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Die Gefährlichen.

1. Die Stiftsdame.

Schloß Gerolstein hat eine herrliche Lage; auf luftiger Höhe, zu Füßen den kleinen Fluß und die fruchtbaren Felder, erhebt es sich und überblickt und beherrscht die ganze Umgegend. Ein Lieblingsaufenthalt des verstorbenen Fürsten, ist das Schloß jetzt nur die Amtswohnung eines Oberforstmeisters, der es seit zehn Jahren mit seiner Familie, seinen Untergebenen, seinen Pferden und Hunden bewohnt und belebt.

Heute war es ziemlich stille dort oben, obschon der schöne Frühlingssonntag zu doppelter Heiterkeit und Lust anzuregen schien; aber es war für die Bewohner des Schlosses ein trauriger Gedächtnißtag, der erste Jahrestag des Begräbnisses der Dame des Schlosses, der Frau Oberforstmeisterin von Einegg, deren Sarg man damals mit großem Gepränge den steilen Schloßweg hinabgetragen, um ihn auf dem kleinen Dorfkirchhof am Ufer des Flusses in die Gruft zu senken. Frau von Einegg hatte zu den seltenen Frauen gehört, von denen man nur Gutes spricht. Mutter von fünf Kindern, hatte sie vier begraben sehen; den zuletzt gestorbenen, den einzigen Sohn, einen schönen achtzehnjährigen Jüngling, der infolge einer auf der Universität erhaltenen Stichwunde, in ihren Armen zu sterben, gekommen war, hatte sie nicht lange überlebt. Das letzte, noch einzig übriggebliebene Kind, ein fünfzehnjähriges Mädchen, hatte der Vater nach der Mutter Tode sogleich in eine Pension geschickt. Roswitha fühlte sich aber dort nicht heimisch, sie vermißte die Freiheit ihrer Berge und ihrer Wälder. Die Briefe, die sie an ihren Vater richtete, trugen bei aller Schüchternheit doch das deutliche Gepräge einer entschiedenen Abneigung gegen den Aufenthalt in der Stadt.

Der Oberforstmeister hatte heute wieder einen solchen Brief von seinem einzigen Kinde erhalten und beschloß nun endlich, den sehnlichen Wunsch der Tochter zu gewähren und sie nach Verfluß des Jahrs ins elterliche Haus zurückzuholen. Er verließ sein Zimmer und schritt durch die hirschweihgeschmückten Gänge des Schlosses, um seiner Schwägerin, der Schwester seiner Frau, die seit seiner Verheirathung bei ihm wohnte, seinen Entschluß bekannt zu machen.

Tante Elsbeth, wie man sie im Schlosse hieß, hielt sich in einem Thurmzimmer des rechten Flügels auf. Dort hatte sie alle ihre mitgebrachten Nippes und Möbel aufgestapelt.

Als ihr Schwager anklopfte, ließ sich ein trockenes »Herein« vernehmen. Dann, als Fräulein von Löwenstein den Hereintretenden erblickte, erhob sie sich und ging ihm mit förmlicher Höflichkeit, aber ohne alle Freundlichkeit entgegen.

Die Stiftsdame Fräulein Elisabeth von Löwenstein zählte nahe an vierzig Jahre. Sie war groß und hager, häßlich und ungraziös, von steifer, anspruchsvoller Haltung. So war sie immer, auch in ihrer allerfrühesten Jugend, gewesen, im vollkommenen Gegensatze zu ihrer verstorbenen Schwester, der Oberforstmeisterin, die als vollendetes Bild weiblicher Anmuth gelten konnte.

Einegg ließ sich nie von ihrem steifen Wesen anfechten, er war daran gewöhnt und sprach mit ihr in einem gewöhnlichen, heitern, freundlichen Tone, wie mit allen Andern. Denn seine ursprünglich heitere Natur war durch die Todesfälle in seiner Familie immer nur auf kurze Zeit umwölkt, nie vernichtet worden.

Mit klangloser, aber scharf betonender Stimme sagte das Fräulein zu ihrem Schwager:

»Setzen Sie sich, Einegg; es ist mir sehr lieb, daß Sie mir die seltene Ehre eines Besuchs schenken; ich wollte eben zu Ihnen schicken und Sie um eine Unterredung bitten lassen.«

»Sprechen Sie, Fräulein Schwester, ich bin ganz Ohr«, sagte der Oberforstmeister, indem er sich neben seine Schwägerin setzte.

»Erst ersuche ich, mir mitzutheilen, was Sie zu mir führt.«

»O weiter nichts, als daß ich Sie bitten wollte, der Vorsteherin des Instituts, weil Sie ja doch alle diese Correspondenzen zu besorgen so gütig waren, zu schreiben, daß ich Wita nach Ablauf des Jahrs, d. h. in sechs Wochen abholen würde!«

»So, so! Herr Schwager, also wirklich! Ich meine aber, es wäre dem Kinde sehr vortheilhaft, wenn es noch ein Jahr dort bliebe.«

»Sie fühlt sich aber unglücklich in diesem ewigen Zimmerarrest – sie ist ein Waldvogel und soll wiederkehren ins heimische Nest, solange der Alte noch lebt.«

»Der Alte?«

»Nun, bin ich nicht etwa alt, Elisabeth? Sind fünfzig Jahre nicht eine hübsche Zahl?«

»Wir wollen darüber nicht streiten, und was Wita betrifft, so sind Sie natürlich der Herr. Aber wird dieser Entschluß auch keine Veränderung erleiden, wenn ich Ihnen mittheile, daß ich im Laufe des nächsten Monats Ihr Haus zu verlassen gedenke?«

»Für wie lange, liebe Elisabeth?«

»Für immer!« sagte hart, aber ohne ihn anzusehen, das Fräulein, »ich werde in Zukunft auf meinem Stifte wohnen.«

»Elisabeth, machen Sie keine Späße!« rief eifrig der Oberforstmeister, obgleich er wohl wußte, daß das durchaus nicht die Gewohnheit seiner grämlichen Schwägerin war.

»Ich bin in vollem Ernst und unwiderruflich entschlossen.«

»So hat Sie also Jemand hier beleidigt, oder was ist es?« fragte sehr besorgt Herr von Einegg.

»Niemand hat mich beleidigt, und die Ursache meines Weggehens Ihnen mitzutheilen, wird meinem Gefühle sehr schwer.«

»Ueberwinden Sie sich, liebe Elise, denn ich bin sehr besorgt.«

»Es ist eigentlich höchst merkwürdig, Herr Schwager, daß Sie nicht selbst die Ursache meiner Entfernung errathen.«

»Ich habe keine Ahnung.«

»Dann muß ich es wol sagen. Der Anstand zwingt mich dazu.«

Der Oberforstmeister sagte nichts, aber mit weit aufgerissenen Augen betrachtete er sie, wie eine Wahnsinnige.

»Sie verstehen mich noch immer nicht! O, über diese harthörigen Männer! Nun wohl, begreifen Sie denn nicht, daß es sich nicht schickt, daß ich als eine unverheirathete Dame, nun, da das Trauerjahr verflossen, noch länger im Hause eines ledigen Mannes, eines Witwers verweile – wo nicht einmal kleine Kinder eine Aufsicht nöthig machen, sondern im Gegentheil eine erwachsene Tochter das Hauswesen besorgen kann?«

»Elisabeth, sind Sie des Teuf…«

»Beleidigen Sie mich nicht mit diesen Kraftausdrücken!«

»Niemand ist ferner davon, Sie zu beleidigen, als ich, weil Niemand Sie mehr schätzt, als ich; aber wenn ich sehe, wie Sie auf einem Holzwege gerannt sind …«

»Ich kann nicht länger bei Ihnen bleiben.«

»Aber Wita soll ja zurückkommen!«

»Wita wird sich ohne Zweifel bald vermählen.«

»Bis Wita sich vermählt, sind wir Beide so alt, daß man uns, ohne was Uebles dabei zu denken, tête à tête auf einer wüsten Insel aussetzen könnte.«

»Ueberdies ist mir Wita kein Schutz, sie bedarf dessen selbst noch!«

»So gewähren Sie ihn ihr, und sie thut es Ihnen dann en revanche.«

»Nein, es geht nicht!«

»Und ich kann Sie nicht missen! Seit dem ersten Wochenbette meiner verstorbenen Annette führen Sie meisterhaft die Zügel des Hauswesens. – Annette konnte sich, Dank Ihren häuslichen Talenten, ganz und gar der Pflege und Erziehung ihrer Kinder widmen!«

»Es freut mich, daß Sie solche Anerkennung für mein Streben haben, aber ich gehe unwiderruflich.«

»Und nächsten Monat kommt auch der junge Benno, der Sohn meines Jugendfreundes, des Präsidenten von Harder, hierher; ich kann ihn doch nicht mit Wita allein lassen, wenn ich meine Dienstreisen unternehme?«

»Nehmen Sie eine Haushälterin an.«

»Sagen Sie, Elise, haben Sie wirklich gar keinen andern Grund wegzugehen, als – den Anstand? Gibt es gar kein Mittel, Ihr beleidigtes Anstandsgefühl zur Ruhe zu bringen?«

Elisabeth trat an den Käfig ihres grauen Papagais und steckte, ohne zu antworten, ihren Finger durch die Stäbe des Gitters.

»Elise – hören Sie mich – gibt es wirklich kein Mittel, Sie hier zu behalten?«

Sie sah ihn nicht an – mit niedergeschlagenen Augen flüsterte sie: »Es gibt keins. Vielleicht könnte es eins geben, aber – es gibt keins.«

Der Oberforstmeister wurde abgerufen; als aber der Förster, der ihn zu sprechen verlangte, sich entfernt hatte, dachte er lange über Elisabeth's letzte Worte nach.

*

2. Eine Verlobung.

Vielleicht könnte es ein Mittel geben, aber es gibt keins. Was sollte das heißen? Sollte meine Fräulein Schwägerin, die Männerfeindin, plötzlich auf ihre alten Tage noch Lust bekommen haben, gnädige Frau genannt zu werden? Es ist nicht anders! Sie will sich unter die Haube bringen!« – Einegg schlug ein lautes Gelächter auf. »Warum sollte ich ihr den Gefallen nicht thun? Das Hauswesen bleibt dann in seiner unveränderten Ordnung, nur« – sagte er, wieder in Lachen ausbrechend, daß ihm Thränen in die Augen traten – »nur fürchte ich, ich halte am Hochzeittage nicht Contenance neben dieser Braut.« Und eben wollte er, wie er bei Allem seit dem Tode seiner Frau zu sagen pflegte, hinzusetzen: »Wenn Annette das erlebt hätte!« als ihm einfiel, daß es doch nicht möglich gewesen, daß die erste Frau einen Zeugen der Hochzeit mit der zweiten abgegeben.

»Frisch gewagt, ist halb gewonnen«, sagte er, satirisch lächelnd, indem er sich eine Pfeife anzündete, um seinen Freund, den Pfarrer aus dem Dorfe, zu erwarten, der jeden Sonntag mit ihm eine Partie Schach zu spielen kam, und den er zum Vertrauten seines Heirathsplans zu machen beschloß.

Der Oberforstmeister war nicht besser zu bezeichnen, als indem man ihn einen liebenswürdigen Egoisten nannte. Von der philisterhaften Bequemlichkeitsliebe älterer Männer erfüllt, denen jeder Wechsel ein Gräuel ist, entschloß er sich sogar, seiner häßlichen Schwägerin die Hand zu reichen, nur um nicht in ihr die sorgsame, pünktliche und sparsame Haushälterin, die kluge Gesellschafterin, die aufmerksame Pflegerin seiner Tochter zu verlieren.

Wer konnte so wie sie über Wita und seinen ganzen Hausstand zugleich wachen? Wer so seine Dienstboten durch unnachsichtige Strenge und nie nachlassende Aufsicht im Zaume halten? Wer so vortrefflich seine Lieblingsspeisen ihm in immer anmuthig wechselnder Folge auftischen? Nein, es war klar, Elisabeth durfte nicht gehen, denn, wie schon früher erwähnt, seit beinahe zwanzig Jahren war sie die eigentliche Herrin im Hause, während ihre nun verstorbene Schwester sich nur mit den Kindern beschäftigt hatte.

Am andern Morgen, nachdem das Kaffeezeug abgetragen, legte der Oberforstmeister seine Zeitung hin und sagte, während seine Mundwinkel von einem ungewöhnlichen Zucken befallen wurden:

»Elise, heute Nacht ist mir ein Mittel eingefallen, Sie hier zu behalten.«

Elisabeth, anstatt ihn anzusehen, bückte sich nach Waldmeister, ihres Schwagers Lieblingshund, und indem sie ihm das braun- und weißgefleckte Fell strich, fragte sie ohne ihre gewöhnliche Schärfe: »Nun und dies Mittel heißt?«

»Nun, der Pfarrer traut Sie mit mir. Als Frau von Einegg können Sie doch hier bleiben?«

Elisabeth erhob sich. Ihre grauen Augen glänzten und schienen größer als je, ihre ganze Gestalt hatte sich gestreckt und gehoben …

»Theurer Fabian …«

»Ich bitte Sie um Gottes willen, liebe Elise«, rief der Oberforstmeister, indem er sich hinter den Tisch postirte und so ein Bollwerk zwischen sich und der ausgestreckten Hand seiner Schwägerin aufrichtete; »ich bitte Sie um Gottes, willen! keine Phrasen, keine süßen Redensarten, dazu sind wir Beide zu alt! Wir wollen uns nicht lächerlich machen. Ich biete Ihnen meine Hand und meinen Namen an, nicht weil ich verliebt bin, denn dieser Firlefanz liegt weit hinter mir, sondern weil ich Sie als Hausfrau, Erzieherin und Freundin schätze – begnügen Sie sich mit diesen für Sie doch recht ehrenvollen Gefühlen, so werden Sie Frau von Einegg und bleiben hier – genügt Ihnen das aber nicht, und verlangen Sie durchaus Flammenausbrüche einer jugendlichen Leidenschaft – so gehen Sie in Gottes Namen nach Ihrem Stift. Ich kann Ihnen das nicht prästiren. Ich habe für Sie gethan, was mir möglich ist.«

Schmollend wandte sich Elisabeth ab und brummte: »Ungeleckter Bär!« Aber sie besann sich, und wohl den Charakter ihres Schwagers kennend, erwog sie, daß er vielleicht wirklich gethan, was seiner Natur möglich war. Sie bezwang sich also und sagte freundlich, wenn auch innerlich bitterböse über seine ungeschliffene Aufrichtigkeit:

»Sie verstehen mich nicht, lieber Einegg! Ich verlange von Ihnen keine Leidenschaft. Die Achtung und Freundschaft eines so ausgezeichneten Mannes genügt mir vollkommen, und ich bin bereit, Ihrem und Ihrer Tochter Wohl das Opfer meiner Freiheit zu bringen.«

Nun streckte Einegg selbst ihr die Hand entgegen. »Topp, Fräulein Schwägerin – liebe Elise, wollt' ich sagen, das war vernünftig gesprochen, und Ihre Freiheit will ich wahrhaftig nicht beschränken – im Gegentheil, Sie sollen unumschränkter und selbständiger im Hause herrschen, als bisher. Ihre Klugheit, Ihre Ordnungsliebe und Ihre Sparsamkeit sind mir die besten Bürgen Ihres vortrefflichen Regiments.«

»Sollen wir Karten stechen lassen, um unsere Verlobung Freunden und Bekannten mitzutheilen, oder ziehen Sie die Annonce einem größern Journale vor?« sagte etwas schüchtern nach einer längern Pause das Fräulein.

»Keines von beiden. Das ist etwas für junge Leute. Nein, nein, wir halten das ganz in der Stille für uns, und wenn Wita zurück ist, lassen wir uns am ersten Sonntage in aller Stille hier oben trauen. Ich will den Bauern in meinen alten Tagen nicht um Spott dienen.«

Elisabeth biß sich auf die Lippen, daß sie blutig wurden, aber sie sagte nichts mehr. Ohne aufzublicken nahm sie aus dem Schiebfache des Tisches ein Lineal und Bleistift und begann die Seiten ihres neuen Haushaltungsbuchs mit großem Geschicke zu liniiren.

Wochen vergingen, man erwartete schon die Rückkehr der jungen Roswitha, aber der Oberforstmeister hatte seiner Schwägerin gegenüber mit keiner Silbe wieder ihres neuen Verhältnisses erwähnt. Er war vollkommen derselbe gegen sie, wie er seit zwanzig Jahren gewesen, nur daß er sie, statt Fräulein Schwägerin, liebe Elise zu nennen bemüht war.

Elsbeth war tief verdrossen ob dieses Benehmens ihres Bräutigams, aber sie war zu klug, es sich merken zu lassen, was ihr um so eher gelang, da sie trotz seines Stillschweigens über den Punkt ihrer Vermählung dennoch wußte, daß sie deshalb ganz unbesorgt sein konnte; und in aller Stille bestellte sie sich nur in der nächsten Stadt ein pomphaftes weißseidenes Hochzeitskleid und einen Myrtenkranz, der so kolossal war, daß Jedem, der ihn sah, unwillkürlich einfallen mußte, wie lange diese Myrten Zeit zum Wachsen gehabt.

*

3. Die Tochter.

Der Oberforstmeister war in besonders glänzender Laune: Roswitha, sein Töchterlein, sollte heute Abend eintreffen. Er hatte ihr den Wagen entgegen geschickt bis zur nächsten Stadt, bis wohin eine Freundin ihrer Mutter sie mit der eigenen Tochter zugleich zu bringen versprochen. Er wäre selbst gern in den Wagen gestiegen, um die Tochter nach ihrer langen Trennung desto eher in die Arme zu schließen, aber er fürchtete dem Kinde dann tête à tête die bevorstehende Heirath mit Tante Elsbeth mittheilen zu müssen, und ein dunkles Gefühl sagte ihm, daß Wita sich vielleicht darüber bei ihm nicht so äußern werde, wie er es wünschte; sie sollte es daher erst am Hochzeitstage, unmittelbar vor der Trauung, in Gegenwart der Braut erfahren, wo er des Kindes gutem Herzen die Kraft zutraute, jede Mißbilligung zu unterdrücken.

Zwischen Wita und der Tante bestand, was man gewöhnlich ein gutes, aber durchaus kein inniges Verhältniß nennt. Wita hatte sich übrigens, wie schon erwähnt, früher ausschließlich bei ihrer Mutter aufgehalten und die Tante, welche vom ziemlich ausgedehnten Hauswesen in Anspruch genommen war, wenig gesehen.

»Um welche Zeit wird denn Wita eintreffen?« fragte bei Tische Elsbeth den Oberforstmeister.

»Spätestens um acht Uhr. Ordnen Sie gefälligst an, daß das Nachtessen um diese Zeit fertig sei, denn Wita wird hungrig sein.«

»Ein junges Mädchen und hungrig! Wie unästhetisch, lieber Einegg. Ich bin begierig, ob Wita noch viel gewachsen ist …«

»Wo denken Sie hin? Mit dreizehn war sie ja schon ganz ausgewachsen, und sie ist sechzehn Jahre alt. Auf jeden Fall wird sie aber verändert sein – schon weil sie ohne Trauerkleider wieder vor uns erscheint. Ich habe sie wegen des morgenden Tags darum gebeten.«

»Des morgenden Tags, lieber Einegg? Was geht denn morgen vor?«

»Das fragen Sie? Und ich habe Ihnen doch ausdrücklich gesagt, daß den ersten Sonntag nach Wita's Ankunft unsere Trauung stattfinden werde, und kommt nicht heute meine Tochter? und ist nicht morgen Sonntag?«

»Sie erschrecken mich aufs äußerste, Einegg! Ich dachte nicht, daß Sie gleich den ersten Tag …«

»Warum denn nicht? Alles ist in Ordnung, die Papiere sind im Reinen, der Pfarrer hat seine Rede einstudirt –«

»Aber ich habe nicht mein Hochzeitskleid, nicht meinen Myrtenkranz! Das trifft alles erst im Laufe der folgenden Woche ein.«

»Desto besser. Je einfacher Sie sich kleiden, desto vortheilhafter ist es Ihnen.«

»Aber ich besitze kein einziges Putzkleid. Hier auf dem Lande schafft man sich nichts an.«

Der Oberforstmeister erhob sich. »Machen Sie mich nicht ungeduldig. Ich habe den morgenden Tag für die Copulation festgesetzt, und dabei bleibt es. Ich bin im Ernst.«

Elsbeth sagte nichts mehr; denn an einer gewissen angeschwollenen Ader auf der Stirn ihres künftigen Gemahls ersah sie, daß er wirklich »im Ernste war« und sie vielleicht übermorgen gar nicht mehr geheirathet hätte. Sie eilte also in ihr Zimmer und suchte mit Hülfe des Stubenmädchens einem weißen Sommergewande ein festliches Ansehen durch Hülfe einiger alten Spitzen zu geben, und beschloß, aus einer restaurirten Tüll-Schärpe den bräutlichen Schleier zu bilden, aus dem einige wenige natürliche Myrtenreiser, die einzigen, die ihr der Gärtner verschaffen konnte, schelmisch hervorlugen sollten.

Am Abend, einige Minuten vor Acht, hielt der Wagen, der Roswitha brachte, im Schloßhofe; der Oberforstmeister öffnete selbst den Schlag, und in seine Arme sprang eines der reizendsten Geschöpfe, die Gottes Erde schmücken.

Ein Strohhut mit grünem Schleier umschloß ein rosiges Kindergesicht mit großen, klugen, blauen Augen. Der lieblichste Mund lächelte den Vater an, und die schlanke Gestalt hing anmuthig wie eine Sylphe an seinem Halse.

»Das ist schön, Wita, daß du da bist, sehr schön, Wita«, sagte der alte Herr, der gar nicht wußte, was er vor Freude beim Anblick der reizenden Knospe sagen sollte. »Komm jetzt mit, Kind, herauf.«

»Zur Tante, nicht wahr? Sie ist doch wohl, die gute Tante?«

»Befand sich nie besser. Wird dir morgen eine Ueberraschung bereiten, nun, du sollst Augen machen, Kind – auch ich werde dich überraschen«, setzte er hinzu, indem er etwas boshaft in sich hinein lachte.

Statt aller Antwort küßte Roswitha ihrem Vater die Hand; denn das gute Kind hatte natürlich bei dem Versprechen einer Ueberraschung keinen andern Gedanken, als ein hübsches Geschenk.

Elsbeth empfing die Nichte mit einiger Befangenheit. Sie forschte in den offenen Zügen des Mädchens nach dem Eindruck, den ihr vielleicht die Nachricht der zweiten Heirath des Vaters gemacht. Einegg, der das wohl bemerkte, sagte aber kurz, doch Elisen wohl verständlich: »Erst morgen.«

Schon um 9 Uhr am andern Tage stak Elsbeth im Brautstaate. Um halb Zehn ging Einegg mit ihr in das Zimmer seiner Tochter und sagte mit etwas affectirter Unbefangenheit: »Ziehe ein festliches Kleid an, denn in einer halben Stunde lassen wir Beide, deine Tante und ich, uns copuliren.«

Wita sagte nichts, sie blickte vom Vater zur Tante und von der Tante zum Vater – als aber Beide beharrlich schwiegen, lispelte sie kaum hörbar: »Das ist ja sehr schön.« Da drückte Einegg einen Kuß auf ihre kalte Stirn. Elise ließ sich herab, die Hand der Nichte zu ergreifen und eine salbungsvolle Phrase zu sprechen. Dann zog aber Einegg sie mit sich fort, um dem Kinde Zeit zu lassen, die freudige Wundermär zu begreifen. Um 10 Uhr erschienen der Pfarrer, ein benachbarter Oberförster und der Amtmann als Zeugen, Wita mit etwas verweinten Augen, aber freundlich. Dann wurde die Trauung vorgenommen. Ein Spieltisch war durch einige überhängte Decken zum Altar verwandelt worden; davor standen als Brautpaar zwei Menschen, wovon keiner auch nur die mindeste Sympathie für den andern fühlte. Die Braut sogar nicht ohne einigen Groll im Herzen gegen den Bräutigam. Sie war nach dem Tode ihrer Schwester auf dem besten Wege, sich in ihren Schwager zu verlieben, wenn es ihr dieser nur nicht durch sein rücksichtlos ungalantes Benehmen geradezu unmöglich gemacht hätte. Jetzt heirathete sie ihn nur, um ihren Willen durchzusetzen, denn sie hatte es vom Todestage ihrer Schwester an als ihr heiliges Recht betrachtet, deren legitime Nachfolgerin zu werden; aber während ihre Lippen mechanisch das Gelübde der Liebe und Unterwerfung leise nachmurmelten, stiegen in ihrem Herzen Gedanken der Rache auf. Er sollte als ihr Mann dafür büßen, daß er so unwillig und nur durch sie gezwungen mit ihr vor den Altar getreten!

Doch dieses Rachegelübde auszuführen wurde ihr schwer; denn unbekümmert und unangefochten von ihren Sticheleien, ging Einegg nach der Hochzeit unabänderlich seinen gewohnten Weg, und Elsbeth mußte zu sehr kleinlichen Mitteln greifen, wenn sie ihm ihre Ungnade bemerklich machen wollte.

Mit Wita, die sich ihr gegenüber auf das liebevollste und aufmerksamste benahm – ein dunkles Gefühl sagte dem armen Kinde, daß eine Stiefmutter mehr beachtet werden müsse, als eine Tante –, gestaltete sich ein sehr höfliches und freundliches Verhältniß. Elsbeth war Wita förmlich dankbar, daß sie eine Stellung anerkannte, die der eigene Mann so ganz zu übersehen schien.

Wita gehörte überhaupt zu den Frauen, denen ein äußerst feines Gefühl über jede Schwierigkeit hinweghilft; die angeborene Lebenskunst der Frauen, die man gewöhnlich Takt nennt, war ihr im höchsten Grade eigen. Sie war heiter und aufmerksam, aber für ein so junges Mädchen eigentlich auffallend still, weshalb ihr Vater sie im Innern einer heimlichen Liebe beschuldigte. Als er aber einmal diesen Verdacht der Tochter gegenüber laut werden ließ, überzeugte ihn das Kind schon allein durch ihren ehrlichen Augenaufschlag, daß er ihr völlig Unrecht gethan, und er begann bald zu begreifen, daß ihr stilleres Wesen einzig und allein noch eine Folge des Zwanges war, den man dem ohnedies schüchternen und bescheidenen Kinde in der Pension auferlegt. Er hoffte nun, daß mit der Zeit ihre frühere, mittheilsame Laune zurückkehren werde; denn auf Wita zu achten, ließ ihm doch sein Egoismus noch Raum; sie war außer seinem über Alles geliebten Selbst das einzige Wesen, das er noch berücksichtigte; die arme Elisabeth hatte, seitdem sie mit ihm vor dem Altare gestanden, auch noch das Einzige verloren, was er ihr bisher gewährt, eine förmliche Höflichkeit – er kümmerte sich jetzt gar nicht mehr um sie – er hatte sich ja mit ihr abgefunden.

*

4. Benno.

Der Forsteleve Benno von Harder, der Sohn des Jugendfreundes des Oberforstmeisters, war seit einigen Tagen Mitbewohner des Schlosses. Sein Vater, der ihn zum Juristen bestimmt, hatte nur sehr widerwillig der Neigung seines Sohnes, ein Jäger und Forstmann zu werden, nachgegeben. Zwei Jahre hatte der arme Junge sich mit den Rechten herumschlagen müssen, ehe ihm sein Vater erlaubte, auf der Universität Forstwissenschaft zu hören, und endlich genehmigte, daß ein Jahr praktisches Studium unter der Leitung seines alten Freundes den einzigen Sohn zu einer Anstellung befähige.

Benno war ein sehr hübscher junger Mann, ein kühner Jäger, ein vortrefflicher Schütze, ein fleißiger Forstmann, heiter und offen bei Männern, aber bei Frauen – der blödeste Junge der Welt. Er hatte seit den acht Tagen, die er in Geroldstein zugebracht, Wita's Gesicht noch nicht anders, als im Profil gesehen; denn sobald sie die volle Sonne ihres Antlitzes ihm zukehrte, schlug er die Augen nieder. Sie war wahrhaftig auch keine kühne Amazone, aber im Vergleich mit Benno war sie im Umgange völlig unternehmend. Sie redete ihn an, sie suchte ihm Muth zu machen, aber Alles vergebens. Die andere Dame des Hauses, ihre Stiefmutter, hatte unendlich viel mehr Erfolg mit ihren Aufmunterungsversuchen dem jungen Menschen gegenüber. Nach einigen Tagen schon sah er Elsbeth voll ins Gesicht und nach vier Wochen redete er sie bei Tische sogar einmal an. Hätte der arme Benno geahnt, zu was dieser kühne Schritt führen würde! Elsbeth, die von ihrem neugetrauten Gemahl so schmählich vernachlässigte Elsbeth, wurde so stolz über diese Auszeichnung des Jünglings, über diesen Vorzug vor ihrer jungen und schönen Stieftochter, daß sie vollständig aus dem Gleichgewichte kam und ihr copulirtes, aber dennoch jungfräuliches Herz vollständig an den zwanzigjährigen Benno verlor.

Alle jene Anstrengungen, die immer das Erste sind, wenn alte Frauen sich in einen jungen Mann verlieben, die Verschönerungs- und Verjüngungsbestrebungen begannen zu spielen. Die Putzmacherin, die Schneiderin, der Friseur des nächsten Städtchens werden im Wagen herbeigeholt, angeblich um Wita's Toilette zu vervollständigen, in Wirklichkeit aber, um der Frau Oberforstmeisterin zu einem möglichst reizenden Ansehen zu verhelfen. Ihr Kopf sah aus, wie ein Band- und Locken- und Blumen-Magazin, ein Volant flatterte immer über dem andern an ihren langen Röcken, die spitzenbesetzten Aermel erschwerten ihr Mittags das Vorlegen, und doch gab sie dieses Amt nicht auf; denn es bot ihr ja Gelegenheit, dem neuen Liebling ihres Herzens die besten Fleischstückchen, die zartesten Gemüse, das reifste Obst auf den Teller zu schieben. Aber gerade diese Beweise ihrer Liebe sollten ihr ganzes Glück zerstören.

Es waren keine acht Tage vergangen, und das ganze Haus, Einegg an der Spitze, wußte um die Leidenschaft der vierzigjährigen Dame für den zwanzigjährigen Jüngling – Alle wußten darum, bis auf ihn selbst, der nicht ahnte, welches Glück ihm zu Theil geworden.

Harmlos nahm er ihre Liebesbeweise als die Zeichen einer mütterlich gnädigen Zuneigung hin, und seine dankbare Zutraulichkeit wuchs mit jedem Tage; er ging jetzt sogar so weit, bei gemeinschaftlichen Bergspaziergängen ihr den Arm zu bieten, was sie auch mit dankbarem Erröthen annahm.

Der Oberforstmeister amusirte sich im Anfange königlich an der Sache; denn er beurtheilte Benno und sein unerfahrenes Entgegenkommen vollständig richtig; aber bald begann er die Schattenseiten der neuen Leidenschaft seiner Hausfrau unangenehm zu spüren. Sein Kaffee war kaum mehr trinkbar, die Köchin besorgte ihn jetzt; das kleine, seit langen Jahren auf seinem Theebret heimische Rahmkännchen wanderte auf Benno's Kaffeebret. Den Mittag bei Tische legte ihm Elsbeth, ohne hinzusehen, beinahe ungenießbare Knochenstücke auf den Teller, während Benno alle seine bisherigen Braten- und Geflügelstücke erhielt.

Einmal eines Nachmittags nahm er Elsbeth deshalb vor, ohne jedoch der Ursache dieser neuen Bevorzugung, der Leidenschaft für den jungen Mann, zu erwähnen, und die Sache klugerweise als rein zufällig behandelnd. Sie hörte ihn mit höhnischen Mienen an, dann sagte sie kurz: »Wer einer Dame keine Aufmerksamkeiten schenkt, kann auch keine von ihr verlangen.«

»Einer Dame?«

»Nun, bin ich etwa keine Dame?«

»Liebe Elsbeth, glauben Sie, ich habe Sie deshalb geheirathet, um Aufmerksamkeiten für Sie zu haben?«

»Desto schlimmer für Sie, wenn Sie das nicht gethan«, sagte Elsbeth eiskalt, und verließ mit tragischem Pathos das Zimmer, und ihre Volants rauschten noch auf dem Gange, und Alles blieb beim Alten.

Als am andern Morgen der Oberforstmeister eine Stunde zu seinem Anzuge gebraucht hatte, weil an seiner Wäsche alle Knöpfe, Bänder und Besätze losgerissen und nicht nachgesehen waren, hielt er einen Monolog, indem er, die lange Pfeife im Munde, durch den nahen Wald spazierte.

»Es ist nicht mehr auszuhalten. Sechs Wochen ist der Junge im Hause und ich werde von der Gestrengen behandelt, wie ein aus Barmherzigkeit gefütterter Vetter, wie ein ruinirter Taugenichts, der das Gnadenbrot erhält. Ein ganzes Jahr sollte Benno hier bleiben – das ist unmöglich – weshalb habe ich dann diese verjährte Jugend geheirathet? Nein, der Junge muß fort, und zwar sogleich! Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich nicht eifersüchtig bin und ihm vollauf die Blüte ihrer Gefühle gönne, ihr auch den Staat und allen Putz bezahlen wollte; aber sie soll für mich sorgen, wie sie es zwanzig Jahre lang gethan, oder …

Doch, wie bringe ich den Jungen weg? Er ist eigentlich musterhaft – und ich bin ihm von Herzen gut; aber mich selbst habe ich doch noch lieber – und am Ende kommt es mir auf eine Nothlüge nicht an – denn die Wahrheit würde mich blamiren. Ich werde an seinen Vater schreiben, was mir die eiserne Notwendigkeit dictirt.«

Und langsam und mit einem verklärteren Gesichte nach Hause wandelnd, bemerkte er gar nicht, daß Wita in einem Waldwege schon vor ihm hinflog, sie hatte bleiche Wangen und rothgeweinte Augen.

Am Abend gab der Oberforstmeister seinem Jäger einen Brief auf die Post zu tragen; er war an den Geheimrath von Harder adressirt und ungefähr folgenden Inhalts:

»Ich muß dir eine dringende Bitte ans Herz legen, alter Freund. So sehr mich das Vertrauen ehrt, womit du deinen Sohn mir zur forstmännischen Ausbildung übergeben, ebenso sehr betrübt es mich, dieses Vertrauen nicht verdienen zu können; denn mit einem Worte, dein Sohn kann nicht bei uns bleiben. Die Ursache will ich dir sagen, doch dein Sohn darf sie erst erfahren, wenn er unter dein Dach zurückgekehrt ist. Benno ist zwar ein guter Junge, aber ein Erzcourmacher – so etwas lernt man nicht auf der Universität – und ich habe eine hübsche sechzehnjährige Tochter und möchte nicht, daß der Ruf und die Ruhe meines einzigen Kindes gefährdet werde, und wäre auch der Sohn meines besten Freundes der Unglücksstifter.«

*

5. Der Geheimrath.

Am andern Morgen trat der Oberforstmeister eine Dienstreise an, die ihn mehre Tage entfernt halten sollte, und als er Benno zum Abschiede die Hand reichte, geschah es mit der stillen aber festen Hoffnung, ihn bei seiner Wiederkehr nicht mehr vorzufinden.

Am zweiten Tage nach seiner Abreise ging Wita den Abend allein auf die Berge spazieren. Ihre schönen dunklen Augen hatten einen besonders schwärmerischen Blick, und das weiße durchsichtige Gewand und der Schweizerstrohhut kleideten vortrefflich die schwarzlockige, ideale Erscheinung. Sie hatte lange stillstehend der untergehenden Sonne zugeschaut, aber schmerzlich verzogen waren ihre frischen, rothen Lippen. Langsam und traurig war sie gegangen, um nichts heiterer kehrte sie den Schloßweg zurück.

Da hörte sie hinter sich einen schweren, fremden Schritt; sie blickte um und sah einen alten dicken Herrn, der keuchend hinter ihr herkam.

»Verzeihen Sie« rief der Fremde, »sind Sie Fräulein von Einegg?«

»Ich heiße Roswitha Einegg«, sagte mit einem Erröthen und einer Verbeugung als Antwort für das vor ihr entblößte Haupt des alten Herrn das junge Mädchen.

»So gewähren Sie mir gütigst, ein paar Fragen an Sie zu stellen.«

Wita neigte das Haupt.

»Ist Ihr Herr Vater zu Hause?«

»Er ist auf einer Dienstreise begriffen und wir erwarten ihn nicht vor übermorgen zurück.«

»So, so! Das ist mir leid, sehr leid, denn ich muß ihn sprechen! Ich habe aber noch einen Bekannten auf dem Schlosse, den jungen Harder, ist der da? Sagen Sie, gnädiges Fräulein, finde ich den wenigstens?«

»Ich denke«, entgegnete endlich Roswitha und schlug die Augen nieder, denn der alte Herr sah sie so curios an, daß sie wie Flammen im Antlitz spürte.

»Nun noch die dritte Frage: Erlauben Sie mir gnädigst, in Ihrer Gesellschaft aufs Schloß zu gehen – und den jungen Mann aufzusuchen? Ich bin ein alter Freund Ihres Herrn Vaters und werde bei ihm die Freiheit vertreten, welche ich Ihnen gegenüber nehme.«

»Ihre Gesellschaft wird mir eine Ehre sein.«

»Sagen Sie mir, mein gnädiges Fräulein«, fragte, nachdem er eine Weile schweigend an Roswitha's Seite hingegangen, der alte Herr, »glauben Sie, daß Ihr Vater mit dem Fleiße und den Fortschritten des jungen Harder zufrieden ist? Sein Vater wünscht so sehr aus zuverlässiger Quelle etwas darüber zu erfahren – und da Ihr Herr Vater jetzt gerade verreist ist …«

»Mein Vater«, stotterte Wita, »hat nie mit mir über Herrn von Harder gesprochen«

»So sagen Sie mir, was Sie von ihm denken. Wenn Frauen auch noch so jung sind, so haben sie doch immer ein klareres Urtheil über ihre Hausgenossen, als die Männer, deren Beobachtungsgabe durch äußere Begebenheiten gestört wird.«

»Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll«, flüsterte, offenbar in der peinlichsten Verlegenheit, Wita. »Herr von Harder spricht beinahe nie mit mir und ihn außerdem zu beobachten, fehlt es mir an Gelegenheit. Wenden Sie sich an meine Stiefmutter«, setzte sie nicht ohne einige Bitterkeit hinzu. »Die sieht ihn viel mehr als ich und bei ihr ist er auch sehr zutraulich.«

»So jung und schon solche Verstellung!« sagte mit Entrüstung der alte Herr vor sich hin – »doch«, setzte er besänftigend hinzu, »die Mädchen kommen schon falsch und voll Verstellung auf die Welt, das liegt nun einmal in der Frauennatur!«

»Wollen Sie die Gnade haben«, fragte er nun nach einer längern Pause, »mich bei Ihrer Frau Mutter einzuführen?«

»Es wird mir eine Ehre sein.«

»Aber erst möchte ich meinen jungen Freund sprechen, wenn er nur nicht im Walde ist!«

»Ich glaube kaum, es ist jetzt unsere Speisestunde und Herr von Harder ist in Allem sehr pünktlich.«

»Sehen Sie, da loben Sie ihn ja doch; nun das freut mich außerordentlich, daß Sie ihn doch loben, daß gerade Sie ihn doch loben!«

»Mein Gott, das geschah ganz ohne Absicht!«

»Desto besser, desto besser, so war es doch endlich ein Wort aus dem Herzen«, lachte spöttisch, sich die Hände reibend, der Fremde.

Sie waren jetzt am Schloßthore angekommen, und Wita, herzlich froh, den zudringlichen Frager loszuwerden, rief einen Bedienten herbei und beauftragte ihn, den Fremden zu Benno zu führen. Sie selbst ging zu ihrer Stiefmutter, um sie von dem Besuche zu benachrichtigen und zu veranlassen, daß dem Anstande genügt werde und man den Fremden, der sich einen alten Freund ihres Vaters nannte, zum Nachtessen einlade. Elsbeth war auch sogleich dazu bereit und schickte einen Diener zu Benno, der die bejahende Antwort des alten Herrn brachte.

Bei Benno war große Freude, denn daß wir's nur gleich sagen, der Fremde war Niemand anders als sein Vater, der ihn durch seinen unerwarteten Besuch über die Maßen erfreute. Daß zu diesem Besuche eine besondere Veranlassung vorliege, ahnte Benno nicht; denn sein Vater verschwieg ihm des Oberforstmeisters Brief, weil er selbst sehen und prüfen wollte, obgleich er gar keine Ursache hatte, an seines alten Freundes Behauptung zu zweifeln und es auch eigentlich nicht that.

Nach den ersten Begrüßungsworten sagte er plötzlich: »Aber höre, Benno, was hast du für eine schöne Hausgenossin! Das ist ja ein Prachtmädchen, diese Roswitha Einegg!«

»Finden Sie?« entgegnete mit übermenschlicher Gleichgültigkeit der Sohn, indem er sich zu seinem Hunde niederbückte und mit unendlicher Zärtlichkeit dessen schlanken Hals streichelte; »finden Sie sie schön?«

»Benno! Benno!« rief nun der alte Herr in Zorn ausbrechend, »du wirst mir förmlich verächtlich durch diese Falschheit …«

»Mein Vater!«

»Warum gestehst du mir nicht offen …«

»Daß ich Fräulein von Einegg schön finde?«

»Verstockter, heimtückischer Junge!«

»Nun ja, Vater, wenn es Ihnen Freude macht, so will ich gestehen, daß ich das Fräulein sehr schön finde!«

»Ich muß meinem Herrn Sohne für diese Offenheit wirklich sehr dankbar sein!« sagte ironisch und mit zornbebender Stimme der alte Herr.

»Wenn es gefällig wäre, zum Speisen zu kommen, die gnädige Frau lassen bitten«, meldete ein Diener, und so wurde das Gespräch zwischen Vater und Sohn unterbrochen.

Am andern Morgen nahm der Geheimrath seinen Sohn von neuem vor, um ihm das Geständniß eines Liebesverhältnisses mit Roswitha auszupressen, hatte aber ebenso schlechte Erfolge, wie am Tage vorher, – – als er sich entrüstet wandte, um zum Zimmer hinauszugehen, sagte aber Benno begütigend mit verlegenem Scherztone: »Wenn Sie es durchaus haben wollen, Vater, daß ich der Liebhaber des Fräuleins sein soll, so kann ich Ihnen ja den Gefallen thun – ich habe den besten Willen – und will heute in Ihrer Gegenwart versuchen, sie einmal anzureden – der erste Schritt soll ja der schwerste sein!«

»Tuckmäuser! Heuchler!« brummte der Alte, der einen Augenblick stehen geblieben war und schlug hinausgehend die Thüre heftig ins Schloß. »Ich muß nun mein Glück bei dem Mädchen probiren, aus dem Jungen ist nichts herauszukriegen – wie so ein paar Jahre, auf Universität zugebracht, aus einem ehrlichen Jungen einen so falschen, verstockten, heimtückischen Menschen machen können – ich kann ihn aber doch nicht zwingen – was soll man mit einem zwanzigjährigen Menschen anfangen, wenn er nicht will?«

*

8. Ein junges Mädchen im Verhör.

Zwei Tage waren verflossen und Herr von Einegg war noch immer nicht zurückgekehrt. Wir müssen noch erwähnen, daß der Geheimrath auf Elsbeth's dringende Einladung seinen Wagen unten aus dem Dorfe hatte holen lassen und sammt seiner Dienerschaft das Schloß bewohnte, um die Ankunft seines Freundes, den er zu sprechen zu wünschen erklärte, abzuwarten. Er war den ganzen Tag hindurch Roswithas unabweislicher Begleiter, es schien, als wolle er alle Aufmerksamkeit, die Elsbeth seinem Sohne gewidmet hatte, an ihrer Tochter vergelten.

Es war aber nicht möglich, das liebliche Geschöpf so viel zu sehen, ohne von ihrem harmonischen, echt weiblich demüthigen und selbstlosen Wesen gewonnen zu werden. Ueberdies faßte sie bald Zutrauen zu dem freundlichen alten Herrn und es herrschte ein Verhältniß zwischen ihnen, als hätten sie sich Jahre lang gekannt.

Roswitha ging in den Blumengarten, um Rosen abzuschneiden, welche die Mittagstafel schmücken sollten; dahin begleitete sie ihr alter neuer Freund mit dem Vorsatze, sie jetzt »vorzunehmen.«

Er begann mit Berechnung: »Wenn heute Abend Ihr Herr Vater nicht zurückkehrt, muß ich dennoch, ohne ihn gesprochen zu haben, mit meinem Sohne Ihr gastliches Haus verlassen; meine Zeit ist abgelaufen.«

Wita wechselte die Farbe, aber sie sagte nichts.

»Mein Sohn fürchtet, daß, nachdem er solange in dieser schönen Gegend verweilt, er nur schwer sich an den Stadtaufenthalt gewöhnen wird.«

Da der Geheimrath schwieg und immer schwieg, so sagte endlich das arme gequälte Kind mit gepreßter Stimme: »Es hängt doch wol nur von Ihrem Herrn Sohne ab, auf das Land zurückzukehren, wenn er will – es ist ja sein freier Wille, zu gehen.«

»So wissen Sie nicht, daß Ihr Herr Vater ihn nicht mehr im Hause haben will?«

Wita sah den Geheimrath gespannt an, als verstehe sie ihn nicht.

»Ja, ja, er will ihn nicht behalten, er hat es mir geschrieben, und ich glaube – Sie sind die Ursache!«

Wita wurde nun dunkelroth, aber der Geheimrath sah ihr an, daß sie Etwas plötzlich begriff; doch sagte sie nur leise: »Das ist ein Misverständniß, ein Irrthum!«

»Nein, nein, kein Irrthum, Ihr Vater will ihn um jeden Preis los sein, er scheint ihm zu gefährlich!«

Wita entgegnete hierauf nichts – sie konnte ja die lächerliche Leidenschaft der Frau ihres Vaters nicht verrathen – aber zwei dicke Thränentropfen perlten in den Strauß, den sie vor ihr Gesichtchen hielt.

»Fräulein Wita, Sie sind so ein liebes gutes Kind«, sagte der Geheimrath, indem er ihre widerstrebende Hand ergriff – »Sie haben alle Eigenschaften, die an einem jungen Mädchen entzücken und beglücken – nur Eine fehlt Ihnen, fügen Sie die noch hinzu und Sie sind unwiderstehlich!«

Wita hob fragend die nassen Augen zu ihm auf. »Seien Sie offen! offen und ehrlich! Gestehen Sie mir, daß mein Sohn Sie liebt, Ihnen nachläuft, Sie verfolgt – ich verspreche Ihnen, daß ich ihm nichts sagen, ihn nicht schelten will – es ist ja ohnedies nicht anders möglich!«

»Sie irren, Herr Geheimrath! Ihr Herr Sohn hat, obgleich er seit sechs Wochen hier ist, noch nie ein Wort mit mir gesprochen – so, wie er gestern und vorgestern in Ihrer Gegenwart sich mit mir benahm, so ist er immer!«

»Fräulein Wita! Fräulein Wita! Bedenken Sie, daß Sie mit diesem Leugnen Ihren eigenen Vater Lügen strafen!«

»Mein Vater – mein Vater«, preßte das arme Kind mühsam hervor – »mein Vater hat gewiß nicht gelogen – aber ein Irrthum …«

»Liebes Fräulein, hier kann ja gar kein Irrthum herrschen! Sie sind die einzige junge Dame im Schlosse …«

»O Gott, fragen Sie nicht weiter, Sie martern mich vollständig, und ich darf Ihnen doch nicht die Wahrheit sagen!«

Als eben der Geheimrath von neuem in Roswitha dringen wollte, ließ sich Wagengerassel vernehmen, und wie ein vom Altar gerissenes Opfer, so freudig lief Wita dem Wagen entgegen, der ihren Vater brachte.

Sie stürzte ihm, als ihrem Erretter, mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit in die Arme, dem Oberforstmeister aber war die Freude des Wiedersehens etwas durch den Anblick seines alten Freundes, des Geheimraths, verdorben. Er, der nie verlegen wurde, wurde es jetzt, und das entging seiner Tochter nicht.

»Ich komme selbst, um dich möglichst schnell von der Gegenwart meines Sohnes zu befreien – er ist wirklich gefährlicher, als ich dachte«, sagte der Geheimrath, dem Freunde die Hand schüttelnd.

Ein Wink des Vaters entfernte Wita, dann faßte er Herrn von Harder unter den Arm und führte ihn in sein Zimmer.

»Ich muß dir Alles erklären …«

»Ist nicht nöthig, lieber Einegg, ich begreife und weiß Alles …«

»Du weißt Alles?«

»Und vergebe dir von ganzer Seele – nur begreife ich nicht, warum du nicht einfach Alles gehen ließest – es würde sich doch zuletzt zum Guten aufgelöst haben, ich habe nichts dagegen!«

»Alle Wetter! du bist sehr gnädig, Harder. Du hast nichts dagegen! Charmant! Aber ich habe dagegen! Meine Frau …«

»Nun, du wirst dich doch nicht noch in deinen alten Tagen unterm Pantoffel beugen, nachdem du früher Herr im Hause warst …«

»Eben deshalb …«

»Nun, eben deshalb kannst du nichts gegen Benno als Schwiegersohn einzuwenden haben. Gib ihm deine Tochter …«

»Meine Tochter?« – Und Einegg riß die Augen wie ein Erwachender auf, der nichts begreift …«

»Mein Gott! Von was reden wir denn sonst – wie bist du zerstreut geworden! Diese Liebschaft zwischen den Kindern …«

»Liebschaft?« – Und sich höchlichst verwundernd, setzte er langsam hinzu: »Lieben sie sich denn wirklich?«

»Welche Frage! Deswegen hast du mich ja hergesprengt!«

»Ja so«, sagte sich fassend und zurechtfindend mit aller Geistesgegenwart der Oberforstmeister, »ich meine nur – ich meine nur, ob sie sich auch recht tüchtig lieb haben, so lieb, daß es ausreicht bis zum Ende?«

»Schulmeister! Bei denen ist die Liebe sie selber, keine Treibhauspflanze – sieh sie nur an!«

»Nun, nun, wenn es wirklich so ist, rief mit außerordentlich vergnügtem Gesicht der Oberforstmeister, so will ich dem Glücke der Kinder nicht im Wege stehen und deiner größern Menschen- und Herzenskenntniß vertrauen.«

Diese Auskunft, seine Leiden zu beendigen, war dem lebensfrohen Egoisten über alle Maßen willkommen. Seine Frau wurde bestraft, ohne daß er den Aerger einer Scene hatte, und seine einzige Tochter bekam einen guten und braven Mann; es war, wie er sich schmunzelnd ausdrückte, eine äußerst »wohl assortirte« Partie.

Die Präliminarien zur Verlobung waren also fertig, es blieb nur noch die eigentliche Erklärung zwischen den Liebenden übrig, und Benno benahm sich hier, von seinem Vater ironisch aufgefodert, sich nun endlich dem Fräulein gegenüber zu erklären und »sein zurückhaltendes Benehmen aufzugeben« ganz muthig und unerschrocken; vielleicht trug der Zorn über seines Vaters falsche Beschuldigungen dazu bei.

Die beiden Väter fanden das Paar Hand in Hand mit leuchtenden Augen, und der Geheimrath fragte die Braut: »Hat er nun endlich mit Ihnen gesprochen – Perle der Verschwiegenheit?«

Wita aber flüsterte, als er sie umarmte, ihm zu: »Später werden Sie einsehen, wie Unrecht Sie uns Beiden gethan.«

Elsbeth's Freude über die Verlobung, die ihr Einegg in Gegenwart aller Uebrigen mittheilte, war ziemlich gemäßigt. Sie klagte bald über heftiges Kopfweh und zog sich für einige Tage auf ihr Zimmer zurück; als sie aber wieder erschien, zeigte sie eine auffallende Sorgfalt und Liebe für ihren Gemahl, die dieser mit dankbarer, aber etwas ironischer Miene hinnahm, während Benno sie ihm von Herzen gönnte.

Bei dem Verlobungsfeste hielt der Oberforstmeister eine lange Rede, deren Schluß war:

»Nun bleibt mir nur noch übrig, der verehrten Gesellschaft die Motive zu der heutigen Verlobung mitzutheilen. Sie glauben, es sei die sehr natürliche Zuneigung zwischen zwei jungen, hübschen Leuten. Die Sache liegt aber viel tiefer. Benno führt meine Tochter Roswitha als eheliche Hausfrau aus demselben Grunde heim, aus welchem ich kürzlich meine mir gegenübersitzende geliebte Elisabeth heimgeführt. Sie staunen, und doch ist es so. Der Grund ist, daß wir Beiden, Benno und ich, zu gefährlich sind. Ja, lachen Sie nur. Elsbeth wollte aus meinem Hause fort, weil ihr meine Gesellschaft zu gefährlich schien, und erst bei ihrem drohenden Verluste entdeckte ich meine große Liebe zu ihr und machte mich ungefährlich, indem ich Ehemann wurde. Benno aber war mir zu gefährlich für die Ruhe meines Hauses – da half mein alter Freund nach und machte ihn sans conséquence.«

Da erhob sich der Geheimrath und rief lachend, daß ihm die hellen Thränen aus den Augen fielen, denn jetzt war ihm längst der Zusammenhang bekannt: »Es leben die Gefährlichen!«

*


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