Ilse Frapan-Akunian
Schreie
Ilse Frapan-Akunian

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Der Geranienzweig.

Der Giuseppe Fumasoli war gestorben. Sein Geschäft hatte ihn nicht ernährt. Es ist kein lohnendes Geschäft, aus alten Stiefeln neue zu machen! Sie werden nicht neu, trotz aller Mühe, und der Käufer, der Trödler, der neben der Synagoge wohnt, schwört bei jedem Paar, das der Flickschuster ihm bringt, es werde keinen Abnehmer finden. Und bei jedem Paar zahlt er wieder ein paar Centesimi weniger.

So kam es, daß Giuseppe Fumasoli trotz täglicher sechzehnstündiger Arbeit verhungerte. Er fiel eines Tages ganz langsam von seinem kleinen Hocker herunter, nachdem er vorher nur ein paarmal hin- und hergeschwankt hatte, als ob er betrunken sei.

Seine alte Mutter, die mit ihm in demselben lustlosen, lichtlosen, halb kellerartigen Loch wohnte, kam mit ihrem Sack voll alter Stiefel auf dem krummen Rücken ahnungslos herein und fand ihn da liegen zwischen den abgeschnittenen Schäften, löcherigen Sohlen, zwischen den vertretenen Holzabsätzen, den Nägeln und dem Handwerkszeug auf dem schmutzigen gestampften Boden.

Er war schon todt und kalt.

Die Madre Fumasoli warf ihren Sack von der Schulter und sich selbst neben den todten Sohn zwischen die Lederabfälle in den Schmutz. Die Madre 96 Pompanini, in der Nachbarthür, hatte den wilden Schreckensschrei gehört und guckte herein. Da lag der wachsgelbe abgezehrte Kopf Giuseppes mit dem spitzen Kinn, auf dem ein dünnes schwarzes Bärtchen stand, leblos im Schoße seiner Mutter, und die Madre Fumasoli hatte ihr Gesicht mit dem losen rothen Kopftuch über ihn gebeugt und gab keinen Laut von sich.

Sie saß noch so, als die Madre Pompanini unter großem Geschrei das ganze Gäßchen zusammengerufen und irgendwie auch einen Arzt herbeigeschrieen hatte.

Der Arzt war ein ästhetisch gebildeter Herr, und als er die Gruppe am Boden sah, frappirte ihn in der Haltung der Beiden der ewig alte Vorwurf der Mutter mit dem todten Christus. Und er dachte an seinen Freund, den Maler »Symbolizetti«, dem dieses Modell einer modernen »Pietà« leider entging. Sonst gab es für ihn hier eigentlich nichts mehr zu thun. Schnell untersuchte er den lang hingestreckten Todten und bestätigte, daß er todt sei. Todesursache: »ungenügende Ernährung«. Dann machte er sich eiligst aus dem Staube, da er, vielleicht nicht mit Unrecht, vermuthete, daß man ihn hier im Quartier der Aermsten und Elendesten anbetteln könne.

Der an chronischer Verhungerung gestorbene Giuseppe wurde schon am nächsten Tage begraben. Die Madre Fumasoli begriff davon sehr wenig. Ohne die Pompanini wäre der Giuseppe wohl gar ungewaschen in den flachen Sarg gelegt worden, die gekrümmten Finger schwarz vom Schusterpech, und in dem zerrissenen graukarrirten Arbeitshemd.

Die Madre Fumasoli wusch ihren todten Sohn nur mit ihren Thränen und betrachtete ihn unablässig, 97 ohne eine Hand zur Hülfe zu regen. Als der Armensarg über ihrem Giuseppe geschlossen ward, da traf jeder Hammerschlag sie ins zuckende Herz, und der ästhetisch gebildete Arzt, wenn er sich noch einmal in diese Höhle des Jammers getraut, hätte sie wohl wieder vergleichen können mit der schmerzensreichen Madonna, in deren Brust sich sieben Schwerter bohren.

Sieben Schwerter! Ja, warum nur sieben?

Da ist das Leid um den Sohn, daß er gestorben ist. Da ist das Weh, daß er so jung gestorben ist. Da ist die tödtliche Angst um den morgigen Tag. Da ist die Sehnsucht nach dem Todten, der alle ihre Sorgen theilte. Da ist die Verzweiflung, daß er so allein sterben mußte. Da ist das Herzeleid, daß ihn die Entbehrung getödtet hat. Da ist das quälende Verlangen, ihn noch einmal sprechen zu hören. Da ist die schwarze Stelle, wo er todt am Boden lag. Da ist der fressende Gram der Vereinsamung. Da ist – –

Sieben Schwerter? Ja warum nur sieben?

Der Giuseppe wurde also begraben. In einem Massengrab, denn er hatte ja auch bei Lebzeiten zu der unterschiedslosen dunklen Masse gehört. Der Platz auf dem Friedhof sah aus wie ein neubestellter sandiger Acker, auf dem eine dichte Menge kleiner Holzkreuze wuchsen, regellos verstreut, gedrängt an einigen Stellen, weitläufiger gestellt an den andern. Zur Rechten dehnte sich eine noch größere kahle Wüste, wo die schwarzen Kreuzchen, ganz kleine Kreuze mit weißen Nummern, sich noch dichter hintereinander drängten. Das war der Platz der Kinder jener Namenlosen. Aber nach links – oh nach links war es anders. Dort grünten Kränze und blühten Topfpflanzen hinter zierlichen schwarzen und 98 goldenen Gittern, vor Marmortafeln mit goldenen Inschriften, vor bunten Porphyrsäulen mit den weißen Reliefbildern der Verstorbenen, vor blinkenden Statuen mit verhüllten Gesichtern und gerungenen Händen.

So ehrte man Diejenigen, denen es im Leben gut und behaglich ergangen, und die sich deshalb, weil es ihnen so gut und behaglich ergangen, als Ausnahmen emporhoben und nicht verwechselt werden durften mit der dunklen, unterschiedslosen, großen Masse, selbst nicht im Tode!

Ein breiter Fußsteig trennte das Villenviertel des Kirchhofs von dem Armenviertel.

Die Madre Fumasoli wußte von allen diesen Dingen nichts. Sie wußte überhaupt sehr wenig. Sie war ein armgeborenes und armgebliebenes, unwissendes altes Weib. War einmal ein Gedanke in ihrem Kopfe gewesen, so hatte die Noth und das Elend ihn längst vertrieben. Sie verglich nicht, sie überlegte nicht.

Sie sah nur.

Sah mit ihren halb ausgeweinten Augen auf das sandige Loch im gelben Boden, in das sie ihren Giuseppe gelegt hatten, und das eben jetzt der Todtengräber verdrossen und eilig zuschaufelte. Und wenn der Todtengräber bei seiner Arbeit zwischen sie und das Grab trat, dann sah sie seitwärts, links, die brennend rothen Geranien, die blassen Rosen und die grünen Palmwedel auf den Gräbern des Villenviertels.

Endlich hatte der Todtengräber die Arbeit gethan. Der Mann glättete ein wenig die gröbsten Unebenheiten des Grabes, spuckte aus, schulterte den Spaten und ging.

Die Madre Fumasoli richtete sich schwerfällig auf, schlug das Kreuz und verbeugte sich vor dem bluttriefenden 99 Christus, der mitten auf dem Fußsteig an dem Marterholz hing, nahm Weihwasser und sprengte es mit zitternden frostblauen Fingern auf das frische Grab. Dann schlich sie zögernd nach der linken Seite an ein besonders reich und bunt mit Topfblumen geschmücktes Grab, griff über das niedere Gitter und brach von einem Geraniumstock einen Zweig mit Blüthen, roth wie frisches Blut. Den Zweig gegen das blutende Herz gepreßt, kam sie zu dem Grabe ihres Giuseppe, warf sich nieder und steckte zärtlich und behutsam den blühenden Zweig in den lockeren Boden, die einzige Blüthe hier auf dem großen kreuzebepflanzten Massenacker.

Das heißt, – sie wollte das Zweiglein in das schon mit dem Finger gebohrte Loch stecken, als der Friedhofgärtner sie ertappte. Vom Ende des Fußsteigs hatte er den Raub gesehen und war mit langen Schritten herbeigeeilt. Sein Gesicht war zorngeröthet, seine Gebärde wild.

Das wäre eine schöne Weltordnung, wenn Jeder kommen könnte und die Gräber des Villenviertels berauben, von deren Pflege er sein Brot aß.

»Was hast Du gestohlen, alte Hexe?« schrie er der zitternden Diebin entgegen, »das Grab des Herrn Unterpräfekten hast Du gewagt zu berauben! Ich hab' es wohl gesehen! Aber schlecht wird es Dir bekommen.«

Und er stellt die Blumentöpfe, die er trägt, hastig auf den Boden, und wie ein guter scharfer Wachthund packt er mit der einen Hand das Zweiglein blühenden Geraniums, mit der andern den dürren Arm der Madre Fumasoli und schleppt die ihr Verbrechen kaum Begreifende, vor Schrecken und vor Scham fast Sinnlose zum Friedhofsthor hinaus, hinaus auf die menschenvolle 100 Straße, hinüber zu der Polizeiwache, die wie eine Fallgrube am Wege lauert.

* * *

»Gestohlen? Nun also! Paragraph so und so des Strafgesetzbuchs kommt hier in Anwendung, und fertig. Nichts einfacher als das.« Die Madre Fumasoli ward wegen Beraubung eines Grabes zu acht Tagen Gefängniß verurtheilt.

* * *

Das elegante Mailand, das schöne italienische Paris, ist ganz in froher Aufregung. Es feiert den Frühling mit einem Blumenkorso. Die Spiegelscheiben der Auslagen glitzern noch einmal so blank, aus den Fenstern sind bunte Teppiche gehängt, Fahnen und Fähnchen, Stangen mit Fichtengrün umwunden, an denen farbige Bänder flattern. Quer über die breiten Straßen ziehen sich Guirlanden mit Inschriften, mit Versen, mit bunten schaukelnden Ballons. Der ganze Weg, den der prächtige, duftende Zug nehmen wird, ist dekorirt, bis zu den öffentlichen Gärten, wo man seit Tagen schon grast, hackt, säubert, um die Spuren des Winters zu vertilgen.

Blendend flimmert die scharfe Märzsonne auf dem weißen Marmordom, schneidend pfeift die Bise durch den Korso Garibaldi herunter von den Bergen, – Frühling soll sein!

Wie sie sich drängen auf den Plätzen und Straßen, wie die Hahnenfedern der Bersaglieri, die beordert sind, die Straßenmitte frei zu halten, um die Wette flattern mit den weißen Schleiern und schwarzen Mantillen der Frauen, – Frühling ist da! Es soll Frühling sein. 101

Evviva, der Herold!

Evviva, der Sonnenstrahl als Herold!

Irgend ein junger schöner Mann in goldglänzender Seide sprengt heran. Er eröffnet den Zug. Sein Rappe trägt vergoldete Zäume, vergoldete Hufe, sogar die Mähne ist mit Goldstaub bestreut. Ein kurzer Strahlenmantel umfliegt des Herolds Schultern, ein langes schmales goldgelbes Seidenfähnlein schwenkt er ohn' Unterlaß. Und sein schönes schwarzäugiges Gesicht lächelt so stolz und siegreich nach allen Seiten, als wär' er wirklich der Sonnengott.

Und hinter ihm quillt und schwillt es von blumenüberschütteten, in Blumen gehüllten eleganten Wagen.

Eine wahre Blumenorgie, eine Blumenfluth, eine duftende, quellende, blühende Vergeudung des übermüthigen Reichthums!

Da wo sich die Wagen am dichtesten drängten, wo die Blumen wie ein Regen herunterfielen zwischen die Räder und zwischen die Füße, ward gerade die Alte hinübergeführt ins Gefängniß, die Madre Fumasoli. Solch ein Anblick für die Festlichen alle! So ungeschickt ist diese Polizei! Zum Glück sahen sie nur Wenige, und schnell kehrten sie sich ab. Die gebeugte Greisin, die in Ehren alt gewordene, und nun, im siebenundsechzigsten Jahre noch zur Diebin entartete Madre Fumasoli!

Und auch sie sah nichts von der sinnlosen Orgie jener Feiernden, die über zertretenen Blumen und zertretenen Herzen ihren Tanz aufführt.

Vor ihren Augen war das Bild ihres Giuseppe, der bei sechzehnstündiger Arbeit täglich – Hungers gestorben.

Was kümmerten sie jene Wagen? Was jene fremden, in Seide und Gold gekleideten Leute? 102

Welcher Zusammenhang war zwischen jener Welt und der ihren?

Da fiel plötzlich etwas zu ihren Füßen nieder. Eine rothe Geranienblüthe, aus einem Wagen geworfen und abgelenkt vom Ziel.

Die Madre Fumasoli zuckte zurück, strauchelte, sah ängstlich zur Seite nach dem sie führenden Polizisten und setzte dann sorgfältig ihren Fuß daneben, so daß er den Zweig nicht berührte. Sie bekreuzte sich wie vor einem höllischen Blendwerk, – wollte der Teufel sie hier zum zweiten Male versuchen?

Und gebeugt und wankenden Trittes folgte sie dem Polizisten in das Gefängniß, das die Leute des guten Gewissens für die Sünder aufgebaut haben.



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