Karl Emil Franzos
Die Hexe
Karl Emil Franzos

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3

Fedor, der Kammerdiener, geleitete mich in mein Zimmer im Erdgeschoß, neben der Bibliothek. Die Fenster waren geöffnet, aber es kam keine Kühlung herein, die Nacht war sehr schwül.

Das Zimmer war in Ordnung. Aber dennoch blieb Fedor, nachdem er die Wachskerzen angezündet, neben dem Tische stehen.

»Herr Georg«, sagte der alte, treue Mensch und sah mich bittend an, »Sie sind ja unser bester, ältester Freund! Herr Georg – was denken Sie – wie machen wir dieser verdammten Geschichte ein Ende?!«

Ich zuckte die Achseln. Was sollte ich sagen?!

»So kann es nicht fortgehen – das ist ja eine tatarische Wirtschaft!« Er schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. »Das ganze Haus geht zugrunde, alles zerbrochen und zerschlagen – aber daran liegt weiter nichts – wir sind ja reich. Aber wir selbst gehen zugrunde – wir heiraten sie. Denken Sie – wir eine Zigeunerin!... Dieses Unglück, diese Schande!... Ich flehe Sie an, Herr Georg, wissen Sie keinen Rat?«

Er war in großer Aufregung – ich suchte ihn zu trösten.

»Mein Gott!« sagte ich, »du kennst ja den Henryk! Er ist leichtsinnig und liebt die Abwechslung. Er ist gewiß nicht zum ersten Male verliebt.«

»Gewiß!« sagte Fedor – »vielleicht zum fünfzigsten Male. Aber ich versichere Sie, wir haben bisher die Liebe noch nie in einem solchen Grade bekommen wie jetzt. Darum kommen wir auch diesmal nicht selber los – man muß uns losmachen. Ja, ja – ich versichere Sie. Freilich – in Paris, da haben wir uns ganz anders benommen als jetzt. Da haben wir zum Beispiel ein Verhältnis mit einer Engländerin gehabt, mit einer gewissen ›Lady‹. Ein ganz ernsthaftes Verhältnis. Wunderschön war sie, Milch und Blut – gut wie ein Engel –, ich sag' Ihnen, ganz Paris hat uns beneidet. Und wie sie in uns verliebt war, wie feurig!« Der alte Mann schneuzte sich wehmütig.

»Aber die haben wir sitzenlassen, die arme Frau Lady – nach drei Monaten schon. Wir empfehlen uns recht schön und packen die Koffer und fahren nach Ostende, und aus ist's... Oder da haben wir auch einmal mit einer Spanierin angebandelt, die hat Señora geheißen. Auch eine vornehme Person, auch wunderschön, auch gut wie ein Engel – nur so zwanzig Franken für jeden Brief, den ich ihr gebracht habe... Und Augen hat die Ihnen gehabt, Augen – es ist nicht zu beschreiben, wenn man sie nur so von weitem gesehen hat, so war man schon verbrannt. Nun – verbrannt haben wir uns natürlich auch und sind sogar mit ihr fort auf ein Schloß in den Pyrenäen – so heißen nämlich Berge auf spanisch – und haben dort einen ganzen Frühling über gelebt wie die Tauben. Aber dann fangen wir an, versteckt zu gähnen, und zanken uns ein wenig, und dann gähnen wir laut und zanken uns sehr, und eines Tages sind wir fort – husch – wieder nach Paris... Keine Spur vom Heiraten, kein Gedanke nicht! Da kommt einige Tage darauf ein gelber, magerer, schwarzlockiger Mensch zu uns – das war der Bruder von dem Fräulein Señora, und hat darum Señor geheißen, der kommt zu uns und verlangt, daß wir seine Schwester heiraten sollen und schreit viel von Ehre und vom Erschießen. ›Nur still sein‹, sagen wir ihm, ›Ehre haben wir auch‹, und schießen uns mit ihm und schießen ihm richtig das rechte Knie entzwei und er uns den linken Oberarm. Aber in drei Monaten sind wir doch wieder frisch und gesund und frei wie der Vogel in der Luft, und verlieben uns gleich in eine Marquise, eine echte Französin, und...«

Ich unterbrach den Redestrom dieses guten alten Leporello.

»Du hast Recht«, sagte ich, »in Paris scheint das anders gewesen zu sein. Und weißt du warum? Weil das Weiber waren, die ihn gehätschelt haben. Da scheint Henryk sich so nach ein wenig Qual gesehnt zu haben...«

Aber Fedor schüttelte den Kopf

»Qual?! – auch das haben wir in Paris gehabt. Sogar eine halbwegs ähnliche Geschichte. Da bringen wir uns einmal vorn Maskenballe eine kleine Blondine nach Hause – Nini hat sie geheißen. Die bleibt acht Tage bei uns, und ich versichere Sie, die hat es auch verstanden, Gläser zu zerschlagen und Bediente zu prügeln. Na – und ob! Immer singen, immer Champagner trinken – Tag und Nacht – das waren so ihre Leidenschaften. Das Teeservice von unserer Frau Mutter hat sie auch zerschlagen. Aber das Ende?! Eine Woche lassen wir's uns gefallen, dann geben wir ihr eine Rolle Gold – hinaus mit ihr! Aber«, schloß er seufzend, »so eine Freude erleb' ich an der Braunen nicht.«

»Wer weiß?!«

»Ich weiß es! O Herr Georg, mit der ist es eine besondere Geschichte! Sehen Sie – ich glaube sonst nicht an Hexereien oder dergleichen – ich bitte Sie, ich bin ja in Paris gewesen – ich spreche ja Französisch! Aber das ist eine Hexe! Und da meine ich – Sie sind kein Zauberer – natürlich! – Unsinn das! – aber ich meine – sehen Sie, die Leute sagen... – kurz: wissen Sie kein Mittel?«

»Nein, Fedor – leider nicht.«

»Schade! – Aber wissen Sie«, fuhr er vertraulich fort und trat näher an mich heran, »eigentlich hätte ich schon einen Plan. Wir warten eine passende Nacht ab – je eher, desto besser – und dann spannt der Janko ein – wissen Sie, er ist sehr dumm, aber sehr treu – und ich und der Gregor, ein sehr verläßlicher Mensch, ein gedienter Soldat, wir binden die Hexe und werfen sie auf den Wagen und dann fort mit ihr, zehn Meilen weit, und dann in den ersten besten Straßengraben hinein. Vielleicht – wissen Sie! – in die Berge, so gegen Kolomea hin oder tiefer ins Flachland, an die Grenze, gegen Bessarabien zu – – warum schütteln Sie den Kopf, Herr Georg?«

»Weil der Plan nichts taugt. Denn weißt du, was dann geschieht? Zuerst läßt Henryk euch alle drei totprügeln, und wer sich etwa doch noch rühren kann, wird vom Hofe gejagt. Und das zweite? Das zweite ist, daß er dann so lange hinter der Braunen herläuft, bis der Teufel sie ihm doch wieder zuführt. Und das wird der Teufel tun, mein lieber Fedor, in derlei Dingen kann man sich leider immer auf den Teufel verlassen.«

Der Alte sah mich ängstlich an.

»Es könnte so sein«, sagte er zögernd und verstummte. Auf seinem verwitterten, ehrlichen Gesichte lag ein Ausdruck so tiefer, so fassungsloser Trauer und Hilflosigkeit, daß es fast rührend anzusehen war. Er quälte sein Hirn offenbar ab um einen rettenden Gedanken, der ihm doch nicht kommen wollte. Da, plötzlich, schien etwas in ihm aufzusteigen – seine Augenbrauen hoben sich wie vor Erstaunen... Man sah ganz deutlich, wie der neue Gedanke Macht über ihn gewann. Zuerst schüttelte er den Kopf, als wollte er den Gedanken mit abschütteln, dann stierte er vor sich hin und dachte ihn offenbar weiter und klarer aus. Dieser Gedanke mußte sehr finster, sehr unheimlich sein. Denn die Atemzüge des Mannes gingen rascher, ein Zucken überflog seinen Körper, seine Züge wandelten sich. Die Mundwinkel, welche schlaff niedergehangen, hoben sich, die Lippen wurden dünn und farblos, und auf der Stirne lag eine fremde, drohende Furche. Aber das Unheimlichste waren die Augen – so starr, so furchtbar düster blickten sie...

»Fedor –«, rief ich entsetzt.

»Befehlen, Herr Georg?«

Er sah mich ruhig an. Was war mit diesem Menschen geschehen? War das noch derselbe gute, läppische, schwatzhafte Fedor?! Auf seinem stumpfen, todblassen Gesichte lag etwas wie eine Wetterwolke, ehern, festgemeißelt. Es war ein überaus peinlicher Anblick.

»Fedor«, rief ich und griff ihn hart an und schüttelte ihn, »Fedor, du willst sie töten?«

»Ja, Herr Georg.«

Ich ließ seinen Arm fahren und taumelte zurück. Ich rang nach Worten – ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Und dabei wußte ich, daß töricht und vergeblich sei, was immer ich sagte. Man muß nur den Russinen kennen. Er ist nicht rasch im Erfassen, noch minder im Handeln – er ist stumpf und dumpf geworden durch die Peitsche des Polen, das Missionskreuz des Jesuiten, den Schnaps des Juden. Aber ist er einmal entschlossen, so hindert ihn an der Ausführung nur die Fessel oder der Tod. Vielleicht trägt auch die Natur dazu bei, ihn so stumpf und traurig zu machen und in seiner Traurigkeit so unerschütterlich – diese grausame Ebene um ihn, unendlich gleichförmig, endlos ausgegossen, und über ihm dieser niedrig hängende, endlos ausgegossene graublaue Himmel.

»Fedor!« rief ich dennoch und trat nochmals dicht an ihn heran. »Weißt du, was dich dann erwartet?«

»Ja!«

»Der Galgen!«

»Ja, Herr Georg!« Und das in einem Tone, als ob er sagen würde: »Ja – freilich ist heute Mittwoch!«

»Mensch! – so willst du dir dein Ende machen! Das ganze Leben lang ein ehrlicher, braver Kerl und mit grauen Haaren ein Mörder?! So bedenke es doch nur – wie kommst du zu so einem Vorsatz?!«

»Ich muß ja, Herr Georg, ich muß! O Gott, Gott!« fügte er fast weinerlich hinzu. »Ich habe ja selbst das größte Mitleid mit mir! Ich weiß ja – der Henker!... Aber ich kann mir nicht helfen, es muß geschehen, sehen Sie – eben darum, weil ich ein ehrlicher Mensch bleiben will bis zum Tode...« Und fast feierlich fuhr er fort: »Hören Sie, Herr Georg! Als unsere gnädigste Frau Gräfin Mutter, welche ein Engel war, so rein, so gut – als sie auf dem Sterbebette lag und es war ihre letzte Nacht, und selbst der dicke Professor aus Lemberg konnte ihr nicht mehr helfen, denn die Schwindsucht – oh! eine böse Krankheit – kein Mittel dagegen, kein Mittel, sonst hätten wir sie gerettet... Also in dieser letzten Nacht – der Professor war schon wieder fort und hatte gesagt: ›Gegen Morgen stirbt sie‹, und der alte Herr Prior von den Dominikanern in Barnow hatte ihr die letzte Beichte abgehört und kam gleich wieder aus dem Sterbezimmer heraus – ich bitte Sie, dieser Engel hatte ja gar keine Sünden, was war da lange zu hören? –, und die ganze Verwandtschaft war da und die Verwalter von den Gütern und die Pächter, und im Schloßhofe die Bauern, Kopf an Kopf, alle mit abgezogenen Hüten... Oh! das war eine Nacht! In allen Zimmern haben Lichter gebrannt und Fackeln im Hofe – so viele Menschen, aber kein lautes Wort – nur alles schluchzt und die Bauern schluchzen wie um eine Mutter – es hat uns allen das Herz weh getan, so weh! Sie war ja noch so jung und mußte schon sterben, gleich hinter dem Herrn Grafen her, der vor einem halben Jahre gestorben war – am Typhus. Bei seinem Tode hatte niemand geschluchzt, nur sie, das engelgute Wesen, welches alles verzieh und vergaß – ich will nichts sagen, nichts Böses –, aber außer ihr hatte bei des Grafen Tode niemand getrauert. Sie hatte viel gelitten und jetzt – einundzwanzig Jahre war sie alt – so schön, so gut, und schon sterben! Sie wußte es, und vom gnädigsten Herrn Henryk hatte sie schon am Abend Abschied genommen, und dann hatte ich ihn in seinem Bettchen zur Ruhe gebracht – – mein Gott! er wußte noch nichts von seinem Unglück, er verstand noch nichts – fünf Jahre! – und da sagt das Kind: ›Mutter weint, weint!‹ und fragt mich dann vor dem Einschlafen: ›Machst du mir morgen einen Drachen?‹ und ich nicke nur, denn sprechen kann ich nicht – die zurückgehaltenen Tränen würgen mir in der Kehle. Und dann schläft er gleich ein, und ich setze mich ans Fenster und schaue in den Hof und sehe die Fackeln und weine so vor mich hin, aber still, daß mir nicht das Bübchen erwacht, denn er hat einen leisen Schlaf – auch heute noch. Da kommt jemand auf die Türe zu und herein schleicht die Marinia, das Kammermädchen – sie hat später einen Kanzlisten in Barnow geheiratet, sie wollte immer hoch hinaus, aber jetzt geht es ihr schlecht – so ein kaiserlicher Hungerleider! Also die kommt herein und sagt:

›Fedor‹, sagt sie, ›sie will den Knaben noch einmal sehen.‹

›Und wie steht es?‹ frag' ich. Da fängt sie zur Antwort nur laut zu weinen an, und ich weine auch, und der Kleine erwacht und weint mit. Da nehme ich ihn auf den Arm und trage ihn bis an die Tür des Sterbezimmers, und dann trägt ihn die Marinia hinein. Ich bleibe unter den vornehmen Herrschaften stehen, und nach einer Weile kommt sie heraus:

›Fedor, sie will dich sprechen!‹

Hören Sie, Herr Georg?! – mich hat sie sprechen wollen in ihrer letzten Stunde, keinen von der Verwandtschaft und keinen von der Freundschaft, mich! Also ich gehe hinein, und da liegt sie da – so blaß, so durchsichtig war das Gesicht –, wären nicht die goldenen Locken an den beiden Wangen gewesen, ich hätte das Gesicht kaum von den Kissen unterscheiden können. Und das Bübchen, das steht ganz lustig am Bette und lacht und spielt mit den Spitzen am Polster. Sie winkt mich heran, ich trete näher.

›Fedor‹, sagt sie, ›mein Henryk wird sehr reich sein, aber er wird keinen Vater haben und keine Mutter, und er wird so herumgestoßen werden unter den fremden Menschen. Gib du acht auf ihn, Fedor.‹ Ich nicke – sprechen kann ich nicht. ›Du bist ein braver Mensch‹, sagte sie, ›bleib bei ihm, verlaß ihn nie, versprich es mir!‹

Und dabei legt sie mühsam die weiße Hand auf die Bettdecke, und ich rühre ehrfurchtsvoll an die kalten, feuchten Finger. Und damals, Herr Georg, hab' ich mir nicht einen Eid geschworen, sondern tausend – tausend Eide, Herr Georg!«

Der alte Mensch wischte sich die Tränen aus den Augen, seine Lippen bebten. Dann fuhr er fort:

»Also – jetzt werden Sie einsehen: die Braune muß sterben. Denn – leichtsinnig sind wir, das ist wahr – das haben wir leider vom Herrn Vater, aber das gute, edle Herz – das haben wir von der Frau Mutter. Also – dumme Streiche haben wir gemacht – unzählige! Aber einen schlechten Streich? – niemals nicht! Und wenn wir dergleichen machen wollten, so hat man uns an jene Nacht erinnert, und wir haben's unterlassen.

›Fedor, altes Weib, du hast Recht, wir wollen's bleiben lassen.‹

Aber heute morgen beim Ankleiden?

›Fedor – schweig! ich heirate sie – alle Toten der Welt sollen mich nicht hindern!‹

Also – selbst diese Erinnerung hilft nichts mehr, also – wir heiraten sie, also – das darf nicht geschehen, also – es gibt kein anderes Mittel, also – ich muß sie töten!«

Und diese fünf »Also« zählte er an den fünf Fingern seiner Rechten ab, dann ballte er sie und ließ die Faust auf den Tisch fallen, und auf seinem Gesichte lag wieder jener Ausdruck stumpfer, starrer, grausamer Entschlossenheit.

»Du Tor!« rief ich. »Du Schwätzer! Meinst du, man läßt einen mordgierigen Menschen frei herumlaufen? Augenblicklich eile ich zu Henryk, und wir lassen dich binden und liefern dich morgen früh an das Kreisgericht ab nach Tarnopol.«

»Meinetwegen – auch gut!« Das Gesicht des Alten blieb starr, keine Muskel zuckte. »Deshalb tu' ich's doch, wenngleich dann mit dem Arm eines andern. Oh, Herr Georg! Sie sollten uns doch besser kennen! Wir halten zusammen – seien Sie überzeugt. Sperren Sie mich ein, so tut's der Gregor oder der Janko! Oh! – es geschieht, es geschieht doch, Herr Georg. Und gar in dieser Sache, wo es sich um die Ehre unseres ganzen Hauses handelt!...«

Ich griff mir an die Stirne, ich wußte, daß er die Wahrheit sprach, ich kenne ja diese Leute!

»Aber er wird ja wahnsinnig«, rief ich, »wahnsinnig an ihrer Leiche!«

Und wieder zuckte keine Muskel in diesem Gesicht.

»Wahnsinnig? hm! vielleicht – hm! wahrscheinlich! – hm! sogar gewiß! Aber was ändert das an der Sache?! Erstens kann man doch noch geheilt werden, und wenn auch nicht, so bleibt es doch immer nur ein großes Unglück. Denn was werden so die Herrschaften sagen? ›Armer Henryk – verrückt geworden – im Irrenhaus!‹ Aber wird jemand spotten? Nein! Oder kommt dadurch ein Flecken auf unsere Ehre? Nein! Und selbst wenn so ein junges Herrchen seine Witze machen will, es wird sich schon jemand finden, der ihm sagt: ›Schweigen Sie, den Verstand kann jeder verlieren, das heißt, wenn er einen hat!‹ Aber wenn wir sie heiraten!... O Herr Georg!« Der Alte knirschte mit den Zähnen. »Ich kann Ihnen schon heute sagen, was sie reden werden, diese guten Freunde, diese Herrschaften, diese falschen Polacken! Zum Beispiel: ›Von der Verwandtschaft der Braut war niemand bei der Hochzeit, sogar ihre Eltern waren verhindert, der Vater wurde leider eben an dem Tage in Czernowitz gehängt und die Mutter wegen Diebstahls in Lemberg gestäupt!‹ Oder dann später: ›Ich komme nie nach Gonisko – wissen Sie, es sind so viele Neffen und Nichten der Gräfin im Hause, und da fürchte ich für meine Taschen!...‹ Oh, ich kenne dieses Gesindel! Und erst, wenn Kinder kommen... ›Merkwürdig‹, wird der kleine Smolzki dem Baron Mustazza erzählen, ›merkwürdig, wie ähnlich dieser gräfliche Stammhalter dem jungen Zigeuner ist, der jetzt bei mir Stallputzer ist. Aber er ist diebisch – ich werde ihn fortjagen – er mag dann nach Gonisko zurückkehren, wo er früher war – verstehen Sie?‹ Und der Baron Mustazza versteht und lacht... Oh, oh!« Der Alte stöhnte... »Gute Nacht, Herr Georg! Tun Sie, was Sie wollen, ich tue, was ich muß!« Und er wandte sich zum Gehen.

»Fedor«, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schulter – mein Blick fiel dabei zufällig auf den Spiegel, und ich erschrak fast, so bleich war ich und so verstört – »du mußt mir eines versprechen: du tötest sie nicht eher, als bis sie auf den Wagen steigt, der sie zur Kirche führt!...«

Er dachte nach.

»Ich verspreche es«, sagte er dann. »Aber unter einer Bedingung: Sie verraten mich nicht, denn sonst muß es ein anderer verrichten! Warum ein anderer? Mich hat ja unsere gnädigste Frau Mutter in jener Nacht an ihr Sterbebett rufen lassen...«

Ich nickte.

»Warum werden Sie plötzlich so rot, Herr Georg?« fragte er noch, schon halb zur Tür gewendet.

Ich schwieg, ich wagte kaum, mir selbst den Gedanken zu gestehen, der mir das Blut in die Wangen getrieben...

Ich winkte ihm stumm, zu gehen...


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