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Frauendiplomatie.

1.

In Wien herrschten vor der Märzrevolution zwei ganz verschiedene Arten, zu leben – das Treiben der Vorstädte hatte mit dem der innern Stadt beinahe keine Aehnlichkeit. Ein Familienleben, das sich auf einen kleinen Kreis beschränkt, war nur noch in den erstern zu finden, während in der Stadt selbst die Theater, die Concerte, der Luxus, der Scandal mit wenigen Ausnahmen einzig die Interessen abgaben, welche alle Existenzen zersplitterten und des innern Gleichgewichts beraubten.

Auf der Landstraße, einer der größten Vorstädte Wiens, liegt rechts, etwas von der Hauptstraße entfernt, ein großer Garten. In seiner Mitte birgt sich, der Straße unsichtbar durch die hohe Umfassungsmauer, ein hübsches, behagliches Haus. In einem Saale des Erdgeschosses, im rechten Flügel, in den man unmittelbar aus dem Garten trat, standen die Flügelthüren weit offen, denn es war Frühling, Anfangs Mai, und in Jedem das Verlangen rege, die ersten balsamischen warmen Lüfte einzusaugen.

Eine schöne hohe Frau, an deren Arm ein eben erblühtes, unendlich reizendes Mädchen hing, trat aus dem Saale in den Garten. In den Zügen der Beiden war nicht die mindeste Aehnlichkeit zu entdecken, und doch waren es Mutter und Tochter. Die Mutter blond, mit zarten, feinen Zügen, die Tochter dunkel mit einem Kopfe wie eine griechische Bildsäule und dazu in den braunen, lebhaften Augen einen Ausdruck von Güte und Unschuld und von glückseliger Herzensfröhlichkeit um den kleinen, schwellenden, dunkelrothen Mund – es war beinahe unmöglich, das Kind ohne eine sogleich erwachende Zuneigung anzusehen. Im Ganzen stellten die beiden Frauen eine vortreffliche Charakteristik von Nord- und Süddeutschland dar.

Die Tochter schritt mit fröhlichem Ausdruck dahin, der Blick der Mutter aber war mit banger Sorge auf die glatte Stirn ihres Kindes gesenkt, ihres ältesten und ganz besonders geliebten Kindes. Dem mütterlichen Auge war es nicht entgangen, daß die Tochter bei der sanftesten, weichsten Gemüthsart zuweilen eine tiefe, beängstigende Leidenschaftlichkeit an den Tag legen konnte. Das äußerte sich nur vorübergehend, ihr selber unbewußt; aber wie – hatte die sanfte, ruhige Mutter im Stillen oft zu sich gesagt – wie soll das werden, wenn das Kind einmal lieben sollte?

Eine Leidenschaft war in den Augen Gerhardine's – so hieß die Mutter, Laura die Tochter – etwas besonders Gefährliches, Ueberwältigendes, da sie selbst nie eine empfunden. Als ihr jetziger Mann sich durch ihre Brüder in ihrem Hause einführen ließ, wußte sie, daß er um ihretwillen komme, daß er sie liebe, nachdem er sie, ihr selber unbewußt, nur einige male gesehen. So, als sie zu lieben begann, sah sie in ihm schon den künftigen Gatten. Ohne Aufregung, ohne Widerstand, ohne Kämpfe wurde sie die Seine.

Freilich in ihrem sechzehnten Jahre hatte sie eine romantische Jugendliebe gefühlt, aber den Gegenstand dieser Liebe nie gesehen!

Sie war die Tochter eines reichen geadelten Kaufmanns, der, als sie geboren wurde, schon von seinen Renten lebte wie ein Fürst. Gerhardine's Brüder dienten beide in einem österreichischen Cavalerieregimente; sie selbst war, da sie die Mutter früh verloren, unter der Aufsicht einer Tante im Hause ihres Vaters in Breslau erzogen.

Ein schönes, begabtes, von Allen gefeiertes Kind, hing sie mit ausschließlicher Liebe an einer Freundin, einer Cousine, die ein paar Jahre älter als sie, an einen Offizier verheirathet war und Marianne von Lemgo hieß.

Diese junge Frau hatte eine Hochzeitsreise nach Berlin gemacht, und von daher zurückkehrend, wußte sie Gerhardine nicht genug von einer neuen Bekanntschaft, welche sie dort gewonnen, zu erzählen. Es war ein Freund ihres Mannes, Offizier wie er, und die junge Frau hatte sich fest in den Kopf gesetzt: Lieutenant Graf Hugo Gerstatt und Gerhardine von Walther müßten ein Paar werden! Wirklich hatte sie es durch wechselseitiges Rühmen des Einen beim Andern dahin gebracht, daß Beide, ohne einander gesehen zu haben, sich lebhaft füreinander interessirten.

Es schien in der That, als werde bei einem persönlichen Zusammentreffen sich Alles auf das günstigste fügen. Von Gerhardine's Vater war es allgemein bekannt, daß er einen unendlich großen Werth auf hohe Geburt lege – Dasjenige, was ihm mangelte – während er, wie es schien, über große Reichthümer gebot, mit welchen hingegen der Graf nicht rivalisiren konnte, da seine Familie während der Napoleonischen Kriege Alles verloren hatte.

Es wurde verabredet, daß Graf Gerstatt Marianne Lemgo in Breslau besuchen und dabei ihre schöne Cousine kennen lernen sollte. Da starb plötzlich der Vater Gerhardine's und hinterließ nichts als sein palastähnliches Haus, seine Villa, seine Gärten, seine Equipagen, seine Bronzen, seine Renaissancemeubles, kurz, lauter Dinge, zu deren Erwerbung er neben seinen europäisch gewordenen Diners ein fürstliches Vermögen verschwendet hatte und deren Verkauf gerade so viel eintrug, daß Gerhardine von ihrem Drittheil anständig vegetiren konnte.

Glücklicherweise war ihr ältester Bruder an die Tochter eines reichen Gutsbesitzers in Ungarn verheirathet. Zu diesem Bruder nun ging sie nach schmerzlichem Abschiede von der Freundin, ohne den Mann, der seit einem Jahre ihre Phantasie ausschließend beschäftigte und dessen Name allein ihr sechzehnjähriges Herz höher klopfen gemacht, gesehen zu haben.

Nach einigen Jahren verließ sie das Haus ihrer Schwägerin in Ungarn, um ihrem jetzigen Manne nach Wien zu folgen. Er war ein bedeutender Maler, der Name Wolfram war weit und breit geehrt, und nie, auch nicht einen einzigen Augenblick, hatte sie seit ihrer siebzehnjährigen Ehe anders als mit dankbarer Liebe ihres Mannes gedacht. Sie war die glückliche Mutter dreier schönen Kinder; Laura, als die einzige Tochter, die der noch so jugendlichen Mutter Kind und Freundin zugleich war, nahm am meisten von den dreien ihre Theilnahme in Anspruch.

Wir erwähnten, daß Gerhardine mit banger Sorge an die Zukunft ihrer Tochter gedacht, und zwar mit der Sorge, welchen Einfluß eine heftige Liebe bei ihrem Charakter auf sie äußern werde. Daß die Mutter jetzt diesen Gedanken hegte, war natürlich; denn Laura stand an der Schwelle der Gefahr.

Eben schmiegte sie den Kopf an die Schulter der Mutter und sagte, ein Gespräch fortsetzend, das im Saale begonnen worden:

»Du glaubst nicht, Mutter, was er für schöne Augen hat!«

»Wie alt denkst du denn, daß er ist?«

»Ich glaube nicht, daß er viel älter als zwanzig Jahre ist.«

»Zwanzig Jahre!«

»Aber er sieht so vernünftig aus! – Willst du mir versprechen, mich ganz gewiß nicht auszulachen, wenn ich dir Etwas gestehe?«

»Rede, mein Kind!«

»Nun wohl – wenn der junge Mann jetzt zu uns käme und – und er wollte mich heirathen, und du fragtest mich – keinen Augenblick besänne ich mich!«

»Aber Kind, du weißt ja nicht einmal seinen Namen, hast ihn nie gesprochen – oder hat er dennoch gewagt, dich anzureden?«

»Mutter!« – und sie sah an der größern Mutter mit dem vollen Blick der Wahrheit auf – »so etwas würde ich dir ja erzählt haben, ich sage dir ja Alles – und wie dankbar bin ich, daß du mir immer so geduldig zuhörst!«

»Ich fragte, weil ich dich wirklich für zu vernünftig hielt, um von einem Menschen, den du ein paar mal auf der Straße gesehen, zu sagen: du würdest ihn ohne weiteres heirathen!«

»Ja, das klingt auch recht leichtsinnig! Aber wenn man bedenkt, daß ich ihn nun schon seit einem halben Jahre jede Woche drei mal auf meinem Wege nach der Gesangstunde treffe und er, der doch offenbar nur meinetwegen in Wind und Regen dasteht, sich nichts Anderes erlaubt, als einen höchst ehrerbietigen Gruß! – O, ich kann dir sagen, ich schäme mich oft, wenn du bei schlechtem Wetter mich fahren läßt und er in der schmutzigen Straße stehen muß, während ich hochmüthig an ihm vorüberrassele.«

»Und dennoch, Laura, muß die Sache ein Ende nehmen. Entweder ich gehe mit dir aufs Land oder ich lasse die Gesangstunde für einige Monate aussetzen.«

Als Laura das Köpfchen senkte, setzte Gerhardine bekümmert hinzu: »Ueberlege selbst, mein geliebtes Kind! darf ich noch länger ein, wenn auch noch so entferntes Verhältniß meines liebsten Kindes, meiner einzigen Tochter, mit einem unbekannten Menschen dulden?« – Als Laura immer noch schwieg, setzte die Mutter mit der ihr eigenen, herzgewinnenden Wärme hinzu: »Eine andere Mutter würde wahrscheinlich ohne weiteres ihre Maßregeln ergriffen haben. Weil ich mir aber auf Erden kein Verhältniß zwischen zwei vernünftigen Menschen, sei es auch zehn mal Mutter und Kind, ohne gegenseitige Verpflichtungen denken kann und von dir die rückhaltloseste Offenheit begehre und verlange, so werde ich auch nie Etwas, was dich betrifft, sei es auch zu deinem Besten, hinter deinem Rücken thun. Ich frage dich deshalb ganz offen: Soll ich der Lehrerin abschreiben oder willst du auf ein paar Monate mit mir zu meiner Schwägerin nach Ungarn gehen?«

»Schreibe der Lehrerin ab«, sagte Laura kaum hörbar, und, zerdrückte eine große Thräne, indem sie sich an die Mutter schmiegte.

Gerhardine aber dachte tief bekümmert: »Sie will Wien um keinen Preis verlassen!«

*

2.

Wir sind im ***schen Gesandtschaftshôtel. Ihre Excellenz die Frau Gesandtin, Gräfin Aurelie von Gerstatt, geborene Gräfin Schauenstein, eine kleine, ängstlich magere Dame, ruht in nervöser Abspannung auf ihrer Chaise-Longue; sie hat befohlen, daß man alle Besuche abweisen solle, und ist auf das höchste erzürnt, als sie trotz dieses Verbotes einen raschen Männerschritt in ihrem Vorzimmer vernimmt.

Sie wendet den Kopf nach dem Eingange; als sie aber den jungen Mann erblickt, der die herabgelassene Portière rasch aufhebt, glättet sich etwas die Zornesfalte auf ihrer Stirn.

»Ah, du bist es, Georg! was wünschest du, mein Kind?« fragte sie mit matter Stimme.

»Mama«, sagte eifrig der junge Mann, der eine auffallend einnehmende Erscheinung war, »Mama, erlaubst du, daß ich dir etwas Wichtiges mittheile?«

Die Gräfin winkte abwehrend mit der Hand. »Jetzt nicht, mein Kind; ich habe furchtbares Nervenkopfweh, komm morgen früh zu mir – aber jetzt nicht – verlasse mich jetzt; und bitte, sage dem Hofmeister deiner Brüder, daß keiner von den Jungen mich stört.«

»Liebe Mama! ich bitte dich dringend, mich jetzt anzuhören! ich habe keine Geduld, bis morgen früh zu warten; es betrifft mein Lebensglück.«

Ein spöttisches Lächeln flog um den Mund der Dame, dann sagte sie kurz: »Irgend eine Liebschaft vielleicht?«

»Ja, Mutter! Aber nicht ›irgend eine‹, sondern eine entscheidende Liebe, eine Liebe, wie ihr sie in euern Salons nicht kennt.«

»Ich verstehe; also eine romantische, außerhalb der Sphären der ›gewöhnlichen Welt‹ liegende. Die hat aber auch noch Zeit bis morgen, wenn nicht gerade Jemand dir die Schöne wegfischen will! Hast du schon einen Nebenbuhler, armer Junge?«

Der Spott, mit welchem diese Worte gesprochen waren, beleidigte den jungen Mann. Er biß sich auf die Lippen und wandte sich zum Gehen. Seine Mutter hielt ihn nicht, sondern sagte nur noch ein mal mit schmachtender Stimme: »A demain.«

Als Georg die Zimmer seiner Mutter verlassen, blieb er einen Augenblick auf dem Corridor stehen und murmelte leise, indem er die Hand an die heiße Stirn preßte: »Ein übles Omen, daß Mama mich nicht einmal anhören wollte! Frauen sind doch sonst neugierig!«

Er wandte nun seine Schritte nach den Gemächern seines Vaters, den er ebenfalls zu Hause wußte. Der Gesandte, Graf Hugo von Gerstatt, saß in seinem Schreibcabinet. Er gehörte trotz seinen fünfundvierzig Jahren noch zu den schönen Männern der Residenz. Groß, von auffallend schlanker und edler Gestalt, mit einem schönen dunkeln, ausdrucksvollen Kopfe, sah er beinahe aus wie der ältere Bruder seines Sohnes, der ihm außerordentlich ähnlich war. Er empfing ihn auch bei weitem freundlicher als die Gräfin und richtete dadurch seines Sohnes gesunkenen Muth wieder etwas auf.

»Hast du eine halbe Stunde Zeit, Vater? Ich wünschte ungestört mit dir zu sprechen.«

Der Graf sah seinen Sohn überrascht an, nickte aber dann mit dem Kopfe.

»So werde ich deinem Kammerdiener sagen, daß du für Niemanden zu Hause bist.«

Der Graf folgte neugierig mit den Augen seinem ältesten Sohne, als dieser die Thür öffnete, um dem Kammerdiener im Vorzimmer die Weisung zu ertheilen, Niemanden vorzulassen. Als Georg wieder zu ihm trat, wies er ihm freundlich einen Lehnstuhl an und nahm selbst ihm gegenüber Platz.

Georg räusperte sich eine Weile, denn eine unerwartete Verlegenheit kam über ihn, als ihn sein Vater so neugierig musterte; er glaubte in seinen Zügen einen ihm wohlbekannten Ausdruck von Ironie zu entdecken.

»Rede, Georg! was willst du mir mittheilen?« sagte aber gütig der Vater, als er die Verlegenheit des Sohnes gewahrte.

»Es ist eine lange Geschichte«, fuhr Georg in einem plötzlichen Muthanfalle heraus, »eine lange Geschichte, und zwar, wie du errathen wirst – eine Liebesgeschichte!«

Trotzdem, daß Georg's Blicke gespannt an seines Vaters Munde hingen, sagte dieser nichts. Er nickte nur mit dem Kopfe und bewegte die Hand zum Zeichen, daß Georg fortfahren solle.

»Vor fünf bis sechs Monaten, im Spätherbst, begegnete ich auf der Landstraße einem jungen Mädchen. Ein Bedienter in einfacher Livrée trug ihr ein Notenbuch nach; da dieser letztere auch zwischen den Fingern ein Billet hielt, so schloß ich, daß sie in eine Musikstunde gehe und also binnen einer Stunde zurückkehren werde. Ich wartete eine Stunde in einem benachbarten Café, und richtig, sie kam zurück.«

»Warum wartetest du aber eine Stunde und warum wolltest du sie auf dem Rückwege noch ein mal sehen? Das hast du ganz vergessen, zu sagen.«

»Weil das gar nicht anders möglich war. Wer sie ein mal gesehen hat, muß sie öfter zu sehen wünschen. Das geht nicht anders.«

»Ist sie so außerordentlich schön?«

»Vater, ich weiß, du hast viel gesehen, aber ich bitte dich, gehe mit mir die Wette ein, daß du nie Etwas gesehen, das ihr gleicht!«

Der ältere Graf strich lächelnd seinen Schnurrbart, und ohne weiter auf den Vorschlag seines Sohnes einzugehen, fragte er ruhig: »Wer ist sie?«

»Da ich seit einem halben Jahre keinen andern Gedanken als dieses Mädchen habe, so kannst du dir denken, daß ich Alles über sie ausgekundschaftet, was man vermöge Geld und guter Worte nur erfahren kann. Sie ist die Tochter des berühmten Malers Wolfram.«

Graf Hugo sagte nichts, aber er blies den Rauch seiner Cigarre mit einer höchst auffallenden Lippenbewegung weg, die sogar von seinem Sohne bemerkt wurde, der aber dennoch in warmem Eifer fortfuhr:

»Sie ist das älteste Kind ihrer Aeltern, die außer ihr nur noch zwei Söhne im Alter meiner Brüder haben. Ihre Mutter ist eine noch schöne, merkwürdig wohl conservirte Frau, eine Nordländerin; auch ihr Vater ist kein Oesterreicher. Es soll eine außerordentlich gebildete, liebenswürdige und achtungswerthe Familie sein. Doch eben fällt mir ein, den Vater mußt du ja selbst kennen, du hast ja damals das Bild für unsern König bei ihm bestellt!«

»Ich kenne ihn – fahre nur fort.«

Durch das Wesen seines Vaters kleinlaut geworden, fuhr Georg fort:

»Seit vierzehn Tagen begegne ich dem Mädchen nicht mehr, habe aber durch meine Kundschafter erfahren, daß sie nicht verreist und auch nicht krank ist. Ich kann das nicht aushalten und will – und möchte nun dort einen Besuch machen. Der Maler Geiger will mich dort einführen, wenn – wenn du Etwas von dieser neuen Bekanntschaft weißt, da die Familie außerdem ganz zurückgezogen lebt und gar keine andern jungen Männer als Künstler bei sich sieht – und da – ich noch nicht unabhängig bin …«

»Man ist das gewöhnlich nicht vor dem zwanzigsten Jahre!« sagte der Graf ironisch.

Georg wurde roth, aber er fuhr fort: »So will Geiger nicht einen Cavalier dort einführen, dessen Absichten die Aeltern vielleicht nicht billigen.«

»Vielleicht? Du bist sehr besonnen und umsichtig, Georg, daß du wirklich annimmst, deine Aeltern billigten deine ›Absichten‹ auf die Malerstochter vielleicht nicht! Bravo! Also schon Absichten und noch nicht zwanzig Jahre alt! Bravissimo, das verräth früh einen soliden häuslichen Charakter!«

»Spotten Sie nicht, mein Vater«, sagte der Jüngling sehr beleidigt, indem er aufstand – »ich bin fest entschlossen, nie eine Andere zu heirathen, als Laura Wolfram.«

»Eine superbe Partie: Gräfin Laura Gerstatt zu Lingendorff, geborene – Wolfram!« – Er lachte laut auf, als er das gesagt, aber nur sein Spott war gereizt, nicht sein Zorn. Die Liebschaft seines Sohnes unterhielt ihn, aber sie verdroß ihn nicht im mindesten. Wahrscheinlich hielt er es nicht der Mühe werth.

Die höchste Wuth, die empfindlichsten Schmähungen würden aber Georg nicht so empört haben, als dieser gleichgültige Spott. Er war im Innersten verletzt und wollte eben mit einer kurzen Verbeugung das Zimmer verlassen, als sein Vater ihn anrief: »Nun, und was sagt denn deine Auserwählte zu deinen ›Absichten‹?«

»Was sie sagt? Wie sollte ich das wissen? Die Nachrichten meiner Kundschafter reichen natürlich nicht bis zu den tête-à-tête zwischen Mutter und Tochter und anderswo wird sich wol ein junges, wohlerzogenes Mädchen nicht über einen Anbeter aussprechen.«

»Bah! du verstehst mich nicht oder willst mich nicht verstehen. Ich meine, wie spricht sich das Mädchen dir gegenüber aus?«

»Mir gegenüber? Ich habe noch nie den Ton ihrer Stimme gehört!«

»Du bist ihr ein halbes Jahr lang nachgelaufen und hast sie nicht ein mal angeredet – das ist göttlich!« – Und mit einem außerordentlichen Gelächter legte der Graf seine Cigarre hin.

Georg aber sagte, von neuem beleidigt: »Dieses spöttische Lachen ehrt mich von einem von den Frauen so ›bevorzugten‹ Manne mehr, als gäbe mir unser König den Orden ›pour le mérit‹!«

»Du wirst impertinent, Junge!« versetzte gutmüthig und sich die Thränen abtrocknend der Graf. »Aber ich vergaß, daß du erst neunzehn Jahre alt bist. Nun, gib deinen Groll auf und höre mein letztes Wort in dieser Sache. Du kannst dem Mädchen die Cour machen, nachlaufen, Visiten und Liebeserklärungen machen, so viel du willst; auch die Sache so ernsthaft nehmen, wie dir beliebt. Aber mir erlaube gütigst, Alles als einen graziösen Scherz und weiter nichts zu betrachten!«

»Heißt das, Sie werden mir nie Ihre Einwilligung ertheilen?«

Der Graf erhob sich, seine Augenbrauen zogen sich zornig zusammen und dicht vor seinen Sohn tretend, sagte er mit langsamer und scharfer Betonung: »Ja, das heißt es, mein Herr Gesandtschaftsataché.«

»So werde ich sie ohne Ihre Einwilligung heirathen, und sollte ich auch zehn Jahre lang warten!«

»Warten Sie, solange es Ihnen beliebt!«

»In zwei Jahren bin ich einundzwanzig Jahre alt und majorenn!«

Ein höhnisches Lachen war die ganze Antwort des Gesandten. Georg wurde dadurch aber noch mehr gereizt und rief, seiner selbst kaum mehr mächtig: »Bei meiner Ehre, und sollte ich arbeiten wie ein Tagelöhner, Laura wird, ehe zwei Jahre verflossen sind, von mir zum Altar geführt!«

Er stürzte hinaus, kein Rufen seines Vaters brachte ihn zurück.

*

3.

Laura war, seitdem sie nicht mehr die Musikstunde besuchte, auffallend verändert. Ihre gütige und kluge Mutter suchte auf alle Weise sie zu beschäftigen und ihren Gedanken eine fesselnde Richtung zu geben; aber das gelang ihr immer nur auf kurze Zeit. Laura litt offenbar an dem Herzenskummer, ihren jugendlichen Anbeter nicht mehr zu sehen. Sie gestand das nicht ihrer Mutter, weil sie es sich selbst nicht zu gestehen wagte, und ihre Mutter fragte sie nicht danach, weil sie fürchtete, Etwas, das vielleicht noch Funke war, durch unumwundenes Aussprechen zur helllodernden Flamme anzufachen. Sie ging überhaupt in einer Angelegenheit, wo es sich um die Ruhe ihres liebsten Kindes handelte, ungemein zart und vorsichtig zu Werke, recht im Gegensatz zu der übermüthigen und leichtsinnigen Weise, mit welcher wir den Grafen seinen Sohn in derselben Angelegenheit behandeln sahen. Die Männer handeln überhaupt immer weniger klug als die Frauen, nicht weil sie weniger klug sind, sondern weil es ihnen nicht der Mühe werth ist, klug zu handeln, da ihnen immer noch ein Ausweg: die Gewalt, übrig bleibt. Gerhardine war zwar auch im Besitz einer unbestreitbaren Gewalt: der mütterlichen, aber sie scheute aufs äußerste, sie anders anzuwenden, als in letzter Noth. Da bei ihr, wie bei allen Frauen, das Gefühl zarter und feiner ausgebildet war, versuchte sie erst einen gütlichen Weg und betrachtete den rohen Zwang als das letzte Mittel – und sie war nicht ohne Hoffnung, daß es ihr gelingen werde, die Gemüthsharmonie ihres Kindes aus diesem ernsten Sturme auf das reine Herz unversehrt zu erretten.

Heute schlug sie ihr eine Praterfahrt vor, was Laura begierig ergriff, weil sie ihn zu sehen hoffte – ihn, den das arme Kind nicht vergessen konnte und doch mit Namen nicht zu nennen vermochte.

Gleich am Anfange des Praters machte Graf P. seine Reiterkünste. Als er das schöne Mädchen im Wagen sah, machte er einmal wieder seinen bekannten halsbrecherischen Satz mit seinem Pferde über den Wagen hinweg; ein lautes Bravorufen der Umstehenden lohnte diese Bravour – Gerhardine aber war entrüstet und erschrocken zugleich und nahm sich vor, nicht mehr ohne ihres Mannes Begleitung nach dem Prater zu fahren.

Als die Damen am Ende der Allee wenden ließen, kam ihnen Graf P. schon wieder entgegen, und zwar jetzt zu Wagen. In Schlangenwindungen umfuhr er mit einem unglaublich leichten und kleinen Wagen – die beiden Schimmel auf antike Weise nur leicht geschirrt – im Nu die Bäume an der Seite, welche den Fahrweg vom Reitwege trennen. Er lächelte siegesfroh, als er mit einem schnellen Blicke von seiner halsbrechenden Fahrt zwischen den eng zusammenstehenden Stämmen das schöne Mädchen, über die er soeben mit dem Pferde hinweggesetzt, ansah. Dieses mal aber wurde Laura blutroth, denn der schlanke junge Mann, welcher neben dem tollen Ungar im federleichten Cabriolet sich wiegte, der Begleiter des »magyarischen Löwen« war Niemand anders als er!

Ihrer Mutter entging nicht ihr Zusammenfahren und nicht der Blick des jungen Mannes, den er ohne Rücksicht auf der Mutter Gegenwart in die holden Augen ihres schönen Kindes bohrte; es entging ihr nicht, daß er sogar trotz seines gefährlichen Sitzes sich umwandte, solange er das Mädchen sehen konnte.

Als sie vorüber waren, fragte Gerhardine mit klopfendem Herzen: »War er das?«

Statt aller Antwort nickte Laura. Gerhardine aber sagte leise: »O, bürgte die Gesellschaft, in der wir ihn sahen, ebenso für die Reinheit seines Herzens, wie sie die Reinheit seines Stammbaums beweist!«

Laura wurde blaß, sagte aber dennoch: »Er ist so jung, er kann ja kein Genosse und Umgang, höchstens eine Bekanntschaft des Grafen sein. Und bei Männern ist das ja nicht wie bei den Frauen, wo man bei jeder Beurtheilung den Umgang zu Rathe zieht.«

Gerhardine entgegnete nichts mehr, aber sie befahl dem Kutscher, nach Hause zu fahren. Sie war über alle Maßen beängstigt von Dem, was sie gesehen! Der Anbeter ihrer Tochter war ein Cavalier, ein Begleiter des Grafen P. und ein auffallend schöner Mensch! Ursachen genug für sie, um auf das höchste besorgt zu sein. Sein Name kümmerte sie nun nicht mehr, seitdem sie wußte, daß er zur Crême der Gesellschaft gehöre, denn Jemand anders würde der hochmüthige Graf nicht so öffentlich gefahren haben. Er beobachtete in seinem Verkehre mit Männern eine Ausschließlichkeit, die man leider seinem Umgange mit Frauen nicht nachrühmen konnte. Hätte sie gewußt, wie zufällig der arme Georg zu der Gesellschaft kam! Als der Graf P. seinen neuen Wagen bestiegen, hatte er mehren Herren, die zu Pferde anhielten, um sein neues, elegantes Fuhrwerk zu mustern, zugerufen: »Wer will mit mir fahren? Aber leichte Waare muß es sein«, setzte er hinzu, »nicht schwerer als ich, sonst schlägt der Wagen um bei der Fahrt, die ich vorhabe – wer will mit mir fahren, wer hat Courage?«

Alle lachten, aber Keiner sagte etwas. P. rief noch einmal: »Graf Paul? Graf Nicky? Fürst Ferdinand? Will Keiner?« – Da kam Georg langsam des Weges daher geritten. P., der ihn nur wenig kannte, rief auch ihn an: »Wollen Sie meine Nußschale besteigen und sich von mir in Carrière um die Bäume herum drehen lassen? Die andern Herren hier sind alle zu vorsichtig; doch das sind sie nur aus Rücksicht auf ihre Familien, es sind lauter so vortreffliche Ehemänner! Aber Sie …«

Georg, dem der spöttische, übermüthige Zug in P.'s Gesichte nicht entging und der wol merkte, daß es nicht allein den vortrefflichen Ehemännern, sondern auch seinem jungen Blut gelte, sprang mit rothem Kopf vom Pferde, gab es seinem Reitknecht und stieg in die Nußschale.

Als er wieder sein Pferd bestieg, verwünschte er seine Fahrt. P. hatte ihn zwar nicht umgeworfen, aber dessen Gesellschaft ihn doch verhindert, dem Wagen Laura's zu folgen, wie er es gethan haben würde, wäre er allein gewesen. Er ritt den Prater auf und ab, er konnte sie nicht mehr finden, und nie waren ihm die anderen Frauengesichter so häßlich wie heute erschienen – sie, die beinahe alle sein schönes dunkles Gesicht mit neugierigem Wohlwollen musterten, dieses Gesicht, in dem noch nichts zu lesen war von Dem, was die andern Männer zur Schau trugen: Uebersättigung der Freude, Geringschätzung der Frauen, Verhöhnung der Tugend – und was jede Frau verletzt. Die leichtsinnigste Frau schätzt die ehrenhafte Unverdorbenheit eines Mannes, der verderbteste Mann stellt die Unschuld über Alles – das ist die beste Strafe des Lasters, daß es sich selber haßt!

*

4.

»Der Gesandte Graf von Gerstatt wünscht der gnädigen Frau seine Aufwartung zu machen«, meldete Gerhardine's Bedienter. Sie versetzte: »Er wird zum Herrn wollen, führen Sie ihn hinüber, er war schon ein mal bei ihm.«

»Nein, er hat ausdrücklich nach der gnädigen Frau verlangt.«

Gerhardine begriff nicht, was der Graf bei ihr wolle; aber sie befahl, den Besuch zu ihr zu führen.

Sie hatte schon oft den Namen nennen hören, doch ohne zu ahnen, daß dieser Graf Gerstatt derselbe sei, dem sie ein mal, ohne ihn zu sehen, ihre erste Herzensregung zugewendet. Sie hatte in ihrer Jugend schon von einem Gesandten dieses Namens reden hören, und sie dachte, daß der jetzige derselbe sei.

Sie war allein; in dem uns bekannten Gartensaale trat sie ihm entgegen. Bei ihrem Anblick ward aber der weltgewandte Mann, der erfahrene Diplomat offenbar stutzig.

Er verbeugte sich tief und suchte nach Worten. Er hatte eine ganz andere Erscheinung hier zu finden gedacht, als er beschloß, wegen »seines Jungen mit des Mädels Mutter« ein ernsthaftes, warnendes Wort zu reden, da er seine diplomatische Beredtsamkeit für etwas Unfehlbares hielt. Diese schöne, hohe, blonde Erscheinung, diese Frau mit den Zügen eines Engels und dem Anstand einer Königin hatte er nicht hier erwartet!

Gerhardine bemerkte seine Verlegenheit und sagte freundlich, um eine Unterhaltung anzuknüpfen, indem sie auf einen Lehnstuhl ihr gegenüber wies: »Sind Sie vielleicht ein Verwandter eines Grafen Hugo Gerstatt, der vor ungefähr zwanzig Jahren als Artillerielieutenant in Berlin stand?«

»Ja, ein sehr naher Verwandter«, sagte nun lachend und sicher der Graf, »der allernächste Verwandte, denn ich bin es selbst.«

Nun war an Gerhardine die Reihe, die Fassung zu verlieren; sie erröthete wie ein sechzehnjähriges Mädchen; der Graf sah das zu seiner höchsten Verwunderung und versetzte mit zunehmender »Sicherheit«:

»Haben Sie mich damals gesehen, meine gnädige Frau? Ich habe Sie gewiß nicht gesehen, nicht blos Sie nicht, sondern überhaupt Niemanden, der Ihnen gleicht«, setzte er leiser, aber mit schärferer Betonung hinzu.

Gerhardine'n gab dieses kecke Compliment ihre ganze Haltung, das ganze Gefühl ihrer Würde wieder. Sie sagte ernst: »Auch ich habe Sie nie gesehen. Aber eine Cousine hatte mir viel von Ihnen gesprochen, Sie war Ihnen sehr zugethan.«

»Und wie hieß diese Cousine, wenn ich fragen darf?«

Gerhardinen war es, als werde der Graf ihre damaligen Gefühle für ihn errathen, wenn sie Mariannen nenne. Aber als er zum zweiten male dringend fragte, sah sie keine Möglichkeit, länger zu schweigen, und sagte kurz: »Frau von Lemgo war es!«

»Frau von Lemgo!« – Und er fuhr sich langsam mit der Hand über die Stirn, um die Schatten wegzuwischen, welche viele Jahre und zahllose Begegnungen über die Begegnung mit dieser jungen Frau geworfen!

Gerhardine beruhigte sich außerordentlich, als sie den Blick des Grafen träumerisch zur Decke gerichtet sah.

Sie sagte lächelnd: »Bemühen Sie sich nicht, Graf. Meine arme Cousine ist längst todt. Sie starb vor vielen Jahren an der Cholera in Berlin.«

»An der Cholera? Nun weiß ich Alles! Ihr Mann ist Oberst eines Kürassierregiments, nicht wahr?«

Gerhardine, der des Grafen plötzlicher Eifer, sein drängendes Fragen wieder Angst machte, nickte nur mit dem Kopfe.

»Aber Sie, meine Gnädige«, fuhr nun Gerstatt feuerroth fort, indem er, aufstand und vor sie trat, »aber Sie, wie hießen Sie, was war Ihr Mädchenname?«

Gerhardine hätte am besten ihn ruhig genannt, aber die Erinnerung au ihre frühere Neigung gab ihr ein förmliches Schuldbewußtsein, und darüber verlor sie die sonst ihr eigene klare Ruhe. Sie sagte mit gezwungenem Lachen: »Ich bin schon achtzehn Jahre verheirathet und habe darüber ganz vergessen, wie ich früher hieß. Ist das nicht natürlich?«

Der Graf sah sie lächelnd an, mit einem Gefühle des Triumphes. Dann glitt sein Auge über den Tisch, auf den er seine Hand stützte und welcher mit Albums und Büchern bedeckt war. Er suchte nach einem mit dem Namen der Eigenthümerin, und – er fand es!

Auf einem mit Juchtenleder überzogenen Album war aus Stahlstiften zusammengesetzt auf das deutlichste zu lesen: Gerhardine.

»Gerhardine! nun hab' ich's! Gerhardine! Niemand heißt so als Gerhardine von Walther! Sie sind's!« rief er mit einem so hellen Jubel, als finde er wirklich eine Geliebte wieder.

So schwer war es der Frau des Malers Wolfram noch nie geworden, ihre Fassung zu behaupten. Sie rang aber danach und errang sie auch.

»Nun, da es sich gefunden, daß wir alte Bekannte, wenn auch nur durch Procura, sind, so sagen Sie mir auch, was mir das Vergnügen Ihrer persönlichen Bekanntschaft bringt, nachdem wir, ohne Etwas voneinander zu wissen, so lange eine und dieselbe Stadt bewohnt«, versetzte sie mit mildem Lächeln und sanfter, ruhiger Stimme.

»Was mich jetzt zu Ihnen geführt? O, davon nichts, nun und nimmermehr!« rief der Graf mit einer Art Schrecken und setzte dann sogleich mit veränderter Stimme hinzu: »Lassen Sie mich mit Ihnen reden von vergangenen Zeiten, von jenen Zeiten, wo Marianne Lemgo mir von Gerhardine Walther erzählen mußte und mir immer nicht genug erzählen konnte! Wissen Sie, daß ich Sie damals in Gedanken zu meiner Braut ausersehen? Und welch ein Jammer, als mir Marianne schrieb, daß Sie mit Ihrem Bruder Breslau verlassen und nach Ungarn gegangen!«

Gerhardinen blieb nun die Wahl, die Sache ernst oder scherzhaft zu nehmen. Nahm sie es ernst, so mußte sie, wenn der Graf in diesem Tone fortfuhr, ihm die Thüre weisen; im Scherze hingegen konnte sie noch versuchen, ihn auf die rechten Wege zu bringen, und so that sie denn zuerst das Letztere, da sie, wie gesagt, gleich allen Fragen die Gewaltmittel als letzte Mittel betrachtete.

»Dieses Geständniß ist entschieden verjährt, Graf, darum ganz ungültig. Ueberdies fehlt meiner Phantasie der Schwung, mich aus meiner Matronenhaftigkeit in die Zeit zurückzuversetzen, wo ich ›jung und fröhlich‹ noch gewesen! Bleiben wir bei der Gegenwart, lieber Graf, und machen wir uns nicht lächerlich vor unsern Kindern, indem wir à tout prix Reminiscenzen herauf zu beschwören versuchen.«

»Unsere Kinder? Mein ältester Sohn ist noch ein Kind, ein complettes Kind, das glauben Sie mir, gnädige Frau, der ich es Ihnen auf Ehrenwort versichere.«

Gerhardine lachte laut auf. »Wozu Ihr Ehrenwort? Ich glaube es auf Ihre einfache Versicherung. Ich weiß nicht, ist er drei Jahre oder ist er dreizehn Jahre alt; ich schloß nur daraus, daß ich selbst eine erwachsene Tochter habe, daß auch Sie … doch, wie gesagt, ich kenne ja Ihre Kinder und Ihre Gemahlin nicht.«

»Sie kennen keins meiner Kinder?«

Gerhardine sah ihm voll in die Augen und schüttelte mit dem Kopfe.

Es war, als fiele ein Alp von seiner Seele. Er ergriff ihre Hand und sagte feurig: »Reden wir also nicht mehr von ihnen, sondern von uns! von jener Zeit! Erzählen Sie mir, was Ihre Cousine Ihnen von mir gesagt, und ob sie Ihnen verrathen, daß sie uns Beiden füreinander bestimmt hatte.«

»Das weiß ich wahrhaftig nicht«, sagte Gerhardine ausweichend. »Alle Welt machte damals für mich Heirathsplane. Meine Mutter war todt, mein Vater galt für sehr reich – ich sollte um jeden Preis unter die Haube. Wie kann ich noch nach zwanzig Jahren wissen, wen man mir alles bestimmte! Glücklicherweise hörte das auf, als ich arm wurde.«

»Sie sind nie arm geworden!«

»Doch, doch. Man hielt es für ein großes Glück, als ein talentvoller Maler, der aber damals durchaus noch kein berühmter Mann war, um die Waise anhielt. Ich hielt es auch für ein großes Glück, aber nicht aus demselben Grunde, wie die Leute, sondern weil er ein vortrefflicher Mensch war, ein Mann – wie es keinen zweiten gibt!«

Gerstatt war nicht beleidigt. Im Gegentheil, er fühlte sich von ihrer etwas starken Anpreisung ihres Mannes geschmeichelt, er hielt es für ein Mistrauen gegen sich selbst, er glaubte, sie rühme ihren Mann so sehr, weil ihre Liebe für ihn schwach sei und sie, wie alle tugendhaften Frauen, den Liebhaber damit abschrecken wolle. Denn für tugendhaft hielt er sie – so viel Beurtheilung hatte ihm sein frivoles Leben während zwanzig Jahren doch gelassen – aber eben weil er sie für tugendhaft hielt, reizte ihn der Gedanke, sie jetzt nach zwanzig Jahren, die Mutter, die Frau, die er einst als Mädchen verloren gegeben, wieder zu erobern, so über alle Maßen. Er war bezaubert von ihr in einem Grade, wie er sich selbst das nicht mehr zugetraut; der Rosenschimmer seiner Jugend umstrahlte sie für ihn, und außerdem war sie wirklich nach seinem Geschmack eine der schönsten Frauen, die er je gesehen.

»Erlauben Sie«, sagte er, von neuem ihre Hand ergreifend, »daß ich mich dann zum Dritten in Ihrem Bunde antrage! daß ich Sie anflehe, mir zu gönnen, von Zeit zu Zeit eine Stunde hier zuzubringen, um Etwas zu genießen, was mir bis jetzt trotz allen glänzenden Erfolgen verschlossen blieb: häusliches Glück!«

»Es wird mir sehr angenehm sein, Sie zuweilen bei mir zu sehen«, sagte Gerhardine höflich, aber kalt, indem sie ihre Hand zurückzog.

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür, und Gerhardine's Gatte, der Maler, trat ein.

Wer je das schöne Bild Van Dyck's im Louvre zu Paris gesehen, der kennt das Bild des Malers Wolfram. Gerade so war sein Kopf. Und den edeln Kopf trug ein schlanker, auffallend graziöser Körper. Er war nicht größer als seine Frau, aber wie er in dem dunkelgrünen deutschen Sammetrocke neben sie trat, verdunkelte er dennoch durch seine poetische Erscheinung die imponirende Gestalt des durch seine Schönheit berühmten Grafen, der ihn beinahe um eine Kopflänge überragte.

Gerstatt, vollkommen gefaßt, begrüßte den Maler auf das freundlichste.

»Wissen Sie, lieber Wolfram, warum ich hier bin?«

Auf eine freundlich fragende Bewegung des Malers fuhr er fort: »Ein Zufall hat mir entdeckt, daß Ihre Gemahlin eine Jugendbekannte von mir ist – ich war damals Lieutenant und sie – Königin, unbestrittene Schönheitskönigin, wo sie erschien.«

Wolfram zog kaum merklich die Brauen über seinen großen Augen zusammen und erwiderte nichts als ein gezwungenes »Ah!«

Dem Gesandten entging das nicht, und wir müssen zu seiner Schande gestehen, daß der Umstand, daß Gerhardine einen eifersüchtigen Mann besaß, ihren Reiz in seinen Augen außerordentlich erhöhte.

»Ich habe aber auch mit Ihnen zu reden, lieber Wolfram«, fuhr er ungestört fort: »eine Bestellung, ich wünschte, daß Sie meine Gemahlin …«

»Ich male keine Porträts, Herr Graf«, sagte Wolfram rasch mit Stolz und Kälte.

»Ich weiß das, ich weiß das. Aber ich weiß auch, daß Sie aus besonderer Güte zuweilen Porträts in historischen Bildern anbringen, die dann vortrefflich sind. Malen Sie meine Frau als was Sie wollen – von den übrigen Porträtmalern macht es mir keiner zu Dank – malen Sie sie als Dido, wenn Sie wollen, das Publicum wird es dann sehr begreiflich finden, daß Aeneas sie verließ.«

Dieser unzarte Scherz machte auf die beiden Gatten eine durchaus üble Wirkung. Der Graf wollte um jeden Preis den Maler an sein Haus fesseln und zugleich Gerhardine zeigen, daß er seine Gattin nicht liebe und häßlich finde. Gerhardine aber nahm ihm die Aeußerung aus zwei Gründen übel: erstens als verheirathete Frau, und dann als Frau überhaupt, die einem Manne solchen Mangel an Galanterie nicht vergab.

Wolfram sah darin nur ein Compliment für seine eigene Frau und sagte kalt: »Verzeihen Sie, Herr Graf, wenn ich nicht auf Ihren Antrag eingehe. Ich bin freier Mann und male nur Das, was nach meiner Ansicht sich zum Malen eignet und meine Phantasie anregt. Ich habe in meinem Leben mehr Bestellungen zurückgewiesen als angenommen – und …«

»So weisen Sie auch die meinige zurück«, sagte freundlich lachend der Graf, der entschlossen schien, Wolfram nichts übel zu nehmen. »Ich hoffe Ihnen aber nächstens eine Bestellung unsers Königs zu bringen, die Sie nicht zurückweisen werden, da es eine höchst dankbare ist. Ich darf nichts plaudern, aber – wie gesagt, ich weiß im voraus, daß ich für diesen Fall keine abschlägige Antwort von Ihnen erhalte.«

Wolfram erwiderte nur durch eine leichte Verbeugung. Gerhardine lud den Grafen, der noch immer stand, nicht neuerdings zum Sitzen ein, und so mußte er denn endlich an den Aufbruch denken. Nachdem er sich nochmals die Erlaubniß erbeten, wiederzukommen, verließ er, von dem Hausherrn begleitet, den Salon und schritt langsam, noch immer mit ihm plaudernd, durch den Garten.

Gerhardine sah den beiden Männern nach – ein Seufzer hob ihre Brust, denn sie wußte, daß Wolfram sie jetzt einem unangenehmen Examen unterwerfen werde, und sie wagte ihm nicht die ganze Wahrheit – ihre frühere Neigung für den Ungesehenen mitzutheilen – ja, sie wagte nicht einmal, ihm zu sagen, daß ihn der Graf belogen, indem er vorgab, um Gerhardine's willen gekommen zu sein, da er offenbar eine andere Absicht gehabt und nur erst von ihr zufällig erfahren, daß sie die früher ihm so theure Gerhardine sei – sie wagte das Alles nicht, weil Wolfram wirklich eifersüchtig war! so eifersüchtig, daß sie deshalb jede Gesellschaft, jeden Umgang mied! Und ihre achtzehnjährige Liebe und Treue hatte nicht vermocht, diesen krankhaften Ideengang zu vernichten.

Glücklicherweise trat mit dem Maler zugleich Laura ins Zimmer. Sie hatte ihren Vater an diesem Tage noch nicht gesehen und hing sich schmeichelnd an seinen Hals. Gerhardine betrachtete mit Freude die schöne Gruppe. Laura bat ihren Vater, doch eine Zeichnung corrigiren zu wollen, die sie am Morgen vollendet, und obgleich Wolfram gern jetzt seine Frau »vorgenommen«, konnte er doch dem Kinde die Bitte nicht abschlagen und ging mit ihr.

Gerhardine war glücklich, sich allein zu finden. Die Dämmerung trat ein, sie drückte sich in die Sophaecke und ließ in Gedanken die beiden einzigen Männer, die sie je geliebt, von denen sie den einen nicht gesehen und den andern geheirathet hatte, an ihrem Geiste vorüber zum Vergleiche gehen. Wohl ihr, daß ihr Mann in jeder Beziehung voranging! Gerhardine gehörte zwar zu den Frauen, die nie eine verbrecherische Liebe hegen und pflegen werden, sondern sie im Keime zu ersticken suchen, weil sie klar sind, daß es sein muß; aber sie gehörte auch zu den Frauen, deren lebhafte Phantasie nicht ohne weiteres vor der »Pflicht« sich beugt und die nicht sich in Alles finden, weil es nicht zu ändern ist. Sie würde nie ihrem Manne die Treue gebrochen haben, aber sie würde auch ebenso wenig einen Gatten, der ihr nicht in jeder Beziehung makellos erschien, haben lieben können, blos – weil er ihr Gatte war!

*

5.

Gerhardine mochte wol eine Stunde so in Gedanken versunken gesessen haben. Die Thür nach dem Garten stand noch immer offen. Sie sah die Gewächse im leisen Nachtwinde sich traumhaft hin und her beugen; des Mondes volle Scheibe begann am Nachthimmel aufzuschweben. Sie schellte nicht nach Licht, weil sie jeden Augenblick den Eintritt ihres Mannes erwartete und aus einer leicht erklärlichen Scheu seine Fragen lieber im Halbdunkel beantworten wollte.

Plötzlich, als sie das Auge zu der Gartenthür erhob, stand im Rahmen derselben eine Männergestalt. Obgleich sie vom Gesicht, da ihm die einzige Beleuchtung, das Mondlicht, im Rücken war, nichts gewahren konnte, sah sie doch die Umrisse so deutlich, daß sie augenblicklich wußte: diese schlanke, jugendlich feine Gestalt hatte nie bis jetzt ihre Schwelle überschritten – es mußte ein Fremder sein. Wie war er in den Garten gekommen?

Erschrocken stand sie auf, da bewegte sich auch der Fremde; das gab ihr die Fassung zurück, und augenblicklich die Klappe einer chemischen Feuermaschine auf ihrem Schreibtische berührend, der ihr zur Seite stand, zündete sie schnell eine Wachskerze an.

Das Licht in hocherhobener Hand, trat sie auf den Fremden zu, auch er trat ihr näher, und sie sah vor sich – den jungen Mann, der neben dem Grafen P. im Cabriolet gesessen.

Das war zu viel – wie, dieser Mensch verfolgte ihr Kind bis in ihr Haus, bis in ihr Zimmer?

Er aber beugte sein Haupt und sagte mit unaussprechlich wehmüthigem und kindlich rührendem Tone, indem er die Hände faltete: »Verzeihung! Verzeihung! Meine verehrte gnädige Frau! O, wenn Sie wüßten, wie nur die äußerste Verzweiflung mir den Muth gab, dieses Haus zu betreten! Ich lehnte Ihrem Thore gegenüber – tausend Pläne durchkreuzten meine Brust, wie ich zu Ihnen dringen könne.«

»Zu mir?«

»Ja, ja, nur zu Ihnen! Da trat Ihr Bediente ans Thor und sich entfernend, ließ er es offen; ich konnte diese Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, mich bei Ihnen zu rechtfertigen, und so bin ich hier!«

»Rechtfertigen?«

»Bedarf es dessen nicht? Was mag mein Vater nicht alles von mir gesagt haben! Ich sah ihn vor einer Stunde von Ihrem Gemahl bis zur Thür begleitet in den Wagen steigen.«

»Mein Gemahl hat vor einer Stunde den ***schen Gesandten zum Wagen begleitet.«

»Ja wol, gnädige Frau, meinen Vater, den ***schen Gesandten, Graf Hugo Gerstatt.«

Gerhardine hob den Leuchter höher und sah scharf dem jungen Manne ins Gesicht. Aber die Malerin, die erfahrene Frau, die mistrauische Mutter mußte sagen: der junge Mann sprach die Wahrheit. Er war wirklich Hugo's Sohn, eine größere Aehnlichkeit gab es nicht auf Erden.

Er hatte ruhig lächelnd die Prüfung ausgehalten und sie mit seines Vaters Augen, nur etwas ehrlicher und unbefangener, dabei angesehen.

»Also deswegen war er bei mir!« sagte Gerhardine laut, indem sie den Leuchter auf den Tisch stellte.

»Wie, hat er das nicht deutlich gesagt, gnädige Frau?«

»Keine Silbe hat er von Ihnen gesprochen.«

»So wollte er wol das Terrain sondiren, die Bekanntschaft Ihrer Fräulein Tochter machen.«

»Geben Sie sich nicht falschen Hoffnungen hin. Ihr Herr Vater kam, um mit mir von Ihnen zu sprechen, wahrscheinlich mich vor Ihnen um meiner Tochter willen zu warnen – und wurde daran nur durch einen Zufall verhindert – er fand in mir, ohne daß er eine Ahnung davon gehabt, eine – Jugendbekannte.«

»O, das ist herrlich! So wird er wiederkommen?«

»So sagt er. Aber nun bitte ich Sie, Graf Gerstatt, entweder zu gehen oder, wenn Sie mir noch dringend Etwas mitzutheilen haben …«

»Das habe ich! Ich beschwöre Sie nur um die Unterredung einer Viertelstunde!«

»So warten Sie einen Augenblick. Ich will hinausgehen und sorgen, daß meine Tochter nicht herüberkommt. Es würde mir äußerst unangenehm sein.«

Georg verbeugte sich, als begreife er das vollkommen. Gerhardine mußte den Kopf umdrehen, um das Lächeln zu verbergen, das sie bei seiner naiven Zustimmung nicht unterdrücken konnte.

Sie ging zu ihrem Manne und erzählte ihm in wenigen flüchtigen Worten, wer sich bei ihr befand und weshalb. Wolfram, dessen Laune schon durch den Vater getrübt worden, wollte aufbrausen und »den Jungen zur Thür hinauswerfen.« Aber Gerhardine strich mit ihrer weichen Hand über seine faltige Stirn und sagte mit ihrer süßesten Stimme: »Laß mich gewähren, Wolf, er ist noch so jung! Wenn du hinüberkommst, bekommt die Sache gleich einen so feierlichen Anstrich! So Etwas verstehen wir Frauen besser zu ordnen.«

»Ja, Liebschaften und Courmachereien sind euer Terrain, das weiß Gott! und selbst die Beste kann sich eines gesteigerten Antheils für einen Menschen nicht erwehren von dem Moment an, wo sie sieht, daß er verliebt ist – wenn er auch außerdem gar nichts ist!«

»Ist das nicht schön von uns, daß wir theilnehmend und barmherzig sind? Ich will aber ja dem armen Jungen jede Hoffnung mit Stumpf und Stiel aus dem Herzen reißen! Sei du so gut und beschäftige mir hier so lange Laura, die ich dir schicken werde.«

»Gut, gut! Mache nur, daß du diese diplomatische Verhandlung zu Ende führst – diese Gesellschaft convenirt mir nicht.«

Gerhardine nickte ihm noch ein mal lächelnd zu, und nachdem sie dem Kammermädchen gesagt, Laura werde von ihrem Vater verlangt, ging sie in den Gartensaal zurück, wo sie Georg in peinlicher Erwartung antraf.

»Vor allen Dingen, meine gnädige Frau«, hub er nun an, »nehmen Sie mein Geständniß entgegen, daß ich keinen größern, innigern Wunsch hege, als – in Ihre Familie aufgenommen zu werden!«

Als Gerhardine lächelnd mit dem Kopfe schüttelte, sagte er eifrig: »Nicht nur, weil ich Ihre Tochter anbete, sondern auch, weil ich Sie, weil ich Ihren Gemahl verehre und auf das tiefste die Personen jener Crême verachte, aus deren Mitte mir mein Vater einst eine Frau auszusuchen gedenkt!«

»Sie sagen selbst: einst! Und das ist eine Hauptsache, mein junger Freund – so nenne ich Sie um Ihres unbeschränkten Vertrauens willen! Einst! Das ist es. Alles ist für Sie noch Zukunft, wenigstens Alles, was ernst ist. Nur Scherz, nur Lust, nur Freude kann die Gegenwart für Sie umfassen.«

»Und wie lange soll diese Gegenwart noch währen, meine gnädige Frau?«

»Zum mindesten noch sechs Jahre.«

»Sie sind wirklich gnädig! Aber wenn ich nun gern sechs Jahre warten will und Sie nur bitte, bis dahin Laura mir zu hüten und zu bewahren? Kein Mensch soll es erfahren; aber, so wahr mir Gott helfe, sie soll mir so lange eine heilige Braut sein, und ich werde dann vor Sie treten, kein Jüngling, kein Cavalier, kein Graf, kein Diplomat, sondern ein Mann, und zwar ein tüchtiger!«

»Es würde ein Unrecht gegen Sie, gegen Laura, gegen Ihre Aeltern, gegen uns sein, wenn ich auf irgend einen solchen Gedanken einginge!«

»Gegen Sie und meine Aeltern? das will ich nicht versuchen zu widerlegen; denn Sie würden alle meine Gründe verwerfen. Aber gegen Laura und mich?«

»Sind Sie denn der Zuneigung meiner Tochter so sicher?«

»Das bin ich! obgleich sie nie ein Wort zu mir geredet, nie durch einen Wink, durch einen länger verweilenden Blick die Sitte verletzt hat. Ach, gnädige Frau, ich bin noch sehr jung, noch sehr unerfahren, aber ich verstehe doch, in dem Auge eines Menschen zu lesen, ob er mir wohlwill oder nicht!«

Gerhardine wußte hierauf nichts zu erwidern. Leider theilte sie ja die Meinung des jungen Mannes. Leider mußte sie sich selber gestehen, daß Laura ihm gewogen sei.

Nach einer Pause sagte sie zögernd: »Und wenn auch – wenn Sie auch Recht hätten! Laura wird – Laura muß Sie vergessen, sobald sie erfährt, daß Sie einer Familie angehören, die ihren Eintritt in die unsere als eine Schmach betrachten würde. Ich habe mich noch noch nie verrechnet, wenn ich mich auf den Stolz einer reinen Frauenseele verließ. Stolz und Unschuld gehen immer Hand in Hand!«

»Ich werde meine Familie aufgeben. Erschrecken Sie nicht, gnädige Frau! Bei uns ist es nicht wie bei Ihnen – wir lieben uns nicht. Meine Mutter ist eine kränkliche Dame, welche die Welt höchst unergötzlich findet, seit die Welt sie unergötzlich findet, das heißt, seitdem sie nicht mehr jung und gesund ist. Sie finden es abscheulich und unehrerbietig, daß ich so etwas von meiner eigenen Mutter sage – aber ich habe das nicht entdeckt, mein Vater hat mir es mehr als hundert mal gesagt. Es mag wol keine gute Erziehung sein, wenn der Vater in Gegenwart der Söhne über die ewig klagende Frau satirische Bemerkungen macht – aber es ist bei uns so. Uns Kinder hat meine Mutter nie geliebt – meine Gesellschaft ist ihr nur angenehm, wenn ich ihr Anekdoten aus der Welt erzähle, die ihre Kränklichkeit sie gewöhnlich hindert, aufzusuchen. Mein Vater sieht in mir nur den Fortpflanzer der gräflichen Familie Gerstatt zu Lingendorff. Aber mein zweiter Bruder, ein kleines mauvais sujet, ist ihm eigentlich zehn mal lieber als ich mit meinem ›träumerischen, uncavalieren Wesen‹. Was thue ich nun Schlimmes, wenn ich ein paar Jahre nach Amerika gehe, meinen Grafentitel ablege und irgend etwas Tüchtiges erlerne?«

»Das ist leicht gesagt!«

»Ich bin kein Träumer, wie mein Vater meint, ich bin nur gewöhnlich wortkarg. Ein entschiedenes Talent besitze ich, das aber durchaus nicht gräflich ist und bisher nur von mir als Liebhaberei betrieben wurde.«

»Und das ist?«

»Das Maschinenbauen. Lassen Sie mich ein paar Jahre mit Stephenson oder einem Andern Studien machen, und – ich prahle nicht – und ich vermag ebenso viel, wie ein anderer deutscher Civilingenieur.«

Gerhardine war mit dem festen Entschluß ins Zimmer getreten, dem jungen Liebhaber jede Hoffnung zu benehmen – und jetzt konnte sie sich nicht versagen, mit wahrem Vergnügen diesen schönen Kopf zu betrachten, von dem sie nicht begriff, daß sie darin anfangs solche Aehnlichkeit mit seinem Vater entdeckt. Die Züge freilich – aber der Ausdruck, wie verschieden! Graf Hugo's Züge sprühten von Geist und Leben, aber auch von Uebermuth, Stolz und Selbstgefallen. In Georg hingegen war Alles, bis auf ein Gefühl für Laura, Ruhe, Kälte, Ueberlegung und Festigkeit.

»Noch Eins, gnädige Frau, was ich schon ein mal berührt, lassen Sie mich Ihnen ausführlich wiederholen. Ich ersehne nicht Laura's Hand, trotzdem, daß sie nicht aus den Cirkeln meiner Mutter ist, sondern weil sie nicht daraus ist, ist sie mir so unaussprechlich lieb. Sind Sie je mit diesen ›Contessen‹ zusammen getroffen, diesen Puppen, die dressirt werden, zu gefallen, denen man bei jeder Unart schon von der Wiege an droht: Du bekommst keinen Mann? – Mein Vater hat keine Güter, zu deren Uebernahme sechzehn Ahnen nöthig sind. Das Vermögen meiner Mutter liegt in Staatspapieren im Schreibtisch meines Vaters! Mag er das auch behalten, und mögen meine Brüder mit Hülfe dieser Papiere sich wieder andere Papiere erheirathen! Das, was ich Ihrer Tochter einst bieten werde, das gibt auch sie mir in tausendfachem Maße wieder, das habe ich in ihren schönen dunkelblauen Augen gelesen!«

Er war roth geworden vom eifrigen Sprechen. Jetzt stand er auf und trat vor Gerhardinen hin. »Ich habe nun mein Herz ausgeschüttet. Welche Antwort geben Sie mir?«

Es wurde Gerhardinen sehr schwer, zu sagen: »Keine ermuthigende!«

Eine tiefe Trauer verbreitete sich über das schöne Gesicht des jungen Mannes. Nach einer Pause fragte er: »Was werden Sie meinem Vater sagen, wenn er wieder kommt?«

»Nichts. Keine Silbe von Ihnen, bis er Sie zuerst nennt.«

»Er soll mich nennen, gnädige Frau, so wahr ich Georg getauft bin! Er soll mich nennen!«

Gerhardine erhob sich jetzt. Der junge Mann verabschiedete sich stumm mit einer tiefen Verbeugung. An der Thür des Gartens blieb er aber stehen und fragte, sich umwendend: »Und was werden Sie Laura sagen?«

»Alles! die volle unverkürzte Wahrheit!«

»Dafür segne Sie Gott im Himmel!« rief Georg, indem er noch ein mal zurück eilte und mit heißer Inbrunst Gerhardine's kalte Hand wiederholt an seine brennenden Lippen preßte.

Als er nun ging, sah ihm Gerhardine unendlich bewegter nach, als sie vor ein paar Stunden seinem jugendlichen Vater nachgesehen!

*

6.

Als Graf Hugo seinen nächsten Besuch bei Gerhardine machte, fand er Laura bei ihr. Er war dem anmeldenden Bedienten auf dem Fuße gefolgt; wahrscheinlich aus Angst, abgewiesen zu werden. Auf einen Wink der Mutter entfernte sich aber die Tochter.

Als sie draußen war, rief Gerstatt enthusiastisch: »Aber Ihre Tochter ist ja ein vollkommener Engel! Es ist merkwürdig, sie hat nicht Einen Zug von Ihnen und ist doch schön wie der junge Tag!«

Gerhardine hätte gern gesagt: »Und doch führt nur die Abneigung gegen dieses Kind Sie in mein Haus!« Aber sie sagte nur kurz: »Es ist ein gutes bescheidenes Kind!«

Gerstatt sah ihr forschend in die Augen, aber diese eigentlich so ehrliche, einfache Natur war ihm, dem ausgemachten Schalk, dem gewandten Diplomaten, dieses mal doch vollkommen gewachsen – ihr Stolz half ihrer geringen Verstellungskunst nach – der Graf konnte nicht ahnen, daß sie ihre Tochter in Beziehung zu seinem Sohne wußte. Er blieb dieses mal nicht lange, lud aber Gerhardinen und ihren Mann zu einem ländlichen Diner nach der Brühl ein. Wolfram, nach welchem seine Frau geschickt, nahm zu ihrer Verwunderung die Einladung an. Der Graf entschuldigte, daß seine Gemahlin nicht in der Brühl sein werde, da sie auf einige Zeit zu ihren Verwandten nach Berlin gereist.

Gerhardine hatte ihrem Manne alles auf den Grafen und seinen Sohn Bezügliche mitgetheilt, aber bei Dem, was sie selbst, was ihr früheres Interesse für den Erstem betraf, sich blässerer Farben als der wahren bedient. Als er zur Thür hinaus war – Wolfram begleitete ihn dieses mal nicht –, fragte Gerhardine verwundert: »Sage mir um aller Welt willen, warum nahmst du die Einladung an?«

Wolfram lachte laut auf. »Der Curiosität wegen, zu sehen, was so ein Diplomat nicht alles unternimmt. Welche großartige Aufgabe: der Mutter den Hof machen und die Tochter für den Sohn desavouiren! Den Vater als Vater beleidigen und als Ehemann betrügen wollen – den eigenen Sohn hintergehen und seine Frau um – doch an die denkt er nicht, also lassen wir die auch aus dem Spiele. Du siehst aber, er will uns Alle betrügen, nur mit dir meint er's gut!«

Gerhardine stimmte nicht in sein Lachen ein. »Laß uns nicht hinausfahren, Wolf! Eines Mannes Gast sein, der deine Frau und deine Tochter beleidigt, das ziemt nicht für deinen sonst so ehrlichen Charakter!«

Aber Wolfram lächelte und ließ sich nicht stören. »Meinen Scrupeln genügt es, wenn Laura, die er ja auch eingeladen, nicht mitfährt. Du aber sollst mit. Verdirb mir den Spaß nicht! Und nimm die Sache nicht so ernst!«

»Ich nehme es nur ernst um der jungen Leute willen, die sich wirklich lieben. Ich habe Laura Alles gesagt, ihr gesagt, wer ihr Anbeter ist – nur Eins – des Grafen lächerliche Complimente für mich – konnte ich meiner Tochter nicht sagen. Aber sie kennt außerdem alle Verhältnisse, so wie des jungen Mannes Absichten, und hat auch augenblicklich jeder Aussicht entsagt, doch nicht ihrer Liebe! Statt sie zu heilen, haben meine Mittheilungen sie tief verwundet. Das Kind ist anders als ich. Wie die Dinge stehen, hätte ich jeden Gedanken an Georg Gerstatt in meinem Herzen ertödtet!«

Wolfram sagte lächelnd: »Ich habe dir ja immer gesagt, daß du nicht weißt, was Liebe ist!« Gerhardine reichte ihm die Hand, und ihren schönen, feinen, blonden Kopf an seine Schulter legend, fragte sie traurig: »Ist das dein Ernst?«

Wolfram aber sagte mit komischem Pathos: »Gewiß.« – Nach einer Weile fragte er: »Also Laura ist wirklich unglücklich?«

»Ich hoffe, daß sie bei ihrer Jugend, bei ihrer Liebe zu dir und mir sich trösten und vergessen wird!«

Wolfram ließ wirklich nicht ab von seinem Vorsatz, die Einladung des Gesandten anzunehmen. Er, der sonst so eifersüchtig war, führte seine Frau zu einem Manne, von dem er wohl wußte, daß er ihre Eroberung zu machen beschlossen – aber die klare Einsicht, daß Gerstatt's Abneigung gegen die Heirath seines Sohnes mit Laura ihre Mutter zu seiner Feindin machte, ließ jede Regung dieser Art in ihm verschwinden.

Und er hatte Recht; Gerhardine haßte beinahe den Grafen, aber hauptsächlich um der unerhörten Kühnheit willen, einer Frau gefallen zu wollen, die er als Mutter so tief verletzte!

Und dennoch mußte sie am andern Tage ihres Mannes Verlangen nachgeben und mit ihm hinausfahren. Der Graf empfing sie vor einer im Grünen gedeckten Tafel. Er sah vortrefflich aus in einem höchst eleganten Costume. Gerhardine war ganz weiß gekleidet. Der Graf meinte, als sie den Hut ablegte und ihre langen blonden Locken das edle Gesicht umwallten: »Sie sehen aus wie die Germania!« Wolfram aber fragte: »Welche Länder sollen wir Beide denn repräsentiren?« Der Graf stockte keinen Augenblick: »Jedenfalls zwei der Germania unterworfene Länder. Etwa Ungarn und die Lombardei?«

»Das sind schlechte Vasallen, Herr Graf! Die erstem geringschätzen die Germania und können doch nicht von ihr lassen, weil sie ein altes Band verknüpft, während die zweiten sie geradezu als unebenbürtige Barbarin verabscheuen.«

Der Graf warf einen äußerst mistrauischen Blick auf den Maler; Gerhardine bückte sich, um die aufsteigende Röthe ihres Gesichts zu verbergen.

Als bei dem Nachtisch der Champagner kam, erhob Hugo sein Glas und rief: »Unserer Dame!«

Wolfram aber sagte ironisch: »Bitte, sagen Sie: ›Unsern Damen!‹ und vergessen Sie Ihre Frau Gemahlin nicht.«

Aergerlich rief Hugo: »Wer wird denn so ein Philister sein und einer abwesenden Frau Gesundheit trinken!«

»Nun gut, so will ich es eleganter einrichten! Ich trinke die Gesundheit Ihrer abwesenden Gemahlin, und Sie trinken die Gesundheit meiner abwesenden Tochter. Die werden Sie doch nicht refusiren?«

Der Graf wurde dunkelroth. Schweigend stürzte er sein Glas hinunter. Gerhardinen brannte der Boden unter den Füßen; diese Rache ihres Mannes, obgleich sie der Graf zehn mal verdient, war ihrer innersten Natur zuwider.

Endlich war das Essen zu Ende. Hugo bot ihr den Arm zu einem Spaziergange, Wolfram ging, die Cigarre im Munde, lächelnd hinterher.

»Wie kam es, Graf, daß Sie die militärische Carrière verließen?«

»Durch meine Heirath. Der Vater meiner Frau, damals Gesandter in Paris und ein entfernter Verwandter, bot mir die Hand seiner Tochter und die Stelle als Gesandtschaftssecretär an. Ich nahm Beides – faute de mieux – an!«

»Faute de mieux!« sagte Gerhardine entrüstet.

»Nun ja, meine gnädige Frau – meine Frau nahm mich faute de mieux und ich sie faute de mieux.«

»Abscheulich!«

»Aber meine Frau hat mir das selbst gesagt! Sie war nicht schön, fünfundzwanzig Jahre alt und sollte sich verheirathen. Ein Mann von Familie sollte es sein, und da sich kein anderer vorfand, so wählte man mich.«

»Sie wollen sagen: von guter Familie?« fragte Wolfram.

»Nun ja, weil gute Familie und Familie – sowie hohe Geburt und Geburt dasselbe bedeuten.«

Wolfram lachte laut. »Niedere Geburt ist nach Ihrer Theorie also gar keine?«

Hugo war für diesen Spott nicht zugänglich. Indem er die Lippen etwas herabzog, sagte er nur kurz: »Davon spricht man nicht. Eine niedere Geburt verhüllt oder verleugnet man.«

Wolfram lachte noch mehr, so sehr, daß er stehen blieb und ausrief: »Göttlich! göttlich!«

Gerhardine aber sagte verlegen: »Die Herren verstehen sich nicht. Mein Mann denkt an Niedriggeborene überhaupt, und Sie denken nur an den Fall, wo diese sich Hochgeborenen gegenüber befinden.«

Gerstatt sagte nichts, denn er fand Wolfram mit seinem naiven, unbegreiflichen Lachen geradezu plebejisch. –

Der Graf fuhr mit dem Ehepaare zurück nach Wien. Seine beiden Gäste nahmen den Fond des Wagens ein, und er setzte sich Gerhardinen gegenüber. Sie sprachen von Rom, wo alle Drei in verschiedenen Zeiten mehre Jahre zugebracht. Hier zeigte sich Hugo als der Mann von Geschmack und Bildung, und beinahe hätte er das Künstlerpaar durch seine guten, richtigen, warmen Urtheile versöhnt. Als er bemerkte, welchen vortheilhaften Eindruck er bei Beiden durch seine Kunstbildung hervor brachte, erhöhte sich natürlich seine Lebhaftigkeit und seine gute Laune noch um ein Bedeutendes, und Wolfram selbst mußte zugeben, daß er ein brillanter Gesellschafter sei. Gerhardine auch vergaß darüber die unangenehmen Empfindungen, mit welchen sie heute den Wagen bestiegen.

*

7.

Es war schon spät am Abend, als das Ehepaar zurückkehrte. Gerhardine sah sogleich an Laura's Empfange, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein mußte. Das junge Mädchen war in einer fieberhaften Aufregung. Kaum war sie mit der Mutter allein, so warf sie sich laut weinend in ihre Arme.

»Was ist geschehen?« fragte Gerhardine zitternd vor Angst, »mein süßes, theures Kind, was ist geschehen?«

»Ich habe über mein Leben, über meine Zukunft verfügt, o Mutter, zürne mir nicht, – ohne dich verfügt!«

»Erkläre dich deutlicher, was ist vorgefallen?«

»Ich habe ihn gesprochen! Georg Gerstatt gesprochen!«

»War er hier?«

»Nicht doch. Du hattest ja gewünscht, daß ich heute bei der Generalin speise, und mich bei ihr angemeldet. Um 4 Uhr schickte sie mir ihren Wagen, die beiden Nichten saßen darin, um mich abzuholen. Es war der Einen Namenstag. Sie sagten mir, ich würde bei ihnen noch eine kleine Gesellschaft finden. Ich ahnte aber nichts – und als ich den Speisesaal betrat, da – stand Georg vor mir. O Mutter, wie war mir da! – als wenn im düstern Saale mit einem male tausend Kerzen flammten. Ich hatte Flügel, ich ging nicht mehr, Menschen kamen mir vor wie Engel – ich hätte Allen um den Hals fallen mögen. O Mutter, warum hast du mir nie gesagt, welch überschwängliches, undenkbares Glück in der Liebe liegt?«

Gerhardine hatte ihrem Kinde mit geöffneten Lippen, mit bleichen Wangen und flammenden Augen zugehört – ihre noch nicht sechzehnjährige Tochter hatte mehr erlebt als sie.

Laura aber kniete vor sie hin und sagte immerwährend, indem sie ihren schönen dunklen Kopf auf der Mutter Knie legte: »O, welch ein Glück, welch ein Glück!«

»Mein einziges, geliebtes Kind!« rief Gerhardine, indem ihre Thränen auf die reichen Flechten der Tochter fielen.

Laura aber fuhr fort: »Mit ihm in Einem Raume zu sein, seine Stimme zu hören, auch wenn er nicht mit mir sprach – er saß neben mir bei Tische – er konnte mir Alles sagen, ohne daß die Andern es verstanden. Nach dem Essen gingen wir in den runden Gartensaal; es waren zwei Offiziere da; die Generalin setzte sich an das Klavier und spielte einen Walzer, die ältern Leute beredeten die drei jungen Männer zum Tanzen – er tanzte mit mir! Als wir uns anstellten, riefen die Andern uns laute Bewunderung über unser rasches, leichtes Dahinfliegen zu. Das glaube ich wohl! O Mutter, o Mutter, wie war ich so glücklich! Wenn ich heute Nacht sterbe, weine nicht um mich.«

»Erzähle weiter, mein Kind.«

»Nach dem Tanzen wurde noch im Garten auf- und abgegangen; da – Mutter, habe ich ihm – nicht mit Worten – aber durch ein Kopfnicken zugesagt, daß ich ihm folgen will, wenn er mich einmal ruft – von jedem Orte, von jeder Stelle, selbst – ach, Mutter, zürne mir nicht! – selbst aus deinen Armen.«

Gerhardine sagte nichts, sie deckte mit der Hand die Augen; aber Laura zog die Hand weg und flehte: »Verzeihe mir! Du hast ja den Vater und meine beiden Brüder, und ich, ich würde dir doch keine Freude mehr machen, ich würde mich verzehren, aus Sehnsucht nach ihm.«

Gerhardine fragte mit einem tiefen Seufzer: »Wie kam er in das Haus der Generalin?«

»Er erfuhr, daß sie beinahe unser einziger Umgang sei, und ließ sich dort durch einen der Neffen einführen.«

»Fiel denn der Generalin euer Benehmen nicht auf?«

»Glücklicherweise wurde sie durch den unerwarteten Besuch eines Jugendbekannten ganz absorbirt. Es scheint mir eine Jugendliebe gewesen zu sein, denn die alte Dame war ganz verändert.«

»Da du das heute bemerktest, so muß es freilich eine auffallende Veränderung gewesen sein. – Aber nicht wahr, mein Kind, es ist nicht dein Ernst, daß du ihm folgen willst, wenn er dich ruft? Das kann nicht dein Ernst sein!«

»Gewiß, Mutter, du weißt, wie lieb ich dich habe – alles Glück, das ich bisher genossen – und ich habe ja nichts als Glück genossen – verdank' ich dir. Und dennoch – ein solch Gefühl, wie es mein Herz jetzt klopfen macht, hat nicht der gütige Gott in ein frommes Herz gelegt, daß es unterdrückt, vertilgt werde! Warum ist es denn stärker und mächtiger, ja, jedes andere Gefühl himmelhoch überragend? Warum soll ich es unterdrücken und ihn und mich elend machen, ohne dich zu beglücken? Um der hochmüthigen Launen zweier herzlosen Aeltern willen? Rede mir nicht zu, Mutter! Wenn du mich überredetest, ich würde dann vielleicht dich betrügen, und davor sei Gott!«

»Ohne Abschied willst du doch nicht von mir gehen?«

»Eben das habe ich ihm versprechen müssen – versprechen müssen, keinen Abschied von dir zu nehmen, sondern unmittelbar seinem Rufe zu folgen – er fürchtet sonst, mich vergebens zu erwarten, und zum zweiten male sei es vielleicht für ihn unmöglich, eine Flucht für uns Beide vorzubereiten.«

Gerhardine schwieg in peinvollem Kampfe – Laura brach jetzt bei dem Anblicke der Schmerzen ihrer Mutter in lautes Schluchzen aus und rief: »O, zürne mir nicht – ich kann ja doch nicht ohne dich leben, und kehre dann mit ihm zu dir zurück.«

Aber die Mutter schüttelte traurig mit dem Kopfe und fragte dann: »Was erwartet er, um jene Flucht mit dir anzutreten?«

»Daß er eine Stellung in England oder Amerika gewinne. Er will jetzt hier noch ein Jahr studiren, dann eine Reise antreten, die wol ein halbes Jahr und länger währen kann, und auf welcher er sich seine Zukunft sichern will – dann, dann will er …«

»Dich mir entreißen! O Laura! Laura!«

Das Kind weinte und schluchzte, aber kein Wort, kein Versprechen kam über ihre Lippen, das den Kummer der Mutter hätte lindern können.

Graf Hugo kam von Zeit zu Zeit ins Haus, seine anfänglichen Huldigungen für Gerhardine schlugen mit der Zeit in den Ton einer wahren Freundschaft um. Als Wolfram das bemerkte, gewann auch er ihn lieber, und bald verging keine Woche, wo nicht Hugo einen Abend im Familienkreise des Malers zugebracht hätte. Laura war dann auch zuweilen zugegen, und Gerhardine bemerkte nicht ohne stille Freude, wie Gerstatt von des Mädchens Schönheit und lebhaftem Geiste eingenommen wurde. Sobald sie den Rücken wandte, lobte er sie bei der Mutter.

»Das Kind ist ein wahrer Schatz«, sagte er einmal. »Nie ist so viel Offenheit, so viel Geist und so viel Wärme des Gefühls in einer so schönen Hülle vereinigt gewesen. Es ist, als hätten bei ihrer Geburt alle Musen und alle Feen sie mit ihren Gaben überschüttet.« Gerhardine schwieg und wagte nicht einmal, ihn anzusehen, weil sie fürchtete, ihre Blicke möchten ihm ihre Gedanken verrathen.

Georg ließ sich nicht mehr sehen. Er hatte Laura bei ihrem einzigen Zusammentreffen mitgetheilt, daß er den Wachtposten ihrem Hause gegenüber jetzt aufgeben müsse, weil er mit seiner Zeit geizen wolle, bis auf die Minute, um so viel eher für immer mit ihr vereinigt zu werden. Nur von Zeit zu Zeit schickte er ihr irgend einen Liebesgruß. Einmal war es ein Buch, ein ander mal ein Strauß seltener Blumen, dann ein Körbchen mit auserlesenen Früchten.

Diese kleinen Geschenke brachte ein Kind, von welchem Georg durch die Nichte der Generalin erfahren, daß Laura es aus dem Elend gerettet. Gerhardine wußte darum und gestattete es; sie sah im Verweigern nur eine unnöthige Grausamkeit gegen ihre Tochter, deren leidenschaftlicher Charakter die sorgfältigste Behandlung erfahren mußte, wenn er nicht durch Widerstand völlig unnahbar und unbezähmbar werden sollte.

Wolfram durfte davon nichts erfahren; daß Laura Georg getroffen und Versicherung seiner Leidenschaft erhalten, theilte Gerhardine ihrem Manne mit, aber sie verschwieg ihm noch das Versprechen, welches der junge Mann seiner Geliebten abgenommen; sie fürchtete von Wolfram ein hartes Auftreten und dann vielleicht ein Verschwinden des Zutrauens ihrer Tochter, welches sie bis jetzt noch ungeschmälert besaß, und wodurch sie sie vollkommen in Händen hatte.

Sie bewachte sie jetzt freilich ängstlicher als früher, ohne daß Laura es bemerkte, die überhaupt in letzter Zeit viel mehr in sich versunken und zerstreut war. Gerhardine's Hoffnungen wurden bitter dadurch getäuscht. Sie hatte gehofft, die Leidenschaft ihrer Tochter werde mit der Zeit abnehmen, aber diese gewann im Gegentheil an intensiver Kraft, und drohte zuletzt alle ihre Fröhlichkeit, ihre Theilnahme an Menschen und Dingen zu verschlingen.

Selbst Hugo fragte zuweilen, warum »das Kind« so ernsthaft sei. Dann suchte das junge Mädchen durch verdoppelte Zärtlichkeit für die Mutter dieses liebende Auge wenigstens nicht aufmerksam auf ihr trübes Sinnen werden zu lassen.

*

8.

Eines Abends saß Gerhardine allein mit den beiden jüngsten Kindern in ihrem Salon. Sie half den Jungen ihre Aufgaben für die Schule machen. Laura war bei dem Vater in dessen Atelier beschäftigt. Da trat Hugo leise in den Saal, denn die Gartenthür stand offen – es war wieder Mai – ein Jahr verflossen.

Als Hugo's wohlbekannte Stimme mit sanftem wehmüthigem Klange »Guten Abend!« sagte, fuhr Gerhardine erschrocken in die Höhe.

»Sie erschrecken vor mir«, fuhr Gerstatt vorwurfsvoll fort; »und ich komme doch trost- und hülfebedürftig zu Ihnen. Sie wissen, meine Frau, die beinahe ein Jahr bei ihren Verwandten in Berlin war, wurde fortwährend durch Kranksein verhindert, hierher zurück zu kehren, ich dachte nicht, daß es gefährlich sei; denn seit unserer einundzwanzigjährigen Ehe ist sie immer krank; aber eben – eben erhalte ich die Nachricht ihres Todes!«

»Mein Gott!« sagte Gerhardine tief ergriffen, »mein Gott, wissen es schon Ihre Kinder?«

»Die beiden Jüngsten sind in einer Erziehungsanstalt auf der Wieden, der Aelteste ist gestern Abend nach England abgereist.«

»Georg ist fort?«

»Ja, er ist fort. O, Gerhardine, ich stehe jetzt ganz allein.«

Gerhardine gab den Kindern einen Wink, sich zu entfernen, dann sagte sie ruhig: »Es ist recht traurig, Graf, daß Sie die Mutter Ihrer Kinder verloren – aber sagten Sie mir nicht selbst, daß Sie sie nie geliebt? – Sie sind durch ihren Tod nicht einsamer, als Sie es bis jetzt waren!«

»Doch, doch, wenigstens fühle ich jetzt bei dem Tode der ungeliebten Frau es doppelt schmerzlich, nicht während der Jugend meines Lebens ein Herz neben mir gehabt zu haben – wenn man es auch verloren, ist nicht die Ueberzeugung, einmal es besessen zu haben, schon beglückend? Die Welt hat mich einen beneidenswerthen Menschen genannt, und ich bin nie geliebt worden; selbst meiner eigenen Frau habe ich dieses Gefühl nicht einzuflößen vermocht, obgleich es eine Zeit gab, wo ich mich darum bemühte, wenn auch nur aus Eitelkeit!«

»Dann verdienten Sie es auch nicht besser!«

»O, seien Sie nicht so streng, Gerhardine! Warum sind Sie nicht die Meinige geworden? – Wenden Sie sich nicht ab, Sie dürfen hören, was ich sage – Sie müssen es hören! Aus Menschlichkeit dürfen Sie nicht dem Schrei einer zerrissenen Seele sich entziehen – wären Sie die Meine geworden – ich wäre ein anderer Mensch! Was bin ich jetzt? Das unnützeste Geschöpf der Welt: ein Hofmann, ein Cavalier, ein Diplomat!«

»Mein Gott, Graf Gerstatt, wie kommen Sie auf einmal zu dieser trüben Ansicht Ihres Lebens?«

»Das will ich Ihnen sagen: ich werde alt! Vorgestern war ich siebenundvierzig Jahre alt!«

»Und ich vor ein paar Wochen siebenunddreißig. Das ist für eine Frau auch nicht jung!«

»Aber Sie haben nicht Ihre Existenz auf Ihre ewige Jugend gebaut, wie ich! Sie lieben Ihren Mann, Sie lieben Ihre Kinder, Ihre Kinder lieben Sie!«

»Das Letztere hinge doch auch nur von Ihnen ab.«

»Nein, Gerhardine, zehn mal nein! Das ist die unglückselige Frucht einer Convenienz-Ehe, daß die Kinder auch schon keine Liebe zu ihren unnatürlich verbundenen Aeltern fassen! O, die Natur rächt sich, wenn man sie mishandelt!«

»Versuchen Sie es, Graf, die Liebe Ihrer Kinder zu gewinnen.«

»Das ist nicht möglich. Der Aelteste, Georg, ist ein Träumer, ein Gelehrter, eine abgeschlossene, in sich gekehrte, liebesarme Natur. Der Zweite ist ein geistreicher, witziger Kopf, aber ein leichtsinniger Taugenichts und ein Egoist. Der Dritte ist kränklich, menschenscheu, mistrauisch und beschränkt!«

»Sagten Sie nicht, daß Georg liebesarm sei?«

»O, ich weiß, Gerhardine, wovon Sie reden wollen. Aber das ist vorbei. Er hat Ihre Tochter vergessen, und ich rede die volle Wahrheit, wenn ich sage: Ich verachte ihn deshalb! Durch eine treue Liebe zu dem herrlichen Mädchen hätte er bei mir jedes Vorurtheil besiegt – ich würde ihm meine Einwilligung nicht länger verweigert haben.«

Gerhardine – und wer möchte mit ihr deshalb rechten? – glaubte dieses mal dem Geliebten ihrer Jugend – er glaubte ja selbst an Das, was er eben sagte! – und entgegnete rasch: »Er hat sie nicht vergessen, er liebt sie wie am ersten Tage – gestern erhielt sie eine weiße Taube von ihm geschickt, die um den Hals einen emaillirten Ring mit den Worten trug: ›Adieu, pour longtemps, mais pas pour toujours‹. Wollen Sie den Ring sehen? sie trägt ihn an einer Schnur um den Hals. Seit einem Jahre erhielt sie jeden Sonntag ein Zeichen seiner Liebe und Treue!«

Des Grafen aufgeregte Züge spannten sich im unangenehmsten Erschrecken, er sprang auf, und heftig im Zimmer auf- und abschreitend, rief er in abgebrochenen Sätzen: »Wer hätte das dem Jungen zugetraut, ein so falsches Spiel! Also für Fräulein Laura waren die schönen Blumen und Früchte, also für Fräulein Laura die Vögel und Tauben, während ich harmloser, gutmüthiger, ehrlicher Narr glaubte, sie seien für der Ueberbringerin Schwester, für die Ballettänzerin!«

Hier mußte Gerhardine trotz allem Unangenehmen und Verletzenden in des Grafen Benehmen dennoch laut auflachen.

»Dazu gehört wirklich viel Harmlosigkeit, Güte und Ehrlichkeit, um bei den Geschenken, die ein junger Mann seiner Braut macht, zu glauben, er richte sie an eine Ballettänzerin!«

Der Graf fiel oder ließ sich in einen Sessel fallen, das Wort »Braut« aus Gerhardine's Munde hatte ihn völlig vernichtet.

Seine Freundin, die ihm absichtlich diesen Stich beigebracht, trat aber vor ihn und sagte in ihrer gewöhnlichen milden Weise: »Graf Gerstatt, liegt Ihnen denn gar nichts an meiner Achtung, an meiner Freundschaft?«

Hugo sprang auf, und ihre Hand ergreifend, rief er mit dem Tone des höchsten Ernstes, und es war ihm auch Ernst: »Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich keine Frau höher achte! Ich weiß, daß Sie für Niemand Sinn und Theilnahme haben, als für Ihren Mann und Ihre Kinder, und doch sind Sie mir das Theuerste auf Erden!«

Gerhardine entzog ihm ihre Hand und sagte verletzt: »Ich wollte keine solchen Betheuerungen! Nun hören Sie mich aber an: Wenn Ihnen etwas an meiner Achtung, meiner Freundschaft liegt, wie können Sie sich so unverantwortlich widersprechen, indem Sie in dem einen Augenblicke beklagen, daß Sie nicht nach Ihrem Herzen gewählt, ja, sogar behaupten, Sie würden dann besser und glücklicher sein, und in dem andern Augenblicke die unzweideutigsten Zeichen der Wuth von sich geben, wenn Sie erfahren, daß Ihr Sohn an meiner Tochter mit treuer Liebe hängt, an meiner Tochter, die besser, schöner, liebenswürdiger und viel bedeutender ist, als ich je war!«

»Das ist nicht wahr, Ihre Tochter ist nur anders als Sie. Mein Sohn ist anders als ich. Ich gehöre zu den Menschen, auf die Ihr Umgang segen- oder fluchbringend wirken kann. Georg ist eine vollkommen abgeschlossene Natur – in jeder Atmosphäre derselbe! Ihre Milde, Ihre Sanftmuth, Ihre Klarheit, Ihr tiefes, inniges Gefühl würden aus mir einen Mann gemacht haben, der an des Lebens edlen Interessen sich betheiligt, während ich jetzt am Boden krieche. Ihre Tochter ist schön, geistreich, aber sie ist leidenschaftlich und darum ohne wohlthätige Einwirkung für Andere – o, glauben Sie, mir ist es nicht entgangen, wie sie mich haßt – da wir einmal den Punkt berührt, so kann ich auch Alles sagen!«

Nun mußte Gerhardine wieder lachen. »Das gute Kind, und Sie hassen! Mit ihrer reinen, weichen, für Alle nur Wohlwollen empfindenden Seele! Nein, ich bleibe dabei, Laura ist, wie ich in ihrem Alter war, nur tiefer, feuriger und energischer. Ihr Sohn ist auch so, wie meine Cousine Sie mir schilderte, aber auch tiefer, feuriger und energischer. Die Verhältnisse sind dieselben: mein Vater war der Sohn eines geadelten Kaufmanns, Wolfram der Sohn eines geadelten Offiziers. Mein Vermögen galt für groß und war klein – Laura's Mitgift – nun, ihres Vaters Bilder tragen hohe Summen ein, und er wird für die einzige Tochter wohl sorgen – wo bleibt da die Rechtfertigung dafür, daß Sie Dasselbe, was Sie Ihrem Sohne verwehren, für Ihre Person unterlassen zu haben bedauern, und mir dennoch zumuthen, daß ich Ihnen glauben soll?«

»Und doch ist es so, Gerhardine! Ich gäbe meinen Rang, mein Vermögen, meine Kinder, wenn …«

»Wenn man Sie nicht beim Worte nimmt«, sagte ärgerlich Gerhardine; er aber faßte nach dem flatternden Band ihrer Echarpe und drückte es an seine Lippen.

»Das, was Sie wünschen, ist nicht geschehe – wenn aber nun Das, was Sie nicht wünschen, dennoch geschähe?«

Hugo war in peinlicher Verlegenheit, in so peinlicher, wie kaum je ein Diplomat; er faßte sich aber und sagte ernst: »Es wird nicht geschehen, denn er kann nicht ohne meine Einwilligung.«

»Ich sage Ihnen aber, wenn er sie nun ohne Ihre Einwilligung, ohne unsere Einwilligung – ohne Ihre und unsere Hülfe und Theilnahme dennoch zur Frau bekommt?«

»Dann«, sagte Gerstatt, in der höchsten Pein zu dem Universalmittel des Scherzes sich wendend, »dann wäre es ein Fait accompli, und vor dem werfen sich selbst die Diplomaten in den Staub.«

Gerhardine antwortete lachend: »Vortrefflich aus der Klemme gezogen – ich würde es sehr passend finden, wenn man Ihnen alle Orden, alle Schleifen, Schwerter und alle Eichenlaube Ihres Staates an den Hals hängte.«

Dann schellte sie, ließ den Thee bringen, ihren Mann und ihre Tochter rufen, und der Abend verging, als sei nichts vorgefallen; vom Tode der armen Gräfin Aurelie sprach Niemand mehr.

*

9.

Georg war durch seine Abwesenheit seiner Geliebten viel näher gerückt; denn er schrieb ihr, und ihre Mutter erlaubte ihr von Zeit zu Zeit, ihm ein paar Zeilen zu antworten. Diese Zettel, die sie jedesmal ihrer Mutter vorlegte, waren von einer so merkwürdigen Fassung, streng in Worten und glühend in Gefühlen, wie ein Liebesglut athmender Blick unter einem Nonnenschleier, als wolle Laura um keinen Preis die ihr von der Mutter gewährte Erlaubniß misbrauchen, und vermöge es dennoch nicht. Als Georg einst einen außerordentlich schönen Kupferstich: »Christus als Tröster«, von modernen Duldergestalten umringt, nach einem Gemälde von Ary Scheffer, aus Paris schickte, schrieb Laura ihm:

»Bild und Brief sind glücklich angelangt. Doch obgleich beide mit der Mission, zu trösten, zu mir kamen, gelingt es keinem.

Dieser Christus ist nicht mein Vermittler, denn meine Leiden sind nicht modern – seit dem Anfange des Menschengeschlechts haben sie die Herzen zerrissen! Ich halte mich an den alten Gott!

Ihr Brief, zwar gut gemeint, hat mich auch nicht erheitern können, weil ich daraus ersehe, daß Sie selbst nicht heiter sind.

Leben Sie wohl, und suchen Sie den frischen Muth wieder zu gewinnen, wovon Sie mir schrieben, daß er Sie bei Ihrer Abreise von Wien beseelte.

Ich will nicht falsch sein und Sie zum Schlusse versichern, daß ich ihn habe – ich bedarf desselben aber auch nicht; ja, wenn ich ihn hätte, würde er mir vielleicht bei der mir zugewiesenen Dulderrolle eher hinderlich als förderlich sein! Aber Sie! Selbst wenn Sie im Kampfe unterliegen, erhalten Sie ein Epitaph, auf welches keiner Ihrer hochgräflichen Vorfahren Anspruch machen kann: Er hat gearbeitet!

Laura.«

Graf Hugo behielt seine alte Weise bei. Er kam von Zeit zu Zeit, bis auch er für mehre Monate auf Urlaub an seinen Hof reiste. Als er zurückkehrte, besuchte er sogleich die Malerfamilie und theilte Gerhardinen mit, daß er seinen Sohn auch in diesen Tagen zurück erwarte. Sie wußte das durch die Briefe Georg's an ihre Tochter – einer offenen Frage des Grafen würde sie das gesagt haben, für seine forschenden Blicke aber blieb sie stumm.

Doch Laura bereitete ihr an demselben Abend noch eine heftige Gemüthsbewegung. Als sie auf ihr Schlafzimmer kam, fand sie ihr liebstes Kind, das sie schon längst zur Ruhe glaubte, noch oben und sie erwartend.

»Mutter«, sagte Laura mit beklommener Stimme, »ich muß ein Wort zu dir reden, das mir schon seit Monaten schwer auf dem Herzen liegt; ich wollte dich aber nicht vergeblich und unnöthig ängstigen.«

»Rede, fahre fort«, sagte voll Sorge die Mutter.

»Du hast alle Briefe Georg's gelesen, auch seinen letzten?«

»Auch seinen letzten.«

»So wirst du dich wol erinnern, daß er darin mich mahnt, des Versprechens eingedenk zu sein.«

Gerhardine nickte stumm.

»Dieses Versprechen betrifft meine Flucht mit ihm, sobald er Alles dazu geordnet hat und mir ein sicheres Asyl, ein hinreichendes Auskommen zu bieten weiß.«

»Du sprichst von dieser Flucht, mein Kind, wie von einer unabwendbaren Nothwendigkeit!«

»Das ist sie, wenn wir nicht beide zu Grunde gehen wollen! Sein Vater will mich nicht, und ihr könnt nichts gegen des Gesandten Willen – selbst wenn alle Schwierigkeiten durch Georg's Mündigkeitserklärung und Entsagen der väterlichen Erbschaft beseitigt wären – ihr könnt selbst dann nicht die Heirath eurer Tochter mit dem Grafen Gerstatt feiern – das feine Ehrgefühl meines Vaters würde sich gegen ein solches Aufdrängen seiner einzigen Tochter auflehnen, sie unmöglich machen! So sagt Georg, so sage auch ich! Beste, theuerste Mutter, was sagst du?«

Gerhardine schwieg bekümmert – und nach einer Pause fuhr ihr Kind fort: »Du kannst nichts mir einwerfen, trotz deines liebenden Herzens – siehst du, Mutter, – uns bleibt nichts Anderes übrig, als zu flüchten und selbst den Altar zu bauen, den sonst gütige Aeltern ihren Kindern so schön auszuschmücken sich bemühen! Sein Vater will nicht – also kann es der meinige nicht!«

»Aber wenn dein Vater schweigend deine Flucht billigt, ist das nicht Dasselbe?«

»Das soll er eben nicht – das war's, um was ich dich bitten wollte. Du hast, wie du mir sagst und wie ich dich auch dringend bat, dem Vater Alles, bis auf mein Georg gegebenes Versprechen, mitgetheilt. Der Vater weiß, daß er mich treu liebt, daß er mir unter seiner Adresse schreibt, daß ich ihm unter deiner Aufsicht antworte, aber er ahnt nicht, daß ich auf Georg's ersten Ruf bereit bin, sein schützendes Dach zu verlassen!«

»Nein, nein, und das darfst du auch nicht – das ist unmöglich. Ich habe bis jetzt geschwiegen, weil ich hoffte, du würdest von selbst von diesem abenteuerlichen Plane zurückkommen.«

»Mutter!« rief Laura nun plötzlich, die kalte, krampfhaft bewahrte Ruhe abstreifend, um in ein leidenschaftliches Weinen auszubrechen – »Mutter, verlange nicht Unmögliches, Unmenschliches von einem schwachen Mädchen, von deiner einzigen Tochter! Ich bin bereit, jeden Augenblick für dich, für den Vater, für meine Brüder zu sterben, aber für ihn muß ich leben oder gar nicht leben – ein Leben ohne ihn ertrage ich nicht!«

Gerhardine zog die Tochter, die außer sich war und an allen Gliedern zitterte, an sich und suchte sie durch Schmeichelworte zu beruhigen, aber vergebens!

»Zwinge mich nicht, dich zu betrügen, Mutter! Mir bleibt nichts Anderes übrig, wenn du das unnatürliche Gebot wiederholst – ich muß dich dann heimlich wie eine Verbrecherin verlassen, dich, die bisher jeden Vorsatz meiner Seele vernommen, jeden Gedanken meines Herzens belauscht!«

Gerhardine trat mit gefaltenen Händen ans Fenster. Durch die klare, kalte Februarnacht schien leuchtend der volle Mond. Sie schickte aus dem zerrissenen Mutterherzen ein inbrünstig Gebet hinauf zu Ihm, der ja auch so viel Milde für seine Kinder hat. Und ein Gedanke, ein Rettungsstrahl fiel von oben in ihre Seele, in diese Seele, die nur das Gute, Rechte, Beglückende wollte. Ganz gefaßt wandte sie sich nun zu der still weinenden Tochter und sagte weich: »Ich gelobe dir feierlich, mein Kind, deiner Flucht nicht das Mindeste in den Weg zu legen, sie im Gegentheil durch alle in meinen Kräften stehenden Mittel zu befördern, wenn du mir gelobst, mich davon zu benachrichtigen, sobald Georg dir selbst die Mittheilung macht.«

Laura fiel freudig der Mutter um den Hals und gelobte, was sie wünschte.

Gerhardine aber beschwichtigte ihr Mutterherz, daß es nicht zum Aeußersten kommen werde, daß jetzt nach Georg's Rückkehr Graf Hugo ihr Gelegenheit geben werde, noch zu Gunsten der Kinder ihn zu stimmen, wenn sie ihm offen gestehe, daß Georg noch immer unverändert bei seiner Werbung um Laura beharre.

*

10.

Einige Tage darauf kam der Graf wirklich zu seiner Jugendfreundin und theilte ihr die Rückkehr seines ältesten Sohnes mit.

Nach einer Pause, als Gerhardine schwieg, setzte er hinzu: »Bei dieser Gelegenheit ist mir wieder recht der Fluch meines Hauses fühlbar geworden – der Fluch einer Convenienz-Heirath! Georg war beinahe acht Monate weg, ich hatte in dieser Zeit vergessen, wie fremd wir uns waren; ich meinte, ich hätte einen liebenden Sohn, der nur etwas steife Briefe schreibe! Als ich heute Nachmittags nach Hause komme, sehe ich in meinem Vorzimmer einen fremden Paletot liegen, ich frage den Kammerdiener, wer zum Besuch in meinen Zimmern sei. Er antwortete: ›Der junge Herr Graf ist zurückgekommen und, bis seine Zimmer geheizt sind, bei Excellenz abgetreten.‹ Ich öffne rasch die Thür. Am Fenster sitzt lesend ein junger Mann mit einem langen Barte; er erhebt sich bei meinem Eintritt und – macht eine steife Verbeugung. Es war Georg! Georg mit einem Ausdruck von Kraft und Energie in den regelmäßigen Zügen, der ihn in meinen Augen um zehn Jahre älter erscheinen ließ! Wäre dieser Kraft und Energie nur etwas Milde und Liebe beim Anblick des Vaters hinzugetreten, ich hätte ihn stolz in meine Arme geschlossen; so aber schüttelte ich ihm kalt die Hand! Und doch darf ich ihm nicht zürnen – seine Mutter hat ihn, ich habe seine Mutter nicht geliebt, und die Frau und Mutter ist ja der Mittelpunkt der Liebe in jedem Hause, die Sonne, welche die Strahlen auffängt und wieder ausgießt – zu ihr trägt Jedes seine Liebe wie in einen Schrein, und sie theilt immer aus, ohne je zu Ende zu kommen; denn auch um Liebe zu stiften bei den Ihren untereinander, reicht ihr Vorrath aus! Sie hat für Alle genug!«

»Sprechen Sie nicht von diesem Thema, Graf Gerstatt, es schadet Ihnen bei mir, weil ich Sie dann durchaus nicht ›de bonne foi‹ glaube. Sie glauben das nicht – Exempla sunt odosia – sonst würde ich Ihnen beweisen, daß diese Versicherungen Ihnen alle nicht ernst sind.«

»Für mich sicher, heilig, bei Gott! Aber nicht, was meinen Sohn betrifft, denn der ist nun einmal ein herzloser Mensch, der ist nicht zu ändern; aber ich …«

Gerhardine lachte laut auf, aber dennoch entging dem feinen Ohre des Diplomaten nicht die scharfe Betonung ihrer Worte, als sie sagte: »Es gibt leichtsinnige oder eigensinnige Menschen, bei denen ist Alles vergebens! Trübe Erfahrungen, gute Rathschläge, das Schicksal und die Menschen warnen sie vergebens – und zu diesen Leuten gehören Sie – oder Sie sind bodenlos falsch!«

Der Graf wollte sich verwahren, aber durch Wolfram's Eintritt wurde dieses Gespräch unterbrochen und kam auch später natürlich nicht mehr an die Reihe.

Der Maler Wolfram gehörte zu den Künstlern, die vom eigentlichen Treiben der Menschen, von ihren Beziehungen zueinander, von ihrem gewöhnlichen Charakter und ihren Eigenschaften sich eine durchaus falsche Vorstellung machen, weil sie in ihrer Excentricität nur die Extreme sich denken; für sie gibt es nur gut oder bös, schön oder häßlich, Teufel oder Engel.

Die gute Folge dieser Denkungsart war, daß er selbst auch nie etwas halb that – in Allem und Jedem genügte er vollkommen Dem, was seine reine Natur als das Gute, das Schöne, das Richtige einmal erkannt hatte. Von der halben Tugend der meisten Menschen hatte er keinen Begriff, aber im Ganzen that er ihnen doch nicht Unrecht, weil er für jeden halb Guten, den er für ganz schlecht hielt, auch wieder einen für vollkommen anerkannte!

Aus diesem Grunde war es aber unsäglich schwer, ihn irgend einer halben Maßregel freundlich zu stimmen, ihm klar zu machen, daß es zuweilen Fälle gibt, wo ein offenes Auftreten unheilbringend, und dann wieder solche, wo ein Verschweigen, ein Umgehen des für gewöhnlich als recht Feststehenden segenbringend sein könne. Das, was man im Privatverkehr Lebensklugheit und im Staatenverkehr Politik nennt, verachtete er aus tiefster Seele. Er scheute Niemand, er wollte nicht geschont sein, er verzieh keine Umschweife und ging immer selbst kerzengerade Wege.

Man wird nun vielleicht denken, diese Art, zu sein, habe das Leben mit ihm sehr leicht gemacht, und dennoch empfand Gerhardine gerade das Gegentheil, trotz ihrer warmen Liebe und Achtung für ihn. Sie selbst, was sie betraf, befand sich natürlich in Beziehung zu ihrem Manne auf wolkenloser Bahn; aber seine Beziehungen zu Andern, zu der Kunstwelt, zu seinen Auftraggebern, seinen Kritikern, seinen Collegen, seinen Schülern, gaben ihr bei seinem Charakter desto mehr zu schaffen, machten ihr um so mehr Sorgen – wäre sie nicht als Vermittlerin, verschweigend und verhüllend, versöhnend und besänftigend, überall aufgetreten, er hätte sich bei dem wohlwollendsten Herzen mit der ganzen Welt verfeindet, seine Existenz, seinen Ruhm, seine Zukunft zertrümmert. Eine dunkle Ahnung sagte ihm das auch, und er zog daher beinahe immer seine Frau zu Rathe, wo es nur irgend anging – sie war sein Secretär, sie schrieb und empfing seine Briefe, sie las ihm bei der Arbeit die Journale vor; kurz, sie war der eigentliche Nerv, durch den er mit der Außenwelt in Verbindung blieb. Wurde ein Bild von ihm mit Recht getadelt, so las sie ihm das in einer heitern Stunde vor; einen ungerechten Angriff aber verschwieg sie, jede Perfidie eines Menschen, den er sich befreundet glaubte, verhüllte sie. Sie stiftete hierdurch nur Gutes, sie ließ ihm die Welt wieder rosig und einladend erscheinen. Denn als er sie heirathete, war Gerhardine von allen Seiten vor seinem ganz unnahbaren und unerträglichen hypochondrischen Wesen gewarnt worden – und seitdem sie seine Frau war, fand Jedermann den Maler höchst liebenswürdig und umgänglich.

Wir haben den Charakter Wolfram's, der schon dem Leser in seiner Weise wol klar ins Auge gefallen, noch einmal so ausführlich detaillirt, weil er einen Plan Gerhardine's unmöglich zu machen drohte, den Plan, den sie am Abend gefaßt, als ihre Tochter sie anflehte und als sie dem Kinde ihr Wort gegeben, die Flucht nicht hindern zu wollen.

Dieses Wort lag ihr jetzt centnerschwer auf der Seele – denn der einzige Ausweg, die Erfüllung zu umgehen, konnte nur durch Wolfram's Mitwirkung ihr gebahnt werden; und diese Mitwirkung schien ihr bei ruhiger Prüfung seines Charakters eine Unmöglichkeit – eben weil es sich um ein Umgehen, einen Ausweg handelte, und er ja immer und immer nur den geraden Weg verfolgen wollte!

Sie verzehrte sich völlig vor Angst und Gram, denn sie durfte nicht jetzt schon der Ungewißheit ein Ziel setzen und Wolfram mittheilen, was sie quälte – die einzige Hoffnung des Gelingens beruhte für sie nur darin, daß er im Drange des Moments für einen Augenblick vielleicht seinen Charakter verleugnen würde, und dann war ja Alles gewonnen, es galt ja nur um einen Augenblick!

Wolfram fragte täglich seine Frau, was ihr fehle; denn ihre Wangen wurden immer blässer, ihr Blick immer trüber. Gerstatt, der immer mehr und mehr aufrichtige Hochachtung vor ihr empfand, und dem es nach und nach ganz unentbehrlich wurde, die freundliche, sinnige, kluge Frau zu treffen, ängstigte sich auf das peinlichste um sie und schickte ihr unter einem Vorwande seinen Arzt ins Haus. Laura allein errieth, worüber die Mutter litt, und litt noch hundert mal mehr – zehn mal an einem Tage faßte sie den Entschluß, ihre Liebe ihr aufzuopfern – aber wenn sie der Mutter das sagen wollte, versagte ihre Zunge ihr den Dienst, und die Leidenschaft für Georg schloß ihre Seele in unzerreißbare Fesseln.

*

11.

Endlich, endlich nahte der Augenblick der Entscheidung für die beiden Frauen. Georg schrieb an Laura:

»Heute Abend Elf bis Zwölf ist die Stunde, wo du dein Wort halten mußt, Geliebte! Alles ist zur Flucht bereit. Vor dem Haupteingange der Karlskirche werde ich mit einem Wagen dich erwarten, der uns zur nächsten Eisenbahnstation bringt, die morgen früh um 6 Uhr uns in die Freiheit, in das Glück führt. Ich bringe dich zuerst nach London. Aus dem Proceß, den der König von Neapel, um die Nichtigkeitserklärung der Ehe seines Bruders mit Penelope Smith zu bewirken, führte, haben wir andern unglücklich Liebenden gelernt, daß in Englands Hauptstadt den gesetzlichen Foderungen zu einer kirchlichen Trauung genügt ist, wenn die Brautleute einen mehrwöchentlichen Aufenthalt in zwei verschiedenen Kirchspielen sich bezeugen lassen können; dies und die Erklärung ihrer Unabhängigkeit aus ihrem eigenen Munde genügt dem Geistlichen, um sie einzusegnen. Laß uns dem Beispiele des Prinzen von Capua folgen! Vor eurem Gartenthore wird die Mutter der kleinen Lisa stehen und dich bis zu der Kirche bringen. Gott wache über dich, bis es mir vergönnt ist!

Dein Georg.«

Todtenblaß und ohne ein Wort zu sagen, legte Laura diesen Zettel in die Hand ihrer Mutter – es war 6 Uhr Abends!

Gerhardine fragte: »Was wirst du antworten?« Laura bewegte die Lippen, und kaum konnte ihre Mutter die Worte verstehen: »Der Bote hat keine Antwort abgewartet; es sei nicht nöthig, sagte er.«

»Er rechnet fest auf dich, er ist seiner Sache sehr sicher!« sagte Gerhardine mit schmerzlicher Ironie.

Sie ging mit klopfendem Herzen, mit gefalteten Händen in ihres Mannes Zimmer. Er war ausgegangen! So unglücklich eigentlich dieser Umstand war, so hätte die arme Frau doch beinahe aufgejauchzt vor Freude, als sie ihn nicht fand – so bange war ihr vor dem Zusammentreffen mit ihm.

Sie ging wieder hinab zu Laura. Ihre Tochter lag auf den Knien, den Kopf zwischen den Händen, und zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.

»Darf ich ihm schreiben, Laura, darf ich ihm schreiben, daß du deiner Mutter treues Kind bist und sie nicht verlassen kannst – er wird das in dir ehren!«

»Mutter, dann hast du mich morgen doch nicht mehr! Er würde mir das nie verzeihen! Bedenke, ihn hat seine Mutter nie geliebt! Er kennt nur Eine Liebe! Laß den Glauben daran mich bei ihm erhalten – dann wird er auch noch an andere Liebe glauben lernen. Er hat sein Wort voll und ganz gehalten, lasse mich nicht von ihm beschämt werden. Wir sehen uns bald wieder – meine halbe Seele bleibt ja bei dir! Und so wahr der allmächtige Gott lebt, ich würde ganz hier bleiben, wenn du mir sagtest: Es gereicht zu unserm Glück! Ich mache euch zehn mal elender, wenn ich hier bleibe, als wenn ich gehe. Der einzige Grund, den du anführst: das erbärmliche Vorurtheil des Gesandten, ist nicht werth, daß ihm zu Gefallen zwei Herzen gebrochen werden!«

Stunde um Stunde verrann, Wolfram kam nicht nach Hause. Endlich schlug es 9 Uhr, und damit zugleich erscholl die Klingel des Hauses, von der wohlbekannten starken Hand des Hausherrn gezogen.

Gerhardine stand auf der Schwelle seines Zimmers, als er es betrat – ihr Aussehen mußte ihn erschrecken, denn er fragte mit ungewöhnlicher Hast: »Was ist geschehen, Kind?«

Als sie die so geliebte und gefürchtete Stimme hörte, als seine Augen so fragend und besorgt auf die ihrigen sich richteten, da brach die Spannung, in der sie die ganze letzte Zeit sich gehalten, zusammen. Laut weinend, schluchzend wie ein Kind fiel sie an seine Brust. So hatte er sie nie gesehen, immer war sie ruhig, besonnen, milde und klar gewesen – was war ihr geschehen?

Ein erschreckender Gedanke fuhr durch seinen Kopf. »Wer hat dich beleidigt, sage es mir, Gerhardine, wer hat es gewagt?« fragte er bebend vor Zorn.

»Nicht das ist es«, stammelte sie, »Niemand hat mich beleidigt, aber es steht Alles auf dem Spiele, wenn du nicht hilfst!«

»Was soll ich thun? Sage mir es, liebes, theures Weib!«

Gerhardine hatte, ohne die leiseste Absicht, den Weg eingeschlagen, ihres Mannes Herz zu rühren. Die Fassungslosigkeit, die Verzweiflung seiner sonst so aufrechten Gefährtin hatte den starken Mann ganz und gar erschüttert und zerstört. »Was soll ich thun? sage es mir!«

»Erst, Wolf, muß ich dir Alles erzählen!« – Sie theilte ihm nun mit fliegenden Worten mit, was wir wissen, und was er zum Theil schon früher von ihr erfahren; eigentlich war ihm nichts unbekannt, als die beabsichtigte Flucht der jungen Leute.

Sie schloß mit den Worten: »Ich habe Laura mein heiliges mütterliches Wort gegeben, daß ich ihre Flucht nicht hindern will – ich habe es gethan, nicht nur, weil meine Liebe dem verzweifelnden Kinde gegenüber mir das gebot, sondern die ganz gewöhnliche Klugheit. Sie ist einer von den Charakteren, die nicht zu biegen, nur zu brechen sind, und dieses Brechen ist zugleich ihr Untergang. Hätte ich ihr mein Versprechen vorenthalten, so hätten wir jetzt statt eines trauernden, verzweifelnden, liebenden Kindes eine uns trotzende Fremde, eine widerwillige Gefangene, eine uns zuletzt überlistende Verbrecherin im Hause!«

»Wir können aber doch das Kind nicht mit dem jungen Menschen durchgehen lassen und die Hände im Schoos halten und zusehen?« fragte Wolfram, zornig auf- und abgehend.

»Nein, Das ist unmöglich, und eben davor sollst du uns bewahren und zugleich mein Wort dem Kinde gegenüber mich nicht brechen lassen.«

»Um Gottes willen, wie kann das sein?«

»Jetzt ist 9 Uhr vorüber. Um 10 Uhr geht der letzte Zug der Nordbahn ab. Wie soll ich dir's sagen – komm hinüber mit mir zu Laura – bringe du sie selbst nach England!«

»Welch ein Gedanke! Was würde der Gesandte sagen, wenn ich so die Hände zu der Heirath seines Sohnes böte? zu einer Heirath, von der wir wissen, daß er sie durchaus nicht gestatten will – das ist gegen meine Ehre!«

»O Wolf! Um dieses Phantoms willen zerstöre nicht das Glück deiner einzigen Tochter! Sieh, auf den Knien beschwöre ich dich, bringe Laura nach London!«

Wolfram gab keine Antwort; mit verschränkten Armen ging er raschen Schrittes im Zimmer auf und ab, und bemerkte nicht einmal, daß Gerhardine halb bewußtlos vor Angst neben dem Sessel hingesunken war.

Sie faßte sich dennoch zuerst – sie trat zu ihm, sie legte sanft den Arm um seinen Nacken, und mit der Stimme, die noch nie den Eindruck auf sein Herz verfehlt hatte, flüsterte sie: »Wolf! Ich habe dich nie gedrängt mit einer Bitte – wenn du nicht gleich gewährtest, stand ich ab; aber hier weiß ich mir bei Gott nicht zu helfen, wenn du nicht nachgibst! Es ist die einzige Art, dem Kinde das Wort zu halten, ihre Flucht nicht hindern zu wollen, und doch sie nicht preiszugeben. In Berlin kannst du ja bleiben und mit ihm reden; er ist jung, er wird deiner Einsicht weichen, und, sieht er die Geliebte, auch von ihr sich bestimmen lassen, die Einwilligung seines Vaters abzuwarten. Der Gesandte kann ja nicht länger dem entschiedenen Willen des Sohnes gegenüber sich weigern!«

»Das ist mir das Unerträglichste – der Gedanke, daß Gerstatt sich gezwungen fühlen wird, von uns gezwungen, seine Einwilligung zu geben! Und wenn er sie nun nicht gibt?«

»Dann verlassen wir Wien; wir sind ja frei, und ziehen mit den Kindern, wohin die Sonne der Kunst uns lockt! Nicht wahr, Wolf, du gehst? Ich bestelle dann sogleich, daß angespannt wird, und nachdem ich euch Beide auf den Bahnhof gebracht, fahre ich zur Karlskirche, um meinen jungen Freund zu benachrichtigen, daß er euch morgen früh folgen darf und euch in Berlin trifft. Nicht wahr, Wolf?«

»Es ist der schwerste, peinlichste Schritt meines Lebens, und mir dünkt, du hättest mir das ersparen können!«

Aber dennoch ging er zu seinem Schreibtische, nahm eine Rolle Goldes und steckte sie in die Tasche, und ging dann hinüber zu Laura. Gerhardine wagte ihrer Dankbarkeit ihm gegenüber keine Worte zu leihen – sie fürchtete, ihn zu verstimmen.

Laura erschrak heftig, als sie beide Aeltern eintreten sah, aber ein Blick in Gerhardine's leuchtendes Gesicht, und sie war ruhig. Wolfram sagte halb böse: »Du willst fort von uns, Laura? So muß ich dich wol selbst wegbringen – wol der erste Vater, der die eigene Tochter für den Liebhaber entführt!«

Gerhardine erklärte der Tochter ihren Plan, und es ist erklärlich, daß Laura sich kaum vor Freude zu fassen wußte! Sie sollte den Geliebten treffen, mit ihm, wenn auch nicht für immer, vereinigt sein, ohne einen Schritt zu begehen, gegen den ihr ganzes besseres Selbst sich auflehnte! Unter dem Schutze ihres geliebten Vaters war es ihr nun vergönnt, das älterliche Haus zu verlassen, aus dem sie noch vor wenigen Minuten wie eine Diebin schleichen zu müssen fürchtete. Ein Mistrauen, daß ihre Aeltern ihr nicht Alles halten würden, was sie ihr versprachen, der Gedanke, daß sie ebenso gut von ihm weg, wie zu ihm gebracht werden könne, kam nicht in ihre Seele, ebenso wenig, wie der Gedanke des Mißtrauens je gegen Georg aufgetaucht war – in ihrer warmen Seele gab es keinen Raum für solche kalte Gedanken.

Freudig nahm sie Hut und Mantel – alles Uebrige versprach die Mutter ihnen nach Berlin nachzuschicken, nebst der Nachricht, wo und wann Georg sie treffen werde.

Als Gerhardine vom Bahnhofe zurückkehrend dem Kutscher die Richtung nach der Karlskirche einzuschlagen befahl, war es ihr doch eigenthümlich zu Muthe. Welche Gemüthsbewegungen hatte sie heute Abend nicht schon empfunden!

Als sie den Wagen Georg's von weitem erblickte, ließ sie den Kutscher halten und stieg aus. Erst als sie näher kam, sah sie Georg an den Schlag seines Wagens gelehnt. Sie rief ihn an.

Er fuhr zusammen, er erkannte sie trotz Mantel und Schleier auf der Stelle und rief mehr zornig als traurig: »Alles verrathen!«

»Nicht doch«, sagte Gerhardine, »nicht doch! Sie ist Ihnen nur vorausgeeilt! Geben Sie mir Ihren Arm und führen Sie mich zu meinem Wagen, so werde ich Ihnen Alles erklären.«

Georg war natürlich von Gerhardine's Mittheilung nicht so entzückt wie Laura; aber was blieb ihm Anderes übrig, als sich zu fügen?

»Erlauben Sie mir, Sie bis an Ihr Haus zu bringen, und dann morgen früh vor meiner Abreise noch ein mal zu Ihnen zu kommen.«

Gerhardine nickte gewährend; aber als die Beiden sich eben zu dem Wagen wenden wollten, trat eine große Gestalt, tief in den Mantel verhüllt, ihnen in den Weg.

»Georg!«

»Mein Vater! Wie kommen Sie hierher?«

»Denselben Weg, den du hierher kommst, da ich deinem Wagen von Hause aus gefolgt bin. Wer ist die Dame?«

Gerhardine hob den Schleier und wendete ihr lächelndes Gesicht dem Vollmonde zu.

»Gerhardine! und wo ist Laura?«

»Auf dem Wege nach Berlin!«

»Seit wann?«

»Mit dem letzten Zuge. Sie begleitet ihren Vater, der wegen der Bestellung eines Bildes dorthin mußte«, setzte sie schnell besonnen hinzu.

»Und seit wann war denn diese Reise beschlossen?«

»Meines Mannes Reise gestern Abend; nachdem Sie uns verlassen, erhielt er Briefe, die ihn bestimmten. Laura entschied sich erst heute Nachmittag, ihn zu begleiten.«

»Oder vielmehr, Sie, klügste aller Frauen, entschieden, daß Ihr Kind seinen Vater begleite, damit es nicht jemand Andern begleite! O, ich weiß Alles! Sie haben wahrscheinlich den Verabredungsbrief meines Sohnes an Ihre Tochter aufgefangen und so Alles entdeckt, und sind nun hier, um diesem jungen Ungeheuer die Leviten zu lesen, was immer noch viel zu viel Ehre für ihn ist!«

Gerhardine antwortete lächelnd: »Was das junge Ungeheuer betrifft, so haben Sie Recht, aber was meine Tochter betrifft, Unrecht – ich habe den Brief nicht aufgefangen, sie hat mir ihn selbst eingehändigt.«

»O, welch ein Kind! Und welche Erziehung! Ohne weiteres diesen Jungen da der Pflicht gegen die Eltern zu opfern! Laura ist wirklich ein Engel.«

Es war gut, daß es Nacht war, denn Gerhardine erröthete ein klein wenig in der Seele ihrer so unverdient gelobten Tochter!

»Und Sie, Herr Georg, was beschließen Sie nun, zu thun?«

»Meiner Braut nachzureisen und mir von ihrem Vater, dem mir fremden Manne, Das zu erbetteln, was mein Vater mir herzlos verweigert, das Glück meines Lebens; und gewährt man mir nicht Laura – nun, dann reise ich allein nach Liverpool.«

»Georg, lieber Georg! habe etwas Geduld, und vor allem versprich mir, morgen früh mit mir zu dieser vortrefflichen Dame zu gehen und aus ihrem Munde zu vernehmen, was du thun sollst.«

Georg schüttelte den Kopf. »Wenn Sie mir die Mittel nehmen, nach Berlin zu fahren, so gehe ich zu Fuße, und wenn Sie mich einsperren lassen, räche ich mich an mir selbst für die Härte Ihres Herzens!«

»So hören Sie doch, gnädige Frau, welch einen unbeugsamen Bären mir der Himmel zugetheilt hat. Was soll ich nun mit dem Menschen anfangen? Gott, wie glücklich sind Sie! Ihre Tochter gehorcht Ihrem leisesten Winke, geht fort mit dem Vater, läßt den Liebhaber im Stiche – an diesem gehorsamen Engel solltest du dir ein Beispiel nehmen, wie man den Wünschen der Aeltern seine Neigungen aufopfern und –«

»Und den gehorsamen Engel treulos hintergehen soll«, sagte Georg, mit einem unwillkürlichen Lächeln über die Täuschung seines Vaters, welche ihn unaussprechlich ergötzte.

»Wenn Ihnen so sehr viel daran liegt«, setzte er nach einer Pause hinzu, »so will ich übrigens meine Reise bis übermorgen aufschieben und Ihnen im Nachgeben mit gutem Beispiel vorangehen!«

Hugo schlug die Hände zusammen und flüsterte leise: »Der ungerathene Sohn!« Dann wandte er sich zu Gerhardine:

»Erlauben Sie uns jetzt, Sie in Ihren Wagen zu heben. Morgen früh werden Vater und Sohn ihre Aufwartung machen.«

Sie sagte laut: »Das wird mich recht sehr freuen!« Dann aber flüsterte sie leise, so leise, daß es Georg nicht verstehen konnte: »Aber nun bitte ich Sie auch, Graf Gerstatt, Ihren Eigensinn nicht durch Ihres Sohnes Consequenz beschämen zu lassen! Sie dürfen nun auch nicht nachgeben und müssen ebenso fest bleiben, wie er!«

Dann fuhr sie mit leichtem Herzen nach Hause. Wie glücklich hatte sich Alles gefügt! Sie schrieb noch in der Nacht den Verlauf ihres Zusammentreffens mit Georg und seinem Vater an ihren Mann und theilte ihm mit, wie sehr sie sich freue, daß der Gesandte bis jetzt keine Ahnung von ihrer und ihres Mannes Mitwirkung zur Verbindung der jungen Leute habe, sondern im Gegentheil die ganze Reise für ein gewaltsames Abbrechen dieses Verhältnisses von ihrer Seite halte.

Der Gesandte war in dieser Nacht nicht so zufrieden mit sich und den Seinen! Schlaflos ruhte er auf seinem Lager, und zum ersten male fand sein diplomatisches Talent keine Auskunft!

Georg's eisenfeste Erklärung, übermorgen seiner Braut nachreisen und, wenn ihm der Vater sie noch nicht gewähre, dann, was diesem das Entsetzlichste war, dennoch Arbeiter bleiben, seinen Contract in Liverpool halten zu wollen –!

Dann das beschämende Gefühl, Gerhardinen, der einzigen Frau, die er noch liebte und achtete, gegenüber mit der Ueberzeugung zu stehen, daß sie seinen Sohn, der in seinen Augen dem Alter nach noch ein Kind war, für männlicher halte, als ihn selbst – hatte sie nicht gesagt, er sei eigensinnig, aber Georg consequent!

Und dann Laura! Sie war offenbar, seitdem sie, wie er glaubte, seinen Sohn aufgegeben, in seinen Augen im Werthe gestiegen.

Das ist ja ein charakteristischer Zug der Menschen von Gerstatt's Gattung, daß sie nur dann etwas zu schätzen beginnen, wenn dessen Erwerbung für sie mit Schwierigkeiten verknüpft ist, daß sie nur die Menschen aufsuchen, von denen sie glauben, daß sie selbst ihnen entbehrlich sind, daß sie selbst nur Diejenigen achten, die ohne sie leben können.

*

12.

Am folgenden Morgen kamen wirklich die beiden Grafen, der ältere mit niedergeschlagener, der jüngere mit triumphirender Miene. Gerhardine's Herz schlug hoch, und ihre Hand zitterte, als sie dem Grafen Hugo eine Tasse Chocolade reichte.

»Wie sind Sie auf die Entdeckung der Flucht Ihres Sohnes gekommen?« fragte sie.

»O«, sagte der Diplomat, sich erheiternd, »mich betrügt man nicht so leicht! Auf seiner Reise hatte ich den jungen Herrn durch Agenten, die mir gefällig waren, schon etwas beobachten lassen. Ich erfuhr immer nichts, als: er studirt, er sucht Ingenieure auf und Fabriken und Dampfmühlen und Maschinen. Er ging in London in kein Theater, meine herrlichen Empfehlungsbriefe hat er mir alle wieder mitgebracht. Um Allem die Krone aufzusetzen, schreibt mir dieser Tage aus Liverpool ein Consul, an welchen ich meinen Sohn wegen eines Wechsels gewiesen, und den ich auch um Berichte über ihn ersucht:

›Erst jetzt erfahre ich, daß Ihr Herr Sohn sich hier in einer der ersten Maschinenfabriken als zweiten Werkmeister hat anstellen lassen. Sein Contract ist einfach: «Georg Gerstatt» unterzeichnet, und lautet auf drei Jahre vom 1. Juli an; er erhält hundert Pfund Sterling jährliches Gehalt.‹

Da gingen mir die Augen auf. Also lieber arbeiten wie ein Tagelöhner, als ohne Laura! Als er nach Wien zurückgekommen, fragte er mich noch einmal um meine Einwilligung zur Heirath, aber kurz und unhöflich – remonstrire nicht, Georg! kurz und unhöflich –; als ich sie ihm ebenso kurz abschlug, sagte er kein Wort, sondern bat mich nur vor ungefähr acht Tagen um tausend Gulden Münze für einen Gig und ein Pferd zur Praterfahrt! An demselben Tage war der Brief aus Liverpool eingetroffen. Ich gab ihm das Geld, aber – ich ließ aufpassen. Er kaufte nichts als einen ganz besonders kleinen Koffer! Das genügte – von nun an wurde er nicht mehr aus den Augen gelassen. Als ich erfuhr, daß er heute Nachmittag einen Wagen für die Nacht gemiethet, begab ich mich denn um 10 Uhr in Ihr Haus, um Sie wegen Ihrer Fräulein Tochter zu warnen. Sie waren alle Drei ausgefahren – mir blieb nun nichts übrig, als zurück zu kehren und die weitern Schritte meines vortrefflichen Sohnes zu beobachten; denn erst im letzten Augenblicke wollte ich ihn meine Entdeckung wissen lassen, da ich sonst sein Leugnen fürchtete.«

»Deswegen konnten Sie unbesorgt sein, Vater!«

»Schon gut! Denken Sie sich mein Erstaunen, als ich, nachdem ich hinter meinem Sohne hergefahren und in einiger Entfernung ausgestiegen, nach 11 Uhr eine Dame in einem Wagen ankommen sehe, den ich sogleich für den Ihrigen erkannte. Ich dachte, Laura hätte Ihren Kutscher bestochen, sie, anstatt nach Hause, dorthin zu fahren; denn ich hielt Sie für Laura und schrieb der Mondbeleuchtung zu, daß Sie mir so groß erschienen. Wie freute ich mich, das Paar zu ertappen, zu beschämen, Laura zu Ihnen zurückzubringen! und nun – nun muß ich bedauern, meinem Sohne gefolgt zu sein; denn Sie wären wahrscheinlich viel besser mit ihm fertig geworden, als ich! Und stellen Sie sich vor, bei meinem Nachhausekommen fand ich auf meinem Schreibtische einen Abschiedsbrief von ihm, den er bei seinem Wegfahren dagelassen. Da pocht er denn auf seine vor ein paar Monaten erlangte Großjährigkeit, weist meine Erbschaft zurück, will keine Ansprüche auf seinen Grafentitel machen – was nützt mir das? Ich kann mich nicht selbst beerben, und mit dem abgelegten Grafentitel kann ich gar nichts anfangen! Nehmen Sie ihn in die Cur, meine gnädige Freundin!«

Georg hatte lächelnd der Erzählung seines Vaters zugehört. Er fühlte wohl, daß die heitere Färbung nur der Humor der Verzweiflung war – aber eben deshalb ergötzte er ihn umsomehr – denn Mitleid hatte er keines mit seinem Vater, ebenso wenig, wie dieser mit ihm!

Zu Gerhardinen sich wendend, sagte er jetzt herzlich und heiter: »Das ist ein guter Vorschlag meines Vaters. Nehmen Sie mich in die Cur, liebe gnädige Frau!«

Gerhardine aber schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: »Unverbesserlich – wie Ihr Vater!«

Sie wußte wohl, daß diese Bemerkung Beide verdroß – Keiner wollte ja dem Andern gleichen!

Graf Hugo saß da, ein Bild des Jammers, vollkommen rathlos, zum ersten male in seinem Leben, und das gerade einer Frau gegenüber, deren Achtung und Freundschaft ihm unentbehrlich dünkten!

Georg, als sei sein Vater nicht da, fragte Gerhardine'n, ob sie ihm erlaube, daß er ihr von Liverpool aus schreibe. Sie aber sagte: »Nein, Graf Georg!«

Da sie aber dabei nicht streng aussah, fragte Georg ganz zuversichtlich: »Weshalb nicht?«

»Ach«, sagte sie mit einem komischen Seufzer, »mir ist bange vor den schwarzen Flecken auf Ihrem Briefpapier! Ein Werkmeister in einer Maschinenfabrik kann doch unmöglich reinliche Hände haben!«

Georg rief beinahe aufjauchzend vor Lachen: »O, seien Sie unbesorgt, an Sie schreibe ich nur Sonntags!«

Gerhardine hatte ihren Zweck erreicht: der harmlose kindische Scherz, auf den Georg so lustig eingegangen, hatte den »alten Löwen« tödtlich verwundet, ihm den letzten Stoß gegeben.

Er war kaum fähig, den plebejischen Gedanken zu fassen, daß sein Sohn nur Sonntags werde schreiben können!

Das herzliche Lachen der Beiden war ihm unerträglich, und er unterbrach sie mürrisch, indem er sagte: »Da habe ich auch ein Wort mitzureden!«

»Mit nichten, Graf«, sagte Gerhardine in ungestörter Heiterkeit. »Das habe nur ich zu bestimmen, da ich in einem Alter bin, wo die Erlaubniß meines Eheherrn zu einer Correspondenz mit einem jungen Manne überflüssig ist.«

»Mein Gott, wer denkt denn an Ihre Correspondenz! Ich rede von der Reise Georg's nach Liverpool!«

Da wurde Georg plötzlich wieder ernst. Als sein Vater sah, daß er mit zornfunkelnden Augen etwas sagen wollte, kam er ihm zuvor, indem er sich zu Gerhardine'n mit der Frage wandte: »Und wenn man von Allem absähe – Ein Hinderniß ist doch unübersteiglich, die Jugend der Kinder!«

Es war der letzte Strohhalm – Gerhardine ließ aber den Armen rettungslos versinken. Als er selbst sich gar keinen Rath wußte, hoffte er, seine Freundin werde ihm eine Auskunft an die Hand geben – denn seit sie Laura entfernt, glaubte er auch an ihren Widerwillen gegen die Verbindung – aber sie gab ihm keine andere Antwort als: »Wozu sich noch den Kopf um abgethane Dinge zerbrechen! Laura kommt wieder hierher mit ihrem Vater, Ihr Sohn geht nach Liverpool – drei Jahre ändern viel!«

Der Graf fühlte, daß eben der letzte Augenblick des Gewährens für ihn da war, während vielleicht in ein paar Minuten man ihm seine Einwilligung abzwingen könne; denn er war entschlossen, eher jeden Preis zu zahlen, als seinen Sohn »Werkmeister« werden zu lassen.

Er sagte deshalb kleinlaut: »Laura ist eigentlich viel zu gut für den Menschen – aber schreiben Sie ihr doch und fragen Sie sie in meinem Namen, ob sie ihn will.«

»Natürlich«, sagte Gerhardine – sie konnte ihm das nicht ersparen – »natürlich, man braucht kein so großer Diplomat zu sein, wie Sie, um von zwei Uebeln das kleinste zu wählen. Besser doch die Tochter eines Malers zur Schwiegertochter, als einen Werkmeister zum Sohne!«

»Wie Sie boshaft sind!« stöhnte Hugo.

Georg aber küßte mit großer Wärme und unaussprechlicher Fröhlichkeit die weißen Hände seiner geliebten künftigen Schwiegermutter, während Hugo melancholisch zusah.

*


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