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Schlußkapitel.
Das Testament des grünen Pelzes.

Schon am dritten November, nachdem alles, was an Person und Eigentum des Barons Grotenburg erinnern konnte, von Sellhausen abgezogen war, nahm zuerst Fräulein Treuhold von ihrer alten Wohnung Besitz, mit ihr zugleich Rieke und alle übrigen Mägde und Knechte, die den Hof am dritten August verlassen hatten. Mit welcher Freude, welchem Glück dies geschah, wollen wir unerwähnt lassen, denn es ergibt sich ganz von selbst. Die zweite Hauptperson, die am folgenden Tage auf dem Gute eintraf, war Herr Hinz, der unterdes eine Reise zu seinen Verwandten angetreten und an den man sogleich geschrieben hatte, um ihn zur schleunigsten Rückkehr aufzufordern. Mit diesen Personen fast zu gleicher Zeit kamen Pferde und Kühe, Rinder und Schafe, Schweine und – sogar auch ungeheuer große Hammel an, welch gesamtes lebendes Inventarium der Meier zur Ausstattung seiner Tochter besorgt hatte und nun dem neuen Gutsbesitzer als erstes Opfer seiner nahen Verwandtschaft und Freundschaft darbrachte. Aber auch Wagen allerlei Art, Utensilien, Maschinen und sonstiges zu einem großen Wirtschaftsbetriebe Notwendige langten bald darauf in entsprechender Auswahl und Fülle an, und in wenigen Tagen herrschte auf Sellhausen wieder ein so reges betriebsames Wesen, wie noch nie zuvor, und überall sah man nur fröhliche Gesichter und rüstige Leute, die freudig ihre Arbeit verrichteten und mit der gespanntesten Erwartung dem geliebten Herrn entgegensahen, der nach des Meiers Wunsch erst am Tage seiner Vermählung wieder, bis wohin noch mancherlei Notwendiges geschehen mußte, die Schwelle seines Hauses überschreiten sollte.

So geschah es denn auch. Vorher aber wurde ein wichtiges und freudiges Fest auf Allerdissen gefeiert. Ein großer Teil der Gutsbesitzer der Umgegend – die drei verschwägerten Barone, sowie einige andere Herren, die sich an jenem unglücklichen Geburtstage auf der Grotenburg so ungebührlich gegen den Legationsrat benommen, natürlich ausgenommen – waren zum Hochzeitsfeste auf Allerdissen versammelt, dessen Dauer jedoch auf den Wunsch der Frau Birkenfeld nur auf die kürzeste Zeit beschränkt ward und nur aus dem feierlichen Akt der Trauung und einem darauffolgenden Mittagessen bestand, das kaum bis zum dämmernden Abend ausgedehnt wurde. Jene Versammlung aber war aus dem einzigen Grunde so zahlreich ausgefallen, um den Legationsrat in neue Verbindung mit seiner Nachbarschaft zu setzen, und alle waren gern gekommen und hatten mit aufrichtigem Herzen die Hand des glücklichen Bräutigams geschüttelt und treue Freundschaft für alle Zeiten gelobt.

Am Morgen des achten Novembers standen die vier prächtigen Sennerhengste vor einem schönen geschlossenen Wagen, den Frau Birkenfeld dem Brautpaar eigens zu diesem Behufe verehrt, bereit, um dasselbe nach dem eine halbe Meile entfernten Kirchdorfe Breitingen zu fahren, wo die Trauung von dem befreundeten Pfarrer verrichtet werden sollte. Zwanzig Kolonnen in ihrer weißen Nationaltracht, mit breitkrämpigen Hüten, von denen bunte Bänder flatterten, und langen schwarzen Sporenstiefeln geschmückt, galoppierten auf mutigen Rossen voran und fast ebenso viele schlossen den langen Zug, sämtlich dem Meierhof befreundet oder in irgend einem Verhältnis zu dem reichen allverehrten Meier stehend. Schnaubend und laut vor Übermut wiehernd tanzten hinter den voransprengenden Reitern die schönen Grauschimmel daher, und auf den weichen Polstern des großen Wagens saßen zwei glückliche Menschen, die, so zärtlich sie mit sich selbst beschäftigt waren, doch wohlgefällig ihre Blicke über die ruhenden Felder und die friedlichen Gehöfte schweifen ließen, an denen sie vorüberkamen und über welche die Sonne ihre winterlichen Strahlen freundlich niederfallen ließ.

Als der fast unabsehbare Zug sich aber dem Dorfe näherte, hörte man schon von ferne das feierliche Geläut der Glocken herübertönen, und die ganze Dorfbewohnerschaft stand im Festkleide am Eingange der langen Straße bereit, das Brautpaar und seine zahlreichen Gäste zu begrüßen, die sich nun alle in der kleinen Kirche versammelten, wo der Pfarrer mit seiner Familie die Glücklichen schon lange erwartete.

Nachdem die feierliche Handlung vollendet, die Glückwünsche ausgetauscht und Bodo und Gertrud nun Mann und Weib geworden waren, stieg man mit dem Geistlichen und seiner jungen Frau wieder in die harrenden Wagen, und in donnerndem Galopp flog der ganze Zug wieder nach dem Meierhofe zurück, um sich von neuem beim Hochzeitsmahl zu sammeln.

War es Zufall oder lag irgend eine Absicht zugrunde: auf dem Wege von der Kirche nach dem Meierhofe begegnete dem brausenden Zuge ein sehr eleganter Wagen, und aus demselben schauten vier neugierige und dabei dämonisch blitzende Augen auf den Glanz des hochzeitlichen Gepränges hin. Als diese aber die vier prächtigen Grauschimmel an sich vorüberfliegen sahen und mit raschem Blick die in dem Brautwagen Sitzenden erhascht hatten, blickten sich die beiden Menschen bitter lächelnd an, und eine von aufquellender Leidenschaft heisere weibliche Stimme sagte zu dem daneben sitzenden Manne:

»Hast du sie gesehen, Grotenburg? Das war »die gnädige Bauerfrau«, die nun auf ihren leicht errungenen Lorbeeren ruht, die man unserer Klotilde auf höchst diplomatische Weise, das heißt niederträchtig und gemein genug, entrungen hat. Pfui, welche Gemeinheit und Niederträchtigkeit! Und nun sage man noch, daß man das menschliche Geschlecht lieben soll! Aber so ist es in der Welt, mein Lieber! Nein, es gibt kein Recht und Gesetz mehr darin, und das erbärmliche Volk maßt sich Ansprüche an, die von Gottes- und Rechtswegen nur uns, den eigentlichen Herren des Landes, gebühren. Gut! Mögen sie glücklich in ihrer bornierten Art und Weise sein, wir aber tragen das Bewußtsein in uns, daß wir sie aus tiefstem Herzensgrunde verachten dürfen, und das ist auch etwas wert, mein Lieber!«

Der traurig blickende Mann an ihrer Seite antwortete nichts, nur brummte er unwillig und leise etwas vor sich hin, was zu deuten kein Mensch hätte imstande sein können. Aber sein Herz war dabei so kalt, und sein Auge schaute wie trunken über die öden Felder, und innerlich fröstelnd und vor unterdrückter Wut zitternd, langten beide auf ihrem stillen Schlosse an, den trüben, zähen Schlamm nicht gewahrend, der sich seit Jahrhunderten in dem Graben darum angehäuft und der vielleicht in ihren Augen auch etwas Ehrwürdiges und Tröstliches besaß – »und das ist auch etwas wert,« könnte man denken in ähnlicher, nur umgekehrter Weise, wie das stolze freiherrliche Paar vorher in seiner Verachtung des edlen Bräutigams und seiner schönen Braut gesprochen hatte. –

Um sechs Uhr abends an diesem Tage, als die Sterne vom leicht bewölkten Himmel schon herniederschimmerten, zog Bodo von Sellhausen-Birkenfeld mit seiner jungen Gattin in aller Stille in den schönen Hof von Sellhausen ein, den beide unter so ganz verschiedenen Verhältnissen vor fast vier Monaten verlassen hatten. Von den wunderbarsten Empfindungen bewegt, sahen sie das erleuchtete Herrenhaus vor ihren Blicken aufsteigen, und da sie sich jeden lauten Empfang verbeten, waren es nur Fräulein Treuhold und Herr Hinz allein, die sie an der heimatlichen Schwelle empfingen, welche sie nun als wirkliche unantastbare Besitzer von Sellhausen überschreiten sollten.

Nur wenige Worte wurden zwischen den vier befreundeten Personen gewechselt, dann begaben sich die jungen Gatten in die sie erwartenden Gemächer, wechselten schnell ihre Kleider und, in warme Mäntel gehüllt, sehen wir sie eine Stunde später Arm in Arm auf die oberste Terrasse des Gartens hinaustreten, wohin sie zunächst ein tiefes Gefühl wunderbarer Übereinstimmung gezogen hatte.

Die Luft war mild und klar, der Himmel lächelte freundlich auf sie herab und blitzte ihnen mit seinen flackernden Lichtern wie mit Millionen liebevollen Augen herzliche Grüße und Glückwünsche zu. Kein trüber Nebel mehr umdüsterte die weite, weite Ferne, die jetzt vor ihren Blicken ausgebreitet lag, in ihren Herzen herrschte ein himmlischer Friede, wie auch die ganze Natur in süßester Ruhe um sie her schlummerte.

Da lenkte ein innerer unaufhaltsamer Trieb beider Schritt nach dem so geliebten Lindensaal, der freilich jetzt kein grünes Dach über ihnen wölbte, dafür aber leuchteten Gottes Sterne hinein und gossen mit ihrem milden Lichte einen süßen Schauer frommer und dankbarer Gefühle über sie aus.

»Sieh, Gertrud,« sagte da Bodo mit seiner vollen, klangreichen Stimme zu dem lieblichen Wesen an seiner Seite, »sieh, es lebt ein guter Geist dort oben. Nicht nur der Pfarrer hat es uns heute an heiliger Stätte verkündet, sondern es ist uns auch in dem letzten Vierteljahre mit untrüglicher Gewißheit bewiesen worden. O, meine teure, liebe Gattin, jetzt kann ich es dir sagen: in jenen schmerzlichen Stunden meines Lebens, als mir in Gegenwart jener höhnischen Menschen verkündet wurde: Du bist vater- und heimatlos, das heißt mit andern Worten: Du bist ein Ausgestoßener aus der menschlichen Gesellschaft, da zog sich mein Herz vor bitterem Weh krampfhaft zusammen, und ich stieß in der ersten Frische dieses Wehegefühls im Innern den Seufzer aus: O mein Gott, womit habe ich das verdient! Aber sieh, wie kurzsichtig und befangen ich war, denn an jenem andern Tage, als mir Frau Birkenfeld sagte, daß ich nicht vater- und heimatlos sei, daß ich sogar noch eine liebende und fürsorgende Mutter und einen reichen Besitz habe, noch mehr aber in diesem köstlichen, unschätzbaren Momente, wo ich dich als mir ganz gehörig mit meinen Armen umschließe, dich an mein Herz drücke, wo ich dich immer halten werde, da rufe ich: O mein Gott, womit habe ich das verdient?«

Aus Gertruds leuchtenden Augen drangen bei diesen Worten zwei Perlen, fast so klar und rein, wie das Licht der da oben blitzenden Sterne; sie legte ihren schönen Kopf an die starke Brust neben ihr, umschlang ihres Gatten Leib fester mit ihrem Arme und sagte mit einer Stimme, wie sie nur das voll und heiß liebende weibliche Herz senden kann:

»Und womit habe ich dies Glück verdient, dies von dir sagen zu hören? Frage die Sterne, mein Geliebter, sie wissen es, aber wir Menschen nicht, und der, der es uns sendet, hat vielleicht in unser Herz geschaut und erkannt, daß wir nicht ganz seiner unendlichen Liebe unwürdig sind.«

»Du magst es getroffen haben,« erwiderte Bodo sanft und innig, »ich habe wenigstens keine andere Erklärung, und so wollen wir uns damit begnügen. Jetzt aber – die kühle Nachtluft fängt an, sich bemerklich zu machen – komm in das Haus, und wir wollen unser Leben darin damit beginnen: zu wünschen, zu hoffen, daß unsere Unwürdigkeit alle Tage abnehme, damit wir einst ganz würdig sind, die Rätsel des Lebens an dem Quell aller Gnade und Barmherzigkeit gelöst zu sehen.«

So schritten sie langsam und unbemerkt in das stille Haus zurück, und alle Türen öffneten sich ihnen geräuschlos, aber alle Türen schlossen sich auch wieder hinter zwei vollkommen glücklichen Menschen, die nun die süße Frucht ihres unbescholtenen und makellosen Lebens genossen.

*

Am anderen Tage wurde auf der Cluus die Nachfeier der Vermählung des jungen Paares gefeiert. Boas hatte in fast trunkener Freude das schöne Erkerzimmer, in welchem die jungen Leute nun beständig wohnten, so oft sie auf der Besitzung der Mutter weilten, mit seinen Blumen in einen wahren Feentempel umgeschaffen, und »die alte Hexe« bewegte sich von der einen zum andern wie eine wundertätige Zauberin, die nur Glück und Wohltun um sich her streut, wo sie sich blicken läßt, aber selbst dabei am glücklichsten und zufrieden ist.

Am nächstfolgenden Tage kam man auf dem Meierhofe zusammen und dann wieder auf Sellhausen, wo Frau Birkenfeld bei gutem Wetter sogar einige Tage verlebte, um das Glück ihrer Lieben so oft und so lange wie möglich zu teilen. So setzte man das herrlichste Familienleben bis zum neuen Jahre fort und das Weihnachtsfest ward in süßester Eintracht auf der Cluus gefeiert, wohin denn auch der Meier mit seinen reichen Geschenken gekommen war. Erst in den ersten Tagen des neuen Jahres entschloß man sich, eine Reise nach Südtirol anzutreten, wohin Frau Birkenfeld bisher alle Jahre gegangen war. Die Heimat suchte man erst wieder auf, als von neuem die Knospen schwollen und die ersten Blätter ihr leuchtendes Grün entfalteten.

Von dem Glück der beiden jungen Leute während dieser Zeit wollen wir nichts sagen, das liegt in ihrem Wesen begründet, und selten wohl mag es zwei Gatten gegeben haben, die einträchtlicher, friedfertiger miteinander lebten, als Bodo und Gertrud.

Eine der glücklichsten Personen auf Sellhausen war die alte treue Seele, die ihren Namen mit Recht führte, wie ihr ehemaliger Herr schon so oft gesagt. Fräulein Treuhold war wie in eine neue Jugend getreten und ihr Leben trieb jeden Tag frische Blüten, worauf sie wohl nie mehr, am wenigsten in jenen vorher geschilderten trüben Stunden gerechnet hatte. Ähnlich erging es Herrn Hinz, der noch jetzt Verwalter auf Sellhausen ist und sich mit Recht rühmen darf, nicht nur der Diener, sondern auch der Freund seines Herrn zu sein, ein Glück, welches, wie man weiß, nicht jeder Diener eines so reichen und angesehenen Mannes genießt.

Nicht viel weniger beglückt war Rieke, denn ihr war es vergönnt, schon im Spätsommer des nächsten Jahres einen blühenden Erben auf der obersten Terrasse spazieren zu tragen und ihn die Nachtigallen im Lindensaal schlagen hören zu lassen, der sein grünes Dach voller und glänzender denn je über dem traulichen Naturtempel wölbte. Oft gesellte sich dann Frau Birkenfeld zu ihr, mit dem Erben spielend und scherzend und dankbar zu dem blauen Himmel aufblickend, daß er ihr auch noch diesen Genuß am Ende ihres langen Lebens vergönnt hatte.

*

Etwa zwei Monate nach jener ersten Hochzeit auf dem Meierhofe wurde noch eine zweite auf der Grotenburg gefeiert. Pilatus XXI. von Bökenbrink war nach langen Leiden selig entschlafen und Pilatus XXII., unser Freund, nun endlich, was er solange erhofft und ersehnt, selbständig in die ihm von Onkels Gnaden verbriefte Regierung eingetreten. Eine seiner ersten Regierungshandlungen bestand darin, daß er seine wohlaufgeputzten Goldfüchse vor sein hochrädriges Kabriolett spannen ließ, damit nach der Grotenburg fuhr und trotz der tiefen Trauer um den so eben heimgegangenen Oheim um die Hand der Prinzessin Klotilde warb, um so endlich die »zarte Blume«, die schon so lange die Königin seines Herzens gewesen, nun auch zur Königin in seiner neuen Herrschaft zu machen.

Fräulein Klotilde war bald entschlossen, die ihr zugedachte und schon lange von ferne gezeigte Krone anzunehmen, da es ihr endlich Zeit erschien, irgend einen Mann zu beglücken, wenn sie nicht früher oder später in eine gewisse, für solche Damen sehr unangenehme Kategorie des weiblichen Geschlechts gestellt sein wollte. Sie liebte zwar den steifen Pilatus nicht, wie sie bei ihrem kalten Herzen, das von Gleichgültigkeit gegen die ganze Welt starrte, überhaupt niemanden liebte, allein Pilatus liebte sie und da er sie außerdem noch wie ein echter Ritter der Vorzeit bewunderte, wovon er ja oft Zeugnis abgelegt, so sagte sie auf Befragen zu ihrer Mutter:

»Nun ja, wenn es denn sein muß und eine Dame wie ich notwendig einen Mann gebraucht, um mit Anstand und Würde durch die Welt zu gehen, da ihre Eltern sie nicht füglich ernähren können, so will ich Herrn von Bökenbrink »mit meiner Hand« glücklich machen; er ist mir zwar so gleichgültig wie jeder andere, aber das wird dir ja auch gleichgültig sein, wenn du nur eine Sorge weniger dadurch hast.«

Damit war alles gesagt und Pilatus XXII. verging fast vor Entzücken, als ihm die liebe Mama dieses köstliche Jawort, auf ihre Weise vornehm überzuckert, verdolmetschte. Bei weitem nicht so leicht zu erobern war indessen diesmal der Baron Grotenburg selber. Als Pilatus ihm seinen heißen Wunsch auf seine gewöhnliche, sehr kühle Weise vortrug, zuckte er hochmütig die Achseln, sagte, es sei ihm dieser Antrag zwar eine sehr große Ehre und er wisse das Zutrauen des alten Freundes vollkommen zu schätzen, allein – in seinen jetzigen Verhältnissen, wo alles Unheil über ihn zusammengebrochen – wo er so manchen kleinen Bären notwendig zu bezahlen habe, sei es doch immer eine bedenkliche Sache – für ein zartfühlendes Vaterherz –

»Herr Baron!« fiel ihm Pilatus in glühender Liebeswut in die schlau berechnete Rede – »schweigen Sie still, ich verstehe Sie. Wenn Sie Geld gebrauchen – 10 000 Taler – ich hatte sie Ihnen ja schon zu einem andern Zweck versprochen – sie stehen Ihnen zu Diensten, jeden Augenblick – und nie soll meine Linke erfahren, was meine Rechte damit getan – auf Ehre!«

Dieser Ausspruch soll, wie später der Leumund sagte, bei dem Herrn von Grotenburg von großer Ueberzeugungskraft gewesen sein, ja, einige Spötter nannten diese Summe sogar mit lachendem Munde ein im voraus gezahltes Reugeld, welches der Schwiegervater nur angenommen, um die kostbare Ausstattung zu bestreiten und – einige weitere kleine, sehr wild gewordene Bären damit loszukaufen. Genug, die zarte Verbindung kam zustande, sie wurde auf Schloß Grotenburg, wie sich von selbst versteht, mit fast fürstlichem Pompe begangen und drei Tage schwamm alles in überfließender Seligkeit, sogar der alte Schloßgraben, den man mit künstlichen Mitteln für diese Zeit etwas flüssiger gemacht hatte. Indessen den Tagen übersprudelnder Freude folgten sehr bald Tage höchst unerquicklicher Trübsal. Pilatus war einige Monate lang der aufmerksamste und zärtlichste Liebende von der Welt, nach dieser Zeit aber beruhigte sich seine heiße Leidenschaft auffallend schnell und es soll sogar Augenblicke gegeben haben, wo er aufrichtig bedauerte, daß Herrn von Sellhausen nicht das Glück zuteil geworden, welches er selbst nicht nur mit teurem Gelde, sondern mit einer noch teureren Erfahrung erkauft hatte.

Frau von Bökenbrink die zweiundzwanzigste zeigte sich nämlich, sobald sie ihre Krone fest auf dem Haupte fühlte, in einer ganz neuen Gestalt, wozu ihre Frau Mutter ihr, ganz wider Vermuten, ein helleuchtendes Vorbild geliefert hatte. Nicht allein entwickelte sich in ihr die Verschwendungssucht in einem fast unerhörten Maße, sondern sie zeigte auch Kraft und Gewandtheit genug, um wenigstens den Versuch zu wagen, einem Manne, wie Pilatus es war, die festgeschnallten Sporen auszuziehen. Allein so weit glaubte der echte Ritter es doch nicht kommen lassen zu dürfen. Er widersetzte sich standhaft diesem kühnen Beginnen und so gerieten »die jungen Eheleute« so heftig aneinander, daß schon nach kurzer Zeit ihre köstliche Residenz einem wüsten Turnierplatze glich, wo scharfe Lanzen gebrochen und gute Schwerterklingen schartig gemacht wurden.

Fast zu derselben Zeit aber machte Pilatus XXII. in seinem frommen Sinn eine leider noch unangenehmere Bemerkung. Daß er schon lange kein junger Mann mehr sei, sagte ihm täglich sein graues Haar, sein Dienstkreuz, ein nach und nach sich einfindendes Podagra und noch verschiedene andere nicht eben übermäßig interessante Dinge, nun aber mußte er zu seinem größten Leidwesen durch »die zarte Blume« erfahren, daß die so lächerlich große Welt fast übervoll von jungen Herren und Kavalieren sei, daß seine Königin sich alle Tage bald nach diesem, bald nach jenem Heldennachbar sehne und zuletzt in ihrer Menschenfreundlichkeit so weit herablasse, sich von einem jungen unerfahrenen Recken, der auch einmal mit ihm zusammen Hammel gezüchtet, so auffallend die Cour machen zu lassen, daß er genötigt war, ihn kraft eines donnernden Ukas' auf ewige Zeiten aus seinem Reiche zu verbannen.

Allein, das waren bei weitem noch nicht alle Leiden, die der arme Pilatus auszustehen haben sollte; worin dieselben jedoch bestanden, werden wir sogleich erfahren, wenn wir noch einen Blick auf die drei brüderlichen Schwäger werfen, wozu wir jetzt, wenigstens in flüchtigster Weise, schreiten wollen.

Fangen wir bei Baron Haas von Haasencamp auf dem Kolkhof an. Dem erging es eigentlich am traurigsten und noch dazu sehr bald nach dem Antritt seiner so unverhofften Erbschaft. Als er durch den Justizrat Backhaus die 20 000 Taler in schönen Bank- und Kassenscheinen bar ausgezahlt erhielt, ergriff den alten Mann eine beinahe kindische Freude, denn so viel bares Geld hatte er eigentlich nie in Händen gehabt. Er glaubte damit die ganze Welt kaufen und noch ein halbes Jahrhundert wie ein Fürst leben zu können. So bestellte er sich denn noch an demselben Tage in einem wahren geistigen Rausche sechs Kisten Champagner aus Rheims, sechs Oxhoft feinsten Burgunder, dreihundert Flaschen Johannisberger Kabinettswein und außerdem noch eine große Auswahl anderer leckerer Dessertweine, die er alle noch in seinem Leben trinken zu können vermeinte. Sodann aber fuhr er nach Kranenberg zu seinem Schwager, hielt mit ihm einen geheimen Familienrat unter vier Augen ab und beredete denselben, mit ihm nach der Grotenburg zu fahren, um die alte Freundschaft wieder zu flicken, die seit längerer Zeit einen so tiefen Riß erhalten hatte. Er wurde daselbst zwar kühl empfangen, da er aber seine Dienste für irgend einen Fall anbot und nichts von den seit langer Zeit vorgeschossenen Geldern zurückforderte, so nahm man ihn im ganzen wieder zu Gnaden an, betitelte ihn sogar wieder mit dem Namen: der alte Haas, als er schließlich bei Tische die Absicht enthüllte, wenn er einmal sterben sollte, was doch auch einmal geschehen müsse, seiner lieben Klotilde sein ganzes Vermögen, Haus und Hof, Küche und Keller zu hinterlassen.

So war er denn natürlich einer der angesehensten Gäste beim Hochzeitsmahle des »königlichen« Brautpaares gewesen – aber da war es auch, wo ihm, noch dazu beim Genusse seines frisch angekommenen Champagners, das größte Unglück seines Lebens begegnete. Er hatte vier Flaschen Burgunder, eine Flasche Johannisberger Kabinettswein getrunken und war eben bei der zweiten Flasche Champagner, als er wiederum den inneren Drang fühlte, einen schon im voraus mit wieherndem Gelächter begrüßten Toast auszubringen. Er fing ihn auch mit verschiedenen gelehrten Kunstausdrücken zu sprechen an, da hielt er mitten in der Rede inne, griff mit beiden Händen krampfhaft um sich und ohne daß diesmal die Flaschen »von selbst« umfielen, stürzte er rücklings zu Boden, aber diesmal außer stande, sich mit eigenen Kräften wieder zu erheben.

Nachdem er von vier guillotinierten Bedienten standesgemäß fortgetragen worden, nahm allerdings das begonnene Hochzeitsmahl seinen ruhigen Fortgang, denn ein solcher Unfall, früher schon so oft dagewesen, konnte ja auch diesmal nichts zu bedeuten haben; der arme Haas aber wurde besinnungslos nach Hause gefahren und als der Doktor Rüter aus B... erschien, erklärte er, ein Schlagfluß habe ihn getroffen, wie er ihn bei der Lebensweise des Herrn Barons schon lange vorher verkündet.

Haas starb zwar nicht an diesem Schlagfluß – eine so kernfeste Eiche fällt ja nicht auf den ersten Hieb – allein er lag gelähmt, halb bewußtlos und kindisch in seinem einsamen Bett, an welches nur selten seine Schwester, die Baronin Kranenberg, trat, um so häufiger dagegen Frau von Bökenbrink, um sich »liebevoll zu erkundigen, ob denn der unruhige Geist des armen Dulders noch nicht bald zur ewigen Ruhe eingehen wolle«.

Da saß denn nun »die unvergleichliche Köchin« an seinem Bette, pflegte und tröstete ihn, während sein rotnasiger Kellermeister »nach Pflicht und Gewissen« die edlen Weine probierte, die nun umsonst für so vieles Geld verschrieben worden waren. In diesem Zustande lag er noch lange, bis endlich auch sein ruheloser Geist zur ewigen Ruhe einging und seine geringe irdische Hinterlassenschaft an Frau von Bökenbrink fiel, die zum Beweise ihrer grenzenlosen Trauer den Kolkhof sofort verkaufen ließ und für den Erlös desselben sich eine Menge schöne Equipagen, Pferde, kostbare Kleider und dergleichen anschaffte, um als lachende Erbin in elegantester Form im Kreise ihrer Gesinnungs- und Standesgenossen würdig »repräsentieren« zu können.

Auf Schloß Kranenberg dagegen ging es etwas heiterer zu. Der lammfromme Ambrosius war, sobald er seine Erbschaft in die Hände bekam, nach der Stadt gefahren, hatte sich ein Dutzend prächtiger Meerschaumköpfe, mit echtem Silber beschlagen, ausgesucht, die ein neues Bild an einer noch leeren Wand herzustellen bestimmt waren, und außerdem einige Dutzend neuer Spielkarten gekauft, um die alten abgegriffenen endlich beiseite legen und das herrliche Patiencespiel mit sauberen Fingern ausführen zu können. Da saß er nun vom frühen Morgen bis zum späten Abend in seiner dampferfüllten Stube und ergötzte sich »in seinem Gott vergnügt« mit sich selber – eine Existenz, die in Wahrheit zu beneiden ist, wie uns jeder leidenschaftliche Patiencespieler gewiß aufs Wort glauben wird.

Die fromme Theodolinde dagegen fuhr in ihrem klösterlichen Zimmer völlig ungestört zu beten fort und ihr großer Beistand in aller Not, der schattenhafte Kaplan Kattengold, half ihr in wahrer christlicher Liebe dabei aus allen Kräften. Wie nahe beide dadurch schon dem Himmel gerückt sind, wissen wir nicht, jedenfalls aber werden sie einst die Pforte weit geöffnet finden, durch die wir arme, weniger fromme Sterbliche, wenn unser Stündlein gekommen, gewiß gebückt und in sehr verkrümmter Gestalt werden kriechen müssen. –

Auf der Grotenburg endlich ging es, wie es eigentlich nicht anders gehen konnte. Baron Grotenburg wurde verklagt und wieder verklagt, und endlich, um allen Plackereien seitens seiner »gemeinen« Gläubiger überhoben zu sein, bezahlte er mit seines Schwiegersohns Reugelde den drückendsten Teil seiner Schulden, während die 20 000 aus dem Verkauf von Sellhausen geflossenen Taler sogleich von der Baronin als ihr unantastbares Eigentum mit Beschlag belegt wurden, von dem sie ihrem Mann keinen Groschen gab, auch wenn er in die größte Not geriet, was bei ihm in der Folge nur zu häufig der Fall war.

Da die kluge Frau jedoch ihr Geld nicht auf Zinsen legte, die ja viel zu wenig für ihre Bedürfnisse abwarfen, sondern lustig mit dem Kapitale wirtschaftete, so nahm auch dies Geld einen wahrhaft staunenerregend schnellen Abschied und nun war bei dem Baron wirklich der Ruin hereingebrochen und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Schloß und Gut nebst Schloßgraben, der leider nicht davon zu trennen war, zu verkaufen, wodurch es denn in die Hände seines bisherigen Pächters fiel, der es auch jetzt noch besitzt und mehr Metall daraus zu ziehen versteht, als der freiherrliche Mann, der so viele Ahnen und doch nicht die geringste Ahnung hatte, daß er ganz allein an seinem und der Seinigen Unglück schuld sei.

Da beide vereinsamte Ehegatten nun heimatlos geworden waren, benutzten sie eine schwache Stunde des sporenkundigen Ritters und bürgerten sich auf seinem Gute ein, ihm einen Zuwachs von Glückseligkeit ins Haus bringend, auf den er in früheren blumenduftenden Zeiten gewiß nicht gerechnet. Indessen der gute Mann hatte so viele schwere Lasten zu tragen, daß es ihm auf eine mehr oder weniger nicht ankommen konnte, und so ertrug er sie wie ein echter Ritter »ohne Groll und Murren«, dadurch am besten beweisend, daß er gegen das Ungemach und Leid der Welt zehnfach gepanzert und gestählt war.

Nur eine Freude noch, aber gleich darauf auch einen um so niederschlagenderen Schmerz sollten die Grotenburger im Laufe der nächsten Jahre erfahren – doch diese dem Leser mitzuteilen, ersparen wir uns, bis wir zu dem Ende unserer noch übrigen Mitteilungen gelangt sein werden.

Wenden wir uns jetzt vielmehr noch einmal nach der stillen Cluus, um auch von ihr und den daselbst verkehrenden guten Menschen Abschied zu nehmen.

Die beiden letzten Jahre ihres Lebens brachte Frau Birkenfeld wie eine in Wahrheit von Gott reichlich gesegnete Erdenwallerin zu. Umgeben von ihren geliebten und liebenswürdigen Kindern, mit denen der Meier von Allerdissen sie fast täglich besuchte, merkte sie selbst nicht, daß endlich ihre leiblichen Kräfte schwanden, da ihr Geist bis zum letzten Augenblick frisch und heiter blieb. So legte sie sich eines Abends ruhig und seelenvergnügt zu Bett und am Morgen fand sie Dina, die bei ihr schlief, sanft eingeschlummert liegen. So war sie in jene unbekannten Regionen hinübergegangen, ohne die Furcht vor dem Tode kennen gelernt zu haben, die so vielen reichen Leuten die letzten Stunden des Daseins verbittert. Das Leben war ihr keine Bürde gewesen, die ihre Kräfte überstiegen hätte, und sie hatte die Gaben, die ihr Gott verliehen, reichlich zu nützen und wohl anzuwenden gewußt. An ihrer Gruft, die nach ihrem Wunsche zwischen den Bienenhäusern bereitet ward, wurden aufrichtige und dem innersten Herzen entströmende Tränen vergossen, nicht aus Freude, daß sie dahingegangen, nicht aus Schmerz, daß sie ihnen genommen sei, sondern aus reinster Dankbarkeit, denn daß sie allein es gewesen, die zwei edle Menschen glücklich und viele andere weniger unglücklich gemacht, das konnte mit Wahrheit von ihr behauptet werden.

Am Tage nach der Beerdigung, die an einem mildwarmen Junimorgen stattfand und die ganze Bewohnerschaft des die Cluus umgebenden Landes herbeigezogen hatte, wurde nach dem Wunsche der Verstorbenen in Gegenwart des Legationsrats von Sellhausen, des Meiers zu Allerdissen und des Justizrats Backhaus, die sämtlich zu Testamentsvollstreckern ernannt waren, der letzte Wille der reichen Witwe eröffnet. Das Testament war sehr lang, aber wir teilen daraus nur die uns interessierenden Punkte mit.

Zunächst war der unmittelbaren Umgebung der Entschlafenen gedacht, der sie nochmals für die vielen Dienste dankte, die sie ihr während eines so langen Lebens so liebevoll hatte zuteil werden lassen. Boas und Dina erhielten jedes tausend Taler und die Erlaubnis, bis an ihr Lebensende in der Cluus wohnen zu dürfen, wobei dem Haupterben die Verpflichtung auferlegt war, für ihre Bekleidung und Ernährung nach besten Kräften Sorge zu tragen.

Meister Fährmann erhielt fünfhundert Taler und ebenfalls Wohnung an der Weser und feststehenden Lohn für seine ganze Lebenszeit.

Desgleichen waren viele umwohnende ärmere Familien reichlich bedacht und deren gab es eine große Zahl, so daß eine ansehnliche Summe an sie verteilt ward.

Ein großer Teil des ungeheuren Vermögens, das sich weit über eine Million belief, fiel demnächst an ein neu zu gründendes Witwen- und Waisenhaus zu B... Ferner ward die Summe von 50 000 Talern zur Stiftung eines Gesinde-Kranken- und Versorgungshauses ausgesetzt.

Der Justizrat Backhaus erhielt 10 000 Taler für seine Jahre lang treulich fortgesetzten Bemühungen in Angelegenheiten der Verstorbenen, nachdem er schon vor ihrem Ableben für seine letzten Mühewaltungen in betreff des Sellhausen'schen Gutes eine reiche Belohnung empfangen hatte.

Der Meier zu Allerdissen erhielt einige wertvolle Andenken von ihr und ihrem verstorbenen Manne, wobei die feste Überzeugung ausdrücklich ausgesprochen war, daß er gerade in diesem geringen Vermächtnis ihre Liebe und Anhänglichkeit erkennen werde, da sie wohl wisse, daß er kein Mann sei, der nach größerem Reichtum Verlangen trage und der überdies von Gott mit Gütern sowohl, wie mit dem besten Gut auf Erden, mit braven Kindern, reichlich gesegnet sei.

Die Cluus und das zuletzt übrig bleibende, sicher angelegte Kapital fiel an den Haupterben Bodo von Sellhausen-Birkenfeld, der dadurch fast der reichste Mann des ganzen kleinen Landes ward.

Nachdem die Erblasserin dann noch verschiedene Bestimmungen über mancherlei Einzelheiten getroffen, lautete der letzte Paragraph ihres Testamentes folgendermaßen:

»Nun habe ich aber noch über ein schönes Besitztum zu verfügen, welches mir während einer langen Reihe von Jahren ungemein wohlgetan hat und welches ich daher jemanden zu hinterlassen wünsche, der es nach seinem vollen Wert wirklich zu schätzen weiß. Dieses Besitztum vererbe ich daher meiner Nichte Amalie, Baronin von Grotenburg, zum ewigen Angedenken an mich und als sprechenden Beweis meiner dankbaren Anerkennung, daß sie mir im Laufe meines Lebens so viele Beweise ihrer warmen Liebe und Anhänglichkeit gegeben hat. Möge es ihr dieselben Dienste leisten, die es mir geleistet hat, und möge es länger in ihrem Besitze bleiben, als es mir leider durch den unerbittlichen Tod gestattet war, dem ich übrigens mit der heitersten Ruhe entgegengehe, in der Hoffnung, daß dasselbe Glück einst meiner Nichte in gleichem Maße beschieden sein möge.«

Der kostbare Gegenstand dieses Schlußparagraphen aber war der grüne Pelz, den die Verstorbene fast Tag und Nacht, im Winter und im Sommer getragen und der in seiner Unschuld die Ursache des Namens gewesen war, den ihre liebevollen Verwandten der alten Dame seit langer Zeit selbst beigelegt hatten.

Als Bodo von Sellhausen nach einigen Tagen von der Cluus aus, wo er seit dem Tode der Frau Birkenfeld mit seiner Familie Wohnung genommen, der Frau Baronin von Grotenburg eine Abschrift des Testamentes und besagten Pelz übersandte, war es im ersten Augenblick eine ungeheure Freude, die die so liebevoll Bedachten ergriff, in der plötzlich aufblitzenden Hoffnung, die schreckliche Tante, der alte Drache, werde noch in ihren letzten Tagen zur endlichen Einsicht gekommen sein und ihnen einen Teil ihres großen Vermögens zugewandt haben. Allein wie erschrak die vornehme Dame und ihr Gemahl, als sie das Testament bis zu Ende gelesen und nun ihre endliche Errungenschaft in vollem Glanze vor Augen hatten.

»Pfui, tausendmal pfui!« rief die stolze Baronin und spie höchst vornehm auf das vor ihr liegende Paket hin, »das ist die ärgste Satire und Bosheit, die diese Megäre in ihrem Leben an uns begangen hat! Aber wart', das wird ihr im Himmel angerechnet werden, und sie mag meinen heißesten Dank mit hinterher nehmen, um da oben recht weich und warm gebettet zu werden. Ha! die alte frostige Seele, nur sie konnte auf einen so verrückten und niederträchtigen Einfall kommen! – Aber Grotenburg, was tust du da? Du öffnest das verfluchte Paket? Pfui, schäme dich, Mann, wirf es deinem Hunde hin, damit er sanft darauf schlafen kann.«

»Aber Amalie,« erwiderte der Ehegemahl traurig, der schon damals einen sehr leidenden und krankhaften Zug in seinem vergrämten Gesicht trug, »so schimpfe doch nicht so unmenschlich über etwas, was einmal nicht zu ändern ist. Ich habe es ja immer gesagt, daß es so kommen wird, so kommen muß, und nun ärgere ich mich nicht mehr darüber, wie ich mich über nichts mehr auf der Welt ärgere. Ah, da – da ist der grüne Pelz – sieh' ihn an, er ist so übel nicht, wie ich dachte.«

Amalie von Grotenburg warf aus ihrem dämonisch funkelnden Auge einen verächtlichen Blick auf das »lumpige« Kleidungsstück der alten Hexe, als sie es aber gleich darauf in näheren Augenschein nahm, fand sie, daß der Pelz in der Tat ein echter Zobel sei und daß er sich am Ende doch noch – wenn nicht tragen, doch wenigstens anderweitig entsprechend verwerten lasse.

Als sie aber mit diesem Gedanken zum Vorschein kam, schrie der Baron, der nach und nach einen ganz anderen Ton gegen seine »teure« Amalie annehmen gelernt: »Nein, verkauft wird er nicht, das sage ich dir. Du hast jetzt nur zu erklären: willst du ihn haben oder nicht? Wo nicht, so lasse ich mir einen Leibpelz daraus machen, mir wird er noch treffliche Dienste leisten, denn ich fange schon jetzt im Sommer an zu frieren, wenn ich an unsern trostlosen Winter denke.«

»Grotenburg!« kreischte die teure Amalie. »wie, du unterstehst dich, mein Erbteil in Anspruch nehmen zu wollen? Das wäre mir etwas! Nein, das erbärmliche Ding gehört mir allein, ich werde meine Füße darauf setzen und bei jedem Tritt denken, daß der alte Drache ihn noch in der Erde fühlt. Haha! Das ist auch ein Genuß!«

*

Als der Verfasser dieser Erzählung im Jahre 1850, den rasselnden Sarras an der Seite und die verrostete Feder in der Tasche, den Wintermarsch nach Hessen mitmachte, wozu ihn seine dienstliche Stellung nötigte, kam er eines Tages auf Sellhausen ins Quartier und verbrachte einen Ruhetag und später noch mehrere daselbst. Es war ein bitterkalter Dezembertag und eine dichte Schneedecke verhüllte die weiten Gefilde des schönen Wesertales, als wir in den belebten Hof einzogen. Im Herrenhaus zu Sellhausen aber schien der ewige Frühling zu herrschen, denn der Wirt und die Wirtin verstanden denselben sogar mitten im Winter über sich und andere hervorzuzaubern. Solche Menschen, wie ich in diesen beiden Gatten fand, habe ich nur selten auf der Welt gefunden und es ist eine angenehme und schöne Pflicht für den Dichter, seine Dankbarkeit durch Enthüllung seiner Gesinnung und Empfindung an den Tag zu legen, wenn ihm eine so günstige Gelegenheit dazu geboten wird. Mir ward diese Gelegenheit auf Sellhausen in jeder Weise zuteil und ich verdanke der Freundschaft und dem Wohlwollen meines damaligen Wirtes einige der genußreichsten Tage meines Lebens. Nicht allein ließ er mich von dem Zimmer aus, worin er als junger Mann gewohnt und gearbeitet und wo ich nun selber wohnte, einen freien Blick über das schöne offene Wesertal werfen, sondern er ließ ihn auch in sein Inneres dringen, und was ich da zu sehen das tief empfundene Glück gehabt, das habe ich versucht, in diesen Blättern kundzutun, die es sich zur Aufgabe gemacht, das eigentümliche Leben und Wirken des grünen Pelzes, sowie das ihrer Verwandten einem größeren Leserkreise darzubieten, wozu mir die Erlaubnis von Herzen gern erteilt wurde, wenn ich mich dazu verstände, Dinge und Örtlichkeit dergestalt zu verhüllen, daß kein kritisches Auge imstande sei, die wirklichen Personen unter der Maske des Dichterwerks wiederzuerkennen.

Dieser Pflicht glaube ich vollständig genügt zu haben, und indem ich dies Buch selbst den Bewohnern von Sellhausen als verspätetes Gastgeschenk mit dem herzlichsten Gruße verehre, sage ich ihnen noch einmal meinen Dank, daß sie mich in so unruhigen und betrübten Zeiten, wie sie uns 1850 zuteil wurden, an ihrem Herde gewärmt, an ihrem Tische gelabt und mit der köstlichen Mitteilung ihres Lebens wunderbar erheitert haben, so wunderbar, daß ich noch jetzt die innigste Freude empfinde, wenn ich an jene unvergeßlichen Stunden zurückdenke, die mir noch lange ein Genuß im Leben sein werden, wenn ich auch nicht mehr die Feder zu führen und meinen Freunden mitzuteilen imstande bin, was ich Schönes und Herrliches auf dieser seltsamen Erde gesehen und wie viel vortreffliche und edle Menschen ich auf derselben kennen gelernt habe.

Ende.


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