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Drittes Capitel.
Mutter und Schwester

Vor der Thür hielt Heinrich einen Augenblick still, schwankend, wohin er sich wenden solle. Im früheren, kleinstädtischen Garnisonleben waren derartige momentane Verlegenheiten nichts Seltenes und bei seinem soliden Ansehn nichts Verfängliches gewesen; seit seiner Versetzung in die Residenz hatte die väterliche Freigebigkeit ihn jedes Creditbedürfnisses überhoben. Er kannte nicht einmal die Namen des Banquiers und Geschäftsführers, von welchen sein Vater gesprochen hatte. Sich dem ersten besten Wucherer in die Arme zu werfen, zu diesem Aeußersten blieb allemal noch Zeit genug.

Er dachte daran, von einem seiner wohlhabenden Regimentskameraden die unaufschiebliche Aushülfe zu erbitten. Wo aber in dieser zerstreuenden Nachmittags stunde einen Kameraden auffinden? und wo in aller Welt überhaupt einen Kameraden auffinden, der Capitalien in seiner Schublade liegen hat? Endlich aber, warum sich nicht zu dem vom Vater empfohlenen, zu dem natürlichsten Auskunftsmittel verstehn? Ja, es regte sich plötzlich, ein mehr neugieriger als vertraulicher Kitzel, zum ersten Male an seine Mutter eine Bitte zu richten.

Es war ja kein Opfer, das er mit der Kleinigkeit in Anspruch nahm. Sie war die Frau des reichen Hellstädt; nicht seine geschiedene Frau, nur aus gegenseitiger Uebereinstimmung, in Betracht der Unverträglichkeit der Temperamente äußerlich von ihm getrennt. Sie hatte eine ansehnliche mütterliche Hinterlassenschaft in die Ehe gebracht, später noch einen wohlhabenden Vater beerbt; die knappe Lebenseinrichtung entsprach ihrer Sinnesart, wie das Gegentheil der ihres Gatten. Niemals hatte Heinrich einen tieferen Conflict im Verhältnisse seiner Eltern geahnt, nie aber auch einen tieferen Zug zu der Mutter empfunden. Dem Uebereinkommen gemäß war ihr nur die Erziehung der Tochter, aber diese ausschließlich anheimgefallen; für des Sohnes kindliches Bedürfniß war des Vaters heitere Herzlichkeit eben hinreichend gewesen.

»Mama ist nicht liebenswürdig,« oder »Mama ist sehr tugendhaft, aber weniger tugendhaft wäre angenehmer,« hatte er wiederholt den alten Herrn sagen hören und diese Kritik schweigend, jedoch ohne schmerzliche Sehnsucht bestätigt gefunden, so oft er während früherer Ferien- und Urlaubsbesuche auf etliche Stunden bei ihr einkehrte. Nun aber, bei gereifterer Anschauung in ihre Nähe versetzt, waren die kindlichen Eindrücke verstärkt und der matrimoniale Unvertrag zwischen anmuthiger Natürlichkeit und einem kategorischen Imperativ zumal im umgekehrten geschlechtlichen Verhältniß, als dem gewohnten ihm nur allzu erklärlich geworden.

So warf er sich denn entschlossen in eine Droschke und fuhr nach dem kleinen Gärtnerhause, an dessen Fenster er vor wenigen Stunden gegrüßt hatte, ohne Ahnung, daß er dieses Haus jemals, wie viel weniger im nämlichen Tageslauf, als ein Bittender betreten werde. Er schellte; ein Druck von oben öffnete die jederzeit festgeschlossene Thür. Das Haus war von fast dörflicher Einfachheit; das Parterre diente wirthschaftlichen Zwecken des Wirths, der in einem Seitenbau wohnte. Eine schmale, aber helle und saubere Stiege führte zu zwei von den Damen innegehaltenen Zimmern; die getünchten Wände, die auf das Nothwendige beschränkten einfachen Mobilien erinnerten an die kleinbürgerlichen Einrichtungen in Heinrichs früherer Garnison. Die einzigen Zierrathen, blendendweiße Filetgardinen und Decken über Tisch und Commode waren unter den nimmerruhenden Händen Schwester Theresens hervorgegangen. Etliche gegen den einfachen Zusammenhang abstehende Luxusstücke: ein Paar gemalte Vasen, eine kleine Pendüle, zwei englische Kupferstiche über dem Arbeitstischchen im grünberankten Fenster der Schwester, hatte diese bei einem früheren Besuche mit dankbarer Freude als Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke Papas gerühmt. Das spöttische Lächeln der Mutter bei diesem Preis war dem Sohne entgangen.

Er fand auch heute keinen Dienstboten, der ihn anmelden konnte; nach einem etwas zaghaften Klopfen trat er ein und traf die beiden Frauen, wie er sie bisher allemal getroffen: die Schwester bei einer zierlichen, die Mutter bei einer gröberen Handarbeit. Heute verlas sie, ohne sich stören zu lassen, ein Linsengericht für den folgenden Mittag.

Sie war eine lange, hagere, steilaufgerichtete Frau, deren Züge und bleiche Gesichtsfarbe, neben Spuren bedeutender Schönheit, weniger auf Siechthum als eine gewisse innerliche Verkümmerung deuteten. Die schmale, feingeschnittene Nase, engstehende dunkle Augen unter der hohen Stirn, ein spitzes, etwas vorgeneigtes Kinn, scharfe Ecken und Winkel bei jeder Bewegung, um die blassen festgeschlossenen Lippen ein Ausdruck verkniffener Resignation, gaben ihrer Erscheinung beim ersten Blicke etwas Unbehagliches. Auch schien sie zu wissen, daß sie nicht gefalle, ohne durch dieses Bewußtsein ihren Geberden den Reiz der Bescheidenheit anzueignen; dahingegen ihr Gemahl in der Sicherheit allseitigen Gefallens eine Physiognomie von Urbanität und heiterem Selbstgenügen behauptet hatte, welche von vornherein jedem Tadel die Spitze abbrach.

Die Tochter trug weiche, runde hellstädt'sche Züge, ohne deren Formenreinheit und Frische; ein Schleier unbewußter Entsagung lag über ihren kindlich guten, blauen Augen und spielte fast wehmüthig um die vollen Lippen. Beide Damen waren sauber, aber einfach gekleidet; die Tochter mit einem kleinen Bestreben nach Eleganz, welche die Mutter verschmähte.

Nach der ersten Begrüßung, herzlich nur von Seiten Theresens, stockte die Mittheilung. Frau von Hellstädt besaß nicht die Gabe, zagende Herzen zu öffnen und ihr bloßer Anblick hatte des jungen Mannes plötzliches Vertrauen eben so plötzlich gedämpft. Er mußte sich zu einem Anlauf zwingen.«

»Ich habe eine Bitte an Dich, liebe Mutter,« sagte er, nach ihrer Hand fassend.

»An mich?« fragte sie, indem sie die scharfglänzenden Augen von ihrer Arbeit in die Höhe schlug.

»Ich suche bei Dir rasche Hülfe in einer kleinen, momentanen Verlegenheit.«

»Bei mir?«

Das Lächeln, welches diese Frage begleitete, – vielleicht war es nur eine unschöne Bewegung der farblosen Lippen, – erstickte des Sohnes Hingebung im Keim. Er bereute fast, nicht zum ersten besten Juden seine Zuflucht genommen zu haben. »Es handelt sich um ein kleines Darlehn, liebe Mutter,« sagte er gezwungen unbefangen.

In Frau von Hellstädts Mienen kämpfte ein seltsamer Zwiespalt von Pein und der Genugthuung eine wie auch immer schmerzhafte Erfahrung vorausgesehen zu haben. »Also doch!« war in ihren Blicken zu lesen.

»Nur für wenige Tage,« fuhr Heinrich fort, »bis der Vater – –«

»Der Vater? Dein Vater hat Dich an mich gewiesen, Heinrich?«

»Er meinte, daß Du mir ohne Verlegenheit in einem unvorhergesehenen, aber recht dringenden Bedürfniß aushelfen könntest,«

»Meinte er? Und warum half der reiche Mann nicht selbst?«

»Es schien ihm im Augenblick nicht möglich zu sein.«

»Im Augenblick!« Die Mutter lachte bei dem Wort.

»In wenig Tagen, – vielleicht morgen schon –«

»Morgen!« Sie lachte wieder, aber Thränen hätten dem Sohn nicht weher, als dieses Lachen zu thun vermocht.

»Es sind nur zweihundert Thaler.«

» Nur zweihundert, – Kleinigkeit!«

So ernst dem jungen Mann die Sache am Herzen lag: er durfte, er konnte nicht mehr sagen; die Augen am Boden, wartete er schweigend eine lange, lange Pause hindurch auf die mütterliche Entscheidung

»Ich kann Dir das Geld nicht geben,« sagte Frau von Hellstädt mit großer Ruhe.

»Mutter!« rief Therese, Thränen im Auge.

»Ich darf nicht!« wiederholte Jene unerschüttert.

Heinrich erwiderte kein Wort; er war auf das Peinlichste bewegt. Wie ungläubig würde er gelacht haben, hätte Einer ihm am Morgen diese Kette von Mißstimmungen um so geringfügigen Anlasses willen prophezeiht. Einen Augenblick übersann er die Wege, die ihm allenfalls noch offen standen und war im Begriffe, sich zu empfehlen, als er Theresen, die an das Fenster getreten war und ihre Augen getrocknet hatte, die schüchterne Bitte an die Mutter richten hörte, ihr zu erlauben, Liberte Rosen auf ein Stündchen besuchen zu dürfen, da es sich so glücklich füge, daß Heinrich sie bis zum Hause begleiten könne. Frau von Hellstädt, man sah es ihr an, hätte gern nein gesagt; indessen mochten die Thränenspuren in ihrer Tochter Augen und die erste abschlägige Antwort an ihren Sohn ihr eine neue Weigerung schwer machen und so begnügte sie sich mit dem Einwand:

»Es dämmert bereits, Kind, Du kannst bei Abend den weiten Weg nicht allein zurücklegen.«

»Heinrich wird mich zurückbegleiten, nicht wahr, lieber Bruder, Du wirst?« sagte Therese und fügte flüsternd mit aufgehobenen Händen hinzu: »Bitte, bitte, sage ja.«

»Heinrich!« rief die Mutter, indem der Blitz eines glücklichen Einfalls in ihren Augen aufleuchtete. »Hast Du die Bekanntschaft Deiner hellstädter Gespielin schon erneuert, Heinrich?«

»Flüchtig diesen Morgen, liebe Mutter.«

»Und Du wolltest Theresen bei dem Besuche der Geheimräthin begleiten?«

»Ich werde sie bis vor das Haus geleiten und nach einer bestimmten Frist wieder abholen.«

»So geht mit Gott,« sagte Frau von Hellstädt, sichtbar mit einer angenehmen Vorstellung beschäftigt.

Therese küßte dankbar der Mutter Hand und eilte der Kammer zu, Hut und Shawl anzulegen, da aber im nämlichen Augenblicke, auf einen Klang der Hausschelle, die Mutter das Zimmer verließ, um ihrer Ausläuferin einige häusliche Aufträge zu geben, kehrte die Tochter auf der Schwelle wieder um, faßte des Bruders beide Hände und sagte leise mit einem holden Erröthen: »Heinrich, lieber Heinrich, Du mußt das Geld von mir annehmen. Ich lasse es mir auf mein Sparkassenbuch auszahlen.«

»Therese!« rief der Bruder betreten.

»Laß mich, Heinrich, es macht mich so glücklich,« bat das liebe Kind. Sie sah ihn zärtlich an, neigte ihren Kopf auf seine Schulter und streichelte seine weißen, feinen Hände. »Ach, Heinrich,« fuhr sie fort mit bewegtem Klang, »wüßtest Du, wie wohl mir wird, so oft ich Dich sehe. Es gleicht einem Sonnenstrahl, wenn Du in unser Stübchen trittst.«

Heinrich war bis zu Thränen gerührt durch diese lange unbeachtete herzliche Natur. »Gute, liebe Schwester!« stammelte er.

»Den Vater kenne ich kaum,« sprach Therese weiter. »Jeder muß ihn lieb haben, ich fühle es. Die Mutter ist gut; Niemand meint es besser und sie hat so viel Bitteres erduldet, nur daß – daß – – Aber Dich, Heinrich, Dich mein einziger, lieber Bruder – – doch laß uns eilen, ehe das Bureau geschlossen wird.«

Sie flog gegen die Thür. »Still gegen die Mutter!« flüsterte sie noch zurück und schlüpfte hinaus.

Frau von Hellstädt trat wieder ein; die weiche Stimmung ihres Sohnes, die ungewohnte Blässe seiner Wangen konnten ihr nicht entgehn. Sie stand eine Weile schweigend in innerlichem Kampf, dann fragte sie gelassen: »Dich befremdet die Mutter, Heinrich, die ihrem Sohne die erste Bitte verweigert, ihm die erste Entsagung im Leben auferlegt.«

»Ich hätte Dich nicht in Verlegenheit bringen mögen, liebe Mutter,« versetzte Heinrich; sie aber entgegnete:

»Ich liebe keine Täuschungen, mein Sohn. Ich hätte Dir willfahren können ohne Verlegenheit für mich selbst.«

»So respectire ich Deine Gründe, welche sie auch sein mögen,« sagte Heinrich mit mehr anerzogener Artigkeit als aufrichtigem Vertrauen und als die Mutter erwiderte:

»Solltest Du eines Tages nach diesen Gründen verlangen, Heinrich, so werde ich Dir meine Rechenschaft nicht vorenthalten,« da spürte er keine Neugier heute, oder jemals derartige Erörterungen wieder wach zu rufen. Er fühlte sich verletzt und blickte schweigend, halb beschämt und halb unmuthig zu Boden.

Frau von Hellstädt schien diesen Eindruck zu ahnen; nach kurzem Besinnen hob sie noch einmal an: »Es ist ein zwiefältiges, mitunter zwiespältiges Interesse, das Eltern ihren Kindern gegenüber erfüllt: deren Neigung und Wohlbefinden in der Gegenwart, ihre Achtung und Sicherung in der Zukunft. Ich habe mich zu einer Theilung dieser Interessen entschließen müssen und mein Theil ist das Schwerste geworden, mein Sohn.«

Die herbe Trockenheit, mit welcher auch diese Worte gesprochen wurden, verkümmerte ihren bedeutsamen Sinn. Unbehaglicher denn je fühlte sich Heinrich bedrückt durch die Nähe des Wesens, dem die Natur ihn am nächsten gestellt hatte; er athmete aus, als Therese wieder in das Zimmer trat. Sie war sehr wenig visitenmäßig angethan. Zu anderer Stunde würde Heinrich nicht ohne kleine Beschämung seine Schwester im aufgefärbten Wollenkleid und ungarnirten Felbelhütchen in das elegante Stadtviertel und unter die Augen der schmucken Oelgräfin geführt haben. Heute achtete er nicht darauf. Therese mußte ihn erst aufmerksam machen auf Papas neuestes Geschenk, einen kostbaren Shawl, der zu der übrigen Toilette so wenig stimmte wie Vasen und Pendüle zu der Einrichtung des Zimmers.

Sie gingen. Therese bemerkte den Blick, den Heinrich nach der Mansarde des Kameraden hinüberwarf, um dessentwillen er sich in so ungeahnte Unruhe gestürzt hatte. Sie sagte mit kindlichem Erröthen:

»Ich war schon so glücklich, Heinrich, als ich Dich heute Morgen an seinem Fenster sah. Ich dachte nicht, daß Du ihn kenntest.«

»Kennst Du ihn denn, Schwesterchen?« fragte Heinrich, indem er schelmisch lächelnd ihr in die Augen blickte.

»Ich sehe ihn alle Tage ein paar Mal bei uns vorübergehen; aber nur zum Dienst; denn sonst ist er immer zu Hause und hat alle Abende Licht. Unsere Wirthin wäscht für ihn und speist ihn von ihrem Mittagstisch .Er muß wohl sehr arm sein, aber auch sehr brav; die Mutter sagt's sogar und hält auf ihn wie auf einen guten Bekannten. Und siehst Du, Heinrich, er dauert mich so! Man merkt's ihm an, daß er noch wenig Freude in seinem Leben kannte.«

Eben trat er aus dem Hause, der arme, brave Mann mit dem freudelosen Gesicht. Er schien bestürzt, grüßte verlegen und wollte vorübereilen; Heinrich aber hielt ihn fest, drückte ihm mit einem ermunternden Blicke die Hand und machte ihn seiner Schwester bekannt. Beide waren befangen; er an Damenverkehr so wenig gewöhnt als sie an den mit jungen Herren; sie fanden kein Wort, das ihre stumme Fensterbekanntschaft erweitert hätte. Bei der ersten Kreuzstraße bog Herr von Stern sich empfehlend ab.

Die Geschwister schritten voran; je weiter um so bänglicher empfand Heinrich das Opfer des guten Kindes. »Wenn es die Mutter erführe!« murmelte er beschämt.

»Sie erfährt es nicht,« versetzte Therese heiter. »Und wenn auch: das Geld ist mein. Wie oft hat es mich am Geburtstag und heiligen Christ still gekränkt, wenn statt der niedlichen Dinge die Andere erhalten, auf meinem Tischchen immer nur ein Goldstück für die Sparbüchse lag und wie freut es mich jetzt!«

»Arme Schwester!« sagte Heinrich, er seufzte, indem er zum ersten Male einen Blick zurück in dieses schmucklose, verwandte Leben warf. Plötzlich aber befiel ihn ein weiteres Bedenken. »Hast Du meine Forderung aber auch nicht falsch verstanden, liebe Therese?« fragte er. »Bis zu zweihundert Thalern haben die mütterlichen Geschenke sich doch wohl schwerlich aufgesummt.«

»O, zu weit mehr!« rief Therese stolz. »Was ich verdient habe, ist ja mit dabei.«

»Was Du verdient hast, Schwester, wie meinst Du das?«

»Die Mutter nimmt nie etwas von dem Gelde, das ich für meine Stickereien erhalte«

»Du – Du arbeitest – für Geld, Therese?« stammelte Heinrich purpurroth.

»Den ganzen Tag, Brüderchen,« antwortete sie unbefangen. »Womit vertriebe ich mir auch sonst die Zeit? Für den Haushalt sorgt die Mutter. Talente wie Liberte habe ich nicht; Bücherlesen würde die Mutter nicht dulden. Auch sehne ich mich nicht danach. Bei einer Handarbeit hat man seine eigene Gedanken. Da bin ich mitten unter fröhlichen Menschen, plaudere mit Dir, mit Charitas, oder auch mit Anderen, die ich noch gar nicht einmal kenne. Und unter der Hand entsteht dabei eine Blume und ein Blatt. Ich glaube, Heinrich, viele Mädchen würden sehr unglücklich sein, wenn sie ihre Träume nicht in ein Stück Zeug versticheln dürften.«

»Und weiß – weiß der Vater, daß –« fragte Heinrich, dem ein Aufruhr im Herzen tobte.

»Ich glaube kaum. Er hat mich niemals danach gefragt. Ich sehe ihn ja auch so selten; nur wenn ich ihm am Neujahr und zum Geburtstag Glück wünsche. Ach das sind recht traurige Verhältnisse, Heinrich! Ich möchte ihn so lieb haben und –«

Da standen sie an ihrem Ziel. »Warte hier unten, bis ich zurückkomme,« sagte Therese, die bei aller Harmlosigkeit doch ahnte, daß es sich für einen Officier nicht schicken würde, in einem Sparkassenbureau gesehen zu werden.

»Du willst allein hinaufgehen?« fragte Heinrich verlegen.

»Warum nicht? Ich bin ja schon so oft allein oben gewesen, wenn ich wieder fünf Thaler beisammen hatte.«

Damit eilte sie in das Haus. Zitternd vor Erregung ging Heinrich vor demselben auf und nieder. Welche räthselhafte Widersprüche hatte dieser Tag enthüllt. Da, ein Vater dahin lebend und leben lassend, in Saus und Braus aber ohne die Mittel einen geringfügigen Mangel zu decken; dort eine Mutter, die Hülfe verweigernd, die sie ohne Opfer gewähren zu können, eingestand, und eine einzige Schwester arbeitend um Geld!

In wenigen Minuten stand sie wieder an seiner Seite, schob seelenvergnügt den vollen Beutel in seine Hand und sagte: »Geld ist gut! spricht die Mutter und heute seh' ich ein, daß es etwas Gutes ist, da es Dir, mein lieber Bruder, einen kleinen Wunsch erfüllt.«

»Du bist ein Engel, Therese,« rief Heinrich bewegt. »Wüßtest Du, wessen Herz Du von schwerem Druck befreist! In wenig Tagen wird die Summe wieder in Deinen Händen sein«

»O, nicht doch, nicht doch! Ich brauche sie ja nicht,« versetzte Therese, »laß mir die Freude, lieber Heinrich, nimm das Geld von mir.«

»Nur als ein Darlehn, das darum nicht weniger als Wohlthat empfunden werden wird,« erklärte der Bruder bestimmt.«

*


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