Theodor Fontane
Mathilde Möhring
Theodor Fontane

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DREIZEHNTES KAPITEL

In dieser Weise gingen die Unterhaltungen, die Thilde mit Hugo führte, wenn dieser vom Rathaus in seine Wohnung zurückkehrte. Gegen den Herbst hin ward auch die Ampel jeden Abend herabgelassen und ein Unschlitt-Licht hineingesetzt, was so wunderbar leuchtete, daß niemand vorüberging, der nicht einen Blick hinein getan hätte. »Die Berliner haben doch einen Schick für so was.« Rebecca Silberstein drang in den Vater, auch dergleichen anzuschaffen. Er war aber dagegen. »Rebecca, wenn er kommt (ich sage nicht wer), dann sollst du haben die Ampel, und nicht Rosa sollst du haben, du sollst sie haben in Rubin und sollst haben, wenn du schläfst, einen himmlischen Glanz.«

Rebecca war unzufrieden über dies Hinausschieben, aber sie war beinah die einzig Unzufriedne in der Stadt, alle andren freuten sich über ihr neues Stadtoberhaupt, und Silberstein, der viel las und immer sehr gebildet sprach, sagte: »Er hat die Iniative. Das Initative hat jeder, aber die Iniative, das ist es, was den höhren Menschen von dem niedren unterscheidet.«

Isenthal, der immer widersprach, widersprach auch in diesem Fall. Aber Silberstein ereiferte sich heftig und sagte: »Sage nichts, Isenthal, oder du tust ein Unrecht und bringst es auf deinen Kopf. Ist er nicht wie Nathan? Ist er nicht der Mann, der die drei Ringe hat? Ist er nicht gerecht und sieht doch aus wie ein Apostel? Und seine Frau Gemahlin, eine sehr gebildete Frau, hat gesprochen von der Dreieinigkeit, und der Papst in Rom und Luther und Moses, die müßten aufgehn in einem. Und dies sei Preußen. Und sie sei gesegnet wegen der Einheit Das hat sie gesagt, und ich sage dir: Moses bleibt, Moses hat die Priorität«

Alles ging gut. Nur der Landrat verhielt sich kühl, und es war ganz ersichtlich, daß er weder von der »Iniative«, die sein eignes Licht in den Schatten stellte, sonderlich erbaut war noch von Hugos Nathanschaft und seiner Gleichberechtigung der drei Konfessionen. Es kamen Begegnungen vor, in denen Hugo »geschnitten« wurde, besonders auch von der Frau Landrätin, die Tänzerin erst in Agram und dann in Wien gewesen war und sich die Festigung des christlich Germanischen zur Lebensaufgabe gestellt hatte.

Hugo war mehr als einmal in bittre Verlegenheit geraten und hatte sich auf seinen Spaziergängen im Garten, die bis in den Spätherbst hinein fortgesetzt wurden, mehr als einmal gegen Thilde darüber ausgesprochen.

»Du verstehst es nicht«, sagte Thilde und nahm eine Beurré grise vom Baum. »Sieh, Hugo, die Beurré grise ist noch hart, und du mußt sie vier Wochen auf Stroh legen, eh sie schmeckt. Aber noch eh die vier Wochen um sind, hab ich dir den Landrat weich gemacht. Er ist ein sehr guter Herr und eigentlich liebenswürdig von Natur, und das müßte nicht mit rechten Dingen zugehn, wenn der nicht zu bekehren wäre. Wer eine Tänzerin heiratet, hat immer ein weiches Herz.«

Hugo seufzte, denn er litt unter der Gegnerschaft und sah kein Ende davon. Aber er hatte Thilden unterschätzt, und die vier Wochen waren noch nicht um und die Birne noch nicht präsentiert, als Hugo, Ende November, von einer Kreistagssitzung heimkam und von der Liebenswürdigkeit des Landrats nicht genug erzählen konnte.

Thilde sagte kein Wort, und Hugo sah erst einigermaßen klar in der Sache, als er am selben Abend Silberstein in der Ressource traf.

»Haben Sie schon gelesen, Herr Großmann?« sagte er zwinkernd, und als Hugo verneinte, gab er ihm die vorletzte Nummer der Königsberger Hartungschen ZeitungKönigsberger Hartungsche Zeitung: eine der ältesten deutschen Zeitungen. 1751 kam das Blatt in den Besitz des Königsberger Verlegers und Druckers Johann Heinrich Hartung (1699-1756)., die in Woldenstein am meisten gelesen wurde, und sagte: »Sehr gut geschrieben; ich möchte sagen fein. Aber es ist die Wahrheit. Er ist ein feiner Herr, der Herr Landrat.« Und dabei ließ er Hugo mit dem Zeitungsblatte allein.

Hugo schüttelte den Kopf und setzte sich in einen Stuhl neben dem Schenktisch, auf dem sechs, acht Weingläser mit Apfelsinencréme, Baumtorte und kleine Korianderkuchen standen. Er selbst hatte sich schon vorher einen Curacao geben lassen, und während er daran nippte, las er die blau angestrichne Stelle:

»Woldenstein, 14. September. In unsrem Kreise rührt man sich bereits für die Wahlen, ohne daß eine besonders pressante Benötigung dafür vorläge. Denn die Wahl unsres Landrats v. Schmuckern darf wohl als gesichert angesehn werden, da, soviel wir bisher erfahren konnten, seine politischen Gegner auf Aufstellung eines Gegnkandidaten verzichtet haben. Sowohl die polnisch-katholische wie die fortschrittliche Partei vereinigen sich in Würdigung der hervorragenden Charakter- und Verwaltungseigenschaften des Landrats v. S. [und halten es für ihre Pflicht], selbst auf Kosten ihrer sonstigen politischen Überzeugungen, ihrem Vertrauen gegen ihn Ausdruck zu geben. Es läßt sich hier von einem Siege der Persönlichkeit sprechen, der um so glänzender ausfällt, als das landrätliche Hauswesen eine Anziehung auf das Polentum äußert. Die feine Sitte, die dem Polentum soviel bedeutet, hat in diesem Hauswesen ihre Stätte. Diese Vorzüge sieht sich auch der Fortschritt, trotz gesellschaftlichen Draußenstehns, in der angenehmen Lage vollauf würdigen zu können, weil der vorherrschende Ton nicht nur ein Ton der Vornehmheit, sondern beinah mehr noch schönste Humanität ist. Frau v. Schm. hat einen Krippenverein [ge]gründet, zu dem auch die dritte Konfession beigesteuert hat, und die Tätigkeit dieses Vereins wird am Weihnachtsabend Freude in die Hütten der Armut tragen. Über alle großen Fragen hinaus bedarf unser Kreis vor allen Dingen einer Sekundärbahn, um endlich bequeme Verbindung mit der Weichsel zu haben, eine Sache, darin alle Parteien einig sind. Und diese Bahn uns zu sichern, ist Landrat v. Schm. geeigneter als jeder andre, da seine Beziehungen zum Hofe bekannt sind. Adel, wenn er die Zeit begreift und auf Exklusivität verzichtet, ist immer die beste Lokalvertretung.«

Hugo legte das Blatt aus der Hand und nahm einen Korianderkuchen. »Also daher. Er hält mich für den Verfasser. Natürlich, [da] in Woldenstein nur drei Menschen in Betracht kommen können: Silberstein, der katholische Lehrer und ich, und da's Silberstein und der Lehrer aus innern Gründen nicht gut sein können, so bin ich es...« Er erhob sich und sah in den Saal hinein, um noch an Silberstein eine Frage zu richten. Aber der war fort, und so brach er auch auf, um auf seine Wohnung zuzugehn. Unterwegs fiel ihm ein: Sollte vielleicht...? Aber nein, das war nicht möglich, dazu war es alles zu gewandt, zu routiniert. Und noch damit beschäftigt, trat er in sein Zimmer, wo Thilde gerade den roten Papierschleier über die Lampenglocke warf. Auf demselben Sofatisch lag auch ein Zeitungsblatt.

»Guten Abend, Thilde. Nun, was gibt es?«

»Das mußt du wissen; du warst ja aus.«

»Ja, ich war in der Ressource, nur eine Viertelstunde. Der Landrat wie ein Ohrwurm. Und dann kam Silberstein und gab mir die Hartungsche Zeitung. Ein Artikel drin aus Woldenstein.«

»Ah, das is gut; ich dachte schon, er wär unter den Tisch gefallen.«

»Aber Thilde, dann ist es am Ende doch so, dann hast du den Artikel eingeschickt?«

Thilde lachte. »Ja, das mit dem Landrat, das mußte anders werden, das ging nich so weiter.«

»Also wirklich - du hast ihn geschrieben?«

»Nein, geschrieben nicht eigentlich.«

»Aber wer denn?«

»Ein Unbekannter, dem ich nun zu Danke verpflichtet bin. Als wir damals das Gespräch hatten, da sah ich jeden Tag, wenn die Vossischedie Vossische: die Vossische Zeitung. 1751 vom Verleger Christian Friedrich Voß (1722-1795) erworben. kam, in die Wahlangelegenheiten hinein, und es sind nu wohl schon acht Tage, da fand ich das alles in einer kl[einen] Korrespondenz aus Myslowitz. Und danach hab ich es zurechtgemacht. Wenn man erst das Gestell hat, ist es ganz leicht, eine Puppe zu machen.«

Er lächelte gutmütig vor sich hin, war aber etwas verlegen.

»Thilde, du solltest doch lieber so was nich tun.«

»Ich dachte, du würdest mir danken, daß ich das beglichen und deine Stellung angenehmer gemacht habe.«

»Ja, du kannst aber mal damit scheitern, es kann auch mal schiefgehn.«

»Gewiß. Alles kann mal schiefgehn, und die sich dadurch einschüchtern lassen, die sitzen still und tun gar nichts. Schiefgehn; ich würde warten, bis es soweit ist. Bis dahin aber würde ich mich freun, wenn einer für mich sorgt. Silberstein, der so schrecklich gebildet ist, spricht immer von deiner Iniative.«

»Ja. Und es ist mir mitunter sehr fatal, wenigstens wenn du dabei bist. Aber ich bitte dich, habe nicht zuviel.«


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