Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Kastellanin von Vergy

.

In der Zeit, wo ganz Burgund nur von einem einzigen Fürsten beherrscht wurde, lebte daselbst ein hochsinniger Herzog, welcher nach dem Tode seiner ersten Gattin eine sehr schöne Frau in zweiter Ehe zur Gemahlin hatte, die er im höchsten Grade liebte, da er ihr Gemüt nicht durchaus kannte; denn sie war nicht eben tugendhaft und wußte listig, ihre verkehrte Natur zu verbergen. Der Herzog hielt an seinem Hofe in großer Gunst einen rechtschaffenen Edelmann, der mit all den guten Eigenschaften begabt war, welche zu einem vollkommenen Hofmann erforderlich sind, so daß er wegen seines untadligen Betragens, seines höfischen edeln Wesens von hoch und niedrig geliebt und geachtet wurde. Der Herzog hatte den jungen Mann von Kindesbeinen an sorgfältig erziehen und ernähren lassen und liebte ihn auch wegen seiner vortrefflichen Eigenschaften; und da er wußte, daß er zwar von ganz edlem Blute, aber mit Glücksgütern mäßig gesegnet war, hatte er ihm viel Gutes getan und ihm einige Burgen geschenkt; dabei verließ er sich auf ihn in allen Stücken wie auf sich selber, zog ihn bei jeder Angelegenheit zu Rat und fand seine Ratschläge immer gut und weise.

Der neuen Herzogin nun genügten die Umarmungen ihres Gatten nicht; vielmehr wünschte sie einen zu finden, der ihr manchmal besser das Pelzchen schüttelte, und uneingedenk ihres Standes und der Liebe und der fortwährenden Aufmerksamkeiten ihres Gatten gegen sie, warf sie ihr lüsternes Augenmerk auf den tugendhaften Jüngling, welcher Carlo hieß, und weil er ihr ausnehmend wohl gefiel, teils wegen der Schönheit, in welcher er blühte, teils wegen der guten und löblichen Eigenschaften, die sie an ihm bemerkte, setzte sie gegen alle Pflicht und allen Anstand ihre und ihres Gemahls, des erhabenen Fürsten, Ehre aus den Augen und entbrannte so heftig für Carlo, daß sie nicht satt werden konnte, ihn zu betrachten, so oft sich Gelegenheit dazu gab, und das geschah hundertmal des Tages; denn nie wich er dem Fürsten von der Seite, welchem er von ganzem Herzen diente, und den er wie einen Gott auf Erden ehrte. Sie wagte zwar nicht, mit ihm von Liebe zu reden, aber sie bemühte sich, mit Blicken und verliebten Seufzern ihm die Liebesflamme zu erkennen zu geben, welche sie elendiglich verzehrte. Es blieb freilich alles vergebens, da Carlos Sinnen anderswohin gerichtet war und ihm nicht gestattete, auf ihr Tun und Lassen zu achten. So entschloß sich denn das liebeglühende Weib zuletzt, von ihrer nicht mehr zu zügelnden Begierde überwunden und hingerissen, seine etwaige Bewerbung nicht abzuwarten, sondern Carlo selbst ihr stechendes Liebesweh zu entdecken. Sie meinte schriftlich ihre glühende Liebe nicht so gut ausdrücken zu können, als sie es mündlich tun würde, wenn sie ihre Worte mit fünfundzwanzig Tränchen und ebenso vielen glühenden Seufzern begleite. Als daher der Herzog eines Tages dem Botschafter des Königs von Frankreich geheimes Gehör lieh und sich mit ihm und einigen Räten in sein Kabinett verschlossen hatte, benutzte sie Zeit und Gelegenheit, rief Carlo zu sich, gleich als ob sie über wichtige Dinge mit ihm zu sprechen hätte, trat mit ihm in eine Galerie und begann, auf und ab wandelnd, folgendes Gespräch:

»Ich verwundere mich sehr«, sprach sie, »wie es möglich ist, daß du in der Blüte der Jugend und als der schönste und vorzüglichste Hofmann an unserem Hofe nicht irgendeine der vielen schönen Frauen oder anmutigen Fräulein dieses Landes zu lieben scheinst. Du kannst doch wohl sehen, daß es am Hofe keinen einzigen Edelmann gibt, der sich nicht mit irgendeiner von diesen Frauen unterhielte und, wie man bei uns sagt, eine Allianz schlösse, um diese Base, jene Schwester, eine dritte Schwägerin, Gemahlin oder Freundin nennen zu können, und alle ohne Ausnahme ergeben sich dem Frauendienste. Nur du allein machst dich mit keiner vertraut. Ich möchte gerne wissen, woher diese deine Scheu rührt.«

Carlo erwiderte hierauf höchst ehrerbietig also: »Madame, wenn ich mich der Gunst würdig hielte, daß eine dieser Damen sich mit ihren Gedanken bis zu mir herablassen könnte, so würde ich vielleicht dann und wann so frei sein, einer von ihnen meine Dienste zu widmen, da ich aber, wie es denn sehr leicht geschehen könnte, verschmäht und verspottet zu werden fürchte, so wage ich nicht auf ein verliebtes Abenteuer einzugehen.«

Die kluge Antwort des Jünglings mißfiel der Herzogin nicht und machte ihre Liebe zu ihm nur um so inbrünstiger. Sie sagte daher mit fast bebender Stimme zu ihm: »Ich versichere dir, Carlo, daß keine Dame, wenn sie auch noch so hoch stehe, an diesem Hofe und im ganzen Lande ist, die sich nicht für beglückt hielte, wenn sie dich zum Liebhaber bekäme und du ihr, wie es gebräuchlich ist, den Hof machtest.«

Während die Herzogin, der es nicht an Worten fehlte, sprach, hielt Carlo die Augen zu Boden geheftet, ohne so kühn zu sein, ihr ins Angesicht zu schauen. Alsdann beurlaubte er sich bei ihr und ging hinweg, zum höchlichsten Mißvergnügen der Herzogin, welche ihre Unterhaltung mit ihm noch fortzusetzen gewünscht hätte. Wie krause Gedanken auch Carlos Sinn erfüllten, so gab er sich doch nichtsdestoweniger weder mit Gebärden noch mit Worten den Anschein, die Absichten und Wünsche der Herzogin durchschaut und erraten zu haben, sondern beherrschte sich nach wie vor, was ihr, die an Worten kein Genügen fand, wirklich höchst verdrießlich und Anlaß zum kummervollsten Leben war. Und da sie wegen ihrer großen Schönheit und ihres hohen Ranges darauf gerechnet hatte, sich mit dringenden Bitten um ihre Gunst bestürmt zu sehen, war ihr das unbefangene Betragen Carlos, der ihre sie so erbärmlich verzehrende Liebe gänzlich zu übersehen schien, um so unerwarteter. Endlich konnte sie die Pein nicht länger mehr ertragen. Mit Verleugnung aller Scham und Scheu beschloß sie also, selbst Carlo ihre Liebe zu offenbaren und ihn demütig zu bitten, mit ihr Erbarmen zu haben. Als sie ihn daher eines Tages ganz allein antraf, sagte sie zu ihm mit gedämpfter Stimme: »Carlo, ich habe dir Dinge von der größten Wichtigkeit mitzuteilen.«

Mit der ihr schuldigen Ehrerbietung erwiderte er: »Madame, ich bin bereit, Euch in allem, wo ich kann, zu gehorchen.«

Die Herzogin trat hierauf an ein Fenster, ziemlich entfernt von allen anwesenden Herren und Frauen, verlangte, daß er sich mit ihr an die Brüstung lehnte, und fing wieder das nämliche Gespräch wie früher an, indem sie ihn schalt, sich immer noch keine Dame zur Gebieterin seines Herzens auserwählt zu haben, und sich erbot, ihm in dieser Angelegenheit hilfreichen Beistand zu leisten.

Carlo gab ihr zur Antwort: »Ich habe Euch schon gesagt, gnädigste Frau, und sage Euch jetzt abermals, daß meine unmäßige Furcht, verschmäht zu werden, mich nicht in dieses gefahrvolle Labyrinth der Liebe eintreten läßt, weil ich die Natur meines Herzens kenne und weiß, daß ich, wenn ich einmal meine Liebesmühen zurückgewiesen und nicht erhört sähe, niemals wieder in dieser Welt froh werden und fürder ein Leben führen würde, das schlimmer wäre als der Tod.«

Die Herzogin errötete wie eine von der Morgensonne erschlossene Rose, und in der Hoffnung, ihn zu besiegen und zu gewinnen, sprach sie zitternd: »Du bist in einem großen Irrtum befangen, Carlo, und täuschest dich sehr; denn ich weiß, wenn du ihr ein getreuer und aufrichtiger Liebhaber sein willst, würde die schönste Dame dieses Kreises sich glücklich schätzen, von dir geliebt zu sein und dich mit dem Geschenk ihrer Liebe zum Herrn ihrer Person zu machen.«

Er entgegnete ihr jedoch, er könne es nicht glauben, daß in dieser ehrenwerten Gesellschaft eine Dame genugsam verblendet und übelberaten sei, ihn einer so hohen Gunst würdig zu achten. Die Herzogin nahm daraus ab, daß er sie nicht verstehen könne oder vielmehr nicht verstehen wolle, da er doch, wie sie wußte, klug und scharfsinnig war. Sie entschloß sich daher, geradezu die Maske abzuwerfen und, eine deutlichere Sprache führend, ihm nicht nur zu eröffnen, welche Pein sie aus Liebe zu ihm erdulde, sondern auch, wie ihre Schmerzen sie beinah töteten. Sie stellte ihm daher die folgende Frage: »Carlo, wenn nun dein gutes Glück und ein günstiger Himmel dir so hold gelächelt und dich so hoch erhoben hätten, daß ich es selbst wäre, die dir ihr Herz mit treuer heißer Liebe widmete, was tätest du?«

Sobald Carlo diese Worte von ihr hörte, ließ er sich auf ein Knie nieder und entgegnete ihr fast außer sich: »Gnädigste Herrin, wofern unser Herrgott mich der ausgezeichneten Gnade würdigte, mir des Herzogs meines Herrn und Eure Huld beständig zuzuwenden, so würde ich mich für den glücklichsten Menschen dieser Welt halten, weil eben dieser Lohn der einzigste und höchste wäre, den ich für beharrliche, treue und redliche Dienste suche und verlange, da ich mehr als irgend jemand mich verpflichtet fühle, jede Stunde dieses meines Lebens selbst in offenbarster Gefahr zu Eurer beider Dienste zu verwenden. Ich bin fest überzeugt, daß die Liebe, die Ihr für diesen meinen Herrn hegt, so groß und rein ist, daß geschweige ich, der kleine Erdenwurm, aber nicht einmal der größte Fürst und höchstgestellte Herr im mindesten daran denken dürfte, sie irgend zu beflecken oder ihr den geringsten Schaden zuzufügen. Und was mich betrifft, so hat dieser mein Herzog als Herr und Beschützer mich immer von Kindesbeinen auf ernährt und zu dem gemacht, was ich bin und mein Leben lang sein werde, so daß ich nimmermehr mich irgend unterfangen würde, seine Gemahlin oder Tochter, Schwester oder Mutter mit anderem Auge, Gedanken oder Absicht zu betrachten, denn als einem treu ergebenen Diener geziemt.«

.

Als die Herzogin dies hörte, ließ sie ihn nicht weitersprechen, da sie sich offenbar von ihm verschmäht sah. Weil nun einem Weibe überhaupt, es mag sein, wes Standes es wolle, keine größere Beleidigung widerfahren kann, als da, wo es liebt, nicht wiedergeliebt zu werden, so verwandelte sich plötzlich ihre glühende Liebe in wilden, grausamen Haß, und sie fuhr ihn, von Zorn und Wut erfüllt, mit drohender Stimme und finsterem Angesicht folgendermaßen an: »Ich glaube gar, nichtswürdiger Mensch, der du bist, daß du dir einbildest, ich sei in dich verliebt. Du eitler, armseliger Tor triffst bei weitem fehl, wenn du dir dergleichen alberne Gedanken machst. Wer hat etwas dieser Art zu dir gesagt? Du glaubst wohl, daß die ganze Welt in deine Schönheit vernarrt sei, und daß die Fliegen in der Luft für dich schwärmen? Solltest du frech und übermütig genug sein, dich zu vermessen, mich mit deiner Liebe in Versuchung zu bringen, so gedenke ich dir zu deinem äußersten Verderben den Beweis zu führen, daß ich dich nicht liebe, noch jemals einen andern Mann als den Herrn Herzog, meinen Herrn und Gemahl, lieben werde. Die Reden, die ich seither mit dir über die Liebe wechselte, dienten mir bloß zum Zeitvertreib und wurden von mir geführt, um deine Gesinnung zu ergründen und mich über dich lustig zu machen, wie ich es mit den andern verliebten Toren zu machen pflege.«

»Dafür«, erwiderte Carlo, »habe ich bis jetzt alles, was Ihr zu mir sagtet, angesehen und sehe es noch an, weil ich weiß, wie es Euch hohe Damen alle ergötzt, die Männer zum besten zu haben.«

Bei diesen Worten ging die Herzogin, welche keine Lust hatte, mehr zu hören, in ihr Gemach und schloß sich in einem kleinen geheimen Zimmer ein, wo sie voll törichten Sinnes und in größtem Schmerz auf Rache an Carlo sann. Auf der einen Seite war ihr jetzt ihre ehemalige Liebe zu ihm eine bittere empfindliche Pein geworden, auf der andern Seite konnte sie sich über ihre Selbsterniedrigung nicht zufriedengeben, auf solche Weise, wie es geschehen war, mit ihm geredet zu haben und sich von ihm antworten zu lassen: Sie erhitzte sich durch diese Vorstellungen nach und nach zu solcher Wut, daß sie wie eine Rasende nicht mehr wußte, was sie tat. Es kam ihr einmal die Lust an, sich zu töten, um sich von allem Kummer zu befreien. Dann wollte sie aber wieder am Leben bleiben bloß um des Vergnügens willen, an Carlo, den sie für ihren größten Feind ansah, ihre ganze Rache zu sättigen. Die unglückliche Herzogin weinte bitterlich und ließ den gehässigen Gedanken, die sie Umtrieben, freien Lauf. Am Ende, nachdem sie, von ihrem zügellosen Verlangen verblendet, lange genug irre geredet und ihren Augen Fluten bitterster Tränen entströmt waren, trocknete sie ihre Augen und stellte sich vor ihren Leuten, als sei sie krank, um nicht mit dem Herzoge, den Carlo als Mundschenk gewöhnlich bediente, zu Abend speisen zu müssen.

Als der Herzog, der seine Gattin in der Tat zärtlich liebte, vernahm, daß sie unwohl sei, kam er zu ihr, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Sie sagte ihm: »Mein Gebieter, ich glaube schwanger zu sein und vermute, daß mir die Schwangerschaft einen Katarrh zugezogen habe, der mir einigermaßen lästig fällt. Er wird indessen vorübergehen, und mein Übel erfordert keinen Arzt, denn wir Frauen helfen uns in dergleichen Fällen besser selbst, als die Ärzte mit ihren Arzneien imstande sind.«

Sie wies also ärztliche Hilfe von sich und brachte drei Tage höchst schwermutsvoll zu. Endlich kam dem Herzog ein Gedanke, es möge wohl etwas anderes als Schwangerschaft die Herzogin veranlassen, das Bett zu hüten. Um daher ihren Sinn desto besser zu ergründen, schlief er die nächstfolgende Nacht bei ihr, liebkoste sie und scherzte mit ihr zärtlicher als je. Und da er sah, daß aus ihrer bewegten Brust fortwährend heiße Seufzer emporstiegen, bestärkte er sich noch weit mehr in der Meinung, die er hegte. Er faßte sie daher in seine Arme, küßte sie oft auf das zärtlichste und sagte zu ihr: »Meine teure Gattin, Ihr wißt sehr wohl, wie ich Euch liebe, und wie Euer Leben mit dem meinigen so eng zusammenhängt, daß auch ich sterben würde, sobald Euch der Tod beträfe. Wenn daher mein Leben Euch irgend teuer ist, und das muß es doch, so gebührt es sich, daß Ihr mir den wahren Grund dieser Eurer glühenden Seufzer entdeckt, denn es will mir nicht in den Kopf, daß eine etwa bei Euch eingetretene Schwangerschaft der Grund dafür sei. Sagt mir, mein Herz und meine Seele, was es ist, das Euch betrübt?«

Die Herzogin, welche ihren Gemahl so gut für sich gestimmt sah, glaubte, die Zeit sei nun gekommen, ihr Gift gegen den von ihr tödlich gehaßten unschuldigen Carlo auszuspritzen. Sie küßte den Herzog liebevoll, ließ zu gleicher Zeit dem Strom ihrer Tränen freien Lauf und löste unter unendlichem Schluchzen ihre Zunge, indem sie mit schwacher Stimme sprach: »Ach, gnädiger Herr, das mich niederdrückende Übel besteht darin, daß ich Euch auf höchst unwürdige Weise von dem betrügen sehe, der Euch so sehr verpflichtet ist und dafür sein eigenes Leben jedweder Gefahr in Eurem Dienste aussetzen sollte, statt dessen aber Euch zu entehren und die Reinheit Eures Rufes mit Schande zu beflecken strebt.«

Durch diese Worte mit mächtigem Verlangen erfüllt, der Sache auf den Grund zu kommen, bat der Herzog seine Gemahlin inständigst, ihm ohne Rücksichten alles, was sie auf dem Herzen habe, zu erzählen, und sie gab ihm, nachdem sie ihn lange und wiederholt hatte bitten lassen, die folgende Antwort: »Ich werde mich nimmermehr wundern, mein teurer Herr und Gemahl, wenn ich in dieser verderbten Welt wieder höre, daß ein Fremder seinem Herrn Schaden zufügt, da Eure eigenen Untertanen und Vasallen Euch solchen Nachteil zuzufügen wagen, welcher weit mehr von Belang ist, als der Verlust aller Glücksgüter; denn die Ehre ist weit mehr wert und muß viel höher angeschlagen werden, als alle Schätze und alle Reiche der Welt. Euer von Euch so geliebter Günstling Carlo, den Ihr nicht wie Euren Diener, sondern wie Euren nahen und vertrauten Verwandten auferzogen und behandelt habt, hat sich unterstanden, mir seine Liebe zu erklären und mich auf das dringendste zu bitten, daß ich seine Freundin werde. Er hat dadurch bewiesen, daß er mich wie ein Dieb berauben und meine Ehre beflecken wollte, in welcher doch ganz sicher auch die Eurige und die Eures ganzen Hauses beruht. Auf dieses freche, anmaßende Ansinnen habe ich ihm zwar nach Gebühr geantwortet, daß mein Herz an nichts anderes denke, als Euch meine eheliche Treue rein und unbefleckt zu erhalten, und daß er sich nimmermehr erkühnen solle, von so etwas mir ferner zu reden. Diese seine verruchte Keckheit hat mich aber bei alledem so verdrossen, daß ich fast darüber gestorben wäre und den Tag nicht ansehen mag. Dadurch habe ich mich auch veranlaßt gefunden, mich zu Bette zu legen. Ich flehe Euch daher von ganzem Herzen demütig an, mein Gemahl, daß Ihr einen so ruchlosen, verderblichen Menschen durchaus nicht mehr in Eurem Hause behalten wollet, weil er in der Ungewißheit, ob ich auch sein Verbrechen offenbart habe, wohl noch gar irgendeine große, gefährliche Missetat wider Eure Person unternehmen könnte. Denn wenn er sich nicht gescheut hat, Euer Haupt mit so schändlicher Schmach krönen zu wollen und Euch zum Herrn von Hörnerheim zu machen, so könnt Ihr Euch wohl vorstellen, daß er auch keinen Anstand nehmen wird, wider Euer Leben Anschläge zu ersinnen. Ihr seid weise und wißt besser als ich, ob die Sache von Belang ist. Erteilt ihm also die gebührende Strafe für dieses ungeheure Vergehen!«

Hier schwieg das gottvergessene Weib und sank bitterlich weinend ihrem Gatten in die Arme. Er, der einerseits seine Frau zärtlich liebte und sich, wenn die Sache sich so verhielt, auf das schwerste von Carlo beleidigt fühlte, den er immer für einen guten getreuen Diener gehalten, weil er ihn in vielen Angelegenheiten als zuverlässig erprobt hatte, wußte keine Entscheidung zu fassen, er fühlte sich wie zwischen Amboß und Hammer, und verschiedene widerstreitende Gedanken bewegten ihn heftig. Sehr schwer fiel ihm zu glauben, daß Carlo einer solchen Bosheit fähig sei. Seine Gemahlin freilich klagte ihn fortwährend an, und er konnte nicht ahnen, zu welchem Zwecke sie ihm ein solches Märchen ersonnen hätte, so daß er äußerst schmerzlich erregt war. Wie sehr ihn aber auch sein Zorn und seine Entrüstung antrieben, an Carlo herbe Rache zu nehmen, so gestattete ihm doch seine Klugheit nicht, blind dreinzufahren. Er nahm sich daher vor, Carlos Betragen sorgsam zu prüfen, um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. In sein Gemach zurückkehrend, schickte er einen seiner Kämmerlinge zu Carlo, um ihm sagen zu lassen, er solle sich nicht mehr erkühnen, zu ihm zu kommen, sondern sich in seine Wohnung zurückziehen und dort auf seine weiteren Befehle warten. Der Herzog glaubte, wenn Carlo schuldig sei, werde er aus diesem Befehl gewiß erkennen, daß die Herzogin ihn verraten habe und außer Landes eine sichere Zuflucht suchen. Umgekehrt war er fast überzeugt, wenn er unschuldig sei, so werde er vor allem die Ursache des Unwillens seines Herrn zu ergründen und sich zu rechtfertigen streben.

Carlo war über den unerwarteten ungnädigen Befehl so unaussprechlich niedergeschlagen und betrübt, daß ich es nicht schildern kann; denn er war sich bewußt, in keiner Beziehung gegen seinen Herrn so gefehlt zu haben, daß er eine solche Zurechtweisung verdient hätte. Im Bewußtsein seiner Unschuld und außerstande, den Grund sich vorzustellen, warum ihn der Herzog vom Hofe verwiesen habe, besuchte er einen ihm befreundeten Höfling, erzählte ihm sein Mißgeschick und bat ihn, dem Herzog gelegentlich einen Brief von ihm zuzustellen. Der Inhalt desselben war die untertänige Bitte, der Herzog möge nicht auf verleumderische Berichte hin, die ihm etwa erstattet worden seien, glauben, daß er in Wort oder Tat ihn irgendwie beleidigt habe, sondern geruhen, sein gegebenes Urteil aufzuheben, bis er die Wahrheit der Sache klar einsehe; denn er habe nie den Gedanken gehabt, wider ihn sich auf irgendeine Weise zu vergehen, geschweige daß er sich wirklich vergangen.

Carlos Freund ging hin, entledigte sich treulich des schuldigen Dienstes und gab dem Herzog den Brief. Der Herzog las, was ihm Carlo schrieb und nahm aus dem Wunsche, sich zu rechtfertigen, mit Sicherheit seine Unschuld ab. Daher glaubte er, die Herzogin müsse wegen irgendeines Weibergrolls gegen Carlo aufgebracht sein. Der Wahrheit aber kam er nicht auf den Grund. Er befahl sodann Carlo, ihn zu einer Unterredung insgeheim aufzusuchen. Der unschuldige Carlo versäumte nicht, sogleich vor seinem Herrn zu erscheinen. Sobald der Herzog ihn sah, sagte er, um desto besser sein Inneres zu erforschen, mit entrüsteter Miene und drohend zorniger Stimme: »Carlo, Carlo, die Erziehung, die ich dir, von Kindheit an habe zuteil werden lassen, und die Wohltaten, die ich dir erwiesen, verdienen, daß du dich bemühst, mich zu entehren, indem du meine Gemahlin zu schänden und mit mir meinen ganzen Stamm mit Schmach zu bedecken suchst. Hätte ich nach deinem Verdienst an dir gehandelt, so würdest du jetzt nicht mehr am Leben sein, sondern die Frucht deiner bösen Saat geerntet haben. Allerdings bin ich sehr zweifelhaft, ob sich die Sache wirklich so verhält, wie sie mir berichtet worden ist.«

Carlo ward von diesen Worten durchaus nicht betroffen, sondern dankte dem Herzog mit festem Mut dafür, daß er nicht übereilt gehandelt habe und erbot sich, jedwede Prüfung seiner Unschuld zu bestehen; und wer ihn immer anklage, gegen den wolle er mit den Waffen in der Hand behaupten, daß er lüge; denn wo keine glaubwürdigen Zeugen seien, müsse man zum Beweise durch die Waffen seine Zuflucht nehmen.

»Der Ankläger«, erwiderte der Herzog, »führt keine andern Waffen als seine unbefleckte Sittsamkeit; denn es ist meine Gemahlin, die mich auffordert, Rache an dir zu nehmen, da du die Frechheit gehabt, sie um Liebe anzugehen.«

Carlo ermaß zwar hiernach die innere Schlechtigkeit der Herzogin, wollte aber doch seinerseits nicht durch Auseinandersetzung der Sache, wie sie war, beim Herzog Klage gegen sie führen, sondern antwortete seinem Gebieter ehrfurchtsvoll, jedoch mit fester Stimme: »Mein erlauchter Herr, die gnädige Frau mag reden, was ihr beliebt; ich weiß aber genau, daß sie sich meinetwegen in einem großen Irrtum befindet, und behaupte in diesem Punkte meine vollkommene Unschuld. Bedenkt selbst, mein gnädiger Herr, ob ich Euch jemals Ursache gegeben habe, mich in Verdacht zu ziehen; oder ob jemand am Hofe ist, der mich hätte insgeheim mit ihr sprechen oder in ihrem Gemache sie besuchen sehen, wenn nicht Ihr selbst mich dahin geschickt habt. Das Feuer der Liebe läßt sich nimmermehr verbergen. Es muß sich notwendig auf irgendeine Weise Luft machen, ja, es verblendet die von ihr Ergriffenen dergestalt, daß es sie oft die größten und erstaunlichsten Fehler begehen läßt, so daß groß und klein die Sache merkt. Darum, mein gnädiger Gebieter, bitte ich Euch demütig, mir zwei Dinge glauben zu wollen, deren vollständige Wahrheit Ihr einsehen werdet: einmal, daß ich Euer ergebener Diener bin, der entschlossen ist, Euch aufrichtig zu dienen; und wenn die gnädige Frau die größte Schönheit der Welt wäre, würde die Liebe mit all ihrer Gewalt niemals imstande sein, mich in meiner Pflicht der Untertänigkeit gegen Euch wankend zu machen; sodann seid versichert, wenn sie auch nicht Eure Gemahlin wäre, so erscheint sie meinen Augen in einem Lichte, daß ich mich auf keine Weise dazu entschließen könnte, sie zu lieben, weil mein Blut von dem ihrigen viel zu sehr verschieden ist. Ich kenne viele andere Frauen, mit welchen ich leicht Vertraulichkeit schlösse, da ich das Gefühl habe, daß ihre Natur mit der meinigen mehr übereinstimmt.«

Dem Herzog, dem es allzu schwer fiel, von Carlo in diesem Punkte übel zu denken, antwortete ihm: »Carlo, ich will dir in dem, was du hierüber sagst, glauben. Darum geh hin und diene mir ferner, wie du es seither gewohnt gewesen bist! Sei versichert, wenn ich mich überzeuge, daß die Sache so ist, so werde ich dich immer lieber und lieber gewinnen; wenn ich aber das Gegenteil erfahre, so bedenke, daß dein Leben in meinen Händen ist.«

Carlo dankte hierauf, so demütig er konnte, dem Herzog und versicherte ihm, jederzeit, wenn er von ihm strafbar erfunden würde, seinem Urteilsspruch unterworfen zu sein. Die verräterische Herzogin aber, als sie Carlo nach wie vor seinen Dienst versehen und wieder in die Gunst des Herzogs zurückgekehrt sah, war ganz toll vor Ingrimm und Bosheit und konnte es nicht ertragen, von ihrem Gemahl so sehr, wie sie meinte, mißachtet zu werden. Überwältigt von dem an ihr nagenden unerträglichen Ärger, der ihr keine Stunde mehr Ruhe ließ, brachte sie eines Nachts im Bette bei dem Herzog wieder die Rede auf Carlo und sagte: »Es würde Euch fürwahr ganz recht geschehen, mein Gemahl, wenn er Euch vergiftete, da Ihr Eurem tödlichsten Feinde mehr vertraut als der, die Euch liebt. Wißt Ihr nicht mehr, was ich Euch von dem Buben Carlo gesagt habe?«

Der Herzog erwiderte ihr darauf folgendes: »Meine teure Gattin, macht Euch darüber keine Gedanken! Ich versichere Euch, daß Carlo auf das härteste bestraft werden soll, sobald ich gefunden habe, daß er schuldig ist. Vorläufig aber haben mich die untrüglichsten Beweise von seiner Unschuld überzeugt. Was hätte ich auch mit ihm tun können, da kein sicherer Beweis vorlag und niemand gegen ihn zeugte? Es könnte ja sein, daß er manchmal ein Wort im Scherz zu Euch sprach, das Ihr ihm, eifersüchtig auf Euren Ruf und Eure Ehre, im entgegengesetzten Sinne deutetet. Indessen fürchtet nicht, er soll seiner Strafe nicht entgehen, wofern er sie verdient. Er kann unmöglich diese Stadt verlassen, ohne daß ich es erfahre, denn ich habe ihm so viele Kundschafter an die Fersen geheftet, daß er keinen Schritt tun kann, ohne daß ich davon unterrichtet werde.«

Die nichtswürdige Herzogin, die keinen andern Wunsch kannte, als Carlo zu verderben, und die ihm so unversöhnlich grollte, daß sie, um Carlo beide Augen verlieren zu sehen, gerne eines der ihrigen geopfert hätte, gab dem Herzog zur Antwort: »Bei meiner Treue, teurer Herr, Eure allzu große Güte macht die Schlechtigkeit dieses Sünders um so abscheulicher, je mehr Vertrauen Ihr in ihn setzt. Verlangt Ihr bei Gott noch größere Beweise der Schuld bei einem solchen Menschen, als die Euch sein seither geführtes Leben selbst gibt? Der listige Bube wußte sich zu halten, daß niemand eine Handlung an ihm bemerken konnte, welche ihn in irgendeine Frau oder ein Fräulein des Hofes verliebt gezeigt hätte. Ich muß notwendig glauben und ich wünsche, daß Ihr auch des Glaubens wäret, mein teurer Herr, daß er ohne das hohe Unternehmen, mein Diener zu sein, das er sich albernerweise in den Kopf gesetzt hat, sich unmöglich so lange hätte enthalten können, hier oder anderswo Liebe zu suchen und diese seine Liebe so lange zu verleugnen. Wann sah man in so guter Gesellschaft einen Mann, der ein so einsames, liebeloses Leben führte, wie er? Er tut dies aber deswegen, weil er in seiner törichten Einbildung sein Herz auf hohe Minne gestellt zu haben meint; er weidete sich an dieser albernen, eitlen Hoffnung und dachte, mich glauben zu machen, er sei ein treu ergebener Liebhaber und widme mir allein seine ganze Neigung. Aber wenn er irgend Einsicht hat, muß er einsehen, daß er falsch gerechnet hat. Habt Ihr nun, mein Gemahl, so festes Vertrauen zu ihm, und haltet Ihr dafür, daß er Euch die Geheimnisse seines Herzens nicht verbergen darf, so nötigt ihn mit einem heiligen Schwure, Euch zu sagen, ob er liebt und wer die Frau ist, welche er liebt. Denn liebt er irgendeine Frau, so bin ich's zufrieden, daß Ihr ihm glaubt, liebt er jedoch keine, so seid versichert, daß ich Euch die Wahrheit gesagt habe.«

Dem Herzoge leuchteten die Gründe seiner Frau für diese Handlungsweise ein, und so rief er, als er sich eines Tages auf der Jagd befand, Carlo zu sich, entfernte sich mit ihm an einen Ort, wo sie von niemandem gesehen werden konnten, und der Herzog sprach zu Carlo: »Carlo, meine Gemahlin beharrt fest auf ihrer Meinung und hat mir dafür einige nicht unwahrscheinliche Gründe angeführt, die mich fast geneigt machen, das Üble zu glauben, was sie mir dieser Tage von dir gesagt hat. Ich bitte dich also gegenwärtig als meinen Freund und gebiete dir als meinem Untertanen und Dienstmann, mir zu gestehen, ob du hier oder anderwärts irgendeine Frau liebst, und wer die ist, die du liebst.«

Obwohl nun Carlo vorher fest entschlossen war, nie jemandem seine Liebe zu offenbaren, so erwiderte er doch, von seinem Gebieter dazu gezwungen, teils um ihn seiner falschen Eifersucht zu entheben, teils um sich den weiteren Verfolgungen der bösen Herzogin zu entziehen: »Gnädiger Herr, Ihr drängt mich, etwas zu tun, das mein Tod sein wird.«

Er beteuerte ihm mit einem Schwure, daß er in der Tat eine Dame liebe, die an Anmut, guter Erziehung und Sittenreinheit nicht ihresgleichen habe, ohne alle Ausnahme. »An Schönheit sodann, an Freundlichkeit, bin ich fest überzeugt, daß in ganz Frankreich keine es ihr gleichtun kann. Ich sage noch mehr: selbst die Herzogin ist in Vergleich mit ihr durchaus nicht mehr schön. Ich bitte Euch aber auf das demütigste und ersuche Euch, aus besonderer Gnade mich nicht zu nötigen, ihren Namen zu nennen; denn wir verpflichteten uns gegenseitig mit den heiligsten Schwüren vor den glorreichen Bildern unseres Herrn Jesu Christi und der Himmelskönigin, der Jungfrau Maria, seiner Mutter, nicht anders, als mit beiderseitiger Zustimmung irgendeinem Menschen den uns vereinenden unauflöslichen Bund zu offenbaren.«

Der Herzog ließ sich an dieser Auskunft genügen und versprach ihm, ihn nicht zu zwingen zu gestehen, wer es sei, und war auch von der Zeit an gegen Carlo freundlicher als je. Das Teufelsweib, die Herzogin aber, da sie alle ihre Lügen und Betrügereien nichts fruchten sah, war in Wort und Tat nicht ruhig und bestürmte Tag und Nacht die Ohren des Herzogs mit Bitten, Carlo zur Nennung seiner Geliebten zu zwingen, indem sie behauptete, es seien nichts als Erfindungen, um seine Verworfenheit zu verstecken, und wenn er sie nicht nenne, so schenke sie all dem Geschwätz Carlos keinen Glauben. Als daher der Herzog einige Zeit darauf in seinem Garten spazieren ging, rief er, genötigt durch das unaufhörliche, lästige Hetzen der Schlangenzunge seiner verbrecherischen Gattin, Carlo zu sich und sagte zu ihm: »Ich finde vor meiner Gemahlin deinetwegen keine Ruhe mehr. Sie bringt mich noch ums Leben mit ihrer fortwährenden Anklage, daß du mich hintergehest, weil du mir den Namen deiner Dame nicht nennen wollest. Wenn dir also daran gelegen ist, daß ich diese Pein endlich los werde und zur Ruhe komme, so mußt du mir ihren Namen anvertrauen.«

Carlo, von diesen Worten ganz betäubt, sagte ihm, in bittere Tränen ausbrechend: »Wenn wir an einem Orte wären, gnädigster Herr, wo uns niemand sähe, würde ich mich Euch zu Füßen werfen und Euch untertänigst anflehen, wie ich jetzt von ganzem Herzen tue, mich nicht zum Verrat meiner Dame und zu einer solchen Untreue gegen diejenige zu zwingen, die ich schon über sieben Jahre liebe und anbete, und die ich seither immer, unserer beschworenen Übereinkunft gemäß, vor jedem verborgen gehalten habe. Ich würde daher lieber sterben, als diese Treulosigkeit an ihr zu begehen, da es keinen Zweifel leidet, daß mir in einer Stunde verloren ginge, was ich allmählich in so vielen Jahren erst erworben habe.«

Als der Herzog so vielen Widerstand sah, geriet er in die heftigste Eifersucht und fürchtete, es möchten alle die böswilligen Einflüsterungen seiner Gemahlin begründet sein. Mit finsterem Angesichte und voll Zorn sagte er also: »Du hast unter den beiden Vorschlägen, die ich dir jetzt machen werde, zu wählen, Carlo! Entweder du nennst mir die Dame, die du liebst, oder du bist auf immer aus meinen Staaten verbannt. Ich gebe dir acht Tage Zeit, um deine Angelegenheiten zu ordnen. Wirst du nach Ablauf dieser Frist noch auf meinem Gebiete betroffen, so fällst du der grausamsten Todesstrafe anheim.«

Wenn jemals eine herbe Pein und ein wilder Schmerz das Herz eines getreuen, echten und redlichen Liebhabers zerriß, so war es der, der wie ein scharfes Messer die Seele des armen unglücklichen Carlo durchschnitt; denn er wußte, wenn er den Namen seiner treuen Geliebten enthülle und dies je bekannt würde, so müsse dies ganz sicher ihren Untergang zur Folge haben; wenn er aber nichts sagte, so sah er sich aus dem Lande und der Gegend verbannt, wo sie wohnte, und ohne Hoffnung, sie je wiederzusehen. Dieses verzweifelte Entweder – Oder brachte ihn fast einer Ohnmacht nahe, und es trat ihm ein eiskalter Schweiß auf die Stirne. Wie der Herzog ihn so verwandelt und eher einem Marmorbilde als einem lebendigen Menschen ähnlich sah, war er der Meinung, Carlo liebe doch keine andere als die Herzogin. Daher sprach er mit bitterem Unwillen und Groll: »Carlo, Carlo, wäre deine Geliebte eine andere als meine Frau, du zaudertest fürwahr nicht so lange, sie zu nennen. Mir scheint es aber, deine Schelmerei verwirrt dich.«

Carlo, der den Herzog unendlich mehr als sich selbst liebte, war von diesen Worten schwer betroffen und tief verletzt und beschloß, ihm seine Geliebte zu nennen, im Vertrauen auf die Redlichkeit und den Edelsinn des Herzogs, und weil er gewiß zu sein glaubte, daß dieser ihren Namen nicht weitersagen werde. Nachdem er dies überlegt hatte, sagte er zu ihm: »Mein Gebieter, die große Verbindlichkeit, die ich gegen Euch habe und nicht außer acht lasse, für die vielfachen von Euch empfangenen Wohltaten und die Liebe, die ich für Euch hege, bewegen mich, mehr als die Furcht vor tausend Toden, da ich Euch durch einen Irrwahn in die verheerende Krankheit der Eifersucht verfallen sehe, um Euch jeden Verdacht zu nehmen und meine Unschuld unzweifelhaft darzutun, zu einem Schritte, den mir alle Foltern der Welt nie abgenötigt hätten, bitte Euch aber, mein teuerster Gebieter, mir bei der Ehre Gottes zu versprechen und auf Euer Wort als echter Fürst und gläubiger Christ zu schwören, das Geheimnis, das ich Euch nun enthüllen werde, niemandem auf der Welt und in keiner Weise zu offenbaren, vielmehr es immerdar in Eurer Brust verschlossen zuhalten.«

Der Herzog schwur nun bei allem Heiligen, was ihm einfiel, und rief Gott und den himmlischen Hof zu Zeugen, daß, was Carlo ihm sagen werde, niemandem durch Wort und Schrift, Wink oder anderswie geoffenbart werden solle, und legte einen körperlichen Eid darüber auf das Kreuz seines Degengefäßes ab. Sobald Carlo dieses Versprechen hatte, und da er dem Worte eines so tugendhaften Fürsten, als den er den Herzog kannte, sicher traute, fing er an, ihm die Geschichte seiner bis daher ganz geheimen und glücklichen Liebe in folgender Weise zu erzählen:

»Mein durchlauchtiger Herr«, sagte er, »es sind sieben Jahre vorüber, daß ich zum erstenmal die angeborene, unglaubliche und anmutreiche Schönheit der Frau von Vergy sah, Eurer leiblichen, eben damals verwitweten Nichte, und ich fühlte mich gedrungen zu versuchen, ob ich ihre Gunst erwerben könne. Im Gefühle meiner Niedrigkeit und ihrer Größe bestrebte ich mich, ihr untertäniger Diener zu sein, und begnügte mich mit dem Wunsche, daß sie meine Dienste annehme und sich meine Liebe gefallen lasse. Ihre Güte würdigte mich nicht nur dieses Glücks, sondern nahm mich sogar zum Gatten. Und so hat unsere Liebe Gott sei Dank bis jetzt zu unserer größten Befriedigung, wie man sich nur denken kann, tief im Verborgenen gedauert und außer Gott nie jemand davon eine Ahnung gehabt. Ihr, mein Gebieter, seid der Erste, dem ich es jetzt offenbare, in dessen Hände ich nach der zwischen ihr und mir beschworenen Übereinkunft mein Leben und meinen Tod lege, wie ich schon sagte, weshalb ich Euch denn jetzt nochmals auf das allerinständigste bitte, es geheimzuhalten und diese Eure Nichte darum nicht geringer zu schätzen, weil sie in zweiter Ehe ihren Stand verleugnet hat. Ihr kennt ja die Sitte dieses Landes, wonach eine Frau, wäre sie auch in erster Ehe Königin gewesen, wenn sie sich zum andernmal vermählen will, jeden Edelmann ohne Tadel heiraten kann. Darum bitte ich Euch, gnädiger Herr, geruhet sie in der Stellung als Eure Nichte fortan zu erhalten, wie bisher, mich aber als Euren getreuen Diener, der ich bin und immer sein werde.«

Dem Herzoge mißfiel um seiner Liebe zu Carlo willen diese Ehe nicht, und er wußte auch, daß bei der wunderbaren Schönheit seiner Nichte die Herzogin sich allerdings mit ihr nicht vergleichen könne. Höchst seltsam wollte es ihn aber bedünken, daß eine so wichtige Angelegenheit ohne Beihilfe oder Vermittlung irgendeines Menschen zu Ende geführt worden sei. Er bat daher Carlo, ihm zu eröffnen, wie er ein so schönes Unternehmen für sich allein ausgeführt habe, und Carlo befriedigte seine Neugier folgendergestalt: »Nachdem zwischen der gnädigen Frau und mir ohne Mitwissen irgendeines Menschen beschlossen worden war, uns durch das Band der Ehe aneinander zu fesseln, befahl sie mir, in der folgenden Nacht zu einer bestimmten Stunde ganz allein in ihren herrlichen Garten zu kommen, der, wie Ihr wißt, ganz in der Nähe ist, und gab mir die Türe an, durch welche ich in denselben eintreten könne. Ihr Gemach hat ein kleines Pförtchen, welches in den Garten führt. Sobald sich ihre Frauen von ihr entfernt haben, öffnet sie ganz leise diese Pforte und schickt ihr Schoßhündchen hinaus, welches im Garten zu bellen anfing. Ich, der ich zwischen den Gebüschen versteckt war, schlich, sobald ich das Bellen hörte, ganz leise in das Zimmer, wo ich bei der ersten Zusammenkunft, ihrem Willen gemäß, sie als Frau heiratete unter den schon angegebenen Verabredungen, diese Ehe nicht zu veröffentlichen ohne ihre Einwilligung. Wir legten uns sodann zu Bett und vollzogen mit großer Freude die heilige Ehe, verabredeten auch, wie ich mich in Zukunft zu verhalten hätte. Und so habe ich nie versäumt, ihr zu gehorchen, außer die wenigen Male, wo Ihr meine Dienste in Anspruch nahmt und ich deshalb genötigt war, fernzubleiben. Eine Stunde vor der Morgenröte stehl' ich mich jedesmal wieder von ihr hinweg.«

Der Herzog, welcher zu den neugierigsten Männern auf Erden gehörte und, wiewohl er in seiner Jugend mannigfache Liebesabenteuer gehabt hatte, diese Geschichte doch für die seltsamste hielt, die er jemals vernommen, und meinte, etwas Ähnliches könne gar nie vorgekommen sein, bat Carlo dringend, das nächste Mal, wo er wieder in den Garten gehe, ihn nicht als seinen Fürsten und Herzog, sondern als seinen Begleiter mitzunehmen. Carlo versprach es ihm und setzte hinzu, er müsse schon heute abend hingehen, worüber der Herzog sich äußerst erfreut zeigte. Der Herzog ließ nun insgeheim in Carlos Wohnung zwei Pferde bereit halten, und als die Stunde kam, stiegen sie beide auf und machten sich von Argilly, wo sich der Herzog damals aufhielt, nach dem Garten auf den Weg. In kurzer Zeit daselbst angelangt, ließen sie außerhalb desselben an einer sicheren Stelle ihre Pferde und traten dann an der bezeichneten Stelle in den Garten selbst. Nach dem Eintritt ließ Carlo den Herzog sich hinter eine alte, sehr dicke Eiche stellen, wo er spähen und alles deutlich sehen konnte, um sich vollständig zu überzeugen, daß er ihm die Wahrheit gesagt habe. Und sie mußten nicht lange warten, bis das treue Hündchen kam und anfing zu bellen. Carlo ließ nunmehr den Herzog allein und ging zu dem Turme, in welchem das Gemach seiner Geliebten war, die ihm entgegenkam, ihn umarmte und grüßte und zu ihm sagte, es schienen ihr hundert Jahre, seit sie ihn nicht gesehen habe. Sie gingen dann einander umhalsend nach dem Turm, schlossen die Türe, traten in die Kammer und waren darauf bedacht, ihre Liebesglut zu dämpfen. Es war eine ziemlich helle Nacht; denn der silberne Mond, wiewohl zuweilen von einigen Wölkchen verdeckt, sandte doch seine Strahlen da und dort durch die Wolken hin. Der Herzog konnte daher deutlich seine Nichte erkennen, sah alles und hatte auch ihre Worte vernommen, so daß er vollkommen befriedigt war und Carlo für einen der glücklichsten Edelleute in Burgund ansah.

Carlo brachte eine geraume Zeit bei seiner Gemahlin zu und beschloß endlich, vor der Zeit aufzubrechen, um den Herzog nicht allzulange warten zu lassen. Er nahm daher Abschied und sagte seiner Frau, er müsse vor Tag bei guter Zeit in des Herzogs Gemache sein, denn dieser habe ihm das befohlen. Sie wollte ihn nach ihrer Gewohnheit bis zum Ausgang des Gartens geleiten, er gab es aber nicht zu und brachte es dahin, daß sie zurückblieb. Er suchte sodann den Herzog auf, sie gingen hinaus, stiegen zu Pferde und kehrten in die Burg Argilly zurück. Während des Heimreitens versicherte der Herzog Carlo von neuem, seine glückliche Liebe immer geheimzuhalten, und wenn er ihn schon bisher liebte, so hielt er ihn nun, da er ihm so nahe verwandt geworden war, um so mehr wert, so daß Carlo am Hofe bei dem Herzog der erste Günstling ward.

Als die verruchte, vom Teufel besessene Herzogin dies sah, wollte sie ganz verzweifeln und vor Zorn und Wut rasend werden, und sie meinte nicht mehr leben zu können, wenn sie nicht Carlos Tod gesehen habe, und beklagte sich oft über ihn bei dem Herzog. Er durchschaute indes ihre bösen Absichten klar genug und untersagte ihr ausdrücklich, über diesen Gegenstand ein Wort noch bei ihm fallen zu lassen; denn er habe den handgreiflichen Beweis, daß Carlos Freundin viel schöner und liebenswürdiger sei, als sie. Dieser Ausspruch war denn freilich vollends das Beil und die Axt, welche dem Herzen der bösen Herzogin die tiefste und unheilbarste Wunde schlugen, so daß sie eine schlimmere Krankheit befiel als das Zehrfieber. Der Herzog besuchte sie, um zu hören, was ihr fehle; die Ärzte versicherten jedoch, kein Zeichen von Krankheit an ihr zu entdecken außer einer gewissen Unzufriedenheit, welche aus einem nicht zu befriedigenden Gelüsten entstanden sein möge. Da der Herzog die Ursache wußte, redete er ihr tröstend zu. Aber alles war umsonst, wenn sie nicht den Namen von Carlos Freundin erfuhr. Sie drang daher auf das zudringlichste in den Herzog, ihr zu offenbaren, wer diese vortreffliche Dame sei. Der Herzog ging sehr erzürnt weg und sagte: »Mein liebes Weib, laßt diese Reden und sprecht mir nicht mehr davon; denn ich versichere Euch, wenn Ihr mich noch mehr damit beunruhigt, so trennen wir uns, ich komme nicht mehr in Euer Gemach und Ihr sollt keinen Fuß mehr in das meinige setzen.«

Damit ging er weg und ließ seine Frau sehr unwillig zurück, daß sie sich etwas so bestimmt abgeschlagen sah, was sie so sehr zu erfahren wünschte. Nach einigen Tagen nahm das Unwohlsein der Herzogin zu mit vielen und verschiedenen Zufällen, Beklemmungen, kaltem Schweiß und Ohnmachten, und ihr Verlangen, zu erfahren, was sie wünschte, steigerte sich mehr und mehr. Da nun der Herzog meinte, sie sei in gesegneten Umständen, ging er aus Furcht, es möchte schlimm mit ihr gehen und eine zu frühe Niederkunft erfolgen, da er über alles wünschte, Kinder zu bekommen, des Nachts zu ihr, schlief bei ihr und liebkoste sie auf das zärtlichste, um sie zu trösten. Trotz des Verbotes des Herzogs kam sie aber immer wieder darauf zurück, ihn zu versuchen, ob sie nicht erfahren könne, wer Carlos Geliebte sei.

Es ist doch etwas Arges, daß in der Regel, wenn eine Frau sich in den Kopf gesetzt hat, etwas von ihrem Gatten zu wollen, sie am Ende soviel Mittel und Künste der Überredung zu finden weiß, daß sie trotz dem Manne ihren Zweck erreicht, so daß er recht eigentlich mit Gewalt gezwungen wird, ihr nachzugeben, so ungerne er es auch tut. Nach verschiedenen Gesprächen nun zwischen den beiden fing sie, da der Herzog Carlos Dame nicht nennen wollte, an zu weinen und sagte nach tausend heißen Seufzern: »Ach mein lieber Herr, welche Hoffnung kann ich auf Euch setzen, daß um meinetwillen etwas geschähe, was mit großen Schwierigkeiten verbunden wäre, nachdem Ihr etwas so Leichtes und Unbedeutendes zu tun mir verweigert. Ihr nehmt mehr Rücksicht auf Euren elenden Diener als auf mich. Ich war seither, und wohl der Vernunft gemäß, der Meinung, eins mit Euch zu sein; aber ich habe mich schwer getäuscht; denn Ihr wollt mir nicht einmal eine so winzige Gunst erzeigen, um die ich so inständig gebeten habe. Ihr habt mir doch oft Geheimnisse von größter Wichtigkeit anvertraut und niemals habe ich eines ausgeplaudert. Wenn Ihr auch geschworen habt, dieses nie zu sagen, so dürft Ihr versichert sein, damit, daß Ihr es mir sagt, Euren Schwur durchaus nicht zu verletzen, denn Ihr sagt es Euch selbst, da Ihr und ich eine und dieselbe Person sind, zwei Seelen und ein Fleisch. Ich bin in der Hoffnung von Euch ... (Darin log sie, denn sie war gar nicht schwanger.) Ich denke, Ihr wollet nicht, daß ich und die Frucht, die ich unter dem Herzen trage, zugrunde gehen. Der Mangel an Liebe, den Ihr beweist, erfüllt mich mit einer Schwermut, die mich allmählich ganz verzehrt.«

Der Herzog glaubte in der Tat an ihre Schwangerschaft und fürchtete sich vor ihrem und des erhofften Erben möglichem Verluste so sehr, daß er sie zu befriedigen und ihre Neugier zu stillen beschloß. Zuvor redete er sie jedoch noch einmal mit strengem Angesichte und fester Stimme folgendermaßen an: »Ihr seid das hartnäckigste Weib auf dieser Welt. Ihr seht doch, welchen Widerwillen ich bisher fortwährend geäußert habe, Euch das Geheimnis zu offenbaren; aber trotzdem und meinem Willen völlig entgegen wollt Ihr es mir durchaus entreißen. Ich gelobe Euch nun aber vor Gott und schwöre Euch bei der Taufe, die ich empfangen habe und bei Fürstenwort, wenn Ihr je, was ich Euch jetzt sage, durch Wort, Schrift oder Gebärde andeutet, so schneide ich Euch ohne Erbarmen mit eigener Hand die Kehle durch. Und merkt Euch das wohl; denn bei Gott, Ihr sollt keines andern Todes sterben, als durch meine Hand!«

Die Herzogin, verblendet von ihrer zügellosen Begierde, das Geheimnis zu erfahren, ging unbedenklich diese Bedingung ein. Darauf erzählte ihr dann der Herzog die ganze Geschichte Karls von Vaudrai und der Frau von Vergy. Die Familie Vaudrai ist in Burgund sehr alt und von gutem Adel und besitzt viele Burgen. Adrian aber, Carlos Vater, hatte fast alle Güter verschwendet und Carlo blieb nur ein einziges kleines Schloß eigen. Als die verruchte Herzogin diese erhabene Geschichte hörte, tat sie, als wäre ihr die Sache äußerst lieb; doch verbarg sie aus Furcht vor dem Herzoge in ihrem Herzen ihren wilden Schmerz der Eifersucht und des Grolls. Nach Verlauf einiger Tage geschah es, daß der Herzog ein großes Fest ansagen und alle Damen und Edelfrauen der Gegend einladen ließ zu einem achttägigen großen Hoflager. Unter vielen anderen Frauen und Fräulein kam dahin auch die Frau von Vergy. Wie nun eines Tages getanzt ward und eben viele Frauen und Fräulein um die Herzogin her saßen, nahm dieselbe in ihrer höchst gereizten, über Carlo ärgerlichen Stimmung die unvergleichliche und wunderbare Schönheit der Frau von Vergy wahr, und fing mit diesem Kreise von Liebe zu reden an, worüber jede der Damen ihre Meinung sagte. Da sie aber sah, daß die Frau von Vergy nur den andern zuhörte und nichts sprach, wandte sie sich plötzlich an sie mit einem von der äußersten Eifersucht erfüllten Herzen und fragte: »Und Ihr, schöne Nichte? Ist es möglich, daß diese Eure große Schönheit ohne Freund und Diener ist?«

Die Frau von Vergy erwiderte mit der größten Anmut ehrerbietig: »Frau Herzogin, meine Schönheit, wie sie eben ist, hat mir noch keinen Freund und Diener zugeführt.«

Von Neid und Eifersucht berstend, warf die Herzogin bei diesen Worten verächtlich den Kopf empor und sagte: »Schöne Nichte, schöne Nichte, ich muß Euch sagen, daß es in der Welt keine so verborgene Liebe gibt, die nicht am Ende an das Tageslicht gezogen würde, und auch kein so meisterlich abgerichtetes und gezogenes Hündchen, dessen Bellen zu rechter Zeit sich nicht auf die Dauer vernehmen ließe.«

Man kann sich vorstellen, wie groß der Schmerz und die entsetzliche Bedrängnis waren, welche das Herz der unglücklichen Frau von Vergy befielen, als sie diesen so lange verborgen gehaltenen Umstand nun entdeckt sah. Sie meinte aus einer Äußerung, welche Carlo früher über die Herzogin getan, er sei in der Tat in diese verliebt und habe ihr deshalb den Umstand mit dem Hündchen mitgeteilt. Dies quälte sie über alles, denn ihr Herz ward von dem kalten fressenden Wurm der verderblichen Eifersucht zernagt. Und wiewohl sie vor Schmerz ihre Kräfte schwinden fühlte, so blieb doch ihre Kraft ausdauernd und stark genug, um die Leidenschaften und Schmerzen ihres Innern zu unterdrücken und mit fast lachendem Mute der Herzogin zu antworten, sie verstehe sich nicht auf die Sprache der Tiere. Es war unter den die Herzogin umgebenden Frauen keine einzige, die diese Anspielung auf das Bellen des Hundes verstanden hätte.

Die Frau von Vergy blieb noch eine Weile, dann stand sie auf und begab sich, äußerst betrübt und von unendlichem Kummer erfüllt, in das Gemach des Herzogs, und aus diesem trat sie in das, das man ihr zur Wohnung eingerichtet hatte. Der Herzog schritt auf und ab, sah seine Nichte in das Gemach eintreten und meinte, sie habe irgend etwas daselbst zu besorgen. Als nun die Unglückliche ihr Zimmer erreicht hatte, warf sie sich, ohne die Tür zu verschließen, in der Meinung, allein zu sein, wie mit einem Male aller Kräfte beraubt, auf ihr Bett. Es hatte sich jedoch zwischen den Bettvorhängen und der Wand eine Zofe verborgen, um zu schlafen; diese vernahm das Geräusch von dem Hinsinken der unglücklichen Dame auf ihr Bett, hob ein wenig den Vorhang und erkannte die Dame; allein, sie wagte nichts zu sagen, sondern blieb ganz ruhig. Die Dame ließ ihren bittern Tränen freien Lauf und suchte ihren herben Schmerz dadurch zu dämpfen, daß sie mit schwacher Stimme sprach: »Ach ich Unglückliche! Welche Worte habe ich gehört. Sie sind mir der bestimmte Spruch des Todesurteils. So ist mir denn das Ende eines bisher so glücklichen, jetzt höchst unseligen Lebens genaht. O du, wie kein anderer je von einem Weibe Geliebter! Ist das der Lohn, ist das die Vergeltung meiner sittsamen, keuschen und tugendhaften Liebe? Ach, mein Herz, wie konntest du je eine so verderbliche, unüberlegte Wahl treffen, den Pflichtvergessensten und Treulosesten für den Getreuesten, den Lügenhaftesten und Doppelzüngigsten für den Wahrhaftesten und Offensten, den eitelsten Schwätzer und Plauderer für den verschwiegensten Mann zu halten? Ach, ist es denn möglich, daß eine den Augen der ganzen Welt verheimlichte Sache der Herzogin bekanntgeworden ist? Ach mein getreues Hündchen, du gut abgerichteter Mitwisser meiner schamhaften Liebe, du bist es gewiß nicht gewesen, der sie veröffentlicht hat. Wer ist aber sonst der Verräter? Wer hat das Geheimnis entdeckt, um sich zu rühmen? Einer, der eine viel lautere Stimme hat als du, mein vertrautestes Hündchen und ein viel undankbareres Herz als alle Tiere der Welt. Er war es, der gegen seinen Eid, gegen das beschworene Versprechen, gegen das verpfändete Wort, gegen den Adel seines Blutes das einst so selige Leben geoffenbart hat, das wir, ohne jemanden zu beleidigen, lange glücklich zusammen geführt haben. O mein Freund, dem ich mit einer so tief in mein Herz gewurzelten Liebe zugetan war, daß dieselbe allein mein Leben erhielt, muß ich Euch gegenwärtig nicht für meinen grausamsten und tödlichsten Feind ansehen, nachdem Eure Ehre wie Staub im Winde zu Eurer immerwährenden Schande verflüchtigt ist? Mein Leben geht zu Ende, da es so nicht mehr dauern kann. Mein Körper möge der Erde zurückgegeben werden und meine Seele dahin eilen, wohin es Gott gefällt, um entweder als auserwählt der ewigen Seligkeit teilhaftig zu werden oder als verdammt in den Flammenpfuhl des höllischen Feuers zu versinken. Aber sage mir nur, du Wortbrüchiger, sage mir, du Undankbarster und Ungetreuster von allen Undankbarsten, ist die Schönheit und sind die Reize der Herzogin in der Tat so vortrefflich, daß sie dich verwandelt haben, wie Circe mit ihren Zaubersprüchen die Menschen in verschiedene Tiere, Bäume und Steine umgestaltete? Hat sie dich aus einem tugendhaften Manne zur Arche aller Laster verkehrt? aus einem guten zum schlimmen? aus einem Menschen zum grausamsten Tier? O mein falscher Freund, wenn du mir auch dein Versprechen und beschworenes Wort verletzt hast, so will ich dir nichtsdestoweniger das halten, was ich dir versprochen habe, nicht mehr leben zu wollen, wenn du unsere Liebe ausplauderst. Aber weil ich ohne deinen Anblick nicht zu leben wüßte noch vermöchte, würde ich gerne, wäre nicht die Furcht vor der ewigen Verdammnis, mir mit eigner Hand den Tod geben, um dich vollkommen zufriedenzustellen. Aber mit dem tiefen Schmerz, der allmählich mein Herz angreift, will ich mich vertragen; denn ich fühle, daß er in kurzem den Faden meines geplagten Lebens abschneiden wird. Gegen diesen heilsamen Schmerz will ich mich nach keiner Arznei umsehen, will ihm weder durch Vernunftgründe noch durch ärztliche Mittel beikommen. Der Tod allein kann das alles enden, und ich will ihn weit lieber freiwillig dulden, als ohne Liebe und Zufriedenheit am Leben bleiben. Ach, du trügerisches Geschick, das andere um ihren Besitz beneidet, welchen bösen Lohn hast du meinen Verdiensten gegeben! Ach, Herzogin, welche Freude konntet Ihr daran haben, Euch über mich lustig zu machen und, ohne daß ich Euch je ein Leids tat, mir so an öffentlichem Ort zu sagen, was Euch gut dünkte. So freut Euch denn des Gutes, das nur mir gehörte, niemandem sonst. Spottet über die, welche sich überredete, wenn sie ihre Angelegenheiten verheimliche und tugendhaft liebe, frei zu sein von jedem Spotte. Aber der Scherz mit dem Bellen, wehe mir, hat mir das Herz getroffen, ich mußte erröten im Gesicht und erblassen vor Eifersucht. Ach, mein armes Herz, ich fühle deutlich, daß du nicht mehr am Leben bleiben kannst. Die schlecht erkannte Liebe versengt dich, die Eifersucht und erlittene Unbill machen dich erstarren und zerspalten dich, und die Beleidigung nebst dem unendlichen Schmerz, den ich dulde, erlaubt mir nicht, dir etwelchen Trost zu reichen; denn ich bin die trostloseste Frau, die je geboren ward. Ach, meine arme, unglückliche Seele, die du aus allzu großer Liebe, ja Anbetung eines Geschöpfes deinen eigenen Schöpfer vergessen hast, du mußt nun mit wahrhafter Reue und Zerknirschung über deine Sünden zu der unermeßlichen Barmherzigkeit deines Schöpfers deine Zuflucht nehmen, den du um deiner eitlen Liebe willen fast verleugnet hast. Sei voll Zuversicht, meine Seele, daß, wenn du dich mit Reue über deine vergangenen Irrtümer ihm zuwendest, du ganz sicherlich einen besseren und liebevolleren Vater finden wirst, als ich einen guten und treuen Freund an dem gefunden habe, um dessentwillen ich ihn so oft beleidigte. Ach mein Gott und Schöpfer, der du die wahre und vollkommene Liebe bist, um dessen Gnade willen ich bei der Liebe, die ich für meinen Gatten hegte, keinen Fehler begangen habe, als daß ich den zu sehr liebte, den ich nicht sollte, und daß ich gegen die Kirchengesetze die Ehe verborgen hielt, ich bitte demütig um dein gnädiges Erbarmen und deine verzeihende Liebe, vermöge deren du deinen eingeborenen Sohn gesandt hast, das Fleisch der Menschen anzunehmen und den bitteren schimpflichen Tod zu erdulden, um das Menschengeschlecht zu erlösen, ich bitte dich wieder und wieder, o Herr, nach deiner Gnade die Seele derer aufzunehmen, welche schmerzvoll und reuig, dich beleidigt und deine Gebote nicht gehalten zu haben, ihre Schuld bekannt. Ich flehe dich nochmals demütig an, o Herr, bei den Verdiensten deines Sohnes, meinen lieblosen, ungetreuen und undankbaren Gatten seine Verirrung gegen mich erkennen zu lassen.«

Die unselige Frau wollte noch weiter reden, aber sie wurde ohnmächtig und so verändert im Gesicht, daß sie einem Marmorbilde ähnlich wurde. Derweil sie noch so schmerzlich und kläglich jammerte und fast außer sich über Carlo sich beschwerte, trat dieser selbst in den Saal und, da er hier seine Geliebte nicht fand, in das Gemach, in welchem der Herzog auf und ab ging. Sobald dieser Carlos ansichtig wurde, dachte er sich, daß er seine Gemahlin suche, trat daher zu ihm und sagte ihm leise ins Ohr: »Sie ist in ihrer Kammer. Sie scheint mir etwas unwohl.«

Carlo ging mit des Herzogs Erlaubnis in das Zimmer in dem Augenblicke, wo sie ihre Klagen geendet, in tödlicher Bangigkeit ohnmächtig und halbtot dalag. Als Carlo sie mehr tot als lebendig fand, war er über die Maßen betrübt, nahm sie, so sanft er konnte, in die Arme und sprach bitterlich weinend: »Ach, meine Gebieterin, welch ein seltsamer Zufall ist das? Wollt Ihr uns so plötzlich verlassen?«

Als die unglückliche Frau die Stimme des Gatten vernahm, die sie nur allzugut kannte, gewann sie wieder einige Lebenskraft, schlug ihre matten Augen auf, heftete sie jammervoll auf das Gesicht des Gatten, als wolle sie sich über ihn beklagen, daß er ihre Liebe geoffenbart habe; sie vermochte aber kein Wort hervorzubringen, stieß einen tiefen Seufzer aus und gab in den Armen ihres Geliebten und Gatten ihren Geist ihrem Schöpfer zurück. Die Zofe war mittlerweile hinter dem Vorhang hervorgetreten, und Carlo fragte sie, was denn der Dame gefehlt habe. Sie wußte nichts zu sagen, als daß sie ihm die große jämmerliche Klage erzählte, welche sie so rührend ausgestoßen hatte. Carlo erkannte daraus deutlich, daß der Herzog der Herzogin das Geheimnis seiner Liebe mitgeteilt habe. Da erfaßte ihn ein so heftiger Schmerz und eine so peinvolle Angst umnachtete ihm das Herz, daß ich gar nicht weiß, wie er am Leben bleiben konnte. Er preßte daher wieder den Leichnam seiner geliebten Frau krampfhaft in seine Arme, indem er einen Strom bitterer Tränen vergoß, und sagte, ihr blasses Gesicht netzend, zu ihr: »Wehe mir Verräter, der ich war, ich schnöder, verbrecherischer Meineidiger, der jede Strafe verdient, ich unseligster Mensch, der je gewesen, warum ist die Strafe meiner Sünde nicht auf mich gefallen, statt auf dieses völlig unschuldige Weib, welches das längste Leben verdient hätte? Wehe mir, Herr und Gott, warum hast du erlaubt, daß diese die Strafe für anderer Sünde dulde? Warum unterließ der Himmel, mich zu zerschmettern mit seinen brennenden Blitzen in jener verhängnisschweren, verfluchten Stunde, wo sich meine Zunge vermaß, das Geheimnis unserer tugendhaften Liebe zu entweihen, die in Wahrheit eines glücklichen Endes wert war? Warum tat sich damals nicht die Erde auf, um mich zu verschlingen, ehe ich die beschworene Treue brach? Ich, ich hätte augenblicklich versinken und hinabgeschluckt werden sollen bis zum Mittelpunkt der Erde. Ach, du böse Schlangenzunge, du verdienst wohl in den tiefen Abgrund der Hölle verstoßen zu werden, zu jenem reichen Prasser, und nie mehr Erfrischung zu finden. Ha, du mein verbrecherisches Herz, das allzusehr den Tod oder die dauernde Verbannung gefürchtet, warum, warum wirst du nicht die unsterbliche Speise eines hungrigen Adlers, wie das Herz des Prometheus, oder wie die Leber des Tityus, zernagt von einem heftigen gefräßigen Geier? Ach, meine Geliebte, das größte Unglück, das je unter den Sternen widerfuhr, ist mir geschehen und hat mich von unsäglicher Wonne in das äußerste und unaufhörliche Elend geschleudert. Während ich glaubte, Euch zu gewinnen, habe ich Euch elendiglich verloren; und während ich hoffte, Euch lange am Leben zu sehen und mit Euch dieses unser Leben mit sittsamer Freude und vollkommener Zufriedenheit zu genießen, halte ich Euch nunmehr tot in meinen Armen, verzweifelt am weiteren Leben und voll Mißmut über mein Herz und meine geschwätzige Zunge. Ha, du Zunge, die du so lange geschwiegen hast und verschlossen, treu und ergeben gewesen bist, wie konntest du am Ende plauderhaft, unbeständig, wankelmütig, treulos und verräterisch werden? Aber ich darf mich über nichts als über mich selbst beschweren. Ich bin es; denn ich war, was man verräterisch, undankbar, verbrecherisch, abtrünnig, verrucht und im höchsten Grade treulos nennen muß. Ich würde mich gerne beklagen über den Herzog wegen des Versprechens, welchem ich vertraute, in der Hoffnung, um so unangefochtener zu leben und friedlicher meine Liebe zu genießen. Aber ich Unseliger mußte wohl wissen, daß ein so wichtiges Geheimnis, wie das meinige, von keinem besser bewahrt werde als von mir. Der Herzog hat weit mehr Recht, seine Geheimnisse seiner Frau zu sagen, als ich, die meiner Gattin zu enthüllen. Ich habe mich demnach über niemanden zu beklagen als über mich selbst, der ich die größte und schändlichste Verruchtheit begangen habe, die sich denken läßt. Ich hätte lieber jede Marter und tausend Tode erdulden sollen, geschweige die Verbannung, ehe ich den Mund öffnete, um das zu sagen, dessen Veröffentlichung mir verboten war. So wäre wenigstens meine liebenswürdigste Herrin am Leben geblieben und ich wäre rühmlich gestorben, indem ich standhaft den zwischen uns aufgerichteten Vertrag gehalten hätte. Sie hätte alsdann klar erkannt, wie vollkommen ich sie liebte. Nun ich aber ihrem Willen zuwidergehandelt habe, lebe ich noch, und sie, weil sie mich vollkommen geliebt, wurde von unerträglichem Schmerz zernagt und ist tot. Ha, meine unvergleichliche Geliebte, das ist geschehen, weil Euer reines unbeflecktes Herz den Fehler Eures treulosen Freundes nicht zu ertragen wußte. Darum habt Ihr den Tod dem Leben vorgezogen. Ha, warum bin ich so leichtsinnig und verblendet gewesen? Ha, mein undankbares Herz, warum bist du nicht geborsten, als ich den Mund öffnete, um das Geheimnis zu enthüllen, das verborgen bleiben mußte? Das kleine Hündchen verdient mir vorgezogen zu werden, da es treuer als ich seine Herrin geliebt hat. Ach, mein teurer Hund, die unsägliche Freude, welche dein holdes Bellen mir verkündete, hat sich mir Unglücklichem in tödliche bittere Trauer verwandelt, nachdem durch meine Zunge andere als wir beide vernommen haben, was deine Stimme bedeutet. Möchte nur meine unvergleichliche Gattin, wo sie immer jetzt sein mag, erfahren, daß die Liebe der Herzogin, so oft sie auch versucht hat, mich zu verlocken, so wenig als die einer anderen Frau mich das beschworene Versprechen zu verletzen veranlaßt hat. Ein mir unbekanntes Etwas vielmehr hat mir den Verstand geblendet, indem ich dachte, wenn ich den geheimen Namen dem Herzog offenbare, sei die fortwährende Heimlichkeit unserer Liebe gesichert. Und wenn ich es auch unwissend tat, so bin ich darum doch nicht minder schuldig, da eine noch so große Unwissenheit mich keineswegs rechtfertigt; denn ich mußte immer im Gedächtnis behalten, daß ein solches Geheimnis niemals enthüllt werden darf. Und dies ist der einzige Grund, weswegen ich sie hier tot vor mir sehe. Mir, teure Frau, wird der Tod weit weniger hart sein als Euch, die Ihr für allzu treue Liebe Eurem unschuldigen Leben dieses Ziel gesetzt habt. Aber welcher Tod wird mich treffen? Ich bin Euch untreu gewesen, meine Geliebte, und habe Euch verraten, und welche schrecklicheren und entsetzlicheren Fehler als diese zwei können in Menschenleibern wohnen? Kann ich das Licht und den Anblick der Menschen mit diesem meinem entehrten Leben ertragen? Wird nicht alles mit Fingern auf mich zeigen? Wird nicht groß und klein sagen: das ist Carlo Vaudrai, die Schande seines Stammes, der ehedem Burgund so viele ehrenwerte Barone und berühmte Ritter lieferte.

Aber ich würde mich nicht um das Geschwätz des Pöbels bekümmern, meine Geliebte, wenn ich nur nicht die Ursache Eures frühzeitigen Todes wäre. Ich, der jeden Eurer Feinde hätte umbringen sollen, wehe, ich habe Euch umgebracht! Ich Unglücklicher, hätte sich jemand erkühnt, aus irgendwelchem Grunde in meiner Gegenwart die Hand ans Schwert zu legen, um Euch zu beleidigen, wäre ich nicht eiligst mit den Waffen in der Hand herzugeeilt, um Euch zu verteidigen und mich tausendfach in Todesgefahr zu begehen, um Euer Leben zu retten? Ganz sicher hätte ich alles furchtlos gewagt. Und wenn ich das in Wirklichkeit getan hätte, ist es nicht recht und billig und verlangt es nicht alle Gerechtigkeit, daß an einem so schnöden Mörder, an dem treulosesten Totschläger, der Euch ums Leben gebracht hat, von mir die gebührende Rache geübt wurde? Er hat Euch, meine liebenswürdigste Gattin, mit einem andern Schlage als mit Schwert und Dolch elendiglich gemeuchelt. Darum muß unter allen Umständen dieser offenbare verruchte Mörder durch die Hand eines schnöden Henkers sterben. Und welchen niederträchtigeren Henker kann man auf der Welt finden als mich? O blinder Amor, ich habe dich höchlich beleidigt, daß ich fahrlässig war in deinem weiten Liebesreich. Daher verlangt keine Billigkeit, daß du mir zu Hilfe kommst, wie du dieser getan hast, die dein Gesetz treu bewahrte, und es schickt sich nicht, daß ich mit einem so schönen Tode mein Dasein endige. Es ziemt sich vielmehr, daß ich mit eignen Händen diese verruchte Seele aus diesem Körper verjage.«

Mit diesen Worten legte er den Leichnam der Dame auf das Bett, nahm den Dolch, den er an der Seite führte, brachte sich eine tödliche Wunde in der Brust bei und nahm dann gleich den Leichnam seiner Geliebten wieder in den Arm. Als die Zofe dies sah, fing sie wie wahnsinnig an, um Hilfe zu rufen. Der Herzog eilte auf das Geschrei in die Kammer, und da er das liebende Paar in dieser Weise fand, bemühte er sich, Carlo aufzuheben, aber sein Bestreben war umsonst, und als Carlo sich schütteln fühlte und den Herzog an der Stimme erkannte, wandte er den Kopf etwas gegen ihn und sprach mit oft unterbrochener, schwacher Stimme: »Da seht, mein Gebieter, wohin meine und Eure Zunge meine teure Gattin und mich geführt haben. Gott möge es Euch verzeihen und möge auch mir meine Sünden verzeihen, da ich in tiefster Trauer mir die Schuld beimesse.«

Der Herzog wollte Carlo dennoch aufheben; in demselben Augenblick aber fiel dieser mit dem Gesicht über seine Gattin hin und blieb tot liegen. Nachdem sodann der Herzog von der Zofe den ganzen Hergang vernommen hatte, kniete er vor den Leichen der unglücklich Liebenden nieder, weinte bittere Tränen, küßte sie mehrmals ins Gesicht und bat sie um Vergebung. Dann zog er den blutigen Dolch aus Carlos Brust und trat damit ganz rasend in den Saal, wo die Herzogin lustig tanzte, im frohen Gefühl, sich an Carlo und der Frau von Vergy gerächt zu haben. Wütend trat er mit dem Dolche vor sie hin.

»Verworfenes böses Weib«, herrschte er sie an, »denkt Ihr nicht mehr daran, daß Ihr das Geheimnis, das ich Euch mitteilte, auf Euren Eid genommen habt?«

Bei diesen Worten ermordete er sie mit vielfachen Stichen. Die ganze Gesellschaft im Saal war wie erstarrt und meinte fast, der Herzog sei verrückt geworden. Er winkte aber Stille und erzählte ihnen die klägliche Geschichte der beiden Liebenden. Die Herzogin wurde sodann in einer Kirche beigesetzt, nachdem man gefunden hatte, daß sie nicht schwanger war. Dem unglücklichen Liebespaare aber ließ der Herzog ein herrliches reiches Grabmal von Marmor machen, mit meisterhaften wunderschönen Bildwerken, und es in einer Abtei errichten, welche er kurz zuvor gegründet hatte. Dort wurden die beiden Liebenden beigesetzt, mit einer Grabschrift, die die Geschichte ihrer Liebe enthielt nebst ihrem kläglichen Ende und Tode. Carlo hatte einen Bruder Rudolph; diesem schenkte der Herzog zwei Schlösser, Bersaillin und Corlay, für sich und seine Erben. Einige Zeit darauf unternahm der Herzog eine Reise übers Meer zur Verteidigung des heiligen Landes mit Ehren und Nutzen. Nach Burgund zurückgekehrt, trat er seinem leiblichen Bruder die Regierung des Herzogtums ab und zog sich, um Buße zu tun, in die Abtei zurück, worin die zwei unglücklichen Liebenden begraben worden waren. Dort brachte er unter strenger Lebensweise im frommen Dienste Gottes sein Alter hin.


 << zurück weiter >>