Theodor Fontane
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Theodor Fontane

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VII Podoll

Wir hatten in Turnau einen guten Schlaf gethan und waren erst zwischen zehn und elf auf dem Wege nach Podoll, nach demselben Dorf an der Iser, das wir schon am Abend vorher in Monddämmer passirt und, freilich mit geringem Erfolg, vom Wagen aus gemustert hatten. Wir kamen nun von der entgegengesetzten Seite und schritten in derselben Richtung und auf demselben Wege vor, auf dem unsre Truppen (die thüringische Division) am 26. Juni Abends zu ihrem ersten Rencontre vorgegangen waren. Es war eine reizende Fahrt; ein frischer Westwind kam uns entgegen, an dem hellblauen Himmel zog weißes Gewölk, dann und wann wie Silber aufleuchtend im Sonnenschein, dann wieder stumpf und glanzlos. Die Nachtruhe hatte uns erquickt und der Wind und die vorwirkende Nähe eines Feldes, auf dem »das erste Blut« geflossen, gaben unseren Herzen die rechte Spannung. Das Gefecht von Podoll hatte den Zweck, die Iser-Uebergänge zu gewinnen und dadurch die Verbindung zwischen der Ersten Armee (Prinz Friedrich Karl) und der Elbarmee (Herwarth v. Bittenfeld) wenn nicht herzustellen, so doch vorzubereiten. Dem 4. Armee-Corps, das am rechten Flügel der Ersten Armee marschirte, fiel diese Aufgabe zu. Die beiden Divisionen dieses Corps, Fransecky und Horn, leiteten zu diesem Behuf eine Anzahl von Gefechten ein; die ersten Gefechte hatte die Division Horn (Thüringer). Am Mittag des 26. Juni warf sie den Feind bei Turnau, am Abend desselben Tages hatte sie das ernstere Gefecht bei Podoll. Etwa um die Mittagsstunde hielten wir am Eingange dieses Dorfes. Wir stiegen aus und ließen unseren Wagen linksab auf ein großes Gehöft fahren, das mit seinen vorspringenden Giebeln und durch einander geschobenen Kofen und Stallgebäuden einen malerischen Anblick bot. Der Himmel war bedeckter geworden, einige Regentropfen fielen, dann und wann schüttelte der Wind in den Obstbäumen, die nach böhmischer Sitte die Häuser umstanden und mit ihren dichtbelaubten Kronen für die Mängel des manchmal eingesunkenen Strohdaches aufkamen. Podoll, wie die Mehrzahl aller Dörfer, die wir passirten, ist nur ein kleines Dorf. Es hat keine Bedeutung an und für sich, wohl aber eine strategische, weil hier die Brücken sind, die über die von Ost nach West fließende Iser führen. Podoll liegt am nördlichen Ufer des Flusses und zwar dergestalt, daß seine einzige Gasse nicht parallel dem Flußbett hinläuft, sondern rechtwinklig auf dasselbe stößt. Da, wo die Dorfgasse den Fluß erreicht, hört im Wesentlichen das Dorf auf und die Straße nimmt nunmehr den Charakter eines Dammes an, der quer das Iserbett durchschneidet. Der Damm selbst wieder ist an drei Stellen durchschnitten und überbrückt und zwar selbstverständlich immer dort, wo die in drei Wasserstreifen fließende Iser von der Seite her den Damm trifft. Etwa hundert Schritte hinter der dritten Brücke steht noch wieder ein einzelnes, und zwar massives Haus, wie ein vorgeschobener Posten des Dorfes. Auf der Strecke, die zwischen der ersten Brücke und diesem vorgeschobenen Hause liegt, hat das Gefecht stattgefunden, das sich in zwei Hälften gliedert, von denen erst die zweite den Erfolg brachte.

Nach dem unvollkommenen und zum Theil sehr widerspruchsvollen Material, das bis jetzt über dieses Gefecht vorliegt, war der Hergang etwa folgender.

Podoll war durch die Brigade Poschacher, die sogenannte »eiserne Brigade« (bestehend aus den Regimentern Martini und König von Preußen und aus dem 18. Jäger-Bataillon) besetzt; es war das dieselbe Brigade, die im schleswigschen Kriege den Königshügel gestürmt und durch Wegnahme dieser dominirenden Position zur Eroberung des Dannewerks sehr wesentlich beigetragen hatte. Diese sieben Bataillone sollten hier die Iser-Uebergänge halten und dadurch die erstrebte Vereinigung zwischen dem Centrum und dem rechten Flügel der feindlichen (preußischen) Armee verhindern.

Etwa neun Uhr Abends erschienen die ersten Abtheilungen unserer Avantgarde vor Podoll. Es war das Füsilier-Bataillon des 72. Regiments, und so traf es sich denn, daß das letzte Bataillon der Armee das erste im Feuer war. Zwei Compagnieen (die 10. und 11.) nahmen die Dorfgasse, und unterstützt von der 4. Compagnie (Hauptmann v. Michalowsky) des Magdeburgischen Jäger-Bataillons, drangen die Füsilire bis an die erste Brücke vor, während der Rest der Avantgarde (eine Jäger- und zwei Füsilier-Compagnieen) den Feind von rechts und links her zu umgehen trachteten. Diese Umgehung scheiterte indeß an der Unpassirbarkeit der Iser, so daß sich nunmehr ein Feuergefecht entspann, das, über das Flußbett hinweg, von hüben und drüben geführt wurde. Hauptmann v. Michalowsky fiel. Im Uebrigen waren die diesseitigen Verluste gering, da Häuser, Bäume und Brückengeländer eine vorzügliche Deckung gewährten und unsererseits kein ernster Versuch gemacht wurde, die drei Brücken mit stürmender Hand zu nehmen. Anders die Oesterreicher. Diese, von der Unzureichendheit unserer Kräfte sehr bald unterrichtet, gingen jetzt ihrerseits zum Angriff über. Eine Terrainsenkung hinter dem massiven Hause hatte ihren sieben Bataillonen, so lange diese den Angriff der Preußen abwarteten, eine völlig gesicherte Stellung gegeben, in demselben Augenblicke aber, in dem sie aus dieser schützenden Position heraustraten, geriethen sie unter die volle Wirkung des Zündnadelgewehrs. Wie ein Augenzeuge schreibt: »lange Reihen weißer Uniformen, vom Mondlicht beschienen, stiegen aus einer Senkung auf, und fast eben so rasch, wie die weiße Wand heraufgestiegen war, verschwand sie wieder.« Die Oesterreicher selbst gaben ihre Verluste während dieser ersten Hälfte des Gefechtes auf einhundertvierundfünfzig Todte und Verwundete an.

So mochte das Feuergefecht, resultatlos, länger als eine Stunde gestanden haben, als man österreichischerseits, es koste was es wolle, vorging, um den durch seine Waffe überlegenen Feind durch große numerische Ueberlegenheit aus dem Dorfe hinauszuwerfen. Diesem Entschluß – von dem Augenblick an, wo er ernstlich gefaßt war – war nicht zu widerstehen; die Unserigen wurden geworfen und zogen sich durch die Dorfgasse nordwärts zurück. Aber nicht auf lange. Unmittelbar vor dem Dorf stießen die sich zurückziehenden Compagnieen auf vier Bataillone ihres Gros, das General-Major v. Bose im Laufschritt heranführte. Das Gefecht von Podoll trat jetzt in seine zweite Hälfte ein. Das Dorf selbst wurde im ersten Anlauf wiedererobert und, die Verwirrung des sich zurückziehenden Feindes benutzend, die erste, zweite und endlich auch die dritte Iserbrücke von den Unsrigen mit stürmender Hand genommen. Hier aber traten sie in das Schußfeld des mehrgenannten massiven Hauses ein und, scharf beschossen, während die wieder in der Senkung stehenden Oesterreicher sich der Wirkung unseres eigenen Feuers entzogen, mußten die Unsrigen bis an die erste Iser-Brücke zurück. Um den Besitz dieser Brücken entspann sich nun der eigentliche Kampf; das Gefecht der Avantgarde war nur Vorspiel gewesen. Noch zweimal wurde der Feind, noch zweimal wurden die Unsrigen geworfen; beim dritten Vorstoß drangen die Füsiliere vom 31. und 71. Regiment in das massive Haus ein und entschieden durch Wegnahme dieses Stützpunktes das Gefecht. Der Feind hatte in dieser zweiten Hälfte des Gefechts einhundertvierundneunzig Todte und Verwundete verloren; fünfhundert waren gefangen. Unsererseits war der Oberst-Lieutenant v. Drygalski, Commandeur vom Füsilier-Bataillon des 31. Regiments, gefallen.

Das war das Gefecht bei Podoll. –

Wir standen nun an der ersten Brücke, von wo man das Gefechtsfeld hüben und drüben am Besten übersieht. Einzelne Brückenbalken waren angeschweelt und deuteten auf einen gescheiterten Versuch, die Brücke abzubrennen. Allerdings hatte Dorf Podoll den Charakter eines Brückenkopfs, und Brückenköpfe soll man halten; nichtsdestoweniger handelten die Oesterreicher klug, diesen Satz nicht auf's Strengste zu nehmen, da sie, von überlegenen Kräften angegriffen, (ein Fall, der zufällig nicht eintraf, aber doch eintreffen konnte), eine Flankirung und dadurch die Gefangennahme alles dessen, womit sie das Dorf besetzt hielten, kaum hätten vermeiden können. Dorf Podoll selbst schien nicht erheblich gelitten zu haben; mit Ausnahme eines zerschossenen Hauses links neben der Brücke, waren außer Kugelspuren hier und da nur wenige Zeichen des Kampfes zu entdecken. Es spricht dies (neben unsern geringen Verlusten bei der ersten Wegnahme des Dorfes) augenscheinlich dafür, daß österreichischerseits kein ernster Versuch gemacht wurde, das Dorf selbst zu halten, sondern daß man von Anfang an entschlossen war, nur die drei Brücken zu vertheidigen. Und das war auch wohl das Richtige.

Während wir diese Fragen lebhaft diskutirten, hatte sich uns ein eisgraues Männlein zugesellt, seine Mütze gelüpft und sich uns als der »Archivar von Schloß Swigan«Schloß Swigan, wie das in der Nähe gelegene Schloß Lankowetz (in der Richtung nach Münchengrätz hin), gehören dem Fürsten Rohan; der Fürst aber, wenn er überhaupt in Böhmen ist, residirt auf Schloß Sichrow (nördlich von Turnau), das nach Lage und Einrichtung zu den schönsten Schlössern des Landes gehört und als Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl, bei Beginn des Krieges viel genannt wurde. Die von Turnau nach Reichenberg führende Bahn führt daran vorüber und gestattet einen vollen Blick in die kostbaren Parkanlagen. Der Fürst – übrigens einer der wohlgelittensten unter den böhmischen Grand Seigneurs – ist nur Sportsman und sein Leben eine lange Reihe von Jagden im großen Styl. vorgestellt. Er begleitete diese seine Vorstellung mit einer Handbewegung nach rechts, wo wir, auf einem Höhenzuge, der das Iserthal begleitete, die Thürme des Schlosses aufsteigen sahn. »Das Haus dort unten ist meine« setzte er mit heiterer Ruhe hinzu und wies auf ein paar weiße Wände, die am Fuße des Hügels aus dem Laub eines Obstgartens zu uns herüber sahen.

Bald waren wir im eingehendsten Gespräch. Der »Herr Archivar«, ein hoher Siebziger, hatte, neben jugendlicher Rührigkeit, die Mittheilsamkeit des Alters und schien den eben beendeten Krieg weniger von einer national-politischen, als vielmehr von einer gewissen dramatischen Seite aus anzusehen. Er sprach über die Vorgänge, deren Zeuge er gewesen war, wie über ein Sensationsstück, das ihm Grauen eingeflößt habe, aber seine Theilnahme war rein ästhetischer Natur und Oesterreich und Preußen beschäftigten ihn etwa wie Bohemund Cajetan in der Braut von Messina. Zwei Chorführer, von denen immer der Recht hat, der zuletzt gesprochen.

Die Aussagen unseres Archivars (die sich übrigens ausschließlich auf die zweite Hälfte des Kampfes zu beziehen schienen) bestätigten, daß der Kampf ein Hin- und Herwogen gewesen und der Damm mit seinen drei Brücken zweimal genommen und zweimal wieder verloren worden sei, bis beim dritten Vorgehen die Wegnahme des massiven Hauses den Kampf zu Gunsten der Preußen entschieden habe. Den Tod des Oberstlieutenants von Drygalski, der an der Spitze seines Bataillons blieb, erzählte unser Alter von Schloß Swigan wie folgt: Der Oberstlieutenant, als er zum ersten Mal zur Attacke vorging, traf inmitten der Brücke auf einen Jäger-Korporal, der seinen eben tödtlich getroffenen Offizier mit beiden Armen aufgefangen hatte; mit seiner Linken hielt er gleichzeitig die Büchse festgeklemmt. »Gewehr weg«, rief ihm der Oberstlieutenant zu; der Korporal rührte sich nicht. »Gewehr weg«, zum zweiten Mal. In diesem Augenblick warf der Angerufene einen raschen Blick auf das Antlitz des Offiziers, und wahrnehmend, daß er nur noch eine Leiche in seinen Armen habe, ließ er den bis dahin sorglich Gehaltenen rasch zur Erde fallen, packte mit der Rechten nach seiner Büchse und stach den Obristlieutenant (der ihn ersichtlich hatte schonen wollen) mit dem Haubayonett nieder. So die Erzählung. Ob sie die Wahrheit trifft, stehe dahin, denn die sagenbildende Kraft ist noch immer groß und nirgends größer als auf den Schlachtfeldern.

Wir überschritten nun, unter Führung unseres Freundes, die drei Brücken. Ich fragte ihn wiederholentlich, ob der Kampf immer nur auf dieser einen Linie geführt worden sei, was er jedesmal bestätigte. Ich halte dies aber für unwahrscheinlich. Neben dem Straßendamm mit seinen drei Brücken, läuft (auf kürzeste Distance) ein Eisenbahndamm mit ebenfalls drei Brücken her, und es liegt auf der Hand, daß der, der den Eisenbahndamm hatte, dadurch daß er in Flanke und Rücken seines Gegners kam, binnen kürzester Frist auch die Hauptlinie beherrschen, das heißt also auch den Straßen-Damm haben mußte. Es scheint mir so gut wie gewiß, daß das Gefecht schließlich durch dies Vordringen in der Flanke (auf dem Eisenbahndamm) entschieden wurde. Nur dadurch erklären sich die fünfhundert Gefangenen. Ein bloßer Angriff in der Front hätte es dem Feinde (der noch dazu eine Elite-Truppe an dieser Stelle ins Feuer führte,) jederzeit leicht gemacht, seinen Rückzug ohne Gefangenen-Verlust zu bewerkstelligen.

Diese und ähnliche Gespräche hatten uns endlich bis an das »massive Haus« geführt; fast unmittelbar hinter demselben war die Terrain-Senkung, die den feindlichen Bataillonen, so lange sie nicht zum Sturme vorgingen, Schutz gegen unser Feuer gewährt hatte. Wir traten in das Haus ein, das erst am Tage vorher von seinen Bewohnern wieder bezogen worden war. Die Fenster waren zerschossen, alle Zimmer leer, nichts drin wie Fliegen und Kugelspuren. Nur in der Küche schien Leben. Wir öffneten; auch hier Niemand. Aber auf dem Herde flackerte ein Feuer; überkochendes Wasser fuhr zischend in die Flamme, während auf der Erde, in Kissen verpackt, ein Kind schlief. Neben dem Kinde ein Hund. Er richtete sich auf, schüttelte seine Ohren, gähnte und legte den Kopf wieder auf die ausgestreckten Pfoten. Er hatte uns angesehen, daß wir nicht als Feinde gekommen waren.

Leis schlossen wir wieder die Thür und nahmen Abschied von Podoll und seinem »massiven Haus«.

 


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