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Der Kaufmann von Venedig

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Es lebte in Florenz ein Kaufmann aus dem Hause der Scali namens Bindo, der oftmals in Tana und Alexandrien gewesen war und alle die großen Reisen gemacht hatte, die man des Handels wegen zu machen pflegt. Dieser Bindo war ziemlich reich und hatte drei erwachsene Söhne. Als er zu sterben kam, rief er den ältesten und den mittleren zu sich, machte in ihrer Gegenwart sein Testament und setzte sie beide zu Erben seiner ganzen irdischen Habe ein, während er dem jüngsten nichts hinterließ. Sobald das Testament fertig war, kam der jüngste Sohn, Giannetto mit Namen, welcher davon gehört hatte, zu ihm an das Bett und sagte zu ihm: »Mein Vater, ich wundere mich sehr über das, was Ihr getan habt, indem Ihr meiner in Eurem Testamente gar nicht gedachtet.«

Der Vater antwortete: »Mein Giannetto, ich liebe niemand auf Erden so wie dich; und darum wünsche ich nicht, daß du nach meinem Tode hierbleibst, vielmehr sollst du, sobald ich gestorben bin, nach Venedig gehen zu einem deiner Taufpaten, dem Herrn Ansaldo, der keinen Sohn hat und mir schon mehrmals geschrieben hat, ich solle dich ihm schicken. Ich kann dir sagen, daß er der reichste Kaufmann ist, der heute in der ganzen Christenheit lebt, darum ist es mein Wille, daß du, sobald ich tot bin, zu ihm gehst und ihm diesen Brief bringst; und wenn du es recht anzugreifen weißt, wirst du ein reicher Mann werden.«

Da sprach der Sohn: »Mein Vater, ich bin bereit zu tun, was Ihr mir befehlt.«

Darauf gab ihm der Vater seinen Segen, und wenige Tage darauf verschied er. Alle seine Söhne erhoben hierüber den heftigsten Jammer und erwiesen dem Leichnam die gebührende Ehre. Wenige Tage später riefen die zwei älteren Brüder Giannetto zu sich und sagten zu ihm: »Lieber Bruder, unser Vater hat zwar ein Testament gemacht und uns zwei zu seinen Erben eingesetzt, ohne deiner irgend zu gedenken. Nichtsdestoweniger bist du gleichfalls unser Bruder und darum sollst du jetzt, so gut wie wir, an dem Vorhandenen teilhaben.«

Giannetto antwortete: »Liebe Brüder, ich danke euch für euer Anerbieten. Aber was mich betrifft, so steht mein Sinn dahin, mein Glück draußen in der Welt zu suchen. Dazu bin ich fest entschlossen, und darum mögt ihr euer Erbe mit meinem Segen behalten.«

Seine Entschlossenheit erkennend, gaben sie ihm ein Pferd und Geld für seine Reisebedürfnisse. Giannetto nahm von ihnen Abschied und ging weg nach Venedig. Er kam in das Warenlager des Herrn Ansaldo und übergab ihm den Brief, den ihm sein Vater vor seinem Tode eingehändigt hatte. Als Herr Ansaldo diesen Brief las, erkannte er, daß er der Sohn seines geliebten Bindo war, und sobald er mit Lesen fertig war, umarmte er ihn und rief: »Sei mir willkommen, mein teures Kind, nach dem ich so sehr verlangt habe!«

Sodann war seine erste Frage nach Bindo, worauf ihm Giannetto antwortete, er sei gestorben. Darüber umarmte und küßte er ihn unter vielen Tränen und sprach: »Wohl tut mir der Tod Bindos sehr wehe, da er mir einen großen Teil dessen, was ich habe, gewinnen half. Aber so groß ist die Freude, die ich nun an dir habe, daß sie diesen Schmerz mildert.«

Er ließ ihn nach Hause führen und befahl seinen Ladendienern und seinen sämtlichen Untergebenen und Knechten, Giannetto noch mehr zu gehorchen und zu dienen als ihm selbst. Vor allem überwies er ihm die Schlüssel zu seiner ganzen Barschaft und sagte: »Mein Sohn, alles was hier ist, kannst du verwenden. Du magst dich kleiden und beschuhen nach deinem Geschmack und die Leute der Stadt zum Essen laden, damit du dich bekannt machst. Wie du es angreifen willst, magst du selber überlegen; ich werde dich um so lieber haben, je mehr du dich beliebt zu machen weißt.«

Giannetto fing nun an, mit den venezianischen Edelleuten zu verkehren, ein Haus zu machen, Tafel zu halten, Geschenke zu geben, seine Dienerschaft reich zu kleiden, gute Pferde zu kaufen und Wettkämpfe und Ritterspiele zu üben und in allen Stücken sich erfahren und geübt, hochherzig und feingesittet zu erweisen. Auch verstand er wohl, wo es am Platze war, Ehre und Höflichkeit zu erweisen, und erzeigte dem Herrn Ansaldo stets mehr Ehre, als wenn er hundertmal sein Vater gewesen wäre. Er wußte sich so klug gegen jede Art von Leuten zu stellen, daß fast jedermann in Venedig ihm zugetan war, da man seine große Klugheit und Liebenswürdigkeit und seine unbegrenzte Höflichkeit sah. Männer und Frauen schienen in ihn verliebt, und Herr Ansaldo sah sonst nichts als ihn, so sehr gefielen ihm sein Betragen und seine Aufführung. Darum wurde fast kein Fest in Venedig veranstaltet, wozu Giannetto nicht eingeladen worden wäre; so sehr war er bei allen beliebt. Da begab es sich, daß zwei seiner liebsten Gefährten mit ihren Waren auf zwei Schiffen nach Alexandria gehen wollten, wie sie alljährlich zu tun pflegten. Sie sagten es Giannetto und fügten hinzu: »Du solltest dich mit uns des Meeres erfreuen, um die Welt zu sehen und zumal Damaskus und das Land umher.«

Giannetto antwortete: »Wahrhaftig, das würde ich sehr gerne tun, wenn mein Werter, Herr Ansaldo, mir dazu die Erlaubnis gäbe.«

»Das wollen wir schon machen«, sagten jene, »daß er sie dir gibt, und er soll damit zufrieden sein.«

Sogleich gingen sie zu Herrn Ansaldo und sprachen: »Wir wollen Euch bitten, daß Ihr dem Giannetto gefälligst erlauben mögt, mit uns auf das Frühjahr nach Alexandrien zu gehen, und daß Ihr ihm ein Schiff ausrüstet, damit er ein wenig die Welt sehe.«

Herr Ansaldo sagte: »Ich bin es zufrieden, wenn es ihm Vergnügen macht.«

Jene antworteten: »Herr, es ist sein Wunsch.«

Darum ließ ihm Herr Ansaldo sogleich ein sehr schönes Schiff ausrüsten und es mit vielen Waren beladen und mit Flaggen und Waffen hinlänglich versehen. Und nachdem es fertig war, befahl Herr Ansaldo dem Schiffspatron und der Mannschaft, alles zu tun, was Giannetto ihnen befehle und was ihnen aufgetragen werde, »denn«, sagte er, »ich sende ihn nicht aus, um Gewinn durch ihn zu machen, sondern zu seinem Vergnügen, damit er die Welt sehe.«

Und als Giannetto an Bord ging, lief ganz Venedig hinter ihm her, um ihn zu sehen, da seit langer Zeit kein so schönes und so wohl ausgerüstetes Schiff von Venedig weggefahren war. Jedermann bedauerte sein Scheiden. So nahm er mit allen seinen Gefährten Abschied von Herrn Ansaldo; sie bestiegen das Schiff und hißten die Segel und nahmen ihren Weg nach Alexandria in Gottes Namen, und ihrem guten Glück vertrauend. Die drei Gefährten fuhren so auf ihren drei Schiffen mehrere Tage mit günstigem Winde. Da geschah es eines Morgens vor Tag, daß der besagte Giannetto einen Meerbusen mit einem sehr schönen Hafen wahrnahm und den Schiffspatron fragte, wie dieser Hafen heiße. Er antwortete ihm: »Herr, dieser Ort gehört einer Witwe an, welche schon viele edle Männer zugrunde gerichtet hat.«

»Wie das?« fragte Giannetto.

»Herr«, antwortete jener, »es ist ein schönes, reizendes Weib, welches das Gesetz befolgt, daß jeder, der dorthin kommt, bei ihr schlafen muß, und wenn er mit ihr zu schaffen bekommt, so muß er sie zur Frau nehmen und wird Besitzer des ganzen Landes; genießt er sie aber nicht, so verliert er alles, was er hat.«

Giannetto überlegte ein Weilchen und sagte sodann: »Sieh zu, wie du es machst, daß du mich in den Hafen fährst!«

Der Patron antwortete: »Herr, bedenkt, was Ihr sagt! Viele sind schon hineingegangen und dadurch auf immer unglücklich geworden.«

Giannetto aber sagte: »Mische dich nicht in fremde Dinge, sondern tue, was ich dir sage!«

So geschah es denn, daß sie plötzlich das Schiff wendeten und in den Hafen einfuhren, ohne daß die Gefährten auf den anderen Schiffen etwas davon merkten.

Am Morgen nun verbreitete sich die Nachricht, daß dieses schöne Schiff in den Hafen gekommen sei, so daß alles Volk herbeilief, es zu sehen, und der Herrin des Landes sogleich darüber Meldung erstattet werde. Sie schickte daher zu Giannetto, welcher unverzüglich zu ihr ging und sie ehrerbietig begrüßte. Sie nahm ihn bei der Hand, fragte ihn, wer er sei, woher er komme und ob er die Sitte des Landes kenne. Giannetto bejahte es und sagte, er sei gerade aus diesem Grunde gekommen.

»Da seid mir denn hundertmal willkommen«, sagte sie und erwies ihm den ganzen Tag die größte Ehre und ließ viele Barone, Grafen und Ritter einladen, die sie unter sich hatte, um ihm Gesellschaft zu leisten. Allen Baronen gefiel das Betragen Giannettos sehr, sowie auch sein gesittetes, einnehmendes und gesprächiges Wesen, so daß fast jeder sich in ihn verliebte. Den ganzen Tag wurde am Hofe, Giannetto zu Ehren, getanzt und gesungen und geschmaust, und jedem wäre es recht gewesen, ihn zum Gebieter zu bekommen. Als nun der Abend kam, nahm ihn die Herrin bei der Hand, führte ihn in ihr Schlafgemach und sagte: »Ich glaube, es ist nun Zeit, zu Bett zu gehen.«

Giannetto antwortete: »Edle Frau, ich bin zu Euren Diensten.«

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Alsbald kamen zwei Jungfrauen, die eine mit Wein, die andere mit Zuckerbackwerk.

»Ich weiß«, sagte die Frau, »Ihr werdet Durst bekommen haben, darum trinkt!«

Giannetto nahm von den Süßigkeiten und trank von dem Wein, welcher, ohne daß jener es wußte, so bereitet war, daß er schlafen machte; er trank davon eine halbe Schale, denn er schmeckte ihm; sodann zog er sich sogleich aus und legte sich nieder. Kaum aber hatte er das Bett erreicht, so war er schon eingeschlafen. Die Frau legte sich ihm zur Seite nieder, er erwachte aber erst am anderen Morgen, als schon die Terzie vorüber war. Darum stand die Frau auf, als es Tag wurde, und ließ anfangen, die Ladung des Schiffes zu löschen, welches sie voll von verschiedenen kostbaren und trefflichen Waren fand. Als nun die Terzie vorüber war, gingen die Kammerfrauen der Dame an das Bett Giannettos, hießen ihn aufstehen und gaben ihm die Weisung, seiner Wege zu gehen, denn er habe das Schiff und alles, was darauf sei, verloren. Darüber schämte er sich, denn er meinte, seine Sache schlecht gemacht zu haben. Die Dame ließ ihm ein Pferd geben und Geld zur Reise, und so zog er traurig und niedergeschlagen von hinnen und wandte sich nach Venedig; daselbst angelangt, mochte er aber aus Scham nicht nach Hause gehen, sondern begab sich in der Nacht zu einem seiner Kameraden, welcher sich sehr verwunderte und sprach: »Wehe, Giannetto! Was ist das?«

Dieser erwiderte: »Mein Schiff scheiterte eines Nachts an einer Klippe, so daß alles zerbarst und zerschellte und nach allen Seiten hingetrieben wurde. Ich hielt mich an ein Stück Holz, das mich an das Ufer trieb. So bin ich gerettet worden und hierhergekommen.«

Giannetto blieb einige Tage in dem Hause seines Freundes, der sodann dem Herrn Ansaldo einen Besuch machte, ihn aber sehr niedergeschlagen antraf. Herr Ansaldo sagte: »Ich fürchte so sehr, daß mein lieber Sohn tot ist oder daß ihm zur See ein Unglück zugestoßen sei, ich kann weder Rast noch Ruhe finden, so groß ist die Liebe, die ich zu ihm hege.«

Jener Jüngling erwiderte: »Ich kann Euch von ihm Kunde bringen; er hat Schiffbruch erlitten und all sein Hab und Gut verloren, er selbst aber ist wohlbehalten davongekommen.«

Da sprach Herr Ansaldo: »Gott sei gelobt! Wenn nur er gerettet ist, so bin ich zufrieden. Der Verlust, den er erlitten hat, soll mich nicht grämen. Aber wo ist er?«

Der Jüngling antwortete: »Er befindet sich in meinem Hause.«

Und alsbald brach Herr Ansaldo auf, um ihn zu sehen. Sobald er ihn erblickte, stürzte er sich in seine Arme und sprach: »Mein lieber Sohn, du brauchst dich nicht vor mir zu schämen, denn es kommt ja häufig vor, daß Schiffe auf dem Meere zugrunde gehen. Darum gräme dich nicht, mein Sohn, denn ich bin zufrieden, daß dir kein Leid widerfahren ist.«

Und hiermit führte er ihn nach Hause, indem er nicht müde werden konnte, ihn zu trösten. Die Neuigkeit verbreitete sich bald durch ganz Venedig, und jeder nahm Anteil an dem Verluste, welchen Giannetto erlitten hatte.

Nun geschah es, daß kurze Zeit darauf seine Gefährten aus Alexandrien zurückkehrten, alle mit reichem Gewinne. Sowie sie angekommen waren, fragten sie nach Giannetto und erfuhren alles. Deshalb liefen sie sogleich hin, um ihn zu umarmen, und sagten: »Wie bist du von uns gekommen und wohin bist du gegangen? Wir konnten gar nichts mehr von dir erfahren; wir sind jenen Tag rückwärts gesegelt, konnten aber deiner nicht ansichtig werden, noch in Erfahrung bringen, wo du hingekommen seist. Wir haben uns so sehr darüber betrübt, daß wir die ganze Fahrt über nicht wieder froh werden mochten, denn wir glaubten, du seist umgekommen.«

Giannetto antwortete: »Einem Meerbusen gegenüber erhob sich ein heftiger widriger Wind, der mein Schiff gerade auf eine Klippe trieb, die nahe am Lande war, so daß ich mit knapper Not selbst mein Leben rettete; denn alles ging drunter und drüber.«

Dies war der Vorwand, den Giannetto gebrauchte, um seinen Fehler zu verbergen. Und nun veranstalteten sie zusammen eine große Festlichkeit, dankten Gott, daß wenigstens er davongekommen sei, und sprachen: »Mit dem nächsten Frühjahr, wenn es Gottes Wille ist, werden wir wiedergewinnen, was du diesmal verloren hast. Darum laßt uns jetzt darauf denken, uns eine gute Stunde zu machen und den Trübsinn zu verscheuchen.«

Und das ließen sie sich denn auch angelegen sein und waren fröhlich und guter Dinge nach ihrer früheren Gewohnheit. Giannetto aber dachte an nichts, als wie er zu jener Dame zurückkehren könne, sann hin und her und sprach bei sich selbst: »Wahrhaftig, ich muß sie zur Frau erhalten, oder ich will dabei sterben.«

So konnte er denn fast gar nicht heiter werden. Darum sagte Herr Ansaldo mehrmals zu ihm: »Scheuche den Trübsinn von dir, denn wir sind ja noch so reich an Hab und Gut, daß wir recht wohl bestehen können.«

»Lieber Herr«, antwortete Giannetto, »ich kann mich nicht beruhigen, wenn ich diesen Weg nicht noch einmal mache.«

Als nun Ansaldo seinen Willen erkannte, und die Zeit gekommen war, befrachtete er ein anderes Schiff mit noch mehr Waren als das erste und von noch höherem Werte, so daß er ihm den größten Teil von dem, was er auf der Welt besaß, anvertraute. Als seine Gefährten ihre Schiffe auch mit dem Nötigen ausgestattet hatten, gingen sie mit Giannetto zusammen in See, ließen die Segel blähen und steuerten ihres Weges. Und während mehrerer Tage, da sie schifften, schaute Giannetto beständig aus, ob er nicht den Hafen jener Dame wiedersehe, welcher der Hafen der Frau von Belmonte hieß. Als man nun in einer Nacht an die Mündung jenes Hafens gelangt war, der in einer tiefen Bucht lag, erkannte ihn Giannetto augenblicklich, ließ Segel und Ruder wenden und schlüpfte schnell hinein, ehe noch seine Gefährten auf den anderen Schiffen etwas davon bemerkt hatten. Wie nun die Herrin des Landes am anderen Morgen aufgestanden war und nach dem Hafen schaute, bemerkte sie die Flagge dieses Schiffes, erkannte sie alsbald, rief eine ihrer Zofen und sprach: »Kennst du diese Flagge?«

Die Kammerfrau erwiderte: »Edle Frau, es scheint das Schiff jenes jungen Mannes zu sein, der vor einem Jahre hier ankam und mit seinen Waren uns einen so großen Reichtum hinterließ.«

»Gewiß,« sprach die Dame, »du sagst die Wahrheit. In der Tat, der muß nicht wenig in mich verliebt sein; denn ich habe noch nie einen zum zweitenmal hierherkommen sehen.«

»Und ich habe noch keinen höflicheren und liebenswürdigeren Mann gesehen als ihn«, versetzte die Kammerfrau.

Die Dame schickte viele Junker und Knappen nach ihm aus, die ihn mit großer Feierlichkeit empfingen, und er selbst begegnete ihnen freundlich und heiter. Und so kam er hinauf in die Burg und vor das Angesicht der Dame. Als sie ihn erblickte, umarmte sie ihn mit großer Lust und Freude, und er umarmte sie wieder mit vieler Ehrerbietigkeit. So verbrachten sie den ganzen Tag in Lust und Fröhlichkeit. Denn die Dame ließ Barone und Frauen in Menge einladen, die an den Hof kamen, um Giannetto zuliebe eine Festlichkeit zu veranstalten. Fast allen Baronen tat es leid um ihn, und sie hätten ihn gern zu ihrem Herrn gehabt, wegen seines einnehmenden höflichen Wesens, und fast alle Frauen waren in ihn verliebt, als sie sahen, wie zierlich er sich beim Tanze bewegte und sein Gesicht immer heiter glänzte, so daß jeder meinte, er müsse der Sohn eines großen Herrn sein. Als aber die Dame sah, daß es Zeit war, schlafen zu gehen, nahm sie Giannetto bei der Hand und sagte: »Gehen wir zur Ruhe!«

Darauf gingen sie in die Kammer, setzten sich nieder, und siehe, da kamen zwei Jungfrauen mit Wein und süßem Backwerk; sie tranken und aßen und gingen darauf zu Bette. Sobald er aber im Bette war, schlief er auch ein. Die Dame zog sich aus, legte sich neben ihn nieder, und kurz: er kam die ganze Nacht nicht wieder zu sich. Als der Morgen erschien, stand die Dame auf und befahl sogleich, das Schiff abfrachten zu lassen. Sobald nun die Terzie vorüber war, kam Giannetto wieder zu sich und suchte nach der Dame, fand sie aber nicht. Er fuhr mit dem Kopf in die Höhe und sah, daß es heller Tag war. Deshalb stand er sogleich auf und fing an, sich sehr zu schämen, dann gab man ihm wieder ein Pferd und Geld auf die Reise und sagte zu ihm: »Geh deiner Wege!«

Voll Beschämung zog er von dannen, traurig und niedergeschlagen, ruhte aber nicht eher, als bis er nach vielen Tagereisen in Venedig ankam, wo er bei Nacht in das Haus desselben Freundes eintrat, der sich bei seinem Anblick auf das äußerste verwunderte und ausrief: »Weh mir, was ist das?«

»Mein Pech!« antwortete Giannetto, »verwünscht sei mein Schicksal, das mich jemals in dieses Land kommen ließ!«

Darauf erwiderte jener Freund: »Du hast wohl Ursache, es zu verwünschen, denn du hast den Herrn Ansaldo zugrunde gerichtet, der der größte und reichste Kaufmann in der Christenheit war, und die Schande ist noch schlimmer als der Schaden.«

Giannetto blieb mehrere Tage in dem Hause dieses seines Freundes verborgen und wußte nicht, was er tun, noch was er sagen sollte; ja er war fast willens, nach Florenz zurückzukehren, ohne Herrn Ansaldo ein Wort davon zu sagen. Am Ende aber entschloß er sich doch, zu ihm zu gehen, und so tat er auch. Als Herr Ansaldo ihn erblickte, sprang er auf, stürzte ihm entgegen, umarmte ihn und rief: »Sei mir willkommen, mein Sohn!«

Und Giannetto umarmte ihn unter Tränen. Als er alles vernommen hatte, sagte Herr Ansaldo: »Weißt du was, Giannetto? Mache dir darüber nur ja keinen Kummer! Da ich nur dich wiederhabe, bin ich zufrieden. Es bleibt uns ja noch so viel übrig, daß wir gemächlich leben können. Es ist nun so des Meeres Brauch, dem einen zu geben, dem andern zu nehmen.«

Die Nachricht von diesem Ereignis verbreitete sich durch ganz Venedig, jedermann sprach von Herrn Ansaldo und beklagte ihn wegen des Verlustes, den er erlitten; und Herr Ansaldo sah sich genötigt, viele Besitzungen zu verkaufen, um die Gläubiger zu bezahlen, die ihm die verlorenen Waren geliefert hatten. Inzwischen kamen Giannettos Reisegefährten mit großen Reichtümern von Alexandria zurück, und kaum in Venedig angelangt, erfuhren sie, daß auch Giannetto zurückgekommen sei, Schiffbruch gelitten und alles verloren habe. Darüber verwunderten sie sich und sprachen: »Das ist der außerordentlichste Fall, der je erhört wurde.«

Darauf gingen sie zu Herrn Ansaldo und zu Giannetto, begrüßten sie herzlich und sagten zu Ansaldo: »Seid unbekümmert, edler Herr! Das nächste Jahr wollen wir ausziehen und zu Eurem Besten arbeiten; denn wir sind schuld an diesem Eurem Verluste, da wir es ja waren, die Giannetto das erstemal verleitet haben, mit uns zu kommen. Darum bedenkt Euch nicht, und solange wir noch irgend etwas unser nennen, betrachtet es wie Euer Eigentum.«

Herr Ansaldo dankte ihnen und sagte, er habe bis jetzt wohl noch so viel, um nicht darben zu müssen. Da nun aber Giannetto vom Morgen bis zum Abend jenen Gedanken nachhing und nie heiter werden wollte, so fragte ihn einst Herr Ansaldo, was er habe, und erhielt zur Antwort: »Ich werde nicht eher wieder zufrieden sein, bis ich das wiedererworben, was ich verloren habe.«

Da sprach Herr Ansaldo: »Mein Sohn, du darfst mir die Reise nicht noch einmal wagen; denn es ist klüger, wir halten mit dem wenigen, was wir haben, sparsam haus, als daß du es weiter aufs Spiel setzest.«

Giannetto versetzte: »Ich bin entschlossen, alles zu tun, was ich vermag, denn ich würde es mir zur größten Schande rechnen, wenn ich die Sache so bewenden lassen sollte.«

Als nun Herr Ansaldo seinen Willen erkannte, entschloß er sich, alles zu verkaufen, was er noch auf der Welt besaß, um ihm ein neues Schiff auszurüsten. So tat er und behielt für sich nichts übrig, stattete aber ein sehr schönes Handelsschiff aus. Und weil ihm noch zehntausend Dukaten fehlten, ging er zu einem Juden nach Mestri und borgte sich von ihm unter der vertragsmäßigen Bedingung, daß, wenn er sie nicht zwischen heute und dem nächstkommenden St.-Johannistage im Juni zurückgegeben habe, der Jude ihm ein Pfund Fleisch von seinem Leibe nehmen dürfe, von welcher Stelle ihm beliebe. Herr Ansaldo war damit zufrieden, und der Jude ließ eine gerichtliche Urkunde darüber ausstellen, mit Zeugen und mit allen nötigen Förmlichkeiten und Vorsichtsmaßregeln versehen, und dann zahlte er ihm zehntausend Golddukaten aus, mit welchem Gelde Ansaldo sofort das besorgte, was dem Schiffe noch fehlte; und wenn die beiden ersten Fahrzeuge schön waren, so war das dritte noch weit reicher und besser ausgestattet. Die Gefährten rüsteten ebenfalls ihre zwei Schiffe, mit dem Vorsatze, daß das, was sie gewinnen würden, ihrem Giannetto gehören sollte. Und als die Zeit zur Abreise gekommen war und die Schiffe segelfertig lagen, sagte Herr Ansaldo zu Giannetto: »Mein Sohn, du gehst nun und weißt, unter welcher Verpflichtung ich zurückbleibe. Eines aber bitte ich mir von dir aus, daß, wenn es dir je übel gehen sollte, es dir doch gefallen möge, zu mir zu kommen, auf daß ich dich vor meinem Tode noch einmal schauen und zufrieden aus dieser Welt gehen kann.«

Giannetto erwiderte ihm: »Herr Ansaldo, ich will alles tun, womit ich glaube, Euch gefällig zu werden.«

Herr Ansaldo gab ihm seinen Segen, und somit nahmen sie Abschied und machten sich auf die Reise. Die beiden Gefährten hatten sorgsam acht auf Giannettos Schiff, Giannetto aber ging mit all seinem Dichten und Trachten darauf aus, in der Bucht von Belmonte zu landen. Er beredete daher einen seiner Steuermänner, das Schiff zur Nachtzeit in den Hafen jener Edelfrau zu führen. Danach, als es wieder Tag geworden war und die Gefährten in den anderen beiden Schiffen sich umsahen und Giannettos Fahrzeug nirgends gewahr werden konnten, sprachen sie untereinander: »Gewiß, das ist wieder sein Unglück.«

Sie dachten daher, es bleibe ihnen nichts übrig, als ihren Weg fortzusetzen, und taten es, indem sie sich sehr verwunderten. Als nun das Schiff in den Hafen eingelaufen war, eilte alles aus der Burg herbei, um zu schauen; und als sie merkten, daß Giannetto zurückgekehrt war, wunderten sie sich darüber und sprachen: »Das muß der Sohn irgendeines großen Herrn sein, da er jedes Jahr mit so vielen Waren und so schönem Schiffszeug hier ankommt. Wollte Gott, daß er noch unser Herr würde!«

So wurde er besucht von allen Großen, von den Baronen und Rittern des Landes, und der Dame ward gemeldet, daß Giannetto wieder in den Hafen gekommen sei. Da trat sie an die Fenster des Palastes und sah das prächtige Schiff und erkannte die Flaggen, machte darob das Zeichen des heiligen Kreuzes und sprach: »Es ist wahrlich ein Wunder, das ist jener Mann wieder, der den Reichtum ins Land gebracht hat.« Und damit schickte sie nach ihm. Giannetto ging zu ihr; sie begrüßten sich mit vielen Umarmungen und erwiesen sich Ehre, und den ganzen Tag war man darauf bedacht, Fröhlichkeit und Feste zu üben, und man veranstaltete Giannetto zuliebe ein schönes Turnier, woran viele Barone und Ritter desselbigen Tages teilnahmen. Giannetto wollte ebenfalls Lanzen brechen, er tat Wunder der Tapferkeit und nahm sich so gut aus in Waffen und zu Pferde, und sein ganzes Wesen gefiel allen Baronen so sehr, daß jeder ihn zum Herrn zu erhalten wünschte. Als es nun am Abend Zeit war, sich zu Bette zu begeben, nahm die Dame Giannetto bei der Hand und sagte: »Laß uns schlafen gehen!«

Er stand schon am Eingang der Schlafkammer, als eine Zofe, der es um Giannetto leid tat, sich zu seinem Ohr neigte und ihm zuflüsterte: »Gib dir den Anschein zu trinken, trink aber nicht diesen Abend!«

Giannetto verstand diese Worte, trat in die Schlafkammer, und die Dame sagte zu ihm: »Ich weiß, daß Ihr durstig sein werdet, und wünsche daher, daß Ihr trinket, ehe Ihr zu Bette geht.«

Alsbald kamen zwei Mädchen, schön wie zwei Engel, mit Wein und Zuckerbackwerk nach gewohnter Weise und schenkten ein. Giannetto sagte: »Wer könnte sich enthalten zu trinken, wenn er zwei so schöne Jungfräulein sieht?«

Darüber lachte die Dame. Giannetto nahm die Schale und tat, als ob er trinke, schüttete sie aber in den Busen. Die Frau meinte, er habe getrunken, und sagte bei sich selbst: »Du magst immerhin noch ein anderes Schiff herbeiführen; denn dieses hast du verloren.«

Dann ging Giannetto zu Bett, fühlte sich ganz klar im Kopf und munter und konnte den Augenblick kaum erwarten, bis die Frau ins Bett käme.

»Diesmal habe ich sie gefangen«, sprach er bei sich selbst. »Heute hat sie die Zeche ohne den Wirt gemacht.«

Und damit die Frau um so schneller ins Bett käme, tat er, als ob er anfinge zu schnarchen und zu schlafen. Darum sagte die Frau: »Nun ist es recht.«

Sie zog sich daher schnell aus und kam an Giannettos Seite. Dieser wartete nicht lange, sondern sobald die Frau unter die Decke geschlüpft war, wandte er sich ihr zu, umarmte sie und sprach: »Jetzt habe ich, wonach ich mich so lange gesehnt habe.«

Damit gab er ihr den Friedenskuß der heiligen Ehe, und sie kam die ganze Nacht nicht mehr aus seinen Armen. Darüber war die Frau mehr als vergnügt, stand am Morgen vor Tag auf, ließ aussenden nach allen Baronen und Rittern und vielen anderen in der Stadt und sprach zu ihnen: »Giannetto ist euer Gebieter. Darum denkt darauf, Festlichkeiten zu veranstalten!«

Alsbald entstand in der Stadt ein großes Freudengeschrei, und man rief: »Es lebe der Herr! Es lebe der Herr!«

Die Glocken wurden geläutet und Instrumente geblasen, um das Fest zu verkünden. Man sandte aus nach vielen Baronen und Grafen, welche außerhalb der Burg wohnten, und ließ ihnen sagen: »Kommt, euren Herrn zu sehen!«

Und als Giannetto die Schlafkammer verließ, wurde er zum Ritter geschlagen und auf einen Thron gesetzt, bekam ein Zepter in die Hand und wurde mit großem Triumph und Gepränge zum Herrscher ausgerufen. Und nachdem alle Barone und Frauen an den Hof gekommen waren, heiratete er die Herrin des Landes unter unbeschreiblicher und unvorstellbarer Freude und Lustbarkeit. Alle Barone und Herren des Landes kamen zu dem Feste, um sich zu ergötzen, zu turnieren, zu fechten, zu tanzen, zu singen und zu spielen und alle Kurzweil zu treiben, welche zu solchen Festen gehört. Herr Giannetto teilte in seiner Großmut seidene Stoffe und andere kostbare Gegenstände, welche er mitgebracht hatte, aus und wurde bald so mannhaft, daß man ihn fürchtete und Recht und Gerechtigkeit gegen jedermann geübt wurde.

In diesem Glück und Wohlleben vergaß und vernachlässigte er aber ganz und gar jenen armen Herrn Ansaldo, welcher sich dem Juden für zehntausend Dukaten verpfändet hatte. Als jedoch Herr Giannetto eines Tages mit seiner Gemahlin an einem Fenster des Palastes stand, sah er eine Schar Männer über den Platz ziehen, mit brennenden Kerzen in der Hand, die sie zum Opfer bringen wollten. Herr Giannetto fragte: »Was hat das zu bedeuten?«

»Es ist ein Haufen Handwerker«, versetzte seine Gattin, »die nach der Kirche des heiligen Johannes opfern gehen, weil heute sein Fest ist.«

Da gedachte Giannetto des Herrn Ansaldo, trat vom Fenster zurück, wurde bleich, seufzte schwer auf und ging mehrmals im Saale auf und ab, in Nachdenken über diese Sache vertieft. Seine Gemahlin fragte ihn, was er habe.

»Weiter nichts«, versetzte Giannetto. Sie begann daher in ihn zu dringen und sagte: »Gewiß, Ihr habt irgend etwas und wollt es nicht sagen.«

Sie ließ auch nicht nach, bis Giannetto ihr erzählte, wie Herr Ansaldo als Bürge für zehntausend Dukaten zurückgeblieben sei.

»Und heute«, fuhr er fort, »läuft die Frist ab, und es schmerzt mich sehr, daß mein Vater um meinetwillen sterben soll; denn wenn er ihm heute das Geld nicht erstattet, so muß er ein Pfund Fleisch von seinem Leibe verlieren.«

»Lieber Herr«, sagte darauf seine Gattin, »besteigt schleunig ein Pferd und reiset geradeswegs zu Lande, so werdet Ihr schneller hinkommen als zur See! Nehmt zur Begleitung mit, wen Ihr wollt, packt hunderttausend Dukaten ein und rastet nicht, bis Ihr in Venedig seid! Und wenn er noch am Leben ist, so führt ihn mit Euch hierher!«

Sofort ließ er in die Trompete blasen, stieg zu Pferd mit zwanzig Begleitern, nahm hinlänglich Geld mit und schlug den Weg nach Venedig ein. Unterdessen hatte der Jude, da die Frist abgelaufen war, den Herrn Ansaldo festnehmen lassen und wollte ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe schneiden. Da bat ihn Herr Ansaldo um die Vergünstigung, daß er seinen Tod noch um einige Tage verschiebe, damit, wenn sein Giannetto komme, er ihn wenigstens noch sehen könne. Der Jude sagte: »Ich bin es zufrieden, auch Euren Wunsch in betreff des Aufschubes zu gewähren. Aber wenn er hundertmal käme, so ist es meine Absicht, Euch ein Pfund Fleisch aus dem Leibe zu nehmen, wie der Vertrag besagt.«

Herr Ansaldo versetzte, er sei es zufrieden. Da sprach ganz Venedig von dem Falle; aber ein jeder hatte Mitleid, und viele Kaufleute vereinigten sich, um die Schuld zu bezahlen, aber der Jude wollte davon nichts wissen, sondern wollte den Mord begehen, um sagen zu können, daß er den größten Kaufmann der Christenheit ums Leben gebracht habe. Indem nun Herr Giannetto eilends heranreiste, zog ihm seine Gemahlin gleich nach, und zwar als Richter verkleidet mit zwei Dienern. In Venedig angelangt, begab sich Herr Giannetto in das Haus des Juden, umarmte Herrn Ansaldo mit vieler Freude und sagte darauf zu dem Juden, er wolle ihm sein Geld geben, ja noch mehr, soviel er verlange. Der Jude aber antwortete, er wolle gar kein Geld, da er es nicht zur rechten Zeit erhalten habe, vielmehr wolle er ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe nehmen. Hier erhob sich nun großer Streit, und jedermann gab dem Juden unrecht. Da man aber bedachte, daß es in Venedig allenthalben rechtlich zugehe, und daß der Jude seine Ansprüche in vollgültiger gesetzlicher Form begründet hatte, so wagte ihm niemand anders als mit Bitten zu widersprechen. Darum begaben sich alle Kaufleute Venedigs dahin, um den Juden zu bitten, er aber bestand nur immer hartnäckiger auf seiner Forderung. Nun erbot sich Herr Giannetto, ihm zwanzigtausend Dukaten zu geben, aber er wollte nicht, dann kam er auf dreißigtausend und dann auf vierzigtausend und auf fünfzigtausend, und so stieg er bis auf hunderttausend Dukaten. Endlich sprach der Jude: »Weißt du was, wenn du mir mehr Dukaten anbötest, als diese Stadt wert ist, so würde ich mich doch damit nicht abfinden lassen; vielmehr verlange ich einzig das, was mein Papier besagt.«

Als nun die Verhandlungen so standen, siehe, da kam in Venedig Giannettos Gemahlin an, als Richter gekleidet, und stieg in einem Gasthause ab. Der Wirt fragte einen Diener: »Wer ist dieser edle Herr?«

Der Diener war bereits von der Frau unterrichtet, was er sagen solle, wenn er nach ihr gefragt würde, und antwortete: »Es ist ein rechtsgelehrter Edelmann, der von Bologna kommt, wo er studiert hat, und nun in seine Heimat geht.«

Als der Wirt dies vernahm, tat er ihm viel Ehre an, und während der Richter bei Tische saß, sagte er zu dem Wirt: »Wie ist denn das Regiment hier in Eurer Stadt?«

Der Wirt antwortete: »Nur allzu gerecht, edler Herr.«

»Wieso?« fiel der Richter ein.

»Das will ich Euch sagen, edler Herr«, entgegnete der Wirt. »Es kam einmal von Florenz ein Jüngling hierher, der Giannetto hieß, und ging hier zu einem seiner Taufpaten, namens Messer Ansaldo, und er betrug sich so artig und gesittet, daß in der ganzen Stadt Männer und Frauen ihm zugetan waren; ja, es ist nie ein Fremder bei uns so allgemein beliebt gewesen wie er. Dieser sein Taufpate nun rüstete ihm dreimal ein Schiff aus, und diese drei Schiffe waren von größtem Werte, aber jedesmal war er damit unglücklich, so daß es ihm zuletzt an Geld zur Ausrüstung des Schiffes fehlte. Daher borgte jener Messer Ansaldo zehntausend Dukaten von einem Juden unter der Bedingung, daß, wenn er sie ihm nicht bis zum St.-Johannistage im nächstkünftigen Monat Juni zurückgegeben habe, der besagte Jude ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe schneiden dürfe, wo es ihm beliebe. Nun ist zwar glücklicherweise der Jüngling zurückgekehrt und hat sich erboten, statt der zehntausend Dukaten hunderttausend zu zahlen, aber der arglistige Jude will nicht. Es sind alle rechtschaffenen Leute der Stadt zu ihm gegangen, um ihn mit Bitten zu erweichen, aber es hilft nicht.«

Darauf antwortete der Richter: »Dieser Handel ist leicht zu schlichten.«

Der Wirt versetzte: »Wenn Ihr Euch der Mühe unterziehen wollt, die Sache zu Ende zu führen, so daß der brave Mann nicht sein Leben einbüßt, so würdet Ihr Euch die Gunst und die Liebe des wackersten Jünglings erwerben, der je geboren wurde, und zugleich die aller Leute dieser Stadt.«

Infolgedessen ließ der Richter eine Aufforderung bekanntmachen, wer irgendeine Rechtsfrage zu schlichten habe, der solle zu ihm kommen; und so wurde auch Giannetto gesagt, es sei ein Richter von Bologna angekommen, der sich jeden Handel zu schlichten erbiete. Darum sagte Giannetto zu dem Juden: »Wir wollen zu diesem Richter gehen!«

»Meinetwegen«, sagte der Jude. »Es mag kommen, wer will, ich habe in jedem Falle das Recht, zu tun, was mein Schein besagt.«

Als sie vor den Richter traten und ihm die schuldige Ehrerbietung bezeugten, erkannte der Richter Giannetto sogleich, nicht ebenso aber Giannetto den Richter, denn letzterer hatte vermittels gewisser Kräuter seine Gesichtszüge unkenntlich gemacht. Giannetto und der Jude trugen jeder seine Sache und die Gründe dem Richter vor, dieser nahm den Schein, las ihn und sagte darauf zu dem Juden: »Ich wünschte, du nähmest diese hunderttausend Dukaten und gäbest diesen guten Mann los, der dir überdies immer dafür verpflichtet sein wird.«

»Daraus wird nichts«, antwortete der Jude.

»Aber«, sagte der Richter, »es wäre dein Bestes.«

Der Jude dagegen beharrte darauf, er wolle sich auf nichts von alledem einlassen. Darauf begaben sie sich insgesamt zu dem Gerichte, das über dergleichen Fälle gesetzt ist, und der Richter verlangte nach Messer Ansaldo und sagte: »Nun laßt ihn vortreten.«

Als er erschienen war, sagte der Richter: »Wohlan, nimm ihm ein Pfund Fleisch, wo du willst, und bringe deine Sache zu Ende!«

Da hieß ihn der Jude sich nackt ausziehen und nahm ein Rasiermesser in die Hand, das er zu diesem Zwecke hatte machen lassen. Herr Giannetto aber wandte sich zu dem Richter und sagte: »Herr, darum habe ich Euch nicht gebeten.«

Der Richter antwortete: »Seid getrost, er hat das Pfund Fleisch noch nicht herausgeschnitzelt.«

Gleichwohl trat der Jude auf ihn zu. Da sprach der Richter: »Hab' wohl acht, daß du es recht machst! Denn wenn du mehr oder weniger als ein Pfund nimmst, so lasse ich dir den Kopf abschlagen. Ferner sage ich dir's auch, daß, wenn er dabei nur ein Tröpfchen Blut verliert, du gleichfalls des Todes bist, denn deine Papiere besagen nichts von Blutverlust; auch sprechen sie, daß du ihm ein Pfund Fleisch nehmen darfst, und sonst heißt es von nichts mehr und nichts minder. Darum, wenn du klug bist, ergreifst du Maßregeln, von welchen du glaubst, daß sie zu deinem Besten gereichen.«

Und sogleich schickte er zum Scharfrichter und ließ ihn Pflock und Beil mitbringen und sprach: »Sowie ich nur ein Tröpfchen Blut herausfließen sehe, lasse ich dir den Kopf abschlagen.«

Da bekam der Jude Furcht, Giannetto aber fing an, sich wieder zu erheitern. Endlich, nach vielem Hin- und Herreden, begann der Jude: »Herr Richter, Ihr seid klüger als ich. So laßt mir denn jene hunderttausend Dukaten auszahlen, und ich bin zufrieden.«

Der Richter aber sagte: »Ich will, daß du dir ein Pfund Fleisch nimmst, wie dein Schein besagt, denn Geld sollst du nicht einen Pfennig erhalten, du hättest es nehmen sollen, als ich es dir anbot.«

Der Jude stieg herab zu neunzigtausend, dann zu achtzigtausend Dukaten, aber der Richter beharrte nur immer fester auf seinem Ausspruch. Da sprach Giannetto zu dem Richter: »Geben wir ihm, was er verlangt, wenn er nur Herrn Ansaldo freiläßt!«

Der Richter aber versetzte; »Ich sage dir, laß mich gewähren!«

Darauf begann der Jude: »So gebt mir fünfzigtausend Dukaten!«

Der Richter dagegen antwortete: »Ich gebe dir nicht den schlechtesten Heller, den du je gesehen.«

»So gebt mir«, fuhr der Jude fort, »wenigstens meine zehntausend Dukaten! Verflucht sei Luft und Erde!«

Der Richter aber erwiderte: »Verstehst du mich nicht? Nichts will ich dir geben. Willst du ihm ein Pfund Fleisch nehmen, so nimm es! Wo nicht, so erhebe ich Einspruch gegen dein Papier und lasse es ungültig erklären.«

Darob waren alle Anwesenden über die Maßen vergnügt. Jeder verspottete den Juden und sprach: »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«

Als nun der Jude sah, daß er das nicht erreichen konnte, was er wollte, nahm er seinen Schein und zerriß ihn voll Ärger, und so ward Messer Ansaldo frei, und Giannetto geleitete ihn mit großem Jubel nach Hause. Darauf nahm er schnell die hunderttausend Dukaten, eilte zu dem Richter und fand diesen in seiner Kammer beschäftigt, sich zur Heimreise zu rüsten. Da sagte Giannetto zu ihm: »Edler Herr, Ihr habt mir den größten Dienst erwiesen, der mir je erzeigt worden ist; darum bitte ich Euch, dieses Geld mit Euch zu nehmen, das Ihr wohl verdient habt.«

Der Richter antwortete: »Mein lieber Herr Giannetto, ich sage Euch großen Dank; aber ich bedarf dessen nicht. Nehmt es mit Euch, daß Euch Eure Frau nicht beschuldige, schlecht gewirtschaftet zu haben.«

Giannetto aber sagte: »Die ist meiner Treu so großmütig, fein gesittet und rechtschaffen, daß, wenn ich viermal soviel ausgäbe, sie doch zufrieden wäre; denn sie verlangte, ich solle viel mehr als dies mitnehmen.«

Da fuhr der Richter fort: »Wie seid Ihr denn sonst mit ihr zufrieden?«

»Es gibt kein Geschöpf auf der Welt«, antwortete Giannetto, »dem ich so gut wäre wie ihr, denn sie ist so weise und so schön, wie sie die Natur mir zu schaffen vermochte. Und wenn Ihr mir eine Gunst erzeigen und mit mir kommen wollt, um sie zu sehen, so sollt Ihr Euch wundern über die Ehre, die sie Euch antun wird, und mögt Euch überzeugen, ob sie nicht das ist, was ich sage, oder noch mehr.«

Der Richter antwortete: »Daß ich mit Euch komme, das geht nicht an, denn ich habe noch andere Geschäfte; aber weil Ihr mir sagt, daß es eine so vortreffliche Frau ist, so grüßt sie von mir, wenn Ihr sie seht.«

»Das soll geschehen«, sprach Herr Giannetto; »aber ich wünschte doch, daß Ihr von diesem Gelde nehmt.«

Während er so sprach, sah der Richter einen Ring an seinem Finger, weshalb er zu ihm sagte: »Gebt mir diesen Ring! Außerdem will ich keinen Heller.«

Herr Giannetto antwortete: »Ich bin's zufrieden, so ungern ich es auch tue, denn meine Frau hat ihn mir geschenkt, und mir gesagt, ich solle ihn immer tragen um ihrer Liebe willen; und wenn sie ihn nicht mehr an mir sieht, so wird sie glauben, ich hätte ihn einem Weibe gegeben, und so wird sie sich über mich erzürnen und meinen, ich hätte eine Liebschaft, während ich ihr doch mehr zugetan bin als mir selbst.«

Da entgegnete der Richter: »Es scheint mir sicher, daß sie Euch zärtlich genug liebt, um Euch hierin zu glauben; sagt ihr nur, Ihr hättet den Ring mir geschenkt! Aber vielleicht wollt Ihr ihn einer alten Liebe hier schenken?«

Giannetto aber versetzte: »Die Liebe und Treue, die ich für sie hege, ist so groß, daß es in der Welt keine Frau gibt, mit der ich sie vertauschen möchte, so voll Schönheit ist sie in jeder Hinsicht.«

Und damit zog er den Ring vom Finger und gab ihn dem Richter. Sodann umarmten sie sich und verbeugten sich gegeneinander.

»Tut mir einen Gefallen«, sagte der Richter.

»Verlangt«, entgegnete Giannetto.

»Haltet Euch hier nicht auf«, fuhr der Richter fort. »Geht sogleich heim, zu dieser Eurer Frau!«

»Es scheint mir eine wahre Ewigkeit«, sagte Herr Giannetto, »bis ich sie wiedersehe.«

So nahmen sie Abschied. Der Richter stieg in eine Barke und zog seines Weges, Giannetto aber gab seinen Gefährten Abendessen und Frühstück, schenkte ihnen Pferde und Geld und feierte so mehrere Tage Feste und hielt Hof. Dann aber nahm er Abschied von allen Venezianern, nahm Messer Ansaldo mit sich, und viele seiner alten Kameraden begleiteten ihn. Fast jedermann, Männer und Frauen, weinte aus Rührung über seinen Fortgang, so freundlich hatte er sich während seines Aufenthaltes in Venedig betragen. So schied er und kehrte nach Belmonte zurück.

Nun begab es sich, daß seine Frau mehrere Tage vor ihm ankam und tat, als wäre sie im Bade gewesen. Sie nahm wieder ihre wirkliche Kleidung an, ließ große Vorbereitungen veranstalten, alle Straßen mit Zindel bedecken und viele Scharen Bewaffneter neu kleiden. Als nun Messer Giannetto und Messer Ansaldo ankamen, gingen ihnen alle Barone und der ganze Hof entgegen und riefen: »Es lebe unser Herr! Es lebe unser Herr!«

Sowie sie in der Stadt eintrafen, eilte die Frau, Messer Ansaldo zu umarmen, und stellte sich etwas empfindlich gegen Messer Giannetto, obwohl sie ihn mehr liebte als ihr Leben. Es wurde ein großes Fest veranstaltet mit Turnieren, Waffenspiel, Tanz und Gesang, woran alle Barone, Frauen und Fräulein, so daselbst waren, teilnahmen. Als jedoch Messer Giannetto sah, daß ihm seine Gemahlin kein so freundliches Gesicht machte wie sonst, trat er in sein Gemach, rief sie zu sich und sprach: »Was hast du?«

Dabei wollte er sie umarmen. Die Frau aber sagte: »Du brauchst mir keine solche Liebkosungen zu machen; ich weiß wohl, daß du in Venedig deine alten Liebschaften wieder aufgesucht hast.«

Messer Giannetto begann sich dagegen zu verwahren; die Frau aber fuhr fort: »Wo ist der Ring, den ich dir gab?«

Messer Giannetto antwortete: »Da haben wir's nun, ganz wie ich mir's vorstellte. Ich sagte doch gleich, du würdest Böses dabei denken. Aber ich schwöre dir bei meinem heiligen Glauben und bei meiner Treue zu dir, daß ich den Ring jenem Richter gegeben habe, welcher mich den Prozeß gewinnen machte.«

Die Frau aber sagte: »Und ich schwöre dir bei meinem heiligen Glauben und meiner Treue zu dir, daß du ihn einem Weibe gegeben hast; ich weiß es gewiß, und doch scheust du dich nicht, so zu schwören.«

Messer Giannetto fügte hinzu: »Ich flehe zu Gott, mich augenblicklich von dieser Welt zu vernichten, wenn ich dir nicht die Wahrheit sage, ja, daß ich es schon dem Richter gesagt habe, als er mich darum gebeten.«

Die Frau aber sagte: »Du hättest ja noch dort bleiben und Herrn Ansaldo allein hierherschicken können, derweil du dich mit deinen Liebschaften ergötztest; denn ich höre, sie haben alle geweint, als du weggingst.«

Da hob Herr Giannetto an zu weinen, war in schwerer Not und sprach: »Du tust einen Eid auf etwas, was nicht wahr ist und nicht wahr sein kann.«

Als aber die Frau ihn weinen sah, war es ihr, als bekäme sie einen Dolchstich in das Herz, stürzte plötzlich in seine Arme und fing an, laut aufzulachen. Sie zeigte ihm den Ring und sagte ihm alles, was er mit dem Richter gesprochen habe, und daß sie der Richter gewesen sei, und auf welche Weise er ihr den Ring gegeben. Darüber war Messer Giannetto aufs äußerste verwundert, und da er dennoch die Wahrheit ihrer Rede erkannte, fing er an, über die Maßen fröhlich zu werden. Er trat aus dem Gemach und erzählte es einem seiner Barone und Gefährten. Und die Liebe zwischen ihnen beiden wuchs und mehrte sich noch dadurch. Hernach rief Messer Giannetto die Kammerfrau zu sich, die ihm an jenem Abend die Weisung gegeben hatte, nicht zu trinken, und gab sie Messer Ansaldo zur Frau. So blieben sie lange Zeit in Glück und Fröhlichkeit bis an ihr Ende.


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