Karl Emil Franzos
Die Hexe
Karl Emil Franzos

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6

Von da an ging es aufwärts mit mir, sichtlich, von Tag zu Tag. Ich genoß das wonnige Gefühl des Genesens und konnte mich dabei auch an der ehrlichen Freude laben, welche die beiden Menschen um mich darüber empfanden.

Außer Janko und dem Arzte kam freilich niemand.

»Warum besucht mich Fedor nicht?« fragte ich endlich einmal meinen drolligen Wärter.

»Warum?« wiederholte er lachend. »Warum? Eher könnte man den Mond von der Stelle bringen oder einen Zigeuner zu Ehrlichkeit und Christentum! Der Fedor! – warum er nicht kommt? – ha! ha!«

»Zürnt er mir?«

»Behüte! Aber er pflegt ja den Grafen. Und wie! Wie eine Bärin ihr Junges – und daß er ihn nicht leckt – das ist aber auch wirklich der einzige Unterschied! Er weicht nicht von seinem Lager, keinen Augenblick – es ist ein Wunder, daß sich der alte Mann noch aufrechterhält, denn er schläft ja seit Wochen nicht mehr. Und wenn jemand ins Zimmer kommt, so kommt er und zeigt die Zähne – wie eine Bärin, sag' ich. Er sieht es sogar nicht gern, wenn unser guter Doktor den Verband erneuert!«

»Ist die Wunde schlimm?«

»Schlimm genug! Und verzeihen Sie, das haben Sie nicht gut gemacht!«

»Ich?«

»Sie! Die einzige Entschuldigung ist, daß vielleicht auch ein Zauberer nicht an alles denken kann. Ihr Wille war gewiß gut, und daß Sie sich angestrengt haben, kann man ja daraus sehen, daß Sie von der Arbeit so krank geworden sind! Aber wenn Sie schon so gewaltig waren, um die Braune aus dem Hause zu bringen, dann hätten Sie auch bewirken können, daß unser Graf keinem Mörder in den Weg kommt. Freilich! – ich will Ihnen keinen Vorwurf machen! – Sie haben eben darauf vergessen!«

»Verzeihe mir«, bat ich. »Aber wie geht es Henryk?«

»Die Wunde heilt! Aber Fedor ist doch nicht zufrieden!«

»Warum?«

»Das darf ich nicht sagen!«

»Du mußt!« rief ich und richtete mich zitternd auf.

»Ich darf ja nicht«, bat Janko weinerlich.

»Du mußt!« wiederholte ich in höchster Erregung.

»Gleich!« flehte Janko. »Nur einen Augenblick!« Und husch! war er zur Türe hinaus.

Gleich darauf trat der Doktor ein.

»Lieber Georg«, sagte er ernst, »was sind das für Streiche? Sie zittern ja vor Aufregung. Wollen Sie einen anständigen Selbstmord begehen?«

»Sie sagen mir nicht die Wahrheit!« rief ich heftig. »Wie steht es um Henryk?«

»Er ist auf bestem Wege zur Genesung! Die Wunde war gefährlich – das leugne ich nicht! Der Angreifer muß die Axt hoch, aus nächster Nähe geschwungen haben. Höchstwahrscheinlich ist im selben Augenblick der Hund auf ihn gesprungen. Das hat die Kraft des Hiebes abgeschwächt. Er war jedoch noch immer wuchtig genug, und es ist ein wahres Wunder, daß Henryk so davongekommen. Man erzählt von einem Kornicki aus dem sechzehnten Jahrhundert, daß er mit dem Schädel eine Eichentür eingesprengt. Dieser solide Knochenbau hat sich zum Glück auch auf den jüngsten Sproß vererbt!«

»Aber das Gehirn ist erschüttert!« rief ich.

»Dann wissen Sie mehr als ich! Seit das Wundfieber aufgehört hat, denkt und spricht der Kranke ganz normal!«

»Und Fedors Kummer?«

»Er ist ein alter Narr!« rief der Arzt heftig – er, der sonst so höflich und milde war. »Ein Faselhans!« wiederholte er noch heftiger, und das schien mir vollends ein erkünstelter Zorn.

Aber ich mochte nicht weiter in ihn dringen.

Vier Tage darauf verließ ich mein Lager und durfte einige Stunden im Lehnstuhl verbringen. Es war ein schöner, milder Herbsttag, die bunten Blätter lösten sich schon sacht von den Zweigen, aber der Himmel war tiefblau, und die Sonne schien warm.

Da endlich kam Fedor.

»Ich gratuliere zur Genesung«, sagte er, »ich freue mich sehr.«

Es kam ihm gewiß vom Herzen. Aber auf seinem Gesichte lag just keine große Freude. Der treue Mensch war in diesen wenigen Wochen sehr gealtert, das Haar war schneeweiß geworden. die Kleider schlotterten um den gebückten Leib.

»Du bringst mir Grüße von Henryk?« fragte ich.

»Gewiß – herzliche Grüße!« Und dabei blickte er scheu und bekümmert zu Boden.

»Fedor, du verbirgst mir etwas!«

»Nein! Wir sind nicht lustig, aber wer könnte das von uns verlangen, nachdem wir kaum dem Tode entronnen!«

Und damit schloß er die dünnen, fahlen Lippen, und es war über diese Sache weiter kein Wort mehr aus ihm herauszupressen.

Und wieder nach einer Woche ging ich endlich denselben Weg, den ich einst in jener Schreckensnacht an Fedors Seite gegangen: den Korridor hinab durch das Pförtchen, in den Garten. In den ersten Tagen mußte ich mich fest auf den Arm meines Janko stützen, dann aber ging es, je länger desto besser. Und endlich war ich gekräftigt genug, da stundenlang allein auf und ab zu wandeln.

Das waren stille, schöne Stunden. Das Laub raschelte unter meinen Füßen, aus der Höhe tönte der scharfe Ruf des Kranichs, der von Litauen her im September durch den podolischen Gau gegen Süden zieht, und in den lauen Lüften schwammen die Herbstfäden, welche unsere Bauern das »Gespinst der Verdammten« nennen.

Es knüpft sich eine sonderbare Legende daran. Ein frommes Mädchen hatte die heilige Jungfrau angefleht, ihr zu gewähren, daß ein Hemde ihres Gespinstes den Träger unverwundbar mache. So wollte sie ihren einzigen, heißgeliebten Bruder schützen, der eben in den Krieg ziehen sollte. Gerührt durch diese reine Liebe, gewährte die Gnadenreiche der Flehenden den Wunsch. Diese aber, inzwischen in Liebe zu einem Unwürdigen entbrannt, gab das Gewand diesem und nicht dem Bruder. Als nun der Freche sich ihrer Gunst rühmte und der Bruder ihn um dessentwillen zum Zweikampf forderte, da blieb der Frevler unverwundbar, indes der treue Bruder sein Leben lassen mußte. Und seitdem sitzt die Sünderin am Spinnrade und spinnt unablässig, aber der Wind zerreißt ihr die Fäden und trägt sie über das Land. So erzählen die Bauern, und so wird auch das Sprichwort der Russinen erklärlich: »Sinnenlust bringt Verderben – da lehren die Fäden im Herbste...«

Es ward mir eigen zumute, da ich die Fäden so schimmernd durch die leise bewegte Luft dahinschiffen sah und dieses Wortes gedachte und jener Nacht, da ich zuletzt in diesem Garten gestanden. Mein Herz ward weich und mein Sinnen wehmütig. Ich hatte nichts zu bereuen als eine Sünde, die ich in Gedanken begangen, und dafür hatte ich teuer gebüßt. Aber ein Mitleid mit mir selbst faßte mich, ein Mitleid mit uns Menschen, die wir so stolz tun und so hilflos sind! Ach! wenn wir unser Haupt zu den Sternen erheben wollen, so kann dies nur geschehen durch eine Anspannung unserer edelsten Kraft, durch Mühsal und Kampf Aber in den Kot werden wir ohne unseren Willen geschleudert, blitzschnell, der Spielball einer Macht, die freilich auch in uns ist, aber stärker als wir! Warum sind wir so geschaffen, daß uns die Sünde so leicht, die Tugend so schwer wird? Richte dein Haupt empor, sei gut und rein und stolz – der Kobold in dir regt sich nicht, aber er lebt, und es kommt die Stunde, wo er dich niederwirft wie der Riese ein Kind!...

»Sinnenlust bringt Verderben, das lehren die Fäden im Herbste.« Ich wandte den Blick nach jenen Fenstern, hinter deren Gardinen der arme kranke Freund saß. Ich hatte ihn besuchen wollen, aber Fedor war mir entgegengetreten: der Arzt gestatte es nicht. Und Doktor Zaloziecki hatte mir dies bestätigt mit hastigen, verlegenen Worten. Was ging da vor – was war's mit Henryk? Daß er körperlich gesundete, wußte ich. Er machte schon Promenaden im Zimmer, kleine Fahrten im Walde. Wollte er mich nicht sehen? – mich allein? Oder fürchtete der Arzt, daß ich den Anblick nicht würde ertragen können? War Henryk –

Ich dachte den Gedanken nicht aus, aber er schnitt mir so schmerzlich ins Herz, daß ich stehenblieb und laut aufstöhnte.

Besorgt eilte Janko, der sich immer, auch gegen meinen Willen, in meiner Nähe hielt, herbei.

»Ist der Doktor im Hause?« fragte ich.

»Ja, was ist's? – um Christi willen –«

»Hole ihn!«

Er eilte davon. Nach einigen Minuten kam er mit dem Arzte zurück.

»Ich habe keine körperlichen Schmerzen«, sagte ich zu diesem. »Aber Sie, der Arzt, begehen ein Verbrechen an mir, wenn Sie mir bezüglich meines Freundes nicht volle Beruhigung geben. Hat sich Henryk meinen Besuch verbeten?«

»Nein!« war die Antwort. »Wenn er überhaupt spricht, so erkundigt er sich nach Ihnen. Nur ich habe ein Wiedersehen verhindert – ich allein. Meine Pflicht als Arzt hat mir dies geboten. Von ihm müssen alle aufregenden Eindrücke ferne gehalten werden, und was Sie betrifft, so könnte sein Anblick nur niederdrückend auf Ihre noch so schwer erschütterten Nerven wirken!«

»Also doch!« rief ich. »Er ist geistig gestört –«

Der treffliche Mann blickte zu Boden.

»Ich weiß nicht«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »ob man seinen Zustand so nennen darf Henryk ist weder wahnsinnig noch stumpfsinnig. Körperliche Gründe hierfür liegen nicht vor. Das Gehirn ist nicht verletzt, und die Erschütterung durch den Hieb hat, glaub' ich, keinen Schaden gebracht. Er handelt vernünftig, und wenn er überhaupt spricht, so geschieht dies in klaren, geordneten Sätzen. Aber in seinem Gemüte ist es Nacht. Mir ist bisher nie ein Beispiel so trostloser Melancholie vor Augen gekommen. Er denkt offenbar unablässig an jene Nacht und – an das, was ihr vorangegangen...«

»Glauben Sie«, fragte ich, »daß er die Zigeunerin wiederzusehen wünscht?«

»Das ist nicht das rechte Wort. Er verzehrt sich in dem brennendsten Begehren nach ihr. Es ist rätselhaft, unheimlich. Ich kann es Fedor nicht übelnehmen, wenn er an Hexerei glaubt. Aber was nun tun? Fedor sagt: ›Er mag lieber sterben, ehe wir sie ihm wieder schaffen!‹ Und ich – nun, ich denke nicht ebenso, aber es wäre ja himmelschreiend, wenn wir jene Dirne und Diebin, die nicht weiter verfolgt worden ist, wieder ins Haus ziehen wollten! Und dann – wer weiß, wo sie sich jetzt herumtreibt, in der Türkei oder in Litauen! Und dabei bringt jeder Tag für Henryk größere Gefahr, sein Körper gedeiht, sein Geist verdirbt. Es ist entsetzlich!«

»Haben Sie oder Fedor je darüber mit ihm gesprochen?«

»Bewahre! Wir hüten uns ängstlich, an die Wunde zu rühren! Er selbst beginnt nie davon, er öffnet überhaupt, die Erkundigung nach Ihnen abgerechnet, nur die Lippen zu möglichst kargen Antworten.«

Und darauf gingen wir lange schweigend nebeneinander her.

»Sie wissen also kein Mittel?« fragte ich endlich.

»Keines! Ich hoffte früher auf die Zeit, auf eine Veränderung des Ortes und der Lebensweise. Aber von letzterem will der Graf nichts wissen. Er hat mir soeben auf eine lange und schöne Rede, die ich ihm darüber hielt, drei Worte erwidert: ›Ich bleibe hier!‹ Und das in einem Tone, daß ich jeden ferneren Versuch unterlassen werde. Und von dem Einfluß der Zeit hoffe ich auch nichts mehr, es wird ja, wie gesagt, immer schlechter...«

Wieder gingen wir lange schweigend auf und ab. In mir blitzte ein Gedanke auf, ein seltsamer, verwegener Gedanke. Ich verwarf ihn, aber er tauchte wieder auf, und je länger ich ihn erwog, desto fester ward mein Entschluß.

»Doktor«, sagte ich, »was tun Sie, wenn eine Wunde unter dem Verbande fortschwärt?«

»Ich reiße ihn ab!«

»Das tut dem Kranken weh?«

»Gewiß, aber es ist notwendig!«

»Sie haben Recht!« sagte ich. »Es wird ihm weh tun, aber es ist notwendig! Kommen Sie!«

»Wohin? Was wollen Sie?«

Ich antwortete nicht. Ich ging eilenden Schrittes ins Schloß, in den rechten Flügel, auf Henryks Zimmer zu...

Vor der Türe holte mich der Arzt ein und faßte meine Hand.

»Was wollen Sie tun?« wiederholte er.

»Das läßt sich ausführen, aber nicht sagen«, erwiderte ich und trat ein. Kurzweg, ohne zu klopfen, und absichtlich mit großem Geräusch.

Das Zimmer lag in halbem Lichte – die Gardinen waren herabgelassen. In einem Lehnstuhl, das Haupt gegen das Fenster gerichtet, lehnte Henryk. Einige Schritte von ihm stand Fedor, regungslos, die Augen starr auf den Herrn geheftet.

Bei meinem Eintritt zuckte der Alte zusammen – mit einer Gebärde, als ob er sich auf mich stürzen wollte; in den düsteren Augen blitzte es drohend auf. Henryk aber wandte sein Haupt nicht.

Ich trat an ihn heran, und als ich seine Züge unterscheiden konnte, da mußt' ich einen Augenblick innehalten, so tief war mein jäher Schmerz und Schreck. Das waren nicht mehr die lieben, feinen, geistig bewegten Züge meines Freundes, sondern ein fremdes, fahles, aufgedunsenes Antlitz, auf dem eine unsäglich dumpfe und stumpfe Trauer lag. »Er ist blödsinnig!« schrie es in mir auf.

Aber ich faßte mich gewaltsam.

»Henryk!« rief ich laut und fröhlich, obwohl mir das Herz zitterte.

Er öffnete die Augen, und ein Schimmer der Freude ging über sein Antlitz.

»Auf!« rief ich. »Komm in meine Arme! Ich muß mich ja überzeugen, daß du noch lebst!«

Er richtete sich auf.

»Bist du wieder wohl?« fragte er langsam.

»Vollkommen!« rief ich, schlang meine Arme um ihn und drückte ihn ans Herz.

Er erwiderte es nicht, aber die freudige Bewegung blieb in seinem Antlitz.

»Mein lieber Junge!« murmelte er und drückte schwach meine Hand. Dann wollte er wieder auf seinen Sitz sinken.

Aber das duldete ich nicht. Ich zog ihn einen Schritt zur Seite, legte meine Hände auf seine Schultern und hielt seine Augen mit den meinen fest. Und so, indes mein Herz fast stillstand, so rief ich ihm lustig, mit frivolem Lachen zu:

»O Henryk! Das kommt davon, wenn man den Herzoginnen untreu wird! Ich hoffe, du hast dir die Lektion gemerkt und läßt künftig jede Zigeunerin liegen, wo sie liegt!«

Die Wirkung war eine furchtbare. Er wurde blutrot, dann aschfahl, im Antlitz zuckte es unheimlich, die Lippen öffneten sich und schlossen sich und öffneten sich wieder. Er schüttelte meine Hände ab, trat zurück und ballte die Fäuste. So stand er einige Sekunden mit geschlossenen Augen, ein Zittern überlief seinen Körper.

»Laß das!« murmelte er endlich mühsam.

»Pah!« rief ich lachend. »Warum?! Du warst ein wenig töricht – was liegt daran?! – Und vergessen kannst du die Torheit doch nicht – du trägst einen bösen Denkzettel für dein Leben! Es war eine Dummheit mit tragischen Folgen, aber schließlich doch nur eine Dummheit. Und über Dummheiten muß man lachen!«

»Lachen«, wiederholte er mit bebenden Lippen. »Lachen!« rief er nochmals schrill, gellend und schlug die Hände verzweiflungsvoll vors Antlitz.

»Ja, lachen!« rief ich wieder im Tone harmloser Lustigkeit. »Auch die schöne Aniula hat sicherlich gelacht, wenigstens solange deine Dukaten vorhielten!«

»Dukaten?« fragte er murmelnd. Aber ehe ich noch erwidern konnte, wandelten sich seine Züge abermals und hatten nun einen so furchtbaren Ausdruck, daß ich unwillkürlich zurückwich. Es war die Physiognomie eines Raubtiers. Die Narbe, die sich wie ein breites Stirnband von einer Schläfe zur andern zog, begann blutrot zu flammen, die Finger griffen in die Luft und krümmten sich, und heiser, laut, schwer fiel es von seinen Lippen: »Ich finde sie doch wieder!«

Kühl wehte es über mein Haupt hin – ich wußte warum: meine Haare begannen sich zu sträuben. Aber ich bezwang mein Grauen, mit unsäglicher Anstrengung, und während sich meine Fäuste ballten, daß mir die Nägel schmerzhaft ins Fleisch drangen, fand ich die Kraft, in leichtem Tone zu fragen:

»Wen? Die Dukaten? Nein, mein Junge! Die findest du gewiß nicht wieder! Oder meinst du die kleine Hexe? Das ist möglich. Aber da du nicht so hart sein wirst, zwei liebende Herzen scheiden zu wollen, so wirst du dann auch den lieben Josel in dein Haus aufnehmen müssen, du weißt, den Burschen, der dich fast gemordet hat! Aber – warum nicht? Pikant wär's!«

Ich weiß noch heute nicht, wie ich damals die Kraft gefunden, diese Worte zu sprechen – bis auf das letzte –, laut und lustig. Denn der Unglückliche ward dabei immer fahler, und die Augen drängten aus ihren Höhlen. Und als ich geendet, da stieß er einen dumpfen Schrei aus und wankte...

Ich eilte auf ihn zu und fing ihn in meinen Armen auf.

»Mein Henryk!« stammelte ich. »Mein armer Henryk –«, und dabei stürzten mir die Tränen aus den Augen – »verzeihe mir!«

Er zitterte, seine Brust hob und senkte sich und in dem Antlitz zuckte es konvulsivisch, dann ließ er das Haupt an meine Brust sinken und begann zu weinen, laut, stöhnend, herzzerbrechend...

Der Arzt faßte den Arm des Dieners und führte ihn hinaus. Wir blieben allein.

Ich führte Henryk zum Lehnstuhl, ließ ihn hineinsinken und kniete vor ihm hin.

Er weinte fort, so leidenschaftlich, so fassungslos, wie ich es nie vorher bei einem Manne gesehen.

»O Georg!« vermochte er endlich zu stammeln, »ich bin so unglücklich, so unglücklich...«

»Gewesen!« rief ich. Ich wollte es trostvoll, zuversichtlich rufen und konnte es vor tiefster Bewegung nur hervorstammeln...

Er schüttelte den Kopf.

»Nein!« sagte er. »Das ist eine Krankheit, die nie von mir weichen wird!«

»Mein kluger Henryk!« rief ich und konnte wieder lächeln, »du hast das rechte Wort gefunden, es war eine Krankheit des Blutes oder der Seele – gleichviel! nur eben eine Krankheit. Und solche Krankheiten kann ein rechter Mann überwinden, wenn er will. Versprichst du mir zu wollen – Henryk?«

Er erwiderte nicht, er weinte vor sich hin, und ich störte ihn nicht. Das waren ja keine feigen, selbstquälerischen Tränen, sondern das sanfte, wohltätige Ausklingen einer ungeheuren Erregung – ein milder Regen nach dem Gewitter.

Dann erhob er sich und blickte mich fest und treuherzig an.

»Ich will, Georg! Aber ich mute mir nicht die Kraft zu. Denke nur«, fügte er leise hinzu, »ich bin seitdem noch nicht im Salon gewesen, wo...«

Er stockte errötend.

»Dann wollen wir zusammen hingehen!« sagte ich, schob meinen Arm unter den seinen und führte ihn hinaus, den Korridor entlang.

Fedor kam uns entgegen. Als er in das Antlitz seines Herrn blickte und es erregt sah, die Augen glänzend, da beugte der treue Mensch rasch, plötzlich sein Knie und küßte mir, ehe ich es hindern konnte, die Hand.

Arm in Arm traten wir in den Salon, wo Aniula gehaust. Er war in demselben Zustande wie an jenem Abend, den sie da zuletzt verbrachte. Und doch! wie anders erschien er uns heute! Damals hatte das ungewisse Licht der Kerzen und vor allem die Anwesenheit jenes wunderschönen Geschöpfes einen phantastischen Schleier um all die Verwüstung gezogen. Heute, im grellen Tageslichte, trat sie uns nackt, häßlich, anwidernd entgegen.

Schweigend waren wir eingetreten, schweigend blickten wir uns um. Da hing die Madonna mit dem Barte, der Joseph mit der Haube, der zerbrochene Spiegel. Da lagen die zertrümmerten Sessel umher und die Glasscherben. Das Zimmer war offenbar seitdem nicht betreten worden, eine dicke Staubschicht lagerte über allem. Aber es bedurfte ihrer nicht, um dieses Bild tollster, boshaftester Verwüstung abstoßend zu machen...

Ich blickte um mich, rings umher, einmal, zweimal, dreimal. Und dann fiel mein Blick auf den Freund und die Narbe auf seiner Stirne. Und wie ich so schaute und sann, da überkam mich, ich wußte selbst nicht wie, eine ungeheure Lachlust... Um einer tollen, boshaften Dirne willen hatte es Mord und Totschlag gesetzt, Krankheit und Kummer! Das war ja die komischste Tragödie, die es je gegeben! Um dieser Dirne willen! Das war ja zum Lachen! – zum Lachen!

Aber ich bezwang mich aus Rücksicht für den Freund. Ich blickte ihn verstohlen an. Er schaute noch immer schweigend umher, von der bärtigen Madonna zum Joseph mit dem Kopfputz und wieder zurück. Aber auch in seinem Antlitz zuckte es sonderbar. Und als sich unsere Blicke begegneten, da – – – brachen wir beide in ein Lachen aus, laut, lustig, unaufhaltsam, aus tiefstem Herzen.

Und lachend stürzten wir uns in die Arme und hielten uns umschlungen.

»Das war ein böser Traum!« sagte er endlich. »So närrisch und so entsetzlich! So entsetzlich und so närrisch!«

»Er ist zu Ende geträumt!« rief ich fröhlich. »Aber nun – fort!«

»Fort!« wiederholte er. »Noch heute. Ich begleite dich nach Heidelberg und gehe dann weiter, gleichviel wohin!«... Janko packte meine Koffer mit dem fröhlichsten Gesichte.

»Herr!« rief er, »so klug wie ich ist doch kein Mensch auf der Welt. Ich habe es Ihnen gesagt, als ich Sie hierher brachte: ›Es ist gut, daß Sie kommen, gegen eine Hexe hilft nur ein Zauberer!‹ Und Sie haben geholfen!«

»Ja«, sagte ich lächelnd, »ich verstehe mein Handwerk!« Und dann blickte ich auf das Lager, wo ich wochenlang mit dem Tode gerungen, und lächelte wieder, wenn auch etwas wehmütig...

Am späten Nachmittag fuhren wir aus, gegen Stanislawow zu. Als wir zu den Zigeunereichen kamen, sank gerade die Sonne, und die Bäume hoben sich scharf und deutlich ab von dem flammenden Himmelsgewölbe. Henryk schaute lange hin. Dann ergriff er meine Hand.

»Ich weiß, wohin ich von Heidelberg weiterreise. An den Züricher See. Dort lebt mein Verwandter, der alte Graf Rymski aus Kongreßpolen, im Exil. Der alte Herr hat ein einziges Wesen, welches den Abend seines Lebens verklärt, aber ich denke, ich werde so grausam sein, ihm dieses Wesen zu rauben. Meine liebe, blonde, stille, schöne Cousine Klara – sie kann keinen Menschen wahnsinnig machen, aber glücklich den, der sie erringt. Was sagst du dazu?«

Was ich dazu sagte!...


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