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6.

Edith Winter fand sich am Nachmittag zum Malen ein, wie sie es versprochen hatte. Ihr Kornblumenstrauß war vollendet und auch sehr schön geraten, aber man hatte ihr nicht viel für die Zeichnung bezahlt, weil Kornblumen kein apartes Sujet wären. Sie erzählte das ihrer kleinen Freundin Roselore, während sie ihr Malgerät auspackte, und seufzte dabei vernehmlich.

Roselore wies lachend auf ihre Conchita.

»Von diesem Sujet dort werden die Leute nicht sagen können, daß es alltäglich sei,« meinte sie. »Oh, Edith, wie würde ich mich freuen, wenn Sie viel, recht viel Geld dafür bekämen!«

Edith sagte nichts darauf. Sie hatte sich ihren Arbeitsplatz zurechtgemacht und betrachtete nun die Blume mit prüfendem Malerblick.

»Es wird eine Orchideen-Abart sein,« meinte sie. »Aber du hast recht, Roselore, es ist ein selten schönes Exemplar. Hoffentlich gelingt es mir, den Reiz der Farben und Formen auf dem Papier festzuhalten.«

Sie begann zu malen.

Der Duft der Blume hatte wieder nachgelassen, und auch ihre Farben schienen sich zu verändern. Da legte Edith den Pinsel hin und stand auf. »Fertig!«

Nun wagte es Roselore, auf das Blatt zu sehen.

Wirklich! Es war Edith gelungen, den Zauber der Wunderblume auf dem Papier wiederzugeben.

Das Bild war wirklich selten schön. –

Edith lehnte den Karton mit dem Blumenbilde gegen die Wand, und nun genossen die beiden Mädchen gemeinsam den Anblick der Conchita …

Es war mittlerweile Spätnachmittag geworden; langsam sank die Dämmerung hernieder, die Schatten wurden länger; endlich verließ der letzte Sonnenstrahl den engen Hof und folgte den Brüdern, die schon weitergewandert waren. Schnell nahm die Dämmerung zu, Wolken kamen am Himmel dahergezogen, und mit einem Male wurde es fast ganz finster.

Da brach ein wundersames Leuchten aus den Blättern der Blume. So sanft und lieblich, wie milder Sonnenschein. Es war, als wenn die Conchita rufen wollte: »Hier bin ich, verfehlt mich nicht, kommt, um meine Schönheit zu bewundern!«

»Sie ist wirklich herrlich!« sagte Edith mit aufrichtiger Bewunderung.

»Und Ihr Bild ist es nicht minder!« gab Roselore ebenso zurück. –

Als sie voneinander schieden, fühlten sie beide, daß sie sich ganz nahe gekommen waren, wie zwei Schwestern. Eine gemeinsame Freude hatte ihre Herzen zusammengeschlossen. –

Noch einen ganzen Tag stand die Blüte der Conchita in ihrer Pracht da; aber gleich nachdem Frau Stelling sie bewundert hatte und wieder gegangen war, schien ihr Reiz zu vergehen. Sie schien matt zu werden, ihre Farben schienen zu verbleichen, ihr Duft wurde scharf und unangenehm.

»Daran ist die große Hitze schuld,« sagte sich Roselore. »Über Nacht wird sie sich wieder erholen. Arme Blume, es ist ein Unterschied, ob du zwischen den Bäumen des Urwaldes blühst oder zwischen den Hofmauern einer mit üblen Dünsten erfüllten Straße!« Roselore freute sich aber, daß Meister Fleck die Treppen nicht gescheut hatte und am Vormittag zu ihr hinaufgestiegen war, um sich die Blume anzusehen.

In wortlosem Staunen schaute er die Conchita an und schüttelte nur immer den Kopf. »Sowas, nee, sowas!« war alles, was ihm über die Lippen kam. Aber Roselore war zufrieden mit diesem Lob aus dem Munde ihres alten Freundes.

Es war schon spät abends, als Roselore nochmals zu ihrem Pflegling aus Übersee hinaustrat.

»Auf Wiedersehen, Conchita!« sagte sie zärtlich. »Ich bin müde, und du bist es sicher ebenfalls. Wir wollen schlafen gehen. Gute Nacht!«

Dann schloß sie die Tür, wie es ihr der Vater befohlen hatte, denn er befürchtete, daß der Duft der Blume dem Mädel schaden könne. –

Während der Nacht brach ein heftiges Gewitter aus. Blitze zuckten wie feurige Schlangen durch die schwarze Nacht, Donner zog mit lautem Dröhnen und Grollen am Himmel dahin, und Regenfluten prasselten hernieder. Herr Stelling war aufgestanden und hatte Licht angezündet, Roselore saß bei ihm, sie fürchtete sich, bei dem Unwetter allein in der Küche zu bleiben. »Meine arme Conchita!« sagte sie in einem fort. »Gibt es in den Tropen auch solch böses Wetter, Papa?«

»Da ist es viel, viel schlimmer, Kind,« belehrte er sie.

»Und es regnet dort ebenso wie hier?«

»Noch viel ärger, Kind.«

»Na, dann wird sie es wohl überstehen!« dachte Roselore getröstet.

Bis gegen Morgen tobte das Unwetter; aber dann wurde die Luft so klar und erfrischend, daß Herr Stelling die Lust anwandelte, einen Morgenspaziergang zu machen, ehe er in den Dienst ging. Er arbeitete in wechselnder Schicht, so daß er öfters erst in der Mittagsstunde beginnen mußte.

Roselore aber war so schläfrig, daß sie auf dem Sofa, wo sie mit dem Vater gesessen hatte, einschlief. Herr Stelling wollte sein Kind nicht aus dem Schlummer erschrecken, darum ließ er Roselore dort, wo sie gerade war. –

Und das Mädel schlief und schlief. –

Als sie erwachte, war es heller Tag. Die Sonne schien ins Zimmer; der Vater war noch nicht zurückgekehrt. Munter und hurtig eilte das Mädel in die Küche, um fürs Frühstück zu sorgen, denn der Vater mußte ja nun jeden Augenblick kommen.

Sie war in solcher Eile, daß sie an ihre Wunderblume erst dachte, als das Frühstück fertig war. Gerade zur richtigen Zeit, denn sie hörte den Vater heimkehren, hörte, wie er die Tür aufschloß.

Sie wollte dem Vater entgegeneilen. »Nein,« dachte sie. »Erst schnell der Conchita guten Morgen sagen!«

Und sie schaute hinaus auf den Balkon.

Aber was war geschehen! – Entsetzt wich das Mädel zurück. Die herrliche Blume »Menschenauge« war verschwunden. Die üppigen grünen Blätter in zähen, klebrigen Brei verwandelt. Die Blume … ein wenig Schleim, weiter nichts. Und wie eklig sie jetzt roch.

»Papa!« tönte des Mädels Ruf laut und jammernd. »Papa … nun ist alle Herrlichkeit dahin!«

Herr Stelling eilte herzu, um die Weinende aufzufangen, die sich schluchzend an seine Brust warf.

»Ich dachte es mir!« sagte er. »Solche Pracht ist allzusehr der Vergänglichkeit preisgegeben. Auch ohne das Gewitter hätte deine Blume nicht länger gelebt. Das hilft nun nichts, Kind, du mußt dich drein schicken. Laß dich von deinen anderen Blumen trösten, die dem Wetter besser standgehalten haben.«

Er zog sein Taschenmesser heraus, schnitt die ganze Staude dicht über der Erde ab, schlug alles in Papier ein und umschnürte es. »Ich nehme es mit hinaus« sagte er. »Ich werde es im Freien draußen eingraben. Hier würde es uns die Luft verpesten.« Er barg das Päckchen in einer alten Blechschachtel, die er fest verschloß. »So, nun riecht man nichts mehr.«

»Und das andere, was wird damit?« fragte Roselore scheu und weinend.

»Die Knollen grabe ich dir aus, Roselore. Es werden sich neue daran gebildet haben. Wir lassen sie an der Sonne trocknen und bewahren sie auf. Vielleicht hast du im nächsten Jahre wieder Glück damit.«

»Im nächsten Jahre!« sagte Roselore seufzend. »So lange!«

»Die Zeit vergeht schnell genug,« tröstete der Vater.

Noch stundenlang zuckte das Weinen um Roselores blassen Mund. Sie trauerte ehrlichen Herzens um die verlorene Conchita.

Als sie dann in den Hof ging, um nachzusehen, wie die Geranien in dem kleinen Beete das Unwetter überstanden hatte, fühlte sie ihr Leid beim Anblick der in frischer Pracht leuchtenden roten Blüten wieder so heftig werden, daß sie meinte, ihr Herz müsse zerspringen, wenn sie sich nicht aussprechen konnte. Edith Winter war nicht daheim, deren Mutter stand in der Waschküche und hatte nur Gedanken für ihre Wäsche. Aber Meister Fleck saß am offenen Fenster und winkte Roselore zu.

Da eilte sie zu ihm und erzählte ihm, was sich ereignet hatte.

»Mach' dir nischt d'raus,« tröstete er. »Das is das Fatum! – Was kommen soll, das kommt auch.«

Und diese schon im Übermaß gehörte Redensart des freundlichen Hauswirts erfüllte dieses Mal ihren Zweck. Roselore sah ein, daß nun eben nichts daran zu ändern war, und sie drückte dem Meister die Hand.

»Wenn Sie sagen, Herr Fleck, ›was kommen soll, das kommt auch‹, so kann sich das noch ebensogut auf Schönes und Gutes beziehen, nicht wahr?« fragte sie.

»Ei freilich, mein Kind! Was kommen soll, das kommt …«

Roselore senkte den Kopf.

»Frau Winter hat einmal gesagt, aus allem Leid wüchse ein Blümlein heraus, das Trost und Freude bringt,« sagte sie. »Nun kann ich also gewiß auf eine Freude rechnen, nicht wahr, Meister Fleck?«

Er nickte ihr verstehend zu.

»Was kommen soll … ja ja, mein Kind. Du wirst noch viel Freude in deinem Leben haben. Verlaß dich darauf.«

Beruhigten Herzens kehrte Roselore in die Wohnung zurück.

Am folgenden Tage kam Edith Winter zu Roselore in die Wohnung. Sie trug ihre große Mappe unter dem Arm, mit der sie immer in die Stadt zu gehen pflegte, und sagte, das Mädel mit herzlicher Teilnahme anblickend:

»Es ist mir erzählt worden, daß du einen herben Schmerz hast erleiden müssen, weil dein Pflegling, die Conchita, vernichtet worden ist. Ich kann es dir nachfühlen, liebe Rose, es tut sehr, sehr weh, wenn man sich mit einer Sache abgemüht hat und die Freude daran einem dann sobald wieder zerstört wird.«

Roselore schossen die Tränen in die Augen.

»Es sollte wohl so kommen,« sagte sie, sich an Meister Flecks altgewohnten Trostspruch erinnernd.

»Aber vielleicht wird mir als Entschädigung dafür eine andere Freude zuteil.«

»Ja, so ist es auch!« sagte Edith froh und öffnete ihre Mappe. »Ich komme, um dir das Bild der Conchita zum Geschenk zu machen. Bitte, nimm es an, Rose! Es ist eine Kopie des Bildes, das ich hier bei dir als Naturaufnahme gemacht habe. Das Originalbild habe ich heute verkauft, es hat sehr gefallen. Diese Kopie aber möge dir ein kleiner Ersatz sein für die zugrunde gegangene Wunderblume. Sieh' doch her: schaut sie einen nicht wirklich an wie ein freundliches, klares Auge?«

Roselore war so überrascht von dem unerwarteten Geschenk, daß sie zunächst gar keine Erwiderung fand. Sie konnte Edith nur schweigend die Hand drücken. »Wie gut Sie sind!« sagte sie endlich. »Nein, das habe ich nicht verdient.«

»O doch!« entgegnete Edith froh, indem sie die Malerei gegen die Wand lehnte, so daß helles Licht darauf fiel. »Nicht wahr, du nimmst das Bildchen gern von mir an? Es soll dich immer an deine übergroße Freude und an deinen übergroßen Schmerz erinnern. Und es soll dich von mir grüßen, wenn ich … nicht mehr bei dir sein kann.«

Diese Worte klangen so wehmütig, daß Roselore nur einen einzigen Sinn herausklingen fühlte: Edith dachte, daß sie bald sterben werde!

»Fühlen Sie sich sehr krank?« fragte sie scheu.

»Krank nicht, nur müde. So ist mir immer zumute, wenn der Sommer auf der Höhe steht und seinem Ende zustrebt. Ich bin eine Blumennatur, Roselore. Ich werde dereinst mit den Blumen vergehen, vielleicht in nicht mehr allzuferner Zeit!«

Roselore sagte heftig: »Wenn Sie alt sind, ganz alt, dann vielleicht. Aber jetzt müssen Sie erst gesund werden, ganz kräftig und gesund müssen Sie werden! Ich werde immer für Blumenvorlagen für Sie sorgen, und Sie sollen eine berühmte Malerin werden und so viel verdienen, daß Sie dann nach dem Süden reisen können, dorthin, wo viele, viele Blumen sind!«

Edith Winter lächelte über die Begeisterung ihrer jungen Freundin und sagte herzlich:

»Nun, sprechen wir mit Meister Fleck: Was kommen soll, das kommt auch! Sollte es mir aber einmal möglich werden, nach dem Süden zu reisen, dann nehme ich dich mit, du liebe, herzensgute Roselore!«


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