Karl Emil Franzos
Die Hexe
Karl Emil Franzos

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5

Als ich wieder zur Besinnung kam, lag ich weich gebettet und fühlte etwas wie eine kalte Hand auf meiner glühenden Stirne. Ich griff darnach – es war ein Säckchen, mit Eis gefüllt. Dann riß ich weit die Augen auf und starrte um mich. Ich lag in einer freundlichen Stube mit lichten Tapeten – die Sonne schien durch das geöffnete Fenster, in welches sich grünendes Gesträuch drängte.

»Guten Morgen«, sagte eine freundliche Stimme.

Ich sah niemand und suchte den Kopf zu wenden. Aber diese Bewegung schmerzte mich, und ich hielt still.

»Wo bin ich?« fragte ich.

»Guten Morgen«, klang es abermals, so freundlich wie früher.

»Wer bist du?«

»Guten Morgen«, klang es zum dritten Mal.

Wieder wollte ich den Kopf wenden nach dem Sprechenden, aber ich brachte die Kraft nicht auf. Ich fiel zurück, die Lider wurden mir immer schwerer, der Schlaf kam wieder über mich.

Als ich neuerdings erwachte, stand dasselbe Bild vor meinen Augen, nur lag die kalte Hand nicht mehr auf meiner Stirne, auch schien nicht die goldene Morgensonne in die Stube, sondern diese war erfüllt von dem roten Widerschein der Abendglut.

Als ich mich regte, da erklang auch wieder dieselbe Stimme und sagte, obgleich um die Wölbung schon die Schatten der Dämmerung lagen, wieder ihr freundliches »Guten Morgen!«

Nun vermochte ich den Kopf zu wenden und schaute in ein gutes, dummes, rotes Jünglingsantlitz.

»Janko«, stammelte ich endlich.

Er stand stramm aufgerichtet zu Häupten meines Lagers, einen mächtigen Fliegenwedel in der Hand, und grinste mir freundlich entgegen.

»Janko, war ich krank?«

»Guten Morgen!«

»Wie lange?«

»Drei Wochen«, erwiderte er rasch, aber dann biß er sich auf die Lippen und sagte abermals: »Guten Morgen!«

»Was heißt das?«

»Das heißt: der Herr Zauberer haben vorläufig nicht zu reden, oder man hat Ihnen wenigstens nicht zu antworten. Man hat Ihnen jeden Wunsch an den Augen abzulesen, man hat Sie zu pflegen wie die Mutter ihr Kind, aber plaudern ist verboten, das hat der Herr Doktor gesagt, ›und‹, sagte er, ›Janko, ich verlasse mich auf dich‹. Nämlich weil das Nervenfieber so eine gewisse Krankheit ist! Ich habe es zwar versprochen, aber ich habe ihm gleich gesagt: ›Herr Doktor – er ist ein guter Mann, er hat die Braune zum Hause hinausgezaubert; ich bitte, erlauben Sie, daß ich ihm wenigstens immer ›guten Morgen!‹ sage...

›Nun‹, sagte er, ›meinetwegen, begrüße ihn, sooft du willst.‹

Das hab' ich auch getan, vielleicht täglich dreißigmal – aber Sie haben mich nicht gehört, nicht verstanden, Sie haben nur immer geschrien und mich für einen Zigeuner gehalten, und einmal haben Sie mir fast die Nase aus dem Gesicht gedreht. Nun – wenn es Ihnen nur gut bekommen hat! Aber jetzt – schlafen Sie! Guten Morgen!«

»Die Braune –«, das einzige Wort zerriß den wohltätigen Schleier um meine fiebermüden Augen. Grell, greifbar klar stand die gräßliche Nacht vor mir.

»Henryk!« rief ich und suchte mich zitternd aufzurichten. »Lebt Henryk?«

»Er lebt«, sagte Janko und drückte mich in die Kissen zurück. »Aber wenn Sie jetzt noch Lärm machen, dann werden Sie sterben, und das wird Ihnen wirklich kein Vergnügen sein!«

Ich hielt die Augen geschlossen – und regte mich nicht mehr – ich war zu schwach. Und zu schwach war ich auch, um jene quälende Erinnerung klar festzuhalten. Ich empfand sie nur noch ganz sonderbar, ganz körperlich, als einen dumpfen Schmerz im Hinterhaupt. So lag ich halb betäubt, schwer atmend da und fühlte nur zuweilen, wie mir etwas kühl und weich übers Antlitz fuhr: der Fliegenwedel des guten Janko...

Als ich am nächsten Tage erwachte, fiel mein erster Blick auf zwei kleine, runde, glänzende Dinge, welche sich langsam über mir hin und her bewegten und von denen ich mich nun, wie im Traum, erinnerte, daß ich sie in den letzten Tagen oft gesehen und mich sehr vor ihnen geängstigt. Aber als ich die Augen ganz aufriß, da waren es nur die Brillengläser des guten Doktors Zaloziecki. Ich hatte ihn seit langen Jahren nicht gesehen, aber ich erkannte sofort seine milden, edlen Züge, und sie muteten mich an wie ein freundlicher Gruß. Mich labte in meiner Schwäche und Hilflosigkeit das Bewußtsein, in so trefflichen Händen zu sein.

»Lieber Doktor –«, stammelte ich und suchte seine Hand zu fassen. Er nahm meine Rechte zwischen seine warmen, weichen Hände.

»Verehrter Herr«, sagte er langsam, »möchten Sie die Güte haben, mir zu sagen, wie Sie heißen?«

»Georg Harder«, erwiderte ich etwas erstaunt. »Erinnern Sie sich...«

»Und Ihr Beruf?«

»Ich bin Doktor der Philosophie und bereite mich für eine Dozentur vor.«

»Das ist ja sehr angenehm!« rief er fröhlich. »Und wie heiße ich?«

»Doktor Wladimir Zaloziecki!«

»O wie mich das freut!« rief er und wiederholte triumphierend: »Doktor Wladimir Zaloziecki! Und nun werden Sie mir gewiß auch sagen, wieviel zwei mal zwei ist. Vier – nicht wahr? Aber fünfmal sechs?«

»Dreißig!«

»Dreißig!« wiederholte er im Tone höchsten Entzückens, und die treuen blauen Augen funkelten hinter den Gläsern hervor, als wären sie feucht geworden. »Dreißig! Janko, wir haben ihn über den Berg gebracht!«

»Guten Morgen!« klang die wohlbekannte Stimme aus der Ecke hinter meinem Kopfkissen. »Ich wußte ja, Ihnen ist nichts unmöglich! Aber ich habe auch mein Verdienst dabei! Die Medizin eingeben, die Suppe reichen, das Kissen richten, den Herrn Zauberer im Bette halten, sich von ihm prügeln lassen, wenn er im Fieber ist, und als Gespräch nichts als ›Guten Morgen!‹ – ich bitte Sie, bei solcher Pflege muß ja jeder gesund werden!«

»Ich danke dir!« sagte ich. »Aber ich habe Hunger!«

»Er hat Hunger!« rief der Doktor, und die Augen funkelten noch stärker.

»Hunger!« wiederholte Janko, machte einen Freudensprung und stürmte in zwei Sätzen zur Türe hinaus.

»Doktor«, sagte ich, »ich muß wohl sehr krank gewesen sein?«

»Hm! hm!« machte der treffliche Mann. »Aber sprechen wir von angenehmeren Dingen!...«

»Was macht Henryk?«

»Er ist außer Gefahr!«

»Ihr Ehrenwort, Doktor?«

Er zauderte, aber nur einen Augenblick. »Mein Ehrenwort!« Und dann fügte er rasch hinzu: »Die Wunde am Kopfe heilt – er wird wieder kräftig und gesund werden! Und nun haben wir genug geplaudert! Hier kommt auch Janko mit der Suppe! Adieu!«

Und er schritt eilig zur Tür hinaus...


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