Theodor Fontane
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Theodor Fontane

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II Nach Prag

Die 24er, die in Dresden lagen, waren die speziellen Landsleute meines Reisegefährten; aus seinem eigenen Dorfe waren ein halbes Dutzend und darüber eingezogen. Er ging jetzt, sie aufzusuchen. Das gab Scenen, wie sie nur in Preußen vorkommen können: der Bauer- und Büdnersohn im Geplauder mit seinem Gutsherrn, respektvoll und herzlich zugleich, kein Knechtssinn und kein Dünkel, Vertrauen und Theilnahme in schönem Austausch. Wir konnten unseren Dresdener Aufenthalt nicht schöner beschließen.

Etwa zwei Uhr ging der Zug. Die Fahrt, das Elbthal hinauf, ist entzückend, und die vielgenannten Felspartieen, kommend und gehend, umtanzen fast den Reisenden, wie Bäume des Waldes. Angesichts des Königsteins mit seinem dichtbewaldeten Plateau wurden wir des Ausspruchs einiger Artillerie-Offiziere eingedenk, mit denen wir am Abend vorher auf der Brühlschen Terrasse gesessen und die Kühle des Abends durch eine an Zahl immer wachsende »Batterie« bekämpft hatten. Die Herren erzählten unter Lachen, daß es ernstlich beabsichtigt gewesen sei, den Königstein vom Lilienstein aus zu beschießen. » Pourquoi tant de bruit pour une omelette. Wir nehmen irgendwo Position, hoch oder niedrig, schießen das Waldplateau in Brand und räuchern die Besatzung aus ihrem Felsennest heraus.« Ich referire nur. Junge Artillerie-Offiziere haben leicht etwas Schwärmerisches und sehen den 24-Pfünder mit dem Auge einer ersten Liebe an.

In Bodenbach (an der Grenze) war Halt, eine Stunde oder mehr. 13er Landwehr füllte den Warte-Saal und vertrieb sich die Zeit mit Domino- und Karten-Spiel. So gut war es uns nicht beschieden. Wir schritten den Perron seiner ganzen Länge nach immer wieder auf und ab, tranken Bier und Kaffee verzweifelt durcheinander, umsonst, die Wartezeit wollte kein Ende nehmen. Der Wirth, in richtiger Schätzung preußischen Silbers, gab uns Unterricht in österreichischer Kreuzer-Rechnung und zu klarerer Darlegung der Exempel, wurde ein Thaler in Zehnkreuzer-Scheine umgewechselt. Diese letztern sah ich zum ersten Male; ich fand sie (der Wirth hatte mir unbeschmutzte und unzerrissene gegeben) gar nicht so übel und bat um mehr. Darauf mochte es abgesehen sein. Ich empfing nun eine ganze Hand voll kleiner, zusammengeklebter Zettelchen, die ich bemüht war, wie später auf der ganzen Reise, rasch wieder los zu werden. Dazu ist einem nun in Böhmen die andauerndste Gelegenheit gegeben. Zahlreicher als die Heiligen-Bilder stehen die Bettler am Wege und was die Bettler nicht erbitten, das giebt man den Kindern, die überall aus der Erde wachsen und dabei etwas Einschmeichelndes haben, freiwillig.

Endlich das Signal; wir fuhren in Böhmen hinein, die Obstbäume wurden immer zahlreicher, die Bestellung der Felder immer sorgloser. Bei Außig zweigt die Bahn nach Teplitz ab; nur ein einziger Fahrgast verließ die lange Wagenreihe, um bei den Tepel-Quellen Genesung zu suchen. Sein Umfang und sein Teint ließen die Kur allerdings als dringlich erscheinen. Das Gespräch drehte sich natürlich um Krieg, man sprach von Podoll und Podkost, von Sobotka und Gitschin, und während der Meinungsaustausch immer heftiger lärmte, dachte Niemand daran, daß wir inzwischen die Felder passirten, auf denen (1426) die große Hussitenschlacht geschlagen wurde, die vielen Tausend »Meißnern« das Leben kostete. Das war ein Tag, so wichtig, so folgenreich, fast wie der Königgrätzer Tag von heute. Und doch vergessen!

Wir traten alsbald in den Kreis eines anderen Schlachtfeldes ein – Lowositz. Lowositz ist Stationsort und die Bahnhofsleute deuteten uns an, daß es »wohl eine halbe Stunde dauern könne«. Dies war eine versteckte Aufforderung zu einer Abendmahlzeit. Die Lust dazu war auch da, aber die Ausführung hatte ihre Schwierigkeiten. Lowositz liegt innerhalb des Theresienstädter Festungsrayons und nur die Eisenbahn selbst, wie eine Etappenstraße durch fremdes Gebiet hindurch, ist von Seiten der Theresienstädter (österreichischen) Commandantur dem preußischen Verkehr freigegeben. Wir waren also in unseren Waggons und allenfalls auch auf dem Perron in völliger Sicherheit; das dreißig Schritt entfernte Gasthaus aber, aus dessen rothem Dach eben eine stille Rauchwolke aufstieg und unsere Phantasie angenehm anregte, lag bereits jenseits der »Demarkations-Linie« und war feindliches Gebiet, auf dem wir gefangen genommen werden konnten. Die Schaffner suchten uns über diesen Fall, der ihnen kaum als vage Möglichkeit erscheinen wollte, zu beruhigen und nicht ganz ohne Erfolg. Die bewaffnete Macht eines Neben-Coupés, entweder weil sie kühner empfand, oder weil sie hungriger war, gab diesen Stimmen nach und überschritt die Linie. Es waren ihrer drei, die es wagten, ein Garde-Ulan, ein 35er und ein Blücherscher Husar. Sie nahmen in einer großblätterigen Pfeifenkraut-Laube Platz, die einen Vorbau des Gasthauses bildete, und die beiden Lichter, die alsbald auf den weißgedeckten Tisch gestellt wurden, warfen ihren vollen Schein auf das Roth des Blücherschen Husaren. Die Speisen wurden aufgetragen und wir sahen von unseren hohen Coupé-Plätzen aus der Scene wie einem Schauspiel zu. Auch erwartungsvoll wie einem Schauspiel. Denn auf dem Perron, im Taktschritt auf und nieder, schritten zwei österreichische Offiziere in ihren knappen weißen Röcken, plauderten, wirbelten elegant den Dampf der Cigarre und sahen von Zeit zu Zeit nach der Gruppe in der Laube hinüber. Wir erwarteten in jedem Augenblick eine dramatische Verwicklung, vielleicht eine Katastrophe, aber ehe die halbe Stunde um war, schritten die feindlichen Parteien grüßend an einander vorüber und die Unsrigen sahen sich unbehindert, in bester Mahlzeitslaune ihre Plätze wieder einzunehmen. Der Zug setzte seine Reise fort.

Auch uns sollte inzwischen eine Souper-Stunde schlagen, freilich unter minder spannenden Verhältnissen. Es mochte zehn Uhr sein und wir waren bereits über Raudnitz hinaus, als unser bis dahin nur halbgefülltes Coupé weitere Einquartierung erhielt: drei junge Offiziere vom 14. Regiment, bereits in vergnüglichster Stimmung, gingen nach Prag, um ihre Laune daselbst noch zu verbessern. Zwei wurden bei ihrem Vornamen, der dritte nach seiner Charge und zwar in Nachahmung des österreichischen Accents »Herr Oper-Leutnant« (Premier) genannt. Bald waren wir in vertraulichstem Gespräch, wozu die absolute Dunkelheit, die ein gegenseitiges Erkennen unmöglich machte, das Ihrige beitragen mochte. Wir waren, behufs Legitimation, lediglich auf den Klang unserer Stimmen angewiesen, das heißt auf das größere oder geringere Vertrauen, das dieselben einzuflößen vermochten. Mittheilungen aus der Hauptstadt, Wallnersche Couplets und Anekdoten waren höchlichst willkommen, am willkommensten erwies sich aber alsbald die Mittheilung, daß wir die glücklich vorsorglichen Besitzer einer Niquet'schen Schlagwurst, ja sogar eines »Cap Constantia« derselben empfehlenswerthen Firma seien. In tiefstem Dunkel machte erst die Schlagwurst, dann der Capwein die Runde, und jeder Toast, jeder herzlichste Wunsch wurde von einem noch herzlicheren Zug begleitet.

Im Dunkeln hatte der Wein seinen Rundgang gemacht und im Dunkeln schliefen wir ein. Als wir an die Moldau kamen, weckte mich ein matter Lichtschimmer; die Sterne traten hier und dort aus dem Nebel und ein Dämmerschein lag auf den Feldern. Ich konnte mühsam den Charakter der Landschaft erkennen, die ein vielleicht fruchtbares aber kahles Plateau zu sein schien, ohne Baum und Strauch. Der Zug keuchte an dieser wenigstens scheinbaren Oede vorüber, endlich wuchsen Häuser auf, immer mehr, immer dichter, – wir traten sichtbarlich in den Umkreis einer Hauptstadt ein. Der Zug passirte den Fluß und wir glitten langsam in die hochgewölbte Bahnhofs-Halle. Mechanisch griff jeder nach seinem Gepäck; ein einziges Licht brannte. Mit einem schlaftrunkenen »Gute Nacht« trennten wir uns von unserer Reisegesellschaft, auch jetzt im Dunkeln und für den Augenblick wenigstens ohne jeglichen Wunsch, dieses Dunkel gelichtet zu sehen.

 


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