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Ser Giovanni Fiorentino

Ser Giovanni Fiorentino. Über ihn ist so gut wie nichts bekannt, er war wahrscheinlich Notar und schrieb seine Novellen – den Pecorone –, wenn man dem einleitenden Gedicht glauben darf, von 1378 an.

Der Baumeister und sein Sohn, der Meisterdieb, die 1. Novelle des 9. Tages. Nach der Übersetzung von A. Keller bearbeitet. Die älteste Quelle dieser Novelle ist bei Herodot II, Kap. 121 (Das Schatzhaus des Königs Rampsinit).

Der Kaufmann von Venedig, die 1. Novelle des 4. Tages. Nach der Übersetzung von A. Keller bearbeitet.

Der Baumeister und sein Sohn, der Meisterdieb

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In der hochedlen Stadt Venedig lebte einst ein Doge, der ein hochherziger, weiser und reicher Mann war und vorsichtig und klug in allen Stücken, mit Namen Messer Valeriano di Messer Vannozzo Accettani. Bei der Hauptkirche zu Sankt Markus in Venedig war ein Glockenturm, der schönste und reichste, den es geben konnte und der Hauptstolz Venedigs zu jener Zeit. Dieser Turm war nun aber auf dem Punkte einzustürzen wegen einiger Fehler in den Fundamenten. Deshalb ließ der Herr Doge in ganz Italien nachforschen und ausschreiben, wer es übernehmen wolle, besagten Turm auszubessern, möge zu ihm kommen, er solle Geld bekommen, soviel er zu fordern und zu verlangen Lust habe. Da entschloß sich ein wackerer florentinischer Meister namens Bindo, welcher zu Florenz wohnte und vernahm, wie es mit dem Turme stehe, das Unternehmen zu wagen, brach also mit seinem Sohne und seiner Frau von Florenz auf und ging nach Venedig. Als er den Turm sah, nahm er sich vor, ihn auszubessern, ging zum Dogen und sprach: »Gnädiger Herr, ich komme hierher, um Eurem Turme zu helfen.« Darüber erwies ihm der Doge große Ehre und sagte unter vielem anderen: »Lieber Meister, ich bitte Euch, beginnt nur Eure Arbeit so bald als möglich! Ich will auch zusehen.« »Das soll geschehen, gnädiger Herr«, versicherte der Meister. Und sogleich ordnete er die Arbeit an, und durch großen Fleiß richtete er in kurzer Zeit den Turm dergestalt wieder her, daß er schöner war als zuvor. Das machte nun dem Dogen große Freude, und man gab dem Meister das Geld, das er verlangte, machte ihn zum Bürger von Venedig und verlieh ihm ein reiches Einkommen. Ferner sagte er zu ihm: »Nun sollt Ihr mir einen Palast bauen, welcher eine Kammer enthalte, in die der ganze Schatz und alles Tischgerät der Gemeine von Venedig niedergelegt werden können.« Der Baumeister traf sogleich alle Anstalten, um besagten Palast zu errichten, und machte darein eine Kammer, die schöner und besser gelegen war als alle anderen, in welche der erwähnte Schatz kommen sollte. Dabei brachte er sehr listig und kunstreich einen Stein an, welcher heraus- und hineinging, in der Absicht, in die Kammer nach seinem Gefallen einzudringen; von diesem Eingang aber wußte kein Mensch als er. Als nun der Palast fertig war, ließ der Doge alles kostbare Gerät, mit Gold durchwirkte damastene Stoffe, Tapeten, Bankteppiche, Mäntel und andere Gegenstände und Gold und Silber in Menge in die Kammer bringen. Man nannte dies nun die Schatzkammer des Dogen und der Kommune von Venedig. Sie war mit fünf Schlüsseln verschlossen, deren vier die vier ersten Bürger Venedigs hatten, die dazu beauftragt waren und welche die Kämmerlinge des Schatzes von Venedig hießen; den fünften Schlüssel aber hatte der Doge. So konnte also die Schatzkammer nicht geöffnet werden, außer wenn alle fünf, welche die Schlüssel in Händen hatten, zugegen waren. Als nun dieser Bindo mit seiner Familie in Venedig lebte und Bürger geworden war, fing er an, Aufwand zu treiben und wie ein reicher Mann zu leben; und sein Sohn Ricciardo führte ein verschwenderisches Leben, so daß es ihnen in kurzem an Mitteln für ihren übermäßigen Aufwand fehlte. Da rief der Vater einst bei Nacht seinen Sohn, nahm eine kleine Leiter, ein zu diesem Zweck verfertigtes Eisen und ein wenig Mörtel mit, und so gingen sie zu dem Loche, das der Baumeister so kunstvoll in der Kammer angebracht hatte. Er legte die Leiter an, zog den Stein heraus, schlüpfte in die Kammer und entnahm ihr einen schönen goldenen Becher, der in einem Schranke stand, worauf er sie wieder verließ und den Stein an seine Stelle brachte. Zu Hause angelangt, zerkleinerten sie den Becher und schickten ihn stückweise zum Verkauf in einige lombardische Städte. Auf diese Weise setzten sie das ungeordnete Leben fort, das sie angefangen hatten.

Nun begab es sich, daß ein Kardinal nach Venedig zum Dogen kam, dem man besondere Ehre erzeigen wollte; und so mußte man die Kammer öffnen wegen des darin befindlichen Gerätes, Silberzeuges, Tapeten und anderer Dinge. Als man sie nun aufmachte und die besagten Gegenstände herausnahm, vermißte man den Becher. Darüber entstand nun unter den Verwaltern der größte Lärm, und sie gingen zum Dogen und sagten ihm, daß man den Becher nicht mehr sehe. Der Doge verwunderte sich und sagte: »Das müßt ihr untereinander ausmachen.« Und nach langem Hin- und Herreden befahl er ihnen, von der Sache nichts zu sagen, noch etwas deshalb vorzunehmen, bis der erwartete Kardinal wieder abgereist sei. Und so geschah es auch.

Der Kardinal kam, und es wurde ihm große Ehre erwiesen; als er aber fort war, sandte der Doge nach den vier Kämmerlingen und verlangte nun zu wissen, wo der Becher hingekommen sei. Er befahl ihnen, nicht eher aus dem Palast zu gehen, bis der Becher wiedergefunden sei, und sprach: »Ihr habt es allein zu verantworten.« Die vier Männer traten zusammen und besannen sich, wußten sich aber auf keine Weise zu erklären, wie der Becher fortgekommen sei. »Überlegen wir«, sagte einer von ihnen, »ob man in die Kammer auch auf anderem Wege gelangen kann als durch die Tür.« Sie schauten umher, erblickten aber nirgends eine Öffnung. Um sich aber genauer zu überzeugen, ließen sie die Kammer mit feuchtem Stroh füllen, zündeten es an und verschlossen die Tür und die Fenster, damit der Rauch nicht hinaus könne. Als nun das feuchte Stroh brannte, entstand ein so dichter Qualm, daß er durch die Fugen jenes Steines hinausdrang. So merkten sie denn, von welcher Seite der Schaden kam, gingen zum Dogen und sagten ihm, wie die Sache stehe. »Haltet es geheim«, sagte dieser, »dann können wir den Dieb über der Tat ertappen.« Dann ließ er einen Kessel mit Pech in der Kammer unter dem Loche aufstellen und darunter Tag und Nacht ein Feuer unterhalten, so daß das Pech beständig sott.

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Als nun das aus dem Pokal erlöste Geld zu Ende war, gingen der Meister und der Sohn eines Nachts wieder an die Öffnung, nahmen den Stein heraus, und der Meister stieg hinein und fiel in den immer siedenden Kessel. Als er nun bis zum Gürtel im Kessel stand und nicht mehr loskommen konnte, hielt er seinen Tod für gewiß. Er faßte daher schnell seinen Entschluß, rief seinen Sohn und sprach: »Mein Sohn, ich bin des Todes; darum schneide mir den Kopf ab, damit der Betrug nicht entdeckt werde, und nimm den Kopf mit dir und verscharre ihn an einem Orte, wo er nicht gefunden wird! Tröste deine Mutter und suche auf eine vorsichtige Weise davonzukommen! Und wenn dich jemand nach mir fragt, so sage, ich sei in Geschäften nach Florenz gegangen.«

Der Sohn fing an, zu weinen und jämmerlich zu klagen, schlug sich an die Brust und rief: »Wehe, mein Vater!« Der Vater aber sagte: »Mein Sohn, es ist besser, es stirbt einer, als zwei, und darum tu, was ich dir sage, und eile!« Da schnitt der Sohn dem Vater den Kopf ab und trug ihn hinweg, der Rumpf aber blieb im Kessel und sott in dem Peche dermaßen, daß das Fleisch sich ganz ablöste und er wie ein Skelett wurde. Der Sohn kehrte heim und begrub den Kopf des Vaters, so gut er es vermochte, und dann sagte er es der Mutter. Als sie nun eine große Wehklage erheben wollte, kreuzte der Sohn die Arme über der Brust und sagte: »Wenn Ihr Lärm macht, sind wir in Gefahr, ums Leben zu kommen; darum, liebe Mutter, seid besonnen!« Damit brachte er sie zur Ruhe. Am folgenden Morgen wurde der Leichnam gefunden und zum Dogen gebracht, welcher sich über diese Sache außerordentlich verwunderte; und da er sich nicht denken konnte, wer es sei, sprach er: »Weil hier offenbar zwei im Spiele sind, wollen wir, nachdem wir den einen gepackt haben, nun auch den anderen packen.« Da sagte einer der vier Verwalter: »Ich habe einen Gedanken, nämlich folgenden: es ist nicht möglich, daß er nicht Weib oder Kinder oder sonstige Verwandte in dieser Stadt habe; lassen wir daher den Körper durch die ganze Stadt schleppen und schicken Wachen mit, daß sie beobachten, ob jemand weint oder jammert; und wenn jemand dabei betroffen wird, so soll man ihn verhaften und verhören. Auf diese Weise werden wir wohl den Mitschuldigen finden.« So wurde es beschlossen, und sie ließen den Körper in der ganzen Stadt umherschleifen, gefolgt von Wachen. Als sie nun an sein Haus kamen, trat die Frau ans Fenster, und als sie den Leichnam ihres Gatten so mißhandeln sah, stieß sie einen heftigen Schrei aus. Da rief der Sohn: »Wehe, meine Mutter, was macht Ihr?« Er war aber schnell besonnen, ergriff ein Messer, schnitt sich in die Hand und brachte sich eine große Wunde bei. Sowie die Wachen den Schrei vernahmen, den die Frau ausstieß, liefen sie in das Haus und fragten die Frau, was sie habe. Der Sohn antwortete: »Ich habe mit diesem Messer geschnitten und mich an der Hand verletzt. Deswegen hat meine Mutter einen Schrei ausgestoßen, im Glauben, ich hätte mich schlimmer verwundet, als es geschehen ist.« Als die Wachen die Hand bluten und die Wunde sahen, und was sich begeben hatte, glaubten sie es ihm und zogen im ganzen Bezirk umher, ohne jemanden zu finden, der sich darüber auch nur erregt gezeigt hätte. Sie kehrten also unverrichteter Dinge zum Dogen zurück, und man faßte nun den Entschluß, den Leichnam auf dem Markte aufzuhängen und gleichfalls – aber im verborgenen – Wachen dazu zu stellen, damit sie Tag und Nacht aufpaßten, ob jemand komme, um den Toten zu bejammern oder zu beweinen. So wurde er auf dem Platze an den Füßen aufgehängt und die Wachen verborgen postiert, um Tag und Nacht achtzugeben, ob niemand käme, ihn zu beweinen oder zu bejammern. Es verbreitete sich das Gerücht in der Stadt, der Leichnam sei auf dem Platze aufgehängt, und viel Volks ging hin, um ihn zu sehen. Als nun die Frau davon hörte, sagte sie oftmals zu ihrem Sohne, es sei dies für sie die größte Schmach, daß der Vater auf diese Weise aufgehängt sei. Der Sohn antwortete: »Liebe Mutter, seid um Gottes willen ruhig; daß sie so mit dem Leichnam verfahren, geschieht nur, um mich zu erwischen. Habt nur eine Weile Geduld! Dieses Mißgeschick wird auch vorübergehen.« Die Mutter aber konnte es nicht aushalten und sagte mehrmals: »Wäre ich ein Mann, wie ich ein Weib bin, so müßte ich ihn nicht jetzt erst abnehmen; und wenn du ihn nicht herunternimmst, so gehe ich selbst einmal bei Nacht hin.« Als der Jüngling den festen Entschluß seiner Mutter sah, besann er sich, wie er den Leichnam losmachen könne. Er kaufte also zwölf schwarze Mönchskutten, ging eines Abends an den Hafen, holte sich zwölf Lastträger und führte sie durch eine Hintertür seines Hauses in eine kleine Stube, wo er ihnen zu essen und zu trinken gab, soviel sie Lust hatten. Und als er sie gehörig in Weinlaune versetzt hatte, zog er ihnen die Mäntel an, band ihnen Masken vors Gesicht und gab jedem eine brennende Fackel in die Hand, wodurch sie ein Aussehen bekamen wie Teufel aus der Hölle, so sehr waren sie durch diese Larven entstellt. Er selbst stieg auf ein Pferd, ganz in Schwarz gehüllt, und die Pferdedecke war voller Haken, und an jedem Haken war eine brennende Kerze befestigt; vor das Gesicht aber hatte er eine abenteuerliche Maske gebunden. So stellte er sich an ihre Spitze und sagte zu ihnen: »Tut, was ihr mich werdet tun sehen.« So begaben sie sich nach dem Platze, auf welchem der Leichnam aufgehängt war, und rannten auf dem Platze hin und her. Es war Mitternacht vorüber und die tiefste Finsternis. Als nun die Wachen diese seltsame Erscheinung sahen, fürchteten sie sich und meinten, es seien böse Gespenster aus der Hölle und der auf dem Pferde mit der greulichen Gestalt sei der alte Luzifer selber. Als sie ihn daher auf den Galgen zukommen sahen, liefen sie in großer Angst davon. Er nahm den Leichnam, legte ihn über den Sattelbogen und jagte der Gesellschaft voraus seinem Hause zu. Dort gab er ihnen Geld, zog ihnen die Kutten aus und schickte sie weg, worauf er den Leichnam, so heimlich er konnte, verscharrte. Am Morgen wurde dem Dogen berichtet, der Leichnam sei abgenommen. Der Doge sandte nach den Wachen und wollte wissen, wo der Leichnam hingekommen sei. »Gnädiger Herr«, sagten die Wächter, »heute nacht, es war Mitternacht vorüber, da kam eine große Schar von Teufeln, und unter ihnen sahen wir deutlich den alten Luzifer, der wahrscheinlich diesen Leichnam gefressen hat. Wir sind daher geflohen, als wir eine solche Heeresmacht wegen des Körpers ankommen sahen.« Der Doge sah klar, daß hier ein Trug dahinterstecke, und wurde nur um so begieriger, zu erfahren und zu erkunden, wer der Täter sei. Er hielt daher einen geheimen Rat, worin beschlossen wurde, es dürfe zwanzig Tage in Venedig kein frisches Fleisch verkauft werden. Es geschah, und jedermann wunderte sich über diese Bestimmung. Dann ließ er ein sehr schönes Milchkalb schlachten und aushauen zu einem Florin die Libbra und trug dem Verkäufer auf, achtzuhaben auf alle, die davon holten; denn er dachte bei sich so: gemeiniglich sind die Diebe gelüstig; so wird sich denn auch dieser nicht enthalten können, davon zu holen, und die Ausgabe von einem Florin auf das Pfund sich nicht gereuen lassen. Er ließ also bekanntmachen, wer Fleisch wolle, solle auf den großen Platz kommen. Alle Kaufleute und Edelleute kamen um des Milchkalbs willen; da man aber hörte, daß ein Gulden für die Libbra verlangt wurde, nahm niemand davon. Die Kunde verbreitete sich durch die Stadt und kam auch der Mutter Ricciardos zu Ohren. Da sprach sie zu ihrem Sohne: »Es gelüstet mich nach einem Stückchen von diesem Kalbfleisch.« Ricciardo antwortete: »Liebe Mutter, eilt nicht so, laßt erst andere den Anfang machen! Dann will ich Euren Wunsch erfüllen und Euch davon verschaffen. Aber ich möchte nicht der erste sein, der davon nimmt.« Die Mutter indes, die eine unbesonnene Frau war, beunruhigte ihn fortwährend mit ihren Wünschen, und aus Besorgnis, sie möchte am Ende einen anderen hinschicken und kaufen lassen, bestellte er eine Pastete und verschaffte sich eine Flasche mit Opium gemischten Wein, und als es Nacht war, machte er sich einen Bart und eine Kapuze und ging an den Ort, wo das Kalbfleisch verkauft wurde. Noch war das Kalb ganz unangegriffen, und als er gepocht hatte, fragte einer der Wächter: »Wer bist du?« Ricciardo entgegnete: »Könnt Ihr mir wohl sagen, wo ein gewisser Glück wohnt?« Einer von ihnen fragte weiter: »Was für ein Glück?« Ricciardo antwortete: »Seinen Geschlechtsnamen weiß ich nicht; Gott verdamm' mich, daß ich mit ihm zu tun haben mußte.« »Wer schickt dich denn?« fragte ihn ein anderer. »Seine Frau«, versetzte Ricciardo, »sie gab mir die Sachen da, um sie ihm zu überbringen, daß er zu Nacht speise. Aber tut mir doch den Gefallen und hebt sie mir auf, damit ich nach Hause gehe und Genaueres über seinen Aufenthalt erfahre. Ihr dürft Euch nicht wundern, daß ich es nicht weiß; ich bin erst seit kurzem hier.« Da ließ er ihnen die Pastete, das Brot und den Wein und tat, als ob er wegginge, indem er sagte: »Ich komme gleich wieder.« Sie nahmen diese Sachen, und einer von ihnen sagte: »Schau' doch, Glück ist freilich diesen Abend bei uns eingekehrt!« So setzte er die Flasche an den Mund und trank, reichte sie dann seinem Kameraden und sprach: »Zieh! Du hast noch nie besseren getrunken.« Der Kamerad trank, und während sie über den Vorfall plauderten, schliefen sie ein. Ricciardo, der an der Ritze der Tür lauschte, trat, sobald er sie schlafen sah, herein, nahm das Kalb, trug es ganz nach Hause und sagte zu seiner Mutter: »Nun schneidet Euch herunter, soviel Euch gelüstet!« Er zerlegte das Kalb, und die Mutter kochte davon eine große Schüssel voll. Sobald der Doge erfuhr, daß das Kalb gestohlen sei, und auf welche Art man sich bei dem Diebstahl benommen habe, wunderte er sich sehr und nahm sich fest vor, herauszubringen, wer es getan. Er ließ daher hundert arme Leute kommen, schrieb alle namentlich auf und sprach dann zu ihnen: »Geht in alle Häuser Venedigs und tut, als fordertet ihr Almosen, gebt aber acht, ob ihr in keinem Hause Fleisch kochen oder eine große Pfanne am Feuer seht, und seid so zudringlich, daß ihr nicht nachlasset, bis man euch Fleisch oder Brühe gibt. Wer von euch mir solches bringt, dem lasse ich zwanzig Florinen ausbezahlen.« Als nun die hundert Taugenichtse sich in der Stadt umher zerstreuten, um Almosen zu fordern, verfiel wirklich auch einer von ihnen auf das Haus dieses Ricciardo, und als er hinaufkam, sah er deutlich das Fleisch, das jene kochten, und erbat sich um Gottes willen ein Stückchen davon. Die Frau, welche ihre Fülle betrachtete, war unvorsichtig genug, ein Schnitzelchen abzugeben. Der Bettler dankte ihr und sprach: »Ich will Gott für Euch bitten.« So eilte er die Treppe hinunter. Ricciardo aber begegnete dem Armen auf der Treppe, und als er sah, daß er von dem Fleische in der Hand hielt, sprach er zu ihm: »Komm wieder mit herauf, ich will dir mehr geben.« Der Bettler stieg mit hinauf, Ricciardo aber führte ihn in eine Kammer, schlug ihn mit einem Beil auf den Kopf, und als er ihn getötet hatte, warf er ihn in den Abtritt und schloß das Haus. Am Abend kamen alle die Bettler zum Dogen zurück, wie sie versprochen hatten, und jeder von ihnen sagte, er habe nichts finden können. Der Doge ließ sie zählen und sich namentlich ausweisen; da fand er, daß einer fehle, wunderte sich, merkte aber gleich, woran er war, und sagte: »Der ist gewiß umgebracht worden.« Er versammelte den Rat und sprach: »Ich muß fürwahr wissen, wer das ist.« Da sagte einer der Räte: »Gnädiger Herr, Ihr habt es versucht mit dem Laster der Gefräßigkeit, versucht es auch mit dem Laster der Wollust!« Der Doge sprach: »Wer mehr weiß, tue auch mehr!« Es wurden also fünfundzwanzig Jünglinge der Stadt aufgeboten, die durchtriebensten und listigsten und die, welche der Doge am meisten im Verdacht hatte, und einer darunter war dieser Ricciardo. Als sie nun im Palaste behalten wurden, wunderten sie sich, und einer sagte zum anderen: »Warum behält uns denn der Doge hier?« Sofort ließ der Doge in einem Saale fünfundzwanzig Betten aufschlagen, von denen jeder dieser Jünglinge eines zum Schlafen bekam. Mitten im Saale aber ließ er ein prächtiges Bett errichten, in dem seine Tochter schlief, die das schönste Geschöpf von der Welt war. Und jeden Abend, sobald die Jünglinge schlafen gegangen waren, kamen die Kammerfrauen und brachten die Tochter des Dogen zu Bett. Der Vater aber hatte ihr eine Schale mit schwarzer Farbe gegeben und gesagt: »Wer zu dir ans Bett kommt, dem bestreiche das Gesicht, damit man ihn erkennt.« Darüber wunderte sich ein jeder, und keiner wagte, zu ihr zu gehen, denn er dachte: das ist fürwahr eine ernsthafte Geschichte. Ricciardo aber beschloß bei sich, einmal eine Nacht mit ihr zuzubringen, und als Mitternacht vorüber war und er sein Gelüste nicht mehr bändigen konnte, stand er ganz leise auf, ging an das Bett, in welchem sie lag, legte sich ihr zur Seite und fing an, sie zu umarmen und zu küssen. Das Mädchen erwachte, tippte sogleich mit dem Finger in die Schale und bestrich Ricciardos Gesicht, ohne daß er etwas merkte. Als er nun mit dem fertig war, weshalb er gekommen, und das gewünschte Vergnügen genossen hatte, kehrte er in sein Bett zurück und dachte bei sich: »Was hat das zu bedeuten? Was für eine List steckt wohl dahinter?« Nach einer Weile deuchte ihm die Kost schmackhaft, er bekam daher Lust, zu dem Mädchen zurückzukehren, und so tat er denn auch. Als er denn bei diesem Engel des Paradieses lag, kam sie zu sich, bestrich ihn und rieb ihm die Farbe ins Gesicht. Als Ricciardo das merkte, nahm er die Schale, die auf dem Kopfbrett der Bettstelle stand, ging damit überall umher und bestrich die anderen, die in den Betten lagen, ganz sanft, so daß keiner es merkte. Dem einen gab er zwei Striche, dem anderen sechs, dem dritten zehn und sich selbst vier weitere, außer den zweien, die ihm das Kind gemacht hatte. Dann setzte er die Schale wieder an das Kopfende des Bettes, verschaffte dem Mädchen unter großem Genusse einige Kurzweil und kehrte darauf in sein Bett zurück. Am Morgen kamen zeitig die Kammerfrauen an das Bett des Mädchens, um sie ankleiden zu helfen, und geleiteten sie darauf zum Herzog, der sie fragte, wie es gegangen sei. »Gut«, sagte die Tochter, »denn ich habe getan, was Ihr mir aufgetragen. Es ist allerdings einer dreimal zu mir gekommen, und jedesmal habe ich ihn beschmiert.« Der Doge sandte gleich nach den Männern aus, mit denen er sich beraten, und sagte: »Ich habe den guten Freund erwischt und darum habe ich zu euch geschickt; wir wollen miteinander hingehen und nachsehen.« Sie gingen in den Saal und beschauten bald diesen, bald jenen, und da sie alle beschmiert sahen, brachen sie in ein schallendes Gelächter aus. »Fürwahr«, sagten sie, »das ist der größte Schlaukopf, den man je gefunden hat.« Nur zu gut merkten sie, daß einer die anderen alle beschmiert hatte. Als nun einer wie der andere von diesen Jünglingen sich beschmiert sah, hatten sie untereinander den größten Jubel und Spaß darüber. Der Doge verhörte sie allesamt, und da er nicht ausforschen konnte, wer es gewesen, entschloß er sich dennoch, es herauszubringen. Er versprach also dem, der es gewesen sei, seine Tochter mit einer reichlichen Mitgift zur Ehe, dazu volle Verzeihung, da es nur ein Mann von schärfstem Verstande sein könne. Als nun Ricciardo den Entschluß des Dogen sah und vernahm, ging er insgeheim zu ihm und vertraute ihm alles von Anfang bis zu Ende. Der Doge umarmte ihn und vergab ihm, und unter großen Feierlichkeiten wurde ihm seine Tochter angetraut. Ricciardo faßte wieder Mut und wurde ein so hochherziger, wackerer und tüchtiger Mann, daß fast die ganze Staatsverwaltung in seine Hand kam. So lebte er noch lange in Frieden und geliebt von der ganzen Bürgerschaft Venedigs.


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