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Achtes Kapitel.

Was die Post bringt.

Während die beiden Männer das Frühstück einnahmen, das die Frau des Müllers flugs herbeigeschafft, erfuhr Waldemar alles, was sich auf die Stimmung der Bewohner des Städtchens, ihre Befürchtungen und Hoffnungen bezog, sowie, daß die Stralsunder Post am gestrigen Tage in Bergen nicht eingetroffen sei und daß man deshalb wichtige Ereignisse jenseits des Fahrwassers vermute, worauf auch schon das viele Schießen hindeute, das man am vorigen Tage von Stralsund her vernommen habe.

Waldemar machte ein erstauntes Gesicht, als er dies hörte, denn in Mönchgut hatte man bei dem gestern herrschenden Ostwinde dieses Schießen nicht wahrnehmen können, und sein Herz wurde von einer seltsamen Beklommenheit bedrückt. »So werde ich mich nicht geirrt haben,« sagte er, »und das Posthorn, welches ich vom Nugard aus schmettern gehört, hat gewiß die endliche Ankunft des Wagens verkündet.«

»Ohne allen Zweifel, und so muß er gleich in die Stadt fahren.«

»Dann tut mir den Gefallen und geht auf den Markt; dort werdet Ihr erfahren, was geschehen ist, und kehrt nicht eher wieder zurück, als bis Ihr mir Gewisses melden könnt. Ich erwarte den Grafen Brahe von Stralsund her und es ist möglich, daß er selbst im Postwagen sitzt und das Neueste mit herüberbringt.«

»Da werde ich ihn zu Euch führen,« erwiderte der Müller, und rasch sein Frühstück beendend, warf er sich in die Kleider und verließ das Haus, dessen Tür die Müllerin hinter ihm fest verriegelte.

Als der brave Mann mit einiger Eile, zu der ihn nicht allein die Freundschaft zu seinem Gaste, sondern auch die eigene Neugierde trieb, durch die Vorstadt schritt und in die holprigen und krummen Straßen der kleinen Bergstadt einlenkte, gewahrte er schon von weitem, daß die Einwohnerschaft ihr Lager früh verlassen hatte und dem Marktplatze zugeeilt war, wo das Posthaus lag, denn wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht überall hin verbreitet, daß die Post von Stralsund, die nur bei wichtigen Veranlassungen ausblieb, endlich gekommen sei und Aufschluß über ihre seltsame Verspätung bringen werde. So waren denn schon viele Männer nach dem Posthause geeilt und umstanden den Wagen, der nur zwei Passagiere mitgebracht hatte, die sich ohne Aufenthalt zu dem französischen Befehlshaber auf Rügen begaben, um ihn in ihrer Eigenschaft als Kuriere von dem Neuesten in Kenntnis zu setzen. Von diesen nun hatten die neugierigen Städter sehr wenig oder gar nichts erfahren, um so mitteilsamer aber war der Postillon gewesen, der unter der dicht gescharten Menge stand und wunderbare Dinge erzählte, die alle Zuhörer veranlassten, die Mäuler aufzusperren und sich mit höchst betretenen Gesichtern anzuschauen.

Der Müller war ein sehr energischer und kräftiger Mann, und so war es ihm gelungen, sich mit Hilfe seiner spitzen Ellbogen Bahn zu brechen und bis dicht an den Erzählenden zu gelangen, der eben dabei war, seine Geschichte zum dritten Male zu beginnen und sie, wie weiland Falstaff, mit immer neuen und wundersameren Vergrößerungen auszuschmücken.

Der wißbegierige Müller reckte die Ohren wie die anderen Zuhörer empor, und je mehr er hörte, um so länger und bleicher wurde auch sein mehlbestaubtes Gesicht, bis er endlich genug Neues eingesogen zu haben glaubte, um vollbeladen damit nach Hause zu trotten und den Seinigen von seinem Überfluß mitzuteilen.

Hier kam er atemlos an, begehrte mit heftigem Pochen Einlaß in das verriegelte Haus und stürzte dann mit einer wahren Unglücksmiene in das abgelegenste Zimmer, worin er seinen Gast vorfand, der nachdenklich und gespannt auf und nieder schritt.

»Nun, da seid Ihr ja, Dalwitz, was bringt Ihr?« sagte dieser. »Ha, Ihr seid ja ganz außer Atem – ist es denn etwas so sehr Wichtiges?«

»Wichtiges genug, und Unheilvolles über und über. Denkt Euch, nur: in Stralsund ist seit einigen Tagen der Teufel losgewesen, und gestern hat er sich die Hörner beinah ausgestoßen. Per Schill, der preußische Major, ist seit ein paar Tagen in der Stadt, und den mit seinen braven Truppen haben nun die verfluchten Dänen und Holländer – Gott ersäufe sie auf ihren Inseln – gestern angegriffen, und alle seine Tapferkeit hat ihm nichts geholfen. Zwanzig Mann gegen einen haben sie ihn umzingelt und totgeschlagen. Ja, er selbst ist tot, und viele seiner Getreuen sind gefallen, und alle, die noch leben, haben die Franzosen und Dänen aufgegriffen und gefangen gesetzt, um sie nach Paris zu führen und einen Kopf kürzer zu machen. So ist es, so wahr ich lebe, denn der Postillon hat es mir selbst erzählt, und darum haben sie ihn auch nicht fortgelassen mit seinen Paketen, und erst gestern Nacht – Ihr habt ganz recht gehört – hat man ihm die Erlaubnis erteilt, abzusegeln, und da ist er und setzt die ganze Insel mit seinen Neuigkeiten in Schrecken.«

Waldemar stand sprachlos vor dem eifrig Erzählenden, seine hohe Gestalt wurde immer länger und sein Gesicht immer bleicher, während sein Auge Flammen sprühte. »Was sagt Ihr?« rief er endlich. »Schill und seine Getreuen sind gefallen? Und gefangen, um nach Frankreich abgeführt zu werden?«

»So ist es ganz genau, wie Ihr sagt – das ist eine große Ohrfeige, die der König von Preußen bekommt.«

»Sagt, ganz Deutschland, die ganze ehrliche Welt, und Ihr werdet nicht zu viel gesagt haben.« Und er sank auf einen Stuhl, schlug die Hände vor's Gesicht und gab sich den trübsten Gedanken hin, die er noch je in seinem Hirne hatte aufsteigen fühlen.

Der ehrliche Müller stand vor ihm und schaute ihn niedergeschlagen an, als hätte auch er die erwähnte Ohrfeige empfangen. »Da die Sachen so stehen,« sagte er, »so bin ich neugierig, was Ihr tun werdet, denn der Graf Brahe, wenn er bei Schill war, wie Ihr vermutet, hat gewiß auch einen Hieb abgekriegt.«

Waldemar sprang auf. »Das ist auch meine Sorge!« rief er mit plötzlich glühenden Wangen aus. »Hört, Dalwitz, ich will Euch etwas sagen. Graf Magnus ist mein teuerster Freund, der einzige Sohn meines Wohltäters, auf den mehr denn zwei Augen sehen. Ich muß wissen, wie es mit ihm steht und ob er bei dem Gefecht zugegen gewesen ist oder nicht. Um das genau zu erfahren, muß ich ohne Aufschub selbst nach Stralsund hinüber.«

Der Müller sah seinen jungen feurigen Gast erstaunt an, der ihm ein großer und mutiger Mann zu sein schien und in seinen Augen immer größer wurde. »Nach Stralsund?« sagte er kleinlaut, »Ihr? Der kaum mit genauer Not den Feinden entronnen ist? Das ist ein Wagestück, junger Mann, das ich nicht mit Euch teilen möchte.«

»Das braucht Ihr auch nicht, ich werde es ganz allein unternehmen. Die Notwendigkeit ist da. Wer sagt mir, was alles geschehen, wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehe, und sehen muß ich es, um zu wissen, was ich tue, wie ich ihm helfen soll, wenn er in Gefahr ist. Geholfen aber muß ihm werden, so wahr mir Gott selber helfe!«

»Nun ja doch; ich glaub's ja; aber Ihr könnt doch nicht gleich über den Sund fliegen?«

»Es muß Mittel geben, um hinüber zu kommen, für Geld und gute Worte, und List oder Gewalt, wenn es wahr ist, was Ihr vorher sagtet, daß die Posten niemanden auf die Fähre lassen, der nicht Beweise in Händen hat, daß er hinüber muß und in allen Verhältnissen unbescholten ist.«

»So ist es, ich weiß es zu genau; und hundertmal hab' ich es selbst gesehen, wenn ich mein Mehl hinübergebracht. – Ha! Da fällt mir etwas Gescheites ein, wenn Ihr doch hinüber wollt und müßt. Ich wollte morgen Mehl nach der Festung schaffen, aber wenn ich es recht bedenke, könnte ich es schon heute tun.

»So laßt mich das Mehl hinüber bringen!« rief Waldemar und sprang freudig auf den Müller zu, denn er hatte in seinem mutigen Herzen darin schon ein Mittel erkannt, um unangetastet nach Stralsund und zu seinem Freunde zu gelangen.

»So wie Ihr da seid?« fragte scherzend der Müller. »Warum nicht gar! Sie würden Euch auch für meinen Knecht halten und auf's Wort glauben, nicht wahr? Besonders wenn Ihr die Dingerchen da unter der Jacke behaltet und ein Gesicht wie zehn Donnerwetter macht, wie gerade jetzt!«

»So gebt mir eine weiße Jacke und was dazu gehört, Zum Teufel! wenn es nicht anders geht! Aber meine Waffen und meine Kleider müssen alle mit auf den Wagen, damit ich sie drüben habe, wenn ich sie brauche.«

»Das läßt sich schon eher hören; und nun laßt mich noch ein Wort sprechen, aber ein ernstliches. Ihr seid zwar ein mutiger Mann, das ist brav, und ein wackerer Freund, das ist noch braver, aber Ihr müßt nicht zu vorwitzig sein, sondern recht vernünftig, wie es sich in diesen Zeiten und Verhältnissen ziemt. Seht, der Pächter der Fähre auf dieser Seite ist meiner Frau Amsel Bruder und ein echt patriotischer Mann. Er ist auch der einzige, der ein paar tüchtige

Boote am Strande halten darf, um Passagiere hinüber und herüber zu setzen. Zu dem fahrt Ihr mit meinem Mehl und sagt ihm, wer Ihr seid und was Ihr wollt. Ich gebe Euch auch einen Schein mit, daß Ihr in meinem Dienste steht und in meinen Angelegenheiten nach Stralsund müßt. Bestellt Euch nun ein Boot bei meinem Schwager für die Nacht nach irgend einem Punkte drüben am Ufer, aber er muß nördlich von der Stralsunder Fähre liegen, damit Ihr gleich frei wie ein Vogel davonfliegen könnt, wenn es Not tun sollte. Habt Ihr das verabredet, so bringt mein Mehl an seine Adresse; man wird Euch keine Schwierigkeiten in den Weg legen, denn die vielen Mäuler, die jetzt da drüben aufgesperrt sind, verlangen Nahrung. Habt Ihr das Geschäft vollbracht, so seht Euch nach Eurem Freunde um, und findet Ihr ihn, was ich Euch beiden von Herzen wünsche, so habt Ihr das Boot, um ihn fortzuführen, wohin Ihr wollt. Wenn Ihr mir aber folgen wollt, so wendet Euch nach Hiddens-öe, da seid Ihr wenigstens den Franzosen aus dem Strich, denn »dat söte Lenneken« Das süße Ländchen, wie die Bewohner der armen Fischerinsel Hiddens-öe in ihrer heimatlichen Anhänglichkeit nennen. ist ihnen zu mager und vielleicht auch zu bitter, und dahin versteigen sie sich nicht sobald. Den Dänen freilich, wenn Ihr ihnen auf dem Wasser begegnen solltet, müßt Ihr aus dem Wege gehen, doch das ist ja Eure Sache. Gefällt Euch mein Vorschlag?«

»Vortrefflich, und ich bitte Euch, so schnell wie möglich alles in Bereitschaft zu setzen, damit ich noch vor Tische drüben in Stralsund bin.«

»Das soll geschehen, und nun kommt zuerst mit mir und macht einen Müllerknecht aus Euch, für das Übrige will ich dann schon Sorge tragen. Meinen Wagen aber fahre ich mir selbst wieder zurück, denn ich werde Euch auf dem Fuße folgen und an der Fähre warten, während Ihr selbst nach Stralsund übersetzt.«

*

Zwei Stunden später rollte vom Hofe des freundlichen Müllers Dalwitz aus ein nicht allzuschwer mit Mehlsäcken beladener Wagen, der vorsichtig mit geteerter Leinwand überdeckt war, damit ihm der anhaltende Regen keinen Schaden tue, durch die holperige Hauptstraße der Stadt Bergen. Zwei wohlgenährte Grauschimmel von kleinem Wuchse, aber kräftigem inländischen Schlage, zogen denselben, und nebenher ging, die Leine kunstgerecht in der Hand haltend und ab und zu mit einer handfesten Peitsche knallend, wie es einmal bei den Fuhrleuten Sitte ist, ein hoch gewachsener Müllerknecht, der so vortrefflich in seine weiße mehlbestäubte Kleidung paßte und dessen Gesicht, mit gleichem Stoffe bestrichen, einen so dummehrlichen Ausdruck zur Schau trug, daß kein Mensch, und wäre es sein eigener Vater gewesen, in ihm den trotzig stolzen Seemann Waldemar Granzow erkannt hätte.

Lebhafter denn je ging es an diesem Tage in dem kleinen Städtchen her; namentlich auf dem großen viereckigen Marktplatze, dem vornehmsten Teile der Stadt – unter welcher Bezeichnung man sich aber durchaus keine komfortablen und massiven Häuser der Jetztzeit vorstellen darf – standen fast von Haus zu Haus erzählende und hörende Gruppen, die sich bald vergrößerten, bald verkleinerten, je nachdem der Sprecher sein Publikum anzuziehen oder zu langweilen verstand. Das große Ereignis des Tages, die Niederlage des durch das Gerücht so bekannten Majors Schill in Stralsund, war in Aller Munde, und wohl keinen gab es unter den Bewohnern Bergens, der das traurige Ende des hochherzigen Parteigängers nicht von ganzer Seele bedauert hätte.

Aber der Anteil der Bergener Bürgerschaft ging noch über das Schicksal des so unglücklichen Offiziers hinaus: sie dachten auch an sich, die guten Leute, und fürchteten schon, nun würden die Dänen selber nach der Insel kommen und den letzten Rest ihres Besitzes ihnen vom Leibe reißen, den die Franzosen noch darauf sitzen gelassen hatten. Deshalb war auch schon in den frühsten Morgenstunden, sobald man durch den Postillon das Ereignis jenseits des Sundes erfahren, eine Deputation der besitzreichsten Bürger bei dem gegenwärtigen Befehlshaber der Franzosen auf Rügen gewesen, der in einem Hause am Markte zu Bergen residierte, und hatte bescheidenen Protest gegen den etwaigen Übergang der Dänen eingelegt, worauf sie das besänftigende Versprechen erhielt: Er, der französische Befehlshaber auf Rügen, werde nicht dulden, daß außer seinen speziellen Untergebenen noch andere Truppen nach der Insel gezogen würden, – beiläufig ein Versprechen, was leicht zu geben war, aber schwer zu halten gewesen wäre, wenn ein Befehl von oben herab die Dänen über das Fahrwasser beordert hätte.

Waldemar warf einen forschenden Blick auf die lebhaft disputierenden Gruppen und trieb dann seine Pferde zu schnellerem Gange durch die bergigen Straßen, denn er sehnte sich nach frischer Luft und nach friedlicher Stille, um seine Gedanken ungehindert in die Ferne schweifen zu lassen, die dem Eindruck einer großen Besorgnis erlagen, denn das trostlose Schicksal seines Freundes, wenn er bis zum letzten Augenblick bei Schill geblieben, was fast keinem Zweifel unterlag, spannte seinen Geist auf eine so qualvolle Folter, wie er noch nie eine ähnliche in seinem Leben erduldet hatte.

Endlich war der Ausgang des Städtchens, das weder Tor noch Schlagbäume aufzuweisen hatte, erreicht; nur vor einem der letzten Häuser stand ein Piket schwarzäugiger Südfranzosen, die aber nicht, wie ihre Kameraden auf dem Göhrenschen Höwt, ihre Gewehre saumselig beiseite gestellt, sondern sie, jeden Augenblick zum Angriff bereit, lose im Arme hielten. Als der Führer des Wagens an ihnen vorbeischlendern wollte und einen gleichgültigen Blick auf die Fremden warf, die in ihrer lebhaften Art mit eifrigen Geberden disputierten, trat ein bärtiger Sergeant an ihn heran und fragte in gebrochenem Deutsch, wer er sei, was er geladen habe und wohin er wolle?

Waldemar antwortete in der Redeweise des gemeinen Rügianers, die ihm vollkommen geläufig war, und zeigte den Schein seines angeblichen Brodherrn vor, der alles Nötige enthielt, was bei einer solchen Sendung auf Rügen damals verlangt wurde. Der Sergeant, über dessen Schulter seine neugierigen Kameraden mit in das Blatt schauten, was bei ihnen nicht undienstmäßig war, ließ nach längerem Studium des Zettels eine zufriedene Miene blicken, schrieb in dem Häuschen das Passirwort darauf und deutete dann dem Müller mit einer pathetischen Geberde an, er könne jetzt seines Weges ziehen, was Waldemar nicht zu befolgen unterließ.

Der Weg von Bergen nach der alten Fähre führt, da die Stadt auf einer Höhe liegt, bergab, und so ging die Reise ziemlich rüstig von statten. Der Regen siel in leisem, aber anhaltenden Geriesel hernieder, der Himmel war ganz mit grauem Nebel bedeckt, und der leichte Westwind trieb das schwere Gewölk mit Mühe nach dem ebenso düstern Osten hin. Waldemar atmete leichter, als er sich in Gottes freier Natur befand und an seiner Seite die dort so reich gesäeten Dörfer und Höfe mit ihren mit Seetang behangenen Flechtzäunen sah, von denen das aufgefangene Wasser stromweise herabträufelte. Die mit Weizen, Gerste und Hafer bedeckten Äcker grünten um diese Zeit noch im jungfräulichsten Frühlingsschmucke, die Luft war trotz der Nässe warm und lieblich, aber die Aussicht auf die abwechselnd mit jenen Äckern zu beiden Seiten liegenden Torfmoore und Haidekraut strecken durch den Nebel, der alles umzog, noch einförmiger als gewöhnlich. Nur bisweilen tauchten jenseit des Fahrweges Gebüsche und kleine Waldungen auf und, gleichsam um auf ihnen auszuruhen, hatten sich starre Nebelschichten von ihrem Wolkenfluge auf die Wipfel derselben niedergelassen, was der ganzen Szenerie ein eigentümlich düsteres Gepräge verlieh. Da übrigens die kleinen Pferdchen des Müllers ihre Schuldigkeit taten, so kam der Wagen trotz der durch den Regen nicht sonderlich verbesserten Landstraße ziemlich rasch vorwärts. In Negast, wo der Landweg von Garz in den von Bergen rechtwinkelig einschneidet, hatte Waldemar die Hälfte des ganzen Weges zurückgelegt, und es war noch nicht neun Uhr morgens, als er bei dem uralten Dorfe Rothenkirchen vorüberkam und bald darauf die berühmten sieben mit Dornsträuchen bewachsenen Begräbnishügel von weitem ragen sah, die noch ernster und düsterer unter dem Regenflor hervorschauten, als sie es in ihrem gewöhnlichen Sommerkleide zu tun pflegen. Von hier aus senkte sich die Straße mehr dem Süden zu, der alten Fähre an dem schönen Sunde, dem sogenannten Fahrwasser, entgegen, und es war kaum elf Uhr, als unser Freund den anmutig geschwungenen Wassergürtel vor sich liegen sah; an dessen jenseitigem Ufer, auf einer Insel wie im Meere schwimmend, das schöne Stralsund mit seinen in jener Zeit halb demolierten Wällen und Mauern thronte, hinter denen vor wenigen Stunden so viel Unheil geschehen war.

Waldemar lenkte sein Fuhrwerk ohne Aufenthalt vor das Fährhaus, wo sich sogleich ein französischer Posten einstellte, nach seiner Legitimation fragte und in Gesellschaft eines Beamten die Papiere des Müllers in Augenschein nahm. Nachdem dies zur allgemeinen Befriedigung geschehen und die Ladung, oberflächlich untersucht war, ward dem vorgeblichen Müllerknecht bedeutet, er könne seine Säcke auf die Fähre laden, eine Erklärung, die ihn veranlaßte, in das Fährhaus zu treten und nach dem Pächter desselben zu fragen, von dem er wußte, daß er der Schwager des Müllers Dalwitz war. Waldemar ward in eine Stube gewiesen, worin er den Pächter allein vorfand, dem er ohne Verzug die Botschaft des Müllers insgeheim mitteilte. Der Pächter nahm ihn, wie zu erwarten war, sehr wohlwollend auf und führte ihn in ein abgelegenes Gemach, in dem sie noch keine halbe Stunde plaudernd beisammen saßen und eben im Begriff waren, ein handfestes Frühstück einzunehmen, als der Müller Dalwitz selber bei ihnen eintrat und den kleinen Sack auf dem Arme hatte, der Waldemars Kleider und Waffen enthielt. Von nun war alles Übrige ein leichtes. Dalwitz übernahm persönlich die Unterhandlung wegen des benötigten Bootes in der folgenden Nacht und leitete alles zu Waldemars vollkommenster Zufriedenheit ein. Sodann wurden die Mehlsäcke auf die Fähre geladen und nebenbei der Ort und die Stunde festgesetzt, wo Waldemar das Boot mit seinen Kleidern drüben am Ufer finden sollte, mit dem der Fährhauspächter zwei seiner tüchtigsten Schiffer hinüber zu senden versprach.

Bald darauf hatte Waldemar vom Müller und dessen Schwager Abschied genommen und saß nun bei seinen Säcken auf der Fähre, voller Ungeduld den Augenblick erwartend, wo das Fahrzeug vom Lande abstoßen würde.

Endlich war er gekommen und gleichzeitig klärte sich der Himmel auf, der Regen ließ nach und immer deutlicher entrollte sich das schöne Bild des jenseitigen Ufers. Aber so schön dieser Anblick auch war, Waldemar sah von allem, was vor seinen Augen lag, nichts. Seine Gedanken nur auf die kommenden Stunden gerichtet, malte er sich in düsteren Farben die Zustände aus, die er drüben finden würde, und selten wohl hat ein Freund seines Freundes zärtlicher und besorgter gedacht, als Waldemar jetzt Magnus Brahes gedachte, um den sich in diesem Augenblick alle seine Wünsche und Hoffnungen tummelten.

Während er nun überfährt, wollen wir dem Leser mit einigen kurzen Andeutungen die Szenen vergegenwärtigen, die am 31. Mai 1809 innerhalb der Mauern Stralsunds, vorgefallen waren.

Und hier müssen wir zunächst jenes Mannes gedenken, von dem zu damaliger Zeit häufiger gesprochen wurde, als von irgend einem anderen, und der in der Tat der unglückliche Held des 31. Mai gewesen war. Mag man von Schill denken und sagen, was man will, der Mann hatte ein Herz, das warm für die Leiden seines erniedrigten Vaterlandes schlug, und zugleich auch, was wenige mit ihm teilten, den heroischen Willen und den fast übersprudelnden Mut, unter jeder Bedingung es von seinen Unterdrückern zu befreien. Daß ihm die dazu ausreichende Kraft nicht zur Seite stand, daß er mit zu kleinen Mitteln ein zu großes Werk zustande bringen wollte und, dies wissend, dennoch das Wagnis unternahm, das ist das eigentliche Tragische und doch Anstaunenswerte in seinen: ganzen Wesen und Wirken. Hätte Preußen und Deutschland ein ganzes Heer von Männern gehabt, wie Schill ein einziger war, so würde das Jahr 1813 schon in das Jahr 1809 gefallen sein, und wäre Napoleon auf lauter solche Patrioten gestoßen, er würde nicht der Mann geworden sein, den, von seinem erhabenen Kaiserthrone in das düstere Grab zu St.-Helena hinabzustürzen, es der Vereinigung eines halben Erdteils bedurfte.

Die allgemeine antifranzösische Bewegung in Deutschland hatte die edelsten und begabtesten Männer des Landes zu einem einzigen und großen Ziele, wenigstens im Geiste vereinigt, und unter ihnen war es hauptsächlich Schill, den sein heftiges Temperament zum blutigen Streiche vor der Zeit trieb. Der Geist der Poesie und Philosophie war gegen den starren Kaiser erwacht, schon lange loderte der Vulkan unsichtbar unter der Oberfläche gegen den tollkühnen Eroberer auf, und da man ein ahnendes Bewußtsein davon im französischen Lager hatte und durch geschickt geleitete Spionerie von allem Vorgehenden in Kenntnis gesetzt war, so bemühte man sich um so eifriger, alle diejenigen zu verfolgen, von denen man annehmen konnte, daß sie mit den sogenannten Tugendbündlern, das heißt mit den patriotisch gesinnten Männern Preußens und Deutschlands, in Verbindung standen.

Schill, der durch mannigfache heldenmütige Taten, namentlich in Colberg, der Mann des Volkes geworden war, schmerzte die Langsamkeit der aufkeimenden Entwürfe gegen den französischen Kaiser, der unaufhaltsam fortfuhr, den Rechtsgrund der Tyrannen, wie Milton sagt, zur Geltung zu bringen, und da er nirgends eine feste Leitung, nirgends ein kühnes Vorschreiten sah, so unternahm er es auf eigene Hand, den Krieg gegen den Allgewaltigen zu beginnen. Er wählte den Augenblick, wo Österreich im Jahre 1809 mit Napoleon in Zwist geraten war. Durch die allgemeine Gährung der Gemüter in Deutschland noch mehr zu seinem heldenmütigen Tun angestachelt, von vielen Enthusiasten umgeben und beraten, von Vaterlandsliebe und feurigem Haß gegen Napoleon gedrängt, zog er mit seiner kleinen Armee am 28. April von Berlin ab, voll Hoffnung, hinter Napoleons Rücken in Sachsen und Westfalen Unterstützung zu finden und von da aus einen fühlbaren Schlag gegen ihn zu führen. Auf die niederschlagende Nachricht aber, daß Österreich von Napoleon zugrunde gerichtet sei, faßte er den Entschluß, über Ostfriesland sich nach England zurückzuziehen und für spätere Zeiten dem Vaterlande zu bewahren. Aber am 5. Mai von einem Teile der Besatzung Magdeburgs nach der Altmark gedrängt, hoffte er gegen den französischen General Gratien und den dänischen General Ewald in dem mecklenburgischen Fort Dönitz an der Elbe einen Stützpunkt zu finden, zog sich aber, hierin getäuscht, über Wismar und Rostock nach Stralsund zurück.

Die Stadt ward den Franzosen rasch entrissen, in voller Hast notdürftig befestigt, und 2000 Pommersche Landwehrmänner eilten ihm zur Hülfe herbei. Aber am 31. Mai schon rückten 6000 Dänen und Holländer unter den genannten Generälen vor die Stadt und griffen sie vom Knieper Tore her heftig an. Nach einer fürchterlichen Kanonade zogen sie als Sieger in die Stadt ein, aber Schill, keineswegs entmutigt, setzte ihnen noch in den Straßen einen verzweifelten Widerstand entgegen. Im heißesten Kampfgewühl stand er an der Spitze seiner Getreuen: Reiter und Fußvolk drangen auf die kleine Schar, die Schritt vor Schritt zurückwich. Und nun erst hatte Schills Schicksalsstunde geschlagen.

Für diesmal seine Sache verloren gebend und von allen Seiten hart bedrängt, wollte er im letzten Augenblick, sein Heil in der Flucht suchen und sich auf einem der im Fahrwasser liegenden Schiffe zuerst nach Rügen und von da nach England begeben. Dazu aber mußte er an den Strand gelangen, und den konnte er zu Pferde nur durch die Fährstraße und das Fährtor erreichen. Er sprengte daher von der Knieperstraße in die Johannisstraße ein, die zur Linken in die Fährstraße mündet; aber in der Mitte derselben fand er den Hof des Johannisklosters geöffnet und hielt den breiten Eingang unglücklicherweise für die Mündung der Fährstraße. Erst als er rings auf dem Klosterhofe herumgeritten war und nirgends einen Ausweg gefunden hatte, erkannte er – leider zu spät – seinen Irrtum und sprengte aus dem Hofe hinaus, um den richtigen Weg nach der Fährstraße fortzusetzen, wo ihm indeß schon einige seine Spur verfolgende Dänen begegneten, deren Anführer er niederhieb.

An der Stelle, wo die Johannisstraße in die Fährstraße eintritt, stand ein Brunnen – in der Nähe desselben findet man auch noch heute den Stein, Es ist das Haus Nr. 67; der jetzige Bewohner desselben ist der Kaufmann Lehl. der die Stelle bezeichnet, wo Schill den Todesstoß empfing – an diesem Brunnen wuschen einige Stralsunder Frauen einem Verwundeten vom Schillschen Korps das Blut aus dem Gesicht. Der Verwundete, ein galoppierendes Pferd hinter sich hörend, dreht sich herum, und als er Schill selbst erkennt, den er schon tot geglaubt, ruft er in seiner Herzensfreude, so laut, daß die hinterhersprengenden Dänen, die unterdeß des Flüchtlings ansichtig geworden, es hörten: »O, da ist ja Schill! Er lebt noch, und nun ist noch nichts verloren!«

Auf diesen Ruf stürmten zwei dänische Reiter hinter dem Flüchtlinge her, hieben auf ihn, der schon im Rücken von einer Kugel getroffen war und hin und her im Sattel schwankte, ein und versprachen ihm Pardon, wenn er sich ergeben wolle. Aber Schill kannte kein Wort, das Ergebung hieß, und wehrte sich, so lange sein Arm Kraft dazu besaß. Endlich aber erlahmte er, ward über den Kopf gehauen und vom Pferde gerissen, worauf man seinen Leib, um ihn ja zu töten, mit wahrhaft barbarischen Hieben fast zerhackte. In diesem Zustande schleifte man den Leichnam nach dem Fleischerscharren am Markt, entkleidete und stellte ihn zur Schau aus. Später jedoch trug man den Leichnam nach dem gegenüberliegenden Gasthofe zum goldenen Löwen, wo ein Arzt ihm den Kopf abschnitt, um ihn Napoleon zu übersenden, der, wie man sagt, den Preis von 4000 Dukaten darauf gesetzt hatte.

Erst mit Schills Tode endete das Straßengefecht, und nun begann die Verfolgung seiner Anhänger, von denen sich 150 Mann nach der preußischen Grenze durchschlugen, der größte Teil der Übrigen jedoch gefangen und nach Frankreich geführt wurde, um gerichtet zu werden.

Das war im ganzen und einzelnen die Nachricht, welche die Post von Stralsund in der Nacht zum 1. Juni nach Bergen gebracht hatte.


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