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Drittes Capitel.
Laurentia vor dem Spiegel.

Unsere Heldin ging während dessen den Wiesenweg zurück, welchen sie vor wenigen Stunden gekommen, in nicht geringerer Aufregung als vorhin, aber nicht mehr in freudiger. Ihr Auge glühte, die Hände fochten in der Luft, die Füße schwankten, einzelne Laute entrangen sich ihrer keuchenden Brust, sie sah und pflückte kein Blümchen mehr, das am Wege blühte. Laurentia hatte bis heute geträumt; nun dämmerte es vor ihrem Sinn, und wehe dem Strahl, der ihr die Wahrheit enthüllen wird!

»Wenn man aussieht wie wir; wenn man häßlich ist wie ich,« hatte Sophie gesagt; »und warum verweigerte ihr der Vater jede andere als eine häusliche Kleidung? Warum führte er sie nicht in Gesellschaft wie die Schwester? Und sie hatten gelacht! Warum hatten sie eigentlich gelacht? Nur über Hut und Pompadour, weil sie aus der Mode waren? Und Levin – Levin?«

Diese und ähnliche Fragen wälzten sich verworren in ihrer Seele hin und her, bis sie an der Gartenpforte anlangte und Sybille ihr unruhig mit den Worten entgegentrat:

»Gottlob, daß Du zurück bist, liebe Schwester, ich habe mich sehr um Dich geängstigt.«

»Warum?« fragte Laurentia barsch, zum ersten Male die schöne Erscheinung der Schwester in stummer Vergleichung musternd.

»Wir sind so gar nicht gewohnt, Dich außer dem Hause zu denken,« erwiederte Sybille. »Aber nimm diesen Seitenweg, Laura, und lege ab, ehe der Vater Dich bemerkt; er weiß nicht, daß Du ausgewesen und würde es nicht gern sehen.«

»Warum hält er mich wie eine Gefangene? Warum wehrt er mir jede Freude, Sybille?« fragte Laurentia finster.

»Es ist eine Eigenheit, von welcher der Vater sich entwöhnen wird, sobald Du den Wunsch äußerst, mehr mit Menschen zu verkehren. Aber beeile Dich, Liebe; er ist im Gartensaal mit Herrn von Hohenheim.«

»Levin?« fragte Laurentia zitternd.

»Ja, Levin ist gekommen mit dem Vater und Felix.«

»Auch – Wilhelm?«

»Nein. Aber halte Dich nicht auf, Laura. Es ist Theestunde und Du weißt, der Vater wartet nicht gern.«

Die Schwestern trennten sich und in wenigen Minuten stand Laurentia in gewohnter häuslicher Kleidung vor der nach dem Garten geöffneten Thür des Saales, in welchem ihr Vater mit seinem alten Freunde in ernstem Gespräche Platz genommen hatte.

Sie zauderte einzutreten. Ihre Blicke, welche für gewisse Gegenstände so geschärft schienen, als gegen andere gleichgültig, folgten gespannt dem Schimmer von dem weißen Kleide Sybillens, die mit Levin und dessen jüngstem Bruder Felix die große Allee auf und niederging. Währenddessen hörte sie, anfänglich achtlos, dann mit unruhiger Aufmerksamkeit die Unterredung. der beiden Herren im Saal.

»Ja, alter Freund,« sagte Herr von Hohenheim, »Du siehst, meine Sorgen sind groß. Der Wilhelm ist ein Leichtfuß, den, will's Gott, die militärische Fuchtel noch zur Ordnung bringt. Was aber aus meinem armen Felix werden soll, das läßt mir Tag und Nacht keine Ruhe. Ein Herz wie Wachs, aber so wenig Kopf und Gaben. Zum Studiren fehlt ihm der Verstand, zum Soldaten Energie und Pli. Soll ich einen Hohenheim ein Handwerk lernen lassen? Und wenn ich es wollte, würde er selber dazu Geschick genug besitzen?«

»Er muß Landwirth werden,« versetzte Herr von Kettenburg.

»Ja, wäre ich ein reicher Mann, könnte ich ihm wenigstens meine Hufe vererben. Aber bei vielen Kindern theilt mein Weniges sich ein, daß auf keines nach meinem Tode ein Erhebliches kommen wird. Und die Oeconomie, erfordert sie etwa weniger als jedes andere kaufmännische oder gewerbliche Unternehmen einen Aufseher, einen Verwalter, einen Speculanten? Bei alle dem wäre der Junge ein verlorener Posten. Was soll aus ihm werden? Von einer zärtlichen Gemüthsart, von einem Engelsangesicht und einer Engelsstimme, von Blumen und Vögelwarten kann ein Mann nicht leben. Kein kläglicheres Schicksal für einen Vater, als ein einfältiger Sohn!«

»Oder eine häßliche Tochter!« ergänzte Herr von Kettenburg und Laurentia zuckte zusammen. »Beide verfehlen ihre Bestimmung. Ich möchte die Katholiken beneiden um ihrer Klöster willen für Kinder, die in der Welt keinen Platz finden können. Unser Schicksal ähnelt sich. Auch ich habe Sorgen, Hohenheim.«

»Wie viel günstiger aber ist Deine Lage gegen die meine, Kettenburg! Du bist ein reicher Mann und das Vermögen gleicht vieles aus. Auch ein häßliches Frauenzimmer, wenn es Geld hat, findet einen Mann, oder kann ihn entbehren. Aber ein armer Tropf – –! Indessen, um auf unser Project zurück zu kommen: Sage ja, alter Freund, die Kinder sind für einander geschaffen, sie geben ein herrliches Paar.«

Herr von Kettenburg war während der Rede seines Freundes sichtlich unruhig geworden und bei der Erwähnung seines Reichthums leise zusammengeschauert. »Die Eröffnung des Testaments muß jedenfalls abgewartet werden,« sagte er jetzt kurz ablehnend, und die beiden Herren saßen einige Augenblicke in stummem Sinnen einander gegenüber.

Laurentia aber stand wie erstarrt; sie hätte in die Einsamkeit ihres Zimmers flüchten mögen, um zu begreifen, was sie eben vernommen, aber sie fühle sich in den Boden gewurzelt. Ihr Herz schien zu stocken und erst die Schwester mit ihren beiden Begleitern weckte sie aus ihrer Betäubung und zog sie halb mit Gewalt in den Saal.

Man nahm Platz um den Theetisch. Schweigend setzte sie sich neben Sybillen, welche am unteren Ende den Thee bereitete. Als diese ihr eine Taste reichte, um sie ihrem Nachbar Levin zu bieten, zitterte ihre Hand so heftig, daß die Taste derselben entglitt und den Freund überschüttete. Erschreckt prallte sie in die Höhe und stieß an den hinter ihren Rücken servirenden Diener, dessen Brett mit allem Zubehör klirrend zu Boden fiel.

»Ungeschickt wie immer!« rief der Vater verdrießlich. Laurentia hielt sich nicht länger, sie stürzte aus dem Zimmer.

Allein in dem ihrigen, das sie mechanisch hinter sich verriegelte, warf sie sich unter convulsivischem Schluchzen an den Boden. Ein greller Tagesstrahl drang in die Zelle, welche sie bis heute geborgen hatte, bohrte in ihr Auge gleich einem glühenden Stahl.

Der Traum der Kindheit entschwand, die Dämonen in der Brust, wie der Vater es vor wenigen Stunden prophetisch verkündet, sie sprengten ihre Fesseln. Ohne bestimmtes Bewußtsein, verworren, beklemmt, von Zweifeln gefoltert, von Hoffnungen durchzuckt, so lag sie lange, anfänglich in einem Zustande von Wuth, dann in dumpfem Brüten.

Endlich erhob sie sich, zündete hastig Licht und trat vor den Spiegel. Sie starrte hinein und prüfte mit finsterem Blick die Gestalt, die sie heute Nachmittag noch so arglos vergnügt betrachtet hatte. Ein banger, entscheidender Blick! Sollen, dürfen wir ihm folgen?

Vater Homer, indem er die Wirkungen der Schönheit seiner Heldin uns in einem zehnjährigen Kriege deutlich vor Augen führt, berichtet uns nichts oder wenig über das Wesen so mächtiger Reize. Sie war die Schönste der Erdgeborenen, spricht er, und wir preisen den Dichter, daß er einer Schilderung entsagte, welche keinem Menschenworte gelingen kann. Indessen, wenn es dem Maler überlassen werden muß, das Bild einer Nymphe zu pinseln, das der Quell ihrem entzückten Blicke wiederstrahlt, hat der Erzähler der Geschichte einer Häßlichen die gleiche Pflicht wie der Dichter der Schönheit? Darf er aus Scheu, etwas zu zeichnen, was keiner gern sieht, es vermeiden, jenem ernsten, selbstzergliedernden Blicke zu folgen? Liegt es im Gegentheil ihm nicht ob, jenes abendliche Spiegelbild wiederzugeben, Charakter und Schicksal, Vergangenheit und Zukunft aus ihm zu erklären, Irrthum und Thorheit aus ihm abzuleiten?

Rothe Haare und Sommersprossen sind häßlich, hatte Sophie gesagt. Nun, rothe Haare hat Laurentia nicht. Im Gegentheil, der Schmuck ihres Hauptes ist rabenschwarz, wenn auch ein wenig ungleich, spröde, und trotz aller angelernten Sorgfalt schwierig zu glätten. Immer von neuem drängt er sich über die hohe, schmale Stirn und mischt sich mit den dichten ineinander gezogenen Brauen. Und Sommersprossen wie Sophie, nein, die hat sie auch nicht, denn das Gesicht, wie der ganze Körper zeigt eine gleichmäßig bräunlichen Röthe, so als ob ein inneres vulcanisches Feuer die harte Decke der Haut durchschimmerte. Aber Sophie hat einen klugen, gelassenen Ausdruck der kleinen, grauen Augen und die großen schwarzen der armen Laurentia – schielen. Das eine von ihnen glüht in diesem Augenblicke wie eine entzündete Kohle, während das andere, in den äußersten Winkel gedrängt, nur eine purpurn geäderte, weiße Masse erkennen läßt. Sophie hat einen breiten Mund, ihre Lippen sind bleich, aber sie bewegen sich mit anmuthiger Leichtigkeit und enthüllen beim Sprechen zwei Reihen weißer, wohlgeformter Zähne. Auch Laurentia's Zähne sind gesund, wie ihre übrige, körperliche Natur, aber ungleich, einer über dem anderen hervorragend; ihre Lippen sind roth und voll, aber ohne Schwung und mittleren Einschnitt. Sie hat einen Plattmund, wie die Engländer ihn im allgemeinen den Deutschen vorzuwerfen pflegen. Was hilft es ihr, daß die Nase edel geschnitten ist, und daß sie, wenn in Ruhe, im Profil von der Seite des gesunden Auges aus betrachtet, so hübsch aussehen kann, wie Freundin Sophie nie? Der Mund, der Sitz des Witzes und des Liebreizes in einem Menschenantlitze, verdirbt schnell jeden gefälligen Ausdruck, sobald sie lacht, oder spricht, mit dem unelastischen Muskel, mit dem Zittern der breiten Oberlippe, dem hastig-schwerfälligen Organ. Und die Gestalt! Sophie ist lang und sehr mager, allerdings, ihre steife Haltung giebt ihr, wenn in Ruhe, ein wenig den Ausdruck der Härte, Gang und Bewegungen aber zeigen eine anmuthige Biegsamkeit. Laurentia's Körper dahingegen ist klein und voll, ja üppig, er zeigt keine Steifheit und Härte, im Gegentheil, eine excentrische Wellenlinie! Der übermächtige obere Theil scheint die Gestalt in der Gegend der Hüften zur Erde zu ziehen, daher der schleppende, kriechende, stolpernde Gang. Und ach! über das alles besitzt unsere Laurentia auch noch – einen nicht unansehnlichen Kropf!

Ohne weitere Worte also: unsere Heldin ist häßlich. Aber Sophie ist es auch. Und doch gefällt Sophie mit seltenen Ausnahmen und Laurentia mit seltenen Ausnahmen schreckt ab. Das macht: Sophiens innere Natur wußte die äußere zu beherrschen und sich mit ihr in einen gewissen Einklang zu bringen; sie kannte sich und hatte, oder zeigte nur die Empfindungen, die ihrem Aeußeren nicht widersprachen. Sie war klug, muthig und gewandt, sie besaß die Eigenschaften des Mannes, an welchem ja auch die Häßlichkeit so viel weniger häßlich erscheint als an der Frau. Aber die arme Laurentia war durch und durch eine weibliche Natur und darum der Mangel an Grazie so empfindlich. Ihre kindliche Harmlosigkeit erschien albern, ihre Abgeschlossenheit machte sie unpraktisch und linkisch, ihr Feuer wärmte keinen Anderen, nur verzehrend sie selbst, ihr Licht aber leuchtete nicht einmal ihr selbst. Ihr fehlte Sophiens nüchtern verständiger Blick, der an und für sich gewiß keine Schönheit ist, oder verleiht, aber allein das Unschöne vermittelt.

Laurentia war sorgfältig erzogen und unterrichtet worden, ohne etwas gelernt, oder begriffen zu haben als was sie empfand; sie hatte, verstohlen zwar, aber mit Gier gelesen, ohne ein Echo als das ihres eignen Herzens; sie hatte geschwärmt für manches Schöne, aber nicht weil sie es für schön erkannte, sondern weil es unbestimmt ihren Neigungen und Träumen entsprach. Selten war ein Held ihr heroisch, eine Heldin tugendhaft genug, selten das Ideal eines Dichters dem ihres Busens entsprechend gewesen. Sie schmachtete nach Liebe, sie liebte glühend, sie hätte vielleicht ebenso hassen können, wenn der Impuls sie dazu gezwungen. Die Vernunft zwang sie niemals, und gekannt hat sie nie einen Menschen, am wenigsten sich selbst. Kurzum: ihr fehlte die Proportion, die sanfte Schwingung, der recht und gleichmäßige Bewegungstrieb. Sie schnellte oder kroch, sprach in einsilbigen Lauten, oder hielt lange Reden; sie weinte oder zürnte, wo sie hätte lächeln sollen; sie war ein Weib, und zu ihrem Unglück ein häßliches Weib! Den Sonnenschein der Schönheit, Sybillens Zauber über diese rasch und tief empfindende Natur und ein Künstler würde eine Mignon oder Julia aus ihr gemeißelt haben; sie würde interessant gefunden, gefeiert, angebetet worden sein; so wie sie war, galt sie ihrem leiblichen Vater als eine Carricatur.

Die arme Laurentia war weit entfernt davon, in dieser Nacht, welche sie schlaflos meist vor ihrem Spiegel verbrachte, zu diesen oder ähnlichen Aufschlüssen über ihr inneres und äußeres Schicksal gekommen zu sein. Sie drehte und wälzte nur immer von neuem die halbverstandenen Enthüllungen, welche dieser Nachmittag herbeigeführt in ihrem Hirne hin und her. War sie häßlich? Und warum war sie häßlich? Sie hatte keine rothen Haare und Sommersprossen wie Sophie. Und wenn sie häßlich war, warum sollte sie nicht geliebt werden wie eine Schöne? Wurde Sophie nicht geliebt von ihrem Manne, von vielen Freunden, von ihr selbst? Hatte sie Mutter und Vater geliebt, liebte sie die Schwester, weil sie schön waren? Hatte die Tante sie nicht abgestoßen, ungeachtet ihrer auszeichnenden, weitgerühmten schönen Gestalt? Und Levin – Levin? Hatte sie um seiner Schönheit willen Levin bei der ersten Begegnung sich zum Freunde erkoren? Ja, war er denn schön? »Und gleiche er einem Kobold, er wäre dennoch mein Freund!« rief sie aus, die arme Thörin Laurentia, die bis heute an ihrem Freunde nichts wahrgenommen hatte, als was schön und wohllautend in ihr Herz gedrungen war! Und was hatte Herr von Hohenheim angedeutet mit jenem Paar? Wer war dieses Paar? Was sollte dieses Paar?

In diesen Grübeleien verbrachte sie die Nacht. Als sie am Morgen zu ihrem täglichen Geschäfte im Milchkeller geweckt wurde, war sie noch in ihren gestrigen Kleidern. Sie stieg ohne Säumen hinab, sie füllte auch heute die Milchnäpfe und rahmte sie ab, sie drückte auch heute die Butter in Formen, wischte jedes Tröpfchen von Geräth und Gefäß, holte frische Zweige und Blumen aus dem Garten, mit welchen sie ihre Werkstätte schmückte. An alles das hatte sie sich gewöhnt nach jahrelanger Anstrengung der einsichtigen Mutter. Sehr schwer, sehr widerwillig hatte sie sich diese Ordnung zu eigen gemacht, mit Zähneknirschen, kaum zwölfjährig, sich den Schlaf aus den Augen gerieben, den sie wie alle junge Menschen liebte, hatte ihre stillen Träumereien auf den Glockenschlag unterbrochen, nach und nach aber sich in diesen Zustand eingelebt und schließlich ihn liebgewonnen. Heute trug sie das Ideal eines Milchkellers in ihrer Brust, so gut wie das eines Ritters und einer Tugendheldin; sie duldete kein Stäubchen in demselben, sie schmückte ihn mit Blumen, sie lebte und webte darin, er war ein Theil ihres Selbst geworden.

Aber von diesem Tage an herrschte ein anderes Verhältnis zwischen ihr und dem Vater. Sie liebte ihn mit aller leidenschaftlichen Zähigkeit ihrer Natur, er war ihr ein Urbild des Adels und der Ritterlichkeit, sie hätte keinem seiner Befehle widersprochen, keinen seiner Wunsche unerfüllt gelassen; wehe dem, der es gewagt, den leisesten Tadel gegen ihn anzudeuten! Aber sie mißtraute seiner Empfindung gegen sie, sie ahnte seinen Widerwillen gegen ihre Natur und da sie sich nicht gestattete, ihn darob anzuklagen, gab ihr dieser Zweifel einen Groll gegen das Schicksal und dieses Schicksal hieß: Häßlichkeit! So oft das Wort »häßlich« zufällig in ihrer Gegenwart gesprochen wurde, erglühte sie, ihr dunkles Auge blitzte, das Weiße des kranken äderte sich purpurn, ihr schwindelte, sie hätte schreien mögen. Sie betrachtete jetzt jeden Menschen genau und fragte sich – ohne jemals eine gültige Antwort zu bekommen – ob er schön, ob häßlich sei? Er gefiel ihr, oder er gefiel ihr nicht. Ihr früher so demüthiges Betragen gegen den Vater erlitt einen Anstrich von Argwohn und Trotz, ihre Verlegenheit machte sie immer unbehülflicher und linkischer.

Auf der anderen Seite zeigte aber auch der Vater sich von Tage zu Tage unfreundlicher und abstoßender. War der Contrast der schönen Tochter mit der häßlichen so empfindlich für seinen gereizten Blick? Verletzte es den ehrsüchtigen Mann, bei dem veränderten geselligen Zuschnitt seines Hauses einen Gegenstand der Lächerlichkeit fremdem Spotte ausgesetzt zu sehen? War es Mitleiden, das in egoistischen Gemüthern sich so häufig als Groll zu äußern pflegt? War es, der immer näher rückenden Entscheidung gegenüber, gar Reue, das Schicksal seines schutzbedürftigen Kindes verwahrlost zu haben? Ein nagender Vorwurf, den er Anderen und sich selbst nicht eingestehen mochte und der nach neuen Gründen des Hasses sucht, indem er die vorhandenen schärft und spitzt zu einem Stachel? Waren es unruhige Zweifel über seine eigne Lage und Zukunft, die sich auf einem unschuldigen Gegenstande ablagerten? Genug, man lebte eine unheimliche Zeit auf dem schönen Landsitze der Tante, dessen Herrn die nächsten Wochen kundmachen sollten und es bedurfte aller Umsicht und Anmuth der liebenswürdigen Sybille, um diesen unleidlichen Zustand einigermaßen zu sänftigen. Sie vermied so viel als thunlich gesellschaftliche Berührungen, die nie ohne Kränkung für Vater oder Schwester verliefen; nur mit der bewährten Sophie berieth sie ihre häuslichen Verhältnisse und mit der Familie Hohenheim wurde der gewohnte, nachbarliche Verkehr unterhalten.

So oft Levin, Allen ein willkommener Gast, aus der Stadt einkehrte, und so lange er in Laurentia's Nähe verweilte, bohrte sich ihr dunkles Auge in das seine, folgte es mit angstvoller Spannung dem der Schwester. Denn hier lag ein Geheimniß verborgen, welches des Vaters Aeußerung angedeutet, aber nicht klar gemacht hatte. Liebte Levin Sybillen? Liebte sie ihn? Aber sie waren Beide so gleichmäßig ruhig. Laurentia hatte eine gewaltige Vorstellung von der Liebe. Sie spürte nichts von Sturm und Gluth, sie sah keine Erschütterung, sie hörte keine hochklingenden Worte. Levin versäumte keinen Dienst, er kam nicht athemlos einhergesprengt, die Geliebte zu begrüßen; Sybille sorgte gelassen für die kleinste Obliegenheit, ohne sich durch seine Nähe beirren, oder zerstreuen zu lassen. Und war er denn gegen sie, gegen Laurentia, etwa weniger aufmerksam als gegen die Schwester? Reichte er nicht ihr wie dieser zum Willkommen und Abschied herzlich die Hand? Sprach er nicht ebensoviel mit jeder von Beiden? Nahm er bei Tische nicht seinen Platz neben Laurentia, statt neben der Anderen? Und die Erinnerung an sein theilnehmendes Bezeigen, an seinen ängstlichen Blick bei jenem Unfall auf der Brücke, an seinen warmen Händedruck – warum sollte er nicht ihr Freund sein, Laurentia's Freund? Wenn sie häßlich war, wie Sophie angedeutet und der Vater ausgesprochen, noch einmal, wurde die häßliche Sophie nicht von einem edlen Manne geliebt? noch einmal, sieht die Liebe nicht mit dem Herzen und in die Herzen?

Kam solchergestalt die arme Laurentia auf der einen Seite nicht aus dem Zwiespalt der unruhigsten Zweifel und Hoffnungen heraus, so hatte sie auf der anderen seit jenem verhängnißvollen Abend einen Gegenstand eigentümlich ausgleichend auf sie wirkender Theilnehmung gefunden: den einfältigen Felix, der ihr vom Vater als Leiderkorener gegenüber gestellt worden war. Bis dahin nicht von ihr beachtet, kaum bemerkt, erregte er von jener Stunde an ihr innigstes Interesse. Sie wendete sich am liebsten und mit rückhaltsloser Zutraulichkeit an ihn, sie meinte ihn trösten zu müssen, weil sie ihn für unglücklich hielt wie sich selbst. Aber Felix war nicht unglücklich, im Gegentheil heiter und harmlos wie ein Kind, das er geblieben war und für das er genommen ward, trotz seiner achtzehn Jahre und schlank in die Höhe geschossenen Gestalt.

Eine liebliche, sanfte Erscheinung, dieser Jüngling. Blonde, seidenweiche Locken, offne, zufrieden lächelnde Augen, reine Züge und ein weicher Wohllaut der Stimme. Man mußte ihn lieb haben, wenn man nicht daran dachte, daß er ein Mann werden sollte und auch dann noch mit der Liebe des Erbarmens. Von allen Menschen begegnete nur Laurentia ihm wie einem Genossen, einem Gleichgestellten, mit hingebender Achtung, allmälig wie einem verkannten guten Geiste gleich ihr selbst. Tadelte, bespöttelte man ihn, so fühlte sie sich empört, als gälte es ihr; nannten Alle ihn Felix und Du, so redete sie ihn niemals anders als Sie und Herr von Hohenheim an; und der Jüngling lohnte ihr diese Rücksicht mit einer fast schwärmerisch dankbaren Verehrung. Er begrüßte sie nie ohne Handkuß und tiefe Verbeugung, er nannte sie würdevoll »Fräulein Laurentia« nicht Laura, oder gar Renzel wie die Anderen, ja, er steigerte den Ausdruck seiner kindlichen Bewunderung bis zu Aufmerksamkeiten und Huldigungen, wie sie annähernd ihr niemals ein Mensch erwiesen hatte. Er kam nie ohne einen kunstvoll gebundenen Strauß, oder eine besonders gerathene Frucht aus seinem Garten; einmal brachte er ihr sogar einen Kanarienvogel, den er gezähmt und der sich gar bald zutraulich auf ihre Schulter setzte, aus ihrem Munde seine Nahrung pickte und ihr unzertrennlicher Begleiter ward.

Und über dem Allen hatte die Natur dem guten Jungen eine Gabe verliehen, welche seiner Gönnerin zur innigsten Herzensfreude gereichen sollte: eine wohlklingende Tenorstimme, bei tiefer musikalischer Empfindung; konnte er es auch im Notenlesen nicht allzuweit bringen, so faßte er melodiöse Stücke doch leicht mit dem Gehör und gab sie mit seelenrührendem Ausdrucke wieder. Laurentia aber liebte die Musik über jeden Genuß und ihre selige Mutter war bemüht gewesen, diese Neigung in eine Fähigkeit umzubilden. Ihre ungefügigen Finger widersetzten sich schwierigen Ausführungen, sie lernte nur wenige, das Gefühl ansprechende Weisen, Lieder ohne Worte, die sie aber, indem sie dieselben jeden Tag wiederholte, nach und nach mit einer selbst dem Kenner erfreulichen Vollkommenheit ausführte. Freilich that sie das nur in der Stille ihres Zimmers, nie vor fremden Ohren, Felix aber hatte vom Garten aus die Melodien gehört und sich gemerkt; er bat seine Freundin um einen Text für dieselben, welchen sie dann auch aus ihrer Liedersammlung wählte, in einem zierlichen Hefte den Noten unterlegte und nachdem er denselben mühselig dem Gedächtnisse eingeprägt hatte, mit ihm einübte, so daß sie es bald zu gar anmuthigen Productionen mit einander brachten und der blöde Knabe auf diese Weise der Genosse der stillsten Lebensfreuden des unschönen Mädchens wurde.

Wir sind in Darstellung dieses Verhältnisses einigermaßen vorgreifend verfahren. In der Zeit, die wir gegenwärtig zu schildern haben, den Wochen zwischen dem unglücklichen Stadtbesuch und der Testamentseröffnung der Tante, knüpften sich nur erst die Anfänge zu demselben. Immerhin aber hielten Felix und Laurentia schon jetzt zusammen, als hätte das Schicksal sie auf einander angewiesen.

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