Theodor Fontane
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Theodor Fontane

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IV Prag

Wir zogen nun also in den »goldenen Engel«, wo wir am Abend zuvor abgewiesen worden waren, erhielten ein gutes Quartier und feierten unsere Ankunft dadurch, daß wir den Prozeß des Aus- und Anziehens noch einmal durchmachten, um wenigstens nach Möglichkeit Alles zu beseitigen, was vom »alten Ungeld« her noch an uns und um uns geblieben sein mochte. Dieser Prozeß war zum Theil rein symbolischer Natur; er hatte aber auch seine materielle Berechtigung, da wir uns in Ermangelung von Krügen und Karaffen, die schlechterdings nicht zu beschaffen waren, mit zwei Seideln Wasser hatten begnügen müssen.

In jener gehobenen Stimmung, wie sie bei dem Kulturmenschen aus dem Bewußtsein reichlichen Wasserverbrauches auftaucht, erschienen wir (es mochte inzwischen neun Uhr geworden sein) im Frühstücks-Salon. Ein Sherry mit Sodawasser – das ich als Vorläufer eines guten Morgenkaffees hiermit dringend empfehle – schwemmte den letzten Rest erlittener Unbill hinweg. Man war wieder man selbst. Selbst die Gegenwart einiger National-Böhmen, die in ihren schwarzen Pikeschen mit Stehkragen und zahllosen Knöpfen und Häkchen (statt der Knopflöcher) zu uns herübersahen, konnte uns in dieser wohligen Betrachtung nicht stören. Wir setzten uns an das breite, großscheibige Fenster und freuten uns des bunten Treibens, das in der Richtung nach der inneren Stadt zu, an uns vorüberwogte. Einzelnes Landvolk zeigte sich, das meiste aber, was kam und ging und durch die engen Gassen drängte, das war nicht czechisches Landvolk, das waren preußische Landsleute, Truppen von allen Armee-Corps und Regimentern, namentlich Garden. Vierzehntausend Mann (ich erwähnte dessen schon) waren eingerückt und eine gleiche Anzahl kündigte sich bereits durch ihre Quartiermacher an. Diese Quartiermacher, in Trupps zu acht und zehn Mann, erschienen auf requirirten Wagen, hielten vor unserm Hotel, meldeten sich oder nahmen einen Imbiß und fuhren weiter, die gefürchteten Zündnadelgewehre leicht in den linken Arm gelehnt.

Unter diesen Quartiermacher-Trupps war mir einer von besonderem Interesse. Die Mannschaften waren abgestiegen, nur zwei hielten Wache, während die Zügel nachlässig in den Händen eines zwölf- oder vierzehnjährigen Knaben lagen. Sein Kostüm war ziemlich abenteuerlich. Er trug eine graue Zwillich-Jacke, eine blaue österreichische Feldmütze und auf beiden Schultern die regelrechte Achselklappe unsres Garde-Grenadier-Regiments Kaiser Franz. Ich hielt den Jungen für einen Czechen, worin mich seine Stubs-Nase und die hohen Backenknochen bestärkten, und war einigermaßen überrascht, von den wachthabenden Soldaten zu erfahren, daß dies der in Kriegs-Korrespondenzen viel gefeierte Carl Lehmann sei, der sich, wie übrigens bekannt, beim Ausmarsch der Garden aus Berlin, dem 2. Bataillon des Kaiser Franz-Regiments angeschlossen und im Geleit desselben (schließlich auch durch die Achselklappen geehrt) die ganze Campagne mitgemacht hatte. Ein Zufall hatte es also gewollt, daß er just in das Gefolge, um nicht zu sagen, in die Reihen, des Garde-Bataillons eingetreten war, das zuerst ins Feuer kam und so ziemlich die schwersten Verluste erlitt. Oberst-Lieutenant von Gaudy blieb, alle Offiziere waren todt oder verwundet, aber – Carl Lehmann stand. Die Soldaten lobten seine Treue und seine Bravour. Immer im Kugelregen aktiv, schleppte er für die verdursteten Truppen Wasser herbei. Er scheute keine Gefahr. »An Arab of the Street«, wie der moderne englische Ausdruck lautet. Die Soldaten nennen ihn »Garibaldi«. Er soll in eine Militair-Erziehungsanstalt kommen und ausgebildet werden. Uebrigens habe ich nachträglich erfahren, daß solche enfants de troupe sich bei den verschiedensten Regimentern ausgebildet haben; man nannte mir unter andern das I. Garde-Regiment, die schwarzen Husaren und das Regiment Elisabeth. Doch mögen hier Verwechslungen vorliegen. (Carl Lehmann ist inzwischen, wie männiglich bekannt, am 21. September mit seinem Bataillon in Berlin eingerückt.)

Der Menschenstrom, wie schon angedeutet, ging großentheils nach einer Richtung der innern Stadt zu. Bald erfuhren wir den Grund: es war heute der Namenstag des Kaisers und auf dem »großen Ring« wurde dieser Festtag durch eine Bürgergarden-Parade gefeiert. Wir schlossen uns dem Strome an und landeten auf dem großen freien Platz, der zwischen dem alten Prager Rathhause und der noch älteren Teinkirche liegt. Wenige Schritte abwärts von der Teinkirche erhebt sich das Kinskysche Palais. Der Platz war mit Menschen überfüllt, inmitten dieser Menschenmasse aber stand die Bürgergarde, in Quarré formirt, die Front nach der Teinkirche hin geöffnet. Ein Fiacre, dessen Kutschersitz ich ohne langes Bedenken als Stehplatz engagirte, gab mir Gelegenheit, das interessante Schauspiel, dessen Augenzeuge ich nun wurde, mühlos zu überblicken. Schon die Bürgergarde selbst, von ausgezeichneter Haltung und sehr geschmackvoll uniformirt, gewährte einen schönen Anblick. Sie bestand aus drei Abtheilungen: den Grenadieren (Bärenmützen), Musketieren und Scharfschützen. Besonders die letzteren sahen vortrefflich aus; sie trugen die dunklen Federbüsche wie die Jäger-Bataillone der österreichischen Armee. In der Teinkirche wurde, während die Bürgergarde draußen in Parade stand, das Hochamt vom Kardinal-Erzbischof Fürsten Schwarzenberg celebrirt. Die Hauptmomente des Hochamts wurden von dem bewaffneten Bürgercorps in Ermangelung der Schußwaffen (die an das preußische Gouvernement hatten abgeliefert werden müssen) durch das Anstimmen der Volkshymne »Gott, erhalte Franz den Kaiser« bezeichnet. Dies machte sich sehr feierlich, viel feierlicher als bloße Gewehr-Salven vermocht hätten. Nach Beendigung des Hochamts trat der Kardinal-Erzbischof auf den Platz hinaus und ertheilte den Segen; dann erfolgte der Vorbeimarsch der Bürgergarde vor dem Gouverneur von Böhmen, General Vogel von Falckenstein. Nach dem Defiliren versammelten sich die Offiziere um den preußischen General der, wie ich später erfuhr, ihnen dankte, ihre Haltung lobte und in Anerkennung dieser Haltung ihnen die sofortige Zurückgabe ihrer Gewehre zusagte. In der That zogen die Bürgergarden noch am selben Tag in voller Ausrüstung auf Wache.

Das Volk verlief sich, wir unsererseits warfen noch einen Blick auf die umstehenden alten Gebäude, lugten in die Teinkirche hinein, darin noch die Weihrauchwolken zogen, und schickten uns dann zu einer mehrstündigen Fahrt an, um die Stadt als ein Gesammtbild auf uns wirken zu lassen. Durch breite und enge Gassen, die Kolowratstraße hinauf, den Roßmarkt hinunter, an alten Kirchen und neuen Statuen vorbei, passirten wir zuletzt den berühmten Brückenthurm, endlich die Nepomuck-Brücke selbst, um schließlich auf der Höhe des Königlichen Hradschin zu rasten und von diesem Königshorste aus auf die Moldau und das »hundertthürmige Prag« herniederzublicken.

Wer wollte leugnen, daß die Bilder, die sich auf solcher Fahrt dem Blicke darbieten, mit zu den schönsten zählen, die sich dem Auge überhaupt erschließen können, dennoch scheint mir der Ausdruck Göthe's gewagt, der Prag »den kostbarsten Stein in der Mauerkrone der Erde« nannte. Darin freilich hatte er Recht, daß er es in erster Reihe als eine Königliche Stadt bezeichnete. Das ist es in der That.Alle größeren Städte, deren Schlösser auf einem hohen, steil abfallenden Bergrücken liegen, haben diese »Königliche Lage«. Edinburg ist in diesem Sinne eine eben so Königliche Stadt wie Prag. Was aber jene großartige Gesammtwirkung angeht, die ihre Macht ebenso sehr aus der Architektur einer Stadt, als aus ihrer Lage hernimmt, so kann der Blick von der Moldau-Brücke aus nicht bestehen neben dem Blick von der London-Brücke aus, – ein Panorama, das vielleicht wirklich »den kostbarsten Stein in der Mauerkrone der Erde« umschließt. Aber manches andre ist es nicht. Dominirende Höhen, die mit Thürmen und Palästen besetzt, auf eine am Flußufer sich hinziehende, weit ausgedehnte Stadt herniederblicken, werden dieser immer mehr oder weniger einen vornehmen, einen Königlichen Charakter verleihen, aber um eben diese Stadt zu einem »kostbarsten Stein in der Mauerkrone der Erde« zu machen, dazu gehört noch ein Mehreres, dazu gehört, neben einer gewissen großartigen Mitgift von Natur aus, die Prag unbedingt hat, auch noch eine Fülle von Menschenwerk und an dieser menschlichen Zuthat ist hier ein empfindlicher Mangel. Die Art, wie die Stadt, als ein Ganzes genommen, sich anlehnt und aufbaut, mit andern Worten, die Wahl und architektonische Benutzung des Terrains (alles Dinge, die um tausend Jahre zurückliegen) sind mustergültig und bezeugen einen großen Sinn, aber das, was sich anlehnt, die hundert und tausend Einzelheiten, die die Stadt bilden, diese entbehren nicht nur vielfach der Schönheit, sondern – was wichtiger ist – lassen auch vielfach das spezifisch Malerische vermissen. Der Stolz Prags – und mit Recht – ist seine pittoreske Großartigkeit, aber ein glücklicheres Streben nach dem Schönen, ein feineres Auge, eine geschmackvollere Hand, würden, wenn nicht die Großartigkeit überhaupt, so doch speziell die pittoreske Großartigkeit der Stadt gesteigert haben. Nach dieser Seite hin fehlt viel. Es tritt dieser Mangel hervor, wenn man von dem Hradschin aus auf die Altstadt hernieder blickt, er wird aber noch fühlbarer, wenn man umgekehrt von der Altstadt zu dem Hradschin hinauf und hinüber sieht. Der Blick auf die Stadt hinunter läßt Schönheit der Architektur (beispielsweise der Kirchen) vermissen, verfügt indessen über großen malerischen Reiz; der Blick zu dem Hradschin hinauf, entbehrt, soweit die Architektur dabei in Betracht kommt, auch dieses Vorzugs. Die Burg, die sammt einer Anzahl von Palästen, die Hradschin-Höhe krönt, wirkt durch endlose, unprofilirte Fensterreihen nüchtern, langweilig, monoton, und auch der Ausbau des Landschaftlichen, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, ist nicht das, was er sein könnte. Es fehlt diesem berühmten Hradschin an Grün, an Farbe, an lebendiger Gliederung, und während er einzig dastehen, und in der That der »kostbarste Edelstein in der Mauerkrone der Erde« sein könnte, wenn die auf ihm begonnene, leider Bruchstücke gebliebene großartige gothische Architektur (der Dom) das ganze Hochplateau überdeckte, so ist er durch die charakterlosen Flachbauten, die jetzt seine Höhe beherrschen, um das Vollmaß, seiner Schönheit, um die Hälfte seines Ruhms gekommen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es eine Zeit gab (etwa zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts), wo Prag schöner war als jetzt, wo die Stadt selbst weniger die Spuren des Verfalls und der Hradschin weniger den Stempel des Kasernenhaften trug; aber diese Tage liegen weit zurück.

Noch ein Wort über die Kirchen. Ich deutete schon an, was ihnen fehlt. Die Stadt nennt sich das »hundertthürmige Prag« und es mag möglich sein, unter Heranziehung aller möglichen Spitzen und Spitzchen, diese hundert Thürme herauszurechnen. Aber eine hervorragend schöne Kirche (den unvollendet gebliebenen gothischen Dombau abgerechnet, der vielfach an den Kölner Dom erinnert) findet sich nicht. Die Teinkirche ist ein interessanter Bau, nicht ohne architektonische Bedeutung, aber immerhin interessanter durch seine Geschichte, als durch die bauliche Aufgabe, die er löst.

Die schönste Parthie der Stadt bleiben ihre Brückenthürme und ein Schrägblick durch den Altstädter Brückenthurm hindurch, dessen gothisches Bogenthor, nunmehr einen Rahmen bildend, das bunte Treiben des Flusses, die Statuen der Brücke und jenseits, wie Spiegelungen, wie verjüngte Abbilder des Thurmes, vor dem wir stehen, zwei weitere Brückenthürme zeigt, erschließt dem Auge ein Schönheitsbild, das ihm bleibt.

 


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