Theodor Fontane
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Theodor Fontane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X Gitschin

Wir waren bei guter Zeit auf. Die Sonne schien durch die hohen Fenster, und die langen weißen Gardinen, ein Luxusartikel, dem wir seit mehreren Tagen nicht mehr begegnet waren, bauschten prächtig im Winde, als wir die Fenster öffneten, um die Frische des Morgens einzulassen. Wir eilten treppab in das große Gastzimmer. Erst jetzt sahen wir, daß wir wie in einem Schloß geschlafen hatten: hohe Zimmer, breite Treppen und lange Korridore. Wir nahmen Platz an einem Quertisch, der in der Nähe der Frontfenster hinlief und uns einen Blick auf den vorgelegenen Platz gestattete. Unser Freund, der Kellner (beiläufig der Typus eines fahrenden Guitarrenspielers), dessen Herz wir schon am Abend vorher gewonnen hatten, war schnell zur Hand und sein Diensteifer und seine gute Laune ließen uns auch heute wieder vergessen, daß wir diesem lang gekräuselten Haar und diesen selben wasserblauen Augen schon irgendwo einmal (und zwar nicht an den besten Orten) begegnet zu sein glaubten. An den anderen Tischen saßen Doktoren vom schweren Feldlazareth und nahmen ihr Frühstück ein; – das Gespräch drehte sich um die Opfer des Krieges und um die schwereren, die die Seuche täglich forderte. Wir sollten bald durch den Augenschein daran erinnert werden.

Zweck unseres Gitschiner Aufenthalts war, von hier aus zunächst das Städtchen Lomnitz (in dem sich noch Verwundete vom Leibregiment befanden), dann aber die Hauptpunkte des Gitschiner Schlachtfeldes zu besuchen. Während der Wagen herbeigeschafft wurde, machten wir einen kurzen Gang durch die Stadt, um wenigstens den altstädtischen Ring und die Kirche kennen zu lernen. Wir traten zunächst in die im Jesuiterstyle erbaute Pfarrkirche ein, auf deren Gängen und Bänken, in der Nacht vom 29. zum 30. Juni, die Verwundeten von Freund und Feind zu vielen Hunderten gekauert oder auf wenig Stroh gelegen hatten; jetzt saßen wieder Gitschiner Frauen in den Kirchstühlen und blickten andachtsvoll auf den Altar, der, durch die nächsten Seitenfenster erleuchtet, in hellem Glanze stand. Wenige Schritte führten uns von der Kirche auf den großen Markt, dessen freundlich-sonniger Anblick uns getrübt wurde, als, von der andern Seite des Platzes her, plötzlich in langer Reihe drei Särge erschienen, die mit allem Pomp der katholischen Kirche, mit voraufgetragenem Kreuz und unter dem Schwingen der Weihrauchfässer zu Grabe getragen wurden.

Wir waren froh, uns diesem Anblick entziehen zu können, und Platz nehmend auf den Sitzbänken unseres eben erschienenen Wagens, fuhren wir in nördlicher Richtung zur Stadt hinaus, um, in rascher Fahrt durch eine reizende Landschaft, das etwa zwei Meilen entfernte Lomnitz zu erreichen. Unser Weg führte uns zunächst an der Karthause von Gitschin vorbei, von der es im »Wallenstein« heißt:

In der Karthause, die er selbst gestiftet,
Zu GitschinSchiller skandirt hier Gitschin (mit dem Ton auf Git), und das ist richtig. Die zweisylbigen böhmischen Städtenamen auf »in« haben meist den Accent auf der ersten Sylbe. Bei dieser Gelegenheit sei auch darauf hingewiesen, daß es Sàdowa, Cùdowa, dagegen aber Benàtek heißt. Unser sprachlicher Instinkt hat sich inzwischen anders entschieden; wir sagen Bènatek und vor allem wir sagen Sadòwa. Es ist auch nicht nöthig, dagegen zu eifern. Unserem Ohre klingt Sadòwa nicht nur ungleich schöner, wir haben auch den Trost, daß in Böhmen selbst die czechischen Namen vielfach eine doppelte Aussprache erfahren, eine national-böhmische und eine davon abweichende deutsche. Uebrigens verfährt jedes fremde Volk darin nach seinem Bedürfniß. Die Engländer sagen Bèrlin, statt Berlìn, und wir sagen Dublìn, Bornhòlm, Stockhòlm, statt Dùblin, Bòrnholm, Stòckholm. ruht die Gräfin Wallenstein;
An ihrer Seite, die sein erstes Glück
Gegründet, wünscht er dankbar einst zu schlummern.
O lassen Sie ihn dort begraben sein.

In die Karthause einzutreten, würde uns unter andern Umständen als unerläßlich erschienen sein; aber der »große Friedländer«, der allerdings während einer Reihe von Jahren seine Ruhestätte hier fand, ruht nicht länger mehr an dieser Stelle. Die Karthause hat aufgehört, eine Karthause zu sein (sie dient als Landarmenhaus, wenn ich nicht irre) und die Herzogliche Gruft, wenn eine solche überhaupt noch existirt, ist leer geworden. Es heißt, daß noch während der Schwedenzeit, also muthmaßlich während der letzten Jahres des Dreißigjährigen Krieges (andere geben eine andere Zeit an) Kopf und Hand des Friedländers von den Schweden geraubt worden seien, was denn die Familie veranlaßt habe, die Ueberreste des Todten nach einer anderen Wallensteinschen Besitzung in Sicherheit zu bringen. Nach welcher Besitzung, habe ich trotz der verschiedensten Nachfragen nicht in Erfahrung bringen können. Von einigen wurde mir Münchengrätz, von anderen das im Egerschen gelegene Schloß Görkau, von noch anderen Schloß Rothenhaus genannt.Ich erfahre nachträglich, daß der Sarg Wallensteins allerdings, von der Gitschiner Karthause aus, zunächst nach der Münchengrätzer Kirche geschafft worden sei, dort auch, bis in neuere Zeit hinein, gestanden habe. Die Münchengrätzer Kirche, so sagte man mir, zeige bis diesen Tag noch die Wallensteinsche Gruft und an einem vorspringenden Pfeiler die entsprechende lateinische Inschrift. Erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit, sei der Sarg – der, wie es scheint, nicht Ruhe finden kann – nach einer anderen Waldsteinschen Besitzung gebracht worden. – So weit mein Gewährsmann. Ich selbst war eine Stunde lang auf dem Münchengrätzer Thurm und flüchtig auch in der Kirche, ohne daß der Küster mich auf die Gruft aufmerksam gemacht hätte.

Anderthalb Stunden später waren wir in Lomnitz. Wir richteten unsere Schritte sofort nach dem an einer Ecke des Ringes gelegenen Lazareth. Wer beschreibt die Freude der braven Grenadiere vom Leib-Regiment, als sie ihren Offizier eintreten sahen, unter dem sie, an dem Wasserlaufe der Czidlina hin, am Tage von Gitschin so tapfer gefochten hatten. Von den vielen Verwundeten dieses Regiments, die hier gelegen hatten, waren nur noch fünf zugegen; vier derselben hatten wir in den verschiedenen Zimmern des Lazareths bereits begrüßt. Wir suchten nun nach dem fünften. Bei diesem Suchen führte uns ein glücklicher Zufall in eins der ersten Zimmer zurück. Ein glücklicher Zufall, wenn nicht mehr. Schon während unserer ersten Anwesenheit in diesem mit acht Betten belegten Raume war es mir aufgefallen, daß sich, all die Zeit über, aus einer Ecke des Zimmers zwei Augen mit einem unendlich schmerzlichen Ausdruck auf uns gerichtet hatten. Jetzt (der herzutretende Arzt übernahm die Vermittelung) sollte uns klar werden, was dieser schmerzliche Blick bedeutet hatte. Der beinahe regungslos Daliegende, mit wachsfarbenem Gesicht und jenem verschleierten Augenausdruck, der wenig Hoffnung auf Genesung giebt, war auch ein Preuße, ein Brandenburger (vom 48sten), ein unmittelbarer Landsmann jener Grenadiere vom Leib-Regiment, und doch hatte er auf dem Punkt gestanden, nur weil er einem anderen Regiments-Verbande angehörte, uns ohne Gruß und ohne Trost, wie an einem Fremden, an sich vorbeigehen zu sehen. Welche bitteren Empfindungen mußten durch das Herz dieses Mannes gegangen sein, als er verlassen und vergessen dalag, während seine Landsleute eine Scene des Wiedersehens feierten. Nun aber wurde der bittere Kelch von ihm genommen und im Eifer, eine unverschuldete Kränkung auszugleichen, machten wir ihn zum Helden dieser Stunde. Freilich, nur das dankbare Lächeln eines Sterbenden war unser Lohn.

Ueber das Schlachtfeld von Gitschin, das wir auf unserer Fahrt nach Lomnitz zur Linken gehabt hatten, ging nun unser Weg zurück. Wir besuchten die einzelnen Dörfer, Czidlina, Brzka, Diletz, Brada, in denen die zwölf Bataillone der 5. Division einer doppelten Uebermacht gegenüber gestanden und erschöpft von Kampf und Junihitze, viele Stunden lang einen schweren Stand gehabt hatten. Von Zerstörung wenig zu bemerken. Lachend lag alles im Sonnenschein da, kaum daß hier und dort ein Streifen niedergetretenen Kornes oder die schwarzen Feuerstellen eines Lagers, auf die große Kriegswoche hindeuteten, die, wie eine mächtige, aber rasch verrinnende Welle auch über dies schöne Stück Land hinweggegangen war.

Nur wenige Worte über das Terrain von Gitschin und zwar ganz im Allgemeinen. Gitschin liegt am Ausgang eines Doppelpasses, weshalb hier auch am 29. Juni eine doppelte Schlacht geschlagen wurde. Die eine ließe sich das Gefecht von Nieder-Lochow, die andere das Gefecht von Brada nennen; auch kommen beide unter diesem Namen vor. Jene wurde von der dritten Division (Pommern), diese von der fünften Division (Brandenburger) gewonnen. Zu einem eigentlichen Zusammenwirken beider kam es nicht; beide Gefechte wurden selbstständig geführt und die eine wie die andere Division erfuhr erst am Abend des Tages, daß »hinter dem Berge« auch gefochten worden war. Nichtsdestoweniger kann kein Zweifel sein, daß man sich, wenn auch ohne Wissen davon, gegenseitig unterstützte. Jede der beiden Divisionen würde einen schwereren Stand gehabt haben, ja in ihren Anstrengungen vielleicht gescheitert sein, wenn nicht die Nebendivision, in dem einen Fall wie in dem andern, die Kraft des Feindes zersplittert hätte. Wie während des ganzen Krieges, waren es auch an dieser Stelle die Sachsen, die sich auf feindlicher Seite mit besonderer Bravour schlugen.

Um die Vorgänge dieses Tages und insonderheit die Getrenntheit und Selbstständigkeit zweier dicht neben einander stattfindenden Kämpfe zu begreifen, ist es nöthig, von dem Terrain von Gitschin (das wir bereits einen Doppelpaß nannten) ein einigermaßen klares Bild zu haben. Gitschin selbst liegt im Thale, aber, fast unmittelbar vor den Thoren desselben, erhebt sich ein Felsrücken, der in schräger Linie nach Nordwesten hin verläuft. Zu beiden Seiten dieses Felsenrückens läuft eine Landstraße, von denen die westliche die Sobotka-Münchengrätzer, die östliche die Turnauer Straße ist. In verhältnismäßiger Nähe von Gitschin, ziemlich an derselben Stelle, wo der die beiden Wege trennende Felsrücken nach Süden hin steil abfällt, erheben sich in der Flanke beider Straßen einzelne Hügel, so daß ein avancirender Feind, auf welcher Straße auch er gegen Gitschin vorrücken mag, in unmittelbarer Nähe dieser Stadt jedesmal durch ein Defilé hindurch muß, das auf der einen Seite von dem Felsrücken, auf der anderen Seite von jenen Hügelpartieen gebildet wird. So auch am 29. Juni. Rechts wie links hatten unsere Divisionen ein offenes, weit gespanntes, aber durch Artillerie beherrschtes Thor zu passiren und nicht eher war an Sieg zu denken, als bis diese dominirenden Höhen mit Sturm genommen waren. Diese Aufgabe des Felsenstürmens fiel allerdings mehr der brandenburgischen als der pommerschen Division zu, weshalb die Verluste jener mehr als doppelt so stark waren. Es war ein heißer Tag, nur unter Anspannung aller Kräfte gewonnen; selbst das letzte Reserve-Bataillon wurde herangezogen und ins Feuer geführt. Die Erzählung, daß der die Höhe von Brada erstürmende Truppentheil schließlich die Stiefel ausgezogen habe, um die Felsenwand bequemer erklettern zu können, gehört in die Reihe jener Sagen und Märchen, die unmittelbar nach jedem Gefecht beim Bivouakfeuer geboren zu werden pflegen. Der Ruhm dieser Barfuß-Attakke wurde einem Bataillon der 24er zugeschrieben, woraus sich am Besten die Zuverlässigkeit der Anekdote ergiebt. Die 24er (einer anderen Division angehörig) machten die Affaire von Gitschin gar nicht mit und es war vielmehr das 18. Regiment – schon von Düppel her durch seine Angriffs-Energie berühmt – das (mit oder ohne Stiefel) die Felsenhöhe von Brada nahm und dadurch den Tag entschied.

Um drei Uhr waren wir wieder in Gitschin, erfrischten uns an der Kühle unseres Zimmers und stiegen dann treppab in den Speisesalon. Mit der Bemerkung: »daß Gitschin zeigen möge, was es könne«, hatten wir uns von der in Küchendämpfen pythisch dastehenden Wirthin getrennt, nun war der Moment da, wo sichs zeigen sollte, ob sie ihrer Zusage und unserer Hoffnung gleichmäßig Wort gehalten habe. Die Vorbereitungen ließen sich gut an: das Tischzeug war sauber, der Kellner (unser schwarzlockiger Freund) glatt gebürstet und von strafferer Haltung, die Fenster offen und der Nachmittags-Sonnenschein draußen auf dem Platz. Mitunter lief ein Schatten über den sonnigen Platz hin und schwand wieder, wie wenn Pappeln im Winde schwanken; dann und wann klang hoch aus der Luft jener eigenthümliche Ton (halb Gekreisch, halb Gezwitscher), mit dem sich Schwalben im Vorüberfliegen begrüßen; dann wieder Alles still. Die Suppe rief uns endlich zu realeren Genüssen. Sie war vortrefflich. In kurzen Pausen folgten ein Salat, ein Fisch; der Oberungar lag voll auf der Zunge; – da fuhr wieder der lange Schatten über den Platz. Diesmal schwand er nicht, er schwankte hin und her, aber er blieb, und ehe wir noch Zeit hatten, nachzusinnen, zogen wieder, wie am Vormittag, mit Chorknaben und Weihrauchfaß und mit voraufgetragenem Kreuz, zwei Särge dicht an unserem Fenster vorüber. Eine Pause entstand. Als der Zug vorüber war, winkten wir den Kellner heran. »Wieviel Gänge sind noch?« Drei. »Lassen Sie wenigstens zwei ausfallen.« Stumm verzehrten wir unsere Mehlspeise; erst beim Cognac-Kaffee sahen wir uns wieder scharf an.

Eine halbe Stunde später waren wir auf dem Wege nach Horsitz.

 


 << zurück weiter >>