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Siebentes Kapitel.
Der Sohn des grünen Pelzes.

Bodo glaubte seinen Sinnen nicht trauen zu dürfen, als er sich so plötzlich und fast gegen seinen Willen in dieses geräumige Zimmer versetzt sah, welches, im Innern auf das Reizendste ausgestattet, nach außen hin die weiteste Fernsicht über das schöne Wesertal bot. Aber das war ja für den Augenblick nicht die Hauptsache darin, vielmehr war es die junge Dame, der er sich so unverhofft gegenüber befand und die mit lächelndem Gesicht, fast verschämt, von ihrem Platz im Erker her dem Eintretenden entgegengeschritten kam. Bodos Auge schaute wie gebannt auf sie hin – wo hatte er dies Gesicht gesehen, das so lieblich, so frisch, so holdselig lächelnd ihn betrachtete, und womit doch eine zarte Scheu sich verband, die in dieser eigentümlichen Lage so natürlich war. Diese junge Dame, deren blondbraunes Haar ihren edlen Kopf in reicher Fülle umgab, war in ein sommerliches, duftiges Gewand gehüllt, das in weiten Falten um ihre schlanken Hüften floß und, bis über die vollen Schultern reichend, nur den weißen Hals sichtbar werden ließ, der in diesem Augenblick, wie das ganze Gesicht, von einem rosigen Schimmer überflutet erschien.

»Herr von Sellhausen!« sagte da eine Stimme, deren melodischer Tonfall in Bodos Herzen einen mächtigen Widerhall fand, »Sie sind es endlich selbst? Wie? Und Sie kennen mich nicht? Ah, freilich, Sie haben mich ja noch nie in städtischen Kleidern gesehen, und vielleicht bin ich Ihnen auch fremd geworden, seitdem wir am Morgen des ersten August voneinander Abschied nahmen.«

»Gertrud!« rief Bodo, die beiden ihm freudig entgegengestreckten kleinen Hände ergreifend, indem alle Wolken und Nebel vor seinen Augen niederfielen – »Gertrud! Ist dies das frohe Wiedersehen, welches Sie mir verheißen haben. O, mein Gott!«

»Das ist es, mein Freund, ja!« erwiderte sie und drückte warm und lebhaft die beiden Hände wieder, die die ihrigen mit heißem Drucke umspannten.

Es dauerte nicht lange, so saßen sie traulich auf dem Sofa nebeneinander, sahen sich liebevoll in die Augen und lächelten sich glücklich zu – Worte aber fanden sie beide nicht, denn es loderte in ihren Herzen eine zu stürmische Glut auf, als daß sie alles hätten sprechen können, was auf ihrer Seele lastete. Da aber ermannte sich Bodo endlich und sagte: »Gertrud, teure Gertrud, verzeihen Sie mein so langes Stillschweigen, aber auf meinem Geiste liegt es wie ein wüster Traum, und ich kann mich nur langsam in die Wirklichkeit des Lebens zurückfinden. Diese Frau – Ihre Tante Grete – o was ist das für ein seltsames Wesen!«

»Nicht wahr? Aber sie ist gut, man muß nur ihre Art und Weise verstehen. Verstehen Sie sie denn jetzt?«

»Fast glaube ich es, aber ich selbst verstehe mich noch nicht recht.«

»Aber ich – verstehe Sie ganz.«

»Ich wollte, es wäre so, und doch – doch habe ich noch nicht Ihre Antwort vernommen, auf das, was ich in Sellhausen zu Ihnen sprach.«

»Sie haben mir Geduld angeraten, und diesen Rat habe ich streng befolgt. Ich bin recht – recht geduldig gewesen. Es hat zwar etwas lange gedauert, bis Sie sich zu einem Besuche auf der Cluus entschieden, aber jetzt sind Sie ja da, die Geduld wird belohnt, und daß Sie gerade heut gekommen, habe ich wieder der Tante Grete zu verdanken.«

»Wieso das?«

»Ei, das ist ja natürlich. Sie hat meinem Vater aufgetragen, dafür zu sorgen, daß Sie kämen, und es muß ihm möglich geworden sein, denn, ich sehe Sie ja vor mir und zwar« – hier lächelte sie auf eine unbeschreiblich innige Weise – »als den Sohn meiner guten Tante Grete.«

Bodo schauerte unwillkürlich zusammen, aber seine Hand faßte die Gertruds fester, als fürchte er, sie wieder verlieren zu können. »Ach ja,« sagte er, »das haben wir ja noch gar nicht besprochen. Und doch ist es so notwendig. O, was ist mir alles seit dem ersten August begegnet! Einen Vater habe ich verloren –«

»Und einen anderen, besseren wiedergefunden – ich weiß das alles, wir brauchen kaum noch darüber zu reden, denn mir ist jetzt nichts mehr ein Geheimnis.«

»Sie wissen das? O, das nimmt mir eine große Last von der Seele, dann brauche ich Ihnen meine Lage nicht mehr auseinanderzusetzen.«

»Nein, das brauchen Sie nicht, dafür, wie für alles Übrige, hat Tante Grete gesorgt.«

»O nein, Gertrud, nicht für alles Übrige. Es bleibt noch viel zwischen uns zu tun übrig – meinen Sie nicht?«

»Viel? Was denn zum Beispiel?«

»Sie haben mir weder auf meinen Brief geantwortet, noch auf jene Worte, die ich Ihnen in Sellhausen sagte.«

»O, das erstere ist ja nicht mehr nötig – meine Antwort auf ihren Brief gebe ich ja hier mit meiner Person selbst – und auf das, was Sie mir in Sellhausen sagten, bedarf es wohl kaum einer solchen – sollte sie aber dennoch nötig sein, so trage ich sie schon lange auf der Seele.«

Gertrud hatte bei diesen Worten ihre Augen niedergeschlagen, Bodo aber hob die seinen hoch empor und ließ sie, sehnsüchtig forschend, auf ihren lieblichen Zügen ruhen. Die letzte trübe Wolke, die noch auf seinem Geiste lag, schwand rasch, und ein heller Strahl reinsten Lichtes umwob seine ganze Seele, als wäre sie in ein Meer von wonnevoller Seligkeit getaucht. »Ich habe aber noch keine gehört,« sagte er still und sanft, »obwohl ich mich innig danach gesehnt. Wie es in meinem Herzen aussieht, wissen Sie, aber was in dem Ihren vorgeht, das haben Sie mich noch nicht erraten lassen.«

»Nicht?« fragte da ein rosiger Mund mit zärtlichem Lächeln, und zwei große blaue Augen richteten sich mit wunderbarer Innigkeit auf sein Antlitz hin. »Also ich soll es wirklich aussprechen? Nein, ich kann das nicht – aber vielleicht tut es dieses Blatt hier für mich –«

Dabei zog sie rasch ein versiegeltes Blatt aus dem Busen und hielt es hoch und freudig nach ihm hin.

»Wie?« rief Bodo, der es auf der Stelle erkannte, mit fast glühender Hast. »Ah, das hatte ich ganz vergessen –«

»Aber ich nicht –«

»Sie haben es aber nicht einmal geöffnet?«

»Und doch weiß ich, was darin steht –«

»Wirklich? Wissen Sie es? O, so lesen Sie es doch, und dann sagen Sie mir, ob Sie damit einverstanden sind!«

Gertrud öffnete die ihr übergebene Verlobungskarte, die ihr einst eine so traurige Nacht bereitet, mit zitternder Hand und wollte sie vorlesen, aber sie vermochte es nicht, nachdem sie einen flüchtigen Blick darauf geworfen hatte. »O nein!« flüsterte sie verschämt, aber unwillkürlich näher an des Geliebten Seite rückend, »ich kann es doch nicht. Lesen Sie lieber selbst – das wird besser und schöner in meinem Herzen wiederklingen.«

Bodo nahm das Blatt und las mit leiser Stimme:

 

»Die Verlobung meiner einzigen Tochter Gertrud mit dem Legationsrat a. D. Herrn Bodo von Sellhausen auf Sellhausen beehrt sich hiermit ergebenst anzuzeigen

Meier zu Allerdissen.«

 

»Wie,« rief er dann laut und stürmisch, »sind Sie denn damit einverstanden?«

Sie antwortete ihm wieder nicht mit hörbaren Worten, aber ihre Hände umfassten fester die seinigen, und ihr Kopf sank leise auf seine Schultern hin.

*

Lassen wir die Glücklichen, die sich nach dieser Enthüllung ihrer Gefühle so unendlich viel zu sagen und zu erklären hatten, eine Stunde allein. Sie hatten sich ganz und für ewig gefunden, und das sagten sie sich mit leisen und lauten Worten wohl tausendmal, wie ihre Augen und Hände es ebenso oft bestätigten. Nach Verlauf dieser Stunde aber sehen wir sie Arm in Arm und Hand in Hand die Treppe hinunter schlüpfen und in Frau Birkenfelds Zimmer treten, wohin sie sich aus innerstem Drange ihres Herzens gezogen fühlten, um der seltsamen Frau ihren warmen Dank auszusprechen. Aber das sollte ihnen nicht so leicht werden, wie sie es sich gedacht, denn wie Tante Grete niemandem gestattete, Rechenschaft zu fordern für irgend etwas, was sie getan, so liebte sie es auch nicht, sich Dank sagen zu lassen, wenn ihr Herz aus innerem Bedürfnis jemandem eine Wohltat erwiesen.

Sie fanden die alte Frau vor dem Bilde ihres verstorbenen Mannes stehend und die Züge desselben mit denen einer kleinen Photographie vergleichend, die sie in der Hand hielt.

»Frau Birkenfeld!« sagte Bodo mit ergriffener Miene und leise bebender Stimme.

»Was wollen Sie hartnäckiger Mensch?« sagte sie lächelnd, als sie das liebende Paar, innig aneinander geschmiegt, vor sich stehen sah. »Sie haben mir nur eine Antwort zu geben, nach der ich vorher vergeblich gefragt: sind Sie mit der Braut zufrieden, die ich Ihnen ausgewählt, oder nicht?«

»Nein,« erwiderte Bodo mit fest blickendem Auge, »ich selbst habe mir dieselbe gewählt, lange bevor ich Ihren Wunsch in dieser Beziehung kennen gelernt.«

»Ah ja, Sie sind ein Mann, und das wollen Sie mir damit nur beweisen, ich verstehe Sie.«

»Nein, Frau Birkenfeld, ich komme vielmehr, um Ihnen meinen heißesten Dank zu sagen –«

»Still – nichts von Dank!« unterbrach sie ihn. »Beweisen Sie es Ihr ganzes Leben hindurch, daß Sie meiner Liebe würdig waren, das ist der einzige und beste Dank, den Sie mir abtragen können. Und nun kein Wort mehr darüber. Daß Ihr glücklich seid, sehe ich, Ihr braucht es mir also nicht noch zu verkünden, und ich – o Gott ja – ich bin es auch. Komm her, Kleine, küsse mich, und Sie – Sie eisenfester Mann, da haben Sie meine Hand!«

»Darf ich denn nicht auch einmal an Ihrer Brust ruhen?« fragte Bodo weich, nachdem Gertrud sie innig umschlungen und herzlich geküßt hatte.

Der Alten kam eine Träne in das Auge, aber sie sprach kein Wort. Nur öffnete sie ihre Arme, und ihren Kopf eine Weile an Bodos Brust legend, weinte sie still vor sich hin. Dann aber, als schäme sie sich dieser natürlichen Tränen, ermannte sie sich schnell, trat von ihm fort und sagte fest: »Nun ist es vorbei – alles ist überstanden, und Gott allein sei Dank dafür gebracht. Aber sehen Sie einmal da – finden Sie noch die Ähnlichkeit beider Gesichter heraus?«

Bodo warf einen Blick auf die kleine Photographie, die sie wieder vom Tisch genommen, und erkannte zu seiner Verwunderung sein eigenes Bild, welches einst in seinem Album gefehlt hatte und nun in einem neuen Abdruck hier vor ihm lag. »Woher haben Sie dieses Bild?« fragte er mit erstauntem Gesicht.

»O, o! Machen Sie nur keine so krause Miene!« sagte die Alte mit ihrem komischen Ernste. » Ich habe es Ihnen nicht genommen, aber die da – die hat es mir heimlich gebracht –«

»Aber doch nur auf dein Geheiß, liebe Tante!« rief Gertrud, hoch errötend. –

So war denn Bodo auch dieses Rätsel gelöst, und noch manches andere sollte ihm im Laufe dieses merkwürdigen Tages klar werden. –

Unterdessen war der Mittag herangekommen, und man mußte daran denken, auch für die Bedürfnisse des Leibes zu sorgen, da der Geist und das Herz allein nicht den Körper nähren. Bodo und Gertrud verhielten sich bei Tische still, ihr Herz war zu voll, ihr Gemüt zu tief bewegt, um sich in vielen Worten ergehen zu können, dafür aber war Tante Grete um so gesprächiger, sie erzählte in rascher Redeweise der Reihe nach alles, was sie seit der persönlichen Bekanntschaft mit Bodo sich ausgedacht, was sie für Pläne geschmiedet und wie sie dieselben nun auszuführen entschlossen sei, wenn Gott ihr so lange das Leben lasse.

So war auch die Speisestunde rasch vorübergegangen, und man wollte sich eben in den schönen Garten begeben, als Frau Birkenfeld noch vorher zufällig einen Blick durch das Fenster warf und dann plötzlich ausrief:

»Ah, da ist sie – die Baronin Grotenburg, wenn ich nicht irre. Ja, ja, sie ist es. Nun ist mir alles klar. Sie hat ihren Mann nach der Stadt begleitet und ihre spitze Nase auch in das Hypothekenbuch gesteckt. Aha! Sie weiß also, wer ihr das Kapital gekündigt hat und wem sie von jetzt an gegenüber steht. Gut. Na, diesmal ist sie mir willkommen, nun kann alles mit einem Male abgetan werden. Aber heute echauffiert sie mich nicht, und unsere Unterhaltung soll nicht lange dauern. Geht in das Zimmer da, Kinder, und setzt Euch unter das Bild. Wenn ich Euch brauche, werde ich Euch rufen, eher aber rührt Ihr Euch nicht von der Stelle und noch weniger mischt Ihr Euch in meine Angelegenheiten.«

Bodo und Gertrud begaben sich dahin, wohin sie der Wille der Witwe beschied, nicht erbaut zwar von dem neuen störenden Besuch, aber auch nicht gar betrübt, denn ihr Herz kannte an diesem Tage keine Wolken und Nebel mehr.

Frau Birkenfeld aber setzte sich in ruhigster Weise auf ihren Stuhl am Fenster, ergriff eins ihrer wollenen Strickzeuge, nahm ihre blaue Brille vor und erwartete mit größter Gelassenheit ihre vornehme Frau Nichte, die schnell den grünen Abhang emporstieg, die schöne Umgebung keines Blickes würdigte und, sich völlig unbeachtet wähnend, mit stolzen Schritten ihrem nächsten Ziele zuging. Ihre Hand setzte die alte Schelle in kräftige Bewegung, das ganze Haus schallte wieder von dem lauten Klange, und Dina sprang erschrocken herbei, um nachzusehen, wer es am heutigen Tage, wo ihre Gebieterin so glücklich sei, wage, mit so heftiger Ankündigung Einlaß zu begehren.

»Ist Frau Birkenfeld zu Hause?« ließ sich die scharfe und harte Stimme der Baronin vernehmen.

»Wen habe ich die Ehre zu melden?« fragte Dina, obgleich sie den Besuch recht gut erkannt hatte.

Die Baronin warf ihr einen verächtlichen Blick zu und sagte mit vornehm zurückgeworfenem Kopfe: »Die Baronin Grotenburg! Aber schnell!«

Als Dina hereintrat, um ihre Meldung zu machen, erhob Frau Birkenfeld die Hand und sagte gleichgültig: »Ich habe es schon gehört – laß sie herein!«

Die Baronin war an diesem Tage nach ihrer Meinung einfach, aber dabei sehr kostbar gekleidet. Sie trug ein schwarzes Damastkleid mit reichlicher Schleppe und von einem Umfang, daß der dazu verwandte Stoff wenigstens für zwei gemeinere Menschen ausgereicht hätte. Ein kleines Sommerhütchen, bunt mit Blumen und Federn garniert, saß trotzig auf dem steifgetragenen Kopf, und um ihre diesmal verhüllten Schultern war nachlässig eine feine schwarze Spitzenmantille geworfen. Ihre Miene aber war wahrlich nicht die einer Person, die mit einer Bitte kommt, vielmehr die einer entrüsteten Dame, die gerechten Grund zu bitteren Vorwürfen in sich trägt und die sich nur aus Rücksicht gegen eine ältere Frau in gewissen Schranken hält, eine Miene, die sie selbst für so demütig und bescheiden hielt, wie sie ein Mensch von Rang und Stand nur irgend annehmen kann.

Sie wollte sogleich zu reden beginnen, als sie ins Zimmer trat, allein Frau Birkenfeld kam ihr mit raschem Entschlusse zuvor – eine seltene Erscheinung bei ihr, die die Frau Baronin hätte etwas aufmerksam machen sollen. »Ah,« sagte sie ruhig, »da sehe ich ja mal die Frau Baronin Grotenburg bei mir! Gut, gut, du kommst gerade zur rechten Zeit, mein Kind, und findest mich in der besten Laune, was nicht häufig der Fall ist. Setz' dich – dorthin, wenn ich bitten darf, und nun sag' rasch, was du willst, ich habe heute nur wenig Zeit für unnützes Geschwätz übrig.«

»Liebe Tante,« begann die Baronin, »ich bin heute nicht wegen unnützen Geschwätzes zu dir gekommen, sondern in einer höchst wichtigen und betrübenden Angelegenheit, die mich dergestalt außer Fassung gebracht hat, daß ich eigentlich noch nicht weiß, wie ich so rasch habe den Berg ersteigen können. Du wohnst wirklich sehr unbequem hier.«

»Für dich, ja, das mag sein; für mich nicht. Doch zur Sache. Was willst du?«

»Ich bin mit Grotenburg in der Stadt gewesen!« stieß die Baronin mit vor innerer Wut zitternden Lippen hervor.

»Ah!« rief Frau Birkenfeld, legte Strickzeug und Brille fort und hob ihr Auge scharf in die Höhe. »Und hast ihm Gesellschaft geleistet, um das Hypothekenbuch auf dem Gericht zu studieren. Ich weiß, ich weiß – doch was willst du nun?«

»Aber, liebe Tante, du sprichst das mit solcher Gleichgültigkeit aus – ich begreife dich nicht. Ist denn das möglich, nur wahrscheinlich? Du, du kannst mir, uns – ein Kapital kündigen, von dem wir bisher nicht die geringste Ahnung gehabt, daß es dir gehört?«

»Das ist meine Schuld nicht, mein Kind. Ich habe doch wohl nicht die Verpflichtung auf mir, irgend einem Menschen auf der Welt zu erkennen zu geben, wo meine Kapitalien stehen, wie? Also, mit einem Wort, Ihr habt ganz recht gelesen, die Geschichte verhält sich so – ich habe mein Kapital gekündigt, und Ihr werdet es bezahlen, nicht wahr?«

»Aber beste Tante,« sagte die Frau Baronin mit einem unwillkürlichen, sehr übel angebrachten Nasenrümpfen – »willst du uns denn durchaus zu Grunde richten?«

»Frau Baronin,« erwiderte die Alte, sich stolz in die Höhe hebend, »du sprichst in einem etwas seltsamen Tone mit mir und siehst, ich sage es dir offen, wahrhaftig nicht aus wie jemand, der in Not schwebt und um Abhilfe derselben zu bitten gekommen ist. Aber um dir auf deine Frage zu antworten, so will ich dir sagen, daß ich dich und deinen vornehmen Herrn Gemahl gewiß nicht zu Grunde richten will, wenn Ihr aber dennoch zugrunde geht, so wird das allein Eure eigene Schuld sein.«

»Tante!« schluchzte die Baronin mit erkünstelten Tränen und ihr Taschentuch schon vor der Zeit zu Hilfe nehmend, »was sagst du da?«

»Was wahr ist. Höre nur eins. Dein Mann hat ein ziemlich bedeutendes Vermögen besessen, und Ihr habt es in wenigen Jahren bis auf den letzten Heller verschwendet. Dein Mann hat ferner ein einträgliches Grundstück besessen, und er hat alle Einkünfte desselben auf Jahre hinaus verpfändet. Dein Mann hat von meinem Manne und mir selbst 20 000 Taler und ebensoviel von Eurem Schwager Sellhausen erhalten, und die habt Ihr nochmals verschwendet. Jetzt habt Ihr Euch – auf welche Weise es geschehen, wißt Ihr am besten – eine Erbschaft – erschwindelt – ja, das ist das rechte Wort – und nicht zufrieden, daß Ihr, wenn Sellhausen verkauft wird, eine hübsche Summe Geld dafür bekommt, wollt Ihr das Ganze haben und behalten und andere rechtliche Leute um ihren Besitz betrügen, um wie die Herren im Lande leben und von neuem verschwenden zu können. So wie ich sage, ist es, aber das muß einmal ein Ende nehmen, mein Kind, denn wie Ihr es getrieben, treibt und ferner treiben wollt, geht es nicht länger, mit meinem Willen wenigstens nicht.«

»Aber Tante, liebe Tante, bedenke doch die Familie, deren Ruf, deren Ehre du durch deine Kündigung an den Pranger stellst!«

»O ja, ich bedenke alles. Aber habt Ihr denn bedacht, ob Ihr Euch an den Pranger stelltet, als Ihr Saufgelage über Saufgelage gabt, als Ihr Euch mit Tand und Flitter behingt vom Kopf bis zu den Füßen, die Ihr nicht bezahlen konntet – he, habt Ihr das bedacht? Antworte mir darauf.«

»Aber mein Gott, teuerste Tante, bedenke doch unsern Stand, unsern Verwandtschaftskreis, unsere Verbindungen – Grotenburg mußte repräsentieren, ob er wollte oder nicht!«

»Den Teufel mußte er repräsentieren! Ihr habt gar nichts zu repräsentieren! Was denn, wozu denn? Das sehe ich mit meinen bescheidenen Menschenaugen nicht ein. Ihr hättet vielmehr wie vernünftige Menschen leben sollen, dann hättet ihr am gescheitesten repräsentiert.«

Die Baronin fing jetzt in Wirklichkeit an zu weinen, und da ihre eigene Klugheit ihr nichts half, erinnerte sie sich der guten Lehren, die ihr Baron Haas eingeprägt. »Liebe, liebe Tante,« sagte sie in weicherem Tone als vorher, »du magst in manchem Punkte und wenn du von deiner Stellung aus unsere Lage betrachtest, recht haben, aber im allgemeinen hast du uns immer nicht – nicht ganz richtig beurteilt. O, sei nur diesmal nicht hartherzig, zieh deine Kündigung zurück, wir wollen alles in wenigen Jahren bis auf den letzten Groschen abtragen.«

»O, o, ich bin nicht hartherzig, obgleich Ihr mich wohl dafür in der ganzen Welt verschrieen habt, und was Eure Versprechungen betrifft, die stets nur kommen, wenn Ihr zu Boden liegt, so weiß ich aus langer Erfahrung, was ich davon zu halten habe.«

»Nein, nein, das weißt du nicht, Tante. Außerdem aber bist und bleibst du doch unsere – meine Verwandte.«

»Ah, also darauf willst du bauen! Nein, mein Kind, das ist wieder ein Irrtum. Deine Verwandte, ja, die bin ich leider, aber mit deinem Mann habe ich gar nichts zu tun, und selbst auf die Verwandtschaft mit dir gebe ich nichts. Nein, nein, gar nichts. Ein Fremder, wenn er vernünftig ist, ist mir zehnmal lieber als hundert Verwandte, wenn sie verrückt sind, vor Hochmut und Vornehmheit verrückt, wie Ihr alle zusammen. Jedem andern also will ich helfen, aber dir nicht, dir nicht mehr, denn ich habe dir schon zu oft vergebens geholfen.«

»Ach Gott, Tante,« schluchzte die Baronin, die nicht mehr wußte, was sie sagen sollte – »hast du denn kein Erbarmen?«

»Erbarmen?« rief die alte Frau und stellte sich mit eingestemmten Armen vor die, ihre innere Wut kaum bezwingende Baronin hin, »daran wagst du mich zu erinnern? Habt Ihr denn etwa mit Bodo von Sellhausen im Herzen Erbarmen gehabt, als er, still und wehrlos unter sein Schicksal sich beugend, von Haus und Hof gehen mußte, in das Ihr mit Saus und Braus eingezogen seid? Habt Ihr Erbarmen gehabt, frage ich, als Ihr Euch an seines Vaters Tisch setztet und Euch in seinem süßen Weine berauschtet, he? Nein, nein, Frau Baronin, Ihr habt es niemals und mit niemanden gehabt, und so habe auch ich jetzt mit Euch keins, dazu habt Ihr es mit Eurem Dünkel und Eurer Überhebung zu weit kommen lassen. Also – mit einem Wort – quäle mich nicht länger. Geht Ihr zugrunde und macht Ihr bankerott, wie du sagst, so seid Ihr einzig und allein daran schuld, und die Welt wird sich freuen, daß nicht bloß gemeine bürgerliche, sondern auch vornehme adlige Leute solch ein Skandal treffen kann.«

Als der Auftritt zwischen den beiden Frauen so weit vorgerückt war und die Baronin einsehen mochte, daß vor dieser Frau jeder gewöhnliche Schritt zu keinem Ziele führe, entschloß sie sich zum Äußersten. Der ihr von Baron Haas einstudierte Fußfall kam ihr ins Gedächtnis und sie schickte sich mit dem dazu gehörigen Schauspielerpathos an, die Szene ins Werk zu setzen. »Tante!« rief sie, mit jähem Aufschrei zu den Füßen der alten Dame stürzend und ihre Knie zu umklammern suchend, was ihr indessen zufolge geschickten Ausweichens derselben nur insoweit gelang, als sie ein Blatt des seidenen Kleides faßte, womit sie sich auch begnügte, »Tante, sieh mich flehend vor dir – hilf uns noch dies eine Mal, und wir verzichten gern auf jede weitere Erbschaft von dir.«

Die alte Frau, von diesem leicht durchschaulichen Kunststück widerwärtig berührt, trat betroffen zurück. Ihre Haltung und ihr Gesicht nahmen eine unnachahmliche Würde an und ihr Auge blickte ruhiger denn je zuvor.

»Kind,« sagte sie, »bemühe dich nicht umsonst, du hintergehst mich mit deinen falschen Tränen und Seufzern auch diesmal ebensowenig wie früher. Und von einer weiteren Erbschaft sprichst du? O, wie man so töricht, so lächerlich töricht sein kann! Als ob Ihr noch nicht genug von mir im Leben erhalten hättet, um noch auf meinen Tod rechnen zu müssen! Nein, nein, diese Phantasie laß dir ein für allemal vergehen. Sieh, du hättest jetzt Sellhausen und künftig alles übrige, was ich besitze, haben können, wenn du mit deinem Manne vernünftig gewesen wärest. Euch helfen Hunderttausende so wenig wie Achtzigtausend, denn durch Eure Hände läuft alles Bare wie durch ein stets offenes Sieb. Nein, nein, alles, alles ist von jetzt an zwischen uns vorbei, umklammere und zerre also mein Kleid nicht länger, es hilft dir nichts. Endlich muß die Gerechtigkeit ihren Lauf haben – bei mir wenigstens – und die guten Menschen müssen schon hier auf Erden belohnt und die bösen bestraft werden. Das ist meine Ansicht der Sache. Und überdies, meine Liebe – ich will dir noch einen Grund angeben, warum ich Euch weder diesmal noch jemals helfen oder Euch irgend etwas vererben kann. Ja, steh nur auf und sieh mich mit deinen heuchlerischen Augen boshaft an, vor denen ich mich nie gefürchtet habe, wie dein armer Mann, den du mit dir ins Unglück gestürzt. Wisse also, ich bin nicht kinderlos, wie du denkst –«

»Tante!« rief die Baronin entsetzt aus und wich mit erstarrtem Gesicht einen Schritt zurück.

»Nein, sage ich,« fuhr diese ruhig fort, »ich bin, Gott sei Dank, nicht kinderlos, wie Ihr Euch alle geschmeichelt habt, denn ich habe einen Sohn und dieser Sohn ist mein Haupterbe; er muß auch sein väterliches Gut wieder haben, das dein herrlicher nimmersatter Gemahl dem alten Sellhausen, dem von Euch zu Eurem Vorteil Geadelten, in einer schwachen Stunde abgeschwindelt hat. Begnügt Euch mit dem Rest des Verkaufsgeldes von Sellhausen, das unter den Hammer soll und muß – das Geld dazu kommt aus meinem Säckel und diese Summe, mag sie groß oder klein sein, kann ich Euch nicht versagen. Genießt sie mit dem schönen Bewußtsein Eures Verdienstes oder vergeudet sie wie alles übrige, mir soll das fernerhin ganz einerlei sein. Und nun – du starrst mich noch immer so zweifelhaft an – glaubst du mir etwa nicht? Willst du vielleicht meinen Sohn sehen, dessen Namen du doch wohl schon erraten hast? Gut, auch das soll dir noch gewährt werden, denn neugierig bist du von jeher gewesen.«

Mit diesen Worten rasch zur Tür des Nebenzimmers tretend, riß sie sie auf und rief mit zärtlicher Stimme hinein:

»Bodo, mein Sohn, komm heraus! Hier ist eine Dame, die dich kennen lernen will. – Da ist er, Frau Baronin, und da ist auch seine schöne Braut, des Meiers zu Allerdissen Tochter, die so – gemein ist, daß deine hochadlige Tochter nicht einmal eins Tasse Kaffee hat von ihr nehmen wollen.«

Von der nun folgenden Szene ist wenig zu beschreiben, aber glücklicherweise ging sie für alle dabei Beteiligten rasch vorüber. Bodo, Gertrud an der Hand haltend, die in ihrer vollen Schönheit und Sanftmut halb zaghaft neben ihm herschritt, trat der Baronin entgegen und machte ihr eine tiefe Verbeugung. Das war aber auch alles, was seine zweite Mutter von ihm verlangt hatte. Sie schloß die Tür wieder und wandte sich nun zu der Baronin um, die leichenblaß zurückgetaumelt und auf einen Stuhl gesunken war.

»Frau Baronin,« redete sie die kleine Frau mit unnachahmlicher Würde an, »nun bleibt dir, wie du siehst, nichts weiter übrig, als mir Glück zu dieser schönen Gabe Gottes zu wünschen, nicht wahr? Doch ich verzichte auf diesen deinen Glückwunsch. Steige jetzt also wieder in deinen Wagen da drüben, fahre zu deinem Mann, der dich gewiß mit bangender Sehnsucht erwartet, und erzähle ihm, daß dir auch dein Fußfall nichts geholfen hat. Vergiß aber auch nicht das Warum hinzuzufügen, denn das ist die Hauptsache und der Urgrund Eures Schicksals. Und nun haben wir uns hoffentlich zum letzten Male gesehen. Ich bin müde von des Lebens Last und werde bald zur Ruhe gehen, was ich auch gern tue, da ich nun einen so vernünftigen Erben besitze. Dir aber wünsche ich von Herzen das Beste – denn so schlimm, nicht einmal diesen Wunsch für Euch zu haben, ist der grüne Pelz, der böse Drache, die alte Hexe auf der Cluus in Wahrheit nicht, obgleich Ihr sie stets und überall dafür ausposaunt habt. Adieu!«

Die Baronin war schon aufgestanden und wankte nach der Tür, ohne einen Blick zurückzuwenden. Worte hatte sie keine mehr; der Groll, die Wut und der leider vergebliche Wunsch nach Rache ließ sie nicht dazu kommen. Schnell hatte sie die Tür auf dem Korridor erreicht, und die mit zitternden Händen aufgeriegelte Haustür weit offen lassend, die Dina erst nach einiger Zeit hinter ihr schloß, rauschte sie die Treppe und den Berg hinunter, um über die Weser zu setzen, in ihren kostbaren Wagen zu steigen und im Galopp nach Hause zu fahren, und da der ganzen ihrer harrenden Familie die schreckliche Mähr zu erzählen, daß alles verloren sei und daß dieser – dieser Mensch, dieser verlaufene Bodo von Sellhausen, der niederträchtige Diplomat – o es ist kaum glaublich – der Sohn und Erbe des grünen Pelzes sei.

*

Der Nachmittag und Abend, die diesem bewegten Morgen und Mittag folgten, verstrichen den Beteiligten auf der Cluus in süßer Ruhe und Behaglichkeit. Frau Birkenfelds elastischer Geist hatte sich bald wieder in das stille Gleise häuslichen Friedens zurückgefunden und sie wandelte nun neben den beiden glücklichen jungen Menschen langsam in ihrem schönen Garten auf und ab, um noch vieles mit ihnen zu besprechen, was dem einen oder der andern bisher unbekannt geblieben war. Da sollte aber diese ruhige Unterhaltung noch einmal durch das Dazwischentreten eines Mannes unterbrochen werden, der bisher an diesem Tage nicht auf der Cluus, sondern in der Stadt gewesen, um verschiedene Besorgungen für seinen Garten auszurichten, mit denen er von seiner umsichtigen Gebieterin betraut worden war. Es war Boas, der alte treue Gärtner der Cluus. Als er in den Garten trat, um Frau Birkenfeld zu begrüßen, schaute er betroffen auf, als er an ihrer Seite Gertrud und Herrn von Sellhausen Arm in Arm und mit glücklichen Gesichtern einherschreiten sah.

»Aha,« sagte Frau Birkenfeld, »da kommt noch einer, der sich wundern wird und dem man eine Freude bereiten kann. Das ist gut, das tue ich gern. Der Alte hat es wohl um mich verdient. – Boas, heda, alter Griesgram, komm heran und höre, was ich dir sage. Sieh diesen Herrn an – du kennst ihn doch noch?«

»O Gott, Frau Birkenfeld, warum soll ich denn den Herrn Legationsrat von Sellhausen nicht kennen?« rief der Alte mit vor Freude leuchtendem Auge.

»Du kennst ihn doch nicht recht, Alter,« erwiderte die alte Dame mit milder Herzlichkeit, »wenn du ihn bloß Sellhausen nennst. Von heute an heißt er Herr von Sellhausen-Birkenfeld – verstehst du mich – na, reiße nur nicht die Augen so weit auf – denn er ist mein Sohn und als solchen stelle ich ihn dir jetzt vor.«

Der alte Gärtner war wie vom Donner gerührt und beinahe wäre er vor seiner lieben Herrin auf die Knie gefallen, wenn er nicht gewußt hätte, daß dergleichen Szenen hier nicht beliebt waren. »Ihr Sohn?« fragte er nur mit gleichsam versteinertem Gesicht.

»Na, ist dir das nicht klar, wundert dich das? Hast du nicht immer gesagt, daß er deinem verstorbenen Herrn, meinem guten Manne, ähnlich sieht? Wie?«

»Ja, das tut er auch – aber, mein Gott, wie soll ich mir denn das zusammenreimen?« stöhnte der Gärtner.

»Gar nicht, du Narr, bemühe dich nicht damit. Er ist mein und meines Mannes Sohn und nun weißt du genug. Aber um Gottes willen, Alter, was sehe ich? Du willst doch nicht gar heulen? Untersteh dich nicht, in deine alten Moden zu verfallen. Geh lieber zu deinen Blumen, und wenn du wieder vernünftig bist, komm her und stelle dich den beiden Herrschaften, die sich heiraten, als gehorsamer Diener vor.«

Boas wollte nach einem neuen verwunderten Blick auf das Brautpaar beschämt davon schleichen, Gertrud aber sprang ihm nach, faßte seinen Arm und rief: »Boas, alter guter Boas, so schlimm ist es ja nicht gemeint, du wirst doch deine gute Herrin wohl kennen und wissen, wie sie denkt und spricht? Komm her, gib meinem Bräutigam die Hand und mir auch und dann wollen wir künftig gute Freunde sein, wie bisher, nicht wahr?«

»Ach Gott, Fräulein,« schluchzte Boas, »da soll man nicht heulen, und das Glück ist doch zu groß! Ach, gnädiger Herr und gnädiges Fräulein –«

»Nichts da, nichts da,« sagte Bodo, seine Hand fassend und kräftig schüttelnd, »nichts von gnädigem Herrn. Nenne mich Herr Sellhausen, oder Herr Bodo, wie du willst, das ist ganz einerlei, aber gute Freunde sind wir schon lange und wollen wir auch ferner bleiben.«

Der Alte wischte sich die strömenden Augen und hatte nur Blicke für seinen neuen jungen Herrn. »Ja,« sagte er endlich, »ich habe es gesagt und sollte doch nicht recht damit haben: Sie sind sein Sohn und es kann ja nicht anders sein, denn so, gerade so hat er mich immer angeblickt wenn er freundlich war, und das kann ich mein Lebtag nicht vergessen.«

»Bist du noch da?« fuhr Frau Birkenfeld in ihrer eigentümlichen Weise dazwischen, nachdem sie sich einen Augenblick abgewandt. »Ich dachte, du wärest schon lange bei deinen Blumen. Na, jetzt geh, du kannst ihn noch oft genug betrachten, er kommt immer wieder, wenn er auch heute fortgeht, und du behältst ihn länger als mich.« –

*

Als der glückliche Bräutigam am Abend dieses seines wichtigsten Lebenstages den Rückweg nach Hause, das heißt nach dem Hofe zu Allerdissen antrat, funkelten schon die Sterne am tiefblauen Augusthimmel; trotzdem aber hatte ihm Gertrud bis zum Fährhause jenseit der Weser das Geleit gegeben und dem alten Braunen liebkosend den Hals geklopft, was sie so lange nicht hatte tun können. Erst als Bodo sie wieder am jenseitigen Ufer sah, wo sie noch lange stand, um ihn abreiten zu sehen, und ihm noch immer wohlverstandene und erwiderte Grüße zuzurufen, bestieg er sein Pferd und trat die Heimkehr wirklich an. Mit welchen Gefühlen dies geschah, brauchen wir wohl kaum zu erörtern. Wort für Wort, Szene für Szene wiederholte er im Geiste alles Einzelne, was ihm begegnet, und als ihm klar und fest zum Bewußtsein gekommen, was für ein reicher Segen über ihn ausgeschüttet war, vermochte er weiter nichts, als dankbar zu dem gestirnten Himmel aufzublicken und aus tiefster Seele ein »Dank, lieber Gott!« zu dem Bewohner jener blauen Höhen emporzusprechen.

Langsam, ganz langsam ritt er vom Fährhause ab, denn er hatte viel zu bedenken oder vielmehr denkend zu empfinden, denn zu einer rechten Überlegung war noch keine Zeit, keine Ruhe vorhanden. Das stürmisch bewegte Herz mußte sich erst ausklopfen, die in seiner Seele zitternden Empfindungen mußten erst ausschwirren, und selbst dazu war die Zeit viel zu kurz, obwohl er mehr als zwei Stunden auf dem Wege nach Allerdissen zubrachte. Er achtete auch weder auf den Weg, noch auf die Zeit, beides war ihm gleichgültig geworden; er wußte ja, daß er zu jeder Stunde zur rechten Zeit nach Hause kommen, und daß ihm ein freudiger Empfang daselbst zuteil werden würde. Darum bemerkte er auch nicht, daß ihm in der abendlichen Dämmerung etwa auf der Hälfte des Weges ein Reiter entgegenkam, der fast ebenso langsam und bedächtig ritt wie er, obgleich das Herz desselben nicht weniger heftig oder wenigstens lebhaft schlagen mochte, als Bodos Herz. Erst als er dicht an ihn herangekommen war, und er den Reiter fast Kopf an Kopf mit seinem Pferde halten sah, hob er das Auge auf und erkannte an dem ersten Zuruf den guten Meier, den die Ungeduld nicht länger im Hause gelitten, sondern dem jungen Freunde entgegengetrieben, dessen Rückkehr er, wie es sich jetzt zeigte, ganz richtig berechnet hatte.

»Meier, lieber Meier,« rief Bodo, plötzlich aus seiner Träumerei auffahrend, »da sind Sie – o, Sie schickt mir Gott entgegen – und das ist ein neues Glück, denn an Sie dachte ich eben herzinniglich!« Und fast ungestüm drängte der sonst so ruhige Mann sein Pferd dicht an das des Freundes und umschlang seinen mächtigen Leib mit dem rechten Arm, so gut es sich zu Pferde tun ließ.

»Aha,« sagte der Meier, nach seiner alten Art still vor sich hin lächelnd, »meine Prophezeihung ist also eingetroffen – Sie kommen heiter von der Cluus zurück, denn Sie sprechen ja von einem neuen Glück – es gibt also schon ein altes!«

»O nein doch, nein doch – alles ist neu, ganz neu, aber nun lassen Sie mich vernünftig reden, und zwar gleich, denn ich erkenne die Fügung, die gerade Sie mir entgegenschickt, und ich will mein Gewissen auf der Stelle entlasten, was ich erst morgen tun wollte, aber wer konnte heute morgen wissen, was mir im Laufe des Tages begegnen würde!«

»Oho, so ziemlich doch, mein lieber Legationsrat – ich wenigstens habe es gewusst!«

»Ah, ja, also Sie waren mit im Bunde gegen mich?«

» Für Sie, nicht gegen Sie!«

»Nun, das ist diesmal ganz einerlei; jetzt heißt es bei mir nur – und das muß zu allererst von der übervollen Seele –: wollen Sie mich zum Schwiegersohn oder nicht?«

Über des Meiers Gesicht breitete sich eine freudige Rührung, er suchte Bodo ins Gesicht zu sehen und sagte: »Das sind Sie eigentlich in meinen Gedanken schon längst, seitdem mir die alte Birkenfeld mitteilte, daß Sie meine Trude und Trude Sie liebgewonnen, denn anders konnte es hiernach zwischen uns doch eigentlich nicht kommen. Nicht wahr?«

»Nein, es konnte nicht anders kommen, denn wo gibt es noch solch' ein Mädchen auf der Welt! Doch, wie es gekommen, das sollen Sie jetzt hören, und nun will ich erzählen, wie es mir ergangen ist, seitdem wir heute morgen von einander schieden.«

Bodo erzählte seinen reichen Tageslauf, und der Meier hörte ihn ruhig und bisweilen nur still Beifall nickend an. Als jener aber fertig war, sagte er: »Das weiß ich alles, mein lieber Freund, auf die eine oder andere Weise habe ich es erfahren, und ich kann Ihre Ansicht nur bestätigen, daß unsere gute alte Dame da drüben alle Fäden Ihrer heut' vollendeten Geschichte in der Hand gehalten und sie mit Geist und Gemüt zum richtigen Ziele zu lenken gewußt hat. Sie haben recht, sie ist eine seltsame, merkwürdige Frau, und wenige ihresgleichen mag es jetzt auf dieser oberflächlichen Welt geben. Ich habe es Ihnen ja gleich am ersten Tage unserer Bekanntschaft gesagt: sie hat ihre schwachen Seiten, wie jeder Mensch, aber ihre starken sind überwiegend und entwickeln eine wunderbare geistige Kraft. So hat sie erst ganz im stillen Gertruds Neigung zu Ihnen ausgehorcht, dann die Ihre zu Gertrud, und darauf hat sie ihren Plan gebaut. Und wir sehen ja, der Plan war gut, sie hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Doch nun wollen wir hiervon abbrechen, wir werden noch Zeit genug haben, uns alles übrige mitzuteilen, jetzt aber will ich Ihnen sagen, was heute auf dem Gericht geschehen ist.«

»O, das kann ich mir denken,« rief Bodo. »Die Baronin war heute auf der Cluus, und ich ward ihr als Sohn und Erbe der Frau Birkenfeld und als künftiger Mann Ihrer Tochter vorgestellt. Das vergaß ich Ihnen noch zu sagen.«

»Ah, also sie war da – das dachte ich mir fast. Und nun wird sie schon wieder zu Hause sitzen und einem Familienrat präsidiren, wie ihn die vornehmen Leute zu halten pflegen, wenn sie sich nicht selbst raten können. Haha! Doch nun hören Sie. Wir waren alle vier wieder pünktlich auf dem Gericht, nur der Justizrat Backhaus war noch als Sachwalter der Gegenpartei hinzugekommen, und da hätten Sie die Gesichter der Barone sehen sollen, als ihnen das geheimnisvolle Dunkel des Kündigers gelichtet ward. Es war fast zum lachen, oder auch zum weinen, wie man es nehmen will. Zuerst erhielten wir unsere Testamentsabschriften, nachdem ich die von Ihnen ausgestellte Legitimation eingereicht, und zu Hause werden Sie die Ihrige vorfinden. Aber da kam das Hypothekenbuch, und wie die Geier stürzten die Herren darüber her. Doch o Schrecken! o Starrheit! o Versteinerung! Frau Birkenfeld ist die Hypothekeninhaberin, sagte der Beamte ruhig – und sie hat 80 000 Taler gekündigt, setzte ihr Sachwalter hinzu. Da wurden die Barone mäuschenstill, nahmen zitternd ihre Papiere und schlichen hinaus in den Gasthof und hielten schnell mit der sie dort erwartenden Baronin einen Familienrat ab, dessen Resultat Sie ja vorher mitgeteilt haben. So ist denn Ihre Angelegenheit in eine neue Phase getreten. Die Grotenburgs werden die schuldige Summe nicht aufbringen können, und so dürfen Sie sich immerhin auf neue 20 000 Taler gefaßt machen, die Herr von Sellhausen Ihnen für den Fall des Verkaufs ausgesetzt hat. Doch was verschlägt Ihnen das jetzt, da Sie plötzlich ein steinreicher Mann geworden sind – doch halt – machen Sie sich lieber nicht auf zu viel gefaßt. »Der grüne Pelz« hat, wie ich weiß, bedeutende Legate an seine Leute, an Witwen und Waisen, an Arme aller Art, an Kranken- und Siechenhäuser ausgesetzt, immerhin aber werden Sie noch reich genug sein, um der Reichste im ganzen Lande zu heißen, denn auch ich – auch ich habe ein Erkleckliches für meine Gertrud zurückgelegt.«

»O mein Gott,« rief Bodo beinahe ängstlich, »schweigen Sie still, lieber Meier! Soll ich denn auch noch das haben, da ich schon so viel von Ihnen zum Geschenk erhalten? Vergessen Sie Ihren Sohn nicht –«

»Still, still, mein Sohn kann nicht vergessen werden, das ist alles lange zwischen uns abgemacht, wie es hier zu Lande Sitte ist. Der Junge hat genug an seinem Hofe, denn mein Hof – das sage ich mit Stolz – ist der reichste und beste im ganzen Lande. Recht muß aber auch hier Recht bleiben, und ich habe noch nie einen Menschen gesehen, der zu viel Geld besessen hätte, wenn er verständig war und weise damit umzugehen gewußt. – Doch da sind wir vor dem Hofe. Sollen wir gleich der Treuhold die neue Mähr verkünden oder nicht?«

»Nein, lieber Meier, heute noch nicht. Ich werde morgen in aller Frühe mit Ihrem bequemsten Wagen nach der Cluus fahren und die beiden Frauen holen. Gertrud muß doch ihr Wort halten, welches sie Ihnen schriftlich gegeben, sie wird also morgen nach Hause kommen –«

»Ja, um Sie noch einmal vor Ihrer Reise zu sehen. Haha! Das war auch eine der kleinen Lügen, die ich auf Befehl der Tante Grete auf mein Gewissen nehmen mußte und die Sie mir hoffentlich schon verziehen haben?«

Sie konnten nicht weiter über den vorliegenden Punkt sprechen. Die Treuhold war voller Erwartung vor das große Tennentor getreten und sah mit Ungeduld den so lange ausbleibenden Männern entgegen. Als sie aber, im Zimmer angekommen, des Meiers und Bodos Mienen studierte schüttelte sie verwundert den Kopf, um so mehr, da beide, nachdem sie sie begrüßt, kein erklärendes Wort zu sprechen sich anschickten.

»Na, das muß ich sagen« rief die gute alte Dame, bald den einen, bald den andern betrachtend – »was ist denn nun mit einem Male wieder los? Sie sind also sehr vergnügt von der Cluus zurückgekommen, Herr Legationsrat, fast noch mehr als das erste Mal?«

»Beinahe eben so vergnügt, liebe Treuhold!« scherzte Bodo. »Aber am meisten freue ich mich doch, daß ich wieder bei Ihnen bin, und darum sehe ich so glücklich aus. Frau Birkenfeld läßt Sie auch bestens grüßen und wird sich morgen selbst nach Ihrem Befinden erkundigen.«

»Kommt sie hierher?« fragte die Treuhold neugierig.

»Ja, sie kommt,« bestätigte der Meier mit überaus heiterem Gesicht. »Und um diesen Besuch im Voraus zu feiern, Cousine, lassen Sie uns zum Abendtrunk eine Flasche vom Besten heraufholen, aber hübsch kühl muß sie sein, denn es ist heute ein mächtig warmer Tag für uns alle gewesen.«


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