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Ghismonda und Guiscardo

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Tancredi, der Fürst von Salerno, wäre ein mildherziger und gutgesinnter Fürst gewesen, hätte er sich in seinen alten Tagen nicht noch die Hände mit dem Blute zweier Liebender besudelt. Es hatte derselbe während seines ganzen Lebens nur eine Tochter gehabt, und wohl ihm, hätte er auch sie nicht besessen. Der Vater liebte sie so zärtlich, als jemals eine Tochter von ihrem Vater geliebt ward, und nur um dieser Liebe willen, weil er es nicht übers Herz bringen konnte, sich von ihr zu trennen, verheiratete er sie selbst da noch nicht, als sie schon um mehrere Jahre die Mannbarkeit überschritten hatte. Endlich gab er sie zwar einem Sohne des Herzogs von Capua zur Frau, aber nach kurzer Ehe machte dessen Tod sie zur Witwe, und sie kehrte zum Vater zurück.

Sie war von Gesicht und Gestalt so schön, als je ein anderes Weib gewesen, und dabei jung, entschlossen und gescheit in höherem Maße, als einer Frau vielleicht taugen mag. Während sie nun bei dem zärtlichen Vater in Überfluß und Bequemlichkeit lebte, wie sie ihrem hohen Range geziemten, und gewahr ward, daß der Vater vor großer Liebe sich wenig bemühte, sie wieder zu verheiraten, beschloß sie, weil es ihr nicht schicklich deuchte, ihn um einen zweiten Mann anzusprechen, sich, wenn es geschehen könne, heimlich einen würdigen Geliebten zu verschaffen. So beschaute sie sich denn viele adelige und nichtadelige Männer, die am Hofe ihres Vaters, wie wir das an Höfen geschehen sehen, verkehrten, und beachtete das Betragen und die Sitten vieler unter ihnen. Vor allen anderen aber gefiel ihr ein junger Diener ihres Vaters, namens Guiscardo, der seiner Abkunft nach ziemlich gering, seinen Eigenschaften und seinem Betragen zufolge aber mehr als alle übrigen adelig zu nennen war, und in diesen verliebte sie sich, da sie ihn öfter sah und an seinem Wesen immer größeres Gefallen fand, in aller Stille auf das inbrünstigste. Auch hatte der junge Mann, dem, obwohl er nicht sehr erfahren, die Gesinnung der Dame nicht verborgen geblieben war, ihr sein Herz in solchem Maße zugewendet, daß er alle Gedanken, außer der Liebe zu ihr, aus seiner Seele fast gänzlich getilgt hatte.

Während nun beide einander auf solche Weise heimlich liebten, und die junge Dame nach nichts so sehr als nach einer Zusammenkunft mit ihm verlangte, dennoch aber ihre Liebe niemand anvertrauen wollte, erdachte sie sich eine eigenartige List, um ihn mit den Mitteln dazu bekannt zu machen. Sie schrieb nämlich einen Brief, in welchem sie ihm anzeigte, was er am folgenden Tage zu tun hätte, um zu ihr zu gelangen; dann steckte sie diesen in die Höhlung eines Rohres, das sie Guiscardo scherzend mit den Worten übergab: »Daraus magst du heute abend deiner Magd ein Blasrohr zum Feueranzünden machen.« Guiscardo erriet bald, daß sie es ihm nicht ohne Ursache gegeben und jene Worte dabei gesprochen haben werde; daher entfernte er sich sogleich und ging damit nach Hause, besah das Rohr und zerbrach es, als er es gespalten fand. Wie er nun innen ihren Brief entdeckt, ihn gelesen und die darin enthaltenen Vorschläge wohl in sich aufgenommen hatte, fühlte er sich als der glücklichste Mensch von der Welt und begann sogleich ins Werk zu setzen, was nötig war, um auf die angegebene Weise zu ihr zu gelangen.

Hart an dem fürstlichen Palaste war schon seit undenklichen Zeiten eine Höhle in den Felsen gehauen, die von einem künstlich durch die Wand des Felsens getriebenen Luftloche einiges Licht empfing. Weil indes die Höhle selbst vernachlässigt war, hatten aufgeschossene Dornen und Sträucher auch jenes Luftloch fast gänzlich verdeckt. In diese Höhle nun konnte man durch eine geheime Treppe, die von einem der von der Dame im Erdgeschoß bewohnten Zimmer des Palastes ausging, gelangen, obgleich der Eingang mit einer starken Tür verschlossen war. Auch war von der Treppe seit so undenklichen Zeiten kein Gebrauch gemacht, daß sie dem Gedächtnisse aller im Schlosse so gut wie entfallen war, und kaum einer sich erinnerte, daß sie vorhanden sei; dennoch aber hatte die Liebe, deren Auge das Verborgenste gewahr wird, sie in das Gedächtnis der liebenden Frau zurückgerufen. Damit indes niemand das mindeste gewahr würde, hatte sie sich tagelang mit den Werkzeugen, die ihr zur Hand waren, allein abgemüht, die Tür zu öffnen; dann war sie in die Höhle gegangen, hatte sich jenes Luftloch angesehen und Guiscardo geschrieben, daß er trachten möge, dort herunterzukommen, und zu diesem Zwecke ihm auch angegeben, wie tief es ungefähr von dort bis auf den Boden sein könne.

Zur Ausführung dieses Planes machte sich Guiscardo in aller Eile einen Strick mit allerhand Knoten und Schlingen zurecht, um daran herabzusteigen, zog einen ledernen Koller an, der ihn vor den Dornen schützen sollte, und machte sich dann, ohne jemanden ein Wort davon wissen zu lassen, in der nächsten Nacht auf den Weg nach jenem Luftloch. Hier befestigte er das eine Ende des Strickes an einen kräftigen Stamm, der hart am Rande stand, ließ sich alsdann in die Höhle hinab und erwartete die Dame. Diese stellte sich am anderen Tage, als wolle sie schlafen, hieß ihre Gesellschafterinnen sie verlassen und öffnete, nachdem sie sich eingeschlossen, die Tür zur Höhle, in der sie ihren Guiscardo fand. Beide begrüßten sich mit unbeschreiblicher Freude, gingen dann miteinander in das Zimmer und verbrachten dort den größten Teil des Tages unter dem lebhaftesten gegenseitigen Ergötzen. Als sie darauf sorgfältige Abrede getroffen, wie sie ihre Liebe fernerhin geheimhalten wollten, kehrte Guiscardo in die Höhle zurück, und die junge Dame suchte, nachdem sie die Tür verschlossen, ihre Gesellschafterinnen wieder auf. Guiscardo aber kletterte die folgende Nacht an seinem Stricke empor, kroch aus dem Luftloche, durch das er gekommen war, wieder heraus und ging nach Hause.

Wie er nun den Weg einmal gefunden hatte, legte er ihn im Verlaufe der Zeit noch oft auf dieselbe Weise zurück. Endlich aber verwandelte das Schicksal, das den Liebenden eine so lange und so große Freude nicht gönnte, durch ein trauriges Ereignis ihre Glückseligkeit in Jammer und Tränen.

Tancredi pflegte zuweilen ganz allein in das Zimmer seiner Tochter zu kommen, eine Zeitlang bei ihr zu bleiben und mit ihr zu sprechen und dann wieder zu gehen. So kam er denn auch eines Tages nach Tische, als die junge Dame, deren Name Ghismonda war, mit ihren Gesellschafterinnen im Garten weilte, herunter in ihr Zimmer, ohne daß ihn jemand gesehen und gehört hätte. Als er sie nicht fand, wollte er ihr Vergnügen nicht unterbrechen; die Fenster waren verschlossen und die Vorhänge des Bettes niedergelassen, und der alte Fürst setzte sich in eine Ecke zu Füßen des letzteren auf einen Schemel, lehnte das Haupt ans Bett, zog den Vorhang über sich, als hätte er sich absichtlich verbergen wollen, und schlief ein.

Während er noch schlief, verließ Ghismonda, die zu ihrem Unglück eben an jenem Tage Guiscardo zu sich beschieden hatte, ihre zwei Gesellschafterinnen, kehrte leise in ihr Zimmer zurück, verschloß es hinter sich und öffnete, ohne zu bemerken, daß jemand da sei, Guiscardo, der sie bereits erwartete, die Tür. Wie beide nun ihrer Gewohnheit nach sich zusammen niederlegten und miteinander scherzten und sich ergötzten, geschah es, daß Tancredi erwachte und sah, was Guiscardo und seine Tochter miteinander machten. Tief ergrimmt darüber, wollte er zuerst seinen Zorn darüber sogleich gegen sie ausschütten, dann aber zog er es vor, zu schweigen und womöglich verborgen zu bleiben, um später mit größerer Überlegung und geringerer Schande für sich selbst das auszuführen, was zu tun ihm bereits in den Sinn gekommen war.

Die Liebenden blieben in gewohnter Weise lange Zeit beieinander und wurden Tancredi immer noch nicht gewahr. Endlich standen sie auf, Guiscardo kehrte in die Höhle zurück, und die junge Dame verließ das Zimmer. Darauf ließ Tancredi, obgleich er schon alt war, sich aus einem Fenster des Zimmers in den Garten hinunter und erreichte, ohne von jemand beobachtet worden zu sein, tödlichen Gram im Herzen, sein Zimmer.

In der folgenden Nacht wurde Guiscardo auf seinen Befehl, als er um die Zeit des ersten Schlafes aus jenem Luftloche schlüpfen wollte, mit dem schweren ledernen Koller umpanzert, wie er war, von zwei Reisigen gefangen und heimlich vor Tancredi geführt. Als dieser seiner ansichtig wurde, sagte er zu ihm, fast bis zu Tränen erschüttert: »Guiscardo, meine Güte gegen dich hat den Schimpf und die Schande nicht verdient, die du mir, wie ich heute mit eigenen Augen sah, an dem Meinigen angetan hast.« Guiscardo antwortete ihm auf diese Worte weiter nichts als: »Amor vermag sehr viel mehr als Ihr und ich.«

Darauf befahl Tancredi, daß er in aller Stille in einem benachbarten Zimmer bewacht werde, und so geschah es. Tancredi ging, nachdem er viel und mancherlei Pläne erwogen hatte, am anderen Tage, bevor Ghismonda von dem Geschehenen das mindeste erfahren, seiner Gewohnheit zufolge, nach Tische auf das Zimmer seiner Tochter, ließ sie zu sich rufen, schloß sich mit ihr ein und sagte dann unter Tränen: »Ghismonda, ich glaubte deiner Tugend und Ehrbarkeit so gewiß zu sein, daß ich, von wem es mir auch gesagt worden wäre, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, mir niemals hätte träumen lassen, du könntest nur daran denken, dich einem Manne, der dir nicht angetraut wäre, zu ergeben, geschweige denn, du wärest fähig, es wirklich zu tun. Daß es nun dennoch geschehen ist, wird mir den kurzen Rest von Leben, den mein Alter mich noch erwarten läßt, auf immer verbittern. Wollte Gott nur wenigstens, daß, wenn du einmal zu solcher Sittenlosigkeit herabsinken solltest, du dir einen Mann erwählt hättest, der deinem hohen Adel geziemend gewesen wäre; so aber hast du unter so vielen, die an meinem Hofe verkehren, dir den Guiscardo, einen Menschen vom niedrigsten Stande, der an unserem Hofe sozusagen aus bloßem Erbarmen bis auf den heutigen Tag ernährt worden ist, ausgewählt und mich dadurch in die größten Sorgen gestürzt, da ich nicht weiß, was ich nach dem Geschehenen mit dir anfangen soll. Über Guiscardo, den ich diese Nacht, als er aus dem Luftloch der Höhle schlüpfte, festnehmen ließ und gefangen halte, steht mein Entschluß bereits fest; was aber aus dir werden soll, mag Gott wissen, denn ich weiß es nicht. Auf der einen Seite bewegt mich die Liebe, die ich von jeher zärtlicher für dich empfunden habe, als je ein Vater für seine Tochter, auf der anderen erregt mich der gerechte Zorn über deine große Torheit. Jene will, daß ich dir vergebe, dieser aber nötigt mich wider meine Natur, dich hart zu bestrafen. Bevor ich mich jedoch entschließe, will ich hören, was du selber über das Geschehene zu sagen hast.« Und mit diesen Worten senkte er das Haupt und weinte so heftig, wie ein Kind nach harten Schlägen es nur immer tun könnte.

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Ghismonda empfand über die Worte ihres Vaters, aus denen sie entnahm, daß nicht allein ihre geheime Liebe entdeckt, sondern auch ihr Guiscardo gefangen sei, unbeschreiblichen Schmerz und war oft nahe daran, demselben nach Art der meisten Weiber in Tränen und lautem Wehklagen Luft zu machen; dennoch aber besiegte sie diese Schwäche, behielt die Züge ihres Gesichtes mit wunderbarer Festigkeit in ihrer Gewalt und nahm sich, in der Meinung, daß ihr Guiscardo schon umgebracht wäre, vor, lieber ihr Leben lassen zu wollen, als die geringste Bitte für sich zu tun.

Demzufolge antwortete sie ihrem Vater nicht wie ein betrübtes oder ihres Vergehens bezichtigtes Weib, sondern fest und unbekümmert, mit trockenen Augen und sicheren, ruhigen Zügen folgendermaßen: »Tancredi, ich bin weder gesonnen zu leugnen, noch zu bitten; denn das eine würde und das andere soll mir nichts nützen. Auch will ich deine Liebe und Milde durch nichts auf der Welt für mich zu erregen suchen; vielmehr bin ich entschlossen, zuerst die Wahrheit zu gestehen und meine Ehre mit genügenden Gründen zu verteidigen, dann aber meine Seelengröße durch Taten auf das nachdrücklichste zu bewähren. Es ist wahr, daß ich Guiscardo geliebt habe, ihn noch liebe und ihn, nicht nur solange ich noch am Leben bleibe, was nicht lange sein wird, sondern wenn man nach dem Tode noch liebt, auch alsdann zu lieben nie aufhören werde. Zu dieser Liebe hat mich indes nicht sowohl meine weibliche Schwäche, als deine Saumseligkeit, mich zu verheiraten, verbunden mit seiner Trefflichkeit, getrieben. Da du selber, Tancredi, von Fleisch und Blut bist, so mußtest du wissen, du habest eine Tochter erzeugt, die aus Fleisch und Blut und nicht aus Eisen oder Stein besteht; du mußtest dich erinnern und mußt es noch heute tun, obwohl du jetzt alt geworden bist, auf welche Weise und mit welcher Kraft die Gesetze der Natur die Jugend bestürmen; und wenn du gleich als Mann einen Teil deiner besten Jahre in Waffenübungen verbracht hast, so konnte dir doch nicht unbekannt bleiben, was Muße und Überfluß über Bejahrte, geschweige denn über junge Leute vermögen. Nun bin ich als deine Tochter von Fleisch und Blut, und weit entfernt, verlebt zu sein, vielmehr noch jung an Jahren, und aus beiden Gründen voll sinnlichen Verlangens, dessen Stärke besonders dadurch auf das äußerste gesteigert worden ist, daß ich schon einmal verheiratet gewesen und dadurch gewahr geworden bin, welche Wollust es ist, jenes Verlangen zu befriedigen. So entschloß ich mich denn, da ich doch jenen Angriffen nicht zu widerstehen vermochte, als das schwache junge Weib, das ich war, zu tun, wozu sie mich verlockten, und verliebte mich wirklich. Aber wahrlich, ich bot dabei alle meine Kräfte auf, soweit ich es zu verhindern imstande wäre, durch den Fehltritt, zu dem die Natur mich nötigte, weder dir noch mir Schande zu bereiten. Auch hatten Amors Mitleid und meines Geschickes Gunst mir so verborgene Wege erspäht und gewiesen, daß ich zum Ziele meiner Wünsche gelangte, ohne daß jemand etwas davon gewahr geworden wäre. Dies alles leugne ich nicht, wer dir auch jene Kunde hinterbracht hat, oder wie du sonst das Geschehene erfahren hast. Übrigens habe ich mich Guiscardo nicht, wie viele tun, aufs Geratewohl ergeben; nein, ich habe ihn nach sorgfältiger Überlegung vor vielen anderen erwählt, ihn mit vollem Bedacht zu mir eingeführt und mit kluger Beharrlichkeit von beiden Seiten mich lange der Erfüllung meiner Wünsche gefreut. Daß ich eben ihn mir ausersehen, scheinst du noch außer meinem Fehltritte an sich (weil du auf die gemeine Meinung mehr Wert legst als auf die Wahrheit) mir mit besonderer Bitterkeit vorzuwerfen, wenn du sagst, ich habe mich mit einem Menschen geringen Standes eingelassen, als ob du mir nicht gezürnt haben würdest, wenn ich mir einen Edelmann zu gleichem Umgang gewählt hätte. Dabei berücksichtigst du aber nicht, daß du keineswegs mich eines Unrechtes zeihst, sondern allein das Schicksal, welches nur allzuoft die Unwürdigen erhebt und die Würdigsten in der Tiefe läßt. Aber schweigen wir jetzt davon, und fasse für einen Augenblick das Wesen der Dinge ins Auge, so wirst du erkennen, daß unser aller Fleisch aus einem Stoffe besteht, und daß unsere Seelen alle von ein und demselben Schöpfer mit gleichen Fähigkeiten, gleichen Anlagen und gleichen Eigenschaften ausgestattet worden sind. Erst die Tugend hat uns, die wir gleich geboren wurden und noch werden, unterschieden, und diejenigen, welche sie im höheren Grade besaßen und übten, wurden edel genannt, während die übrigen unedel blieben. Wenn nun gleich späterhin widersprechende Gebräuche dieses Grundgesetz verhüllt haben, so ist es darum weder aufgehoben, noch aus der Natur und den edlen Sitten getilgt. Der also beweist unwiderleglich seinen Adel, der tugendhaft handelt, und wer ihn dann anders nennt, der ladet auf sich und nicht auf den fälschlich Genannten einen Makel. Tue dich unter allen deinen Edelleuten um, erwäge ihre Eigenschaften, ihre Sitten, ihr Betragen und stelle ihnen Guiscardo mit den seinigen gegenüber; willst du dann leidenschaftslos richten, so mußt du ihn hochadlig, deine Edelleute aber alle gemein nennen. Was übrigens Guiscardos Tugenden und seinen Wert betrifft, so habe ich mich darin auf niemandes Urteil, als allein auf deine Worte und meine Augen verlassen. Wer lobte ihn wohl je so lebhaft, als du ihn wegen alles dessen gepriesen hast, was an einem wackeren Manne des Lobes wert ist? Und wahrlich, du tatest nicht unrecht daran; denn, täuschten meine Augen mich nicht, so hast du ihm keinen Lobspruch erteilt, den ich nicht von ihm durch die Tat viel herrlicher hätte rechtfertigen sehen, als deine Worte es auszudrücken vermochten. Hätte ich mich aber hierbei dennoch irgendwo betrogen, so wärst du es gewesen, der mich getäuscht hätte. Willst du nun noch sagen, ich habe mich mit einem Menschen von niedrigem Stande eingelassen? Gewiß, du sprächst die Unwahrheit. Sagtest du aber vielleicht: mit einem armen Manne, so könntest du allerdings zu deiner Schande einräumen, daß du einen trefflichen Menschen in deinen Diensten nicht besser befördert hast; doch Armut beraubt niemanden des Adels, sondern nur des Besitzes. Viele Könige, viele große Fürsten sind arm gewesen, und viele, die hinterm Pfluge gehen oder das Vieh hüten, waren und sind überreich. Das letzte Bedenken, das du erwähntest, was du nämlich mit mir machen solltest, laß nur ganz fallen. Bist du in deinem späten Alter gesonnen, zu tun, was du in deiner Jugend nicht pflegtest; willst du hart und grausam verfahren, so übe an mir, als der ersten Ursache dieses Vergehens, wenn meine Tat anders als ein solches zu bezeichnen ist, immerhin deine Härte; denn ich bin entschlossen, mit keinem Wort deine Milde in Anspruch zu nehmen. Auch beteure ich dir, daß ich, was du auch Guiscardo angetan hast oder antun wirst, mir im Falle du es nicht tust, mit meinen Händen dasselbe bereiten werde. Wohlan denn, weine, wenn du willst, gleich Weibern, und verschließe, wenn du glaubst, daß wir es verdient haben, dem Mitleiden dein Herz, und töte uns beide mit einem Schlage!«

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Der Fürst erkannte aus dieser Rede die Seelengröße seiner Tochter, glaubte sie aber dennoch zu dem, was sie angedeutet hatte, nicht so fest entschlossen, als in ihren Worten lag. Deshalb gab er, als er sie verließ, den Gedanken, seine Härte an ihr selber auszulassen, zwar völlig auf, beabsichtigte aber dafür, ihre glühende Liebe durch andere Schläge abzukühlen, und befahl zu dem Ende den zweien, die Guiscardo bewachten, diesen in der nächsten Nacht zu erdrosseln, ihm das Herz aus dem Leibe zu nehmen und es ihm, dem Fürsten, zu bringen. Die Wächter taten genau, wie ihnen befohlen war; der Fürst aber ließ sich am anderen Tage eine große schöne goldene Schale reichen, tat in diese Guiscardos Herz und schickte sie alsdann seiner Tochter durch einen vertrauten Diener, dem er auftrug, wenn er ihr die Schale übergäbe, zu sagen: »Das schickt dir dein Vater, um dir an dem, was du am meisten liebst, ebensoviel Freude zu bereiten, als du ihm an dem gewährt hast, was er am liebsten hatte.«

Ghismonda hatte sich inzwischen, unerschüttert in ihrem schrecklichen Vorsatze, sobald ihr Vater von ihr gegangen war, giftige Wurzeln und Kräuter bringen lassen, diese abgekocht und ein Wasser daraus bereitet, das sie zur Hand haben wollte, sobald, was sie fürchtete, geschähe. Wie nun der Diener mit dem Geschenke und den Worten des Fürsten vor sie kam, nahm sie mit unverändertem Gesichte die Schale und war, sobald sie dieselbe aufdeckte, das Herz erblickte und jene Worte vernahm, gleich völlig überzeugt, es sei Guiscardos Herz. Deshalb blickte sie zu dem Diener auf und sagte: »Wahrlich, einem Herzen wie dieses ziemte kein geringeres Grab, als ein goldenes. Darin hat mein Vater verständig gehandelt.« Und nach diesen Worten führte sie es zum Munde, küßte es und sagte: »Mein Vater hat mir von jeher und bis zu diesem letzten Augenblicke meines Lebens in allen Dingen die zärtlichste Liebe bewiesen, jetzt tut er es mehr denn je zuvor. Bestelle ihm daher für dieses große Geschenk den letzten Dank, den ich ihm jemals sagen werde.«

Als sie so gesprochen hatte, wandte sie sich wieder der Schale zu, die sie noch fest in den Händen hielt, und sagte, während sie unverwandt das Herz anblickte: »O geliebtester Wohnort aller meiner Freuden, Fluch über die Grausamkeit dessen, der schuld daran ist, daß ich dich mit körperlichen Augen sehe. Genügte es mir doch, dich mit den Augen des Geistes immerdar anzuschauen. Du hast nun deinen Lauf beendet und vollbracht, was dein Geschick dir bestimmt hatte. Du bist zu dem Ziele gediehen, dem ein jeder entgegengeht. Alles Elend und alle Mühen dieser Welt hast du hinter dir gelassen und von deinem Feinde selber ein Grab gefunden, wie es deinem Werte gebührt. Nichts fehlt dir nun zu deiner vollen Bestattung als die Tränen derjenigen, die du im Leben so zärtlich geliebt hast; damit aber auch diese dir zu Teil würden, gab Gott es meinem unbarmherzigen Vater ein, daß er dich mir schickte, und ich will sie dir gewähren, wenngleich ich mir vorgenommen hatte, mit trockenen Augen zu sterben und durch keinen Schauder meine Züge verändern zu lassen. Werde ich dir meine Tränen gezollt haben, so will ich ohne Säumen dazu tun, daß durch deine Hilfe sich meine Seele mit derjenigen, die einst von dir so sorgsam beherbergt ward, vereinige. Und unter welchem Geleite könnte ich wohl zufriedener und sicherer in jenes unbekannte Land gehen, als unter dem ihrigen? Ich glaube, sie weilt noch hier innen und betrachtet den Schauplatz ihrer und meiner Freuden, und da ich gewiß bin, sie liebt mich noch, so erwartet sie wohl meine Seele, die ihr auf das zärtlichste anhängt.«

Als sie so gesprochen hatte, begann sie, ohne nach Art der Frauen laut zu klagen, über die Schale geneigt, unter tausend Küssen, die sie dem toten Herzen gab, einen solchen Strom von Tränen zu vergießen, daß es wunderbar zu sehen war und nicht anders schien, als sei in ihrem Haupte ein Wasserquell. Ihre Gesellschafterinnen, die um sie herumstanden, begriffen weder, was das für ein Herz sei, noch was die Worte ihrer Herrin zu bedeuten hätten. Dennoch aber weinten sie alle aus Mitleiden, fragten sie teilnehmend, aber vergebens nach der Ursache ihrer Tränen und beeiferten sich noch viel mehr zu tun, was sie nur wußten und konnten, um sie zu trösten.

Die Prinzessin aber richtete ihr Haupt, als sie genug geweint zu haben glaubte, wieder auf, trocknete sich die Augen und sagte: »O vielgeliebtes Herz, nun sind alle meine Pflichten gegen dich vollendet, und mir bleibt nichts weiter zu tun übrig, als daß ich mit meiner Seele komme, der deinen Gesellschaft zu leisten.« Und mit diesen Worten ließ sie sich das irdene Gefäß reichen, in dem sich das Wasser befand, das sie am Tage zuvor bereitet, schüttete es in die Schale, in der das Herz von ihren vielen Tränen gebadet lag, setzte sie ohne jede Furcht an den Mund und trank sie völlig leer. Dann aber bestieg sie, die Schale in der Hand, ihr Bett, nahm die anständigste Lage an, die sie ihrem Körper zu geben wußte, drückte das Herz des toten Geliebten an das ihrige und erwartete so, ohne ein Wort zu reden, ihren Tod.

Inzwischen hatten ihre Gesellschafterinnen, obgleich sie nicht wußten, was für ein Wasser Ghismonda getrunken, alles, was sie mit angesehen und gehört hatten, Tancredi hinterbracht. Dieser eilte, von der Ahnung des Geschehenen getrieben, in das Zimmer der Tochter und trat in dem Augenblicke ein, wo sie sich auf ihr Bett niederlegte. Nun es zu spät war, sprach er ihr mit liebreichen Worten Trost zu und fing, als er erkannte, wie weit es mit ihr gekommen war, bitterlich zu weinen an. Ghismonda aber sagte zu ihm: »Tancredi, spare deine Tränen für ein Unglück auf, das du nicht, wie dieses, selber herbeigeführt hast, und verschwende sie nicht an mich, die ich dergleichen nicht begehre. Wer außer dir möchte auch wohl über das weinen, was er selbst gewollt hat? Wenn aber dennoch eine Spur von der Liebe, die du für mich empfandest, noch in dir lebt, so gewähre mir als letzte Gunst, daß, wenn du nicht dulden wolltest, daß ich stillschweigend und verborgen mit Guiscardo lebte, nun mein Leib wenigstens mit dem seinen, wohin du ihn immer hast werfen lassen, öffentlich zusammen ruhe.«

Der Drang der Tränen gestattete dem Fürsten nicht zu antworten. Ghismonda aber fühlte, daß ihr Ende gekommen sei, drückte noch einmal das tote Herz an ihre Brust und sagte: »Lebt mit Gott, ich scheide.« Da verschleierten sich ihre Augen, ihre Sinne schwanden, und sie schied aus diesem Leben des Leidens.

Ein so trauriges Ende nahm Guiscardos und Ghismondas Liebe. Tancredi aber bereute seine Grausamkeit zu spät mit vielen Tränen und ließ die beiden Leichen, unter allgemeinem Bedauern der Salernitaner, ehrenvoll in einem und demselben Grabmal bestatten.


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