Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Capitel.
Laurentia im Bann.

Als am anderen Morgen das junge Ehepaar, Freude in Schritt und Blick, aus dem blumengeschmückten Pächterhause hinüber nach dem Schlosse ging, dessen Herrin zu begrüßen, trat ihnen dieselbe in nie gekannter feierlicher Ruhe entgegen. Sybille und ihr Mann wechselten einen ängstlichen Blick; Laurentia trug einen einfach sauberen, häuslichen Anzug, wie alle Tage, aber auf ihrem Haupte prangte auch heute das Federbarett der seligen Mutter, an ihrem Arme der Rosenpompadour, im Gürtel ein voller Blumenstrauß, den Felix in aller Frühe gesendet hatte, begleitet von einigen herzlichen Zeilen, voll Sorge über ihr Ergehen und zugleich voll Jubel, schon morgen bei seinem theuren Fräulein Laurentia einziehen und ihr dienen zu dürfen bis in den Tod.

Das Fräulein erwiederte den Händedruck des jungen Mannes, die Umarmung der jungen Frau stumm, mit raschem Erröthen, aber ohne Scheu. Schweigend deutete sie auf den Sophaplatz und setzte sich ruhig an ihre Seite.

»Ist Dir wieder wohl, liebe Schwester?« fragte Sybille.

Laurentia neigte bejahend den Kopf und schwieg.

»Fühlen Sie keine Ermattung nach dem bösen Zufall, beste Schwägerin?« fragte Levin.

Laurentia schüttelte verneinend den Kopf und schwieg.

Sie sahen sich immer betroffener an, sie sagten – was sagt man nicht alles aus Gefälligkeit, ohne Arg, daß es eine Unwahrheit ist! – sie sagten, wie ihre gestrige Entfernung sie gestört und betrübt habe. Laurentia lächelte fast spöttisch und schwieg. Sie dankten ihr für das reiche Geschenk, das sie in der Cassette ihres Schreibtisches vorgefunden, für so viele erwiesene Güte, für die großmüthige Sicherstellung der Zukunft des armen Felix – Laurentia machte eine ungeduldig abwehrende Handbewegung – aber sie schwieg. Sie erhoben und empfahlen sich endlich – Laurentia geleitete sie freundlich bis an die Zimmerthür, machte einen Knix und – schwieg.

In unaussprechlichem Staunen blieben sie vor ihrer Thür gebannt, blickten einander an und fragten aus Einem Munde:

»Was ist das? Was bedeutet das?«

Sie kehrten zu ihr zurück, und immer wieder zurück, einzeln, miteinander; Sophie und ihr Mann wurden zu Hülfe gerufen, auch Felix. Man forschte, man bat und drängte, man drohte selbst und machte Versuche jäher Ueberraschung; das Haus, das Dorf, die ganze Gegend geriethen in Aufruhr – das Fräulein von Kettenburg war verstummt! »Es ist eine Grille, sie ist störrisch!« sagte Sophie ärgerlich.

»Es ist ein Schlag, sie ist krank!« jammerte die alte Justine.

»Es ist ein Wahn, sie ist irre!« sprachen die Geschwister, nicht mit Worten, aber mit traurigen Mienen. Nur der arme Felix sagte mit sanftem Lächeln wie immer: »Wenn Fräulein Laurentia still sein will, warum soll sie nicht still sein?«

Der Hausarzt kam aus der Stadt, ein berühmter Psycholog wurde aus der Residenz zu Hülfe gerufen. Das Fräulein, wenngleich widerstrebend, mußte sich ihren Untersuchungen fügen. Man studirte Puls und Herzschlag, man untersuchte, beobachtete, reizte, probirte. Das Fräulein blieb stumm. Die Gelehrten verschoben ihr Urtheil, sie installirten sich auf Tage, auf Wochen im Schlosse, sie gingen und kehrten wieder, sie folgten jeder Miene, jeder Bewegung ihrer Pflegebefohlenen, Versuch folgte auf Versuch, das Fräulein blieb stumm und sie waren so klug, wie am ersten Tag.

»Alle Functionen sind normal, von Compression, oder Relaxation keine Wahrnehmung. Der Körper ist gesund,« erklärte endlich der Arzt.

»Der Geist nicht weniger,« fügte der Psycholog hinzu.

»Sie ißt, trinkt, schläft, bewegt sich regelmäßig.«

»Sie hört, sieht, beobachtet, antwortet durch verständliche Zeichen, sie lacht, weint, arbeitet, liest, musicirt.«

»Wie gesagt, Druck oder Schwäche kann es nicht sein.«

»Wahnsinn ist es nicht.«

»Aber was ist es denn?« fragten die Freunde gespannt.

»Nicht dem Wesen, aber den Motiven nach ein Problem vor der Hand. Leider kein einzelnstehendes bei nervös überreizten Frauen.«

»Aber meine arme Schwester ist nicht überreizt, nicht nervös.«

»Kennen Sie die Vorgänge so genau, gnädige Frau, welche die mysteriösen Sendboten des Geistes an die Sinnenwelt und, rückwirkend, deren Auftraggeber, den Willen, auf eine unberechenbare Fährte getrieben haben?«

»Meine Schwester hat allerdings erschütternde Gemüthsbewegungen gehabt, aber dazwischen liegt ein Jahr ungestörten Friedens.«

»Sophie machte, nur den Aerzten bemerklich und verständlich, eine verneinende Kopfbewegung. Der Seelenkundige fuhr fort:

»Wer mag die Verirrungen eines Weiberkopfes ergründen? Einfache Motive, wie Eitelkeit, Stolz, Eifersucht, Kränkung, Gram und Scham, die geflissentlich verhüllt in den wunderlichsten Erscheinungen an den Tag treten – unsere Erfahrung strotzt von Beispielen dieser Art, vornehmlich bei unverheirateten oder kinderlosen Frauen, welche Mühe und Noth des täglichen Lebens nicht in Schach halten. Ein Drang der Natur, ungestillt oder durchkreuzt, ist die Triebfeder hier ihrer Poesien, dort schwärmerischer Gelübde, krankhafter Exaltationen, fixer Ideen. Was nicht zur That wird, wird zum Wahn. Ich kannte eine Dame, die bei der Nachricht, daß ihr Geliebter auf dem Schlachtfelde geblieben sei, sich zu Bette legte, und ohne ein erkennbares Krankheitssymptom, durch keine Bitte, List oder Drohung, durch keine vorgespiegelte und wirkliche Gefahr, denselben zu entreißen war. Sie verbrachte vierzig Jahre in der nämlichen, halb sitzenden Lage, das Kinn war ihr zuletzt fast mit den Knien zusammengewachsen und sie starb in dieser Stellung, die sie am Ende nicht mehr zu verlassen im Stande war. Eine Andere, völlig gesund, völlig bei Sinnen und klaren Geistes, ohne evidenten, äußeren Grund, es sei denn, sich durch eine Absonderlichkeit interessant machen zu wollen, liegt seit zwanzig Jahren im Paradeanzug auf ihrem Ruhebett, consequent versichernd, daß Sitzen, Stehen oder Gehen ihr unmöglich fallen. Da sie aber in ihrer Jugend eine gefeierte Tänzerin gewesen ist, springt sie von Zeit zu Zeit in die Höhe und dreht sich mit trällernden Lippen in ihrem Zimmer auf und nieder, als ob sie die Tarantel gestochen hätte.«

»Aber das ist Tollheit, heller Wahnsinn!« rief Sophie.

»Beileibe nicht, wertheste Frau. Es ist, oder war mindestens, absichtliche Täuschung zu einem vorgesetzten, wenn auch in diesem letzteren Falle nicht deutlich erkennbaren Zwecke. Allmälig freilich mag diese Täuschung zur Einbildung, zur Monomanie, geworden sein, von welcher sie bei bestem Willen sich nicht mehr frei machen konnte. In allem übrigen ist meine Tänzerin, heiter, geistreich, und bis auf diesen einzigen Punkt, die Wahrhaftigkeit selbst. Auch die Schweigsucht des Fräuleins ist durchaus keine Neuigkeit.«

»Und denken Sie an den Spleen unserer überseeischen Stammgenossen,« fiel hier der Hausarzt ein.

»Aber meine Schwester ist gesund, wie Sie sagen, und der Spleen eine Krankheit.«

»Wenn Sie das Stocken überschüssiger Säfte ohne anderweitig sichtbare körperliche Verheerungen so nennen wollen, allerdings. Aber wie erklären Sie bei alledem diese whims, diese corrupten Phantasien bei äußerlichem Behagen, diese schnörkelhaften Auswüchse unbefriedigter Uebersättigung?«

»Meine arme Schwester, ach, ist nicht übersättigt. Sie hat lebenslang gedarbt an Freude und geschmachtet nach Glück.«

»Erwägen Sie dagegen die schwärmerische Ascese der Religiösen, ihre oft epidemischen Exaltationen, die wunderlichen Heiligen, welche Jahre lang mit einem Beine auf einer Säule gestanden haben, die Kasteiungen und Geißelungen, das Schweigen der Trappisten, alles das schlägt, scheint es, in das Gebiet der Psychiatrie. Und können Sie wissen, ob wir es hier nicht mit einem verwandten Gelübde zu thun haben? Die Eindrücke, welche einzelne Aussprüche und Scenen jener Theatervorstellung auf das Fräulein gemacht, im Zusammenhange mit inneren Vorgängen –«

Hier traf der Blick des Arztes wieder einen verstohlenen Wink Sophiens, die ihn mit der Frage unterbrach:

»Aber würden Entfernung, Zerstreuung, ein Wechsel von Umgebung und Verhältnissen, hier nicht dringend geboten sein, meine Herren?«

»Das möchte so scheinen, geehrteste Frau. Auch haben wir wiederholt Ihrer Freundin die verschiedensten dahin zielenden Vorschläge unterbreitet, sind aber auf einen so beharrlichen, ja leidenschaftlichen Widerstand gestoßen, daß wir fürchten müßten, durch Gewaltmaßregeln zu diesem Zwecke just die Katastrophe herbeizuführen, auf deren Vermeiden unsere ernstlichste Bemühung gerichtet ist: den Umschlag willkürlicher Thorheit in eine unwillkürliche.

»Und was ist schließlich Ihr Resultat, was Ihr Rath, meine Herren?« fragte Levin.

»Abwarten, gewähren lassen, der inneren Gesundheit Zeit und Raum gestatten, sich zurecht zu finden. Noch ist das Fräulein nicht in dem gefährlichsten Alter für dergleichen Spuk, noch vermögen Natur, Stunde und Schicksal ihm entgegen zu wirken. Ja es ist denkbar, daß die gewaltsame Anstrengung eines bisher latenten Organs, wenn auch zu irrthümlichen Zwecken, förderlich auf dessen Entfaltung wirken möge. Lassen Sie diese inneren und äußeren Mächte operiren, der Arzt besitzt keine Mittel, ihre Einflüsse zu potenziren.«

Und man ließ sie gewähren, Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Was anfänglich ein Unerträgliches geschienen hatte, das wurde zur Gewöhnung, ja es wurde nach und nach zu einer Art von Reiz. Die, sei es freiwillige, sei es unfreiwillige Entäußerung eines so bedeutenden Mittels wie die Sprache, eines Mittels, dessen sie niemals umfänglich Herr gewesen war, die dadurch bedingte Concentration der übrigen Kräfte, bewirkte in dem seltsamen Wesen die Aeußerung einer und der anderen Fähigkeit, welche ihrer Umgebung zu statten kam.

Ein Tag glich dem anderen in dem stattlichen Herrenhause. Das Fräulein erhob sich vor dem Morgengrauen, versah den Milchkeller mit gewohnter Pünktlichkeit und trat Winters wie Sommers, bei Regen und Sonnenschein, in den Gartensaal, nie ohne Federbarett und mächtigen Pompadour. Im Gartensaale aber harrte der treue Felix lächelnd, mit ehrerbietiger Huldigung und zierlicher Blumengabe. Das Fräulein machte einen Knix, steckte einen der Sträuße in den Gürtel, und trug den anderen nach dem Grabe der Eltern; der zahme Kanarienvogel flatterte, der schwarze Amor wedelte um sie herum, ihr Intendant ging an ihrer Seite und lenkte ihren Blick auf jede frisch erschlossene Blüthe, auf jeden jungen Trieb; er führte sie in die Vogel- und Bienenhäuser, und weihte sie ein in das Familien- und Staatsleben seiner kleinen geflügelten Freunde, die er mit Liebe beobachtete, und von denen er beinahe jedes einzelne Individuum kannte.

Aber er lenkte ihren Blick auch auf wichtigere Geschicke, für welche das Herz ihm den leise spürenden Sinn verlieh. Er machte täglich einen Rundgang in den Häusern und Hütten der Dorfinsassen, deren Freund, deren teilnehmender Vertrauter in großen und kleinen Freuden wie Leiden er geworden war, noch früher und inniger als der der Vögel und Bienen. Der arme Junker wurde des reichen Fräuleins Almosenier. Rechnungsführerin aber blieb sie selbst, da ihr seine Fremdlingsnatur in der Zahlenwelt nicht entgehen konnte, und es gelang ihr, sich in der Buchführung zu der gewissenhaften Ordnung auszubilden, mit welcher sie jedes einmal übernommene Geschäft betrieb. Indessen entwickelte sie außer dieser noch manche andere praktische Anlage; so entwarf sie unter anderem Baupläne, für die Wohnungen der armen Häusler, bei welchen ihr ungemeines Reinlichkeitsbedürfniß den Grundzug bildete, sie überwachte deren Ausführung und saubere Erhaltung.

Mit der Zeit bildete sich ein gewisser unabänderlicher Modus in der Verwaltung und Bewegung der kleinen Genossenschaft von Hochberg. Nützlichkeitsanlagen, Besitzerweiterungen und Verbesserungen ruhten sicher und treu in den Händen Levins, Verschönerungen, in denen Sybillens; Wünsche und Sorgen erspähte Felix und brachte sie mit kindlichem Freimuth vor das Forum seiner Gebieterin; Sophie und ihr Mann wurden als erfahrene Rathgeber und Executoren zu Hülfe gezogen, das stumme Fräulein aber blieb die Quelle, aus welcher aller Segen floß. Bei ihren einfachen Gewöhnungen, bei dem Mangel aller Luxusansprüche, bei strengem Ordnungssinn, auf dem rechtmäßigen Mittelwege zwischen Geiz und Vergeudung konnte Ungewöhnliches geleistet werden. Es währte nicht lange, so waren Wirthschafts-, Gemeinde- und Wohlthätigkeitsverhältnisse von Hochberg sprüchwortliche Muster der Umgegend geworden, als deren Zierde die schöne Sybille, als deren Orakel die kluge Sophie, als deren Fabel die häßliche Laurentia galt. Von den verschiedensten Seiten suchte man Anknüpfungen mit dieser wunderlichen, kleinen Welt. Die benachbarten Gutsbesitzer kamen zur Visite gefahren, die jungen Offiziere sprengten paradirend unter den Schloßfenstern vorüber, die Städter promenirten lauschend im Park, ja selber die Bauern der Nachbardörfer stellten sich neugierig auf den Kirchenpfad, wenn die »Tolle« und der »Tropf« Sonntags zur Andacht gingen.

In der Gemeinde aber hießen sie nicht die Tolle und der Tropf, da sprach ein Jeder mit Dankbarkeit von dem »stillen Fräulein,« und mit Liebe von dem »schönen Junker.« Denn unser Felix war ein so stattlicher Mann geworden, als er einst ein lieblicher Knabe gewesen war. Mit seiner hohen, schlanken Gestalt, seinen zarten, fast mädchenhaften Farben, den großem tiefblauen Kinderaugen, mit seinem langen, blondwelligem Haar und Bart, mit dem Ausdruck unauslöschlicher Demuth und Heiterkeit war er eine Erscheinung, welche an die Zeiten der ersten Christenheit erinnern durfte und rührte alle Herzen, mit denen er in Verbindung trat.

Wenn er regelmäßig in der Mittagsstunde an der Seite seiner Gönnerin langsam-feierlich die breite Dorfstraße einhergeschritten kam, gefolgt von dem schwarzen Amor und umflattert von dem gelben Kanarienvogel, die Dame Sommers im weißen, Winters im einfach dunklen Gewande, immer aber eine treue Copie des mütterlichen Baretts auf dem Haupte, dem weitschichtigen Pompadour am Arm und im Gürtel einen vollen Blumenstrauß; der Ritter, galant ihren Shawl über den Arm, oder das chinesische Sonnendach in der Hand, das jeden Sommer neu befranst und bequastet erschien, da traten die Alten ehrerbietig vor ihre Thür, zogen ihre Mützen und ernteten für jeden Gruß einen Knix der jungen Herrin und einen brüderlichen Blick des jungen Herrn; die Kinder aber kamen herbeigesprungen, reichten ihre Patschhand, oder eine Blume, empfingen zum Dank einen Kuß von des Junkers Lippen, einen Zwieback oder Apfel aus des Fräuleins Pompadour und zogen hinter ihnen drein bis zum letzten Hause.

Diesem täglichen Gange folgte die gemeinsame Mittagstafel der Schloßherrin und ihres Intendanten, folgten Gestrick und Filet, die wohlbekannten Duos am Clavier, erneute Arbeit im Milchkeller und Garten, Abends eine Partie auf dem Damenbrett, zu welcher Fertigkeit der Junker sich seiner Freundin zu Liebe emporgeschraubt hatte, hin und wieder auch wohl ein Schachspiel mit dem Schwager, ein kurzer Besuch im Pfarr- und Pächterhause, oder Empfang von dessen Bewohnern im Schloß; nach dem Abendthee eine kleine Lectüre, das heißt ein einfaches Gedicht oder Märchen von dem Junker vorgetragen, ein Abendlied am Clavier, und sanfte Ruh.

So vergingen die Tage Jahr um Jahr friedlich und still. Laurentia's zornige Ader schwoll nicht mehr blau auf ihrer Stirn, sie ballte nicht mehr die Fäuste, stampfte nicht mehr mit den Füßen, sie stolperte auch nicht, verschüttete keine Taste mehr. Sie war gelassen geworden.

Schweigend, im Banne eines heimlichen Wahns oder Willens, hatte sie wandeln lernen, das heißt harmonisch Schritt halten im ruhigen Geleise ihres Lebens. Nur wenn im Frühling die Natur erwachte, zu der Zeit, wo vor Jahren ihr Wintertraum entschwunden war, da kamen immer einige ruhelose Wochen, in welchen sie selber des guten Felix Gesellschaft floh, einsam Garten und Park durchschweifte, blasser, magerer selber und oft mit feuchtschimmernden Augen von ihren Freunden gefunden wurde. Bald aber legte sich dieses regelmäßige Frühlingsfieber und die alte Stille, die alte Ordnung traten wieder ein.

Drüben im Pächterhause waltete während dessen ein froher, lebendiger Geist in gedeihlicher Thätigkeit und wechselnd geselligem Verkehr. Sie vermißten es kaum, daß ihrem Dasein eine Reihe von Jahren hindurch der Segen der Zukunft gebrach, so erfüllt waren sie beide von dem Glücke ihrer Gegenwart, und als nun endlich die stille Sehnsucht nach diesem Segen sich zu regen begann, da ward sie auch gar bald durch die lieblichste Aussicht gestillt.

Und im Predigerhause nicht minder herrschten Wohlsein und Fülle; das Bübchen wuchs heran, rothhaarig und sommersprossig, klug und beherzt, wie die Mama. Der Herr Pastor studirte in mächtigen Folianten, und die Frau Pastorin war das dirigirende Genie der gesammten Gemeinde von Hochberg. Da wurde keine Ehe gestiftet, keine Laufbahn erwählt, keine Zwistigkeit geschlichtet, kein Proceß unternommen, kein Kauf oder Vermächtniß zum Abschluß gebracht, ohne Frau Sophiens eingreifenden Rath. Ob sie, wie Fama behauptet – gewiß nur im eifrigen Wohlmeinen, ihrem Eheherrn die unentbehrliche Muße zur Förderung seines Werks »Ueber das Unterrichtswesen der alten Aegypter« nicht zu schmälern – sogar die heimliche Gehülfin seiner Kanzelvorträge, und zwar der besonders erwecklichen, gewesen, lassen wir dahin gestellt; gewiß aber ist, daß sie die Einzige war, die sich nicht an des Fräuleins wunderbares Verstummen gewöhnen konnte. Tag und Nacht ließ es ihr keine Ruhe, daß sie diesen vernunftwidrigen Zustand nicht sollte erklären und vermitteln können. Sie correspondirte mit allen wissenschaftlichen Autoritäten des psychiatrischen Fachs, sie citirte Doctoren von Nah und Fern, sie forschte, reizte, drängte unermüdet, aber – Laurentia blieb stumm.

*


 << zurück weiter >>