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Fünfzehntes Kapitel.

Neuer Besuch in Amerika: November und December 1867.
1867.

Es ist der Zweck dieses und des folgenden Kapitels, den Verlauf des Besuches in Amerika mit Dickens' eigenen Worten und nur mit diesen zu schildern. Sie werden fast ausschließlich aus seinen Briefen in die Heimath bestehen, die er an Mitglieder seiner Familie und an mich selbst richtete.

Dienstag Abend den 19. November kam er in Boston an, wo er seine Wohnung im Parker House Hotel aufschlug und sein erster Brief (vom 21sten) theilte mit, daß die bis dahin ausgegebenen Billette für die vier ersten Vorlesungen, sofort verkauft worden seien. »Eine ungeheuere Schaar Volks wartete zwölf Stunden in der gefrorenen Straße und zog der Reihe nach in das Büreau, wie bei einem französischen Theater. Die schon für diese Abende empfangenen Einnahmen übertreffen unsre Berechnung um 250 Pfd. Sterl.« Bis zum letzten Augenblick hatte er nicht ganz vermocht, sich von einem Schatten des Argwohns zu befreien, daß etwas von dem alten Groll sich fühlbar machen möge, aber sowie er Boston betreten hatte, blieb keine Spur von dieser Furcht zurück. Die ihm zu Theil werdende Begrüßung war ebenso außerordentlich wie die vor fünfundzwanzig Jahren und jetzt wie damals galt sie dem Manne, der sich zum volksthümlichsten Schriftsteller des Landes gemacht hatte. In jedem Hause, in jedem Eisenbahnwagen, auf jedem Dampfschiff, auf jedem Theater Amerika's waren die Charaktere, die Gedanken, die Phraseologie Dickens' bekannter geworden, als die irgend eines andern Schreibers von Büchern. »Selbst in England,« sagte eine der New-Yorker Zeitungen, »kennt man Dickens weniger als hier, und unter den Millionen hier, die jedes von ihm geschriebene Wort wie einen Schatz bewahren, sind Zehntausende, die große Opfer bringen würden, den Mann zu sehen und zu hören, der ihnen so viele glückliche Stunden bereitet hat. So viel Neigung einst auch zu einer feindlichen oder spöttischen Kritik vorhanden sein mochte, der Verlauf eines Vierteljahrhunderts und die tiefe Bedeutung eines großen Krieges haben dieselbe entweder modificirt oder beseitigt.« Noch kürzer und kräftiger und ebenso wahr drückte Horace Greeley die Sachlage in der »New-York Tribune« aus. »Der Ruhm als Novellist, welchen Dickens sich schon in Amerika geschaffen hatte, und der ihm im besten Falle nie etwas besonders Glänzendes oder Substantielles eingetragen hat, ist bei dem gegenwärtigen Unternehmen sein Wirthschafts-Kapital geworden.«

Die erste Vorlesung war auf den zweiten December festgesetzt und in der Zwischenzeit sah er mehrere alte Freunde und fand einige neue. Unter diesen gefiel ihm Niemand besser, als der berühmte Naturforscher Agassiz, dessen Tod zu meinem Bedauern gemeldet wird, während ich dies schreibe, so daß es jetzt nicht mehr unpassend ist, Dickens' Bemerkungen über ihn anzuführen. »Agassiz ist nicht nur einer der gebildetsten, sondern einer der natürlichsten und geselligsten Menschen.« Und an einer andern Stelle: »Ich kann Dir nicht sagen, wie sehr Agassiz, ein äußerst angenehmer Mensch, mir gefiel und wie ich seine zeitweilige Zurückgezogenheit, wegen des Todes seiner Mutter, bedauert habe.« Ein geschätzter Correspondent, Mr. Grant Wilson, schickt mir eine Liste berühmter Amerikaner, welche Dickens bei seinem ersten Besuche bewillkommneten und in der Zwischenzeit dahingeschieden waren. »Es ist melancholisch, die große Zahl amerikanischer Schriftsteller zu betrachten, die zwischen dem ersten und dem zweiten Besuche von Dickens auf Nimmerwiedersehen dahingegangen waren. Der kräftige Cooper, der edle Irving, dessen Freund und Verwandter Paulding, der Geschichtsschreiber Prescott und der Dichter Percival, der beredte Everett, Nathaniel Hawthorne, Edgar Poe, N. P. Willis, der geniale Halleck und viele kleinere Lichter, darunter Professor Felton und George Morris, waren während des seit Dickens' erstem Besuche verflossenen Vierteljahrhunderts gestorben und überließen es einer neuen Generation von Schriftstellern, ihm bei seinem zweiten Kommen die Hand der Freundschaft entgegenzustrecken.« Ich will hinzufügen, daß Dickens sich freute, bei diesem zweiten Besuche seinen alten Sekretär wiederzusehen, der während seines ersten Triumphzuges so angenehm mit ihm gereist war. »Er würde ihn überall wieder erkannt haben.« Boston verglich er gern mit Edinburgh, wie Edinburgh war in den alten Tagen, als mehrere liebe Freunde von ihm noch dort lebten. Fünfundzwanzig Jahre hatten viel an der amerikanischen Stadt verändert, manche freundliche Gesichter waren verschwunden und auf Stellen, die damals Sumpf waren, fand er jetzt die glänzendsten Straßen; aber die alte freundschaftliche Wärme hatte keine Abnahme erlitten und bei aller ihm erwiesenen Aufmerksamkeit und Achtung gab es keine Zudringlichkeit. Er war sich anfangs weder dieser Veränderung noch der gewaltigen Vergrößerung Bostons vollständig bewußt. Aber die letztere wurde ihm von Tage zu Tage bemerkbarer und zugleich empfand er einen Contrast, mit dem er es schwer fand sich zu versöhnen. Nichts entzückte ihn so sehr, als was er wieder von dem schönen einfachen, selbstachtenden, herzlichen und liebevollen häuslichen Leben von Cambrigde sah, und es schien unmöglich, daß nur eine halbe Stunde davon entfernt, das zu finden sei, was zu jeder Zeit in Hotels, wie dem von ihm bewohnten, beobachtet werden konnte: Haufen von eitlen Schwätzern, Tagedieben, Trinkstubenflaneuren und Branntweinsäufern, die von Tage zu Tage den nicht am wenigsten wichtigen Theil des menschlichen Lebens der Stadt auszumachen schienen. Aber kein so großer Handelsplatz in den Vereinigten Staaten, wie Boston damals geworden war, konnte ohne jenen Nachtheil bestehen und glücklich sollten wir jeden Ort schätzen, der, selbst wenn er so pestgequält ist, doch den gesunderen Einfluß jenes andern Lebens so nahe hat, welches unsre ältere Welt fast vollständig verloren hat.

»Die Stadt hat sich in fünfundzwanzig Jahren gewaltig vergrößert,« schrieb er an seine Tochter Mary. »Sie ist kaufmännischer geworden. Sie ist wie Leeds, vermischt mit Preston und gewürzt mit Brighton. Nur ist statt des Rauches und Nebels eine köstlich klare leichte Luft da.« »Cambridge ist ganz so wie ich es verließ,« schrieb er an mich. »Boston ist kaufmännischer und viel größer. Das Hotel, in dem ich früher wohnte und das mir sehr groß vorkam, wird jetzt als eine kleine Sache betrachtet. Ich bemerke – aber ein Tag, wie Du wohl weißt, ist keine lange Zeit zur Beobachtung – noch keine entschiedne Veränderung in Charakter und Gewohnheiten. In diesem kolossalen Hotel wohne ich sehr hoch hinaus und habe ein heißes und kaltes Bad in meinem Schlafzimmer, nebst andern Bequemlichkeiten, die früher nicht vorhanden waren. Die Kosten des Lebens sind ungeheuer.« – »Zwei von unsrer Gesellschaft sind in New-York,« schrieb er am 25. November an seine Schwägerin, »wo wir es völlig unmöglich finden, die Billette zu retten vor den Händen der Speculanten. Wir empfangen Mittheilungen aus allen Theilen des Landes, aber wir nehmen keinerlei Anerbietungen an. Die Studenten von Cambridge haben Longfellow vorgestellt, daß sie 500 Mann stark sind und kein einziges Billet bekommen können. Ich weiß nicht, was zu thun ist, aber ich glaube, ich muß dort irgendwie einmal lesen. Wir sind vollständig im Dunkeln, bis die Vorlesungen in New-York angefangen haben.« Der Verkauf der Billette hatte dort zwei Tage vor der ersten Vorlesung in Boston begonnen. »An den Barrieren in New-York,« schrieb er am 1. December an seine Tochter, »wo die Billette verkauft wurden und die Leute sich aufstellten wie an den Pariser Theatern, gingen die Speculanten auf und ab und boten zwanzig Dollars für irgend einen Platz. Das Geld wurde in keinem Falle angenommen. Aber ein Mann verkaufte zwei Billette für den zweiten, dritten und vierten Abend, wofür er ein Billet für den ersten Abend, fünfzig Dollars und ein Glas Brandy-Liqueur als Gegenzahlung empfing.«

Am Montag, den 2. December, las er zum erstenmale in Boston. Zu seinen Gegenständen hatte er das Weihnachtslied und den Proceß aus Pickwick gewählt, und sein Empfang durch eine Zuhörerschaft, wie wohl kaum eine bemerkenswerthere hätte zusammengebracht werden können, übertraf alle seine Erwartungen. »Es ist wirklich unmöglich,« schrieb er mir am nächsten Morgen, »den Glanz des Empfanges oder die Wirkung der Vorlesung zu übertreiben. Die ganze Stadt will heute von nichts Anderm reden und von nichts Anderm hören. Jedes Billet für die hier und für die in New-York angekündigten Vorlesungen ist verkauft. Alle sind verkauft zu dem höchsten Preise, worauf wir bei unsrer Berechnung keine Rücksicht genommen hatten; und es ist unmöglich, Speculanten fern zu halten, die sofort wieder mit einer Prämie verkaufen. Trotz des niedrigen Geldstandes nahmen wir gestern Abend 450 Pfd. Englisch ein, und die Halle in New-York hält noch 500 Personen mehr. Alles scheint glänzend über die sanguinischsten Hoffnungen hinaus, und ich war gestern Abend ebenso kühl, als läse ich in Chatham vor.« Den folgenden Abend las er wieder und auch am Donnerstag und Freitag; am Mittwoch hatte er geruht und am Sonnabend reiste er nach New-York.

Am Tage vor seiner Abreise hatte er geschrieben, daß er wöchentlich einen Reinertrag von 1300 Pfd. Englisch habe, auch wenn er sieben Dollars auf das Pfd. St. rechne; aber er fügte Worte hinzu, die keine gute Vorbedeutung enthielten: daß das Wetter eine ungewöhnlich strenge Wendung nehme und daß er das Klima mit der Plötzlichkeit seiner Wechsel »und den großen Sprüngen derselben« äußerst unbequem finde. »Die Arbeit ist natürlich auch ziemlich anstrengend, aber der feste Grundsatz, daß Alles ihr untergeordnet werden muß, setzt mich in den Stand, mich von Einladungen frei zu halten. Morgen,« so lautete der Schluß des Briefes, »gehen wir nach New-York. Wir können die Leute, die mit unsern Billetten speculiren, nicht schlagen. Wir verkaufen für den Cursus von sechs Vorlesungen nicht mehr als sechs Billette an eine Person; aber die Speculanten, die zu stark erhöhten Preisen verkaufen und große Profite machen, stellen eine Menge Menschen zum Kaufen an. Einer der Hauptspeculanten, der jetzt hier im Hause wohnt, damit er uns auf Schritt und Tritt folgen kann, kann an jedem Orte, wohin wir gehen, fünfzig Leute anstellen, und so bekommt er 300 Billette in die Hände.« Fast zu gleicher Zeit, während Dickens diese Worte schrieb, schilderte ein Augenzeuge in einer Philadelphiaer Zeitung den Verkauf der Billette in New-York. Das Verkaufsbüreau sollte an einem Mittwoch Morgen um neun Uhr eröffnet werden; und am Dienstag um Mitternacht war bereits eine lange Reihe von Speculanten in Queues versammelt; um zwei Uhr Morgens kamen die ersten ehrlichen Käufer; um fünf Uhr waren von allen Classen zwei Reihen, jede von nicht weniger als 800 Personen, da; um acht standen mindestens 5000 Personen in den zwei Reihen; um neun war jede Reihe fast eine Viertelmeile lang, und keine von beiden wurde während des ganzen Morgens merklich kürzer. »Die Billette für den Cursus wurden alle vor Mittag verkauft; Familienmitglieder lösten einander in den Queues ab; Kellner eilten aus dem benachbarten Restaurant über Straßen und Plätze dahin, um die Leute zu bedienen, die in der offenen Decemberluft ihr Frühstück einnahmen, während aufgeregte Menschen fünf und zehn Dollars anboten, für die bloße Erlaubniß, mit andern der Spitze der Reihe näher stehenden Personen die Plätze zu wechseln.«

Die Wirkung der Vorlesungen in New-York entsprach diesen wunderbaren Vorbereitungen, und Dickens erklärte von seiner Zuhörerschaft, dieselbe sei ihm eine unerwartete Stütze gewesen, rasch und sicher in ihrem Verständniß und höchst demonstrativ in ihrer Befriedigung. Am 1. December schrieb er an seine Tochter: »Staunenswerther Erfolg. Eine vorzügliche Zuhörerschaft, viel besser als in Boston. Das Weihnachtslied und der Proceß am ersten Abend groß, noch größer Copperfield und Bob Sawyer am zweiten. Auf die Billette für die vier Vorlesungen in der nächsten Woche warteten heute Morgen um neun Uhr 3000 Leute und sie hatten schon um zwei Uhr Morgens in der bittern Kälte angefangen sich zu versammeln.« In einem Briefe an mich selbst vom 15. fügte er dem seltsamen Bilde neue Züge hinzu. »Dolby ist wegen der Art und Weise, wie er die Billette für die Vorlesungen der nächsten Woche ausgegeben hat, in Verlegenheit gerathen. Er kann nicht viertausend Personen in eine Halle bringen, die nur zweitausend hält, er kann die Leute nicht bewegen, zu den gewöhnlichen Preisen für sich selbst zu bezahlen, statt den Speculanten dreimal so viel zu geben, und er wird von allen Seiten angegriffen. Meine Halle gefällt mir nicht ganz, denn sie hat zwei große weit von der Platform entfernte Balkone; aber Niemand verlegt mir je den Weg, wenn ich hineingehe oder herauskomme, und sie wird so streng ruhig gehalten, wie das Theater Français bei einer Probe. Wir haben noch keinen Abend weniger darin eingenommen als 430 Pfd. Englisch. Ich schicke mit diesem Packetschiff 3000 Pfd. St. nach England. Aus allen Theilen der Vereinigten Staaten erreichen uns fortwährend Vorschläge und Anerbietungen. Wir gehen am nächsten Sonnabend zu noch zwei Vorlesungen nach Boston, und kommen am Weihnachtstage zu noch vier Vorlesungen hierher zurück. Ich habe mich noch nicht verpflichtet, irgendwo anders hinzugehen, außer dreimal (jedesmal auf zwei Abende) nach Philadelphia, denn ich glaube, daß es am weisesten ist, mich für die größesten Orte frei zu halten. Ein Mann, der sich hinsichtlich seiner Billette für benachtheiligt hielt (und es wirklich gewesen sein mag), leitete einen Proceß gegen mich ein. Da eine persönliche Vorladung nothwendig ist, machte der Marschall mir zu diesem Zwecke eine höfliche Aufwartung und ich empfing ihn, wie es schien zu seinem großen Erstaunen, mit der größten Zuvorkommenheit. Am nächsten Tage wurde die Anklage zurückgezogen und der Kläger bezahlte seine eignen Kosten . . . Dolby hofft, daß Du so weit mit den Zahlen zufrieden bist, da der Reinertrag jedes Abends den Voranschlag um einige 130 Pfd. St. übertrifft. Er bittet mich auch sehr, Dir zu sagen, daß er der unpopulärste und bestgescholtene Mann in Amerika ist.« Ein Brief vom folgenden Tage an seine Schwägerin erzählte von einem Vorfall, der in amerikanischen Städten zu gewöhnlich ist, um andre Leute als Fremde zu beunruhigen. Dickens hatte in dem Westminster Hotel in Irving Place seine Wohnung aufgeschlagen. »Gestern Abend ging ich genau um 12 Uhr zu Bette, als Dolby an meine Thüre kam, um mich zu benachrichtigen, daß es im Hause brenne. Ich weckte Scott sofort auf, befahl ihm, zuerst die Bücher und die Kleider für die Vorlesungen zu packen, zog mich an und steckte meine Juwelen und Papiere in die Tasche, während der Geschäftsführer sich mit Geld ausstopfte. Inzwischen war die Polizei und die Löschmannschaft herbeigekommen, und hatte das Unheil auf seine Quelle in einem gewissen Kamin zurückgeführt. Um diese Zeit war der Wasserschlauch, von einem großen Wasserbehälter aus dem Dache, vollständig gelegt und Jedermann kam herbei, um zu helfen. Es war der wunderlichste Anblick und die Leute hatten die seltsamsten Sachen angezogen. Nachdem eine Treppe mit Aexten bearbeitet und durchgehauen war, und nach vielem Umherreichen von Wasser, wurde das Feuer auf ein Speisezimmer beschränkt, wo es ausgebrochen war, und dann redete Jedermann mit Jedermann sonst, wobei die Damen ganz besonders geschwätzig und heiter waren. Ich muß noch bemerken, daß der zweite Wirth (von beiden, aber vorzüglich vom ersten, ist mir die unermüdlichste Aufmerksamkeit bewiesen) mich kaum bei dieser aufregenden Gelegenheit erblickte, als er, während sein Haus noch brannte, darauf bestand, mich in ein von heißem Rauch angefülltes Zimmer hinunter zu führen und heißen Brandy und Wasser mit mir zu trinken. Und so kamen wir um 2 Uhr wieder in's Bett.«

Dickens war eine Woche in New-York gewesen, ehe er im Stande war, die große Stadt wiederzuerkennen, die ein Verlauf von fünfundzwanzig Jahren so gewaltig verändert hatte. »Der einzige Theil, der mir selbst jetzt wieder in die Erinnerung kommt,« schrieb er, »ist der Theil des Broadway, wo früher das längst zerstörte Carlton Hotel stand. In den Vorstädten ist ein sehr schöner neuer Park, und die Zahl großer Häuser und glänzender Equipagen ist ganz erstaunlich. Dichtbei hier sind Hotels mit 500 Schlafzimmern und ich weiß nicht wie vielen Pensionären; aber mein Hotel ist ganz so ruhig und nicht viel größer als Mivarts in Brook-Street. Meine Zimmer sind alle en suite und ich komme und gehe durch eine Privatthür und über eine Privattreppe, die mit meinem Schlafzimmer in Verbindung steht. Die Kellner sind Franzosen und man könnte denken, man lebte in Paris. Einer von den zwei Besitzern ist auch Besitzer von Niblo's Theater, und man behandelt mich auf das Zuvorkommendste. Die große Anziehung bei Niblo: » Der schwarze Bucklige« wird jetzt seit 16 Monaten (!) jeden Abend gespielt, und ist der abgeschmackteste Haken zum Anhängen von Ballets, den man sich denken kann. Die Leute, die darin spielen, haben und hatten nie die mindeste Vorstellung, was das Stück eigentlich bedeutet; aber nachdem ich meine geistigen Fähigkeiten aufs äußerste angestrengt, glaube ich entdeckt zu haben, daß Der schwarze Bucklige ein bösartiges Wesen ist, das sich mit den Mächten der Dunkelheit verbündet hat, zwei Liebende zu trennen und daß er, da die Mächte des Lichtes (ohne alle Gewänder) zur Rettung herbeieilen, besiegt wird. Ich rede in vollem Ernst, wenn ich sage, daß in dem ganzen, allabendlich gespielten Stück nicht zwei Seiten von All the Year Round enthalten sind; alles Uebrige besteht aus allen möglichen Ballets, völlig unerklärlichen Processionen und dem Esel aus der Covent-Garden-Pantomime vom vorigen Jahre. In den andern Theatern der Stadt wiegen komische Opern, Melodramen und Schauspiele vor und meine Geschichten spielen darunter keine unbeträchtliche Rolle. Ich gehe nirgendswo hin, da ich die Regel festgestellt habe, daß es absolut unmöglich sein würde, Besuche mit meiner Arbeit zu verbinden . . . Die fenische Explosion in Clerkenwell Der Versuch der Fenier vom 13. December 1867, einige in dem Clerkenwellgefängniß in London sitzende Führer ihrer Partei durch Sprengung der Umfassungsmauer des Gefängnisses zu befreien. – D. Uebers. wurde in wenigen Stunden hierher telegraphirt. Ich glaube nicht, daß das amerikanische Volk irgendwelche Sympathie für die Fenier hat, obgleich politische Abenteurer aus einem Zurschautragen derselben Kapital machen mögen. Aber unzweifelhaft besteht ein großer Theil der irischen Bevölkerung dieses Staates aus Feniern und die Lokalpolitik von New-York ist in einem äußerst verderbten Zustande, wenn nur die Hälfte dessen, was man mir erzählt, wahr ist. Ich ziehe es vor, nicht von diesen Dingen zu reden; aber wenn die Gelegenheit es mit sich bringt, mache ich meine eigenen Beobachtungen. Große gesellschaftliche Verbesserungen in Bezug auf Lebensart und Duldung haben stattgefunden seit ich zuerst hier war, aber im öffentlichen Leben finde ich bis jetzt nur wenig verändert.«

Er war mit der Hälfte seiner ersten New-Yorker Vorlesungen fertig, als ein Wintersturm eintrat, und von dieser Zeit an bis fast zu seiner Rückkehr war die Witterung selbst für Amerika ausnahmsweise strenge. Als der erste Schnee fiel, wurden die Eisenbahnen auf einige Tage geschlossen, und er beschrieb New-York als gedrängt voll von Schlitten während der Schnee in ungeheuern Mauern die ganze Länge der Straße hin aufgehäuft dalag. »Ich fuhr gestern, in Pelze eingehüllt, in einem ganz pomphaften Schlitten aus und machte einen imposanten Eindruck.« – »Sähest Du mich ausfahren,« schrieb er seiner Tochter, »bis zum Schnurrbart in Pelzen, eine gewaltige weiße, roth und gelb gestreifte Decke umgeschlagen, Du würdest mich für einen Ungarn oder Polen halten.« Nichtsdestoweniger nützten diese Vorsichtsmaaßregeln ihm wenig, und als die Zeit kam, nach Boston zurückzukehren, fand er sich am Schlusse seiner Reise mit einer Erkältung und einem Husten behaftet, die ihn nicht wieder verließen, bis er Amerika verlassen hatte, und deren Wirkungen auf immer bedenklichere Weise fühlbar wurden. Für den Augenblick sprach er wenig davon, da er fest glaubte, er werde Herr darüber werden; aber bald drängte es sich in alle seine Briefe ein.

Auch sonst war seine Eisenbahnfahrt nicht angenehm gewesen. »Die Eisenbahnen sind wahrhaft beängstigend. Viel schlimmer (weil abgenutzter, vermuthlich) als während meiner ersten Anwesenheit. Wir wurden gestern umhergeworfen, als wären wir an Bord der »Cuba« gewesen. Es müssen zwei Flüsse überfahren werden, und jedesmal wird der ganze Zug an Bord eines großen Dampfschiffs gestoßen. Das Dampfschiff steigt und fällt mit dem Flusse, was die Eisenbahn nicht thut, und der Zug wird entweder bergauf oder bergab gestoßen. Als wir gestern an einer dieser Fähren von dem Dampfschiff herunterkamen, wurden wir eine solche Höhe hinaufgestoßen, daß das Seil zerriß und ein Waggon wieder bergab in das Schiff hinunterglitt. Ich huschte in einem Augenblick hinaus und zwei oder drei Andre mir nach; aber sonst schien Niemand sich darum zu kümmern. Die Behandlung des Gepäcks ist vollständig empörend. Fast meine sämmtlichen Kisten sind schon zerbrochen. Als wir gestern von Boston abfuhren, sah ich zu meinem unsäglichen Erstaunen, wie Scott, mein Diener, sich mit geröthetem Gesicht gegen die Wand des Wagens lehnte und weinte. Es war über mein zertrümmertes Schreibpult. Dennoch sind die Einrichtungen für das Gepäck vortrefflich, wenn nur die Gepäckträger nicht so rücksichtslos damit umgingen.« Dieselbe Vortrefflichkeit der Anordnung und dasselbe Wegschleudern ihrer Vortheile werden in demselben Briefe in Bezug auf einen andern Gegenstand erwähnt. »Die Hallen sind vortrefflich. Stelle Dir eine vor, die zweitausend Personen faßt, deren jede abgesondert und ganz eben so gut als jede andere sitzt. Ich habe nirgends, weder in England noch sonstwo, eine so ausgezeichnete Polizei gesehen als die Polizei von New-York, und ihre Haltung in den Straßen ist über alles Lob erhaben. Auf der andern Seite werden die Gesetze zur Regulirung der öffentlichen Fuhrwerke, der Freihaltung der Straßen und der Entfernung von Hindernissen, von den Leuten, zu deren Bestem sie gemacht sind, auf das wildeste verletzt. Trotzdem haben nach allen Seiten unzweifelhafte Verbesserungen stattgefunden und ich lasse mir Zeit, ehe ich mir über allgemeine Zustände ein Urtheil bilde. Ich muß noch hinzufügen, daß ich mich habe verleiten lassen, um drei Uhr Morgens auszugehen, um eine der großen Polizeistationen zu besuchen, wo ich durch das Studium eines entsetzlichen Photographiebuchs von Diebsporträts so gefesselt wurde, daß ich nicht über mich vermochte, es zu schließen.«

Ein Brief von demselben Datum (22. December 1867) an seine Schwägerin erzählte von persönlichen Aufmerksamkeiten, die ihn bei seiner Rückkehr nach Boston erwarteten und sehr rührten. Er fand seine Zimmer geschmückt mit Blumen und mit Walddisteln mit wirklichen rothen Beeren daran und mit Guirlanden von Moos; und der heimische Weihnachtsanblick des Ortes ergriff ihn tief. »In dem Zollamte in Boston ist ein gewisser Capitän Dolliver, der in dem kleinen Dampfschiff heranfuhr, welches mich von der » Cuba« an's Land brachte, und er setzte sich's in den Kopf, daß er in dem dieswöchentlichen Cunard-Dampfer einen Mistelzweig aus England mitbringen lassen wolle, der auf meinen Frühstückstisch gelegt werden sollte. Und da lag er heute Morgen. In solchen rührenden Charakterzügen, wie diesen, sind diese Neu-England-Leute besonders liebenswürdig . . . Im Allgemeinen mußt Du als Regel gelten lassen, daß Alles, was Du etwa in den Zeitungen über mich siehst, nicht wahr ist; aber gewöhnlich kannst Du dem Philadelphiaer Correspondenten der Times, einem wohlunterrichteten Manne, ein gläubigeres Ohr leihen. Unser Hotel in New-York brannte neulich nieder. Aber Feuersbrünste sind in diesem Lande ganz selbstverständliche Dinge. Heute Morgen um vier Uhr war ein großes Feuer in Boston, und ich glaube, keine einzige Nacht ist vorübergegangen, seit ich unter dem Schutze des Adlers gewesen bin, ohne daß ich die Feuerglocken melancholisch über beiden Städten läuten hörte.« Das heftige Schimpfen auf seinen Geschäftsführer in gewissen Organen der Presse bildet den Hauptinhalt des Restes dieses Briefes und erfährt noch weitere Erläuterung in einem Briefe von demselben Datum an mich. »Eine gute Probe der Art von Zeitungen, von denen ich und Du etwas kennen, erschien heute Morgen hier in Boston. Der Redakteur hatte sich um unsre Anzeigen bemüht und gesagt, seine Zeitung stehe ›zur Insertion von Paragraphen zu Mr. Dickens' Verfügung‹. Die Anzeigen wurden nicht geschickt; Dolby bereicherte die Spalten des Blattes nicht durch Paragraphen, und unter seinen Neuigkeiten findet sich heute das Item, ›daß dieser Mensch, der sich Dolby nennt, sich gestern Abend unten in der Stadt betrunken hat, und weil er sich mit einem Irländer geprügelt, auf die Polizeistation gebracht ist‹. Ich bedauere zu sagen, daß Niemand hier über diese Spaßhaftigkeit sehr entrüstet scheint.« Es ist nur billig hinzuzufügen, was er mir einige Tage später schrieb. »Die Tribüne ist eine vortreffliche Zeitung. Horace Greely ist der Hauptredakteur und auch ein bedeutender Aktionär. Alle an der Zeitung betheiligten Leute, die ich gesehen, gehören zu der besten Classe. Sie steht auch pecuniär sehr gut – aber in dieser Hinsicht steht sie weit, weit hinter dem New-York Herald zurück. Eine andere tüchtige und gut redigirte Zeitung ist die New-York Times. Ein äußerst respektables, vortrefflich geschriebenes Journal ist auch Bryant's Evening Post. Im Allgemeinen herrscht ein weit gemäßigterer und anständigerer Ton als früher in den Zeitungen, von denen man mir sagt, daß sie eine weite Verbreitung haben, so gering das literarische Verdienst auch ist. Die Schreibart hat sich allerdings vielfach gebessert, doch könnte diese Verbesserung weiter verbreitet sein.«

Es war jetzt die Zeit herangekommen, wo der Verlauf, welchen seine Vorlesungen unabhängig von den beiden Hauptstädten nehmen sollten, festgestellt und die allgemeine Tour entworfen werden mußte. Der ursprüngliche Plan seines Agenten war, daß sie jede Woche in New-York sein sollten. »Aber ich sage: nein. Am 10. Januar werde ich in dieser Stadt allein vor 35,000 Personen gelesen, die Vorlesungen für diese Zeit aus dem Bereiche des ganzen dahinter stehenden Volkes entfernt gehalten haben. Es ist eine der nationalen Eigenthümlichkeiten, die mir ganz besonders auffällt, daß man eine Sache hier nicht zu leicht haben darf. Nichts dauert hier lange, und man schätzt ein Ding um so höher, je weniger leicht es gemacht wird. Wenn ich daher bedenke, daß es mein Wunsch ist, im April hier und in New-York mit Abschiedsvorlesungen zu schließen, so bin ich überzeugt, daß der Zudrang zu denselben, welcher nothwendig ist, um einen angemessenen Erfolg zu sichern, nur durch Abwesenheit erlangt werden kann, und daß das beste für mich ist, nicht jeder Stadt so viel Vorlesungen zu geben, als sie jetzt zu haben wünscht, sondern von beiden unabhängig zu sein, während beide voller Begeisterung sind. Ich habe daher beschlossen, sofort so viele Vorlesungen (ich meine eine bestimmte Anzahl) in New-York als die letzten anzukündigen, als ich dort halten kann, ehe ich nach den versprochenen Orten reise, und daß wir die besten auf unserer Liste verzeichneten Orte mit den größesten Hallen auswählen. Dies wird einschließen, hier im Osten die zwei oder drei besten Neu-England-Städte; in Süden Baltimore und Washington; im Westen Cincinnati, Pittsburg, Chicago und St. Louis und nach dem Niagara zu: Cleveland und Buffalo. In Philadelphia haben wir uns schon für sechs Abende engagirt, und der obige Plan wird uns ziemlich leicht zweimal vor den Abschiedsvorlesungen hierher zurückbringen. Ich bin überzeugt, daß dies die beste Politik ist.« (Der Plan wurde später, wie man sehen wird, durch öffentliche Vorgänge und durch seinen eignen Gesundheitszustand etwas verändert, indem sowohl der Westen als ein Versprechen, nach Canada zu kommen, aufgegeben werden mußte, aber im übrigen wurde er durchgeführt.) »Ich lese hier morgen und am Dienstag. Alle Billette bis an's Ende der Serie, sogar für die noch nicht angekündigten Gegenstände, sind verkauft. Ich habe noch kein einziges Mal für einen geringeren Reinertrag per Abend (nach allen Abzügen) gelesen als 315 Pfd. St. Aber Du kannst Dich darauf verlassen, daß ich mich sehr hüten werde, nicht öfter zu lesen als viermal wöchentlich – nach der nächsten Woche, in der ich mich verpflichtet habe, fünfmal zu lesen. Die unvermeidliche Tendenz der Geschäftsführer, wenn diese großen Zuhörerschaften sie aufregen, ist, in den Worten eines alten Freundes von uns, ›den Künstler voranzutreiben‹, und vor einigen Abenden mußte ich fünf Vorlesungen von ihrer Liste ausstreichen.«

Ehe er seine Vorlesungen in New-York wieder aufnimmt, muß noch ein Vorfall in Boston erwähnt werden. Seit seinem ersten Besuche in Amerika war der Professor der Chemie in Cambridge, Dr. Webster, dem Dickens damals unter den übrigen Professoren der Universität begegnet war, wegen des in seinem Laboratorium begangenen Mordes eines Freundes, der ihm Geld geliehen hatte, und Theile von dessen Körper unter der Tischplatte des Auditoriums verborgen lagen, wo der Mörder nach wie vor seine Vorlesungen hielt, gehängt worden. »Da ich in Cambridge war«, schrieb Dickens an Lord Lytton, »kam es mir in den Sinn, die medicinische Schule zu besuchen und mir das Lokal genau zu betrachten, wo Professor Webster jenen außerordentlichen Mord vollbrachte und sich so viel Mühe gab, den Körper des Ermordeten los zu werden. Die Räume waren entsetzlich düster, abgeschlossen, kalt und ruhig; der identische Schmelzofen roch furchtbar (vermuthlich war eine anatomische Brühe darin) als wäre der Körper noch dort, Gefäße mit Stücken sauer gewordener Sterblichkeit standen umher, wie die vierzig Räuber in Ali Baba, nachdem sie zu Tode gekocht waren; und Leichen lagen da, bereit, in die Vorlesungen des folgenden Morgens hineingetragen zu werden. In dem Hause, wo ich später dinirte, hörte ich eine erstaunliche und furchtbare Geschichte von Einem, der weniger als ein Jahr vor dem Morde in einer Tischgesellschaft von zehn oder zwölf Personen bei Webster gewesen war. Das Dîner nahm einen ziemlich eigenthümlichen Anfang, weil einer der Gäste (das Opfer einer instinktiven Antipathie) mit angstschweißtriefendem Gesichte aufsprang und ausrief: ›O Himmel! es ist eine Katze im Zimmer!« Man fand die Katze und brachte sie hinaus, aber die Unterhaltung rückte nicht recht vom Flecke. Später beim Nachtisch ging es etwas besser, als Webster plötzlich dem Bedienten befahl, das Gas auszudrehen und eine Schale mit brennenden Mineralien zu bringen, die er vorbereitet hatte, damit die Gesellschaft sehen möge, wie gespensterhaft sie bei dem seltsamen Lichte aussehe. Alles dies geschah und Jeder blickte voll Entsetzen seinen Nachbar an, als man sah, wie Webster sich mit einem Strick um den Hals über die Bowle beugte und mit auf die Seite gelehntem Kopf und heraushängender Zunge das Ende des Strickes in die Höhe zog, um einen gehängten Menschen darzustellen.«

Dickens las in Boston am 23. und 24. December, und am Weihnachtstage reiste er zurück nach New-York, wo er am 26. lesen sollte. Die letzten vor seiner Abreise geschriebenen Worte sprachen von Krankheit. »Die matte Thätigkeit des Herzens, oder was es sonst sein mag, hat mich diese letzte Woche sehr belästigt. Am Montag Abend legte man mich nach der Vorlesung in sehr ohnmächtigem und schattenhaftem Zustande auf ein Bett, und am Dienstag stand ich erst Nachmittags auf.« Aber was in Wirklichkeit weniger ernst war, nahm nach außen die Form eines größeren Leidens an, und die Folgen der Erkältung, welche ihn, ohne daß seine englischen Freunde schon davon wußten, auf der Reise nach Boston befallen hatte, scheinen seine Umgebung am meisten beunruhigt zu haben. Die Mittheilung eines seiner amerikanischen Freunde, Mr. Fields, über den Zustand, in welchem Dickens damals Boston verließ und den Rest der von ihm übernommenen Arbeit durchführte, bildet ein trauriges, obschon angemessenes Vorspiel zu dem, was in dem folgenden Kapitel erzählt werden wird. »Er ging von Boston nach New-York mit einer durch unser rauhes Klima veranlaßten starken Erkältung. Er war ganz krank davon, kämpfte aber tapfer dagegen an. Seine Stimmung war wundervoll, und obgleich er allen Appetit verlor und nur sehr wenig Nahrung zu sich nehmen konnte, war er immer heiter und bereit für seine Arbeit, wenn der Abend herankam. Einige seiner literarischen Freunde in Boston hatten ein Festessen für ihn veranstaltet, aber er war an dem vorhergehenden Tage so krank, daß das Banquet aufgegeben werden mußte. Die Anspannung seiner Kraft und seiner Nerven war während der ganzen Zeit seines Aufenthalts in Amerika sehr groß, und nur ein Mann von eisernem Willen konnte durchführen, was er durchführte. Er sprach und schrieb ziemlich viel über Essen und Trinken, aber ich habe selten einen Menschen weniger essen und trinken sehen. Er verweilte gern mit seiner Phantasie bei dem Brauen einer Punschbowle, aber wenn der Punsch fertig war, trank er weniger davon als irgend einer der Anwesenden. Es war die Empfindung der Sache und nicht die Sache selbst, was seine Aufmerksamkeit fesselte. Ich sah ihn kaum ein einziges Mal während seines ganzes Aufenthalts eine tüchtige Mahlzeit machen. Sowohl in Parker's Hotel in Boston als in dem Westminster Hotel in New-York thaten die Besitzer Alles zu seiner Bequemlichkeit, und lockende Gerichte wurden ihm, um seinen kranken Appetit zu reizen, zu verschiedenen Stunden des Tages hinaufgeschickt, aber die Influenza hatte die Herrschaft über ihn gewonnen und hielt den starken Mann nieder, bis er Amerika verließ.«

Als er am Abend des Weihnachtstages in New-York ankam, fand er einen Brief von seiner Tochter vor. In seiner Antwort am Tage darauf sagte er: »Ich hatte ihn sehr nöthig, denn ich litt an einer schrecklichen Erkältung (englische Erkältungen sind nichts im Vergleich zu den amerikanischen) und fühlte mich sehr elend . . . Es ist ein schlechtes Land zum Reisen und Unwohlsein. Du bist einer von etwa hundert Leuten in einem geheizten Waggon, mit einem großen Ofen; alle kleinen Fenster sind geschlossen und das Stoßen und die Erschütterung sind unbeschreiblich, die Atmosphäre abscheulich, die gewöhnliche Bewegung beinahe unerträglich.« Am nächsten Tage machte er folgenden Zusatz zu dem Briefe. »Ich brachte es gestern Abend soweit, zu lesen, aber es erforderte meine ganze Kraft. Heute bin ich so unwohl, daß ich zu einem Arzte geschickt habe. Er ist eben hier gewesen und meint, ich würde vielleicht eine Zeit lang mit den Vorlesungen aufhören müssen.«

Sein stärkerer Wille überwog und er setzte die Vorlesungen ohne Unterbrechung fort. Am letzten Tage des Jahres kündigte er uns an, daß er, obgleich er sehr unwohl gewesen, in der Besserung begriffen sei, daß er in einigen Tagen den vierten Theil der Vorlesungen werde vollendet haben, und daß der erste Monat des neuen Jahres ihn durch Philadelphia und Baltimore, sowie durch noch zwei Abende in Boston hindurchbringen werde. Er bereitete seine englischen Freunde auch auf die in Kurzem zu erwartende überraschende Nachricht von vier Vorlesungen in einer Kirche vor, vor einer Zuhörerschaft von zweitausend in Kirchenstühlen untergebrachten Personen, während er selbst zum Vorschein kommen werde aus einer Sakristei.

 

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