Theodor Fontane
Mathilde Möhring
Theodor Fontane

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VIERTES KAPITEL

Um sieben war Hugo Großmann zurück. Er traf Thilde im Entree. »War wer da, Fräulein?«

»Ja, ein Herr. Er kam um die fünfte Stunde. Und ich sagte ihm, daß Sie um acht wieder dasein wollten. Da wollt er wiederkommen«

»Gut. Und hat er nicht seinen Namen gesagt?«

»Ja doch. Von Rybinski, glaub ich.«

»Ah, Rybinski. Nun, das ist gut.«

Und acht war kaum vorüber, so klingelte es auch, und Rybinski war wieder da und wurde hineingeführt.

»Guten Tag, Großmann.«

»Tag, Rybinski. Bedaure, daß du mich verfehltest. Aber nimm Platz. Nachmittags bin ich immer unterwegs.«

»Weiß«, sagte Rybinski und schob einen Stuhl an das Sofa.

»Käpernick!Fritz Käpernick: gest. 1887, hatte durch seine Wett- und Dauerläufe in den achtziger Jahren Aufsehen erregt. Wird denn diese Dauerläuferei nicht mal ein Ende nehmen? Paßt doch eigentlich nicht zu dir. Du hast entschieden mehr vom Siebenschläfer als vom Landbriefträger. Also warum pendelst du zwischen Grunewald und Wilmersdorf immer hin und her? Oder hast du jetzt eine andre Pendelbewegung?«

»Muß sich erst herausstellen, Freund. Ich bin ja erst gute vierundzwanzig Stunden hier, gestern früh angekommen, hier drüben Friedrichsstraße. Gott sei Dank, daß ich wieder da bin, und auch wieder nicht, Owinsk ist ein Nest, natürlich, und wenn man aufgestanden ist, kann man auch schon wieder zu Bette gehn, und dazu die ewige Klagerei von Mutter und Schwester und keine Spur Verständnis für ein Buch oder ein Bild, und wenn ein Tanzbär auf den Markt kommt, dann ist es, als ob die WolterCharlotte Wolter: 1834-1897, wirkte seit 1862 als tragische Heldin am Wiener Burgtheater. Sie wurde als eine der bedeutendsten Schauspielerinnen ihrer Zeit verehrt. gastierte... Na, das alles is nicht grade mein Geschmack. Aber ein Gutes hat solch Nest doch, man hat Muße, man kann seinen paar Gedanken nachhängen, wenn man welche hat, und die Büffelei hat ein Ende. Ach, Rybinski, das geht nun wieder los. Wie steht es denn mit dir? Wenn ich dich so ansehe mit deiner Polenmütze, nimm mir nicht übel, es sieht so'n bißchen theaterhaft aus, und deinen Stiefeln über der Hose - du siehst mir auch nicht aus, als kommst du recte vom Repetitorium.«

»Welche feine Fühlung du hast, Großmann. Recte vom Repetitorium; nein. Aber was von recte ist auch dabei; recte vom Galgen...«

»Wie Roller?«

Rybinski nickte.

»Ach, mache keinen Unsinn, Rybinski. Was meinst du?«

»Was ich meine, davon später. Erzähle mir erst ein Wort von dir und von den Owinskern. Hast du zufällig meinen Onkel gesehn? Er kommt ja dann und wann in die Stadt, bei Pferdemarkt oder wenn er Geld braucht. Auf meinen letzten Brief hat er nicht geantwortet; es wird wohl grade Ebbe bei ihm gewesen sein. Und dein Vater? Woran starb er denn eigentlich? Er kann ja noch keine Sechzig gewesen sein. Und wie steht es mit dem Vermögen? Es hieß immer, er hätte was.«

»Ja, so heißt es immer, und wenn Gott den Schaden besieht ist nichts da. Da war eine Kiste, so eine Art ArnheimArnheim: Geldschrank (nach der damals berühmten Berliner Tresorfirma S. J. Arnheim; seit 1833)., in seinem Bureau, die wir immer mit Respekt betrachteten, weil wir uns alle sagten, da liegt es drin. Und nun denke dir, was wir nachher gefunden haben.«

»Nun, die Hälfte.«

»Ja, proste Mahlzeit; eine Zereviskappe, ein Kommersbuch und ein Paar hohe Jagdstiefeln, gelbes Leder, genau wie wenn er sie von Wallenstein hätte.«

»War er denn ein Nimrod...? Übrigens könntest du mir erst eine Zigarre geben. Ich sah da eine kleine Kiste; sie enttäuscht mich hoffentlich nicht so wie dich die große Erbkiste. Ja, war er denn solch Jäger vor dem Herrn?«

»I Gott bewahre. Dazu war er viel zu bequem und fror immer. Er wird wohl, als er eben Burgemeister geworden war, mal eine Jagd mitgemacht haben, aber als ich so'n halbwachsener Junge war, so kurz vorher, eh wir nach Inowroclaw aufs Gymnasium kamen, fuhr er immer bloß raus, wenn das Getafle beim Oberförster oder beim Amtsrat losging. Und einmal war es beim Torf-Inspektor, das weiß ich noch genau.«

»Und dabei war dein Vater doch eigentlich ein famoser Knopp.«

»Ja, das war er.«

»Eigentlich forscher als du.«

»Na, wie man's nehmen will. So im meisten sind wir uns gleich. Fürs Repetieren war er auch nie. Darin mögen wir uns wohl gleich sein, und als er den Referendarius hinter sich hatte, schnappte er ab und sagte: ›Zweimal fall ich durch und denn Assessor mit Ach und Krach und 800 Taler. Nein, da lieber Burgemeister in Owinsk.‹ Und verlobt war er ja auch schon lange.«

»Ja sieh, Hugo, das ist eben, was ich das Forsche nenne. Es war doch ein Entschluß, und seine Familie war doch gewiß dagegen und wollte einen Minister aus ihm backen. Unterm Minister tun's die guten Kleinstädter nicht, die bei der bekannten Glücksjagd, zu der wir uns alle geladen glauben, bloß den Kirchturm mit dem goldnen Hahn sehn und nicht wissen, wie weit es ist und wieviel Gräben unterwegs, um reinzufallen. Ich bin für die, die abspringen.«

»Du meinst so im allgemeinen, so theoretisch.«

»Nein, ganz praktisch. Du mußt mir eine Photographie von deinem Vater schenken; den seh ich mir dann an, so vorbildlich.«

»Aber Hans, du willst doch nicht auch Burgemeister werden. Und bist ja auch noch vorm Referendar; mein Vater hatte doch die halbe Quälerei hinter sich. Sie nehmen jetzt nicht all und jeden, und Referendar ist das wenigste. Und du siehst mir nicht aus, als ob du in meiner Abwesenheit und sozusagen hinter meinem Rücken den Referendar gemacht hättest und nun bloß kamst, um dich mir in deiner neuen Würde vorzustellen. Aber verzeih, ich werd uns drüben erst ein bißchen Abendbrot bestellen, was man in einer Chambre garnie so Abendbrot nennt. Ein Glück, daß die Menschen den Schweizerkäse erfunden haben. Und soll ich Tee bestellen oder Grog?«

»Im allgemeinen bin ich für das Übergehn aus dem einen in den andern, man hat das Spiel ja dabei so hübsch in der Hand, vorausgesetzt, daß einen die Flasche nicht im Stich läßt. Aber heute laß es gut sein, Hugo. Sparen wir uns das Gelage für eine große Gelegenheit.«

»Examen?«

»Das ist zu unsicher, erst an sich, das heißt, ob wir bis dahin kommen, und dann in seinem Resultat. Nein, wenn ich von Aufsparen und großer Gelegenheit spreche, so hab ich was andres im Sinn und meine meinen ersten Abend.«

»Ich kann dir nicht folgen, Hans. Es ist lächerlich zu sagen, aber du bist so mystisch; erst recte vom Galgen und die Zusage spätrer Rätsel-Lösung und nun erster Abend...«

»Ich habe doch deine Fassungskraft überschätzt, was übrigens nach Ansicht einiger eine ganz untergeordnete Gabe sein soll, vielleicht in Zusammenhang mit Logik und Mathematik. Alle Logiker verstehen gar nichts. Aber wundern muß ich mich doch. Zu was sind wir denn um den Königsplatz ungezählte Male herumgelaufen, links den Mond und rechts Kroll und die kleine F., und haben unter Verwerfung aller bisherigen Hamlet-Auffassungen einer neuen, tieferen nachgeforscht? um was habe ich meine Parallelen gezogen zwischen Amalie und Adelheid von Runeck, zwischen der Milford und der Eboli - wenn du schließlich nicht einmal verstehen willst, wenn ich von meinem ersten Abend spreche. Also rundheraus, ich spreche von meinem ersten ›Räuber‹-Abend. Kosinsky. Die Geschichte mit dem Repetitorium wurde mir zu langweilig. Und wenn man den guten Ausgang noch sicher hätte. Kurzum, ich bin zu DeichmannFriedrich Wilhelm Deichmann: 1821 bis 1875, hatte von 1850 bis 1872 das (1848 gegründete) Friedrich-Wilhelm-Städtische Theater in der Schumannstraße geleitet, das wegen seiner Operetteninszenierungen außerordentlich beliebt war. gegangen. Heute war die dritte Probe mit mir, KraußneckArthur Kraußneck: 1856-1941, Schauspieler, wirkte seit 1884 in Berlin. Er spielte zunächst im Deutschen Theater, später im Berliner Theater und seit 1897 im Königlichen Schauspielhaus. brillant als Roller, ich denke, daß ich über kurz oder lang auch ins Charakterfach überspringe. Liebhaber ist bloß Durchgang.«

»Durchgang! Und die ›Räuber‹! Ist es möglich? Dann wird also in acht Tagen auf dem Zettel stehn Kosinsky - Herr Rybinski. Oder willst du dein ›von‹ beibehalten?«

»Nein, man muß auch etwas für seine Familie tun. Mein ›von‹ wird gestrichen, wenigstens solange ich unberühmt bin; nachher kann ich es wieder aufnehmen.«

»Rechnest du darauf?«

»Natürlich rechne ich darauf. Jeder rechnet darauf. Garrick war ursprünglich auch von Adel. Denkst du, daß er mit der ganzen Geschichte angefangen hätte, wenn er sich nicht gesagt hätte: ›Ruhm geht über Adel‹.«

»Und das alles sagst du im Ernst?«

»In vollem Ernst. Und ich will dir auch noch mehr sagen und auch im Ernst. In ganz kurzer Zeit kommst du zu mir und sagst mir: ›Rybinski, du hast recht gehabt, den ganzen Kram an den Nagel zu hängen. Was meinst du, zu welcher Rolle paßte ich wohl? Dunois oder Karl Moor.‹ Ich sage dir, du bist der geborne Karl Moor, und wenn du deinen Arm an die Eiche bindest, oder vielleicht auch, wenn du den Alten aus dem Turm holst, du mußt großartig sein.«

»So, meinst du?«

»Du hast ganz das schwärmerisch Schwabblige, was dazugehört, und hast auch den Brustton der Überzeugung, wenn er sagt: ›Diese Uhr nahm ich dem Minister.‹ Es ist natürlich der Justizminister gewesen, und auf den wirst du bald ebenso schlecht zu sprechen sein wie ich. Ich habe die Schiffe hinter mir verbrannt. Alles im Leben ist bloß Frage der Courage.«

»Na, höre, Hans, es spielt doch noch manches andre mit.«

»Du meinst Liebe. Damit komm mir nicht Larifari. Manche sind so verrückt, und dir trau ich schon was zu; wer soviel spazierenläuft und dieselbe Schwärmerei für Lenau wie für Zola hat (was dir beiläufig erst einer nachmachen soll), der ist zu jedem Liebesunsinn fähig. Es sieht dann auch aus wie Courage, ist aber das Gegenteil davon, blaß Schlapperei, Bequemlichkeit, Hausschlüsselfrage. Hugo, sieh dich vor. Aber soviel will ich dir schon heute sagen, wenn du dich normal entwickelst und nicht einen kolossalen Fauxpas machst und dich sozusagen normal und folgerichtig weiterentwickelst, so kommst du morgen da an, wo ich heute schon bin. Und wenn du Referendar werden solltest, was vielleicht möglich, Assessor wirst du nie. Laß doch die Einpaukerei. Alles umsonst. Ich kenne meine Pappenheimer.«

Indem klopfte es. Großmann erhob sich und ging auf die Tür zu und öffnete. Draußen stand Mathilde Möhring. Sie müsse noch in die Stadt, und weil keiner da sei außer ihrer Mutter, wolle sie nur fragen, ob Herr Großmann noch irgendwas zu Abend beföhle.

»Danke, Fräulein Mathilde. Herr von Rybinski hat alles abgelehnt. Ich gehe noch in den ›Franziskaner‹ hinüber. Wenn Sie mir vielleicht eine Flasche Sodawasser hinstellen wollen.« Als er seinen Platz wieder eingenommen hatte, sagte Rybinski: »Dadurch wirst du dich auch nicht insinuieren. Sodawasser. Das trinkt doch bloß ein Philister.«

»Das ist erstlich noch sehr die Frage, denn es hängt viel davon ab, was man vorher getrunken hat, und dann will ich mich auch gar nicht insinuieren. Frau Möhring ist eine PhilösePhilöse: in der Studentensprache: (die wenig reizvolle) Tochter der Zimmerwirtin., und das Fräulein ist ihre Tochter. Und da insinuieren. So weit sind wir doch noch nicht runter. Und man hat seinen Lenau doch nicht umsonst intus.«

»Grade das, grade das. Lyrik schützt vor Dummheit nicht. ›Auf dem Teich, dem regungslosen, weilt des Mondes holder Glanz‹ - es braucht bloß ein bißchen Mondschein, so verklärt sich alles, und der Teich kann auch 'ne Stubendiele sein.«

»Ich begreife dich nicht, Hans. Und so ganz ohne Veranlassung.«

»Des Menschen Bestes sind Ahnungen. Und sie hat solch Profil, Gemme, streng und edel und einen kleinen Fehler am Auge und aschblond. ›So schreiten keine ird'schen Weiber, die zeugete kein sterblich Haus...‹«

»Unsinn. Was soll das. Eigentlich ist sie doch einfach eine komische Figur.«

»Sage das nicht. So was rächt sich.«

»Ach was. Alles Unsinn und Übermut. Und nun laß uns gehn. Wann ist denn eigentlich dein Debüt?«

»Nächsten Dienstag. Halte den Daumen. Oder noch besser, komm und klatsche.«


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