Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Capitel.

Regine war nicht an zärtliche Bezeugungen gewöhnt; ihre Mutter hatte sie kaum gekannt; Vater Finnuh brummte mehr, als daß er streichelte und die Gunst der vornehmen Frau äußerte sich wenig in Gemüthlichkeit. Nähjungfern, selber wenn sie Freundinnen sind, wechseln nicht Umarmungen wie junge Fräulein einer Kostanstalt, daß aber Regina niemal eine Freundin gehegt, wissen wir so gut, als daß ihr offenkundiger Liebhaber in jener Nacht den ersten schüchternen Händedruck gewagt hatte. Regine war keusch wie Luna, sie war spröde wie Eis.

Und nun dieser Narr an Leib und Seele! War es eine Erniedrigung, die er im Schilde führte, war es die höchste Ehre, die er mit seiner Huldigung vorbereitete? Unter der Berührung ihrer Hand durch diese kalten, weichen Lippen sprang die Erkenntniß des Opfers in ihr auf, welches die Jungfrau in das Weib hinüber leitet. Sie schauderte, taumelte und sank halb bewußtlos zu Boden.

Ein Klopfen an der Thür erweckte sie; sie raffte sich auf und öffnete einer Zofe, die sich zu ihrem Dienste meldete. Ein spöttisches Lächeln spielte um des Mädchens Lippen. Regine entließ es ohne Bemühung, aber auch ohne Dank. Bald folgte ihr ein Lakai, auf silbernen Platten Erfrischungen bietend, wie sie solche niemals gekostet hatte und nicht zu benennen gewußt haben würde. Auch auf des Mannes Mienen lag ein höhnender Zug, der den Kampf ihrer Zukunft voraus verkündete.

Für den Augenblick jedoch war seine Darbietung willkommen; sie hatte seit Morgens nichts gegessen und Ueberraschungen sättigen kein junges, gesundes Kind. Kaum, daß die Bedienung des Spötters abgewiesen war, ließ sie sich mit nie gekanntem Behagen die duftigen Leckerbissen munden. Sie trank von dem feurigen, süßen Wein; zum ersten Male im Leben Wein. Anfänglich nippte, dann sog sie, schenkte von Neuem ein und trank auf einen Zug wie der Krieger, wenn er beim ersten Donner der Schlacht die aufsteigenden Schauer hinunterspült.

Mit Scham bemerkte sie, daß die Caraffe zur Hälfte geleert sei; der Hohn der Domestiken ätzte sie; sie fühlte sich versucht, die entstandene Lücke mit Wasser auszufüllen Doch widerstand sie diesem ersten Betruge; etwas wie Herrenfreiheit war bereits in sie eingezogen.

Der feurige Trank hatte sie nicht berauscht, nur belebt und erhellt. Da, wo sie vorhin vor einer unlauteren Versuchung geschaudert hatte, erkannte sie jetzt die Laune eines Phantasten; aber eine Laune, welche die breiteste Staffel auf ihrer Leiter bildete; eine Laune, welche sie kaum noch schreckte. Der Kampf dünkte sie leichter, das Opfer geringer, der Lohn unermeßlich.

Sie musterte ihr Zimmer. Keine Einbildung hätte einer Braut ein reizenderes Closet zu zaubern vermocht; einer Braut, das heißt, einer Jungfrau am letzten Abend ihres Einzellebens. Weißrosige Wolken, ineinander schwebend, keusch und doch ahnungsvoll; in den Fensternischen Gruppen der schlanken, duftlosen, weißen Calla; bis zum kleinsten Geräth die makelloseste Reine und Vollendung der Form; als einziger Wandschmuck über dem Ruhebett das Bild der Ahnin, myrthen- und perlengekrönt im Weiß und Purpur des ritterlichen Brautgewandes; der Schnakenburg'sche Zug durch Meisterhand zur Schönheit verklärt.

Als m'amie und ihr Zögling dieses jungfräuliche Gastzimmer einrichteten, da ahneten sie nicht, daß eine arme Arbeiterin es sei, die es einweihen werde. Ein ungeahntes Wohlgefühl schlich bei der Ansicht, bei der Aussicht auf so verführerische Reize, durch Reginen's Sinn. Und doch war sie weder eine üppige, noch eine eitle Natur, wollte weder schwelgen noch gefallen. Auch der Reichthum an sich hatte sie bisher niemals gelockt; wie die derbe Meisterin ihr richtig nachgesagt, würde sie das Adelszeichen vor ihrem Namen nicht gegen eine Aussteuer hingegeben haben, die ihr eine bürgerlich behagliche Existenz eingetragen hätte. Als sie aber jetzt, da binnen weniger Stunden ihre Perspective so über alle Ahnung gewachsen war, an das Erkerfenster trat und nach zwei Seiten hin das lenzduftende Gartengebiet überschaute, hüben im silbernen Mondnebel verschwimmend, drüben noch vergoldet vom letzten Sonnenstrahl, rings von den dunkeln Wipfeln des Nadelwaldes eingehegt, da dehnte sich mit dem Blick über diesen herrschaftlichen Besitz auch der Begriff der Macht und das Verlangen der Macht, die der Besitz gewährt und sie streckte, nicht nur in Gedanken, beide Arme aus, um ihn an sich zu reißen.

Der Klang einer jugendlichen Männerstimme scheuchte sie aus diesem Verlangen. Es war Gotthold, der noch ohne Ahnung der plötzlichen Wandlung in ihrem Wesen und Schicksal, ein Liebeslied singend und hoffnungsstrahlend aus den Büschen trat, um seine Freundin aufzusuchen. Gotthold, der schöne, kraftvolle Jugendgesell, der einzige Mensch, in dessen Nähe ihr bis heute wohl gewesen war oder doch wohl hätte werden können, wenn sie sich derselben außerhalb des Zusammenhanges seines Gleichen hätte erfreuen dürfen, und den sie in diesem Augenblicke mit jeder Faser ihres Strebens einem alterndem schwächlichen Krüppel opferte, einem unverständlichen Thoren, der ihr ohne den Zusammenhang mit seiner Welt jetzt und immer widerstehen würde. »Jetzt und immer!« rief sie so laut, daß sie vor ihrer eignen Stimme erschrak. Dennoch schwankte sie nicht; der innerlichste Sinn trieb sie voran.

Richten wir sie? Schmähen wir sie? Wir selber, wenn wir einen Sinn haben, nicht nur Sinne, einen treibenden Nerv sei es zum Guten, sei es zum Verderben, hat er uns nicht immer, wie auch das Schick sal uns schaukeln, Erziehung und Vernunft uns zügeln mochten, hat er uns nicht immer, gleich jenem Tändelwerk der Kinder, auf unseren Schwerpunkt zurück geworfen? Ist uns ein Beispiel bekannt, daß die Eigenart eines Ich gebrochen worden wäre, ohne die Lebenskraft dieses Ichs mitzubrechen, oder dasselbe in ein Zerrbild umzukehren? Regina von Uh behauptete den Sinn, der sie in das Besondere trieb, um den Preis des allgemeinsten Jugendrechtes und Scipio von Schnakenburg äffte trotz der Fülle seiner guten Gaben das Wunderkind, weil sein Geschick der vorwaltenden Phantasie einen häßlichen Dämpfer aufgebürdet hatte.

Marie Willig trat aus der Schloßpforte, huschte dem Bruder nach und hielt ihm neckend die Hände vor die Augen. Auch sie schien die veränderte Zukunft der Freundin noch nicht in ihrer vollen Bedeutung zu ahnen, nur eine zum Dienst Geworbene, nicht viel höher als sie selbst es war, in ihr zu sehen. Nun lachen und tändeln die Beiden miteinander wie Kinder, wie Kinder des Volks, die kein ängstliches Formenwesen beschränkt. Der Jüngling reißt sich los und springt voran, das Mädchen ihm nach; sie werfen sich mit Blumen. Jetzt ist's an ihr zu entfliehen, an ihm sie zu fangen; Hand in Hand, mit schlenkernden Armen gehen sie voran. Alles das bemerkt die athemlose Lauscherin im Thurm und eine jähe Sehnsucht, ein eifersüchtiger Neid krallt sich in ihre Brust. Sie hätte sich hinunterstürzen, sich an der Anderen Stelle drängen, einmal, ein erstes, letztes Mal aus vollen Zügen jung sein mögen.

Plötzlich stehen sie still. Eine Frage ist gestellt, ein Name genannt worden. Ihr Name, Regine fühlt es an ihrem klopfenden Herzen. Jetzt schauen sie ernsthaft, die Hände lösen sich, sein Auge schweift suchend die Fenster der Burg entlang. Endlich wendet er sich entschlossen dem Eingange zu; die Schwester scheint ihn zu beschwichtigen, zu trösten; sie legt ihren Arm um seine Schulter und entführt ihn den spähenden Blicken.

Nach einer langen Pause kehrte sich Regine nach dem entgegengesetzten Erkerfenster, von welchem die Loggia des Tuskulums zu überschauen war. Diener liefen geschäftig hin und wieder, zwischen Blumengruppen ward ein anmuthiger Sitzplatz hergerichtet, in blinkenden Schalen eine einladende Collation aufgetragen. Die Chanoinesse erschien mit ihren residenzlichen Gästen; nach einer Weile auch der Graf im dunklen Gesellschaftskleid, eine purpurne Kamelienblüthe im Knopfloch. Er wählte seinen Platz gegenüber dem Erkerfenster, das die hinter der Gardine verborgene Lauscherin nicht zu öffnen wagte. Der Laut der lebhaft sich entspinnenden Unterhaltung entging ihr daher; doch sah und deutete sie das Ungehörte.

Lächelnd, neckend, flehend mit aufgehobenen Händen bedrängten die Schönen und Nichtschönen – es war eine Damengesellschaft die sich eingefunden hatte – ihren Wirth; er zuckte die Achseln, schielte nach dem Erkerfenster, sträubte sich, schielte von Neuem, schien aber endlich, halb gezwungen, nachzugeben, indem er für etliche Minuten verschwand. Buntverschleierte Lampen wurden angezündet, ein Lesepult hereingetragen. Graf Scipio kehrte zurück, ein Manuscript in der Hand. Man ordnete sich im Kreise, der Vortrag hob an. Der Dichter saß und las; nach einigen Minuten aber sprang er auf, und das Auge zum Erkerfenster erhoben, recitirte er, declamirte, improvisirte, agitirte mit dem lebhaftesten Affect. M'amie nickte zärtlich Beifall; die Damen wechselten, kaum versteckt, spöttisch lächelnde Blicke. Doch klatschten sie Bravo zwischen jeder Pause und als die Vorführung beendet war, pflückte die Jüngste und Hübscheste des Kreises einen Lorbeerzweig, rundete ihn zum Reif und krönte den das Knie vor ihr beugenden Sänger mit dem Symbol des Ruhms.

Tasso der Zweite erhob sich in sichtlicher Befriedigung, neigte das Haupt gegen das Fenster, hinter dem er seine Leonore ahnete, bot dann den beiden ältesten Damen den Arm und eröffnete den Zug in den Speisesaal, dessen servirte Tafel ein Diener meldete.

Diese beiden Bilder in Ost und West vor der Seele, legte Regine sich zur Ruhe. Sie spürte einen unleidlichen Druck über den Augen und sank augenblicklich in festen Schlaf.

Als sie in gewohnter Frühe erwachte, erinnerte sie sich keines Traums und fühlte sich freier, kräftiger denn je. Wie widerwillig hatte sie sich bisher jeden Morgen an ihre gleichförmige, niedrige Arbeit gesetzt; wie verdrossen sich von derselben erhoben, um mit sich feilschen, rechnen, jeden Nadelstich einer Prüfung unterwerfen zu lassen; mit welchem verbissenen Ingrimm war sie gestern zu einer Rennbahn nach Kundschaft, oder Dienstschaft aufgebrochen und wie zuversichtlich blickte sie heute dem jungen Tage entgegen!

Sie kleidete sich sorgfältig, zum letzten Male, wie sie hoffte, in die Kleider der Demuth; die ihr genannte Frühstücksstunde war noch fern, kein Laut im Schlosse rege. Die gewohnte, widerwillige Beschäftigung fehlte ihr in Ermangelung einer anderen dennoch; die Morgensonne lockte durch das östliche Fenster. So stieg sie denn leise die Wendeltreppe hinab, die innerhalb des Thurmes in den Garten führte und schweifte mit einem köstlichen Behagen in der Runde dieses, selber wo es dem Nutzen diente, die Natur verschönernden Gebiets.

Baum- und Blumenpartien im reizendsten Wechsel leiteten sie allmälig in reiche Frucht- und Gemüsegärten; langgestreckte Treibhäuser reihten sich an die wohlgeordneten Baulichkeiten des Wirthschaftshofes; sie erreichte nirgend eine Grenze; eine Herrlichkeit ohne Ende verklärte die namenhafte Erscheinung des glücklichen Besitzers.

Und wenige Schritte weiter, dort, wo hinter blühenden Weißdornhecken ein sauber friedliches Dörfchen lauschte, Menschen vom behaglichsten Ansehen sich fleißig regten, wo nicht blos ein Sandfeld in einen Garten, sondern ein elendes Fröhnervolk in ein daseinsfrohes umgewandelt worden war, dort an einer Quelle wahrhaftigen Glücks würde ihr der strahlenschießende Besitzer auch noch in einem anderen Lichte erschienen sein, dem einzigen, in welchem er sich selber niemals leuchtete und niemals vor Anderen leuchten ließ. Das Rad, das mörderische Rad, war dem schnakischen Grafen unter dem Herzen hinweg gegangen! Aber die, welche lebenslang in dürftiger Abhängigkeit gerungen hatte, fühlte sich nicht in der Stimmung, welche in dem Besitzer den Wohlthäter und in dem Besitz den Segen der Spende verehrt; sie kehrte dem Dörfchen den Rücken und schlug den Heimweg nach dem Herrenhause ein.

Von Schritt zu, Schritt wurde ihre Haltung kühner, die Blicke schweiften wie im sichern Eigenthum umher; sie sah bereits kein Opfer mehr, das gegen ein Oberhoheitsrecht in die Wage fiel, das Opfer der Ehre abgerechnet, das man nicht fordern, oder wenn nachhaltig verweigert, fallen lassen werde. Sich nicht neigen und beugen; nicht eines Fingers Breite gewähren gegen Alles, auch wenn Vieles geboten, Weniges zugemuthet werden sollte.

Mit diesem Vorsatz, recht eigentlich in's Blaue hinein, schwellte das arme, noch nicht einmal angeworbene Gesellschaftsfräulein seine Seele, als die Be gegnung der Heimathsschwester sie in die nüchternste Wirklichkeit zurücksinken ließ. – Marie Willig hatte Reginen in ihrem Zimmer vergeblich ausgesucht. Nun hob die Thurmglocke just die Stunde aus, in welcher sie zum ersten Dienst bei der alten Dame befohlen war; sie mußte daher die Mahnung, welche die Nacht hindurch ihr Herz beklemmt hatte, in wenig Worte zusammenpressen:

»Regine, liebe Regine,« stammelte sie dunkelerröthend, indem sie der Freundin beide Hände ergriff. »Die Leute, die schlechten Menschen, sie zischeln und munkeln, ich glaube es nicht, ich kenne Dich ja; aber denke an Gotthold, an den braven, treuen Gotthold, liebe Regine.«

Damit eilte sie voran; die ernüchterte Streberin aber stand eine Weile unbeweglich, mit ringendem Athem. Sie sah, wie die Schatten der Vergangenheit den Glanz ihrer Zukunft überbreiteten; deutlich erkannte sie den Neid der Geringen, deren Gemeinschaft sie aufgab; den Hohn der Großen, zu deren Gleichen das höhere Terrain sie nicht erheben werde; Verlegenheiten, Demüthigungen aller Art; Hemmnisse tausenderlei; doch nicht Schrecknisse auf ihrer Bahn.

»Vorwärts, vorwärts!« rief sie aus, indem sie ihre Schritte beschleunigte. »Standhalten, schweigen und Gotthold,« noch einmal stockte sie, die bebende Hand gegen die Brust gestemmt, »Gotthold niemals wiedersehen!«

Ihn niemals wiedersehen! Und da stand er, wie aus dem Boden gewachsen, ihr gegenüber, vertrat ihr den Weg, als sie ausbiegend ihm zu entfliehen gedachte. Seine Lippen zitterten; die Zeichen einer schlaflosen Fiebernacht waren in den sprühenden Augen auf den glühenden Wangen zu sehen. Regine hatte den frohherzigen Gesellen niemals schöner gesehen, als jetzt mit der in Zorn zusammengezogenen Braue. Sie fühlte sich erbleichen wie eine Verbrecherin und wünschte sich an das Ende der Welt.

»Bleibe Regine!« rief er, indem er heftig ihre beiden Arme erfaßte und sie in einen halbdunklen Laubengang zog. »Wolle mir nicht entfliehen, Regine. Ist es wahre?Willst Du, hast Du –«

Sie hatte ihre Fassung wiedergewonnen und maß ihn mit einem stolzen, stummen Blick, vor dem er den seinigen senkte.

»Vergieb mir, Regine,« stammelte er. »Sieh, ich bin wie bethört. In's Wasser hätte ich springen können, zum Mörder hätte ich werden können, herzens toll hat es mich gemacht, dieses Fingerdeuten und Augendrehen der Hundeseelen hier im Schloß! Blicke mich nicht so zornig an, Regine, ich weiß ja, ich weiß, daß Dir, Dir so etwas nicht möglich ist. Aber auch Du, Regine,« fuhr er mit überströmenden Thränen fort, »auch Du mußt ja wissen, wie mir um's Herz ist. Wenn Einer auf der Welt es gut mit Dir meint, Regine, wenn Einer Dich lieb hat, lieb, lieb,« er preßte ihre Hände gegen seine Brust, »durch's Feuer möchte ich für Dich gehen, mein Leben möcht' ich für Dich lassen, beste, einzige Regine. Und das mußt Du ja fühlen, es muß Dich ja glücklich machen, einem armen Menschen ewig, ewig so Alles in Allem zu sein!«

Gewiß, sie fühlte es in diesem Augenblick. Keiner hatte sie bis heute lieb gehabt als er allein; selber ihre Eltern nicht so, daß sie es gespürt; keiner würde sie lieben, keinen sie. Die goldene Treue eines Menschenherzens strahlte stärker als alle Ehre und Herrlichkeit der Welt – in diesem Augenblicke. Hätte er in diesem Augenblicke gesagt: »Komm, Regine, laß uns fliehen, jenseit des Meeres, wo uns Keiner kennt, Keiner mit scheelen Blicken auf uns niedersieht; Du und ich ganz allein!« Sie würde ihm gefolgt sein; vielleicht – nein gewiß – in diesem Augenblicke.

Aber der ehrliche Gesell dachte an Hütten bauen, nicht an Flucht und – der Augenblick verrann. Er spürte ihre Bewegung; das Herz floß ihm über und jedes seiner langverhaltenen Worte senkte sich gleich einem kältenden Tropfen in des Mädchens Brust.

»Du bist mein Herzblatt gewesen von der Wiege ab,« sagte er. »So klein, so klein und schon so schön wie jetzt. Als Deine Mutter gestorben war und ich Dich auf meinen Armen in unseren Garten hinübertrug, ich, der ich selber kaum laufen konnte, als ich Dich auf den Rasen neben das Bleichstück legte und Dir Blumen und Steinchen zum Spielen brachte; seit der Zeit hast Du mir's angethan, daß ich Dich in Blumen betten, Dir ein Spiel aus dem Leben machen möchte. Allen Anderen warst Du zu finster, zu still, mir allein warst Du recht, so wie Du warst.

»Und später, als Du zu meinem Vater in die Mädchenklasse gingst, wie ich da lauschte hinter dem Gartenzaun, lange ehe Du kamst: immer allein, immer gemessen, nicht im Haufen mit den Anderen. Wie ich mich raufte rechts und links, wenn sie Dich ätschten, weil Du stolz schienest, anders redetest, Dich anders trugest, alles an Dir anders war, als an den Anderen. Ich liebte Dich darum, weil Du anders warst – ich allein.«

»Und wieder, als Dein Vater starb und dann meiner. Ich habe es keinem Menschen gesagt, auch Dir nicht, Regine; aber Du, dachte ich, Du müßtest es wissen ohne Wort. Wem zu Liebe bin ich vom Seminar gelaufen, als für Dich? Denn um meinetwillen hätte ich's wohl auch mit Bakel und Orgel getrieben, wie mein Vater und Vatersvater gethan. Aber ein armer Schulmeister, wohl gar auf dem Dorfe, ein Hungerleider lebenslang, nein, sie soll's besser haben, dachte ich. Deine Hand ist geschickter als Dein Kopf; nur im Zeichnen fehlt Dir niemals Nummero Eins, dachte ich und lief davon.«

»Lehrjahre, schwere Jahre! heißt es in der Welt; mir sind sie flügelleicht geworden, denn ich arbeitete für die, welche ich zu meiner Meisterin auserkohren hatte. Wenn ich munter mit den Vögeln erwachte, oder mich todtmüde zu Bette legte, immer standest Du vor mir, Du warst mein Erstes und mein Letztes, Regine. Ach, wie ich mir's ausmalte, Regine! Eine Werkstatt, alle Jahr weiter und größer; Lehrlinge, Gesellen, alle Jahr mehr und mehr. Sie heißt Regine, sie soll regieren! dachte ich. Und das Haus richte ich ihr ein mit eigner Hand; keine Gräfin soll's schöner haben. Wenn ich einen Fußboden ausgelegt hatte, oder eine Thür geschnitzt, oder sonst ein kunstvolles Stück, wenn alle mich beneideten und der Meister mich lobte und sagte: so sauber gelingt's keinem wie dem Fromm, – ja, ein sauberes Stück, aber für meine Regine lange nicht sauber genug, – dachte ich.«

Er schöpfte Athem. Der feurige Liebhaber ahnte nicht, daß er seine Sache einem Todfeinde übergeben habe, als er den bescheidenen Arbeiter für sich sprechen ließ. Wohl spürte er der Schönen frostigen Blick; aber er deutete ihn als Zweifel und suchte ihren Muth durch die Schilderung seiner Erfolge zu beleben.

»Und das Alles,« so fuhr er nach einer Pause mit sprühender Freude fort, »das Alles ist mir über Hoffen und Sorgen geglückt. Ein Jährchen noch, oder zwei und ein eignes Haus hier im Dorfe entgeht mir nicht; ein Gärtchen vor der Thür, ringsum der Herrenpark wie ein Paradies; gute Freunde zu Nachbarn, Kundschaft auf dem Schloß, Absatz nach der Stadt und einen Sparpfennig zum Anfang, einen Sparpfennig, Regine, weit höher als Du denkst. Nicht einen Groschen hab' ich unnütziger Weise verthan. Kein Tanz ohne meine Regine, kaum ein Labetrunk! Und die Komödie in der Stadt, freilich zog mich's hinein. Nicht um zu lachen etwa; lachen kann Einer ohne Geld für sich allein; und lustigere Schwänke als unsere Gesellen treiben sie im Schauspielhause auch nicht; und gar einen schnakischeren Kunden als unseren Grafen, Gott erhalte ihn, den braven Herrn! aber einen schnakischeren Kunden, oder Einen, der nobler mit dem Gelde umspringt, den findet man in keinem Possenspiel. Nur wenn gesungen wurde, Regine, oder wenn ein rührendes Stück auf dem Zettel stand, so etwas Feierliches, Schreckliches, daß Einem ein eiskalter Schauer über den Körper läuft, wenn man sieht, wie's mit einem Menschen enden muß, hat ihn der böse Geist einmal gepackt, da zog mich's hinein.

»Aber nein. Es sei denn, daß der Meister es mir geschenkt, oder späterhin der Graf; neunmal unter zehnen kehrte ich unter der Thür wieder um, schob des Geld in die Sparbüchse und sagte: Wenn Deine Regine es mit Dir schaut, schaust Du's doppelt; ohne sie ist's doch nur halb.«

»Wie Du finster blickst, Regine!« unterbrach er sich plötzlich, von ihrer starren Miene erschreckt »und Deine Hand fühlt sich kalt an wie Eis. Nein, nein, Regine; es war eine Tollheit, Dich hier haben zu wollen vor der Zeit; Du sollst nicht dienen und brauchst's auch nicht, Regine. Kehre heim. Meine Schwester giebt Dir Obdach in ihrem Haus und Dorothee Einzelnarbeit, wenn ich sie darum bitte. Nein, nein, ich bitte sie nicht. Ich schicke Dir durch Miekchen hier aus dem Schlosse, oder aus der Stadt, ich weiß schon die Quelle. Oder Du brauchst auch gar nicht zu arbeiten; ich bringe es fertig ohne Dich. Ja, ja, das ist das Beste: Du nimmst von dem Meinen. Von mir darfst Du's ja nehmen, mußt es ja nehmen. Und ich hab's ja, Regine. Nur ein Weilchen länger dauert's mit dem Eignen. Aber sind wir nicht jung? Können wir nicht warten? Und würde ich lahm und grau, wackelte ich mit dem Kopfe, währte es fünfzig Jahre, Regine, ich wartete auf Dich.«

Der gute Junge hatte sich außer Athem geredet, während er, ihren Arm fest zwischen seine rauhen Hände geklammert, des Mädchens geflügelten Schritten folgte. Auch ihre Brust rang nach Luft; Auge und Ohr lauschten scheu umher: eines Spähers Blick, ein aufgefangenes Wort und die Welt ihrer stolzen Sehn sucht lag zertrümmert. Unter diesem warmen Erguß hatte sie nichts gedacht, als zu entfliehen und mit dem einzigen Freunde die Vergangenheit von sich zu stoßen für immer.

Er bemerkte ihre Erregung, ohne den Grund derselben zu verstehen. »Wenn Du aber hier bliebst, Regine,« hob er nach einer Weile von Neuem an, »wenn Du aber hier bliebst, nicht als Dienstbote, wie ich Dummkopf mir vorgestellt hatte, aber als etwas Höheres, wenn Du Dich an das Herrenleben gewöhntest; wenn sie Dir von allen Seiten Netze stellten, weil Du schön bist und arm; wenn ich's sehen müßte, hören Tag für Tag, wie die Canaillen es ausdeuten; es ist Wahnwitz, ich weiß es, Du und der, aber brühsiedenheiß überläuft's mich, einen Mord könnte ich begehen bei dem puren Gedanken – pfui!«

Er schleuderte mit einem zornigen Zucken ihren Arm, der sich unter seiner Umklammerung dunkelroth gefärbt hatte, von sich fort. Sie fühlte sich frei und floh voran. Rasch hatte er sie überholt und ihr noch einmal den Weg vertreten. »Bleiben willst Du, Regine?« rief er außer sich. »Dennoch bleiben? Aber ich lasse Dich nicht, Regine. Mein bist Du, mein! Ich lasse Dich nicht!«

Sie hätte schreien mögen; um Hülfe schreien gegen den einzigen Menschen, der sie lieb hatte. Doch war sie nüchtern genug, um in dem befreienden Zeugen den bedrohlichsten Feind ihrer Zukunftspläne zu erkennen. So schwer es ihr wurde, sie mußte sich zum Reden einschließen. »Unsere Wege trennen sich hier,« sagte sie mit gebietender Ruhe.«

Er starrte sie an wie betäubt.

»Verlassen Sie mich,« wiederholte Regine.

» Sie? Sie sagt sie?« murmelte er mit irrem Blick. »Sie? und schaut auf mich herab, als wär's zum ersten Mal? Regine!« schrie er darauf, indem er sie mit beiden Armen rüttelte. »Sieh mich doch an, Regine. Kennst Du mich denn nicht mehr? den Gotthold nicht mehr, Regine? Besinne Dich doch! Eine Stunde Herrenleben, hat sie Dich denn bis in den Herzensgrund verhext?«

»Welches Recht haben Sie zu einem Anspruch an mich?« fragte Regine, schneidender gewiß als das Herz sie hieß. Aber sie hatte keine Wahl, sie mußte das seine zerreißen, oder ihrem eigensten Selbst entsagen.

Er schluchzte wie ein Kind. »Welches Recht?« stammelte er. »Welches Recht? Meine Liebe, meine alte, ehrliche Liebe! Hast Du sie denn niemals begriffen, Regine?«

Sie durfte nicht ja sagen und verstand nicht zu lügen; sie senkte schweigend den Kopf.

»Neulich Nacht,« fuhr er fort, »als wir allein mit einander gingen und Du meine Hand drücktest, Regine –«

»Niemals, niemals!« rief sie heftig.«

»Du drücktest sie, drücktest sie mir wieder, ja, ja!« sagte er sanft. »Als ob Einer das nicht spürte, Regine! Sieh hier auf meinem Herzen die Blume, die Du mir zum Abschied hinunterwarfst.« Wieder mußte sie schweigen mit gerunzelter Stirn. »Hast Du mich denn niemals lieb gehabt, niemals Regine?« fragte er zitternd in Todesangst.

Sie raffte sich zusammen, entriß sich seinen Armen und sagte entschlossen: »Verlassen Sie mich, ich liebe Sie nicht.«

»Sie liebt mich nicht!« schrie er auf, indem er sich wie ein Wahnwitziger zu Boden warf.

Sie hörte seinen Weheruf; aber sie blickte nicht zurück; erst dicht vor dem Schlosse zügelte sie ihren Lauf und athmete wie erlöst. Sie war frei; ein dunkler Strich durch die Vergangenheit gezogen. Komme was wolle, das Schwerste war gethan, das Unwiderrufliche geschehen.

Vom Balcon seines Zimmers grüßte der Graf im weißen Morgenkaftan und rothen Fez. Kaum daß sie den Narren noch in ihm sah; nur den Befreier aus einem Zustande, der ihr niemals so enge, so niedrig und unwürdig vorgekommen war, als während seiner Schilderung aus einem liebenden Herzen.

Auf ihrem Zimmer erwartete sie ein duftendes Billet, in welchem der Herr ihrer Zukunft in feinen, weiblichen Zügen und reich verblümten Wendungen sie an die ersehnte Entscheidung mahnte.

Sie war ihrer selbst und ihrer Sache gewiß; ohne Zaudern noch Zagen setzte sie sich, um letztgültig abzuschließen. Mit schicklichem Takt richtete sie ihre Zustimmung an die Dame des Hauses; in großer, deutlicher Handschrift stand die Anrede auf dem Papier; aber wortkarg von Natur und des brieflichen Ausdrucks ungewohnt, wollte ihr die Form nicht flüssig werden. So saß sie, eine Weile sinnend, den Kopf in die Hand gestützt. »Zuwarten und schweigen,« die Verhaltungsregel hatte sie sich bereits gestellt. »Kein unnützes Wort! Kurz und klar, Herrenton!« sagte sie jetzt, indem sie ihre Einwilligung in eine Prüfungszeit als Gesellschaftsfräulein der Frau Chanoinesse von Dienstungen niederschrieb.

Sie überlas das Blatt und war mit seinem Ausdruck zufrieden. Nur ihre Unterschrift fehlte noch. Just aber, als sie die Feder für dieselbe angesetzt hatte, öffnete sich die Thür und die Adressatin schlüpfte in das Zimmer, eilig, ängstlich, verstohlen wie es schien und mit roth verweinten Augen.

*


 << zurück weiter >>