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Die Schnakenburg.

Erstes Capitel.

An einem Mainachmittage sonn- und wonnesam, wie deutsche Dichter Maientage zu besingen pflegen, ein prosaischer Erzähler leider jedoch selten zu ihrem Genusse kommt, in einer reellen Dichterstunde also versetzen wir uns in eine Gartenwelt, deren Höhen und Gründe, Baum- und Blumengruppen, Formen- und Farbenspiele wir einer wohlverdienten gelegentlichen Schilderung vorbehalten, um für heute nur einen Blick in den Laubbogengang zu werfen, der sich in anmuthigen Windungen von der Burg nach der Felsenschlucht absenkt.

Höhen und Gründe, eine Felsenschlucht, eine Burg, und dort gen Norden, nur durch ein weites Sandfeld geschieden, mit dem Fernrohr erkennbar, die Thürme einer gewissen nicht näher zu bezeichnenden großen Residenz. Fürwahr, es muß ein glückgesegne ter Kunstfreund gewesen sein, welcher das Erbe seinen Väter so romantisch Komödie spielen, mit Ameisenmühe, auf tagefernen Straßen die Verwandlungen herbeiführen ließ, durch deren Hülfe er von Gruppe zu Gruppe diesen landschaftlichen Mikrokosmus producirte!

Wie natürlich sich jene Sandhügel mit starren Porphyrblöcken maskiren! Wie übermüthig, der Seefülle abgeleitet, von Dampfkräften getrieben, das Bächelchen seine Heldenrolle braust, sich nach jähem Sturze unten in der Muschelgrotte sammelt, zu besinnen scheint, freiwillig friedsam-fernerweitige Klippen vermeidet, sanft murmelnd sich zwischen blühenden Matten schlängelt, mit ehrbarer Würde ein Pseudo-Mühlrad treibt und endlich, außerhalb seiner Kunstsphäre, zu reellem Nutzen noch ein breites Wiesengelände berieselt! Die zarten Moose und Gräser, die saftigen Farren und würzhaften Waldkräuter, sie hauchen Chorus in hundertfältigen Düften; ein buntblühendes Strauchgeschlinge, Zierbäume aller Himmelsstriche, und sogar ehrliche deutsche Eichen spreizen sich gleich wohlgenährten Colonisten, während nur Auserwählte der nadeltragenden Eingeborenen sich behaupten durften, indem sie sich klüglich der zugetheilten Rolle fügten und das Ansehen gaben, als hätten sie die Last der fremden Felsblöcke mit ihren behaglich sich im Sande dehnenden Wurzeln gesprengt.

Droben aber, über Gipfel und Wipfel, da musicirt ein vielstimmiges Orchester, Landeskinder mit Angesiedelten um die Wette, zum Preise des Gebieters, der ihnen ein so lauschiges Heimwesen hergerichtet hat, und selber der breite See, der diese junge, künstliche Schöne umspannt und in seiner alten natürlichen Schöne, schier ein blaues Wunder, sich alltags so gleichmüthig stille gegen die Folie des väterlichen Himmelsgrau's abhebt, er spiegelt heute mit einem Silberblick das wolkenlose Lächeln seines Ernährers zurück.

All' diese natürliche und künstliche Maienlust scheint indessen wenig von dem Paar gekostet zu werden, das in vertraulicher, aber unbehaglicher Unterredung langsam den Laubengang niederwandelt. Mutter und Sohn dem Ansehen nach; der Herr bereits über den Jahrgang hinaus, der Schwaben und Sparter zu Männern machen soll; die Dame demnach eine Greisin, so mädchenhaft auch, ja kindlich schüchtern ihr blaues Auge jetzt sich zu Boden senkt, jetzt seitwärts auf den Begleiter richtet, welcher der verlegenen Stimmung früher als sie Herr geworden ist.

»Dreist heraus, m'amie,« so unterbricht er mit heller Fistelstimme ihre leise gedämpfte, gleichsam zwischen innerlichen Hindernissen sich windende Rede. »Dreist heraus: ein refus, ein Korb!«

»O, nicht doch, Lieber! Ein kaum merkliches Ausbiegen nach der verschleiertsten Andeutung,« widersprach die Matrone, und als der Herr achselzuckend meinte: » Nein bleibe Nein, leise oder laut,« da setzte sie mit flehender Geberde hinzu: »Laß es Dich nicht niederbeugen, mein Scipio.«

Sie seufzte bei diesen Worten und das Haupt senkte sich noch tiefer denn gewohnt, fast bis zu dem Strickstrumpf hinab, den sie hastig während der Rede regierte und dessen Knäuel in einer faltigen Taschenschürze verborgen war.

Der ›Scipio‹ Angeredete aber reckte sich in die Höh' mit einem Ausdruck, der seinem classischen Namensahn Ehre gemacht haben würde. Seine Stirn erreichte nahezu die Schultern der schlanken Matrone, und der goldige Lockenscheitel wallte gleich einer Löwenmähne in den Nacken hinab. »Niederbeugen?« rief er aus; »niederbeugen, dieses Nein? Es erhebt mich, Vortrefflichste; um Kopfeshöhe erhebt es mich. Jede Banalität, jeder Unverstand wirkt –«

»Unverstand, ganz recht, ganz recht, Lieber,« unterbrach ihn voller Eifer die Dame. »Kennte man Dich, wie ich Dich kenne –«

»Kennst Du mich, m'amie?« fragte der Herr mit schelmischem Augenblinzeln; worauf die Dame bescheiden antwortete:

»Es ist freilich schwer, Dich auszukennen, mein Scipio. Indessen ich, die Dich großgezogen –«

Herr Scipio entwickelte je mehr und mehr den rüstigen Humor, welcher dem Korbträger ziemt. »Groß?« fragte er mit einem Ton, dessen Ironie von dem Bewußtsein der Selbstkritik gemildert ward, während sein Blick auf ein Paar Däumlingsbeinchen ruhte, die einen mächtigen Oberkörper zu tragen hatten.

Die Dame machte eine abwehrende Bewegung. »Du hattest Anlage zu einem Riesen, Scipio,« sagte sie, »zu einem –«

»Zu einem Garde-Lieutenant, m'amie, bis das Rad, das unglückselige Rad –«

»Das Rad, das unglückselige Rad! Barmherziger Gott!« wiederholte die Dame. »Indessen lassen wir die äußere Gestalt, gleichgültig, Nebensache ja die Gestalt!«

Der kleine Herr schien es darauf abgesehen zu haben, die Trösterin mit seinem Spott zu unterbrechen. Er vertrat ihr den Weg, indem er durch einen neckischen Gestus eine absonderliche Wölbung über seinem Brustkasten bemerklich machte, dann sich auf dem Absatze nach der Rückenseite schwenkte, die einen nicht minder unziemlichen Ueberfluß offenbarte. »Ein Verdruß, doch recht verdrießlich, gelt, m'amie?« sagte er lachend, ohne alle Bitterkeit.

Die Augen der Matrone füllten sich mit Thränen und ihre Stimme klang weich wie aus einem Mutterherzen, auch als sie im Verlauf sich eines heiteren Uebergangs bemühte.

»Ich sehe Deine Seele, mein Kind,« sagte sie, »Dein schönes, reiches Herz, die Fülle genialischer Gaben, tel qui brille au premier rang s'éclipse au second! Hörst Du die Nachtigall, Freund? Wer wünscht ihr, einen Papageienschmuck, wenn ihn ihr Lied entzückt? Indessen, warum soll ich mir es wehren, ich alte Thörin, die ich die seltsame Führung Deines Schicksals so viel weniger gelassen hinzunehmen vermag, als Du selbst, Philosoph? Auch Dein Aeußeres, Scipio, – wie graziös Du diesen sommer lichen Anzug trägst! Eine charmante Neuerung! Sie wird Nachahmer finden, im nächsten Jahr Mode sein, gewiß ganz gewiß.«

Sie musterte bei diesen Worten Stück für Stück ihres Begleiters schäferliche Toilette, leichtes Schuhwerk und weiße Unterkleider über den Zwergenbeinchen, Blouse von maigrünem Taft, durch eine Schärpe zusammengehalten, breiter Spitzenkragen und runder Strohhut, der im Wandeln mit einem Blumenstrauß geschmückt worden war.

»Es thut Noth, sich unserer uniformirenden Tyrannei zu entziehen und zweck- wie zeitgemäß auch in Aeußerlichkeiten zu verhalten,« warf der Herr nachlässig hin, nicht ohne einen Blick jedoch, der die Befriedigung eines guten Geschmackes reflectirte. Jeder Blick unseres Freundes war gleichsam ein Spiegelblick. »Aber Du hast Dich unterbrochen,« fuhr er nach einer Pause fort. »Du sprachst von der Gestalt. Die Consequenz, Deinen Schlußsatz, m'amie?«

»Den Schlußsatz? Ich weiß nicht – verzeih – er ist mir entfallen, Lieber,« stammelte die Dame, die diesen Gegenstand abgethan wünschte.

»Ich werde ihn ergänzen, meine Thema, das Haupt eines Giganten auf einem Pygmäenkörper! Glaubtest Du im Ernst, daß Dein gräfliches Lämmchen den Sinn dieser Gestalt begreifen werde?«

»Ich hoffte es, mein Scipio. Deine gesellschaftlichen Vorzüge, o, nicht doch, ich wollte sagen, Dein Geist, Deine Güte, die heitere Beherrschung Deines Geschicks, wen müßte es denn nicht rühren, mein theures Kind? Sie weinte, als ich ihr die Bilder aus Deinen Knabenjahren zeigte. ›Ein Seraph!‹ rief sie aus.«

»Jammerschade, daß das Rad des Heuwagens, das Flügelpaar des kleinen Seraph knicken mußte!«

Der innerlichste Wehepunkt einer mütterlichen Seele war mit dieser spottenden Bemerkung wieder aufgeregt worden. »Das Rad, o, das nimmerruhende Rad!« ächzte sie, in ihre Erinnerungen versunken. »Daß ich auch just am Hirnfieber liegen mußte! Die einzige Krankheit meines Lebens, die erste Stunde, die das Kind außer meiner Obhut verbrachte. Daß – daß – –«

»Daß es just in der Heuernte sein mußte!« parodirte lachend der kleine Herr. »Johannistag, Seraphimchens Wiegenfest, ein Segenstag, wie der Glaube ist. Der erste Erntewagen, mit Kränzen geschmückt.«

»Der schwere, entsetzliche Wagen!«

»Das rollende Verhängniß, welches heute nach, vier Decennien, noch einen Freierkorb in diese gütige, werbende Hand geschleudert hat. Nun, lassen wir es»ruhen, das seraphsmörderische Rad. Glaube mir, meine Freundin, Dein Zögling wäre ohne dasselbe nicht der geworden, derer ist.«

»Nein!« hauchte die Matrone im tiefsten Schmerz.

»Und nun zum Schluß. Das Dämchen will mich nicht; abgemacht! Ein Tantenplan! Ich war klar, über des Resultat, sobald Du ihn ausgeheckt.«

»Ich?« rief die Dame verwundert; setzte jedoch erröthend, mit hastigem Eifer hinzu:

»Ja wohl, ich, ich. Ich täuschte mich. Du würdest nicht glücklich mit ihr geworden sein, mein Scipio. Ein liebliches Kind! Aber ich glaube – ich fürchte – nicht Herz genug.«

Der letzte Satz verhallte auf ihren Lippen, denn bereits hatte der Begleiter die Register gezogen, um an ihrer Statt, wenn auch schwerlich in ihrem Sinne, den Beweis ihrer Täuschung zu führen.

Der kleine Herr war plötzlich wie umgewandelt. Hatte er bisher nur in abgerissenen Sätzen, ja nur in Blicken und Geberden eine ironische Auffassung ausgedrückt, so entwickelte er jetzt mit dialektischer Fertigkeit eine Liberalität des Urtheils, welche verschmähte Bewerber sich zum Muster nehmen könnten. Aus den durchaus nur relativen Mängeln eines lieblichen Kindes wurde der Schluß auf die, gleichfalls nur relativen, Tugenden eines Weibes gezogen, durch welche und durch welche allein, einer eminent positiven Männlichkeit die Ehe zu einem – Glück oder Segen nannte er es nicht, aber zu einem »Correctiv« zu werden vermöge. Einem genialisch ausgreifenden Geiste wurde das Bild einer geordneten, sich selbst besitzenden Natur gegenübergestellt; kein Wunderbild, aber tadellos, das Product der schönen Regel. Er entwarf es wie der Künstler ein Modell, in Ausdrücken selber, welche vorwiegend dem Kunstgebiet entnommen waren.

»Maaß!« rief er zum Schluß; »und noch einmal Maaß und zum drittenmal Maaß! Und für das Maaß den Nerv und aus dem Nerv ein Rhythmus; in unserer Zeit verschwimmender, oder nachgeahmter Formen ein lebenskräftiger Styl!«

Er hatte gesprochen, gegenständlich wie im Interesse eines Dritten, offenbar mehr zum eignen Genuß, als zur Ueberzeugung der andächtig zuhörenden Freundin, deren Zustimmung ihm auch ohne Verständniß gesichert sein mochte. Und in der That, die Gütige blickte zufrieden. Wenn dieser correcte Entwurf auch Zug für Zug weder dem idealen noch dem wirklichen Gegenstande ihrer Tantenwünsche entsprechen mochte, er war gezeichnet mit sicherer Hand, die beigebrachte Wunde folglich wenig schmerzhaft, oder tief. Ja, fast hatte es den Anschein, als ob der Bildner sich an dem erledigten Raum für neue Entwürfe, an dem Aufschwung frischer Hoffnungen erfreue.

»Du zeichnest die Edelfrau wie sie sein soll und sein kann,« sagte die Dame, indem sie dem Redner warm die Hand drückte. »Wir wollen nach ihr ausschauen, lieber Scipio.«

Freund Scipio lachte hell auf. »Ausschauen!« rief er; »suchen wohl gar! Suchen die Schönheit, suchen das Glück; suchen mit der Brille wie ein Vierblatt auf einem Kleefeld, gelt? O, Weiberchen, Weiberchen! Glück, meine Theuere, ist Offenbarung, Impuls. Ungesucht, ohne Wahl; ein Blick, ein Blitz. – Ha, was ist das?«

Ihr Wandelgang hatte sie während dieses Gesprächs zu einem kleinen Plateau geführt, das nur durch den Bach getrennt, der Muschelgrotte gegenüber lag. Der Herr stand während seines letzten Aufschrei's in jäher Verzückung, beide Arme ausgestreckt, wie gebannt; seine Begleiterin aber athmete erlöst, da sie durch irgend welches Zwischenspiel, den schweren, wenn auch mit künstlichen Blumen umhüllten Korb verdrängt, und, sie wußte es ja, ohne Groll für allezeit beseitigt sah. Sie folgte daher der Richtung seiner Blicke und ließ es an Zeichen eingänglicher Aufmerksamkeit nicht fehlen, als ein in der That überraschendes Schauspiel sich ihrer Betrachtung darbot.

Am jenseitigen Rande des plätschernden Baches lag ein junges, weibliches Wesen, die Brust von leisem Schlummerhauch gehoben, das heiterste Traumeslächeln über den rein und fein geschnittenen Zügen. Zwei bläulich schwarze Flechten hingen losgenestelt an den Seiten hinab, die faltigen Aermel zurückgestreift, kreuzten sich die Arme über dem Haupt, das, auf einer Moosbank ruhend, von den Ranken der Grotte umfächelt ward, während ein einfaches dunkles Wollenkleid, bis über die entblößten, von den klaren Wellchen umspülten Knöchel geschürzt worden war.

»Ein schönes Kind,« sagte die Dame. »Eine Fremde, Verirrte wohl gar.«

»Eine Nymphe, eine Fee!« verbesserte exstasisch der kleine Herr, indem er dem Bachstege entgegeneilte, um sich von der Realität der zauberischen Erscheinung zu überzeugen.

Als jedoch seine Freundin darauf hindeutete daß die Schläferin, so von Männerblicken überrascht, sich beim Erwachen beschämt fühlen müsse, zog er sich bescheidentlich zurück und erging sich aus dem Hinterhalt eines Gebüsches, die Blicke magnetisch an die Grotte gebannt, in einer zergliedernden physiognomischen Rhapsodie über das seinem Künstlerauge vorgeführte unvergleichliche Modell.

Das classische Profil, die breite, niedere Stirn, die leise Curve der Lippen, ein bräunliches, sanft durchglühtes Colorit, die große, schlanke Gestalt bis zu den feinen Fesseln der rundlichen Glieder hinab wurde, im Ganzen wie im Einzelnen, zur Bedeutung, zum Symbol. Alles, was vor wenig Minuten, der genialische Herr von seinem Traumbild gefordert hatte, und manches Unausgesprochene in den Kauf, Jungfräulichkeit, Hoheit, Adel, hier erschien es natürlich verbrieft und besiegelt. Von Bild zu Bild, von Mythos zu Mythos, von Galathea zu Dornröschen, durch alle Regionen der Romantik streifte der Dythy rambus einer der Erlösung harrenden, traumbefangenen Schönen.

»Poet!« unterbrach ihn die Matrone, die mit bewunderndem Lächeln dem Ergusse gelauscht hatte. Plötzlich aber lief sie mit dem Schreckensrufe: »Die Füße in dem eisigen Wasser, es kann ihr Tod sein!« dem Stege zu, um die Gefährdete aufzuwecken.

Ehe sie den Steg indessen erreicht hatte, regte sich die Schläferin; die Dame verbarg sich neben dem Freunde hinter einer Baumgruppe, die sie den fremden Blicken entzog, ohne die eigene Augenweide zu beeinträchtigen.

Die Schöne dehnte, wie im Wohlgefühl, ihre Glieder, schlug die stahlblauen Augen auf, strich mit der Hand über die Stirn, schien sich zu besinnen. Das anmuthige Traumlächeln schwand von ihren Lippen; sie schrak zusammen, spähte scheu nach allen Seiten und erhob sich dann hastig, um ihre Füße zu bekleiden, die Flechten kronenartig über der Stirn zu winden, die Falten des Anzugs zu glätten und eine halbwelke Purpurblühte, die ihrem Schooße entfallen war, im Gürtel zu befestigen.

Auch diese ihre leisen ruhigen Bewegungen, wie vorhin die leise bewegte Ruhe, begleitete der heimliche Lauscher mit Zeichen und flüsternden Aeußerungen einer tiefsinnigen, physiognomischen Combination. Als er die Schöne ohne Blick in den lockenden, crystallhellen Wasserspiegel ihre Toilette beenden sah, rühmte er ihre stolze Gleichgültigkeit, des Freisein von weibisch selbstgefälligen Gelüsten. »Keine Spur von dieser erbärmlichen Eitelkeit!« rief er aus. »Kennst Du eine entwürdigendere Eigenschaft als Eitelkeit, m'amie?«

M'amie schlug die Augen zu Boden und erröthete bis unter die Silberlöckchen. Es mußte dies Augenniederschlagen und Erröthen eine Natureigenthümlichkeit bei ihr sein, denn ihrem Habitus nach, konnte ihr Gewissen von dem Verdammungsspruch des Moralisten schwerlich getroffen werden. »Ein schönes Frauenzimmer!« wiederholte sie ablenkend und setzte in gefälliger Neugier hinzu: »Wer sie wohl sein mag? Eine Fußgängerin, unbekannt in der Gegend. Möglich, daß sie sich um den erledigten Dienst im Schlosse bewerben will.«

Freund Scipio schien diese hausbackene Auslegung des schönen Räthsels überhört zu haben. »Fremd und geheimnißvoll wie das Fatum!« murmelte er in sich versunken; dann aber, sich groß gegen die Matrone aufrichtend, rief er mit divinatorischem Augenstrahl: »Meine Theuere, bei der Geburt dieses Kindes hat die Sonne über seinem Haupte culminirt!«

Die seherische Stimmung sollte indessen durch eine bedeutend realistische Erscheinung abgedämpft werden. Ein dralles Dirnchen, in geblümtem Kattun, kam von dem jenseitigen Schloßwege dahergetrabt; die Backen glühend und der Athem keuchend unter der Last eines mächtigen Deckelkorbes, an welchem ein Käfig mit ein Paar Turteltauben angehenkelt war. Sie lockte schon von Weitem durch den Ruf: »Rutchen, Rinchen!« die Grottenschöne aus ihrem Versteck und berichtete darauf, lachend und leuchtend über das ganze Gesicht, von einem Kameraden, der im Augenblick in seiner Werkstatt nicht abkömmlich sei, sich gegen Abend jedoch zur Begleitung einstellen werde; von einer Herrschaft, die spazieren gegangen sei, von Tausend im Fluge erspähten Wunderdingen, welche vor ihrem Stadtgange in Augenschein zu nehmen, das zögernde Rinchen ermuntert ward.

Mitten im Feuer wurde sie unterbrochen; der kleine Herr vertrat ihr mit ausgebreiteten Armen den Weg. »Halt da!« rief er in plötzlicher Schäkerlaune »Eingefangen auf verbotenem Weg! Schoß und Gebühr, schönes Kind!«

Er spitzte nach diesen Worten den Mund, mit so unschuldiger Miene, daß der Tribut an diesen wunderlichsten aller Flurschützen, der als ein halbwüchsiges Bürschchen taxirt ward, schwerlich gegen der Kleinen Keuschheitsgesetze verstoßen haben würde. Doch schien eine weniger zarte Auslösung ihrem Gusto angemessener; sie lachte hell auf und schwenkte die röthlich, runde Hand. Jählings ließ sie dieselbe aber sinken, als sie die nachfolgende Matrone bemerkte, gegen welche ihre am Grotteneingang weilende Freundin sich mit ruhigem Anstand verneigte.

Die weißen Löckchen flößten Ehrfurcht, Strickstrumpf und Taschenschürze Vertrauen ein. Die Kleine knixte wiederholt und als der freundlichste Blick dem ihren begegnete, fragte sie zutraulich: Ob sie etwa eine in's Schloß Gehörige vor sich habe?

Die Dame nickte lächelnd; worauf denn das hübsche Kind mit seiner Legitimation nicht auf sich warten ließ. »Wir sind fremd in der Gegend,« sagte sie, »weit her, Madame; wir suchen –«

Hier unterbrach sie sich, indem sie auf ihre Begleiterin zusprang und dieselbe, laut genug um von Beiden Zeugen verstanden zu werden, fragte: »Willst Du wirklich nicht, Rinchen?«

Ein ablehnender Blick war die Antwort. »Gotthold wünscht es so herzlich,« drängte die Kleine »Die Dame soll seelensgut sein, demüthig wie ein Resedablümchen, hat Gotthold gesagt. Und es ist so schön hier am Ort, ein Paradies. Sieh Dir's erst an, ehe Du nein sprichst, Rinchen; höre erst den Gotthold. Ich trete gern zurück.«

Da aber ein unwilliges Kopfschütteln der Anderen ihr keinen Zweifel ließ, flog sie wieder auf die Matrone zu und fuhr in ihrer Aufklärung fort: »Ich sagte wir; aber nein; ich allein; ich suche hier einen Dienst. Meine Kameradin will heute noch weiter in die Stadt.«

»Die junge Landmännin etwa, welche Meister Fromm als Kammerjungfer auf dem Schlosse empfohlen hat?« fragte die Dame, während der Herr unverwendet nach der regungslosen Anderen hinüberblickte.

»Zu dienen, Madame,« antwortete die Kleine, je mehr und mehr Vertrauen fassend. »Ich weiß freilich nicht, ob ich mich auf so künstliche Arbeiten verstehen werde; aber die Dame soll nachsichtig sein und ich will mir Mühe geben. Ich hätte im Grunde das Dienen nicht nöthig; es ist mir nicht um Lohn und Brod; nur um sich in die Leute schicken zu lernen. Ich bin eine Waise, liebe Madame; habe keinen Menschen auf der Welt, dem ich um Gotteswillen dienen müßte und der Gotthold –«

»Ist der Herr Herzallerliebste,« unterbrach sie der Herr mit unverrücktem Augenziel.

Das Mädchen erröthete bis unter die rehbraunen Zöpfe und es war wohl ein viel bedeutender Blick, den sie zu ihrer »Kameradin« hinüberwarf. »Ich dachte gar, Mosjöchen!« rief sie unwillig. »Ich habe keinen Liebsten, ich werde keinen haben, niemals, niemals! Das heißt, wie man's nimmt,« setzte sie nach einer Pause zu der Dame gewendet mit dem herzlichsten Klang hinzu: »Gotthold Fromm ist mein Bruder, mein Pflegebruder von Kindesbeinen an und freilich mir der Liebste auf der ganzen Welt.«

Die ehrlichen braunen Augen standen voll Thränen.

»Gutes Kind!« sagte die Matrone ihr sanft die Wangen streichelnd. Auch das Herrchen nannte sie gemüthlich: »Gutes Kind.«

Sie wurde nun von der Dame in einem halben Stündchen zur Meldung auf dem Schlosse eingeladen, und darauf von dem Herrn mit einer Neugierde, die wohl mehr einem anderen Taufschein galt, nach ihrem Namen befragt.

»Ich heiße Marie, oder wie sie zu Hause kurzweg sagen, Miekchen Willig,« antwortete die Kleine mit einem Knix. »Und hier meine Kameradin –«

Die Kameradin trat, ehe ihr Name und Schicksal fremden Lippen preisgegeben ward, einige Schritte vor, verbeugte sich noch einmal gegen die Dame und sprach mit reiner, wohlklingender Altstimme: »Wollen gnädige Frau dieses ungestattete Eindringen mit unserem Fremdsein entschuldigen. Mein Name ist Regina von Uh.«

»Von Uh!« rief der Herr mit einem triumphirenden Blick auf die Matrone, deren stumm lächelnde Entgegnung etwa wie »Menschenkenner!« zu deuten war. »Von Uh!« wiederholte er, die Fremde verbindlich begrüßend. »Ihr Name überrascht mich, Gnädigste. Ich wähnte ein ahnenreiches Geschlecht längst schon mit Einem abgeschlossen, der mindestens Ihr Großvater hätte sein müssen und ich freue mich daher doppelt zu sehen, welch' herrliche Blüthen der alte Stamm noch treibt.«

»Ich bin die Letzte meines Stammes,« versetzte die Angeredete; worauf der Herr mit Emphase erwiderte:

»Heil dem Geschlecht, das statt verkümmernd abzusterben, mit seiner Krone erlöschen darf!« Nach einer Pause jedoch setzte er in gleichsam geschäftsmäßigen Ton hinzu: »Wie unvollständig unsere Adelsregister geführt werden! Verzeihen Sie die Frage; sie schlägt in das Fach des Genealogen: Wer ist Ihr Herr Vater, Gnädigste?«

Eine Blutwoge stieg in der Fremden Wangen; sie zögerte einen Moment, antwortete aber darauf so gelassen als zuvor:

»Er war Militair, mein Herr, später Beamter.«

Miekchen Willig, welche bisher offnen Mundes der vornehmen Unterhaltung zugehört hatte, vermochte bei den letzten Worten ein lustiges Lachen nicht zurückzuhalten, stockte aber plötzlich, blickte bedenklich zu der stirnrunzelnden Freundin hinüber und verfiel in ein ernstes, ja trauriges Sinnen.

Die nämlichen Worte hatten die Theilnahme der alten Dame geweckt; sie ergriff der Fremden Hand und sagte wehmüthig:

»Er war es? Auch Sie eine Waise, liebes Fräuleins?«

»Meine beiden Eltern sind todt, gnädige Frau,« ; versetzte Fräulein von Uh. »Lediglich auf mich selbst gewiesen, hielt ich vor dem Eintritt in eine fremde, große Stadt, den Rath eines Landsmannes, welcher deren Verhältnisse kennt –«

»Verstehe ich Sie recht,« fiel die alte Dame, durch einen Blick ihres Freundes angefeuert, ein, »verstehe ich Sie recht, so suchen auch Sie –«

»Beschäftigung, eine Stellung, allerdings gnädige Frau.«

»Die Stellung einer Gesellschaftsdame in einem großen Hause etwa?« fragte der Herr, von einem luminösen Einfall durchzuckt, und da die Fremde, deren Erwartungen weniger hoch geflogen sein mochten, nicht allsobald eine Antwort fand, setzte er schleunig hinzu: »Die Frau Chanoinesse von Dienstungen sucht, so viel ich weiß, seit einiger Zeit eine Gehülfin in der Repräsentation des gräflich Schnakenburg'schen Hauses, dem sie vorzustehen so gütig ist. Sucht sie nicht, m'amie?« (

»Ich glaube, ich glaube, allerdings,« stammelte m'amie verlegen.

»Gewiß, gewiß, sie sucht,« betheuerte der Herr. »Wenn diese Stellung Ihren Wünschen entsprechen sollte, Fräulein von Uh, so würde eine Vereinbarung leicht zu vermitteln und die Frau Chanoinesse in einer Stunde etwa, in einer Stunde, nicht wahr, m'amie? bereit sein, Ihre Bedingungen entgegen zu nehmen«

Er gab nach diesen Worten der alten Dame den Arm, verbeugte sich gegen Fräulein von Uh, nickte Miekchen Willig freundlich zu und schlug den Weg durch den Laubengang wieder ein.

»Heureka, heureka!« rief er, sobald er sich den nachfolgenden Blicken entrückt glaubte.

»Du irrst, Lieber,« berichtete die Freundin bescheiden. »Regina nannte sich die hübsche Person.«

Ein philologisches Lächeln schwebte über des Begleiters Lippen. »Regina, prophetischer Name!« sagte er; und nach einer Weile, sich dicht vor der Dame in den Weg stellend, die Augen groß auf die ihren geheftet: »Sieh mich an, verstehst Du mich, m'amie?«

»Nein, ja, nein, ich glaube nicht. Ich verstehe Deine Absichten immer erst, nachdem Du sie mir klar gemacht hast, mein Scipio.«

»So höre denn. Diese Regina wird –« Er hob sich auf die Zehenspitzen und flüsterte ein Wort in der Dame Ohr, welches die Wirkung eines Donnerschlags hervorbrachte »Scipio!« rief sie entsetzt zurückprallend.

»Du bist überrascht, meine Gute; Du wirst überzeugt werden,« entgegnete der Herr mit der Ruhe eines Sokrates. » Du sage ich. Ich, ich bin meiner Sache gewiß. Heureka, heureka! Das heißt: ich fand!«

Und unter den lebhaftesten Bewegungen einen sich je mehr und mehr weitschichtenden Plan entwickelnd, führte er die tief betroffene, schweigende Freundin nach der Burg zurück.

*


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