartend, ging ich eines Tags mit Betty nach dem Vatican, in die Museen, wie ich allwöchentlich zu thun pflegte. Als ich nach Hause kam, fand ich meinen Schreibtisch erbrochen, mein ganzes Vermögen, in französischen Renten im Werthe von 250,000 Francs bestehend, daraus entwendet, an der Stelle aber, wo die Papiere gelegen, einen Zettel, mit Bleistift beschrieben:

›Suchen Sie nicht nach dem Dieb. Ihr Gemahl hat ein erzwungenes Anlehen bei Ihnen gemacht; er bedarf der Summe, um eine Combination im Pharo auszuführen, die unfehlbar gelingen muß und die er kürzlich entdeckt hat. Sobald er die Bank gesprengt hat, schickt er Ihnen Ihr Geld und noch mehr zurück, und bittet Sie, nur einige Wochen Geduld zu haben.‹

Graf Monthion war wirklich da gewesen, hatte meinen Hausleuten seinen Paß gezeigt, um sich als meinen Gemahl zu legitimiren und den Einlaß in meine Zimmer zu erlangen. Die Leute, denen die Art unsers Verhältnisses ganz unbekannt war, ließen ihn gewähren – wie er diese Gewährung benutzt, erfuhr ich erst am Abend. Ich schwieg – nur Betty erfuhr meine Verarmung.

Das Schmerzlichste war mir der Gedanke, wie lächerlich ich vor deinen Augen dastehen mußte, wenn du mir wirklich das Armband zum Einlösen schicktest.

Ich beschloß deshalb, zur Wiedererlangung meines Vermögens nicht den Grafen zu verfolgen, der längst über alle Berge war, sondern in meine frühere Laufbahn zurückzukehren.

Zum Debut wählte ich Florenz, wo ich ganz unbekannt war. Dort entdeckte mich dein Agent und Freund und schleppte mich als schlechte Zahlerin mit sich. Wir gingen über Paris, um wo möglich einige Trümmer meines Vermögens zu retten, aber vergebens; Graf Monthion hat nichts hinterlassen als Schulden. – Nun mein Vorschlag. Ich kehre zur Bühne zurück, Frühjahr und Winter lebe ich der Kunst, Sommer und Herbst aber dir – und du, lasse deine diplomatische Carrière, zu der du doch kein Talent hast, wie es scheint, und sei nicht zu stolz, von meiner Freundschaft anzunehmen, was mir die Kunst mit vollen Händen zuwirft.«

Bei dem letzten Theil ihrer Rede hatte Arthur ihr lachend zugehört. Er sagte nun, indem er zum ersten mal ihre Hand nahm:

»Nun mußt du mich anhören; meine Geschichte ist noch viel kürzer als die deinige. Als wir uns trennten, gabst du mir, wie es scheint, einen schlimmen Segen mit, indem du sagtest: ›So gehe denn hin, Mann ohne Talent, und werde Diplomat.‹

Ich habe kein Glück gemacht und war zu stolz, dir eine Kunde zuzuschicken, wobei ich hinzufügen mußte: Was ich gewollt, ich habe es nicht gekonnt!

Du kränktest mich unaussprechlich, indem du nicht geduldig wartetest; mein Gemüth verbitterte, das fühle ich jetzt, indem ich in deine sanften Augen sehe; ja, ja, Alba, ich bin recht unausstehlich geworden!«

Sie lachte, aber sie sagte nichts; so fuhr er fort: »Welche Genugthuung, als mir Finlay dein Armband brachte! Der erste süße Moment – wenn es auch ein Moment der Rache war – du böses, böses Kind! warum spieltest du diese Heiraths-Komödie?«

Sie lachte wieder und noch viel fröhlicher.

»Und dann die Demüthigung jener Annonce! Ich ging nach Schottland – in seinen Bergen wollte ich dich und die Welt vergessen und fand meinen Bruder sterbend. – Er ist todt, ich bin jetzt der Erbe meines Vaters und kann dir auch eine Grafenkrone bieten – willst du sie annehmen? Doch nicht zum Schein«, sagte er zärtlich, und fügte dann hinzu: »Und dann bitte ich dich, nicht von meiner Freundschaft, sondern von meiner Liebe anzunehmen, was mir auch, nicht die Kunst, nicht mein Verdienst, sondern blindes Glück in den Schoos wirft – willst du dich herablassen, es anzunehmen, Sonne meiner Tage?«

Und er kniete vor sie hin und sah wieder aus wie vor sieben Jahren! Und sie, der Gegenwart Finlay's vergessend oder nicht achtend, legte wieder wie damals beide Arme um seinen Hals und drückte wieder ihren süßen, unentweihten Mund auf seine Stirn, und wieder wie damals hob er sie auf und legte sie an sein Herz und sagte mit dem Tone, den jeder Mensch im Leben nur einmal findet: »Mein Glück! mein Alles! Nie, nie mehr darfst du diese Stelle verlassen!«

Sie trennten sich auch nicht mehr. Bis zu dem Zeitpunkte, wo der Anstand ihre Vermählung erlaubte, bewohnten sie ein und dasselbe Hôtel in Edinburgh, wohin auch Arthur's Mutter kam, die dann nicht mehr die liebliche Schwiegertochter verlassen wollte.

Finlay aber ging auf lebenslängliches Engagement, wie er sich ausdrückte, mit nach dem Schloß in Hoch-Schottland; denn er behauptete, nicht leben zu können, wenn er Alba einen Tag nicht gesehen.

Arthur wurde wieder derselbe, wie in seiner ersten Jugend: ein liebenswürdiger, offener, teilnehmender Freund, ein lebhafter, fröhlicher, stolzer Mann; denn zu rechter Zeit noch hatte Gott ihm das rechte Mittel, ein liebendes Weib, auf die rechte Stelle, das Herz, gelegt! Er war gesundet.

*


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