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Kapitel III.

Château de Clisson. – ... Auf einem Hügel, an dessen Fuß sich zwei Flüsse vereinigen, in einer frischen Landschaft, erheitert durch die klaren Farben der Ziegeldächer, die nach italienischer Manier flach sind und gruppiert wie in Huberts Skizzen, in der Nähe einer langen Kaskade, die eine Mühle dreht, ganz im Laub verborgen, zeigt das Schloß von Clisson sein schartiges Haupt über den großen Bäumen. Ringsum ist es ruhig und still. Die Häuschen lachen wie unter einem warmen Himmel; die Wasser machen ihr Geräusch, der Gischt spritzt auf einem Bach, an dem sich weiche Büschel Grüns benetzen. Der Horizont zieht sich auf der einen Seite in eine fliehende Perspektive von Wiesen hin und steigt auf der andern plötzlich empor, eingeschlossen von einem kleinen bewaldeten Tal, von dem eine grüne Woge zermalmt wird und bis unten hinabrollt.

Wenn man die Brücke überschritten hat und am Fuß des steilen Pfades steht, der zum Schloß hinaufführt, sieht man aufrecht, verwegen und hart über dem Graben, wo es sich mit zähem und furchtbarem Ausdruck aufstützt, ein großes Mauerstück, das mit aufgerissenen Pechnasen ganz bekrönt ist, ganz besetzt mit Bäumen, ganz behangen mit Efeu, dessen weite und frischgehaltene Masse, vom grauen Stein in Spalten und Spindeln durchschnitten, in ganzer Länge im Winde erschauert und einem ungeheuren Schleier gleicht, den der schlafende Riese im Traum auf seinen Schultern bewegt. Das Gras ist hoch und dunkel, die Pflanzen sind kräftig und schroff; der knotige, runzlige, gewundene Stamm des Efeus hebt die Mauern wie mit Hebeln empor, oder er hält sie im Netz seines Astwerks zusammen. An einer Stelle hat ein Baum die ganze Dicke der Mauer durchbrochen und hat, horizontal vorspringend und in der Luft hängend, die Strahlen seiner Zweige nach draußen entsandt. Die Gräben, deren Böschung sich durch die Erde mildert, die vom Rand abbröckelt, und durch die Steine, die von den Zinnen fallen, zeigen eine Kurve, weit und tief wie der Haß und wie der Hochmut; und das Eingangstor mit seinem kräftigen, ein wenig runden Spitzbogen und (einen beiden Öffnungen, die dienten, um die Zugbrücke aufzuziehen, sieht aus wie ein großer Helm, der durch die Löcher seines Visiers blickt.

Tritt man ins Innere, so ist man überrascht, verwundert über das erstaunliche Gemisch der Ruinen und der Bäume; die Trümmer bringen die grünende Jugend der Bäume zur Geltung, und dieses Grün macht die Trauer der Trümmer nur herber. Hier ist das ewige und schöne Lachen, das schallende Lachen der Natur auf dem Skelett der Dinge; hier ist der Übermut ihres Reichtums, die tiefe Anmut ihrer Phantasmen sind die melodiösen Einfälle ihres Schweigens. Ein ernster und träumerischer Enthusiasmus ergreift einem die Seele; man fühlt, daß der Saft in den Bäumen rinnt, und daß das Gras mit der gleichen Kraft und dem gleichen Rhythmus wächst, wie die Steine zerbröckeln und die Mauern zerfallen. (Eine erhabene Kunst hat im höchsten Einklang der sekundären Dissonanzen die schweifende Form des (Efeus auf dem gewundenen Umriß der Ruinen angeordnet, das Haar der Brombeersträucher auf dem Wirrwarr der eingestürzten Steine, die Transparenz der Luft über den festen Ausladungen der Massen, den Ton des Himmels über dem Ton des Bodens, die beide ihr Gesicht im andern spiegeln, was war und was ist. Stets offenbaren so die Geschichte und die Natur, indem sie ihn in diesem engumschriebenen Winkel der Welt erfüllen, den unaufhörlichen Zusammenhang, die endlose Ehe zwischen der Menschlichkeit, die entfliegt, und dem Gänseblümchen, das wächst, zwischen den Sternen, die sich entzünden, und den Menschen, die einschlafen, zwischen dem Herzen, das pocht, und der Woge, die steigt. Und das ist hier an diesem Ort so deutlich durchgeführt, so vollständig, so dialogisiert, daß man innerlich erbebt, als wirke dieses Doppelleben in einem selber, so sehr drängt sich die Wahrnehmung dieser Harmonien und dieser Entwickelungen auf; denn auch das Auge hat seine Orgien und die Idee ihre Freudenfeste.

Am Fuß zweier großer Bäume, deren Stamme sich kreuzen, fließt wie eine leuchtende Woge ein grünes Licht über das Moos und erwärmt diese ganze Einsamkeit. Zu Häupten sendet eine Blätterkuppel, die der Himmel durchlöchert, der in Azurfetzen darüber absticht, ein grünliches und klares Licht hernieder, das, von den Mauern eingeschlossen, all ihre Trümmer reichlich erleuchtet, ihre Falten ausforscht, ihre Schatten verdichtet, alle ihre verborgenen Feinheiten entschleiert.

Schließlich tritt man hervor, man geht zwischen diesen Mauern, unter diesen Bäumen einher, man wendet sich wieder fort, man irrt die Außenwerke entlang und tritt unter die berstenden Arkaden, von denen aus sich eine große schaudernde Pflanze verbreitet. Die überfüllten Gewölbe, die die Toten enthalten, erdröhnen unter den Schritten; die Eidechsen laufen unter den Büschen, die Insekten steigen die Mauern entlang, der Himmel glänzt, und die eingelullte Ruine setzt ihren Traum fort.

Mit seinem dreifachen Gürtel, seinen Erkern, seinen inneren Höfen, seinen Pechnasen, seinen Kellergewölben, seinen Wällen, die wie Rinde auf Rinde und Küraß auf Küraß übereinandergelegt sind, läßt sich das alte Schloß der Clisson noch rekonstruieren und wieder zeigen. Die Erinnerung an die Existenzen von ehemals fließt mit der Ausdünstung der Nesseln und der Frische des Efeus von seinen Mauern herab. Andere Menschen als wir haben da drinnen ihre heftigeren Leidenschaften bewegt; sie hatten stärkere Hände, weitere Brüste.

Lange schwarze Striche steigen noch in Diagonalen die Wände hoch, wie zu der Zeit, da die Scheite in den achtzehn Fuß weiten Kaminen flammten. Symmetrische Löcherreihen im Mauerwerk bezeichnen die Stelle der Stockwerke, zu denen man einst auf Wendeltreppen emporstieg, die zerbröckeln und die ihre leeren Türen auf den Abgrund öffnen. Bisweilen senkte sich ein Vogel, der aus seinem in den Ranken aufgehängten Neste aufflog, mit ausgebreiteten Flügeln nieder und schwebte durch den Bogen eines Fensters, um in die Felder hinauszuziehen.

Hoch oben in einem ragenden, ganz nackten, grauen, trockenen Mauerstück ließen viereckige, nach Größe und Anordnung unregelmäßige Fensteröffnungen durch ihre gekreuzten Stangen die reine Farbe des Himmels glänzen, dessen lebhaftes Blau, vom Stein eingerahmt, das Auge mit überraschendem Reiz anzog. Die Schwalben ließen in den Bäumen ihr gellendes und wiederholtes Geschrei hören. Mitten in all dem weidete eine Kuh, die darinnen wie auf einer Wiese ging, und ihren gespalteten Huf auf dem Grase spreizte.

Man sieht ein Fenster, ein großes Fenster, das sich auf eine Wiese öffnet, die man die Wiese der Ritter nennt. Von da aus, von einer Steinbank, die in die Dicke der Mauer eingelassen war, konnten die großen Damen von damals die Ritter sehen, die nach der eisengepanzerten Brust ihrer Pferde stießen, und die Streitkolben, die auf die Helmstutzen niedersausten, die Lanzen, die zerbrachen, die Männer, die auf den Rasen sanken. Vielleicht hat an einem schönen Sommertag wie heute, als noch die Mühle da, die ihr Geklapper klappert und die ganze Landschaft in Geräusch versetzt, nicht existierte, als noch Dächer über diesen Mauern standen, und flandrische Leder auf den Wänden hingen, als in diese Fenster Wachsleinwand gespannt und weniger Gras zu sehen, aber Stimmen und Lärm von Lebendigen zu hören waren, ja, vielleicht hat da mehr als ein in sein Mieder aus rotem Samt gepreßtes Herz ebendort vor Angst und Liebe gepocht. Wundervolle weiße Hände haben auf diesem Stein, den jetzt die Nesseln bedecken, vor Furcht gebebt, und die gestickten Schleifen der großen Hauben haben in diesem Wind gezittert, der die Enden meiner Halsbinde bewegt, und der den Federbusch der großen Herren beugte.

Wir sind in die Keller hinuntergestiegen, wo Johann V. eingeschlossen wurde. Im Kerker der Männer haben wir noch an der Decke den großen Doppelhaken gesehen, der zum Hängen diente; und wir haben mit neugierigen Fingern die Tür zum Kerker der Frauen betastet. Sie ist etwa vier Zoll dick, durch Schrauben zusammengehalten, mit Eisen geklammert, belegt und gleichsam gepolstert. In der Mitte diente ein kleines vergittertes Türchen, um in das Verlies zu werfen, was nötig war, damit die Verurteilte nicht starb. Das öffnete man, und nicht die große Tür, die, der diskrete Mund der furchtbarsten Vertraulichkeiten, von jenen war, die sich immer schließen und sich niemals öffnen. Es war die gute Zeit für den Haß! Wenn man damals einen haßte, wenn man ihn in einem Überfall aufgehoben oder bei einer Zusammenkunft durch Verrat genommen hatte, aber wenn man ihn endlich hatte, ihn hielt, dann konnte man ihn nach Gefallen zu jeder Stunde, zu jeder Minute sterben fühlen, seine Ängste zählen, seine Tränen trinken. Man stieg in seinen Kerker hinunter, man sprach mit ihm, man feilschte über seine Strafe, um über seine Qualen zu lachen, man erörterte sein Lösegeld; man lebte auf seine Kosten, von ihm, von seinem Leben, das erlosch, von seinem Gold, das man ihm nahm. Der ganze Wohnsitz, von der Höhe der Türme an bis zum Fuß der Gräben, lastete auf ihm, zermalmte ihn, begrub ihn; und die Familienrachen wurden so erfüllt, in der Familie, und durch das Haus selber, das ihre Kraft ausmachte und ihre Idee symbolisierte.

Bisweilen jedoch, wenn dieser Unglückliche, der dort lag, ein großer Herr war, ein reicher Mann, wenn er sterben wollte, wenn man seiner satt war, und wenn alle Tränen seiner Augen den Haß seines Herrn gleichsam erfrischend zur Ader gelassen hatten, redete man davon, ihn loszulassen. Der Gefangene versprach alles; er wollte die Burgen zurückerstatten, er wollte die Schlüssel seiner besten Städte aushändigen, er wollte seine Tochter zur Ehe geben, er wollte Kirchen dotieren, er wollte zu Fuß zum Heiligen Grabe ziehen. Und Geld! Geld außerdem! Er wollte durch die Juden welches schaffen lassen! Dann unterschrieb man den Vertrag, man gegenzeichnete ihn, man datierte ihn voraus; man brachte Reliquien herbei, man schwor darüber, und der Gefangene sah die Sonne wieder. Er bestieg ein Pferd, ritt im Galopp davon, kam nach Hause, ließ das Fallgatter senken, rief seine Leute herbei und hakte das Schwert los. Sein Haß brach in wilden Explosionen nach außen. Es war der Moment des erschreckenden Zorns und der siegreichen Wut. Der Schwur? der Papst befreite von ihm, und das Lösegeld, das zahlte man nicht!

Als Clisson im Schloß von l'Hermine eingesperrt war versprach er, um hinauszukommen, hunderttausend Goldfranken, die Herausgabe der Orte, die dem Herzog von Penthièvre gehörten, die Nicht-Vollziehung der Ehe seiner Tochter Marguerite mit dem Herzog von Penthièvre. Und sowie er draußen war, begann er damit, daß er Chatelaudren, Guincamp, Lamballe und Saint-Malo angriff, die genommen wurden oder kapitulierten. Der Herzog von Penthièvre heiratete seine Tochter, und die hunderttausend Goldfranken, die er gezahlt hatte, gab man ihm zurück. Aber zahlen mußten sie die Völker der Bretagne.

Als Johann V. an der Brücke von Loroux vom Grafen von Penthièvre aufgehoben war, versprach er ein Lösegeld von einer Million; er versprach seine älteste Tochter, die bereits mit dem König von Sizilien verlobt war. Er versprach Montcontour, Sesson und Ingan und so weiter; er gab weder seine Tochter, noch das Geld, noch die festen Plätze. Er hatte gelobt, zum Heiligen Grabe zu pilgern. Er entledigte sich des Gelübdes durch einen Stellvertreter. Er hatte gelobt, weder Steuern noch Subsidien mehr zu erheben; der Papst entband ihn davon. Er hatte gelobt, Notre-Dame von Nantes sein Gewicht in Gold zu geben; aber da er fast zweihundert Pfund wog, geriet er tief in Schulden. Mit allem, was er zusammenraffen und fassen konnte, bildete er schnell eine Liga und zwang die Penthièvre, ihm jenen Frieden abzukaufen, den sie verkauft hatten.

Jenseits der Sèvre, an der er sich die Füße netzt, bedeckt ein Wald den Hügel mit seiner grünen und frischen Masse; es ist die »Garenne«, ein trotz der künstlichen Schönheiten, die man dort hat einführen wollen, an sich sehr schöner Park. M. Semot (der Vater des gegenwärtigen Besitzers, ein Maler des Empire und Hofkünstler) hat dort nach Kräften gearbeitet, um jenen kalten, italienischen, republikanischen, römischen Geschmack zu reproduzieren, der zur Zeit Tanovas und der Madame de Staël sehr Mode war. Man war pomphaft, grandios und vornehm. Es war die Zeit, da man auf den Gräbern Urnen meißelte, wo man alle Welt mit dem Mantel und dem Haar im Winde malte, wo Corinne zur Leyer sang, an Oswalds Seite, der russische Stiefel trug, und wo man schließlich auf allen Köpfen viel wirres Haar sehn mußte, und in allen Landschaften viele Ruinen.

Diese Art von Schönheiten fehlt der Garenne nicht. Man findet einen Vestatempel und gegenüber einen Tempel der Freundschaft.

... Die Inschriften, die zusammengesetzten Felsen, die künstlichen Ruinen sind hier mit Naivität und Überzeugung ausgestreut ... Aber alle poetischen Reichtümer sind in Heloisens Grotte vereinigt, einer Art natürlichem Dolmen am Ufer der Sèvre.

... Weshalb hat man nur aus dieser Gestalt der Heloise, die eine so edle und hohe Gestalt war, etwas Banales und Albernes gemacht, den faden Typus jeder durchkreuzten Liebe und gleichsam das enge Ideal des sentimentalen kleinen Mädchens? Sie verdiente doch besseres, diese arme Geliebte des großen Abälard, sie, die ihn mit so hingebender Bewunderung liebte, obgleich er hart war, obgleich er finster war und ihr weder Bitternisse noch Schläge ersparte. Sie fürchtete mehr, ihn zu verletzen als Gott selber, und sie wünschte ihm mehr zu gefallen als Gott. Sie wollte nicht, daß er sie zur Frau nahm, denn sie fand: »es sei unpassend und beklagenswert, wenn den, den die Natur für alle Werke geschaffen hatte ... wenn den eine Frau für sich allein nahm«. Denn sie fühlte, sagte sie, »mehr Süße bei diesem Namen der Geliebten und Konkubine als bei dem der Gattin, als bei dem der Kaiserin, und wenn sie sich in ihm demütigte, hoffte sie, in seinem Herzen mehr zu gewinnen«

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Der Park ist darum nicht minder ein entzückender Ort. Die Alleen schlängeln sich im Dickicht und die Baumgruppen reichen in den Fluß zurück. Man hört das Wasser fließen, man fühlt die Frische der Blätter. Wenn uns der schlechte Geschmack, der sich dort findet, gereizt hat, so war es, weil wir von Clisson kamen, denn das ist von einer echten Schönheit, so solide und so einfach, und dann, weil dieser schlechte Geschmack schließlich nicht mehr unser schlechter Geschmack ist. Aber was ist denn der schlechte Geschmack? Er ist unweigerlich der Geschmack der Epoche, die uns vorausgegangen ist. Der schlechte Geschmack der Zeit Ronsards war Marot; der Zeit Boileaus Ronsard; der Zeit Voltaires Corneille, und Voltaire war es zur Zeit Chateaubriands, den zu dieser Stunde viele Leute ein wenig schwach zu finden beginnen. O, ihr Leute von Geschmack in zukünftigen Jahrhunderten! ich empfehle euch die Leute von Geschmack von heute. Ihr werdet ein wenig lachen über ihre Magenkrämpfe, über ihre superbe Verachtung, über ihre Vorliebe fürs Kalb und für die Milchkur, und über die Grimassen, die sie schneiden, wenn man ihnen blutiges Fleisch und zu heiße Poesien vorsetzt.

Da, was schön ist, häßlich sein wird, da, was graziös ist, dumm, was reich ist, arm erscheinen wird, so werden unsere entzückenden Boudoirs, unsere reizenden Salons, unsere hinreißenden Kostüme, unsere interessanten Feuilletons, unsere packenden Dramen, unsere ernsten Bücher – o! o! wie man uns auf den Speicher sperren wird, wie man Makulatur, Papier, Dünger, Mist daraus machen wird! O Nachwelt! vergiß vor allem nicht unsere gotischen Wohnzimmer, unsere Renaissancemöbel, die Reden M. Pasquiers, die Form unserer Hüte und die Ästhetik der Revue des Deux Mondes!

Während wir uns diesen hohen philosophischen Betrachtungen überließen, zog unser Wagen uns bis Tiffanges. Beide in einer Art Weißblechwanne sitzend, marterten wir mit unserm Gewicht das unmerkliche Pferd, das in der Deichselgabel wogte. Es war das Zappeln eines Aals im Leibe einer Berberratte. Senkungen schoben es vorwärts, Steigungen zogen es zurück, Ränder schleuderten es zur Seite, und der Wind bewegte es unter dem Hagel der Peitschenhiebe. Das arme Tier! Ich kann nicht ohne Gewissensbisse daran denken.

Der in den Hügel geschnittene Weg senkt sich in Windungen, an den Rändern mit dichten Stechginsterbüschen oder mit den breiten Zungen eines rötlichen Mooses besetzt. Rechts sieht man am Fuß des Hanges auf einer Erdhebung, die aus dem Grund des Tals aufsteigt und sich wie der Rückenschild einer Schildkröte rundet, große, unregelmäßige Mauerreste, die ihre schartigen Kronen übereinander emporstrecken.

Man geht eine Hecke entlang, man klettert einen kleinen Pfad hinauf, man tritt unter eine ganz offene Halle, die bis zu zwei Dritteln ihres Spitzbogens im Boden steckt. Die Menschen, die einst zu Pferde hindurchgeritten sind, sie müßten sich jetzt beugen. (Wenn es die Erde langweilt, ein Monument zu lange zu tragen, bläht sie sich von unten her auf, steigt wie eine Flut darüber, und während der Himmel ihm am Kopfe zehrt, begräbt sie ihm die Füße.) Der Hof ist öde, der Mauerring leer, die Fallgatter rühren sich nicht mehr, das schlafende Wasser der Gräben ruht glatt und regungslos unter den runden Seerosen.

Der Himmel war weiß, ohne Wolken, aber ohne Sonne. Seine blasse Wölbung dehnte sich weit und bedeckte das Land mit kalter und schmerzhafter Monotonie. Man hörte kein Geräusch, die Vögel sangen nicht, der Horizont selbst ließ kein Murmeln hören, und die leeren Furchen sandten weder das Gekreisch auffliegender Krähen her noch das leise Geräusch des Eisens der Pflüge. Wir sind durch die Dornenranken und das Gestrüpp in einen tiefen und finsteren Graben am Fuß eines großen Turms hinabgestiegen, der sich im Wasser und Schilfrohr badet. Ein einziges Fenster öffnet sich auf einer seiner Flächen, ein Schattenviereck, das von der grauen Linie seines steinernen Fensterkreuzes durchschnitten wird. Am Vorsprung der Schwelle hängt ein mutwilliger Büschel wilden Geißblatts, und er streckt seine grüne und duftende Wolke nach draußen. Die großen Pechnasen lassen, wenn man den Kopf hebt, von unten her durch ihre klaffenden Öffnungen nur den Himmel sehen, oder eine kleine, unbekannte Blume, die sich dort, an einem Sturmtag vom Winde herbeigetragen, eingenistet hat, und deren Samenkorn in der Spalte der Steine im Schutz gewachsen ist.

Plötzlich ist ein Hauch gekommen, weich und lang, wie ein Seufzer, den man hinatmet, und die Bäume in den Gräben, das Gras auf den Steinen, die Binsen im Wasser, die Pflanzen der Ruinen und der riesenhafte Efeu, der den Turm von der Basis bis zum First unter seiner gleichförmigen Schicht leuchtenden Grüns verkleidete, alles erzitterte und schlug sein Laubwerk zusammen; das Korn auf den Feldern rollte seine blonden Wogen, die sich auf den beweglichen Köpfen der Halme immerfort streckten und streckten; der Wassertümpel furchte sich und sandte eine Welle um den Fuß des Turms; die Efeublätter schauerten alle zugleich, und ein blühender Apfelbaum ließ rosige Blütenköpfe fallen.

Nichts, nichts! Der Wind streicht vorüber, das Gras wächst, der Himmel liegt offen da. Kein Kind in Lumpen bewacht eine Kuh, die unter den Kieseln das Moos abweidet; nicht einmal eine vereinzelte Ziege steckt ihren bärtigen Kopf durch einen Spalt der Wälle und entflieht erschreckt, indem sie das Gesträuch bewegt; kein Vogel singt; kein Nest, kein Geräusch! Dieses Schloß ist wie ein Phantom, stumm, kalt, verlassen auf diesem öden Land; es sieht aus wie verflucht und voller wilder Erinnerungen. Und doch wurde er bewohnt, der traurige Sitz, den jetzt selbst die Eulen nicht mehr zu wollen scheinen. Im Turm haben wir zwischen vier gleich dem Boden alter Schwemmen bleifarbenen Mauern die Spur von fünf Stockwerken gezählt. Dreißig Fuß vom Boden ist ein Kamin mit seinen zwei runden Pfeilern und seinem geschwärzten Blech in der Schwebe geblieben; Erde ist daraus gekommen, und wie in einem Blumentisch, der sich dort erhalten hätte, sind Pflanzen darauf gewachsen.

Hinter der zweiten Ringmauer erkennt man auf einem gepflügten Feld die Reste einer Kapelle an den zerbrochenen Schäften eines Spitzbogenportals. Der Hafer ist darin gewachsen, und die Bäume haben die Säulen ersetzt. Diese Kapelle war vor vierhundert Jahren mit Dekorationen aus Goldtuch und Seide, mit Weihrauchfässern, mit Leuchtern, Kelchen, Kreuzen, Edelsteinen, mit Schüsseln aus vergoldetem Silber, mit goldenen Kannen gefüllt; ein Chor von dreißig Sängern, Kaplanen, Musikern und Kindern stimmten dort Hymnen an, zum Ton einer Orgel, die ihnen folgte, wenn sie auf Reisen gingen. Sie waren in Scharlachkleider gekleidet, die perlgrau oder mit Pelzwerk gefüttert waren. Einen davon nannte man den Erzdiakon, einen andern den Bischof, und man verlangte vom Papst, es solle ihnen wie den Stiftsherren die Mitra zu tragen erlaubt sein; denn diese Kapelle war die Kapelle und dieses Schloß war eins der Schlösser Gilles de Navals, des Herrn von Ronci, Montmorency, Retz und Craon, des Generalstatthalters des Herzogs der Bretagne und Marschalls von Frankreich, der am 25. Oktober 1440 als Falschmünzer, Mörder, Zauberer, Sodomiter und Atheist auf der Prée der Madeleine zu Nantes verbrannt wurde.

Er hatte mehr als hunderttausend Goldtaler in Möbeln, dreißigtausend Livres Renten und die Einkünfte aus seinen Leben und den Sold seines Marschallamtes; fünfzig prächtig gekleidete Männer begleiteten ihn zu Pferde. Er hielt eine offene Tafel, man trug die seltensten Fleische darauf auf, die feinsten Weine, und man spielte bei ihm wie in den Städten beim Einzug der Könige Mysterien. Als er kein Geld mehr hatte, verkaufte er seine Ländereien; als er seine Ländereien verkauft hatte, suchte er Gold; und als er seine Öfen vernichtet hatte, rief er den Teufel. Er schrieb ihm, er werde ihm alles geben außer seiner Seele und seinem Leben. Er brachte ihm zu Ehren Opfer, Räucherungen, Almosen und Feiern dar. Die verlassenen Mauern leuchteten nachts beim Schein der Fackeln, die mitten unter den Humpen voll Inselweins und zwischen Zigeunergauklern brannten; sie erröteten unter dem unaufhörlichen Wind der magischen Gebläse. Man rief die Hölle an, man schmauste mit dem Tod, man schnitt Kindern den Hals ab, man hatte schauerliche Freuden und fürchterliche Genüsse; das Blut floß, die Instrumente spielten, alles hallte von Lüsten, von Schrecken und Delirien wieder.

Als er tot war, ließen vier oder fünf Jungfrauen seinen Leichnam vom Scheiterhaufen nehmen, hüllten ihn in ein Leichentuch und ließen ihn zu den Karmelitern tragen, wo er nach sehr ehrenhaftem Leichenbegängnis feierlich bestattet wurde.

Auf einer der Brücken der Loire, gegenüber, sagt Guêpin, dem Hotel zur Goldenen Kugel, errichtete man ihm ein Sühnmonument. Es war eine Nische, in der die Gute Jungfrau-Spenderin der Milch stand, die die Kraft besaß, den Ammen Milch zu geben; man brachte Butter dorthin und andere ländliche Gaben. Die Nische ist noch da, aber die Statue nicht mehr; ebenso wie im Rathaus auch die Dose, die das Herz der Königin Anna enthielt, leer ist. Aber wir waren wenig neugierig, diese Dose zu sehen; wir haben nicht einmal an sie gedacht. Ich hätte mir lieber die Hose des Marschalls von Retz angesehen, als das Herz Frau Annas von der Bretagne; in der einen hat mehr Leidenschaft gesteckt als Größe im andern.


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