Theodor Fontane
Reisebriefe vom Kriegsschauplatz
Theodor Fontane

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VIII Münchengrätz

Ehe wir Podoll verließen, hatten wir noch die Gräber der Gefallenen zu besuchen. Wir fuhren später, auf den Schlachtfeldern von Gitschin und Königgrätz, an mächtigeren Gräbern, an zahlreicheren Kreuzen vorbei, aber wenig Stätten wecken ein gleiches Interesse, wie die, wo »die Ersten« ruhn. Das ist bei Podoll.

Die Begräbnißstätte befand sich neben dem großen Gehöft, wo wir unser Fuhrwerk zurückgelassen hatten. Unser Freund, der Archivar, übernahm auch auf diesem letzten Gange unsere Führung. Die Gräber ziehen sich an einem frischen Wiesengrund, zwischen diesem und der Landstraße hin. Von Obstbäumen umstellt, macht das Ganze den freundlichen Eindruck eines Gartens, die Gräber ebenso viele Beete. Es sind ihrer vier, groß und klein, alle sorglich gepflegt, die einen wie die andern mit Rasen dossirt und mit Weidenruthen korbartig umflochten. Die Ränder, da es an Blumen fehlen mochte, waren mit rothen Berberitzen umsteckt, was den Eindruck des Freundlichen steigerte. Jedes Grab hatte Kreuz und Inschrift. »Hier ruhen in Frieden vier preußische und österreichische Offiziere«; »hier ruhen in Frieden dreiundzwanzig preußische und einhundertzehn österreichische Helden, gefallen am 26. Juni in Podoll.« Für das Grab Drigalski's wurde eben der Denkstein gemeißelt. Er wird die Inschrift führen: »Im Sturm auf das Dorf Podoll starb den Heldentod für König und Vaterland an der Spitze seiner Füsiliere der Königlich preußische Oberst-Lieutenant Eugen von Drigalski, Commandeur des Füsilier-Bataillons 1. Thüringischen Infanterie-Regiments Nr. 31, in der Nacht des 26. Juni 1866. Die Kameraden seines Regiments.« – So lange das Auge unseres alten Archivars über dieser Stelle wacht, wird sie wohlgeborgen sein.

Wir brachen nun auf – es war Spät-Nachmittag geworden – um Münchengrätz vor spätem Abend zu erreichen. An der Nordseite der pittoresk geformten Musky-Berge hin, die in den Gefechten am 28. Juni eine Rolle gespielt hatten, ging unser Weg hin; der andere Tag sollte uns noch näher daran vorüberführen. Etwa halben Wegs durchschnitten wir die Eisenbahnlinie, die wir bis dahin immer unmittelbar zur Rechten gehabt hatten, und ziemlich gleichzeitig mit dem vollen Dunkel des Abends zogen wir in die Münchengrätzer Gassen ein. So viel sich bei der Dunkelheit des Abends erkennen ließ, war es kein Ort, dem man eine Zusammenkunft zwischen den Kaisern von Rußland und Oesterreich und dem Könige von Preußen, eine Zusammenkunft wie sie hier (1833) wirklich statt fand, angesehen hätte.

Wir fuhren auf den Ring. Die Scenen aus Prag schienen sich wiederholen zu wollen: »alles besetzt«. Endlich fanden wir ein Unterkommen in einer benachbarten Ausspannung; auch hier nur durch die Dazwischenkunft eines pommerschen Pionier-Sergeanten, der – mehr Pionier als Pommer – uns in verbindlichen Formen seine Schlafkammer zur Verfügung stellte. Wo er selber genächtigt hat, ist uns ein Geheimniß geblieben. Wir vermieden indiskrete Fragen. Selbst unsre Vermuthungen sind stumm.

Die Schlafkammer, ohne undankbar kritteln zu wollen, war indessen so vollständig nur sie selbst, daß es sich nicht empfahl, dieselbe anders als auf ihre eigentliche Bestimmung hin auszubeuten. An der einen Wand war der Kalk abgefallen, an der andern Seite hingen Rieger-Palaczki (etwa wie Waldeck-Jacobi) schief eingerahmt an der Wand. Ein Talglicht auf einer Bierflasche – ohnehin meine schwache Seite – war nicht angethan, durch die Zauber des Helldunkels die Mängel der Gesammt-Scenerie auszugleichen. So gingen wir in die Wirthsstube.

Hier – die Stube war überfüllt – herrschte ein wunderliches Treiben. Alles erschien uns wie verwandelt. Keine Spur von der scheuen Haltung, die uns bis dahin, so oft wir mit czechischem Volk verkehrt hatten, entgegen getreten war. Lautes Lachen, lautes Sprechen, dazu bekannte Anklänge im Dialekt, – wir horchten auf, und der erste Satz, den wir in aller Deutlichkeit vom nächsten Tisch her hörten, war: »nein, Wedemeyer, darin bist Du Irrländer! wenn Du in Erwägung ziehen willst (. . . erstens, zweitens, drittens), so wirst Du als Mensch und Berliner zujeben müssen, daß . . .« Der Rest verklang in dem allgemeinen Lärm. Auch hatten wir genug gehört. Wir befanden uns hier unter zwanzig, dreißig, Landsleuten, residenzliche Fuhrherren (dritten Ranges) und Droschkenkutscher, die, theils dienstlich ausgehoben, theils privatim angeworben, durch die große Kriegswoge hierher verschlagen waren. Münchengrätz, zur Zeit seiner Blüthe, hatte einen nach vielen hundert Wagen zählenden Fuhrpark gehabt, und was jetzt hier an den Nachbartischen saß und schrie und scharmutzirte und randalirte, das waren die Ueberreste jener kleinen Armee von Rosselenkern, die hier kommend und gehend, sicherlich weit über die Wünsche der Münchengrätzer hinaus, wochenlang in Garnison gelegen hatten.

Eine bedenkliche Einquartirung. Andern Tages erst gewannen wir einen vollen Einblick in dies Treiben. Einer dieser Kutscher (der uns nach Gitschin zu schaffen hatte) durch allerhand kleine Mittel vertraulich gemacht, begann, während wir an der entzückendsten Landschaft vorüberfuhren, uns die Fuhrpark-Mysterien von Münchengrätz zu erschließen. Die poesie- und sagenreiche Landschaft gewann vielleicht unter diesem Kontrast. Abgründe thaten sich auf; alles indeß mit breitem Behagen vorgetragen, mit einer Miene, die an der sittlichen Berechtigung dieser Dinge nicht den geringsten Zweifel ließ, gingen wir schließlich selber auf einen Ton ein, den bekämpfen zu wollen, nichts gefruchtet, wohl aber uns um den Einblick in dies seltsame Stück Volksleben gebracht hätte. Fuhrpark-Bälle waren gegeben, Lustspiele aufgeführt, Ballets (mit Schlußtableaux) in Scene gesetzt worden; ob unter lebhafter Betheiligung der Bevölkerung, ist uns ein Geheimniß geblieben. Die großstädtischen Toiletten, die Glitzeraugen und scharf geschnittenen Profile, die uns, was das Damenpersonal anging, schon am Abend vorher aufgefallen waren, deuteten wenigstens darauf hin, daß auch Lustspiel und namentlich Ballet überwiegend aus Berliner Mitteln bestritten worden waren. Die Unterbringung dieses Personals hatte nie Schwierigkeit gemacht; der Wagenpark selbst hatte dazu die ausreichendste Gelegenheit geboten. »Ein offener Himmel und fünf Decken« – wie unser Gewährsmann sich drastisch ausdrückte – »sind das eigentliche Himmelbett.«

All dies waren Mittheilungen, die uns erst der nächste Tag brachte; zunächst standen wir noch »inmitten der Ereignisse selbst«. Aber nicht lange mehr. Vielleicht zu früh für unsere Menschenkenntniß zogen wir uns, unter den Schutz von »Rieger und Palaczki«, in unsere Kammer zurück, müde genug, um auch unter erschwerenden Umständen eines festen Schlafes sicher zu sein. Und so geschah's.

Die Sonne weckte uns. Da wir indessen, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, nur en echelon aufstehen und unsere Toilette, beziehungsweise unseren Abmarsch bewerkstelligen konnten, so war es keineswegs früh, als wir im Gastzimmer uns wieder zusammenfanden. Namentlich der Dritte, – eine Erfahrung, die sich auf der ganzen Reise wiederholte, – war immer bedeutend im Hintertreffen. Dies war unvermeidlich. Die Ausstaffirung eines böhmischen Waschtisches (ein Napf und ein Seidel Wasser) gestattete in der Regel, daß bei einem äußersten Oekonomisiren mit Wasser zwei Personen einen kümmerlichen Reinigungsakt vornehmen konnten; aber der unglückliche Dritte, wie bestrebt auch seine Mitreisenden sein mochten, nach billigen Theilungsprinzipien zu verfahren, sah sich doch jedesmal vis-à-vis du rien. Er war immer in der Lage, erst neue Wasserzufuhr abwarten zu müssen. Dies hatte nun aber, mal für mal, die äußersten Schwierigkeiten, vielleicht weil dem ohnehin abgehetzten, mit seinen Traditionen keineswegs innerhalb der Aera der englischen Wasserwerke stehenden Dienstpersonal, eine Vorstellung von der Unerläßlichkeit gerade dieser Dinge am schwersten beizubringen war.

So erging es unserem »Troisième« überall; natürlich auch in Münchengrätz. Aber, kommt Zeit, kommt Rath. Wir waren endlich zusammen, tranken unser »Glas Kaffe«, und schickten uns an zum Gange in die Stadt.

Bald standen wir auf dem »Ring«. Es war der erste, den wir mußevoll betrachten konnten und die Bauart dieser slavischen Marktplätze, die ich in einem früheren Kapitel bereits in ihren allgemeinen Zügen beschrieben habe, interessirte mich lebhaft. Die in Front stehenden Giebel der Häuser, theils einfach zugeschrägt, theils ausgeschweift nach Art des Jesuiterstils, waren auf ihren Absätzen mit Spitzen, Kugeln oder Bildwerken geschmückt, während die Wandflächen, besonders über den Thür-Eingängen, allerhand primitive Fresken zeigten: Maria mit dem Kinde, Johannes mit dem Lamm, Erscheinung und Himmelfahrt. Ich sah später stattlichere Plätze derart, aber keinen, der so eigenthümlich gewesen wäre.

Ich versuchte nun, mit Karten und Zeitungsblättern in der Hand, mir eine Vorstellung von dem Gange des Gefechts am 28. Juni zu machen, allein vergeblich. Anfragen bei einzelnen deutsch-radebrechenden Czechen, führten mich vollständig in die Irre. Nach anderthalbstündigem Umherwandern entschieden wir uns vorläufig für Frühstück, die Lösung dunkler Fragen der historischen Entwicklung überlassend. Wir traten nun in das Gasthaus am Ring, bestellten Gullasch und Leitmeritzer Bier und suchten uns eine gute Ecke. Die guten Ecken sind allemal diejenigen, wo man erstens nicht im Zug sitzt, zweitens alles sieht und drittens nicht gesehen wird. Eine solche Ecke fanden wir hier. Dazu das bunteste Treiben. Immer neue Wagen fuhren vor, Offiziere von den umliegenden Regimentern stiegen ab; Erkennungs- und Begrüßungs-Scenen belebten das Bild. Es war das Treiben eines Markttages in's Soldatische übersetzt. Die Heiterkeit, der Lärm und – der Appetit waren dieselben.

Wir hatten nicht umsonst gehofft; beim Leitmeritzer Bier kamen uns allerhand gute Gedanken. Es war uns jetzt klar, daß wir den Kirchthurm besteigen müßten, um einen Ueberblick über das Gefechtsfeld und den Gang der Münchengrätzer Affaire zu haben. Und so brachen wir denn auf, der Kirche zu. Der czechische Küster, nachdem wir uns verständigt, hob die Luken aus, wir aber ritten auf den Balken und sahen hinein in das lachende Panorama. Nun war auf einmal alles übersichtlich geordnet. Dort, nach Nordwesten hin, lag »Kloster«, von wo Herwarth mit seinen Rheinländern heranrückte, dort die Batterie, die ihn beschoß, und dort, immer mehr an die Stadt und unseren Thurm heran, das Waldsteinsche Schloß, an dem vorbei (und dann in Schlängellinie durch Münchengrätz hindurch) die Avantgarde der Elb-Armee dem sich zurückziehenden Feinde in energischem Anlauf folgte. Und hier (wir hatten unsern Platz gewechselt), in entgegengesetzter Richtung, nach Osten und Südosten hin, ragten die pittoresken Muskyberge auf, schimmerte der Kirchthurm von Bossin und zog sich jene Bossiner Straße hin, auf die General Fransecky (mit Abtheilungen vom 27. Regiment) beinahe rechtwinklig vorstieß und den zu neuem Widerstand entschlossenen, gleichzeitig in der Front durch Herwarth gedrängten Feind, bis nach dem tiefer gelegenen, unserem Auge nicht mehr zugänglichen Fürstenbrück zurückwarf.

Ein Bild von dem Gange des Gefechts war gewonnen; klar trat selbst dem Laien entgegen, durch welchen Zug die Partie gewonnen war, aber etwas blieb uns versagt: einzelne Züge aus dem Kampfe selbst zu erfahren. In Podoll hatte man uns allerhand zu erzählen gewußt, hier fehlte unser Freund, der Archivar, hier hieß es einfach: »Die Preußen gingen von dorther vor und warfen die Unsrigen nach dorthin zurück. Vielleicht hatte der Kampf keine sich einprägenden Einzelmomente, vielleicht auch lag es daran, daß Niemand da war, um diesen Einzelmomenten zu folgen. Alles war zerstoben und verflogen; von den etwa viertausend Einwohnern waren nur fünfundsechzig in der Stadt verblieben.

Der Hammer neben uns begann eben zu schlagen. Es war gerade Mittag und wir hatten zwölf Schläge auszuhalten. Das Gespräch stockte, aber wir sahen nach dem Waldsteinschen Schloß hinüber, über dessen Dach ein Volk Tauben schwebte. Ein Bild tiefen Friedens. Unter diesem Dach hatte der Kongreß getagt, zu dem die Träger der »heiligen Allianz« sich vor dreiunddreißig Jahren zusammengefunden hatten. Was war noch übrig davon? Oesterreich todtwund; Rußland unversöhnt seit jener »Undanks-Neutralität«, die ihm eine Flotte und seine europäische Suprematie kostete; Preußen über das Gängelband Metternichs und über den Erniedrigungstag von Olmütz hinaus und – Herr in Deutschland.

 


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