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Drittes Capitel.

Von jener Stunde an entwickelte die Baronin eine Thätigkeit, welche die außerordentlichste Naturanlage dieser Frau bekundete, eine Energie, welcher ihr Gatte in halbem Stumpfsinn sich beugte. Vieljährige rastlose Bemühung und strenge Enthaltsamkeit hatten nicht den Nerv in ihm entwickelt, um wie Jene nach einem bequem beschaulichen Ablauf der Jugend, den Schein der Ehre dem Wesen der Ehre aufzuopfern und statt einer unfruchtbaren Reue sich die Buße der That aufzuerlegen. Rath- und willenlos beglaubigte er, unter dem Vorwand von Krankheit, seinen Justitiarius, den Rechtsbeistand feiner Frau, als Bevollmächtigten bei deren Unterhandlungen mit seinen Gläubigern und zog sich in finsterem Brüten in das Innere feines Hauses zurück.

Der drängend gebotene nächste Schritt war die Sicherstellung der minderjährigen Agathe von Randau, durch den Rückkauf, das heißt die Uebertragung ihres väterlichen Gutes auf ihren Namen und hatte Constanze die Genugthuung, daß die gerichtliche Schätzung eine Werthsteigerung ergab, durch welche ohne die von ihr eingegangene hypothekarische Belastung der ursprüngliche Kaufpreis überboten ward.

Weder Constanze, noch ihr Beistand täuschten sich über die widerwärtigen Consequenzen dieses Schrittes; dennoch fühlte sie ihre Seele von der schwersten Last befreit, nachdem er gethan und jeder Seitenweg abgeschnitten war. Frei und muthig ging sie fortan dem Unvermeidlichen entgegen.

Unverzüglich eilte der Justitiarius nach der Hauptstadt, um dem betreffenden Vormundschaftsgericht das Kaufdokument zu unterbreiten und neben den übrigen Depositen auch den Schuldschein der Baronin, vor dem Verfalltag des bedrohlichen Wechsels dagegen einzulösen. Er rieth bei der Heimkehr zur sofortigen Vernichtung des Dokuments und tadelte es ohne Hehl, daß seine Clientin in der unbestimmten und unerfüllbaren Hoffnung das Aeußerste abzuwenden, den ätzenden Stachel in ihrer Hand behielt.

Während der Abwicklung dieser Förmlichkeiten hatte die Baronin ihren ältesten Stiefsohn, dessen sträfliche Handlungsweise der Anlaß des plötzlichen Zusammenbruchs geworden war, in ihre Nähe berufen. Der junge Mann, leichtsinnig aber weichherzig wie die Mehrzahl seines Gleichen, erkannte mit Erschütterung, ja mit Entsetzen in des Vaters verfallener Gestalt und stummer händeringender Verzweiflung die Folgen seiner gewissenlosen That; er ahnte den extremen Entschluß, an dessen Grenze der Unglückliche schwankte.

Inmitten eines gedankenlosen Indentaghineinlebens war ihm die Möglichkeit solchen Ausgangs niemals in den Sinn gekommen; gleich aller Welt hatte er den Vater für einen reichen Mann und seine knappe Haushaltung, wie die Baronin es damals richtig bezeichnet hatte, für eine Grille gehalten, welcher er das Recht des Jugendgenusses nicht ohne Befugniß entgegenzustellen glaubte. Nun überwältigte ihn das Resultat und hatte die Mutter auch ihm gegenüber aufzuklären und aufzurichten.

Mit der ihr eignenden Autorität widersetzte sie sich seinem leidenschaftlichen Entschlusse, sich unverweilt allen vaterländischen Verhältnissen zu entziehn und in überseeischen Kriegsdiensten Vergessenwerden oder den Tod zu suchen. Erst nach einem harten Kampfe gelobte er der Mutter, fleißig und eingeschränkt, die Frist bis zu seinem letzten Examen auszuharren, später aber in einer wenn auch bescheidensten Beamtenstellung sein Theil zur Entwirrung der häuslichen Zustände beizutragen »Denn,« so sagte die edle Frau, »nach einem tiefen Fall führt nicht ein jäher Sprung, nur beharrlich und mühsam führt Schritt für Schritt uns wieder hinauf in eine reine Lebenshöhe. –«

Seinem ernsten Angelöbniß vertrauend, drängte sie ihn darauf aus ihrer Nähe. Sie hatte zum selbstständigen Handeln das Bedürfniß allein zu sein und scheute jede Störung durch das Gemüth. Aus des Vaters Munde hatte der Sohn kein Wort der Anklage, aber auch keines der Vergebung vernommen.

Unmittelbar nach der Rückkehr des Justitiarius wurden die Unterhandlungen mit den Gläubigern des Barons eingeleitet und gelang über Erwarten von fast von allen Seiten eine Verständigung ohne Einschreiten der Gerichte. Bis zur gelegentlich vortheilhaften Veräußerung wurde die Verwerthung der Randau'schen Güter in die Hand genommen und in eine Frist zur Befriedigung der restirenden Ansprüche durch die Einkünfte des unveräußerlichen Majorats gewilligt.

Einen unüberwindlich hartnäckigen Widerstand erfuhr die Baronin jedoch von Seiten des Banquiers, welchen begreiflicher Weise der Verkauf von Schönberg und die dadurch bewirkte Hinfälligkeit ihrer Schuldverschreibung auf's Aeußerste erbittert hatten. Constanzens früheres Wohlleben, so gut wie ihres Gatten Sparsamkeit, hatte die Welt über das Maß ihres Vermögens getäuscht; der Gläubiger hielt sie noch immer für eine bemittelte Frau, die Schuld, die sie fast am Vorabend ihrer Verheirathung mit ihrem Gatten eingegangen war, schien ihm ein Act betrügerischen Einverständnisses und die mehrfachen Käufe und Verkäufe innerhalb der Familie an der Schwelle eines drohenden Zusammenbruchs empörten ihn als eine Niederträchtigkeit. Vergebens erbot sich Frau von Randau zur Drangabe ihrer gesammten persönlichen Mobilien. Was verschlug dem aufgebrachten Mann ein altmodiger Hausrath, wenn ihm der erstrebte Grundbesitz entging? Vergebens verzichtete sie zu seinen Gunsten auf die Hälfte ihrer Leibrente und verwies ihn auf seinen Antheil an den Revenüen des Majorats: machte der Tod denn nicht Leibrenten und Majoratseinkünfte hinfällig? Vergebens erschöpfte der treue Anwalt alle Mittel der Ueberredung Der Banquier strengte die Klage gegen seinen Wechselschuldner an und forderte von der Baronin den Eid, der in der Gerichtssprache der Manifestationseid heißt und der in diesem besonderen Falle keine gelindere Voraussetzung haben konnte, als die einer Scheinhandlung zum Zweck heimlicher Unterschlagung, eine Voraussetzung, die möglicher Weise die Annullirung des Kaufs, unzweifelhaft aber die tiefste Demüthigung beider Ehegatten zur Folge haben mußte.

Die Aufregung, welche diese Vorgänge durch alle Schichten der Gesellschaft hervorriefen, war eine im weiten Umkreis unerlebte. Jener hochgeehrte Mann, jene makellose Frau bezüchtigt des raffinirtesten Betrugs; die Gattin des Gatten Helfershelferin und schließlich ihre persönliche Befreiung erwirkend durch einen Eid, der, – wer zweifelte daran? – ein Meineid war. Aller Glaube an Treue und Ehre ward erschüttert; der Fluch einer unsäglichen Verachtung heftete sich an ein Haus, das bisher als Muster deutscher Einfachheit und Biederkeit gegolten hatte. Und wenn im Verlauf nicht nur die tieferblickenden Richter, sondern durch den Einfluß des erfahrenen Anwalts auch dieser und jener der Gebildeten zu der Einsicht gelangte, daß Frau von Randau durch einen Akt hoher Selbstverleugnung den einzigen Weg eingeschlagen habe, um einer endlosen und ohne Beeinträchtigung der heiligsten Interessen unlösbaren Verwirrung vorzubeugen und mit dem Scheine der schwersten Schuld eine geringere wirkliche Schuld zu sühnen: so war das Volk, so waren zumal die Insassen der Randau'schen Güter weder fähig, noch geneigt einen so verwickelten Zusammenhang zu fassen. Das altbewährte Ansehn der Familie war mit einem Schlage vernichtet, alle Gutthat, alle Hülfe vergangener Jahre wie mit dem Schwamme ausgelöscht; die stolze Herrschaft begegnete dem geringschätzigsten Hohn in Worten und Blicken selber ihrer Hausbediensteten, die im Begriff in neue Verhältnisse überzugehn, jegliche Rücksicht fallen ließen. Der einzig getreue alte Wagner wankte unter diesen Aufrührern umher gleich einem Schatten.

Sein Herr verharrte in einem Zustande finsterer Apathie und stumpfen Brütens. Seine Gestalt war verfallen, sein Haar völlig ergraut; vom Morgen zum Abend saß er unbeweglich und starrte in das Leere, nur des Nachts hörte Constanze seinen rastlosen Schritt in dem Zimmer, das er nie mehr verließ.

Die Kraft seiner Gattin dahingegen hielt Stand, ja sie steigerte sich von Tage zu Tage. Nur der Eingeweihte hätte ahnen können; daß und was diese Frau im Stillen litt unter der Wucht von Anfechtungen und Mühen, zu deren Trägerin sie sich erhoben hatte. Die Räumung von Kirchheim, das mit sämmtlichem Inventar an die Concursmasse überging, wie die Uebersiedlung nach Randau standen in der Kürze bevor; eine ergiebigere Verwaltung dieses letzten Familienbesitzes zu Gunsten der Gläubiger war eingeleitet; auch Bernhard in diesem Sinne schriftlich zu Rathe gezogen worden, wenngleich die Mutter dessen unmittelbaren Beistand so gut wie früher den seines Bruders beharrlich ablehnte. Sie correspondirte nach allen Seiten, reiste hin und wieder, gönnte sich kein Schonen und Erholen.

Der Umzug nach Randau war festgesetzt für den Nachmittag, an welchem die Baronin von dem letzten gerichtlichen Termine, dem der Eidleistung aus der Stadt zurückgekehrt sein werde. Sie schloß in der Vornacht desselben kein Auge, horchte nur unablässig auf den Schritt des unglücklichen Mannes über ihr, wie Einer horcht auf den Pendelschlag der Uhr, die der Entscheidung über Leben und Tod entgegenrückt. Zum ersten Male quälte sie das Mitgefühl seiner Pein, erkannte sie den Unterschied ihrer Lage mit der seinen, die Wohlthat ihres reinen Gewissens gegenüber seinem belasteten; gegenüber auch dem Mißurtheil der Welt; sie mit dem Stolze rettender Hingebung; er mit der Schmach des Empfangens. Sie warf sich vor, ihm nicht Schonung, nicht Liebe genug gezeigt zu haben; der Schwester milde Gestalt trat ihr anklagend vor die Seele und »Weib ohne Herz!« hallte es in ihr Ohr wie ein vernichtender Richterspruch.«

Sie suchte die Schuldverschreibung vor, deren Anerkenntniß ihr den heutigen Schritt ersparen, aber auch ihr Rettungswerk vereiteln konnte. Sie wollte sie vernichten und steckte halb mechanisch sie doch wieder zu sich. Mit dämmerndem Morgen klopfte sie an des Barons Thür. Sie hörte seinen Schritt, aber er öffnete nicht.

»Laß mich zu Dir, Levin,« bat sie mit bewegter Stimme. Der Riegel wurde zurückgezogen; sie trat ein. Ihr Herz zog sich zusammen beim Anblick der abgehärmten Züge des längst geliebten, lange geehrten Mannes. Sie ergriff seine Hand.

»Levin,« sprach sie weich, »Levin, wenn ich Dir wehe gethan habe, wo Du Wohlthat erwartetest, so vergieb es mir.«

Er schwieg. Sie fuhr fort: »Ich wollte das Rechte – –«

»Und Du thatst's,« fiel er ein.«

»Aber nicht in Deinem, nicht in Karolinens Sinne,« sagte sie. »Du hassest mich, Levin.«

»Ich bewundere Dich, Constanze.«

Ein tiefer Schmerz zuckte über ihr Gesicht. Sie ahnte wie unerträglich diesem Manne das Leben werden müsse an der Seite einer Frau, die sich behauptet hatte in Prüfungen, denen er selbst unterlag.

Und in diesem ahnungsvollen Moment kehrte die alte Liebe in ihr Herz zurück, wenn auch in einer neuen Gestalt. Sie fühlte den Jammer einer Mutter, die dem kranken Kinde eine schmerzhafte Heilung ersparen möchte und sagte zögernd: »Du weißt, Levin, daß heute der Tag ist, der – –«

»Mich zum Gefangenen, zum Sträfling machen wird,« fiel er ein.

»O Gott! o Gott!« rief Constanze schaudernd, indem sie das Gesicht mit beiden Händen bedeckte. »Aber es wird, es darf dahin nicht kommen.«

»Gleichviel; es dürfte, es sollte dahin kommen, nachdem Dein Zeugniß mich zum Betrüger gestempelt hat,« versetzte der Baron mit seltsamer Ruhe.

»Grausames Schicksal!« murmelte Constanze. Sie schloß die Augen, als ob sie diese Vorstellung tief in ihrer Seele verschließen möchte. Nach einer langen Stille fragte sie: »Weißt Du einen Ausweg, mein Freund, der Dir, der uns das Aeußerste ersparen würde?«

»Ich weiß keinen und ich will keinen,« antwortete er.

Eine neue Pause entstand. Sie zog den Schuldschein hervor, legte ihn in seine Hand und fragte noch einmal: »Würde es Dich trösten, Levin, wenn ich, ich Deine Frau, auf dieses Schuldbekenntniß hin jenes Aeußerste mit Dir theilte und – –?«

»Nein, nein!« rief er heftig, indem er das Blatt in seiner Hand zerknitterte, »es ist zu spät, zu spät!«

Ein Wagen fuhr in diesem Augenblick in den Hof. Constanze, hielt ihn für den, welcher sie nach der Stadt befördern sollte. Sie raffte sich zusammen und sprach: »Nun denn, mein Freund, giebt es keinen anderen Weg, so laß uns standhaft das Unvermeidliche tragen; laß uns schuldig erscheinen, um uns rein zu fühlen von Schuld. Du und ich, wir werden unsere Augen nicht schließen, ohne den Flecken getilgt zu haben, der auf unsere Namen gefallen ist. Gieb mir Deine Hand, gieb mir Deinen Segen, Levin, zu diesem letzten schweren Schritte.«

Er stand unbeweglich. Sein Anblick erstarrte sie. »Was sinnst Du, Mann?« rief sie von einer entsetzlichen Ahnung durchschauert. »Schwöre mir, Levin, schwöre-mir – –«

»Sei ruhig, Constanze,« unterbrach er sie mit bitterem Hohn. »Sei ruhig, ich werde leben. Die Revenüen von Randau sind ja verpfändet. Der Tod des Majoratsherrn wäre ein letzter Betrug, der Dein heroisches Werk zu Schanden machte.«

»Levin, Levin, habe ich das verdient?« jammerte die unglückliche Frau.

Die Thür wurde aufgerissen. Agathe, gefolgt von Bernhard, stürzte in das Zimmer. Sie waren es, welche jener Wagen herbeigeführt hatte.

Erst vorigen Tages war durch ein ihre Hülfe anflehendes Schreiben Herrmanns der Waise das Schicksal bekannt geworden, welches zumeist um ihretwillen die theuersten Menschen unheilvoll mit Thaten und Leiden umspann. Kein Widerspruch konnte sie nun halten; sie verließ noch in derselben Stunde die Hauptstadt, machte einen Umweg nach der ökonomischen Anstalt, um den Geliebten zu ihrem Beistand herbeizurufen und reiste mit ihm die Nacht hindurch in der tödtlichen Angst, erst nach Anbruch des entscheidenden Termins einzutreffen.

In sprachloser Erschütterung warf sich Agathe in die Arme ihrer Beschützerin; in gleicher Erschütterung stand der Sohn der Jammergestalt des Vaters gegenüber. Giebt es denn einen ätzenderen Schmerz, als mit gebundenen Händen und Füßen einem zur That drängenden Verhängniß in die Augen zu sehn?

»Mutter!« rief endlich Agathe unter hervorbrechenden Thränen; »Mutter, was hast Du gethan um meinetwillen! halte ein, rette, rette den Vater!«

Constanze sank erschöpft auf einen Stuhl. Auch aus dem Munde dieses Kindes hörte sie eine Anklage statt eines Danks. Sie wurde irre au sich selbst und schwieg in unaussprechlicher Folter.

»Mein theuerster Onkel,« rief das junge Mädchen jetzt zu dem Baron gewendet, »es giebt ja, Gott sei Dank! noch einen Weg, der Sie befreit. Nehmen Sie Alles, was ich habe, helfen Sie sich, helfen Sie der Mutter und mir, mir. Sie sind ja mein Vormund, mein Vater. Sie können, Sie müssen es thun! O zögern Sie nicht, mein lieber, lieber Vater!«

Sie bedeckte seine Hände mit Küssen und Thrä nen. Die Augen wurden ihm feucht, sein Herz schmolz vor der hingebenden Liebe des Kindes, dessen Schicksal er schnöde verwahrlost, das er kaltblütig hatte opfern wollen.

»Karoline!« rief er tiefbewegt.

Das Wort durchzuckte seine Gattin wie ein schneidender Stahl. Sie verhüllte ihr Gesicht. Mit leidenschaftlichem Flehen wendete Agathe sich von einem zum Anderen. Es war eine vernichtende Scene. Die Glocke schlug neun; der Wagen fuhr vor; der Augenblick drängte. Die Waise stürzte zu Constanzens Füßen und rief, ihre Hände ringend: »O, Du stolze Mutter! Alles, Alles hast Du dem fremden Kinde gewährt von seinem ersten Lebenshauche an und weigerst Dich jetzt von ihm anzunehmen, was uns Allen den Frieden wiedergiebt. O hilf, hilf! Ueberwinde Dich selbst, fasse den Entschluß der Gnade!«

»Es giebt hier keinen Entschluß,« sagte Herr von Randau, gefaßter, als es seine Gattin in diesem Augenblicke war. »Es giebt hier keine Wahl. Gott segne und erhalte Dein warmes Herz, mein Kind. Ich danke es Deiner Mutter, daß sie das Rechte an meiner Statt gethan.« Er zerriß bei diesen Worten das Blatt in seiner Hand, hob das zitternde Mädchen in die Höhe, legte es in Bernhards Arme und winkte, daß er es entfernen solle.

»Hilf, hilf, Bernhard!« schluchzte Agathe halb bewußtlos; auf ein nochmaliges Zeichen des Vaters führte der junge Mann sie aus dem Zimmer. Constanze blieb eine kurze Weile mit ihrem Gatten allein. »Weib ohne Herz!« sagte sie leise, mit zitternden Lippen, »Weib ohne Herz, nimm es von mir, Levin, das Wort des Fluchs, das Du über mich gesprochen.«

»Großherziges Weib!« flüsterte ihr Gemahl, zog sie einen Augenblick an seine Brust und drängte sie aus der Thür, vor welcher Bernhard ihnen entgegentrat. Herr von Randau wendete sich rasch zurück und schloß das Zimmer hinter sich ab.

»O, meine herrliche Mutter,« sagte der junge Mann, indem er Constanzens beide Hände ergriff und an sein Herz drückte. »Hätte ich doch Worte, um Dir auszudrücken, wie hoch ich Dich bewundere. Nimm mich mit Dir und laß mich um Dich sein in dieser schweren Stunde.«

Die Mutter lehnte sein Drängen ab; empfahl ihm die Sorge für den Vater und Agathen und be stieg gefaßt den Wagen. Bernhard blickte ihm nach, bis er in den schattigen Parkwegen verschwunden war.

Nach einer Stunde hielt Frau von Randau vor dem Gerichtsgebäude, auf dessen Rampe der Rechtsanwalt Bartels ihrer wartete. Die kluge, muthige Frau war ihm in der kurzen Zeit ihres Verkehrs werth wie eine Freundin geworden und so empfand er die höhnenden Reden und Blicke der Menschenmenge, durch die er ihr einen Weg bahnte, peinvoller als sie selbst. Constanze schritt in ungebeugter Ruhe an seinem Arme; wie aber in kritischen Momenten es oftmals ein unwesentliches Nebending ist, das sich uns mit schneidender Schärfe einprägt, so unterschied sie im Gedränge manches bekannte Gesicht von den Randau'schen Gütern, das sich an dem Schauspiel der vornehmen Meineidigen weidete.

»Ist es doch, als ob Sie mich zum Richtplatz oder Schandpfahl zu führen hätten, mein Freund,« sagte sie mit halbem Lächeln zu ihrem Begleiter.

»Muthig hindurch, tapfere Frau!« versetzte der alte Herr. »Nur diese Stunde noch und wir sind am Ziel. Mein Wort darauf, daß dieser Schritt keine üblen Folgen für Ihren Gemahl haben wird. Sieht Salomon, daß der Verkauf nicht mehr rückgängig zu machen ist, hat er sein Müthchen an Ihnen gekühlt, wird er Ihren vortheilhaften Vergleich der einigermaßen kostspieligen Rache, einen Wechselgläubiger während der Haft zu erhalten, vorziehen. Ich kenne meinen Mann. Ihnen aber, gnädige Frau, ich erlebe es, werden diese nämlichen Gaffer eines Tages noch Ehrenpforten bauen und Blumen streuen!«

Sie traten in den Gerichtssaal. Ein schwarz verhüllter Altar mit Bibel und Crucifix deutete an, daß nicht nur der bürgerlich wichtigsten, sondern auch einer heilig religiösen Forderung genügt werden solle.

Zeugen derselben waren außer dem Kreisjustizrath und Protokollführer, nur Banquier Salomon nebst seinem Rechtsbeistand und Herr Bartels, als Bevollmächtigter des Barons.

Mit würdiger Ruhe wiederholte Frau von Randau ihre bereits früherhin mündlich und schriftlich gemachten Angaben der strengen Wahrheit gemäß. Von vornherein wies sie ein verdächtigendes Einverständniß mit ihrem nachherigen Gatten zurück, schon aus dem Grunde, weil sie über dessen Vermögensverhältnisse jener Zeit noch den guten Glauben der Welt getheilt habe und zu theilen berechtigt gewesen sei. Die erschütternden Schläge, die ihn betroffen, datirten aus einer späteren Zeit. Daß die fragliche Schuldverschreibung mit ihrem Wissen dem Banquier als Pfand überwiesen worden sei, leugnete sie; die stricte Frage, ob jene Verschreibung nur eine Scheinhandlung gewesen, blieb nach diesem eidlich zu erhärtenden Leugnen ihr erspart, da die Ausstellerin die Schuld anerkannt und durch den Verkauf ihres Gutes getilgt hatte.

Hinsichtlich dieses Verlaufs leugnete sie mit Entschiedenheit irgend eine unlautere Absicht ihres Gemahls, oder einen eigennützigen Vorbehalt ihrerseits; die Sicherstellung eines Waisenerbes habe als Pflicht erster Ordnung von ihnen Beiden in Betracht gezogen werden müssen, während sie dahingegen sich bereit erkläre, mit allen ihr verfügbaren Mitteln und Einkünften für die zur Zeit noch unerledigten Verbindlichkeiten ihres Gemahls solidarisch einzustehen.

Sicheren Schrittes trat sie hierauf zum Altar und die rechte Hand auf das Herz gelegt, den Blick zum Himmel gewendet, sprach sie die Schwurformel nach, welche der Vorsitzende verlas, mit fester Stimme bis zu dem letzten: »So wahr Gott mir helfe zur ewigen Seligkeit durch Jesus Christus, unseren Heiland. Amen.«

Nun aber, da das Letzte vollbracht, schien sie am Ende ihrer Kraft; im Vorzimmer angelangt, befiel sie ein Zittern, ein Fieberfrost durchschüttelte ihren, Leib. Sie sah ihren Gatten geisterbleich an sich vorüber zum Gefängniß schreiten, sah ihn der Schmach erliegen und mit seinem letzten Blicke sie verklagen: »Weib ohne Herz!«

Nachdem sie sich nothdürftig erholt hatte, nahm sie Herrn Bartels Arm und ließ sich durch die Menge führen, die noch immer gaffend und belfernd das Haus umstand. An ihrem Wagen angelangt, drückte sie. ihm, keines Wortes fähig, die Hand und der alte Herr sagte:

»Ich scheide von Ihnen, Gnädigste, mit einer Bewunderung, wie ich sie niemals für eine Frau empfunden habe. Wie viel besser würde es um die menschliche Gesellschaft stehen, wenn sie viel Weiber, köpfe und Gewissen Ihresgleichen zählte.«

»Besser oder schlimmer!« versetzte Constanze mit einem schwachen Lächeln und sich in die Wagenecke drückend, murmelte sie:

»Weib ohne Herz!«

Schon in der ersten Nachmittagsstunde langte sie wieder auf dem Gute an. Agathe und Bernhard harrten ihrer vor dem Portal.

»Wo ist der Vater?« rief sie hastig.

»Er ist kurz nach Deiner Abfahrt nach Randau vorausgeritten,« antwortete der junge Mann. Die Mutter verfärbte sich.

»Allein?« fragte sie.

»Allein!« antwortete Bernhard leise, mit niedergeschlagenen Augen.

»Saht Ihr, spracht Ihr ihn noch?«

»Nein. Er hatte sein Zimmer abgeschlossen und befahl uns von Innen, ihn allein zu lassen. Nach kaum einer Viertelstunde sprengte er über den Hof. Durch Wagner ließ er uns sagen, daß wir ihn in Randau treffen werden.«

»Eilends ihm nach!« rief die Mutter in höchster Erregung.

Binnen zehn Minuten waren alle Drei auf dem Wege nach Randau. Eine langsame, einsame Haidefahrt, ein wortloses, angstgequältes Beieinandersein. Es war Nacht geworden, als sie eintrafen. Die unheimliche Oede des Hauses, die geringschätzige Gleichgültigkeit des Empfangs gingen ohne Eindruck an ihnen vorüber. Auf Jedes Herzen lastete eine Frage, die Einer mit scheuem Blick dem Anderen zuwies und als die Mutter sie endlich stellte, da war die Antwort die, welche sie bebend erwartet hatte.

Der Baron war nicht angekommen. Unverzüglich ritt Bernhard auf einem Seitenwege nach dem verlassenen Gute zurück. Noch war es möglich, daß der Vater, die große Straße vermeidend, diese entferntere Richtung eingeschlagen habe, daß er irgendwo eingeholt, aufgespürt – gerettet werden könne.

Die ganze Nacht hindurch saßen die beiden Frauen in angstvollem Harren; den ganzen anderen Tag. Frau von Randau mußte sich endlich entschließen, die dringendsten häuslichen Einrichtungen in die Hand zu nehmen. Noch vor Abend erhielt sie von Bartels die Anzeige, daß der Banquier in den ihm vorgeschlagenen Vergleich willige. »Zu spät!« flüsterte Constanze mit wehem Blick.

Ein zweiter Tag verging ohne Kunde von Vater noch Sohn. Spät am Abend machte rascher Hufschlag die Frauen erbeben. Sie eilten vor die Thür und erkannten das Pferd, das Herr von Randau zu reiten pflegte. Ein Bauernknecht aus einem auch von Kirchberg meilenfernen Dorfe hatte es nach Randau geritten. Zwei kürzlich hergestellte Bahnlinien kreuzen sich bei diesem Dorfe. Auf einer der beiden sollte, nach Angabe des Knechts, der Herr weiter gereist sein, der ehegestern in der Abendstunde, im dortigen Wirthshause eingekehrt sei und einen Boten gedungen habe, um sein Pferd nach seinem Gute zurückzureiten. Einen Brief, den er geschrieben und versiegelt bei sich trug, befahl er, seiner Gemahlin zu übergeben. Der Brief lautete:

»Du bist das Weib, Constanze, das einem Hause seinen Herrn und Kindern den Vater zu ersetzen vermag: Du kennst keine Opfer, hast einen Fluch von meinem Haupte gewendet und Schande dagegen eingetauscht. Die Welt wird Dich bewundern, Dein Gewissen Dich entschädigen, der Himmel wird Dir lohnen, wir aber, Constanze – wir können uns niemals wiedersehen.«

*


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