Theodor Fontane
Mathilde Möhring
Theodor Fontane

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SIEBZEHNTES KAPITEL

Zu Thildens besondren Eigenschaften gehörte von Jugend auf die Gabe des Sichanpassens, des Sichhineinfindens in die jedesmal gegebene Lage. Wäre Hugo am Leben und im Amt geblieben und nach Ablauf (was nicht anzunehmen, aber doch auch nicht unmöglich) seiner Woldensteiner Amtszeit wegen bewiesener Tüchtigkeit zum Oberburgemeister einer Provinzialhauptstadt gewählt worden, so würde seine Frau, bei Besuchen des Oberpräsidenten, ja selbst bei Kaiserparaden, die Honneurs des Hauses mit ausreichender Geschicklichkeit und jedenfalls mit vollkommener Unbefangenheit gemacht haben; jetzt, wo sie sich nach einem kurzen Erfolg auf die Stufe zurückversetzt sah, von der sie ausgegangen war, fand sie sich auch darin zurecht und nahm ihr altes Leben ohne jede längre Betrachtung und jedenfalls ohne Klage darüber wieder auf. Die Sache lag so und so, folglich mußte so und so gehandelt werden. Nur nicht nutzlose Betrachtungen. Es handelte sich für sie keinen Augenblick darum, ihre Situation in irgendein Gegenteil zu verkehren, sondern nur darum, aus der Situation, wie sie nun mal war, das Beste zu machen, und dies tat sie voll Überlegung und auf ihre Weise, rücksichtsvoll und doch auch wieder entschieden. Soweit es möglich, war sie unerschöpflich in kleinen Guttaten und Aufmerksamkeiten und der Alten insoweit zu Willen, daß sie wie vordem das bloß alkovenhafte Schlafzimmer mit ihr teilte; den ganzen Tag aber [die] sich beständig über Spittel und ähnliche Dinge verbreitende Unterhaltung mit anzuhören oder Fragen zu beantworten, die sich fast immer auf ihr intimes Woldensteiner Leben bezogen, dazu war sie nicht mehr gewillt und hatte dementsprechend kategorisch erklärt, daß sie den Tag über allein sein müsse. »Das mit dem Vermieten müsse ein Ende haben.« Und so hatte sie sich »drüben« eingerichtet, und als die Alte sah, daß Thilde viel schrieb und sich unter Büchern und Karten vergrub und, wenn sie zu Tisch kam (die Runtschen mußte das Essen holen), oft rote Backen vom Lernen hatte, konnte sie sich [denken], was Thilde vorhatte.

Sie konnte sich's denken und war auch nicht eigentlich dagegen. Aber wenn die Alte auch nicht eigentlich dagegen war und sich recht gut entsann, daß der Seminardirektor schon damals, eh Möhring starb, immer von ihren schönen Gaben gesprochen hatte, so ging sie doch davon aus, daß »Lehrerin« nicht recht was sei, ja daß jedes andre Unterkommen, auch wenn von etwas fraglicher Beschaffenheit, immer noch vorzuziehen sei. Bei Tage wagte sie mit solchen Betrachtungen nicht recht hervorzutreten, aber wenn sie zu Bett gegangen waren und schon eine Weile ganz ruhig gelegen hatten erhob sich die Alte von ihrem Kissen und sagte, während an der Straße her durch die nach vorn hin offenstehende Tür ein schwacher Lichtschimmer sie traf: »Thilde, schläfst du schon?«

»Nein, Mutter. Aber beinah. Willst du noch was?«

»Nein, Thilde, wollen will ich nichts. Mir is bloß so furchtbar angst wegen deiner Lernerei. Du siehst so spack aus und hast solchen Glanz. Er hat ja doch die Schwindsucht gehabt. Und am Ende...«

»Nu?«

»Am Ende wär es doch möglich. Und wenn es so is, is doch frische Luft immer das beste...«

»Gewiß, frische Luft is immer gut. Aber wo soll ich sie hernehmen? Hier is sie nich gut, und wenn es nich wegen deines Rheumatismus wäre...«

»Nein, Thilde, so das Fenster offen, das geht nicht. Aber du könntest doch die frische Luft haben.«

»Ich? woher denn?«

»Ja, Thilde, du hast mir doch gleich in deinem ersten Brief geschrieben, ich meine in deinem ersten, als er tot war, da hast du mir geschrieben von wegen ›Hausdame‹ mit Gehalt. Und wenig kann es doch nich gewesen sein, weil er ja so reich is, wie du mir geschrieben hast. Und alt is er auch. Ja, da hättest du die schöne frische Luft gehabt und die gute Verpflegung, ich will nichts sagen, aber was wir heute hatten, hatte doch keine Kraft nich, und alt is er, und wenn du ihn ordentlich gepflegt hättest, und das hättest du gewiß, denn du hast ja Mitleid mit jedem und mit mir auch, denn du bist gut, Thilde, ja, Thilde, dann hätten wir vielleicht was. Einer, der so reich is, kann doch nich so mir nichts, dir nichts sterben, ohne was zu hinterlassen. Und vielleicht daß er noch ganz zuletzt ... War er denn katholsch?«

»Natürlich war er katholsch.«

»Na, denn ging es nicht.«

»Ach, deshalb wär es schon gegangen. Katholsch is nich schlimm. Aber was denkst du denn eigentlich? Ich will von Woldenstein nicht reden. Aber hier? Was würden hier die Leute gesagt haben. ›Die hat es eilig.‹ Und die Petermann der alte Giftzahn, die hätte gesagt: ›Es wird wohl eine schöne Geschichte gewesen sein.‹«

»Ach, Thilde, dessentwegen muß man sein Glück nich fortstoßen. Die Leute sagen immer so was. Aber wenn man was hat, dann is es gleich. Und bloß wenn man nichts hat...«

»Ja, Mutter. Nu wollen wir aber schlafen.«

 

Der Wunsch der Alten ging ganz entschieden dahin, daß sich Thilde wieder verheiraten sollte. Hugo war ein sehr hübscher Mann gewesen und aus einem sehr guten Hause. Und wenn sie damals, wo sie bloß ein armes Mädchen war, den Hugo gekriegt hatte, so konnte sie jetzt jeden heiraten, denn sie hatte ja nun einen Titel, und wenn sie mitunter ausging und war eine junge Witwe, und die Trauer stand ihr gut, und wenn sie zum Schulrat ging mit dem geteilten langen Schleier, sahen ihr die Leute nach. Und die Alte war nur unglücklich, daß sie gesagt hatte, »die Haubenschnebbe, das is zuviel. So furchtbar trauern darf ich nicht, das is anstößig.«

Ja, wieder heiraten sollte Thilde. Als die Alte aber merkte, daß Thilde dies ganz entschieden ablehnte und wirklich nur Lehrerin werden wollte, kam sie auf einen andren Plan, der geraume Zeit nach jener Unterhaltung über den alten Grafen und das mutmaßlich verscherzte Glück, auch wieder nächtlicherweise, geführt wurde. Diesmal nicht in dem sauerstoffarmen Alkoven, sondern noch in der Vorderstube, die Alte steif aufrecht auf dem Sofa, Thilde zurückgelehnt auf der Chaiselongue.

»Na, Thilde, du warst ja heute wieder da. Wann glaubst du denn, daß es soweit is?«

»Du meinst mit dem Examen und mit der Stelle. Und meinst, wann ich das erste Gehalt kriege?«

»Ja, Kind, das mein ich. Du willst immer davon nich hören. Aber es is doch was Sichres.«

»Ach, sicher is das andre auch.«

»Meinst du? Na, ich will es dir wünschen. Aber wenn es auch noch so sicher ist, das mit der Schule, das is doch nu die Hauptsache. Das hast du selber immer gesagt. Und da hab ich dich nu schon lange fragen wollen, ob du nich das mit der Witwe fallenlassen und deinen Mädchennamen wieder aufnehmen willst. Es werden ja so viele mit andre Namen getauft, und bei dir is es nich mal so, da kommt das Alte bloß wieder obenauf.«

Thilde schüttelte den Kopf, ersichtlich in einiger Verstimmung. Aber die Alte, die sich, solange sie den Wiederverheiratungsplan hatte, von »Witwe« viel versprochen hatte, wollte bei veränderter Sachlage mit ihrem neuen Plane nicht nachlassen und fuhr fort: »Ich denke mir, Thilde, du mußt es nu lieber so nehmen, als ob es ... ja, wie heißt es doch, wenn was ganz kurze Zeit dauert und dann wieder vorbei ist...«

»Ich weiß schon, was du meinst...«

»Also so nehmen, Thilde, wie wenn es gar nicht gewesen wäre. Daß dir als Witwe was zugute getan wird, kann ich mir nich denken, und Fräulein is doch das Gewöhnliche...«

Thilde richtete sich auf, nahm ein noch von Woldenstein mitgebrachtes Luftkissen in den Rücken und sagte: »Ja, Mutter, was denkst du dir eigentlich dabei. Das is doch wie eine Defraudation, wie eine Unterschlagung, wie Lug und Trug.«

»Gott, Kind, rede doch nicht so was.«

»Ja, Mutter, das ist Ableugnung des Tatsächlichen und straffällig.«

»Gott, Gott.«

»Ich habe dir wohl öfters gesagt, wenn du so beständig anpurrtest und alles wissen wolltest, was auch nicht richtig war und immer nur davon kam, daß du gegen den armen Hugo was hattest - nun, da hab ich dir wohl mal gesagt, daß es nicht so was Besondres gewesen sei, was ich vielleicht nicht hätte sagen [sollen], denn alles, was man so sagt, wird doch bloß mißverstanden. Und nun bist du geradeso wie die andern Menschen. Aber es is alles falsch, was du da denkst, und ich muß dir sagen, ich glaube beinah, daß er lieber nicht hätte heiraten sollen. Er sah so stark aus mit seinem Vollbart, aber er war nur schwach auf der Brust, und ich bin ganz sicher, es hat ihm geschadet. Und nun soll es gar nichts gewesen sein. I, das wäre ja doch schändlich und undankbar, wenn ich ihm so was in seinem Grabe nachsagen wollte. Fräulein Möhring! Was denkst du dir nur? Ich bin kein Fräulein und habe meinen Stolz als Frau und Witwe, wenn ich auch kein Pfand seiner Liebe unterm Herzen trage.«

»Gott, Thilde, sage doch nich so was.«

»Ja, so sagt man, Mutter; das ist gerade das richtige Wort. Und es ist bloß ein Zufall, daß es so ist, wie es ist...«

»Meinst du?«

»Freilich meine ich. Und mitunter denke ich, es wäre doch hübsch und auch besonders für dich, wenn du ihn einbuschen könntest. Freilich, Rechnungsrats schlafen grade unter uns, und die würden wohl raufschicken und sagen, wir sollten nicht so viel hin und her wiegen, denn die denken, drei Treppen hoch ist so gut wie gar nichts.«

»So is es, Thilde. Arme Leute...«

»... müssen sich alles versagen.«

»... Un sollen nich mal buschen. Ach, die Menschheit is zu schlecht, und ich erleb es auch nich mehr.«

 

Das war kurz vor dem Examen, das Thilde glänzend bestand, viel glänzender als Hugo damals das seine. Noch an demselben Tage sagte man ihr, daß eine Stelle für sie frei sei; man freue sich, ihr dieselbe geben zu können. Am 1. Oktober trat sie ein, Berlin N, zwischen Moabit und Tegel. Sie ging mutig ans Werk, hatte frischere Farben als früher und war gekleidet wie an dem Tage, wo sie von Woldenstein wieder in Berlin eintraf. Nur ohne Krimstecher. Das seitens der Schuldeputation in sie gesetzte Vertraun hat sie gerechtfertigt.

Hinaus fährt sie jeden Morgen mit der Pferdebahn, den Weg zurück macht sie zu Fuß und kauft immer was ein für die Mutter, einen Kranzkuchen oder einen Geraniumtopf oder eine Tüte mit Prünellen. Oft auch am Oranienburger Tor eine Hasenleber, weil sie weiß, daß Hasenleber das Lieblingsgericht der Alten [ist]. Und die Alte sagt dann: »Gott, Thilde wenn ich dich nicht hätte.«

»Laß doch, Mutter, wir haben es ja.«

»Ja, Thilde, es is schon wahr. Aber wenn es man bleibt.«

»Es wird schon.«

Von Hugo Großmann wird selten gesprochen, seine Photographie hängt aber mit einer schwarzen Schleife über der Chaiselongue, und zweimal im Jahre kriegt er nach Woldenstein hin einen Kranz. Silberstein legt ihn nieder und schreibt jedesmal ein paar freundliche Zeilen zurück. Rebecca hat sich verheiratet.


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